Reise nach Jerusalem - Frieder C. Löhrer - E-Book

Reise nach Jerusalem E-Book

Frieder C. Löhrer

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Beschreibung

Von Pontius zu Pilatus. Von A bis O. Von Aachen bis zum Felsendom-Oktogon in Jerusalem. Begleiten Sie den gebürtigen Aachener Autor Frieder C. Löhrer auf seinem Weg zur Erkundung unserer religiösen Herkunft und tauchen Sie ein in die Welt christlicher, islamischer und jüdischer Gedanken. Nehmen Sie teil an diesem emotionalen Erlebnis, welches Zugang zu einer wundervollen Welt voller Vielfalt, Menschlichkeit und beeindruckender Natur schafft. Jeder Tag der Reise steht unter der Widmung eines empfangenen Gedankens, der das Bewusstsein für Erlebtes begründet und abermals verstärkt. Wenn sich die - kulturell bedingt verschiedenen - Interpretationen von Glaube, Liebe und Hoffnung respektvoll ergänzen, entsteht eine große gemeinsame Welt aus der Wurzel des festen Glaubens an den einen Gott. Auf der Reise nach Jerusalem während der Festtage Ramadan, Ostern und Pessach.

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Seitenzahl: 974

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Meinem Herzchen und Hans Jaeger

Inhaltsverzeichnis

96. Etappe Rodolívos – Agios Christophoros

97. Etappe Agios Christophoros – Kavala

98. Etappe Kavala – Chrysoupoli

99. Etappe Chrysoupoli – Genisea

100. Etappe Genisea – Glyfada

101. Etappe Glyfada – Maroneia

102. Etappe Maroneia – Makri

103. Etappe Makri – Loutros

104. Etappe Loutros – Griechisch-Türkische Grenze

105. Etappe Griechisch-Türkische Grenze – Keşan

106. Etappe Keşan – Kocaçeşme

107. Etappe Kocaçeşme – Gelibolu

108. Etappe Gelibolu – Akbaş Kalesi

109. Etappe Akbaş Kalesi – Erenköy

110. Etappe Erenköy – Troia

111. Etappe Troia – Dalyanköy

112. Etappe Dalyanköy – Smitheion

113. Etappe Smitheion – Assos

114. Etappe Assos – Altınoluk

115. Etappe Altınoluk – Burhaniye

116. Etappe Burhaniye – Bagyüzü

117. Etappe Bağyüzü – Bergama

118. Etappe Bergama – Maruflar

119. Etappe Maruflar – Türkmen

120. Etappe Türkmen – Menemen

121. Etappe Menemen – Izmir

122. Etappe Izmir – Gaziemir

123. Etappe Gaziemir – Ahmetbeyli

124. Etappe Ahmetbeyli – Selçuk (Ephesos)

125. Etappe Runden in Ephesos

Intralog II

126. Etappe Selçuk – Hıdırbeyli

127. Etappe Hıdırbeyli – Aydın

128. Etappe Aydın – Sultanhisar

129. Etappe Sultanhisar – Kuyucak

130. Etappe Kuyucak – Karakıran

131. Etappe Karakıran – Pamukkale

132. Etappe Pamukkale – Kaklık

133. Etappe Kaklık– Gemiş

134. Etappe Gemiş – Gülköy

135. Etappe Gülköy – Isparta

136. Etappe Isparta – Eğirdir

137. Etappe Eğirdir – Gelendost

138. Etappe Gelendost – Ilegi

139. Etappe Ilegi – Kuyucak

140. Etappe Kuyucak – Akşehir

141. Etappe Akşehir – Çınaroba

142. Etappe Çınaroba – Çiğil

143. Etappe Çiğil – Salahattin

144. Etappe Salahattin – Sille

145. Etappe Sille (über Konya) – Çayırbağı

146. Etappe Çayırbağı – Hatunsaray

147. Etappe Hatunsaray – Çumra

148. Etappe Çumra – Ortaoba

149. Etappe Ortaoba – Kılbasan

150. Etappe Kılbasan – Tarlaören

151. Etappe Tarlaören – Sertavul-Pass

152. Etappe Sertavul-Pass – Mut

153. Etappe Mut – Köselerli

154. Etappe Köselerli – Keben

155. Etappe Keben – Bahçe

156. Etappe Bahçe – Tirtar

157. Etappe Tirtar – Mersin

158. Etappe Mersin – Tarsus

159. Etappe Tarsus – Sarıhamzalı

160. Etappe Sarıhamzalı – Akarcalı

161. Etappe Akarcalı – Kurtkulağı

162. Etappe Kurtkulağı – Dörtyol

163. Etappe Dörtyol – Iskenderun

164. Etappe Iskenderun – Serinyol

165. Etappe Serinyol – Antakya

Intermission II - A und O - Aachen und das zweite Oktogon

166. Etappe Ar-Ramtha – An-Nuayyimah

167. Etappe An-Nuayyimah – Jarash

168. Etappe Jarash – Um Rummanah

169. Etappe Um Rummanah – Amman

170. Etappe Amman – Madaba

171. Etappe Madaba – Salzmeer

172. Etappe Salzmeer – Bethany

173. Etappe Bethany – Jericho

174. Etappe Jericho – Beduinen Mistspe Yericho

175. Etappe Beduinen Mistspe Yericho – Ost-Jerusalem

176. Etappe Ost-Jerusalem – Jerusalem

177. Etappe Armenisches und christliches Viertel in Jerusalem

178. Etappe Muslimisches Viertel in Jerusalem

179. Etappe Jüdisches Viertel: auf, unter und über dem Niveau in Jerusalem

180. Etappe Jerusalem – Bethlehem

181. Etappe Bethlehem – Hebron (Avraham Avinu/Machpela)

Epilog

Die Worte für Gedanken (Stichworte)

Die Etappen

Abkürzungen zu den Büchern des Tanach (Erstes Testament)

Abkürzungen zu den Büchern des Zweiten Testaments

Literatur

96. Etappe Rodolívos – Agios Christophoros

Ich bin heute fußlahm. Die Blase an der linken Ferse macht mächtig zu schaffen. Trotzdem war eine der ersten Inspirationen nach dem Verlassen des Hauses, obwohl ich doch das Schlagen der Glocke hörte, der Blick auf eine auf einer Schnecke tanzenden Person. Der Tanz, er lag in der Luft. Und ich war schon geneigt, mich mit dem Tanz vollkommen zu beschäftigen, die Gedanken sprudelten und ich erinnerte mich, da war doch was, war es nicht Wien, wo ich den Walzer als einen der Tänze mit dem Umfeld von Tanz gedacht habe.

So sehr mir am Tanz lag, so wenig konnte ich mich dazu durchringen, einen weiteren Tag mit dem Tanz zu verbringen, aber ich erinnerte mich an den rhythmischen Schlag der Glocke1. Die Glocke ruft zum Gottesdienst. So ist es hinlängliche Tradition. Hier im griechischen Umfeld ruft die Glocke ebenso zum Gottesdienst wie in Deutschland. Der, der sie heute geschlagen hat, hat bewusst mit drei Schlägen signalisiert: das ist Schluss. In der Musik wurde dieser Schlussteil auch oft der große Dreier genannt, mit dem im Prinzip das laufende Stück zu einem Ende, zu einem Haltepunkt, zu einem Schlusspunkt kommt.

Glocken, mächtige Gebilde, gegossen mit Bronze oder Stahl, wo ein Klöppel gegen die Innenhaut schlägt und damit ein vibrierender, im Raum stehender Ton erzeugt wird, mit wunderbaren, spezifischen Obertönen, die schon berühren.

‚Die Glocke‘ ist auch ein Gedicht von Friedrich Schiller. Mein Vater hat es gern zitiert und rezitiert. Dabei war seine besondere Stärke, es nicht nur in der Urform vorzutragen, er konnte es aufführen und darstellen in verschiedenen persönlichen Situationen: als kleines Mädchen, als Sänger, als Soldat, als jemand, der auf dem Donnerbalken sitzt. Ein Ringen mit der eigenen Person im Denken und Reflektieren oder einzig auch nur Vortragen der Ballade. Unvergesslich seine schauspielerische Leistung, insbesondere wenn das kleine Mädchen beim Vortrag die dritte Zeile schon vergessen hatte und in Tränen ausbrach.

Eine Glockengießerei zu besuchen kann ich nur empfehlen, es hat etwas Geheimnisvolles, so wie das Gedicht anfängt, es wird eine Form gebrannt. Mit der Form entsteht ein Urbild dessen, was werden soll.

Die Glocke ist ein Signalgeber. Je nach benötigter Wirkung und Reichweite sind es klitzekleine oder mächtig große. Die mächtig Großen hängen meistens in der Nähe von Kirchen oder in Kirchen und sie rufen über die Stadt hinaus, über das Viertel hinaus, die Gemeinde zum Gottesdienst. Manche Glockenzeichen dienen der allgemeinen Orientierung. Im katholischen Umfeld kann der Nicht-Gottesdienst-Teilnehmer anhand von spezifischen Glockenschlägen erahnen, was gerade im Gottesdienst passiert.

Gemeinsam haben die meisten Kirchenglocken die Orientierung an der Uhrzeit, geben Signal zur halben Stunde, zur vollen Stunde, eventuell zur viertel Stunde, mit Angabe der vollen Uhrzeit.

Die kleinen Glocken bei Tisch mit der Möglichkeit, alle aufzurufen, zum Beispiel stille zu werden oder sich jetzt dem Essen zu widmen oder achtzugeben, wenn die Suppe gereicht wird. Die etwas größere Glocke, die in einem Versammlungsraum die Gemeinschaft zur Ruhe ruft, zur Aufmerksamkeit, zur Stille für das, was jetzt wichtig sein soll.

