Remoment - Daniel Tappeiner - E-Book

Remoment E-Book

Daniel Tappeiner

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Beschreibung

Die Welt steht kurz vor ihrer Vernichtung und der Soldat Dominic Burg ist als einziger Mensch dazu in der Lage, dies zu verhindern. Nur durch ein waghalsiges Experiment könnte der Lauf der Geschichte geändert werden. Dominic muss in die Vergangenheit reisen und die Zeugung des Diktators Hong Sung verhindern. Dort kreuzt die lebensfrohe Viola seinen Weg. Dominic muss sich zwischen dem Schicksal der Welt und seiner großen Liebe entscheiden.

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HYBRID VERLAG

Ebookausgabe

02/2019

© by Daniel Tappeiner

© by Hybrid Verlag, Homburg

Umschlaggestaltung: © 2019 by CWD, Homburg

Lektorat: Jeannine Molitor, Eva Kunadt

Korrektorat: Nola Reiber

Autorenfoto: Daniel Tappeiner

ISBN 978-3-946-82057-4

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

Daniel Tappeiner

Remoment

Romance-SF

Inhaltsverzeichnis

ERSTER TEIL

13. März 2053

ZWEITER TEIL

04. Januar 2054

26. September 1987

DRITTER TEIL

30. September 1987

VIERTER TEIL

16. Oktober 1987

FÜNFTER TEIL

22. Oktober 1987

23. Oktober 1987

SECHSTER TEIL

07. Februar 1998

02. Januar 2029

SIEBTER TEIL

03. Juli 2054

04. Juli 2054

05. Juli 2054

18. Oktober 1990

23. Februar 1997

EPILOG

04. Juli 2054

Nachwort des Autors

Danksagung

DER AUTOR

ERSTER TEIL

13. März 2053

Nahezu lautlos fuhr sein gelber, elektrischer Ebrad an die Schranken des sicherheitsumzäunten Militärgeländes. Der helle Lack auf den rundlichen Formen des Gefährts glänzte in der brennend heißen Nachmittagssonne. Der Stützpunkt befand sich inmitten eines verlassenen, leeren Landstriches, der in seiner Kargheit einer Wüstenlandschaft glich.

Mit einer unbewussten Geste fuhr sich Dominic durch sein kurzgeschnittenes, karamellbraunes Haar. Sein gegenwärtiges Befinden war gedankenlos, was sich in der ebenso lockeren Miene widerspiegelte. Die männlichen, dennoch sanften Züge beherrschten sein gesamtes Gesicht und ließen ihn mitsamt der stechend hellblauen Augen smart und zielbewusst wirken.

Aus dem Radio des Cockpits ertönte die sachliche Stimme der Nachrichtensprecherin. Sie klang bar jeder Emotion.

»… während die georgischen Truppen einmarschierten, verlautete Georgiens Oberhaupt, dass es sich um keinerlei grenzüberschreitende Maßnahme handle. Russlands Premierminister gab dazu vorerst keine Stellungnahme ab …«

Nach den Schlagzeilen folgte schließlich ein Bericht aus Südostasien: »Um den mittlerweile fünfundsechzig Jahre alten, nordkoreanischen Machthaber Hong Sung scheint es in letzter Zeit still geworden zu sein. Experten verlauten, es handle sich möglicherweise um die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Selbst angesichts der jüngsten Vorfälle, hinsichtlich interner Volkshinrichtungen, behauptete Sung in seinem letzten Statement, er habe gegenüber keiner Nation dieser Welt Rechenschaft abzugeben.«

»Radio abstellen!«, befahl Dominic und das Gerät schwieg augenblicklich. Währenddessen kam sein Fahrzeug an dem eckigen, kleinen Empfangshäuschen zum Stillstand.

Der Wärter beugte sich ein Stück heraus und setzte eine dienstbeflissene Miene auf.

»Na, endlich sind Sie da. Sie sollen sich sofort bei Ihrem Vorgesetzten melden.«

Bevor Dominic die Begrüßung erwidern konnte, öffneten sich bereits die mit Stacheldraht bestückten Schranken und er fuhr seinen Ebrad stillschweigend durch das Tor. Zugleich fragte er sich, was so dringend war, dass schon der Pförtner ihm Anweisung geben musste, zumal es sich bei diesem Stützpunkt um keinen Standort handelte, in dem Missionen geplant oder ähnlich bedeutsame Aktivitäten durchgeführt wurden. Er diente lediglich der Einweisung von Rekruten und der Spezialausbildung bereits erfahrener Soldaten.

Wenige Minuten darauf befand sich Dominic an der Schwelle zur weit offen stehenden Bürotür seines vorgesetzten Offiziers. Vorsichtig klopfte er an den Türstock.

»Treten Sie ein!«, hallte die befehlsgewohnte Stimme aus dem Raum. Dominic trat ein und salutierte, während der schnurrbärtige, alte Mann aus dem Bürosessel heraus sofort energisch abwinkte. »Lassen Sie die Förmlichkeiten. Stehen Sie bequem.« Der Alte war noch nie ein Freund von Formalitäten gewesen und sofern es sich nicht um Befehle handelte, auch nicht unbedingt beredsam. Dominic nahm eine angenehmere Haltung ein, während sein Vorgesetzter sogleich weitersprach. »Ich soll an Sie weiterleiten, dass Sie von all Ihren Tätigkeiten bis auf Weiteres freigestellt sind und sich sofort auf den Weg zu einer Außenstelle in der Stadt begeben sollen. Sie haben dort um exakt sechzehnhundert einen Termin mit einem gewissen Mann namens Eckhart.«

»Aber warum? Was hat das zu bedeuten?« Dominic zog die Stirn kraus.

