Rescue me - ganz nah am Abgrund - Sabine Koch - E-Book

Rescue me - ganz nah am Abgrund E-Book

Sabine Koch

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Beschreibung

Auf der Flucht vor zwei Kleinkriminellen rennt Ryan ausgerechnet in Tyler Lafferty hinein, den stadtbekannten Satanisten. Seinen ehemals besten Freund. Tyler ist ähnlich geschockt, denn das unfreiwillige Zusammentreffen reißt alte Wunden wieder auf. Trotzdem kann er sich nicht länger von Ryan fernhalten. Er kauft sogar einen alten Mustang, Ryans Traumauto, um ihn in seine Nähe zu locken. Sein Plan scheint aufzugehen. Doch die Vergangenheit holt sie immer wieder ein - denn Tyler hat zwei Menschen auf dem Gewissen.

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Sabine Koch

Rescue me

Ganz nah am Abgrund

Impressum:

© dead soft verlag, Mettingen 2013

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: T. Kuklik

Coverbilder:

Mustang: © rupenkamp – fotolia.com

Mann: © westfotos.de – fotolia.com

2. Auflage 2020

ISBN 978-3-943678-59-8 (print)

ISBN 978-3-943678-60-4 (epub)

Danksagung

Als im September 2010 ‚Wolf inside‘ erschien, habe ich es nicht für möglich gehalten, jemals ein weiteres Buch zu veröffentlichen.

Jetzt, 2013, sind es sogar schon drei Bücher und ich denke, es ist an der Zeit, mich bei den üblichen Verdächtigen zu bedanken.

Zuerst bei meinen Lesern, deren positive Reaktionen mich darin bestärken, weiterzuschreiben.

Dann bei meinen Töchtern Benita und Leonie, und meinem besten – weil einzigem – Schwiegersohn Jacky, weil sie mir oft mit Ideen auf die Sprünge helfen und sie es cool finden, in einem Vorwort erwähnt zu werden.

Ein besonders großes Dankeschön geht an meine Freundin U., die immer für mich da ist, und mit der ich am Besten spinnen kann!

Und natürlich ist da noch mein Verleger, dessen konstruktive Kritik und Anregungen mir eine willkommene Hilfe sind.

Ohne euch funktioniert es nicht!

Inhalt:

Auf der Flucht vor zwei Kleinkriminellen rennt Ryan ausgerechnet in Tyler Lafferty hinein, den stadtbekannten Satanisten. Seinen ehemals besten Freund. Tyler ist ähnlich geschockt, denn das unfreiwillige Zusammentreffen reißt alte Wunden wieder auf. Trotzdem kann er sich nicht länger von Ryan fernhalten. Er kauft sogar einen alten Mustang, Ryans Traumauto, um ihn in seine Nähe zu locken. Sein Plan scheint aufzugehen. Doch die Vergangenheit holt sie immer wieder ein - denn Tyler hat zwei Menschen auf dem Gewissen.

Eins

Fertig!

Erleichtert warf Ryan Donahue das kleine Stück Zeichenkohle auf die Tischplatte, wischte sich kurz die schwarz gewordenen Finger an der Jeans ab und betrachtete sein Bild.

„Mrs. Bowman, ich bin fertig. Wollen Sie es sich ansehen?“, fragte er in die Stille des Raumes hinein. Als er keine Antwort erhielt, sah er verwundert von seinem Block auf. Er war allein. Mutterseelenallein. Alle waren verschwunden. Für einen kurzen Augenblick dachte er daran, dass alle von Außerirdischen geholt worden sein könnten. Doch dann wurde ihm klar, was passiert war.

Er war so vertieft in seine Arbeit gewesen, er hatte gar nicht bemerkt, dass die Schule längst aus war. Sogar Mrs. Bowmann, die Kunstlehrerin, war gegangen. Er meinte, sich vage daran zu erinnern, wie sie ihre Bildermappe zusammengeräumt und ihn aufgefordert hatte, auch endlich nach Hause zu gehen. Dann war sie auf ihren hochhackigen Schuhen davongetrippelt. Seit dem war über eine Stunde vergangen, wie ein Blick auf die Wanduhr verriet.

Im Stillen schimpfte er sich einen Idioten. Hatte er wirklich unbedingt bleiben müssen? Unbedingt diese Zeichnung fertigstellen wollen?

Ja. Er hatte. Es war wie ein Rausch. Er malte hier eine Linie, dort noch eine Schraffierung, einen Schatten, der ihm nicht geheimnisvoll genug erschien – er fand kein Ende.

Langsam sammelte er seine Malutensilien zusammen. Jetzt saß er hier fest. Er wusste, er hatte seine Chance verpasst, mit heiler Haut davon zu kommen. Der Plan sah vor, sich im Schutz der anderen Schüler still und leise davon zumachen. Nun hatten seine beiden Peiniger leichtes Spiel, präsentierte er sich ja förmlich auf dem Silbertablett. Er war so ein Idiot!

Für einen Moment war er versucht, seine Mom anzurufen. Sie zu bitten, ihn abzuholen. Doch sie hatte heute am späten Nachmittag einen Termin. Einen ganz Wichtigen. Es gab Interessenten, die das alte Anwesen der Morgans kaufen wollten. Von der Provision könnte sie einen Teil der Schulden abbezahlen, hatte sie ihm erst beim Frühstück vorgerechnet. Vorausgesetzt, dieses Treffen fand auch statt. Also würde er sie nicht anrufen.

Seufzend lief er aus dem Klassenzimmer, hinüber zu seinem Spind. Dort schloss er die Bildermappe ein. Wenn sie schon auf ihn warteten, dann sollten sie nicht auch noch seine Zeichnungen in die Finger bekommen.