Die Glocke, die der Milchmann, zumindest in früheren Zeiten, und hier und da noch heute bedient, wenn er in eine Straße einfährt, um auf sein Geschäft aufmerksam zu machen: Leute kauft Milch. Und es ist nicht nur der Milchmann, der davon Gebrauch macht, auch der Bäcker oder der Alträuchermann, es kann auch die Frau sein, die durch die Gegend fährt und auf ihr Geschäft aufmerksam macht. Die Glocke, Signalgeber, manchmal aber auch Informationsträger.

Und wenn wir schon bei der Glocke sind, dann können wir die Schiffsglocke, die andeutet und ankündigt, es passiert etwas, bitte Aufmerksamkeit, das Schiff legt gleich los. Schon auffallend, die Glocke erzeugt und will Aufmerksamkeit. Das Besondere an der Glocke ist die sicherlich auffallende Form. Die Form ist so bemerkenswert, weil sich an sie auch der Name einer Blume angelehnt hat, die Glockenblume. Selbst ein Bauwerk wird in Form einer steinernen Glocke gedacht, die besondere Kirche in Dresden. Welch große Freude war es für die Stadt, diese Kirche aus Trümmern wieder zu errichten, aus Dankbarkeit, aus einem Trümmermahnmal, ein ‚Bedenk-Mal‘ für Frieden und Freiheit zu stiften. In der Musik ist die Glocke ein gern genutztes Instrument, um einen sakralen Charakter, einen mystisch entrückten Charakter zu kreieren, um mit triumphalem Einsetzen zum Beispiel das Ende eines Krieges akustisch zu lautmalen. Wagner hat dies geschickt im ‚Parsifal‘ eingesetzt, aber auch Maurice Ravel bei der Instrumentalisierung der ‚Bilder einer Ausstellung‘.

Die Funktion der Glocke als Achtung, Hallo, Hör her, ist vielleicht in einer anderen Gegend durch den Gong abgedeckt.

Die Königsdisziplin der Glocke ist das Glockenspiel. Hier ist sicherlich sofort der Gedanke bei der Zauberflöte und Mozarts Einsatz dieses Instrumentes, im Prinzip im wahrsten Sinne des Wortes verzaubert, aber es geht um mehr. Es geht um das Nutzen vieler Glöckchen, um den Klang zu einer Reihe von Tönen, eine Melodie, ein Lied zu kreieren. Glockenspiele sind in Städten beliebte Anlaufpunkte, stundenlang stehen oft Menschen davor, um das Spiel der Glocken unter Umständen mit einem aufwändigen, synchronen Bewegen von Figuren beobachten zu können; hier wird oft Stadt-Geschichte erzählt.

Besonders auffallend ist dies im belgischen Raum, wo die Glockenspieler mit mächtigem Einsatz von Fäusten die Lieder zum Leben erwecken: Carillon genannt. Und auch dahinter liegt eine ganz große, weite Welt, in die es sich lohnen würde einzutauchen, bis hin nach Westminster.

Das Glockenspiel von Westminster lag mir von frühester Kindheit im Ohr, nicht weil ich so nahe am Ort des ursprünglichen Klanges gewohnt habe, sondern weil meine Großeltern eine Miniatur als große, alte Uhr auf dem Wohnzimmerschrank stehen hatten; hin und wieder durfte ich unter Aufsicht die Feder aufziehen.

Diese Gedanken haben mich heute Morgen aus dem Ort Rodolivos hinausgetragen, in eine wunderbare Landschaft. Der Höhenweg mit weiten Blicken in die Berge, dazwischen drapierte, rote Flecken mit der Ansammlung von Häusern, die eine ziemlich einheitliche Dachfarbe haben, aber dennoch durch die verschiedenen Höhen und die jeweilige Farbgebung durch die Sonne einen fabelhaft lebendigen Flecken darstellen. Zu meiner Rechten sind die Hügel schon sehr nah, es ist der Gebirgszug des Pangeo, der mich gerade hier an der Stelle genau vom Mittelmeer abgrenzt, ich weiß, dahinter liegt das sehnsuchtsvoll erwartete Meer, ich werde es sicherlich spätestens morgen wieder sehen. Ich höre das leichte Zirpen, es hallt über den ganzen Raum, dazwischen drapierte Vogelstimmen und dies alles in einer Ur-Ruhe; ich genieße es, merke, wie die innere Freude mich aufrichtet, mich richtig belebt.

Heute ist Sonntag, in Deutschland nennt sich dieser spezielle Sonntag Pfingsten. Vielleicht zieht gerade auch bei mir so etwas wie ein Windbraus ein, in einer himmlisch friedlichen Umgebung.

Von den Feldern kam ich nun in einen kleinen Ort Proti. Nach einem kurzen Durchgang durch eine kleine Gasse erreiche ich völlig unvermittelt einen großen Platz, vor dem ein Restaurant neben dem anderen stand, ein wirklich schönes, lebendiges Treiben. Menschen saßen im Café, es gab Ausstellungen zu verkaufbarer Ware, Kleidung – kleiner Markt, lebendig. Das Leben, es ist wieder da.

Auf dem Marktplatz steht eine lebensgroße Figur von Konstantinos Karamanlis, dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Griechenland, schon über zwanzig Jahre tot. Gedenken an Leistungsträger hat in Griechenland offensichtlich Bedeutung. Ich bin schon wieder fast aus der Stadt, gehe durch das ruhige Viertel, wo die Schule steht, der Sportplatz liegt, sonntägliche Ruhe. Der Sportplatz ist gewidmet: Achilles Karamanlis.

Und dann löst sich das Rätsel mit Karamanlis. Ich komme an den Friedhof, möchte die weiße Farbe des Friedhofs, die allen Grabsteinen gemein ist, ablichten. Da kommt mir ein stämmiger, fröhlicher Grieche entgegen, wir kommen ins Gespräch. Ich sehe nämlich an der Kirche, die auf dem Friedhof steht, den Namen Karamanlis stehen. Er erklärt mir, dass die Familie aus diesem Ort stammt, auch der in der Innenstadt verehrte, ehemalige Ministerpräsident, und dass dessen Eltern auf diesem Friedhof liegen, ebenso zwei Brüder. Ich bekomme einen Einblick in die Familiengeschichte und Ortsgeschichte; denn auch der Bruder, der hinter den Eltern rechts begraben liegt, war Ministerpräsident von Griechenland. Und er erklärt mir, wie der Fluss Strymon in kriegerischen Auseinandersetzungen Grenze war. In seinem Gebiet, da wo wir jetzt stehen, Bulgarien zugeordnet, so habe ich es verstanden, hat es im Ersten Weltkrieg hohe Verluste gegeben, im Zweiten Weltkrieg ganz geringe. Auf der anderen Seite des Flusses waren die Verhältnisse fast umgekehrt.

Aus dem Ort haben 200 Familien in Deutschland gelebt und gearbeitet; es gibt eine große Nähe zu Deutschland.

Er kann lebendig erzählen, er kennt seine Geschichte in vielen Details und vielen Möglichkeiten, sie zu vergleichen und zu deuten. Er fragt natürlich, wohin ich unterwegs bin und wo ich herkomme, ich erzähle mein Sprüchlein und er erzählt, dass er bereits zweimal in den letzten zehn Jahren in Israel war und dieses Land liebt; man sieht sein Strahlen; er erzählt auch, wie er Reisen in die Türkei unternommen hat, warnt mich vor dem Weg von Syrien und dem Libanon, kann sich begeistern für eine Schiffsreise um dieses Gebiet über Zypern hinaus. Zum Schluss nehmen Tsakis Nounis – jetzt nennt er mir seinen Namen - und ich ein gemeinsames Foto auf. Die Friedhofskapelle wurde von acht Familien gestiftet, aus Dankbarkeit und Stolz.

Nun geht es in die Berge in Richtung des Klosters, von dem er mir dann noch gesagt hat, es sei das wichtigste weit und breit im Gelände; denn auch dieser Landstrich hatte zweimal für dieses Kloster gekämpft.

Auf dem weiteren Weg habe ich mich schon nach kurzem Abschnitt verlaufen, bewege mich parallel zum geplanten und angestrebten Pfad; anfangs ist es schön und ich bin zufrieden. Doch wie zu erwarten kommt auch ein Abschnitt, der weniger schön ist, nahezu undurchdringliches Gestrüpp, eine alte Bekanntschaft von mir.

Ich habe es in Ruhe angenommen und komme in den nächsten Ort mit dem Wunsch, eine Bank zu finden, und zwar im Schatten. Ich komme links um eine Biegung, da steht sie, die gewünschte Bank unter einem Olivenbaum. Es ist kurz nach elf und ich gönne mir die Pause an diesem gastlichen Ort, ziehe die Schuhe aus, lehne mich an den Rucksack auf dieser Bank, wohl nicht schlafend, eher ruhend.

Angenehm ist es, den Vögeln zu lauschen und auch wahrzunehmen, wie ein leichtes Leben in der Stadt ist. Sonntäglich ruhig, eine Frau führt ihr schwarzes Sonntagskleid aus, im gemächlichen, aufrechten Gang, mit einem gewissen sonntäglichen Stolz.

Nach dem Ruhen richtete ich meine Sachen, nahm den Weg wieder auf, nachdem ich abgeklärt hatte, welche Alternativen es gibt, und irgendeine Stimme sagte mir, bleib auf deinem Weg. Ich nahm zwei Biegungen und traute meinen Augen nicht. Es ist mir wie ins Auge geschossen, der Stern Davids. Es stand hier eine alte, zerfallende Synagoge in einem unglaublichen Ausmaß mit romanischen Bögen, nicht erwartet, nirgends eingezeichnet, vergessen. Einzig der Magen Dawid mit einem kleinen hebräischen Schriftzug war zu erkennen und dann wusste ich, warum ich eben diesen Weg nehmen musste, freue mich über eine zweite, gute Begegnung an dem Tag, bin gespannt, was er noch bringen wird.