»Nun, das wurde mir nicht mitgeteilt. Anscheinend handelt es sich um eine hochgeheime Sache.«

Dem hatte Dominic nichts außer einem irritierten Gesichtsausdruck entgegenzusetzen. Was wollte man von ihm, einem normalen Soldaten?

»Sie sollten sich besser auf den Weg machen«, empfahl ihm der Offizier, als Dominic immer noch wie eingefroren dastand.

»Unpünklichkeit ist eines Soldaten nicht würdig.«

Die beiden salutierten und Dominic verließ den Raum. Was hatte er verbrochen? Was wartete auf ihn, eine Strafe? Doch seines Wissens nach hatte er sich bisher nichts zu Schulden kommen lassen. Zudem hatte er sich für keinerlei Weiterbildungen oder sonstwede Ausschreibungen beworben, dessen Bescheid er nun erwarten könnte. Somit erkannte er letztlich, dass die Spekulationen ihm nicht viel Raum erlaubten.

Er atmete tief durch, straffte die Schultern und schritt zielstrebig den Gang entlang.

Es war zwei Minuten nach vier Uhr nachmittags, als Dominic durch den übergroßen, lichtdurchfluteten Raum ging.

Ganz schön steril, es gleicht dem Wartesaal eines Krankenhauses, schoss es ihm durch den Kopf.

Er setzte sich in die erste der vier langen, leeren Sitzreihen und ließ den Blick schweifen. Es schien, als sei er der einzige, der auf einen Termin wartete. Zu seiner linken Seite erkannte er mehrere Türen und zwei Fahrstuhleingänge. Als er den Kopf in die andere Richtung wandte, blieben seine Augen an einer gigantischen, gläsernen Doppeltür hängen, die einen weitreichenden Blick nach draußen bot. Dominic konnte das Treiben in der verkehrsreichen Fußgängerzone beobachten. Wie ein lautloser Film spielte sich hinter dem Glas das bürgerliche Leben ab. Ähnlich einer Ameisenschar eilte eine Vielzahl an Menschen aneinander vorüber, während dahinter ein anmutiger Springbrunnen auf einem kreisförmigen Betonpodest plätscherte. Als die lebhafte Menschenmenge ihres Weges ging, begann der Brunnen plötzlich zu flimmern. Wie das Flackern auf dem Bildschirm bei einem schwachen Fernsehsignal verzerrte und deformierte sich der Springbrunnen, bis er schließlich vollkommen verschwand. Einen kurzen Augenblick darauf dekorierte Michelangelos prächtige David-Statue den Platz. Dominic beeindruckte das schon lange nicht mehr. Die im Zwanzigminutenintervall wechselnden Hologramm-Skulpturen fanden mittlerweile in vielen Städten Einzug.

Im Gegensatz zu echten Bauwerken erwiesen sie sich nicht nur als preiswerter, sondern waren auch noch wartungsfrei und abwechslungsreich. Ganz im Sinne des propagierten Bildes einer sauberen und reinen Weltstadt.

Dominic wandte seinen Blick gelangweilt der blonden Empfangsdame zu, die ihm direkt gegenüber hinter einem Empfangsschalter hockte und konzentriert in irgendwelche Dokumente starrte.

Plötzlich strahlte ein grünes Licht aus ihrer Ohrmuschel und sie fasste mit einem perfekt manikürten Mittelfinger an ihr Ohr. Aufmerksam hob sie den Blick und lauschte einen Moment lang.

»Sie können nun eintreten«, ließ sie verlauten, nachdem das grüne Licht ihres Implantats wieder erloschen war. Mit ausgestrecktem Arm zeigte sie auf die linke Seite des Raumes. »Gleich die erste Tür da rein, Zimmer drei! Herr Eckhart erwartet Sie.«

Ein wenig aufgeschreckt erhob sich Dominic und warf ihr ein kurzes, nickendes Lächeln entgegen. Dann begab er sich schnellen Schrittes zu der Tür.

Als er eintrat, stand er in einem weiten, leeren, weiß gestrichenen Raum. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich fünf schneeweiße Türen in großem Abstand voneinander. Über jeder hing ein gläsernes Schild, worauf in dicker, schwarzer Schrift die dazugehörige Zimmernummer stand. Etwas misstrauisch trat Dominic Tür Nummer 3 entgegen. Er griff an den Knauf, öffnete sie und schritt in einen wieder beinahe blendend weißen, fensterlosen Raum hinein.

In dem Zimmer befand sich nichts außer einem im Zentrum postierten, milchgläsernen Tisch. Zusätzlich erwarteten ihn zwei Stühle und ein grauhaariger, älterer Herr. Seine dunkle Hautfarbe bildete einen starken Kontrast zur ansonsten hellen Umgebung. Sogar der Laborkittel und die Haare des Mannes strahlten in reinstem Weiß. Vor ihm lagen eine geöffnete Personalakte und ein Schreibblock.

»Bitte setzen Sie sich!« Er sah auf und winkte Dominic zu sich.

Dieser folgte der Aufforderung und setzte sich auf die Stuhlkante. Der Mann blickte ihm mit höflicher Miene entgegen.