Ryan ergriff den braunen Rucksack und warf ihn sich nachlässig über die Schultern. Langsam trottete er den breiten Flur entlang. Komisch. Wie still so eine Schule sein konnte. Heute Morgen noch tobte lautes, kreischendes Leben in dem Gemäuer und wenige Stunden später schien es völlig ausgestorben. Er musste grinsen. Was, wenn doch Außerirdische da gewesen waren, er der letzte Schüler dieser Highschool wäre? Ob er dann in jedem Fach mit einem A abschließen würde?

Auf dem Weg nach draußen sah er durch die Türscheiben hindurch in die Klassenräume. Vielleicht war ja noch irgendwo ein Lehrer, der ein Elterngespräch führen musste, oder eine Klausur vorzubereiten hatte – doch so viel Glück hatte er nicht. Niemand war mehr im Gebäude.

Resigniert drückte er die schwere Schultür auf, schob sich hinaus und blieb erst einmal auf der Treppe stehen. Draußen schien die Sonne, es war immer noch heiß, schätzungsweise fünfundzwanzig Grad. Es war Mitte Juni, die Ferien standen vor der Tür.

Der Schulhof war leer, bis auf ein paar Getränkeflaschen, die nicht den Weg in die Mülltonne gefunden hatten. Bei den Fahrradständern stand ein einsames Mountainbike. Ryan musste kein Hellseher sein, um zu wissen, dass dieses Rad einen Platten haben würde. Es hatte andauernd einen Platten. Mal war es der Vorderreifen, der durchstochen war, mal der hintere. Die Schläuche sahen inzwischen schlimmer aus, als ein Schweizer Käse, wegen der Löcher, die er andauernd flicken musste. Bald würde es nicht mehr möglich sein, dann bräuchte er Neue. Aber die kosteten ein Vermögen.

Ryan zog den Kopf zwischen die Schultern und lief rüber zu seinem Rad. Er kümmerte sich nicht um den Platten, warf nur seinen Rucksack über den Lenker und machte, dass er wegkam. Die Tore waren noch weit geöffnet, Mr. Parker, der Hausmeister, würde sie erst in einer Stunde, also gegen sechs Uhr schließen. Er überlegte kurz, Mr. Parker zu suchen und ihn um Hilfe zu bitte, doch der Hausmeister war kein netter Zeitgenosse. Man ging ihm besser aus dem Weg, ansonsten bestand die Gefahr, dass er einen zum Hof fegen verdonnerte. Oder zum Flascheneinsammeln. Oder zu anderen unangenehmen Dingen.

Am Tor sah er sich hastig um. Niemand zu sehen. Es war kaum zu glauben. Sollte er vielleicht doch Glück haben? Schnell überlegte er, welche Richtung er einschlagen sollte. Nach links? Da müsste er an den Sportplätzen entlang. Da hatten sie ihm schon einmal aufgelauert, doch der Weg nach Hause war kürzer. Wenn er es hinter die Trainingsplätze schaffte, dann …

„Sieh mal, wer da kommt! Wenn das nicht Klein-Ryan ist!“

Als er Allan Bakers komisch quakige Stimme hörte, zuckte er zusammen. Donald Duck mit Halsentzündung, schoss ihm durch den Kopf.

Verdammt. Sie hatten ihn.

Sie, das waren Allan Baker der Dritte und sein Cousin Bobby Sands. Beide waren einundzwanzig, also gut vier Jahre älter als Ryan, fast zwei Köpfe größer, mindestens fünfundzwanzig Pfund schwerer und garantiert einhundert IQ-Punkte blöder.

Beide trugen mit Vorliebe Baggy Pants. Solche, die aussahen, als trüge man den Arsch tief in den Kniekehlen. Zu diesen komischen Hosen trugen A-Hörnchen und B-Hörnchen üblicherweise schlabberige Shirts mit eindeutig frauenfeindlichen Sprüchen und diese hässlichen Base-Caps. Natürlich trugen sie die Caps verkehrt herum auf ihren hohlen Schädeln. Bobby hatte sich dazu noch ein rosa Bandana um die Stirn geschlungen. Bling Bling Halsketten mit fetten Dollarzeichen und hochgereckten Mittelfingern glitzerten tussig in der Sonne. Beide sahen aus wie die billige Kopie eines Gangsta-Rappers, doch er wusste, unterschätzen durfte er die sie auf keinen Fall. Sie waren zwar so intelligent wie Pferdekacke, doch mit Rücksichtslosigkeit und Brutalität machten sie es wieder wett.

Es war allgemein bekannt, dass die beiden in kriminelle Dinge verstrickt waren, doch niemand unternahm etwas dagegen. Der Großvater der beiden war der reichste Mann der Stadt. Allan Baker der Erste. König über eine Firma, die Autoteile herstellte. Größter Arbeitgeber im Umkreis. Mit dem wollte sich keiner anlegen. Auch dann nicht, wenn Junior & Co anderen Kids Geld und Handys abzogen. Oder alten Omis die Handtaschen klauten.

„Was wollt ihr?“, fragte Ryan mutig, obwohl er ihre Reaktion schon erahnen konnte.

Albernes Gelächter war auch prompt die Antwort. „Ist er nicht niedlich?“, rief Allan. „Was wollen wir schon, Arschloch! Dein Geld, dein Handy. Los. Her damit.“ Drohend stemmte er die Fäuste in die Seiten und schob sich noch näher an Ryan ran. Der konnte den scharfen Schweißgeruch riechen, den der Kerl verströmte.

