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»Die Liebe fällt da hin, wo sie will. Und in meinem Fall ist sie bei dir gelandet.« Der 26jährige Krankenpfleger Arian braucht eine Auszeit und fliegt im Urlaub nach Mallorca. Dort kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung mit dem verschlossenen Engländer Zane, die ihn auch zu Hause noch weiter verfolgen soll. Nicht nur er sorgt unfreiwillig für immer mehr Chaos in Arians Leben, das ihm langsam über den Kopf wächst. Wer ihn aus seinem Loch retten könnte, in das er zunehmend tiefer rutscht, ist ausgerechnet Zane. Dieser scheint aber keinerlei Interesse daran zu haben …
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Seitenzahl: 341
Veröffentlichungsjahr: 2025
Nicky DeMelly
Retter wider Willen
ELYSION-BOOKS TASCHENBUCH
1. Auflage: März 2025
VOLLSTÄNDIGE AUSGABE
ORIGINALAUSGABE
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PRINTED IN GERMANY
Buch ISBN 978-3-96000-319-9
ebook ISBN 978-3-96000-320-5
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Nicky DeMelly
Retter wider Willen
Endlich Ruhe!
Dieser Gedanke hatte ein wahres Feuerwerk an positiven Gefühlen in mir ausgelöst, als mein Flug nach Palmanova gebucht war. Endlich raus aus dem Krankenhaus, aus der Patienten-Kollegen-Ärzte- Vorgesetzten-Hölle. All den Stress und Druck hinter mir lassen.
Nun stand ich hier, am weißen Traumstrand, der sanft von den auslaufenden Wellen des Mittelmeeres gestreichelt wurde. Die Sonne brannte vom wolkenlosen, babyblauen Himmel, brachte das Wasser zum Glitzern. Eine Möwe kreischte gegen das Rauschen der Wogen an, während sie majestätisch ihre Bahnen zog. Traumhaft.
Eigentlich.
Die Realität von dicht aneinander gequetschten, braungebrannten oder frisch gerösteten roten Leibern, quengelnden Kindern und einer Joggerin, die mich fast über den Haufen rannte, war ernüchternd.
Aber stopp – ich wollte mich auf das Positive besinnen. Jetzt würde ich einen Spaziergang machen und mit etwas Glück ein ruhigeres Plätzchen finden.
Nach gut zwei Stunden war ich erfolgreich. Klar, auf dicken, teils zu eindrucksvollen Haufen gestapelten Gesteinsbrocken wollte niemand sitzen. Ich inzwischen schon. Denn hier war alles, was ich brauchte: das Meer und Ruhe.
Ich suchte mir einen annehmbaren Stein aus, der einen druckstellenfreien Hintern versprach, und ließ mich mit einem erleichterten Seufzer nieder. Sog die wohltuend salzige Luft tief in meine Lunge. Schloss die Augen und lauschte dem sanften Rauschen des Meeres, das seine wahren Kräfte gekonnt verbarg. Verdrängte die dröhnenden Motorengeräusche der Yachten und Schnellboote, die immer neuen Touristen zu einem Adrenalinkick verhalfen.
Schluss damit. Keine Menschen in den Kopf lassen. Nicht in diesen beiden Wochen.
Der gepresste und doch markerschütternde Schrei hinter mir brachte meine Vorsatzblase jäh zum Platzen. Vor Schreck wäre ich fast vom Felsbrocken gefallen, was Wut in mir aufsteigen ließ. Wie konnte man die Stille an diesem friedlichen Ort nur dermaßen verhunzen? Ich fuhr herum, bereit, all meinen Frust an dem Störenfried auszulassen – und klappte den Mund wieder zu. Stattdessen erwachte mein Helfersyndrom, als ich die schmerzverzerrte Miene des jungen Mannes sah, der hinter mir kauerte und sich den Fuß hielt. Seiner Kleidung nach zu urteilen - die, nebenbei bemerkt, eine Menge muskelüberspannende Haut präsentierte – war er zum Joggen hier. Ursprünglich zumindest.
»Was ist passiert?« Ich stand auf und ging unschlüssig auf ihn zu.
Er sah auf, der Schmerz in seinen Augen wich Verständnislosigkeit. »´ne dämlichere Frage hast du nicht auf Lager?«
Wow, was für ein freundlicher Mitmensch. Er erinnerte mich an so manchen Patienten im Krankenhaus, der bei den Pflegekräften telepathische Fähigkeiten erwartete. Und die Wünsche gefälligst gestern, nicht erst in einer Minute erfüllt zu haben.
Nur hatte dieses männliche Wesen vor mir einen englischen Akzent und lag in keinem Krankenhausbett. Noch. Dennoch war diese Situation genau das, worauf ich Lust hatte. Nicht.