»Mein Name ist Tom Eckhart. Ich bin der Leiter dieser Abteilung.« Er schaute auf die Akte, die vor ihm lag. »Und Sie sind Dominic Burg. Sie sind geschwisterlos, haben im Alter von neunzehn Jahren Ihren Schulgang sowie alle sozialen Verbindungen abgebrochen und sich schließlich zum freiwilligen Dienst gemeldet. Und das alles nur kurze Zeit nach dem Selbstmord Ihrer Mutter.« Er las dies vor, als handelte es sich dabei um eine belanglose Lektüre. »Ihre schulischen Noten waren stets durchschnittlich, was sich in den psychologischen Tests des Wehrdienstes im Nachhinein als reine Faulheit herausstellte. Dort wiesen Sie eine überdurchschnittliche Intelligenz auf. Sie sind ein Denker, vielleicht sogar ein Träumer, wobei ich Letzteres nicht unbedingt behaupten möchte. Ist dies aus Ihrer Sicht korrekt?« Er blickte Dominic forschend entgegen.

Verblüfft über die Art und Weise, auf die er soeben eine gekürzte, tabellarische Beleuchtung seines Lebens dargeboten bekommen hatte, beobachtete er Herrn Eckhart noch kritischer. Wollte er ihn vorführen?

Mit einem dünnen Lächeln, das kaum seinen Lippen entwich, musterte Eckhart beharrlich Dominics Gesichtszüge.

Mehrere Augenblicke lang verblieben beide Männer eisern in dieser Haltung.

»Warum sagen Sie mir nicht einfach, worum es hier geht?«, fragte Dominic schließlich.

»Solange wir uns Ihrer nicht völlig sicher sind, darf ich nichts weiter erzählen.«

Dominic begann unweigerlich zu lachen. »Und wie kommen Sie auch nur ansatzweise darauf, dass ich bei etwas mitmachen würde, worüber ich nicht das Geringste weiß?«

Unbeeindruckt lehnte Eckhart sich nach hinten. »Nun, sehen Sie es als Ihre erste Erfahrung in Sachen Geheimhaltung. Aber falls Sie ausgewählt werden, erhalten Sie die wichtigste Aufgabe der Welt. Von allen staatlichen Zweigen, die dem Schutz dieser Nation dienen, sprich Polizei, Militär, Geheimdienst und so weiter, wurden bloß sieben Profile für das Projekt in Erwägung gezogen. Für diese Aufgabe kann keine x-beliebige Person eingesetzt werden! Wir brauchen jemanden, der mitdenkt, emotional sowie rational, und der dennoch bis zum Schluss zu handeln vermag. Ein gesundes, humanes Denkvermögen stellt eine der Grundvoraussetzungen für die gesuchte Person dar. Leider missbrauchen viele Polizisten ihre Position. Und was Soldaten betrifft – nun, Männer, die sich bereits in der fünften Generation im Dienst befinden und fanatisch fürs Vaterland kämpfen, um die Heimat zu schützen, solche haben wir im Überfluss. Nein, wir suchen jemand Spezielles.«

»Was ist mit Geheimagenten? Die müssten doch am besten geeignet sein?«

»Nun ja … Agenten sind sehr, wie soll ich sagen … eigenartige Menschen. Schwer zu durchschauen.«

»Eigenartig? Ist das ein psychologischer Fachbegriff oder Ihre persönliche Meinung?«

Eckhart kam nicht umhin, ein wenig zu schmunzeln. »Klug durchschaut, es ist meine Ausdrucksweise. Dennoch hatte ich recht mit der Annahme, denn nur ein einziger Geheimagent kam als potenzieller Anwärter infrage.«

»Nur einer? Doch wie kommen Sie darauf, dass ich geeignet wäre? Ich bin bloß ein einfacher Soldat.«

»Nein, Sie sind kein typischer Soldat. Sie sind lediglich eingetreten, um eine Zeit lang Ihrer Welt zu entfliehen. Sie wollten ein unkompliziertes Leben führen, in welchem Sie nur noch Befehlen folgen. Die nötige Disziplin für die körperlichen Strapazen haben Sie offensichtlich mitgebracht – obwohl Sie keineswegs einer der besten Soldaten sind.«

»Na, vielen Dank auch …«

»Ja, aber das tut nichts zur Sache! Sie sind eben die andere Art Soldat. Zum Beispiel sind Ihre sechs Verpflichtungsjahre nun vorbei und lassen Sie mich raten: Sie wollten eigentlich aufhören, nicht wahr?«

Dominic vergrub die Finger im Stoff seiner Hose.

»Keine Angst, Sie sind nur in dieser Hinsicht so leicht durchschaubar«, antwortete Eckhart und fuhr mit einer etwas feinfühligeren Stimme fort: »Sie sind keineswegs ein offenes Buch für mich. Doch Ihr psychologisches Gutachten deutet darauf hin, dass Sie der Richtige für eine solche Aufgabe sein könnten. Lassen Sie es uns doch herausfinden.«

»Und wie?«

»Ich schlage vor, Sie unterziehen sich in den nächsten Tagen einigen Tests, und wenn Sie ausgewählt werden, werde ich Sie über die gesamte Angelegenheit bis ins Detail aufklären. Es ist Ihre Entscheidung. Aber ich kann Ihnen versichern, dass Ihre Aufgabe etwas sein wird, das Sie sich in Ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen könnten. Sie sind auf der Suche nach etwas Neuem, etwas Außergewöhnlichem. Sie sind der Richtige für diesen Auftrag.«

Mit unschlüssigem Ausdruck blickte Dominic dem anderen entgegen. Was sollte er davon halten? Aus einem unerklärlichen Bauchgefühl heraus hatte er das drängende Verlangen, auf Eckharts Appell einzugehen. Skeptisch betrachtete er sein Gegenüber für einige Augenblicke.