Nach diesem besonderen Erlebnis war ich so froh gemuht, so guter Stimmung, dass ich mich auf den weiteren Weg freute. Zu früh gefreut.

Als ich die Straße verließ, wie von Komoot geplant angekündigt, führte der Weg langsam, sehr schön in den Berg hinein und kam dann nach einer Wendung an eine nahezu undurchdringliche, grüne Wand, wo ich den Weg suchte. Er war nicht wirklich zu finden, er schien zugewachsen zu sein. Ich hatte auf mein Smartphone geschaut und in dem Augenblick sah ich, wie sich eine wunderbare Libelle in ihrer vollen, prächtigen Ausbreitung - mindestens acht, wenn nicht zehn Zentimeter breit - auf eine grüne Pflanze setzte, ich wollte sie fotografieren, hantierte mit meinen Stöcken, mit meinem Mobiltelefon, dann rutschte mir ein Schweißtropfen als Melange mit Sonnenöl ins Auge; ich behindert, Libelle weg. Dann war ich ziemlich zerknirscht, ich ging den Weg zurück zur Straße, die ich eigentlich nicht gehen wollte, war in mich leicht stinkig versunken, schwitzte umso mehr, nahm das schon mehrfach gebrauchte Tempotaschentuch zum Abtropfen und stellte fest, dass ich auch noch die Mund- und Nasenmaske verloren hatte. Das ist einfach zu viel.

Dennoch: ich lasse hier los, auch von meiner Problematik. Es ist einfach Müdigkeit und Unzufriedenheit, aus eigenem Verursachen. Jetzt weiß ich, die Schuhe sind einfach eine Nummer zu klein.

Zur Ruhe gekommen geht es nun den langen Anstieg zum Kloster Panagia Eikosifoinissa. In der prallen Sonne, manche würden sagen erbarmungslos, gehe ich ziemlich rhythmisch, orientiere mich an einen Mittelstreifen und beobachte, wie sich die Schweißperlen bilden, oben auf die Brille fallen, über das Brillenglas nach unten rutschen, aus der Brille unten heraus auf meine Wangen fließen; es ist ein ewiges Kommen und Gehen von Flüssigkeit, ich spüre immer wieder, wie sich ein neuer Tropfen bildet, ansammelt, seine Bahn sucht und nimmt. Mit Erstaunen bemerke ist, was meine Augen machen; das erste ist, sie schützen sich vor dem salzigen Melange-Gemisch von Schweiß und Sonnencreme. Des Weiteren, dass die Beobachtung meiner Augen dazu führt, wenn ich genau senkrecht zwischen meine Füße gucke, es ein verschwimmendes Bild gibt. Der Schnelligkeit wegen ist die Auflösung der einzelnen Bilder nicht mehr gewährleistet; wenn ich ungefähr ein bis anderthalb Meter vorausschaue, habe ich das Gefühl, dass das Auge immer einen Halt sucht, dadurch ein stabiles Bild entsteht und fast in der Schrittfolge ein Schritt im Bild nach vorn setzen, also ein Bild festhalten, Bild festhalten, Bild festhalten. Phänomenal, was das Auge macht, ohne dass wir es vielleicht genau wissen und auch immer beobachten; ich habe vielleicht etwas für mich gelernt.

Ich nahm den Weg wie eine kleine Maschine, sehr rhythmisch, aber damit auch nicht konzentriert und aufbauend, sah weniger als das direkte Umfeld von etwa einem Quadratmeter. Aber es entstand eine sozusagen andere Konzentration: ich horchte in mich hinein und nahm scheinbar einfach den schwierigen Berg in brennender Hitze.

Oben angekommen bot sich gleich die Chance, in einer anderen Form Energie zu tanken. Ich suchte mir eine neue Schutzmaske heraus, legte sie an und betrat das Selbstbedienungsrestaurant, wollte nach Orangensaft fragen, als die Dame sagte: ‚Sie sprechen bestimmt Deutsch‘, in einem tadellosen Deutsch. Sie hatte 20 Jahre in Deutschland gelebt, war hierher zurückgekehrt, war fröhlich und zufrieden. Es gab den Orangensaft und ein richtig schönes, süßes Teilchen. Zusätzlich gab sie mir einen Handzettel mit Informationen zur Geschichte und den Schicksalen des Klosters. Als ich ihr sagte, dass ich nach Jerusalem pilgere, gab sie mir einen Euro, nahm mir das Versprechen ab, für Sie eine Kerze zu zünden. Be-geist-et und erfrischt betrat ich die Klosteranlage, war beeindruckt von der sofortigen Ruhe und in sich gekehrten Offenheit, durchschritt das Tor in den Innenhof zur Kirche, betrat die Kirche und war sofort in ihrem Bann. Sie hat eine starke dunkle Atmosphäre, in der das Gold des achteckigen Leuchters ebenso hervorsticht wie die anderen Goldgaben, alles drapiert vor dem inzwischen geschützten Abbild des Heiligtums, einer Mutter-Gottes-Darstellung mit Christus, eigentlich auf zwei Holzbrettern dargestellt. Die Geschichte: es war mal ein Brett, zerbrach dem Gestalter im letzten Augenblick. Ich glaube viele von uns kennen das Erleben, wenn etwas fast fertig ist, aber eben auch nur fast. Es wurde jedenfalls dieser Kirche zu einem großen Segen, zu einem großen Sieg. Sie gilt als eine der ältesten, wenn nicht als die älteste Klosteranlage des Balkans. Ein älterer Herr kam mit mir ins Gespräch, er feiert morgen seinen 78. Geburtstag, er konnte so seine englischen Zahlenkenntnisse mit mir in Ruhe ausprobieren, ich gab ihm auch meine Zeit.

Es kam ein jüngerer Mann auf mich zu, der offensichtlich lange in Deutschland gelebt hat, er sprach ein tadelloses Deutsch. Wir kamen ins Gespräch über meine Reise und das Zusammenleben der Religionen. Er resümiert: Es kommt nicht darauf an, welcher Religion du angehörst, sondern wie dein Herz spricht. Es kam eine kleine Nonne, die fragte ich, ob ich als Erinnerung einen Stempel erhalten könnte, sie bemühte sich, kam zurück, bat mich in den Kirchenraum zu gehen, dort zu warten, es würde jemand kommen.

Zurück in der Kirche legte ich Rucksack, Stöcke und Mütze weg, nahm auf einem der wunderbaren Stühle Platz, entspannte mich, lauschte und schaute in den Raum, beobachtete Details, die Gestaltung der Säulen, die Malereien, bis in die tiefste Kuppel mit Details, die sehr liebenswert und überlegt waren. Schreitend näherte sich mir eine etwas größere Schwester mit dem sorgsam eingepackten Stempel und Stempelkissen, entfaltete es, setzte mir in beide Bücher einen Stempel mit einer Liebenswürdigkeit und einer Hartnäckigkeit, dass es ein vollständiger Abdruck des Stempeloriginals wurde. Bedanke mich, schaue mir den Stempel an und fand die Details abgedruckt.

Dann hieß es: wieder runter vom Berg, ins Tal, noch an zwei oder drei kleinen Klöstern vorbei, dann zur Ruhe kommen, um das alles nachwirken zu lassen. Ein schöner Tag, auch wenn es zwischendrin ein unglückliches Gefühl gab, über das ich aber durch das Nachdenken und Reden sehr gut hinweggekommen bin. Nun bin ich doch fast am Ziel und komme wieder zur Glocke. Der Rhythmus ist mir so bewusst, tam, tam, tam mit der Betonung auf dem dritte tam, wie Auftakt mit Betonung auf der Eins. Pause. Wieder tam, tam, tam, in gleicher Weise. Ein Schlag Pause. Dann: tam, tam, tam, tam, tam, tam, tam; sieben gleichmäßige Schläge mit der Betonung auf den letzten, wieder der Eins. Die gesamte Folge dreimal hintereinander. Sie ist eingebrannt.

Ich erinnere mich an die Osterglocke, nicht nur die, die in der Kirche läutet, sondern auch die Blume, ein schöner Name für eine Blüte, was auch die Verbindung zum Blühen und Blüte aus den Vortagen herstellt. Dies erinnert mich an die Osterglocken am Pfingstsonntag. Doch hinzu kommt ein Impuls, den ich von einem guten alten Freund, Hermann Walter Erbslöh, empfing. Er hat mir ausgerechnet jetzt ein Gedicht von Erich Kästner geschickt, zum Thema Glocke. Es gibt keinen Zufall.

‚Es läuten die Glocken

Wenn im Turm die Glocken läuten,

kann das vielerlei bedeuten.

Erstens: dass ein Festtag ist.

Dann: dass du geboren bist.

Drittens: dass dich jemand liebt.

Viertens: dass dich’s nicht mehr gibt.

Kurz und gut, das Glockenläuten

hat nur wenig zu bedeuten.‘

1 Stichwort der 96. Etappe

97. Etappe Agios Christophoros – Kavala

Das Thema liegt doch in Griechenland auf der Hand: Geschichte2. Und so ist die Frage: Was ist Geschichte? Was ist eine Geschichte?

Geschichte erzählt Geschichte und Geschichten. Geschichten erzählen Geschichten und Geschichte. Ist eindeutig klar, was was ist?