Vorsichtig ließ er sein Rad auf den Schotterweg gleiten, der Schulgelände und Parkplatz mit den dahinter liegenden Sportplätzen verband. Dann versuchte er langsam nach links auszuweichen, wurde aber sofort daran gehindert. Bobby war neben ihm aufgetaucht und versperrte den Weg. Er konnte billigen Fusel an ihm riechen. Als er gegen Bobbys schwabbeligen Körper prallte, schubste dieser ihn auf Allan zu. Der trat grinsend zur Seite – und Ryan segelte vorbei. Im selben Moment streckte Allan sein Bein aus, er stolperte darüber und flog auf die Knie. Kleine spitze Steinchen bohrten sich schmerzhaft durch den weichgewaschenen Stoff seiner alten Jeans. Nur mühsam konnte er ein Aufstöhnen unterdrücken, jeder Schmerzenslaut, den er von sich geben würde, würde die beiden nur noch mehr aufstacheln.

Ryan war auf ihrem Schirm aufgetaucht, weil er vor einiger Zeit beobachtet hatte, wie sie Jeremy Dowler aus der Neunten fertigmachten. Allan und Bobby hatten ihn hinter den Sportplätzen erwischt und niedergestreckt und verabreichten ihm gerade einen Satz heiße Ohren, als Ryan dazugekommen war. Als die beiden gesehen hatten, wie er sein Handy zückte, um Hilfe herbeizurufen, ließen sie von Jeremy ab und verschwanden. Allerdings nicht, ohne ein paar ordentliche Drohungen gegen ihn, Ryan, auszustoßen.

Dich kriegen wir auch noch!, hatte Bobby gerufen. Nun ja. Bislang war es bloß sein Rad gewesen, was sie in die Mangel genommen hatten. Aber anscheinend sollte es sich jetzt ändern.

„Na, Feigling, willste abhauen?“ Bobby begann, hämisch zu kichern.

„Ja komm, Weichbirne, lauf!“, hetzte Allan und lachte. „Dann können wir dich fangen! Wär mal was anderes, als einen von euch bloß so zu verkloppen!“

Ryan hatte sich erhoben und war mit gesenktem Kopf stehen geblieben. Seine Hände zitterten. Normalerweise machten die beiden nicht so ein Tamtam. Sonst grapschten sie das Geld, hauten wahlweise auf die Nase oder in den Magen oder verteilten ein paar kräftige Ohrfeigen und dann war es vorbei. Aber heute? Anscheinend machte der Alkohol sie besonders mutig.

Was also sollte er tun? Abhauen? Oder sich verprügeln lassen? Die Entscheidung war schnell getroffen. Er würde es mit Flucht versuchen, er war klein und schlank, was für ihn von Vorteil sein würde.

Gedacht. Getan. Schon wirbelte er herum und lief nach rechts, Richtung Neubaugebiet. Vielleicht konnte er sich auf irgendeiner Baustelle verstecken. Er biss die Zähne zusammen und rannte, was die aufgeschürften Knie hergaben.

Die beiden fluchten laut, dann liefen sie hinter ihm her. Ihre schweren Schritte waren auf dem Schotter gut zu hören. Schnell flankte er über den Lattenzaun, der das gesamte Schulgelände umgab, und raste weiter querfeldein. Hetzte über noch unbebautes, brachliegendes Gelände und sah sich verzweifelt um. Nirgends eine Möglichkeit, sich in Luft aufzulösen. Die Baustellen, die schon in Betrieb waren, wurden von hohen Holz- oder Gitterzäunen umschlossen. Warum wohl, fragte er sich, während er zügig weiterlief. Was gab es in einem Rohbau schon zu klauen? Egal was es war, auf keinem der Grundstücke würde er Unterschlupf finden.

Im Laufen sah er über seine Schulter – die beiden hatten trotz ihrer Masse und all dem Klimperschmuck ein ziemlich hohes Tempo drauf. Also blieb ihm keine andere Wahl, er musste weiter.

Die ersten Häuser kamen in Sicht. Doch das bedeutete nicht, auch in Sicherheit zu sein. In dieser Gegend hier kümmerte sich jeder um sich selber. Niemand würde ihm helfen. Im Gegenteil. Wenn er Pech hatte, dann traf er auf Gestalten, gegen die A&B-Hörnchen reine Waisenknaben waren. Er konnte nur sehen, dass er es unbeschadet bis nach Hause schaffte.

Der Schweiß lief ihm in Strömen über Gesicht und Nacken, rann feucht in den Kragen. Mit dem Arm wischte er sich kurz durchs Gesicht. Hinter ihm herrschte plötzlich Stille. Hatte er die beiden tatsächlich abgehängt? Er riskierte einen weiteren Blick über seine Schulter – da war niemand mehr. Für eine Sekunde war er versucht, anzuhalten. Heftige Seitenstiche raubten ihm den Atem. Doch dann sah er zu seinem Schreck, Allan und Bobby von rechts aus einer Nebenstraße kommen. Anscheinend hatten sie einen Bogen geschlagen und waren wohl hinten herum, durch die Gärten, gelaufen. Jetzt kamen sie direkt auf ihn zu, waren nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Beide verständigten sich ohne große Worte, sie trennten sich, um ihn in die Zange zu nehmen.

„He, Arschloch!“, johlte einer der beiden. „Gleich haben wir dich!“

Niemals, dachte Ryan, schlug einen Haken nach links, auf den mit Hundehaufen versauten Gehweg zu, preschte durch einen ungepflegten Vorgarten, gab noch einmal ordentlich Gas und lief weiter um sein Leben.

Erneut sah er nach den beiden. Mit seinem Haken hatte er etwas Vorsprung herausgeholt.