»Na schön, ich bin einverstanden«, begann er schließlich. »Doch ich will hoffen, dass die Geheimniskrämerei es wert ist.« Eckhart erhob sich mit einem gewinnenden Lächeln aus seinem Stuhl und streckte ihm die Hand entgegen.

»Wunderbar. Ich freue mich über Ihre Entscheidung. Seien Sie morgen pünktlich um acht Uhr hier.«

Was in den darauffolgenden Tagen auf Dominic zukam, stellte sich als eine endlose Aneinanderreihung verschiedenster psychologischer Prüfungen heraus. Zunächst wurde er in ein kleines Arbeitszimmer geführt. Dort füllte er einen merkwürdigen, fünfzehn Seiten langen Fragebogen aus, in dem Sätze vorkamen wie:

Lieben Sie Ihren Vater?

Würden Sie gerne in einem Blumenladen aushelfen?

Halten Sie Loyalität für wichtig?

Anschließend musste er sich in eine mehrstündige Sitzung mit einem Psychotherapeuten begeben, der ihn über bestimmte Erlebnisse seiner Kindheit befragte und ihn stapelweise Rorschachtests absolvieren ließ. Dabei entlockte dieser Dominic einige Informationen über die dazumal problematische Beziehung zu seiner Mutter. Einer melancholischen Frau, die einen tragischen Vorfall aus ihrer eigenen Kindheit niemals hatte verarbeiten können und Dominic in ihren depressiven Phasen stets ausschloss. Obgleich er wusste, dass sie ihn immer geliebt hatte.

Am nächsten Morgen ging es noch skurriler weiter. Nun wurde er in einem kleinen Raum an einen Lügendetektor angeschlossen. Ihm gegenüber saß eine seriös gekleidete, junge Dame mit hölzernem Ausdruck. Ihr hellbraunes Haar trug sie straff nach oben gesteckt und auf ihrer spitzen Nase saß eine schwarze Hornbrille.

Mit trockenem Ton erteilte sie ihm Anweisungen: »Antworten Sie bitte vollkommen wahrheitsgetreu, egal wie intim oder zwecklos Ihnen die Fragen erscheinen. Und beantworten Sie diese ausschließlich mit Ja oder Nein.«

Dominic nickte und beobachtete, wie die Frau mit ernstem Ausdruck auf einen Bildschirm blickte. Nachdem sie eine verirrte Strähne in ihre Frisur zurückgesteckt hatte, ging es los.

»Empfinden Sie sich selbst als eine Person, die ein Geheimnis für sich behalten kann?«

»Ja«, antwortete er selbstsicher.

»Würden Sie sich als einen guten Menschen bezeichnen?«

»Ja.«

»Wären Sie gerne eine Blume inmitten einer großen Wiese?«

»Nein.«

»Verspüren Sie das Verlangen, eine Blume zu pflücken?«

»Ihr steht hier auf Blumen, nicht wahr?«, sprudelte es ironisch aus Dominic hervor.

»Antworten Sie bitte nur mit Ja oder Nein«, wies die Dame ihn barsch zurecht. Beschwichtigend nickte Dominic und sie wiederholte ihre Frage. »Also, verspüren Sie das Verlangen, eine Blume zu pflücken?«

»Ja«, antwortete er und wunderte sich selbst darüber.

»Haben Sie gelegentlich anstößige Gedanken?«

Dominics Augenrauen hoben sich. »Ja«, erwiderte er dennoch.

»Fühlen Sie sich in Gegenwart von weiblichen Personen unwohl?«

»Nein.« Dominic merkte, wie seine Stimme einen Anflug von Überdruss aussandte, woraufhin die junge Frau ihn tadelnd musterte. Dann fuhr sie fort.

»Stört Sie Ihr Verlangen nach Onanie?«

Dominic blickte der Dame entrüstet entgegen, aber diese blieb so ungerührt, als hätte sie nach dem Wetter gefragt.

»Nein!«, sagte er mit Nachdruck.

Am letzten Tag erfolgte der für Dominic interessanteste Teil der psychologischen Vollanalyse, nämlich eine Einzelsitzung mit Tom Eckhart persönlich. Wieder befanden sie sich in einem blendend weißen, fensterlosen Raum und saßen sich an einem großen Tisch gegenüber. Eckhart hatte seinen Schreibblock und einige Dokumente vor sich liegen, wobei er einen silbernen Kugelschreiber in der Hand hielt.

»Nun, wir haben in den letzten Tagen viel über Sie erfahren«, begann Eckhart mit ruhiger Stimme. Er nahm ein Blatt aus den Unterlagen und warf einen kurzen Blick darauf. »Doch ich kann Sie trösten. Dieser Test hier stellt die finale Hürde dar. Seien Sie ganz locker. Ich werde Ihnen einige Begriffe vorlesen und Sie sagen mir ohne nachzudenken das erste Wort, das Ihnen dazu einfällt. In Ordnung?«

»Okay«, antwortete Dominic unsicher.