Wenn ich mir das Wort anschaue, so lese ich als erstes ‚Schicht‘. Natürlich ist für den Bergmann ‚Schicht im Schacht‘ ein fester Begriff. Aber es ist mehr das Schichten, das Übereinanderlegen von Ebenen, das übereinander Aufbauen von Strukturen, vielleicht ist es sogar die historische Blockchain.

Geschichte wiederholt sich nicht, dennoch können wir aus der Geschichte lernen. Lernen wir aus der Geschichte? Es ist erstaunlich, wie wenig wir tatsächlich aus Geschichte und aus Geschichten lernen, wir hören sie uns an, wir sehen Sie uns an, bestaunend, verärgert, beeindruckt, was immer gerade zu der Geschichte passt. Geschichte ist, das drückt schon das Ge aus, Vergangenheit. Ist sie damit immer abgeschlossen? Geschichte wirkt ins Jetzt, sehr lange und nachhaltig.

Ein Beispiel ist die Übertragung der Vorstellung, dass der Apostel Paulus Christ war. Demzufolge habe er bei seinen Besuchen in Europa christliche Gemeinden gegründet.

Shaul – latinisiert Paulus – war ein brillant ausgebildeter Jude und blieb Jude! Er hatte bei Gamaliel gelernt, beherrschte daher dessen Kunst der Bibelauslegung. Wenn du die Stellen im Zweiten Testament sorgfältig liest, wirst du feststellen, dass Paulus von seinem jüdischen Glauben nie Abstand genommen hat. Er ist auch nicht bekehrt worden, sondern berufen, berufen, den messianischen Gedanken in die Welt zu tragen: Wir könnten stundenlange Gespräche dazu führen. Es geht nicht ums Rechthaben oder Besserwissen, sondern um das daraus resultierende Schichten von Geschichte.

Wenn an einer Ausgrabungsstelle, an einem Kloster oder an einer anderen Stelle angemerkt ist, dass im Jahre 49 unserer Zeitrechnung jener Shaul/Paulus hier zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat, dann ist das so richtig. Wenn dort gesagt wird, dass er damit das Christentum nach Europa gebracht hat, so ist es schon ein interpretatorischer Raum. Wenn es oft genug gesagt wird, wird es Wirklichkeit.

Ich habe es schon auf meiner Wanderung nach Santiago de Compostela erlebt, als ich mich an den Orten der Schlachten von Tours und Poitiers einfand. Die Rezeption der Geschichte dieser Schlachten ist sehr stark geprägt vom jeweiligen zeitlichen Umfeld, der Betrachtung dieser Geschichte.

Für mich eine der schönsten Beispiele für das Schichten von Geschichte ist Troja. Wie oft habe ich es gehört, Schliemann hat ausgegraben, aber die falsche Schicht als das historische Troja des berühmten Krieges identifiziert. Ich kann das nicht beurteilen. Ich bin angewiesen auf andere, die das mit viel Sachverstand, Ruhe und Aufgeklärtheit können.

Der Diskurs über die Ereignisse, der Diskurs über die Bewertung braucht daher die kritische, offene Diskussion, eventuell auch den einen oder anderen Perspektivenwechsel.

Wenn Ereignisse in Europa in einen zeitlichen Bezug gebracht werden, dann wird oft gesagt, es war nach dem Zweiten Weltkrieg. Man könnte auch sagen, es war nach dem Ende der braunen Brühe. Jeweils würde eine andere Gewichtung und Betrachtungsweise entstehen. Für die einen war das Ende des Krieges verbunden mit dem Begriff Kapitulation, für Andere mit dem Begriff Niederlage, für wieder Andere mit der Wertigkeit Befreiung. Faktisch war es nur das Ende eines Krieges.

Dies klingt so schnörkellos nüchtern, nahezu kalt. Das war auch ein Teil der alten Unterrichtsmethode: Geschichte, Jahreszahlen, Orte, Zeiträume. Aber es geht auch um die einzelnen, persönlichen Geschichten, die dem Ganzen ein Gesicht geben. Zusammenhänge aufzeigen, die verstehen lassen, wer wie betroffen war. Konstellationen vermitteln, die zeigen, welche Interessen aufeinanderstießen und mit welchen Mitteln diese verfolgt wurden. Hier liegt die Chance des Lernens, die eine zum Imitieren, die andere um vorausschauend zu wissen, was dies bedeuten könnte, wieder eine andere, der Gefahr Herr zu werden, dass sich Geschichte, die sich eh nicht wiederholt, dennoch wiederholt. Da liegt genau der Reiz: Geschichte selbst wiederholt sich nicht, aber die Mechanismen, wenn du sie durchschaust, sie kommen immer wieder.

Daher bietet sich das Bild der Schichten an: Um den Kern erkennen zu können, um zu ihm vorzustoßen, muss man die Schichten abtragen, um an den Kern zu kommen. Ist das nicht eine wunderbare Fragestellung für uns, zum Kern zu kommen, zur Wurzel? Diese Art der Suche treibt mich. Es tut gut, Wurzelforscher zu sein, wissend, dass Geschichten Geschichte und Geschichte Geschichten sein können.

Auf dem Weg Richtung Philippi von meinem Startort Agios Christophoros aus komme ich über eine Brücke; hier erblicke ich ein kleines Wehr und ein gigantisches Biotop, aus dem der Klang von Fröschen und Vögeln sich zu einer großartigen Symphonie vermischt; die Akustik ist wie im Konzertsaal: einfach schön, hat mich berührt, mehr noch.

Der Weg führt durch die Felder mit unterschiedlicher Bepflanzung, dazwischen große Bewässerungskanäle, überall wird mächtig Wasser gesprengt. Es ist eine große Ebene zwischen der Gebirgskette zur Rechten, die zum Mittelmeer hin steht, Pangeo, und zur Linken, an der sich das Skigebiet bei Drama befindet. Es ist ein himmlisch paradiesisches Gebiet.

Ich laufe langsam auf Philippi zu, sehe schon den Burgberg, die Akropolis. Als ich zur Straße komme, bot sich mir zur rechten Hand unter einem Baum ein besonders einladendes Plätzchen, eine hölzerne Bank, ein steinerner Tisch sowie ein Plastikstuhl, sagten: Frieder, ruh dich einen Augenblick aus. Ich habe die Einladung dankend angenommen, in den Schatten nach ungefähr zwölfeinhalb Kilometern, einmal durchschnaufen, Wasser trinken, kurz die Beine hochlegen und auf die Tour schauen.

Neugierig näherte ich mich der ersten Landmarke, wo es irgendetwas mit Moor und Bad geben sollte. Ich kam in die Nähe und sah, wie eine Frau eine große Plane über die Straße hin und her schob, offensichtlich mit irgendwelchen Abfällen auf der einen Seite beladen, auf der anderen Seite entladen. Sie sprach mich an, mit einem fröhlichen Lächeln und bot mir ein Glas Wasser an, ich konnte nicht ablehnen, ging mit ihr in das Gelände; kurze Zeit später kam die Leiterin der Anlage hinzu, die 16 Jahre in Leonberg gelebt hat und ein tadelloses Deutsch sprach.

Das Gespräch zwischen Englisch, Griechisch und Deutsch drehte sich um ‚Wie ich hierhergekommen bin‘ und natürlich ‚Was es hier Besonderes gibt‘. Es ist ein Moorbad, mit großer heilender Wirkung. Viele Leute reisen an, aus nah und fern, auch aus Deutschland. Mir wurde das Bad dann auch kurz gezeigt; gepflegt, charmant, angenehm, gelungen.

Mein Rucksack wurde vollgepackt mit Verpflegung für diesen Tag und vielleicht auch den nächsten, ich habe mich gefreut, bekam noch einen Kaffee mit Milch und Zucker und vor allen Dingen: Eis in das aufgewärmte Wasser. Einfach einladend und aus dieser kurzen Erlebnisaufnahme sehr zu empfehlen.

Ich näherte mich dem vor mir liegenden Berg, dachte, ich wäre jetzt in Philippi, stand aber in der Nähe der aus christlicher Sicht ersten Taufe auf europäischem Boden durch Shaul/Paulus. Die heilige Lydia. Das Bemerkenswerte ist, dass die Christen dies als Taufe unter christlichen Aspekten sehen und dabei unter Umständen vergessen, dass erstens Paulus Jude war und blieb, zweitens auch Jesus/Joshua getauft wurde, bevor er Christ war, als Jude von Johannes dem Täufer.

Es ist ein Reinigungsbad im Sinne von Sich-in-das-Tauchbad-Bewegen, die Mikwe, eine Tradition, die urjüdisch ist und keinesfalls das Thema einer christlichen Taufe für sich beansprucht; ohne darüber nachzudenken wiederholen wir das uns Gesagte und nehmen es als gegeben. Und ich betone, ich will hier nicht Besserwisser sein, sondern einfach meine Sichtweise teilen. Danke.

Im Qurān – – ist eine ganze Sure ‚Die Geschichten - al-Qaa‘ getitelt. Daraus ein Vers: ‚Wir verlesen dir von der Kunde über Musa und Fir´aun der Wahrheit entsprechend, für Leute, die glauben.‘3 Und das Schichten: ‚Sie hatte aber aufs Dach sie hinaufgebracht und sie unter den Stengelflachs schlüpfen lassen, der ihr auf dem Dache geschichtet war.‘4

Nach der Besichtigung des archäologischen Museums zu Philippi, mit einigen Besonderheiten, die einen Besuch sicherlich mehr als sinnvoll erscheinen lassen, bin ich etwas orientierungslos durch die Ausgrabungsstätte gelaufen, da zur Zeit viele wissenschaftliche Ausgrabungen stattfinden, es deshalb keinen effektiven Wegverlauf gibt. Trotzdem konnte ich mir von der Stadt ein Bild machen, die einst mazedonisch, griechisch, römisch, christlich, byzantinisch wurde, heute ein Trümmerfeld, an dem so gearbeitet wird, dass man wieder entschlüsseln kann, was war.