In der nächsten Einfahrt stand ein grüner Van. Als er die dunkle Gestalt dahinter hervorkommen sah, keuchte er erschrocken auf. Abwehrend hob er die Hände – doch es war zu spät. Aus vollem Lauf prallte er gegen das Hindernis, stolperte und flog in hohem Bogen auf die gepflasterte Einfahrt zu. Mit dem Kinn voran kugelte er über den Boden, der harte Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen. Auf dem Rücken blieb er liegen. Sein Schädel dröhnte. Die Handflächen brannten, die Knie auch. Sein Kinn fühlte sich an, als hätte er damit einen Truck aufgehalten. Japsend und keuchend versuchte er, wieder zu Atem zu kommen. Ryan hob den Kopf etwas an, sah, wie Allan und Bobby auf ihn zu gestapft kamen. Sie waren nass geschwitzt, hatten hochrote Köpfe und waren stinksauer. Einer hatte sein Cap verloren, der andere zog gerade schnaufend seine Baggy Pants zurecht. Ryan wusste, dafür, dass sie hinter ihm herjagen mussten, würden sie ihn besonders leiden lassen. Resigniert ließ er den Kopf wieder auf den Boden plumpsen. Schob nur einen Arm vors Gesicht. Am besten, er hielt still und ließ es über sich ergehen.

Zwei

„Sie sind weg.“ Ich rieb mir die schmerzende Schulter. Dort hatte der Typ mich gerammt, bevor er böse zu Boden gegangen war. Gerade war ich aus Carlos’ Haus gekommen, als ich das sich anbahnende Drama bemerkt hatte. Dr. Kimble auf der Flucht. Verfolgt von den zwei größten Spackos auf diesem Planeten. Nicht, dass ich mich eingemischt hätte. Früher vielleicht. Jetzt nicht mehr.

„Du kannst aufstehen, die beiden Idioten sind weg.“ Anscheinend hatte der Zwerg was an den Ohren, denn er reagierte gar nicht. Lag nur so da, blutete vor sich hin und schien sich in sein Schicksal ergeben zu haben. Ich musterte den am Boden Liegenden. Klein war er, schlank, fast schon schmächtig. Trug ein einfaches grünes Shirt, Jeans, grüne Chucks. War höchstens sechzehn. Ich glaubte, ihn aus der Schule her zu kennen. Rennen konnte er ja ganz gut, aber kämpfen bestimmt nicht. Hätten die ihn erwischt, wäre es übel für ihn ausgegangen.

Gleichgültig zuckte ich mit den Achseln. Na und? Konnte mir doch egal sein. Was ging mich dieser Knirps an? Gar nichts! Ich zog die Schachtel Zigaretten aus dem Mantel und schob mir eine Kippe in den Mundwinkel. Mein Feuerzeug spuckte eine kleine Flamme, genüsslich sog ich den ersten Rauch ein. Dann klopfte ich gegen die Manteltasche. Das kleine Tütchen, welches ich von Carlos erworben hatte, war noch da. Gut. Dann konnte ich ja jetzt gehen.

Ich hatte mich schon zwei Schritte entfernt, da ließ mich leises Aufstöhnen wieder innehalten. War der Kleine etwa doch stärker verletzt, als es den Anschein hatte?

Ganz gegen meine sonstige Sieh-selber-zu-wie-du-damit-fertig-wirst-Mentalität hockte ich mich neben den Jungen und stupste ihn vorsichtig an. „Ist alles in Ordnung? Du kannst aufstehen, die beiden sind weg.“

Endlich zeigte der Knirps eine Reaktion. Er stöhnte, etwas lauter diesmal, zog den Arm vom Gesicht und starrte mich verblüfft aus himmelblauen Augen an. „Weg? Wieso …?“

Dann schien er mich zu erkennen, ich sah, wie er erst erschrak und dann zurückzuckte. „Oh. Tyler. Du bist das.“ Mühsam rappelte er sich hoch. Dichte schwarze Locken klebten an seinem Kopf. Blut rann über sein Kinn, vermischte sich mit dem Schweiß, der über sein Gesicht gelaufen war.

Ich sah genauer hin. Jetzt erst, auf den zweiten Blick, erkannte auch ich mein Gegenüber. Ich erhob mich, trat zwei Schritte zurück. „Ryan“, stellte ich fest. Mehr sagte ich nicht. Zog nur stumm an meiner Kippe. Pustete den Rauch in die Luft. Ließ mir nicht anmerken, wie sehr mich diese unerwartete Begegnung durcheinanderbrachte.

„Kein Wunder, dass die beiden abgehauen sind“, murmelte Ryan, zuckte zusammen und tastete vorsichtig nach seinem Kinn. Als er an den Fingerspitzen Blut sah, wurde er blass.

„Du siehst furchtbar aus.“ Ich kramte ein nicht mehr ganz so sauberes Papiertaschentuch aus den Tiefen meines Ledermantels und hielt es ihm hin. „Du solltest sehen, dass du nach Hause kommst.“

Ryan nahm es, wobei er krampfhaft vermied, mich anzusehen, und tupfte sich damit im Gesicht herum.

„Danke. Mein Rad … es liegt noch vor der Schule.“ Damit ließ er mich stehen und trottete langsam den Weg zurück, den er eben noch mit Vollgas entlanggelaufen war.

Ich sah ihm nach. „Warte“, rief ich, bevor ich wusste, was ich da tat. „Ich komme ein Stück mit, wer weiß, ob die beiden Idioten nicht auf dich warten.“

Schweigend legten wir den Weg bis zur Schule zurück. Ryan warf mir hin und wieder befremdliche Blicke zu, so als könne er das Verhalten seines ehemals besten Freundes nicht einordnen.