»Schön. Also, ich beginne: Planet.«

»Erde.«

»Welt.«

»Lebensraum.«

»Gemeinschaft.«

»Menschen.«

Eckhart sah stirnrunzelnd auf und richtete den Blick auf Dominic. Aber letzten Endes nickte er und fuhr fort, während er sich jede von Dominics Antworten in seinen Block notierte.

»Ehrlichkeit.«

»Moral.«

»Zeitgeschichte.«

»Feststehend.«

»Selbstverteidigung.«

»Notwehr.«

Erneut blickte Eckhart zu ihm hinüber. Dann kniff er grübelnd die Augen zusammen und griff das genannte Wort seinerseits auf.

»Notwehr.«

»Notwendiges Übel«, entgegnete Dominic ohne zu zögern.

Eckharts Mundwinkel verzogen sich zu einem amüsierten Lächeln, während er schließlich in sich gekehrt nickte. Dann klickte er auf den Kugelschreiber und steckte ihn in die linke Brusttasche seines Kittels.

»Das war’s.« Eckhart schob die Unterlagen zusammen. Anschließend starrte er bewegungslos ins Leere. Ein konzentrierter Ausdruck wanderte über sein Gesicht, wobei es schien, als wollte er aus dem Kopf heraus einen Dechiffriercode knacken. Dann sah er Dominic wieder direkt an. »Sie dürfen gehen«, meinte er nur.

»Kein Abschiedsumtrunk?«, schäkerte Dominic. »Ich kann einfach verschwinden?«

»Ja.« Eckhart stand auf, klemmte den Stapel Protokolle unter seine Achsel und ging.

Dominic sah ihm irritiert nach. Stimmte etwas mit dem Test nicht? Was hatte er falsch gemacht?

Es folgte eine ausgesprochen kurze Woche. Nach lediglich drei Tagen beorderte man Dominic wieder zu Eckharts Institution. Alleine saß er am milchgläsernen Tisch inmitten des hallengroßen Raumes und wartete.

Während die Augenblicke zäh verrannen, knetete er sich angespannt die Hände. Ein unweigerliches Zappeln durchfuhr ihn, wobei er es kaum schaffte die Beine stillzuhalten. Er fühlte sich wie ein Patient, der auf die Auswertung eines Krebstestes wartete.

Die absolute Stille begann allmählich sein Zeitgefühl zu beeinträchtigen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie viele Minuten oder gar schon Stunden inzwischen vergangen waren. Kein Ticken eines Uhrzeigers gab ihm Auskunft, kein Gepolter aus anderen Stockwerken ertönte über ihm. Bald erschienen ihm die verstreichenden Momente wie eine Ewigkeit und das Gefühl des Wartens rief einen Zustand der Unerträglichkeit in ihm hervor.

Endlich vernahm er das befreiende Geräusch der sich öffnenden Tür und sah erwartungsvoll auf. Er erblickte Eckhart, der jedoch an der Schwelle stehen blieb.

»Und, habe ich die Stelle?«, fragte Dominic gespannt. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er sie haben wollte. Die ungewisse Aufgabe machte ihm Angst, aber bei einem Nein hätte er das Gefühl, versagt zu haben.

»Ja«, antwortete Eckhart. »Offenbar hat mein Gespür mich nicht getrogen. Sie sind der richtige Mann. Nun denn, kommen Sie mit. Ihnen wird gleich das bestgehütete Geheimnis der Nation offenbart.«

Dominic folgte ihm einen langen Gang entlang. Im Empfangssaal marschierte Eckhart auf die Fahrstühle zu. Schweigend traten sie ein.

In der Kabine zog Eckhart eine glänzend rote Magnetkarte durch den Schlitz eines elektronischen Lesegerätes und drückte auf die Taste für die vierundzwanzigste Etage. Die Türen schlossen sich und der Aufzug bewegte sich mit einem leisen, vibrierenden Zischen nach oben. Wortlos standen die beiden Männer sich gegenüber, während ein Stockwerk nach dem anderen an ihnen vorbeizog.

Es schien endlos zu dauern, bis endlich das Signal des Ankunftsziels ertönte.

Schleifend öffneten sich die Fahrstuhltüren und sie betraten einen Flur. Zu ihrer Linken befand sich eine Panzerglasscheibe, welche sich den gesamten Raum entlangzog. In sie war eine gläserne Schiebetür integriert. Dahinter eröffnete sich der Blick auf ein Labor.

‚Bestgehütetes Geheimnis‘, was machen die da drin?, fragte sich Dominic skeptisch.

Weit hinten erkannte er eine Treppe, die in das untere Stockwerk führte. Zu seiner Verwunderung sah er jedoch keine Stufen, durch die man die nächsthöhere Etage erreichte. Dabei befanden sie sich erst auf halber Höhe des Gebäudes.

Eckhart steuerte auf die Glastür zu. »Nur vier Menschen auf diesem Planeten wissen über die Einrichtung Bescheid, die sich hinter dieser Glasscheibe befindet«, erklärte er. »Dazu zählen unser hochgeschätzter Entwickler, der Chef des Geheimdienstes, unser Staatsoberhaupt und ich.«

»Und was ist mit den Leuten direkt unter dieser Etage?«

»Dort befinden sich nur ein Pausenraum und die Station einer zehnköpfigen Spezialeinheit. Aber nicht einmal die weiß, was hinter der Scheibe liegt. Sie hat lediglich den Befehl, auf jedes Individuum zu schießen, das sich hier unbefugt Zutritt verschafft.«

Dominic wurde flau im Magen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, während Eckhart in ungezwungenem Ton weitersprach.