Abwehrend hob ich die Hände. »Vergiss es. Aber wenn du keine Hilfe willst, schrei hier auch nicht so rum.«
Wow, was konnte ich böse sein. Das erschreckte mich gerade selbst. Andererseits war er ja nicht besser gewesen.
Ich wandte mich ab, was mich viel zu viel Mühe kostete. Auch wenn er unfreundlich war, tat er mir leid. Aber was konnte ich als dummer Krankenpfleger schon machen? Schließlich hatte ich nicht Medizin studiert und war somit höchstens zum Hinternabputzen geeignet. So die Aussage meines Lieblingsarztes, der vor Wertschätzung nur so strotzte.
Themawechsel, schalt ich mich selbst. Du bist im Urlaub.
Das unterdrückte Stöhnen hinter mir jagte einen Schauer über meinen Rücken. Den armen Kerl musste es voll erwischt haben. Was auch ein gewisses Maß seiner Zickigkeit erklärte.
Widerstrebend drehte ich mich wieder zu ihm. Keinen halben Meter hatte er von mir weggeschafft. Nun lehnte er vornübergebeugt mit der Hand an einem Steinhaufen, der aussah, als würde er jeden Moment unter seinem Gewicht zusammenbrechen. Wie auch der Kerl selbst. Seine Stirn war schweißnass, das Gesicht machte dem Weiß meines Bettlakens in der Pension Konkurrenz.
Seufzend erhob ich mich erneut. »Warte, ich helfe dir.«
»Nicht nötig.« Wie zum Beweis stieß er sich von der Mauer ab, trat auf den verletzten Fuß – und fiel um. In meine Arme. Ein angenehmer Duft nach Fichte und einem Hauch Vanille stieg mir in die Nase, während ich mühsam versuchte, uns beide auf den Beinen zu halten. Sobald wir halbwegs sicher standen, machte er Anstalten, mich von sich zu stoßen.
Diesmal hielt ich dagegen. »Jetzt lass das Gezicke, hier kommt kein Krankenwagen hin.«
»Ich brauche auch kei...«
»Klappe jetzt.« Seine Muskeln unter meinem Arm, den ich um seine Schulter gelegt hatte, spannten sich noch mehr an. Doch das war mir egal. Energisch griff ich ihm unter die Achsel und fummelte mit der anderen Hand an seinem Arm herum. »Jetzt zier dich nicht so und hilf mal etwas mit. Tragen wollte ich dich nicht.«
Er öffnete den Mund, klappte ihn jedoch wieder zu. Zögerte, stieß ein herzhaftes Seufzen aus und stützte sich dann endlich auf mir ab.
Es war ein kurzer, aber überaus beschwerlicher Weg bis zur Straße – ohne weitere Schweißausbrüche konnte er den Fuß weder belasten, noch hochhalten, geschweige denn das Schwingen beim Hüpfen auf einem Bein ertragen.
Aber wir schafften es, wobei ich ihn für seine verhältnismäßige Schmerzunempfindlichkeit bewunderte. Ich an seiner Stelle wäre sicher schon fünf Mal umgekippt.
An der Straße angekommen, ließen wir uns beide schwer atmend zu Boden sinken.
»Sorry«, murmelte er und sah mich dann aufrichtig an. »Und danke.«
»Kein Ding. Ich bin übrigens Arian.«
»Zane.«
»Komischer Name.«
»Bei deinem fehlt ein D.«
Wir sahen uns an und lachten los. Es gefiel mir, wie er seine ebenmäßigen Zähne präsentierte und der Schalk in seinen Augen blitzte. Überhaupt konnte er sich sehen lassen, obwohl ich eigentlich nicht auf blonde Kerle stand. Aber seine fast schulterlangen Locken bildeten einen traumhaften Kontrast zu den dunklen, geheimnisvollen Augen. Auch der Dreitagebart passte perfekt zu seinem markanten Gesicht. Sollte ich es ebenfalls mal versuchen und mich von meinem glattrasierten Babyface trennen? Warum war ich vorher noch nie auf die Idee gekommen? Bei meinen dunklen Haaren könnte es die blauen Augen mehr zur Geltung bringen. Einen Versuch war es wert.
Zane riss mich aus den Gedanken. »Sorry, dass ich so zickig war.« Er kratzte sich verlegen am Kopf. »Ich bin es nicht gewohnt Hilfe anzunehmen.«
»Manchmal muss es aber sein.«
»Ja.« Gedankenverloren spielte er mit einem Stein, was mir erneut Zeit gab, ihn unauffällig zu mustern. Je länger ich ihn ansah, desto perfekter wirkte er auf mich. Jetzt, wo er etwas entspannter wirkte, klang auch seine Stimme wunderbar melodisch. Das alles hinterließ ein seltsames Gefühl in meinem Bauch, das ich nicht deuten konnte.