Ich wusste selber nicht, was ich davon halten sollte.

Normalerweise würde ich mich niemals in den Ärger anderer einmischen. Hatte ich auch diesmal nicht getan, die beiden Arschlöcher hatten mich gesehen und sofort auf dem Hacken kehrt gemacht. Nicht mal in meine Nähe hatten sie sich getraut, sondern waren davon gerannt, als sei Satan persönlich hinter ihnen her gewesen. Ganz schön praktisch, mein schlechter Ruf. Wahrscheinlich glaubten sie, ich würde sie um Mitternacht auf dem Friedhof opfern und ihr Blut trinken, wenn ich sie nur erwischen könnte. Ich grinste verächtlich. Was für Schisser!

„Seit wann hast du diese Spackos auf der Pelle?“, wollte ich wissen und schnippte den Stummel fort.

„Autsch!“ Ryan zuckte vorsichtig mit den Schultern. „Seit ungefähr vier Wochen versuchen sie, mich zu erwischen.“

„Und du lässt dir das gefallen?“

„Was soll ich machen?“ Ryan lachte spöttisch. „Seh ich so aus, als hätte ich eine Chance gegen die? Einen Bodyguard kann ich mir leider nicht leisten. Du kennst doch diese beiden Arschlöcher. Jeder ist mal an der Reihe. Jeder, der kleiner ist und so dumm, sich erwischen zu lassen. Bislang hatte ich bloß Glück.“

Ich schwieg. Was sollte ich dazu sagen? Früher hätte ich Ryan beschützt. Hätte jeden vermöbelt, der ihm zu nahe trat. Beste Freunde taten so etwas.

Doch jetzt? Jetzt waren wir keine Freunde mehr. Das war vorbei.

Wir hatten das Schulgelände erreicht. Ryan jammerte und ächzte leise, als er über den Lattenzaun kletterte. Mühsam humpelnd legte er den restlichen Weg zum Schulhof zurück, anscheinend hatte er starke Schmerzen. Ich sah bloß zu, tat nichts, um ihm zu helfen. Eigentlich hätte es sich gut anfühlen müssen. Genugtuung für erlittenes Unrecht bekam man schließlich nicht alle Tage, oder? Mir hatte ja auch keiner geholfen, damals, als ich aus dem Krankenhaus kam. Einen Arm und ein Bein in Gips. Nun konnte Ryan mal am eigenen Leib erfahren, was es hieß, allein zu sein. Niemanden zu haben, der einem half.

Aber wenn ich ehrlich war, fühlte es sich nicht gut an. Es fühlte sich mies an. Frustriert trat ich gegen eine leere Coladose, die auf dem Weg lag. Mit lautem Geschepper flog sie über den Schotter davon.

Es fühlte sich echt Scheiße an.

Als ich das Mountainbike sah, verzog ich unwillkürlich mein Gesicht. „Hu. Ist ja ein schicker Flitzer, den du da hast.“ Diese Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen.

Ryan schluckte und drehte sich weg, es sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Ich wusste, wie sehr Ryan an dem Rad hing, es war eines der letzten Geschenke, die ihm sein Vater gemacht hatte. Doch jetzt war es nur noch ein Haufen Schrott. Die Reifen waren völlig zerschnitten und verbogen, jede Speiche eingetreten. Sah eher nach einem bizarren Kunstwerk, als nach einem Fahrrad aus. Auch ein Stoffrucksack war diesem Gemetzel zum Opfer gefallen. Überall lagen braune Fetzen und Papierschnipsel herum. Ich bückte mich nach einem der Blätter, bevor es über den Rasen davon wehen konnte.

Wer für diese Zerstörung verantwortlich war, war wohl kein Geheimnis. Allan und Bobby hatten ihre Wut an dem wehrlosen Fahrrad ausgelassen, weil sie Ryan nicht erwischen konnten.

„Was wirst du jetzt tun?“, fragte ich und stopfte meine Hände tief in die Manteltaschen. Nicht, dass ich noch auf dumme Gedanken käme, wie etwa Ryan zu trösten, den der Verlust seines Rades wirklich mitzunehmen schien.

„Nichts. Meine Mom anrufen.“ Ryan zog ein klobiges Handy aus der Hosentasche, drückte ein paar Tasten und lauschte.

„Hey Mom. Ich bin es. Ryan“, sprach er leise. „Kannst du mich abholen? Von der Schule? Wenn du Zeit hast? Äh, mein Fahrrad hatte einen … ähem, einen kleinen Zusammenstoß. Aber mir geht es gut.“ Er steckte das Handy wieder zurück und ließ sich neben dem Weg ins Gras sinken.

Ich blieb stehen und sah auf Ryan hinunter. Der hatte den Kopf auf die Knie gelegt und ignorierte mich. Sagte keinen Ton. Ich schwieg ebenfalls. Es gab nichts mehr zu sagen.

Ich sah zum Sportplatz hinüber. Von dort war lautes Geschrei zu hören. Unser Highschool Baseballteam hatte gerade mit dem abendlichen Training begonnen. Ich sah zu, wie die Cheerleader am Rande des Spielfeldes Aufstellung bezogen. Sie wedelten mit bunten, glitzernden Pompons und versuchten, ihr Team mit ihren Schlachtrufen anzufeuern. Früher hatte ich selber dort unten auf dem Spielfeld gestanden. Als Pitcher. Hatte mich anfeuern lassen. Ich zog die Schultern hoch.