»Dieses und das untere Stockwerk sind vom Rest des Gebäudes völlig abgeschottet. Der Aufzug fährt direkt daran vorbei – es sei denn, man ist im Besitz einer Karte.« Er hob die rote Magnetkarte in die Höhe. »Außer mir haben nur zwei andere Personen eine solche: der Entwickler und der Chef des Spezialkommandos, für den Fall unerlaubten Eindringens. Weitere drei Karten wird es für Sie und zwei ebenso auserwählte Mitarbeiter geben. Die Bezeichnung dieser Posten lautet T-Security. Gemeinsam mit Ihren beiden Kollegen werden Sie im Dreischichtenmodus anwesend sein, denn in Anbetracht der aktuellen Lage ist man übereingekommen, das Projekt müsse vierundzwanzig Stunden am Tag unter Beobachtung sein. Was genau damit gemeint ist, werden Sie in wenigen Augenblicken erfahren.«

Leicht überfordert blickte Dominic Eckhart an.

»Verdammt, was haben Sie da drin? Die Büchse der Pandora?«

»Etwas sogar noch viel Brisanteres.« Damit drehte er sich um und zog seine rote Karte durch den Schlitz an der Glastür. Diese schob sich geschwind beiseite.

Sie traten ins Labor. Kaum waren sie drin, schloss sich die Tür eigenständig hinter ihnen.

»Im Jahr 1997«, sprach Eckhart weiter, »erlangte einer unserer besten Wissenschaftler sehr entscheidende Erkenntnisse in der Zeitreiseforschung. Wir …«

»Zeitreiseforschung?«, unterbrach Dominic ihn entrüstet. »Sie verscheißern mich!«

Doch Eckhart wandte sich mit ernstem Gesicht und tiefen Falten auf der Stirn zu ihm um. »Und was würden Sie sagen, wenn unser geschätzter Professor es tatsächlich geschafft hat?«

Mit Skepsis begegnete Dominic seinem überzeugten Blick. »Das ist ein Witz, oder?«

»Leider nein«, antwortete Eckhart und deutete zu einer Aneinanderreihung verschiedenster Gerätschaften, welche sich entlang der linken Wand befanden.

Eine der Apparaturen war mit einem reflektierenden Fiberglastuch bedeckt. Eckhart trat darauf zu und zog es ruckartig herab. Inmitten der Instrumente stach nun eine von wirren Schläuchen und Kabeln umgebene Glasbox hervor, ihre Kanten eisenumrahmt. Auf den ersten Blick wirkte sie wie eine Tiefkühltruhe, die mit bunt blinkenden Apparaturen verziert war.

»Sieht aus wie eine begehbare Mikrowelle«, meinte Dominic.

»Zweifellos haben Sie einen spektakuläreren Anblick erwartet«, erwiderte Eckhart gelassen, während er näher an die Maschine herantrat. »Dennoch ist sie das Ergebnis jahrelanger und hochkarätiger Geniearbeit. Die Details der Technologie verstehen Sie vermutlich ebenso wenig wie ich. Jedenfalls soll es sich dabei um ein durch Magnetismus künstlich erzeugtes Schwarzes Loch handeln. Na ja, oder so ähnlich. Es geht um die für Zeitreisen unerlässliche Generierung von Gravitation. Aber trotz der komplizierten Theorie ist die Bedienung leichter als die eines Toasters.« Er deutete auf eine Armatur neben der Box, auf der sich ein dicker, roter Startbutton befand. Auf dem zugehörigen Display leuchteten vier digitale Anzeigen. »Hier geben Sie Jahr, Monat, Tag und Uhrzeit ein und drücken dann auf Start. Sobald die Tür geschlossen ist, geht es los.«

Abgeneigt musterte Dominic die kalt wirkende Maschine, die in unheimlicher Einfachheit vor ihm stand. War hier wirklich ein scheinbar unverrückbares Gesetz des Lebens durch Menschenhand gebrochen worden? Der Gedanke daran ließ ihn erschauern.

»Die Maschine selbst ist nicht durch die Zeit transportabel«, dozierte Eckhart weiter. »Bei Gebrauch wird nur ihr Inhalt teleportiert. Doch einmal benutzt, gibt es kein Zurück mehr.«

»Kein Zurück?«, entfuhr es Dominic und seine Eingeweide verkrampften sich. »Was meinen Sie damit?«

»Auf das Thema werde ich zu gegebener Zeit eingehen«, versprach Eckhart. »Jedenfalls kommt man an dem Ort heraus, wo man gestartet ist. Man sollte sich also nicht in eine Zeit transportieren, in der dieses Gebäude noch nicht existiert hat. Andernfalls …«, er blickte Dominic mit einem ironischen Lächeln entgegen und deutete mit dem Finger nach unten, »… hat man einen verdammt tiefen Fall vor sich.«

Dominic schluckte. »Also werde ich …?« Er ahnte bereits, dass er Eckharts theoretische Ausführungen über die Zeitmaschine womöglich irgendwann in die Praxis umsetzen sollte. Warum sonst hätte man ihn in dieses Geheimnis eingeweiht, wenn nicht, um den Apparat zu benutzen? Und die Mission könnte enden, noch bevor sie begonnen hätte, nämlich mit einem Sturz ins Leere.