Das Forum ist eine große Fläche, an der wie im Altertum üblich und heute nicht anders eine Reihe von Verkaufsläden angebracht war, die Kirche, die an Paulus erinnern soll, ist interessanterweise in einem Achteckstil, dem Oktogon, Bild des himmlischen Jerusalem, erstellt und erinnert mich natürlich sofort an den Startort meiner Reise: Aachen!

Aus dem tiefer gelegenen Hauptteil der Stadt bewege ich mich dann in Ruhe aufwärts Richtung Theater und finde unter einem Olivenhain zwei einfache Bänke. Der Hain lädt mich zu einer weiteren, genüsslichen Pause ein, das hat mir wieder gutgetan. Und nun stehe ich im Theater. Alles Theater?

Nachdem ich dann auch den prähistorischen Ort passiert habe, hier reicht die Geschichte ungefähr 8.000 Jahre zurück, befand ich mich auf der langen Geraden. Als ich so darüber nachdenke, erinnere ich mich natürlich an den Werbespruch, den ich erst in den letzten Tagen erwähnte, mit ‚immer geradeaus, Richtung Norden, heißgeliebt, kalt getrunken‘5. Heute: immer geradeaus Richtung Süden, immer wärmer, trocknen, Durst, bestimmt kommt es, ein großartiges, großes Blondes.

Es geht nun mächtig bergan. Kurz vor dem Pass nimmt dann plötzlich in einem Ort der Weg einen Ausbruch nach rechts, gefolgt von einem Linksabbieger, jetzt parallel zur großen Hauptstraße. Und mit und mit laufe ich auf der Via Egnatia, abseits vom Strom, auf ins Grüne, mit einem äußerst steilen Aufstieg.

Gefühlt bestätigte sich damit für mich das, was ich den ganzen Tag schon empfunden habe: in einem Kraterkessel zu sein, zu allen Seiten hin Berge, und sie kann man nicht umgehen, nur übersteigen.

Im Tal bildet sich leichter Dunst, weiter entfernt ist die Sicht verschwommen, weiter unten sehe ich eine große Landebahn und dann sehr deutlich die Akropolis von Philippi. So kann ich auf die lange Gerade Richtung Süden zurückschauen.

Ich gehe noch ein Stück weiter, noch ein steiles Stück, komme auf den Pass, bin in einem wunderbaren Pinienhain; ich verspüre eine angenehm kühlende, klimatische Wirkung, und durch das dichte Nadelgehölz sehe ich das Meer und die Stadtdächer, die sich in Rot abzeichnen, das Meer in einem Dunkelblau, ganz weit draußen sehe ich die Insel Thasos.

Ich bin kurz vor Kavala, vor der Bucht und dem Hafen. Hier oben herrscht Ruhe, ich höre nur die Vöglein, die zuversichtlich und fröhlich zwitschern, im abendlichen Sonnenschein, nur ich stark schwitzend falle aus der Rolle.

Die Geschichte für den Tag: Geschichte wiederholt sich nicht, aber die Archetypen, die Finten, die Listen, die Strategien. Es ist, als wenn du Go spielst. Es gibt nur zwei Steine, eine Reihe von Spielfeldern und es geht darum, geschickt zu spielen. Es ist immer Go. Dennoch immer anders.

Das macht das Leben aus. Geschichte wiederholt sich nicht, die Ähnlichkeit ist die Faszination, die Vielfalt mit allen Traurigkeiten, aber auch Freuden.

2 Stichwort der 97. Etappe

3 Sure 28, Vers 3 - Die Geschichten (al-Qaa)

4 Jos 2, 6

5 Ältere wie ich, erinnern sich vielleicht an Doornkart

98. Etappe Kavala – Chrysoupoli

Die Gunst der Stunde habe ich heute Morgen nicht genutzt; Grund: Abgesehen von der nötigen Pflege der Füße stand ein sehr gutes Frühstück an, das ich auf meinem Balkönchen zu mir nehmen konnte. Natürlich sind mir all die Dinge passiert, die mir immer passieren, zum Beispiel: ich lege das Messer auf das Salatschüsselchen und aus welchem Grund auch immer: es kommt ins Rutschen und ist drei Etagen tiefer im Garten. So hatte sich auch schon in der Nacht die Blase an der linken Ferse erleichtert und die Flüssigkeit ins Bettlaken getrieben. Eigentlich alles keine schönen Themen für den Beginn eines Tages, und dennoch war ich wohlgemut, freute mich und nahm einfach zur Kenntnis: du bist Frieder, wie du bist.

Dadurch kam ich erst um 9:00 Uhr in Kavala aus der Haustür meines Quartiers, also signifikant später als sonst, aber ohne Hast und Eile, um in Ruhe meinen Weg aufzunehmen. Die Gunst der Stunde, da liegt doch das Stichwort für den Tag vor mir: die Gunst6, darüber werde ich nachdenken. Zunächst gehe ich zum Hafen, schaue, wie gut entwickelt einige Teile der Stadt sind, andere nicht, und dann ruft der Berg hoch zu den Kirchen: in allen heute Gottesdienst mit Weihrauch, mit hochfestlichen Gewänder, mit großem Gesang, und das an einem Dienstag. Die Aufstiege über die Treppen sind steil, die Stufen sind deutlich höher als in Deutschland. Wieder zurück zum Meer hin komme ich in das Gebiet der Festungsanlage mit dem römischen Aquädukt und tauche in die alte Welt der Byzantiner ein, mit einer Reihe von muslimischen Bauwerken, inklusive einer Moschee; ebenso steht auf der Spitze in diesem Kastell eine Kirche der Panagia, aus dem alten Stadtteil von Kavala. Ich gehe noch eine Runde den Berg hinunter, werfe einen letzten Blick aufs Aquädukt, und nun geht es die Landstraße entlang, mit dem Blick aufs Meer, immer seltener, immer auf der Hut, Autos auf zwei Spuren, manchmal etwas eng, aber es ist alles im grünen Bereich. Vielleicht sollte ich jetzt doch über die Gunst nachdenken, die mir vielleicht gewährt wurde, damit ich überhaupt diesen Weg gehen darf, die mir gewährt wird, dass ich ihn sicher gehen darf.

Zur Gunst fällt mir ein: Gunst, Günstling, günstig, vielleicht auch gönnen und vor allen Dingen als Besonderheit das Joseph-von-Eichendorff-Lied: ‚Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.‘ Diese Gunst genieße ich heute, auch wenn ich auf einem Weg bin, der zumindest zum großen Teil heute vom Verkehr geprägt war, aber, genau in dem Augenblick, wo ich dieses festhalte, hält neben mir ein LKW an, mit einem älteren Mann, einem jungen Fahrer und auf dem Mittelsitz etwas erhöht sitzend eine Frau, die mit mir ein Schwätzchen hält, darauf hinweist, wo aus ihrer Sicht der richtige Pfad, die Via Egnatia, für mich verläuft; sehr liebenswürdig, besorgt und dies in einer sehr distinguierten, feinen Art. Kompliment!

Gunst erweisen ist das, was man im Englischen einen Favor nennt. Einen Gefallen? Ist es eventuell eine Bevorzugung? Wenn ich einkaufen gehe, dann gibt es vielleicht einen Preisnachlass, einen Rabatt, der zum Beispiel durch einen Barzahlungsrabatt mit Skonto bezeichnet wird, oder ein Treuerabatt oder einen momentanen ‚20%-auf-alles-Rabatt‘. Aber wenn mich jemand in diesem Augenblick begünstigen will, mir etwas gewährt, was nicht allen gewährt wird, dann kommt dieses Wort ‚Gunst‘ ins Spiel. Günstiger, das hat so etwas wie bevorzugen, günstig ist dann nicht billig und nicht preiswert – bei billig ist nur der Preis das entscheidende Kriterium und bei preiswert ist das Gut seinen Preis auch wert – und günstig ist die Bevorzugung, dass ich, wenn ich es kaufen will, dieses schon an sich schöne Produkt zu einem günstigeren Preis bekomme, als wenn ich es zum preiswerten Gegenwert erwerben würde.

Der Günstling am Hof – die Günstlingin? – war der, der dem Herrscher oder der Herrscherin besonders nahestand. Hatte einen dicken Stein im Brett, würden wir heute sagen, konnte sich unter Umständen auch viel erlauben; einige Freiheiten nehmen, die anderen nicht gestattet waren. Als Günstling hatte er etwas mehr Freiraum, etwas mehr Spielraum, etwas mehr Glück.

Wenn es mit gönnen zu tun hat, dann ist es etwas, was vielleicht von Herzen kommt, nicht mit großem Wohlwollen, sondern mit Liebenswürdigkeit verknüpft ist.

Möglicherweise meint aber Gunst auch so etwas wie eine Rangfolge. Denn es heißt, er stand hoch in seiner Gunst. Möglicherweise gab es Abstufungen der Gunst, eine Reihung der Günstlinge. Frage ist, ob hier objektive Kriterien oder subjektive, Zuneigung oder Kalkül die Treiber sind, ob du damit als Günstling nicht dann doch zur Marionette gewandelt wurdest. Ein spannendes Feld.