Drei

Ryan blendete Mrs. Escalona, die Spanischlehrerin, aus. Die Vokabeln, die sie abfragte, beherrschte er im Schlaf. Kelly, ein sehr blondes, aber auch sehr dummes Cheerleader-Püppchen war an der Reihe. Wie immer konnte sie keine Vokabel richtig übersetzen. „El entrenador heißt … heißt … äh … el … der … oh, Mann!“ Sie verstummte hilflos.

El entrenador – der Reisebus. So ein Babykram! Siebte Klasse!

Am liebsten hätte er den Kopf auf die Tischplatte gelegt und die Augen geschlossen. Er war müde. Und jeder Knochen in seinem Körper tat weh. Sein Kinn war blutverkrustet und brannte immer noch wie Feuer. Zwei Nächte hatte er schon wach gelegen und nachgedacht. Nicht über Allan und Bobby, über diese beiden Idioten brauchte man nicht nachdenken. Nein, er hatte über Tyler nachgegrübelt.

Wie lange hatte der jetzt schon nicht mehr mit ihm gesprochen? Fast zwei Jahre. Seit dem schrecklichen Unfall, bei dem sein Dad und der von Tyler ums Leben kam. Zwei Jahre. So lange. Und plötzlich und unerwartet trafen sie wieder aufeinander. Buchstäblich.

„Ryan, ¿dónde estás con tus pensamientos? Por favor pase adelante!” Mrs. Escalona stand plötzlich vor ihm und starrte über den Rand ihrer gestrengen Brille böse auf ihn herab.

Ryan erschrak. „Hä, was? Oh. Moment. Okay. Ryan, wo bist du mit deinen Gedanken? Pass gefälligst auf!“, übersetzte er, ohne nachzudenken.

Die Klasse schwieg zwei Sekunden, dann brandete lautes Gelächter auf. „Ist der blöd!“, wieherte Kelly, drehte sich um und zeigte ihm einen Vogel.

Er klammerte sich an seinen Stift und wünschte sich weit, weit weg. Mrs. Escalona zog nur süffisant lächelnd die Augenbraue hoch. „No lo olvides!“ Vergiss es nicht!

Ryan zog die Schultern noch höher. „No. No voy a olvidar, Mrs. Escalona”, murmelte er leise. Das würde er bestimmt nicht wieder vergessen.

„Er ist so ein Spinner!“ Joey schmiss ihm ein zerknülltes Blatt Papier entgegen, es landete auf seinem Pult und flog dann zu Boden.

„Ja. Hast du gesehen, wie Scheiße der aussieht? Der hat bestimmt den Fußboden geküsst!“ Das war Pamela. Sie war der unattraktive, aber dafür um so schlauere Anhang des Captains des Baseballteams. Der hatte nichts anderes zu tun, als sie nach Strich und Faden mit ihren ‚Freundinnen‘ – allen voran Kelly – zu betrügen, während sie ihm die Referate ausarbeitete, die er brauchte, um nicht aus dem Team zu fliegen. Sie stieß Nancy an und beide grinsten hämisch.

„Der Boden wird wohl das Einzige sein, was der jemals küsst!“ Wieder Kelly. „Wer will schon was von so einem Idioten!“ Alle lachten.

„¡Paz!La paz al instante!“ Mrs. Escalona drehte sich zur Klasse um. „Ruhe! Sofort Ruhe!“, rief sie noch einmal und langsam verebbten Gelächter und Spötteleien. „Wir wollen weiter arbeiten. Joey übersetze die restlichen Vokabeln. Ich hoffe, du hast geübt.“

*

Ryan suchte sich einen Platz ganz hinten an den Tischen der Cafeteria. Dort, wo die Nerds und Sonderlinge der Schule rumhingen. Er selber sah sich vielleicht nicht so, doch die anderen taten es auf jeden Fall. Aber hier hinten war er sicher. Hier würden sie ihn in Ruhe lassen. Nerd-haftes Verhalten galt als hochansteckend.

Er stach den Strohhalm in seinen Fruchtsaft. Vorne an dem Tisch, wo all die beliebten Kids hockten, ertönte lautes Gelächter. Er wusste, Kelly und Joey gaben gerade die spanische Blamage zum Besten. Sie würden es ausschmücken und vorführen, immer und immer wieder, solange, bis ein anderer Nerd etwas anderes Peinliches tat.

Noch ein Jahr. Ein unendlich langes Schuljahr. Dann würde es endlich vorbei sein. Er würde seine Koffer packen und an irgendein College verschwinden. Kunst. Das wollte er studieren. Business, wenn es nach seiner Mom ginge. Er seufzte leise. Ob er es schaffen würde, sich gegen sie durchzusetzen? Wohl kaum. Vielleicht konnte er Kunst im Nebenfach studieren.

Er spielte mit dem Strohhalm herum, hing seinen Gedanken nach, als er bemerkte, wie es um ihn herum immer leiser wurde. Als er hoch schaute, sah er, wie eine düstere Gestalt im schwarzen Ledermantel langsam zwischen den Tischen hindurchgeschritten kam. Es war Tyler.

Überall, wo er vorbei kam, verstummten schlagartig sämtliche Gespräche, brach jegliches Gelächter ab. Köpfe wurden eingezogen, einige Schüler bekreuzigten sich sogar. Es war komisch – und gruselig zugleich.

Komisch war, dass alle Schüler Angst vor Tyler hatten, obwohl der nichts tat, um diese Angst zu rechtfertigen. Außer in extrem gruseligen Outfits herumzulaufen, wie Ryan zugeben musste.

Grufti-Style.