»Keine Angst, dieses Gebäude steht schon seit den frühen Sechzigerjahren hier. Bis Mitte der Achtziger wurde es als gewöhnliches Wohnhaus genutzt. Dann stand es bis Mitte der Neunziger völlig leer. Anschließend nutzten verschiedene Brokerunternehmen die unteren Etagen, während der Staat sich einige Stockwerke sicherte und sie zu Forschungszwecken unserem Professor zur Verfügung stellte. 1998, ein Jahr nachdem diesem der Durchbruch gelungen war, übernahm die Regierung aus Sicherheitsgründen das komplette Gebäude, worauf es von Grund auf saniert wurde.«

»Warum dieser Schuppen hier und kein anständiges Forschungszentrum?«

»Hätten Sie dem werten Doktor denn anfänglich etwas Besseres geboten, für eine der verrücktesten und fragwürdigsten Ideen der Menschheitsgeschichte? Es geht hier um Steuergelder.«

Der Groschen fiel und Dominic nickte.

Inzwischen fühlte es sich kaum mehr eigenartig an, Teil eines einzigartigen Sicherheitskonzeptes zu sein. Einer jener zu sein, welche möglicherweise das Schicksal der Erde in ihren Händen hielten. Das überfordernde Gefühl, das Gewicht einer unglaublichen Bürde zu tragen. Eine, die eine wichtige Aufgabe beinhaltete – die wichtigste Aufgabe überhaupt – für die er, laut psychologischer Analyse, alle Voraussetzungen besaß.

So langsam stellte er sich auch nicht mehr die Fragen, die ihm zuvor täglich durch den Kopf gegeistert waren. Anfängliche, sich aufdrängende Überlegungen wie: Doch wie könnte man dafür auch nur annähernd die notwendigen Eigenschaften besitzen? Das rechte Maß an Rückgrat und Pflichtgefühl. Das nötige moralische Bewusstsein, die Verantwortung für den zeitlichen Verlauf und die Weltgeschichte zu tragen. Eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ein Menschenleben darin wird existieren dürfen oder nicht.

Was, wenn eine mögliche höhere Macht, oder gar das Schicksal selbst, irgendwann endgültig beschließen würde, dass alles schlagartig enden sollte – hätte er an jenem Punkt denn überhaupt das Recht einzugreifen?

Oder war es womöglich sogar ein Gottesgeschenk, dass sie durch diese Institution eine Möglichkeit, eine Chance hatten, dies zu verhindern? Wodurch der Weltbevölkerung ihr naturgeschenktes Recht zu leben, weiterhin gewährt bliebe. Es war eine gewichtige Entscheidung, in der es um Existenz oder Auslöschung ging. Weshalb ihre Tragweite die höchste von allen war.

Doch jedweden Bedenken zum Trotz wusste er letztendlich, wozu er hier war und dass er seinen Auftrag, wenn nötig, erfüllen würde.

Und so klangen sie allmählich ab. All jene Gedanken.

Es hatte zwar einige Zeit lang gedauert, doch nach nun knapp zehn Monaten hatte Dominic inzwischen sogar den Glauben daran verloren. Den Glauben um Eckharts Befürchtungen eines todbringenden Zwischenfalles, welcher einen Niedergang von allem verheißen sollte. Im Gegenteil, Dominic fühlte sich mittlerweile ziemlich wohl. Er betrat das Gebäude und nach seiner Schicht verließ er es wieder. Tag ein, Tag aus. All die zu Beginn herrschenden Befürchtungen waren verflogen. Die Sorgen um das Gewachsensein dem Ernstfall gegenüber. Und die trostlose Tatsache, dass, sofern es wirklich jemals soweit kommen möge, der Mensch es dann letztlich fertiggebracht hätte, sich insoweit zu bekriegen, dass er damit den Planeten vollends zerstören würde.

All diese Gedanken waren unterdessen versiegt. Denn ein Großteil von Dominics Arbeit bestand darin, nichts zu tun. Rein gar nichts. Und niemanden störte es. Weder Eckhart, welchem er täglich begegnete, noch all die anderen Kittelträger, die ihm stets über den Weg liefen. Es machte keinem etwas aus. Zudem erhielt er einen hohen Verdienst, einen sehr hohen sogar. Schließlich ging es um sein Leben und das gesamte Menschentum, würde er effektiv irgendwann zur Tat schreiten müssen.

Er aß, trank, lenkte sich mit virtuellen Logikrätseln ab und trainierte anhand der ihm bereitgestellten Fitnessgeräte. Natürlich machte Dominic sich ab und an ebenfalls mit dem T-Pad ein wenig vertraut und rief sämtliche Inhalte ab.

Er versuchte sich systematisch durch die Menschheitsgeschichte zu kämpfen und dabei sein Wissen etwas aufzufrischen. Zeitgleich konnte er geheime, unveröffentlichte Akten und polizeiliche Dateien zu jeder beliebigen Person aufrufen. Er konzentrierte sich überwiegend auf potentiell bedrohliche, kriminelle Organisationen und bekannte Vereinigungen, welche den Weltfrieden und den Einhalt von Menschenrechten missachteten.