So schaue ich in Zitate der Heiligen Bücher. ‚O Kinder lsra´ils, gedenkt Meiner Gunst, die Ich euch erwiesen habe! Und haltet euren Bund Mir gegenüber, so will Ich Meinen Bund euch gegenüber halten! Und vor Mir (allein) sollt ihr Ehrfurcht haben.‘7 und ‚Und gedenkt Allahs Gunst an euch und des Abkommens, das Er mit euch getroffen hat, als ihr sagtet: "Wir hören und gehorchen!" Und fürchtet Allah. Gewiss, Allah weiß über das Innerste der Brüste Bescheid.‘8 ‚Noach aber fand Gunst in SEINEN Augen.‘9

Ich komme auf meinem Weg mal wieder an eine nicht passierbare Stelle, stehe vor einer Raffinerie, nicht gerade etwas Kleines, auch nicht etwas, was mit einem kleinen Schnipser aus dem Nichts entstanden ist; hier gibt es keinen Durchgang; ich möchte aber jetzt nicht den ganzen Weg zur Straße zurück bis zur Straße gehen.

So gehe ich um die Anlage herum und komme an die Stellen, die nicht vordergründig zugänglich sind, wo Brühen in das trübe Wasser abgeführt werden, die nicht identifizierbar sind; eine gelbe Masse liegt neben der Anlage, könnte Phosphor oder Schwefel sein. Zusätzlich stinkt gegenüber dem Kanal eine üble Abfallhalde, illegal, traurig, verantwortungslos. Verbrecherisch – mein Eindruck.

Das wirkt lange nach, auch wenn ich an großen Feldern mit guter Bewässerung vorbeilaufe, die Natur genieße und auf mich wirken lasse, noch einmal an einem kleinen Pumpwerk durchschnaufe. Gelange in den Ort meines Tageszieles, kaufe mein Abendessen und Frühstück ein, quartiere mich in das frei zugängliche Quartier ein, genieße die Ruhe, schlafe.

Bis zum nächsten Sonnenaufgang, geweckt und erfüllt mit frischem Lebenshauch.

6 Stichwort der 98. Etappe

7 Sure 2, Vers 40 - Die Kuh (al-Baqara)

8 Sure 5, Vers 7 - Der Tisch (al-Māida)

9 1. Mo 6, 8

99. Etappe Chrysoupoli – Genisea

Wo bin ich heute Morgen mit meinen Gedanken? Gefühlt bin ich nicht hier, nicht bei mir. Ich bin nicht in dieser wunderbaren, in der Sonne stehenden Gegend. Ich sehe nicht die vielen Mohnblüten, die nach den vielen Tagen Sonnenschein jetzt weit über ihre Blüte hinaus ins Welken fallen.

Leichter Dunst liegt über den Feldern, die Berge im Hintergrund liegen in einem leichten Schleier.

Wo bin ich mit meinen Gedanken? Sind es meine Füße, meine Beine, die kleinen Lädierungen an den Füßen, die Blasen, scheuert da nicht schon wieder etwas?

Unruhe ist in mir und das beunruhigt mich. Denn ich bin doch in Ruhe hier, bewege mich, kann meinen Weg gehen, kann mich dabei entfalten, Gedanken bewegen, weniger wälzen. Dennoch, wo bin ich mit meinen Gedanken?

Vielleicht liegt es daran, dass ich mir heute ein Thema bereits gestern vorgenommen habe. Vielleicht bin ich nicht bereit, mich heute einfach darauf einzulassen. Stehe ich mir im Weg?

Nun gut, das Thema: Schlange10. Der Taxifahrer kurz vor Stavros erzählte mir, dass es Schlangen gibt, viele Schlangen, dass sie um diese Zeit etwas verschlafen, durch die Sonne geweckt, unkontrolliert reagieren können. Ich habe es aufgenommen und vereinfacht gesagt abgespeichert. Inzwischen habe ich zwei tote Schlangen gesehen, beide auf einer Straße verwesend, und eine dritte lebendige, die vor meinen Füßen gerade wegsacken übend sich schnell davonschlängelte.

Die Schlange ist für mich in erster Näherung ein langer Schlauch, in meiner Vorstellung ein extremer, einfach gesprochen: Verdauungstrakt. Vorn rein, hinten raus. Ich weiß, Schlangen sind vielfältig, ich weiß, es gibt verschiedene Formen ihrer sich zu Wehr setzenden Maßnahmen, von Gift bis Würgen. Aber wir subsumieren sie unter dem Begriff Schlange.

Wenn ich es reduzierend betrachte, dann ist der Mensch ein um eine Schlange herum gebautes Wesen, die Schlange in uns vom Rachen über den gesamten Vertrauensverdauungstrakt und das Gedärm bis zum Ausscheidepunkt. Vielleicht gibt es daher das Bild von einer Schlange in uns? Insbesondere weil doch die Schlange so konsequent mit dem Bösen verknüpft wurde. Das andere, das gegen mich ist, in mir.

Fangen wir von vorn an: die Schlange ist ein Lebewesen, genauso geschöpft wie alle anderen. Hier ist die Frage zu stellen, wozu dieses Wesen da ist und was es uns aufzeigen kann.

Schlangen bewegen sich auf der Ebene, teilweise an den Bäumen hangelnd, können sich also über größere Räume hinweg hangeln und bewegen. Die Schlange hat in unserem allgemeinen Sprachgebrauch tiefen Eingang gefunden; nur einige Beispiele: du Schlange, die Autoschlange, Schlange stehen, sich durchschlängeln, Schlangenmensch, die Schlange im Schöpfungsbericht, die Schlange Kaa im Dschungelbuch, die Schlange als Zeichen des Asklepios, die Warteschlange, die Serpentine.

Es würde zu weit führen, jeden Begriff auf die tieferen Inhalte hin zu betrachten, aber es ist schon auffallend, dass das Kernmerkmal die, wie eine feine Kette länglich biegsame, bewegliche Grundgestalt der Schlange ist. Als weiteres, gemeinsames Merkmal fällt auf, dass die Schlange auch heilende Wirkung hat. Vieles von den Thesen des Theophrastus Bombastus Paracelsus wurde schon durch den Kult des Asklepios in Epidauros vorweggenommen: die Dosis entscheidet darüber, was Gift und was Heilmittel ist. Ohne Vorurteile an die Schlange herangehen, führt zu einem ehrlichen Umgang.

Die Schlange hat weder Arme noch Beine, und sie bewegt sich doch. Die Schlange kann niemanden umarmen, dennoch kann sie fühlen, durch sich umschlingen und umschlängeln.

Die Schlange bietet Ordnung und eine Kontinuität auf dem gebogenen, nicht geraden Weg; der Schlangenmensch ist so beweglich, dass er seine Knochen für uns bildlich biegen kann. Dabei möchten wir uns nicht verbiegen, sondern immer unser Rückgrat zeigen; aber auch dieses hat eine Beweglichkeit.

‚Da warf er seinen Stock hin, und sogleich war er eine deutliche Schlange.‘11 Fast wörtlich wie bei 2. Mose, Kapitel 4, Vers 3. ‚Die Schlange war listiger als alles Lebendige des Feldes, das ER, Gott, gemacht hatte. Sie sprach zum Weib: Ob schon Gott sprach: Eßt nicht von allen Bäumen des Gartens ...!‘12

Ob ich wohl heute noch eine Schlange sehe?

So aus den Gedanken kommend fühle ich mich besser. Ich habe mich ein Stück frei gelaufen, aber auch ein Stück frei gedacht. Die Schlange bekommt eine deutlich sympathische Seite.

In der Ebene schlängelte sich der Weg durch Wiesen, Felder und Weiden. Mein Kopf wurde dabei geführt, so dass ich wie der Kopf der Schlange den ganzen Horizont abtasten konnte, mal die Berge, die etwas flacher waren, in mehreren Schichten hintereinander, dann den markanten mit den weißen Strukturen, der stark im Abbau begriffen ist, zum Dritten der, der wie eine Doppelspitze, wie eine Krone oder aber auch wie ein verstümmelter Dreizack des Poseidon vor mir stand, dazwischen unterschiedliches Grün, zum Teil sehr viel Schilf mit Durchgängen, als wenn ich durch das Schilfmeer gehen würde, und auf der anderen Seite bereits abgemähte Wiesen und auch Getreidefelder.

Den Kopf durch die Serpentinen in der Ebene so schlängeln zu lassen und dieses einfach nur aufzunehmen war eine schöne Erfahrung.

Das Delta des Nestos prägt die Landschaft. Und auch alle Kanäle, die durch dieses flächige Schwemmlanddelta führen, werden vom Wasser des Nestos gespeist, ein einfaches Verteilsystem, sehr einfach, doch ausgeklügelt, automatisch, funktionstüchtig, schnell zu reparieren, unkompliziert.

Oberhalb bin ich über die Brücke gelaufen, dort lässt das aufgestaute Wasser ein Laufkraftwerk arbeiten. An einigen Stellen hatten die Brückenwege schon leichte Durchblicke.

In diesem Delta mit seinem Reichtum an Pflanzen und Tieren kann ich in Ruhe auch Störche beobachten. Nähere mich langsam Genisea und der dortigen Kasaba-Moschee. Auf dem Weg dorthin hält neben mir wie aus dem Nichts ein Auto, das Fenster ist offen, der Fahrer fragt nach meinem Befinden, ob ich noch die Orientierung habe, genug zu trinken. Ich bestätige kurz: alles in Ordnung. Er fährt weiter. Kurze Zeit später steht er wieder neben mir. Gleiches Ritual. Er bietet mir den Einstieg an. Eine Fahrt zum Quartier ist das Geschenk. Dafür erfahre ich zusätzlich vieles über die Gegend: Demokrit und Abdera, Xanthi und vor allen Dingen meinen temporären Fahrer. Er fährt einfach gern durch die Gegend und beobachtet. Er kennt die Auswirkungen des Dehydrierens, sichtet daher besonders die Wanderer. Denn die meisten würden diese gefährliche Situation tendenziell unterschätzen. Damit waren wir bei seinem Grund, mich direkt anzusprechen. Nobel und aufmerksam.