Aber nicht bloß ’ne schwarze Hose und schwarzes Rüschenhemd übergeworfen und ein bisschen Kajal á la Jack Sparrow um die Augen gepinselt – nein! Was Tyler meistens trug, war eine ganz andere Nummer. Es war eher Marilyn Manson. Hardcore.

Schwarzer Ledermantel, der fast bis auf die Erde reichte. Klobige Springerstiefel. Eine Hose, die heute über und über mit silbernen Schnallen verziert war. Dazu ein Oberteil, das ein ganz besonderer Hingucker war. Glänzend-schimmerndes, eng anliegendes Stretchmaterial mit Fishneteinsätzen, unter denen man eine gepiercte Brustwarze hervorblitzen sah. Alles war natürlich – na? Schwarz. Um Hals, Taille und Handgelenke trug er breite Lederriemen, mal mit mehr oder weniger gefährlich aussehenden Nieten. Dazu kamen Ketten, gerne auch Sicherheitsnadeln im Ohrläppchen, ein weiteres Piercing in der Lippe. Im Haar trug er heute eine Schweißerbrille, so, wie andere Leute ihre D&G Sonnenbrillen.

Richtig gruselig war aber, was er mit seinem Gesicht veranstaltete.

Kalkweiße Schminke, mit schwarz angemalten Augen und Lippen und – das war am allerunheimlichsten – die roten Kontaktlinsen, in deren Mitte sich schwarze Pentagramme befanden. Dass er sein Haar lang und schwarz trug, verstand sich wohl von selber. Er hätte eher nach New York oder besser nach Hollywood gepasst, als in diese spießige Kleinstadt. Es wunderte Ryan immer wieder, dass Direktor Maybury Tyler erlaubte, so in der Schule herumzulaufen.

Gespannt verfolgte er, wie Tyler immer näher kam. Was wollte er hier? Tyler betrat niemals die Cafeteria. Ryan rutschte unbehaglich auf dem Plastikstuhl hin und her. So wie es aussah, kam der Prinz der Finsternis, der stadteigene Satanist, ohne Umweg auf ihn zu.

Direkt vor Ryan blieb er stehen und warf etwas auf die Tischplatte. Reflexartig griff er danach, um es sofort auf sein Tablett fallen zu lassen. Sicher war sicher. Tyler sah ihn nur an, dann drehte er sich wortlos um. Genauso langsam, wie er gekommen war, schritt er wieder hinaus. Die Tür zur Cafeteria hatte sich schon längst hinter ihm geschlossen, als erstes zaghaftes Gemurmel einsetzte.

Ryan kümmerte sich nicht darum. Misstrauisch betrachtete er den zusammengefalteten Zettel. Was hatte das zu bedeuten?

Er zögerte, doch dann griff er nach dem Papier und faltete es auseinander.

Warte nach der Schule stand da. Unterschrieben war es nicht, nur mit einem roten Pentagramm unterzeichnet. Warum? Was wollte Tyler nach der Schule von ihm?

„Lass mal sehen.“ Norman, der größte Computernerd der Schule, beugte sich vom Nachbartisch her zu ihm rüber. Er zog den Zettel zu sich, las die Botschaft und nickte dann zufrieden. „Wie ich es mir gedacht habe. Dies hier ist kein satanisches Pentagramm.“ Er rückte seine schwere Brille zurecht und schob ihm das Papier wieder zu.

„Hä? Was willst du damit sagen?“ Ryan verstand nur Bahnhof. Satanszeichen war Satanszeichen. Oder nicht? „Gibt es da Unterschiede?“

Norman grinste von einer pickeligen Pausbacke zur anderen. Die wässrig blauen Augen schienen hinter den dicken Brillengläsern doppelt so groß.

„Natürlich gibt es da Unterschiede“, erklärte er mit seiner Dozentenstimme. „Dieses Pentagramm ist ein Schutzzeichen. Wäre es satanisch, würde es auf dem Kopf stehen. Ungefähr so.“ Er begann, mit dem Kuli, den er aus seinem Mäppchen gezogen hatte, auf dem Stück Papier herumzukritzeln. „Siehst du den Unterschied? Ein echter Satanist würde diesen Fehler niemals machen.“

Ryan sah, was er meinte, doch wusste er nicht, was es bedeuten sollte. „Und das soll heißen?“

„Soll heißen, Tyler Lafferty ist genauso wenig Satanist, wie ich Mr. Beachboy bin.“

*

Der Rest des Schultages verlief ohne weitere Vorkommnisse. Als Ryan mit den anderen Schülern hinaus auf den Schulhof gespült wurde, sah er sich nach allen Seiten um. Kein Tyler. Nirgends war die

kalkweiß geschminkte Gestalt in schwarzem Leder zu sehen. Er seufzte. Das wäre ja auch was gewesen! Schnell lief er in Richtung Haltestelle. Jetzt war er wieder zum Busfahren verdammt. Wie ein Sechstklässler! Dank diesen beiden Vollhorsten Allen und Bobby, dachte er stinkig. Ein neues Rad konnte er sich abschminken. Bestimmt ginge er eher aufs College, bevor er …

Lautes Motorendröhnen riss ihn aus den finsteren Gedanken. Dumpfes Grollen – ein durchgerosteter Auspufftopf, schoss ihm spontan durch den Kopf. Suchend sah er sich um. Mitten durch die Menge, die auf dem Weg zu den Autos oder zum Bus waren, pflügte langsam ein schwarzes Ungetüm auf ihn zu.

Stumpfer, ausgeblichener Lack. Einer der beiden charakteristischen runden Scheinwerfer hing an einem Kabel herunter, der andere war zerbrochen, der galoppierende Mustang fehlte. Und auch sonst machte der Wagen keinen vertrauenserweckenden Eindruck.