Dennoch stellte sich mit der Zeit eine gewisse Routine ein, wobei Dominic manchmal beinahe vergaß, wozu er eigentlich hier war. Mittlerweile hatte er auch den berüchtigten Professor kennengelernt, durch dessen Forschungen die Erbauung der Maschine zustande gekommen war. Es war ein kleiner, gebrechlicher, alter Mann, welcher ab und an vorbei kam und nach dem Rechten sah. Doch außer einer flüchtigen Begrüßung hatte Dominic niemals ein eingehendes Gespräch mit ihm aufbauen können. Denn der ehrenwerte Doktor war ein äußerst verschlossener und in sich gekehrter Mann, welcher ganz offensichtlich alles und jedem aus dem Weg zu gehen schien.

Trotzdem war Dominic mit den Gegebenheiten zufrieden. Er folgte einem gewohnten Tagesablauf und machte sich fortan weder Gedanken um zukünftige Horrorszenarien noch um anderweitige, sorgenreiche Hirngespinste. Manchmal kam ihm sogar für Sekundenbrüche der Gedanke, mit seiner Tätigkeit das große Los gezogen zu habe − und er hoffte bei Gott, dass er sich dabei nicht irrte.

ZWEITER TEIL

04. Januar 2054

Das Sandwich lag halb angebissen auf dem krümelübersäten Teller, als Dominic vollkommen aufgescheucht dem Ausgang des Aufenthaltsraumes entgegenrannte. Wie wildgeworden lief er an Tischen, Stühlen und Fitnessgeräten vorüber, während der gesamte Raum vom strahlend roten Licht der Alarmrundumleuchte erfüllt war. Das unaufhörliche, ohrenbetäubende Geräusch des Signals klang wie der hallende Trompetenruf einer Tornadowarnung.

Dominic erreichte den Flur und hastete die Treppen hinauf. Die Erde begann zu beben, eine Erschütterung durchwanderte das Bauwerk, Putz bröckelte von den Decken. Rings um ihn in den Wänden öffneten sich Risse, indes er immer wieder ein panisches Verflucht! ausstieß.

Als er im oberen Stockwerk angekommen war, begannen die Erdstöße allmählich nachzulassen. Er rannte auf die Glasschiebetür zu und erkannte Eckhart, der mit angespanntem Gesichtsausdruck direkt dahinter an der Fernsprechanlage stand. Dominic zückte die Magnetkarte aus seiner Hosentasche hervor und zog sie mit zitternden Händen durch den Schlitz.

Die Tür öffnete sich und er lief geradewegs auf den Wissenschaftler zu. »Was ist passiert?«

Doch der alte Mann forderte ihn sogleich mit einer Geste zum Innehalten auf und horchte gleichzeitig konzentriert in ein loses Headset, das er sich an sein rechtes Ohr presste. Dominic blieb auf der Stelle stehen und beobachtete, wie der Mann mehrmals nickte, während er aufmerksam den Informationen lauschte.

»Ist gut, beeilen Sie sich«, sprach Eckhart in das Mikrofon und wandte sich schließlich zu Dominic. »Vor knapp drei Minuten ist nicht unweit von hier ein Nuklearsprengkörper detoniert. Die Druckwelle wird uns in weniger als vier Minuten erreichen. Unsere Nation macht sich derzeit gefechtsbereit und richtet sich auf Gegenmaßnahmen ein. Ein Agent leitet mich soeben an einen Auslandsspion weiter.« Er hatte die Worte allesamt in einem Atemzug ausgesprochen.

Ein schauderndes Zittern schoss Dominic durch Mark und Bein, während er wie erstarrt dastand und mit aufgerissenen Augen in Eckharts nüchternes Gesicht blickte. »Aber wie kann so etwas überhaupt möglich sein?«, stammelte er fassungslos.

»Es war eine für das Radar unsichtbare Tarn-Rakete. Doch das ist jetzt völlig nebensächlich. Legen Sie nun den Koffer in die Maschine, nehmen Sie das T-Pad zu sich und machen Sie sich bereit!«, antwortete Eckhart trocken.

Dann war es nun also soweit, dachte Dominic.

Von wegen, es sei wahrscheinlich, dass er die Maschine niemals benutzen müsse, durchfuhr es ihn. Doch ob er nun wollte oder nicht, der Moment war gekommen. Der Augenblick, an dem er seinen Auftrag erhielt. Eine Verpflichtung, die er sich nie herbeigewünscht hatte, denn sie bedeutete das Ende. Aber ihm wurde schlagartig bewusst: Sofern diese Vernichtung noch verhindert werden könnte, so musste er die sich ihm bietende Chance ergreifen. Kinder überall auf der Welt dürften sich dann auch zukünftig noch auf Spielplätzen vergnügen und den Menschen auf diesem Planeten wäre es weiterhin gestattet, ihr individuelles und kostbares Leben fortzuführen. Doch diesbezüglich existierte nur ein einziger Weg. Nämlich, dass er seine Berufung nun endgültig und augenblicklich hinnahm.

Während er noch diesen Gedanken nachging, wurde Eckhart offenbar verbunden und versuchte erneut den Angaben zu folgen, die er aus dem Headset erhielt. Indes hatte Dominic bereits den schwarzen Koffer aus dem Regal genommen und die schwere Panzerglastür der begehbaren Box geöffnet.

Er warf den Behälter in das Innere und lief anschließend hektisch zurück, um das T-Pad zu holen. Als er es in der Hand hielt, sah er zu Eckhart hinüber, der an der Armatur stand. Er blickte soeben auf einen, in den Raum reflektierten, Hologramm-Bildschirm. Dabei strahlte ihm eine leuchtende Holotastatur entgegen.