An meinem Quartier bin ich wie so oft auf diesem Abschnitt der einzige Gast. Ich bekomme Pasta und Salat. In Gedanken ver-schlang ich die Pasta und merkte den Tagesbezug, die Schlange. Perfekt, erholsam, eingeschlafen.

10 Stichwort der 99. Etappe

11 Sure 26, Vers 32 – Die Dichter (aš-Šuarā)

12 1. Mo 3, 1

100. Etappe Genisea – Glyfada

An meiner Unterkunft gestern wurde ich sehr warm und höflich in Empfang genommen. Ich war der einzige Gast. Wie sich heute Morgen in dem Gespräch herausstellte, waren schon lange kaum mehr Gäste da. Die Krise hat mächtig an der Substanz des Hauses gefressen, dabei ist das Haus selbst in einem tadellosen Zustand; aber die Liquidität, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, ist richtig weggeschmolzen. Und dennoch, der Chef des Hauses hat eine starke innere Haltung, er fühlt sich dazu verpflichtet, in seinem Bereich seinen Dienst zu verrichten, bestmöglich zur Freude seiner Gäste.

Stolz erzählte er mir, dass sein Vater aus kleinen Anfängen dieses Anwesen aufgebaut hat, in Porto Lagos. Das Haus Porto Vistonis liegt praktisch am Übergang vom Vistonida-See zur Vistonias Bay des Mittelmeeres. Der Strand liegt keine 100 m weg, die Heilwirkung des Wassers ist berühmt, heiße Quellen sprudeln in der Nähe aus dem Boden, eigentlich ein kleines Paradies.

Aber in diesen Zeiten nahezu verwaist, einzig die Mücken können sich zahlreich entwickeln, bleiben anhängliche Gäste.

Von hier mit einem Taxi irgendwohin zu kommen ist eigentlich nur teuer, so sagt er, der Ort läge abgeschieden, und niemand von den Verantwortlichen wolle dies ändern. Das wahre Leben.

Er verspricht mir jedoch, für den nächsten Morgen - also heute - einen Fahrservice zu organisieren, mit irgendeinem Freund oder Bekannten, der mich dann wieder zum Startpunkt Genisea chauffieren werde.

Spät abends, es war schon kurz nach zehn, ging mein Telefon und er meldete sich. Ob ich schon um 7:00 Uhr frühstücken könnte, denn er hätte für 7:30 Uhr einen Fahrservice. Ich stimmte zu, und es gibt nichts Schöneres als sich gegenseitig entgegenzukommen, um die Interessen aller zu wahren und auch die Lösungen zu finden.

Als ich dann heute Morgen in den Frühstücksraum kam, war dort schon ein sehr wohl gekleideter älterer Herr zu sichten. Noch konnte ich mir keinen Reim darauf machen, aber das Rätsel löste sich; es war der Vater, der dieses Anwesen von kleinen Anfängen aufgebaut hatte. Er selbst erklärte sich bereit, mich auf seinem Weg nach Xanthi mitzunehmen. Welch ein Glück.

Hier in der Gegend, in Abdera, ist 460 vor unserer Zeitrechnung Demokrit geboren worden. Ein Philosoph und naturwissenschaftlicher Denker der Extraklasse; und dies, weil er von sich selbst behauptete, er wäre wahrscheinlich in mehr Ländern als alle anderen Menschen gewesen und hätte damit einen tieferen Einblick als viele andere gewonnen. Bis nach Babylon war er gereist, war in diesen Kulturkreis, in diese Wissensbasis aufgenommen worden. Er war es, der ein erstes atomistisches Modell in einer materialistischen Form zu Ende gedacht hat. Atom, kleinste Teilchen und Bausteine, erste Vorstellung von Molekülen. Für die damalige Zeit revolutionär und auch heute, 2.500 Jahre später, immer noch unvorstellbar detailliert und nahe an dem, was wir als Vorstellung von dieser Welt haben. Ich kann nur empfehlen, sich mit Demokrit intensiver zu beschäftigen, selbst wenn die vielfältigen Quellen, die er ursprünglich selbst verfasst und geschrieben hat, nur noch spärlich vorhanden sind.

Das Thema, mit dem ich mich heute beschäftigen will, ist eine Verneigung vor diesem wunderschönen Land in einem griechischen Begriff: Katharsis13. Vereinfacht übersetzt: die Reinigung.

Die Selbstreinigungskräfte der Natur haben sich mir als sehr jungem Menschen als Begriff tief eingeprägt. Sie wurden vor fünfzig, sechzig Jahren mantraartig gesagt. Das Bild, was sich damit manifestiert hat: Wir können mit der Natur fast machen, was wir wollen, sie kriegt das schon hin.

Ich weiß, dies ist übertrieben, aber es ist eigentlich ein nicht unwichtiger Punkt für viele Verhaltensmuster, die wir Menschen an den Tag legen. Tatsächlich kann die Natur Stoffe, die aus der Natur in die Natur kommen, auch wieder so zerlegen, dass sie unschädlich für diese Natur sind. Da sind wir schon fast bei Demokrit, wo das Zerlegen in Atome eines der wesentlichen Elemente seines Denkens war. Die Natur ist von daher in der Lage, alles wieder aufzuarbeiten. Betonung: Was natürlicher Stoff ist. Daher ist es immer wieder erstaunlich zu sehen, wie ein menschlicher Körper, der aus solchen Strukturen besteht, solange er lebt, wie durch einen Zauber in sich gehalten, abgegrenzt lebt und existiert. Mit der Verwesung zerfällt diese Körperschale in alle Bestandteile, um wieder in den Kreislauf dieser Natur zurückzukehren. Leider gibt es Stoffe in dieser Welt, die nicht urnatürlich sind. Die wir sogar mit einem Wort belegen, das zum Ausdruck bringt, dass es eben anders ist, die Kunststoffe.

Ihre Verwesungs- und Zerlegungsdauer ist deutlich länger als die der natürlichen Stoffe. Der Mensch hat eingegriffen, hat ein bisschen zauberkraftmäßig in dieses Prinzip der Schöpfung hineingewirkt. Großteil unserer heutigen Umweltschäden liegt im Nicht-Verstehen, was denn wirklich die Selbstheilungskräfte der Natur sind. Wir überfrachten, überfordern und überlasten die Leistungsfähigkeit der Natur in Folge unserer unendlichen Lust, uns zu verwirklichen.

Die Reinigung ist auch eine Reinigung der Seele, des Körpers, des Geistes. So gibt es das Bild, dass die Seele auch bekleidet ist, dass die Seele auch eine Reinigung der Kleidung braucht. Mit diesem Bild ist die Katharsis vielleicht viel besser gefasst. Sich innerlich geistig reinigen. Es ist ein Aufpolieren vielleicht, aber erst einmal ein Säubern. Es ist vielleicht ein Sich-ins-rechte-Licht-Setzen, aber vielleicht erst einmal ein Sich-Freimachen von diesen Zwängen, Vorstellungen und Lüsten.

Allein der Begriff Reinigung erfährt bei uns, in unserer weltlichen Lebensform, Zusätze wie chemisch. Hier wird überdeutlich: Es wird nicht mit Wasser gereinigt oder mit Feuer oder mit Luft, sondern mit einem Zusatzmittel, einer Chemie. Das sind die vielfältigen Möglichkeiten des Reinigens.

Die aus den Traditionen den Religionen bekannten Reinigungen geschehen meist mittels Wasser, häufig auch mit Feuer. Die Mikwe im jüdischen Glauben (und Denken) ist die Reinigung von dem Unreinen. Unrein wird man durch Berühren. Nur im physischen Sinne? Die beiden hilfreichen Begriffe sind Tahara für den Status der rituellen Reinheit und Tumah für den Status der rituellen Unreinheit. Die Tora verlangt die Wiederherstellung physischer und psychischer (!) Unversehrtheit, was den Sinn besser wiedergibt als der im Deutschen einengende Begriff ‚Reinheit‘, der eher rein körperliche Sauberkeit meint. Unversehrtheit. Ganz. Damit nah bei Shalom. Es wird deshalb die Mikwe von einem gläubigen Juden unter dem Aspekt des physischen, psychischen und spirituellen Reinigens auch regelmäßig besucht und aufgesucht. Es ist eine Mizwa , ein Gebot, ein Teil der Tradition. Es ist ein Eintauchen.

Im Islam ist die regelmäßige Reinigung als Waschung ebenso fest ritualisiert, indem ein Muslim vor dem Gebet, dem Lesen aus dem Quran und jeder anderen gottesdienstlichen Handlung zuerst im Herzen die Absicht formuliert, die Gebetswaschung durchzuführen. Gewaschen werden die Hände, der Mund, die Nase, das Gesicht, die Unterarme, der Kopf, die Ohren, die Füße, alles in einer klar geregelten Art und Weise sowie Abfolge. Dabei müssen die aufgezählten Körperteile vollständig mit Wasser benetzt werden. Es ist ein Eintauchen.

Die Taufe der Christen läuft unter dem Synonym des Reinwaschens von der Erbsünde, der Ursünde. Es ist das Aufnehmen des Menschen in die Gemeinschaft der Christen. Eintauchen und untertauchen sind die damit verbundenen Begrifflichkeiten. Es ist kein Waschen mit Seife, sondern es ist das Vertrauen auf die innere Reinigung des Menschen. Die Gemeinde symbolisiert in diesem Ritus Tod und Auferstehung des Täuflings. Es ist ein Eintauchen in eine neue Wirklichkeit.