Ryan aber stand da wie angenagelt, sperrte Augen und Ohren auf, und konnte sich nicht von der Stelle bewegen.

Dieses Auto. Ein 67er Shelby GT500. Ein Fastback. Sein Traumwagen!

Fast vor seinen Füßen hielt er an, grollte im Leerlauf. Das Seitenfenster senkte sich und – er wollte es kaum glauben – Tyler sah heraus, im Mund die allgegenwärtige Kippe. „Lust auf eine Spritztour?“

„Oh mein Gott!“, rief Ryan, vor Überraschung völlig aus dem Häuschen. „Oh Mann! Ein Shelby GT … Wo hast du den her?“ Er hastete zur Beifahrertür und schwang sich hinein.

„Wahnsinn! Rote Sitze. Ich werde verrückt! Gehört der dir? Ein Fastback! Wo hast du den her, sag schon!“

„Aus Big Eddys Garage.“ Tyler gab langsam Gas. Der Motor war absolut in Ordnung, das konnte Ryan hören. War vielleicht etwas verdreckt. Der Vergaser war es auf jeden Fall, dessen war er sich sicher.

„Und Big Eddy hat ihn dir einfach so überlassen?“

Big Eddy war der Gebrauchtwagenfritze. Ein fetter Typ, dem der dicke Schmerbauch weit über den Gold beschnallten Gürtel hing. Dazu kam noch ein schmieriges Grinsen unter einer borstigen Rotzbremse, hässliche Aufzüge im Western Style samt protzigem Stetson, Fransenhemd und Cowboystiefel und die unvermeidliche Rolle Dollarnoten – fertig war das Klischee vom windigen Gebrauchtwagenhändler.

„Na ja, für achthundert Dollar“, antwortete Tyler.

„Wie? So wenig?“, fragte Ryan ungläubig. „Neulich hab ich gelesen, alte Mustangs bekommt man nicht unter zweitausendfünfhundert. Und deren Zustand war noch schlechter, als dieser hier. Ein Shelby GT500 für …“

„Big Eddy pennt mit meiner Alten“, warf Tyler lakonisch ein.

„Oh.“ Ryan verstummte. „Aber … der ist doch verheiratet …“, setzte er an.

„Sicher, Dummkopf. Deswegen war’s so billig, klar? Bin rein, hab gesagt, was ich will … und er gab mir die Schlüssel.“ Tyler zuckte die Achseln. „Alles ganz legal.“

Ob das so legal gewesen war, da hatte Ryan seine Zweifel. Irgendwie klang es nach Erpressung. Doch als er sich im Innenraum umsah, verflogen seine Bedenken schnell wieder. So ein toller Wagen!

Vorsichtig strich er über die schmierige, nikotinverklebte Seitenverkleidung. Die Scheibe klemmte auf halber Höhe, unter seinem Hintern konnte er die ausgeleierten Sprungfedern fühlen. Aus dem Fußraum stieg ein muffiger Geruch auf, aber seine Bewunderung konnte es nicht schmälern. Schnell überschlug er die Arbeitsstunden, die Tyler hier hineinstecken musste.

„Du weißt schon, dass eine Menge Arbeit auf dich wartet, ja? Gar nicht zu reden, was der Spaß kosten wird.“

Darauf bekam er von Tyler keine Antwort. Anscheinend hatte der sein Quantum Worte für heute aufgebraucht. Stumm kutschierte er ihn durch die Straßen, bis in die Siedlung, in der er mit seiner Mom wohnte. Als er schon ausgestiegen war, beugte Tyler sich noch einmal zu ihm rüber.

„Du wirst mir dabei helfen. Morgen.“ Dann gab er ordentlich Gas und brauste mit quietschenden Reifen davon.

Vier

Ich fischte einen Joint aus dem Tütchen, zündete ihn an und inhalierte tief. Behielt den Rauch so lange in den Lungen, wie ich es aushalten konnte. Dann ließ ich ihn langsam entweichen. Guter Stoff, dachte ich. Auf Carlos, den ortsansässigen Dealer, konnte man sich verlassen. Schon fühlte ich, wie ich mich endlich etwas entspannte.

„Was zur Hölle tu ich eigentlich hier?“, murmelte ich kopfschüttelnd und sah mich in dem Mustang um. Seit ich den Wagen in die Garage gefahren hatte, saß ich hier, im Dunkeln. Rauchend. Nachdenkend. Ein weiteres Mal zog ich an meinem Joint und blies den Rauch gegen den Dachhimmel. „Kann’s mir mal jemand erklären?“

„Mir scheint, du gibst dich dem Genuss von illegalen Substanzen hin, mein Sohn.“

„Ich rauch ’n Joint. Na und?“ Die Stimme meines Vaters zu hören beunruhigte mich nicht. Warum auch? Schließlich hörte ich sie nicht zum ersten Mal. Dad unterhielt sich immer mit mir, wenn ich nicht schlafen wollte. Nicht die Augen schließen mochte, weil dann wieder dieses eine Bild in meinem Kopf auftauchte.

Der abgerissene, blutverschmierte Arm, der über dem zersplitterten Armaturenbrett lag, wie eine gruselige Dekoration zu Halloween. Es war Dads Arm gewesen, der linke. Ich hatte es an der Tätowierung erkannt. Ein Dolch, um den sich eine Schlange herumwand. Die dunkelroten Augen der Schlange starrten mich an, während Dad mir versprach, dass alles wieder gut werden würde. Diese Augen hielten meinen Blick fixiert, während mich Dads immer schwächer werdende Stimme beschwor, nicht schlappzumachen. Durchzuhalten.