Beim Besuch katholischer Kirchen bieten die Weihwasserbecken die Einladung zur Erinnerung an dieses Eintauchen beim Eingang und Ausgang an. Das Feuer als Reinigung lebt in der Vorstellung des Fegefeuers weiter. Der Künder Maleachi schreibt: ‚Da sende ich meinen Boten, daß er den Weg vor mir bahne: plötzlich wird zu seiner Tempelhalle kommen der Herr, den ihr suchet, der Bote des Bundes aber, nach dem ihr Lust habt, da kommt er! hat ER der Umscharte gesprochen. Aber wer hielte aus den Tag seines Kommens?! aber wer ists, der bestünde, wann er sich sehen laßt?! denn er ist wie das Feuer des Schmelzers und wie die Lauge der Walker. Er setzt sich, ein Schmelzer und Silberreiniger, er reinigt die Söhne Lewis, er schlämmt sie wie Gold und Silber, sie werden SEIN, Darreicher der Spende in Wahrhaftigkeit. Dann wird IHM angenehm sein Jehudas und Jerusalems Spende wie in den Tagen der Vorzeit, wie in den urfrühen Jahren. Dann nahe ich euch zum Gericht, ich werde ein eilfertiger Zeuge wider die Zauberer, wider die Buhler, wider die zum Lug Schwörenden, wider sie, die am Lohn pressen den Löhner, Witwe und Waise, und den Gastsassen beugen, und fürchten mich nicht, hat ER der Umscharte gesprochen.‘14 Als ich im Jahre 1980 in der Aachener Adalbertkirche den Orgeldienst verrichtete, durfte ich eine besondere Beobachtung machen: eine ältere Frau nahm beim Betreten der Kirche ihr Gebiss in die Hand und führte es durch das Weihwasserbecken. Irritierend, aber wahr.

In Corona-Zeiten denken wir an das regelmäßige Waschen der Hände, lange genug, mit reichlich Seife, anschließend gut abtrocknen, vielleicht noch eine Desinfektionsflüssigkeit in die Hände nehmen. Innerlich werden wir dadurch nicht rein, aber äußerlich sauber.

Was ist ein reinigendes Gewitter? Hat die Spannung sich entladen? Wird ein Konflikt aufgelöst? Oder wird schlichtweg nur die Luft von Staub und anderen Ballaststoffen befreit, so dass sie wieder richtig angenehm frisch, erlebbar und genießbar ist?

Reinigen heißt: sich frei machen von einem Makel; es heißt nicht: etwas ungeschehen machen, sondern zeigen, dass du es auch besser kannst. Das ist ein Weg zur Vervollkommnung, ein Weg des Aussteigens, ein Weg des Umsteigens, ein Weg des Übens. Auch ein Weg mit immer wieder erneutem Versagen. Der fehlerhafte Mensch, der zu den Sternen strebt, zum Licht.

Es erinnert mich an den Begriff des blinden Flecks, den ich ja ausgeweitet habe, des bösen, blinden, tauben, gefühlsblauben Flecks, weil er die Sehfunktion, die Hörfunktion und die Fühlfunktion umfasst, stellvertretend für alle Sinne. Dieser Fleck ist ein blinder, nicht sehend, nicht in der Lage, wahrzunehmen und daraus Schlüsse zu ziehen; an diesem Fleck müssen wir arbeiten. Gerade noch davon gesprochen, dass das Waschen doch eine reinigende Funktion hat. Und wie verhält es sich dann mit dem Satz: eine Hand wäscht die andere? Ist das so eine Art gegenseitige Absolution oder was man Gentleman Agreement nennt oder versuche ich nicht das Gute, sondern nur das vielleicht nicht so Gute zu sehen? Merke, hier beginnt der Weg.

Wir wissen doch, wie sehr wir der Reinigung bedürfen und ihr auch folgen wollen, wenn wir allein an die vielen Ernährungshinweise denken. Der reinigende Tee; er soll die Giftstoffe aus dem Körper heraustreiben. Das Heilfasten, das die Möglichkeit bietet, durch eine Entschlackung des Körpers sich freizumachen und zu entgiften. Wie kommen diese Giftstoffe in uns hinein? Wie entgiftet sich die Natur?

Ich spüre die reinigende Wirkung auf meinem Weg durch die Felder hier in Nordgriechenland, zwischen Genisea und Porto Lagos; die Felder sind groß, die Blicke schweifen weit, ich fühle eine innere Zufriedenheit. Es ist für mich ein Indiz des Zur-Ruhe-Kommens, des In-sich-Ruhens, nicht der Selbstzufriedenheit und auch nicht der Selbstverliebtheit, aber des Geerdet-Seins.

Vielleicht darf ich sagen, das Wandern verbrennt den Unrat konsequent in mir. Spielt die Begrifflichkeit des ‚reinen Tor‘ im Parsifal nicht die entscheidende Rolle? Der, der praktisch noch völlig unbefleckt und unbeleckt, ohne Makel und somit kindlich, naiv, unschuldig ist?

Heißt es nicht in der christlichen Bibel, Maria blieb die reine Magd? Auch hier die Unbefleckte. Daher vielleicht auch die unbefleckte Empfängnis? In die Welt gekommen ohne Makel? An ihr ist bereits vollendet, was mit allen Menschen geplant ist: Heilserfüllung. Interessante Gedanken.

Zum Unterschied und Inhalt des Begriffes ‚rein‘ fühle ich mich gerade an das Missverständnis bezüglich des englischen Begriffes ‚Lean‘ in Lean Management erinnert. Rein ist nicht rein, sondern sauber, lean ist nicht fettlos, sondern muskulös.

Auf dem Weg komme ich über Porto Lagos zu den beiden Kirchen, die nahezu im See stehen. Dabei sind sie Pfahlbauten aufgesetzt, schweben über dem See, strahlen eine unendliche Ruhe aus. Eine Kirche ist dem heiligen Nikolaus geweiht, die Innenausstattung ist mit Stationen aus dem Leben dieses Schutzheiligen für Seefahrer, Handelsreisenden und wen weiß ich was malerisch ausgeschmückt. Zentral ist zum Ausgang hin über dem Eingang ein Gemälde des Verstorbenen mit den ihn umstehenden Würdenträgern platziert. Noch etwas weiter in den See hinein liegt die Kirche ‚Metochion‘ des Berges Athos, als Beschützerin eine eigene Frau, die Ikone der Panagia Pantanassa. Das Wort Pantanassa bedeutet allmächtige Königin und bezieht sich auf Maria.

Das schönste Erlebnis für mich: Es gibt einen Stempel mit einem kleinen Austausch von Ideen und Fragen.

Die Sonne steht hoch, heute ist noch ein schöner, sonniger, warmer Tag, morgen soll es etwas abkühlen und vor allen Dingen eine hundertprozentige Abkühlung in flüssiger Form als Regen geben.

Dann wollte ich eine kleine Abkürzung nehmen, wunderbar, Platsch! Mein linker Fuß war ohne Schuh. Wie kam es? Rechter Fuß etwas feucht, linker Fuß sinkt ein, hebe das Bein, der Schuh ist steckengeblieben. Linker Fuß ohne Schuh. Ich war in ein richtig schönes, tiefes Moor getreten, Schuh war in einer schwarzen Paste, die mich an den heilenden, schwarzen Schlamm aus dem Toten Meer erinnerte. Genial. Nur es klebt alles, die Hände voll, alles voll und ich wollte telefonieren, kleines Chaos, interessant, wie gelassen ich es trotzdem nehme, immer noch fröhlich bin, obwohl ich aussehe wie ein kleiner Dreckspatz.

13 Stichwort der 100. Etappe

14 Mal 3, 1-5

101. Etappe Glyfada – Maroneia

Ich näherte mich gestern Glyfada; wusste, hier gibt es keine Übernachtungsmöglichkeit. Also hatte ich schon im Vorfeld entschieden, dass ich das Quartier in Porto Lagos für zwei Nächte benutzen werde. Mit diesem Bild im Kopf näherte ich mich Glyfada, am Ortseingang näherte sich mir ein weißes Auto, mein Gefühl sagte mir: sprich ihn an.

Ich hob meine Hand, das Fahrzeug entschleunigte, ich hinkte leicht, es kam neben mir zum Stehen, der Fahrer öffnete das Fenster. Und ich stellte nur die Bitte: können Sie mich nach Porto Lagos fahren?

Ein freundliches Gesicht, ein leichtes Lächeln mit innerer Freude schaute mich an, wiegte den Kopf, nickte und bereitete alles vor, dass ich auf seiner Beifahrerseite einsteigen konnte.

Neben ihm Platz nehmend schaute ich etwas in den Wagen hinein und nahm verschiedene technische Werkzeuge wahr; darüber kamen wir ins Gespräch. Er war Elektromechaniker mit guten Kenntnissen im Schweißen. Er bediente alle in der Umgebung mit seinen Dienstleistungen, weit über 20 Kilometer Radius hinaus, offensichtlich war er geschätzt. Er fuhr mich tatsächlich nach Porto Lagos.

Ich bemerkte: ‚Ist das nicht eine paradiesische Landschaft.‘ Sein Kommentar war sehr frappierend. ‚Ja, es ist eine paradiesische Landschaft‘, sagte er mit einem Lächeln, ‚wirtschaftlich aber ganz unten.‘ Genau dieses Spannungsfeld, das hatte ich gespürt, aber er hat es mit einem kurzen Satz auf den Punkt gebracht. Wir kamen in die Nähe meines Quartiers zurück, ich bedankte mich recht herzlich, lief die letzten 1.500 Meter mit einen kurzen Ausflug ans Meer. Es gab mir Ruhe und eine Chance des Umschaltens.