Was zum Teufel war los mit mir? Scheinbar stand ich auf Männer-Entzug. Aber den sollte ich besser woanders ausleben.
»Du hättest mir nicht helfen müssen«, murmelte er.
Schlagartig wurden meine Fantasien von Fassungslosigkeit verdrängt. Was eine gewisse Dankbarkeit in mir weckte, denn er schien anstrengend zu sein. Darauf hatte ich keine Lust. »Echt jetzt? Fängst du schon wieder an?«
»Was? Nein, so meinte ich das nicht. Ich brauchte Hilfe, aber es war nicht dein Job, es zu tun.«
Klar war es mein Job. Darüber wollte ich jetzt allerdings nicht reden. »Du brauchtest Hilfe? Ich denke, das hat sich nicht geändert. Apropos, lass mich mal deinen Schuh ausziehen. Sonst ist der Fuß gleich so geschwollen, dass es gar nicht mehr funktioniert.«
Er ließ den Kraftakt zu und versuchte vergebens, sich die Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Mein Herz zog sich mit jedem unterdrückten Aufkeuchen ein Stück mehr zusammen, aber wir schafften es. Was den Anblick nicht unbedingt leichter machte. Das Gelenk sah schlimm aus. Wenn da nichts gebrochen war, würde ich auf meinen nächsten Jahresurlaub verzichten.
Mit einem nun herzhaften Stöhnen ließ er sich zurücksinken. Der Schweiß lief ihm über das Gesicht, wieder war er eine Nuance bleicher geworden. »Fuck. Schon blöd, wenn man zu dämlich zum Laufen ist.« Er versuchte ein Grinsen, scheiterte aber kläglich.
Es tat mir in der Seele weh, ihn leiden zu sehen. Obwohl ich sowas auf der Arbeit täglich sah und Zane überhaupt nicht kannte – ich ertrug den Anblick nicht länger.
»Ich hol dir mal ein nasses Tuch, das kühlt etwas.«
Er nickte und schenkte mir ein dankbares Lächeln. »Das ist lieb.«
Auch ich lächelte und eilte zum Meer. Dort angekommen atmete ich mit geschlossenen Augen tief durch. Der Kerl brachte mein Blut in Wallungen, wie ich es noch nie erlebt hatte.
Heute Abend sollte ich mal die Bars unsicher machen. Ich war eindeutig untervögelt. Aber jetzt brauchte ich erstmal ein Tuch, das ich nassmachen konnte. Wo könnte ich sowas finden?
Nirgends. Mir blieb nur mein Shirt. Super, da musste ich Schmächtling diesem durchtrainierten Kerl meine Hühnerbrust präsentieren. Wenn der mal keinen Lachanfall bekam. Aber was juckte es mich? Ich würde ihn nie wiedersehen. Sollte er doch lachen.
Allein der Gedanke legte eine eiserne Faust um mein Herz. Unwillig schüttelte ich den Kopf. Schluss damit, verdammt! Energisch riss ich mir den Stoff vom Leib und tauchte ihn ins Meer. Brachte ihn triefend nass zu Zane und umwickelte damit sein Fußgelenk.
Zögernd sah ich auf, erwartete ein hämisches Grinsen. Doch das Lächeln war voller Dankbarkeit. Erleichtert erwiderte ich es, die Faust um meinem Herz löste sich. Er war also kein Arschloch. Immerhin.
»Danke.« Es klang aufrichtig.
Ich beließ es bei einem Nicken und zückte mein Handy. »Weißt du, wie das hier mit dem Notruf läuft? Ist das auch die eins eins zwei?«
Seine Miene verfinsterte sich. »Ich brauche keinen Krankenwagen.«
Ungläubig schüttelte ich den Kopf. »Und was hast du dann vor? Willst du hier sitzenbleiben und warten, bis du verhungert oder erfroren bist? Bis die Knochen so schief zusammengewachsen sind, dass du gar nicht mehr laufen kannst?«
Er musterte mich. »Erstens erfriert man hier nicht so schnell, immerhin sind wir auf Mallorca. Und zweitens bist du ein ganz schöner Schwarzmaler.«
»Nein. Realist. Und Krankenpfleger. Ja, ich weiß, kein Arzt. Aber in den knapp zehn Jahren Berufserfahrung habe ich genug gesehen, um sagen zu können, dass das dringend operiert werden muss.«
Seine Kiefermuskulatur arbeitete, während er Löcher in die Luft starrte. Was zum Teufel war mit ihm los? Ich verstand es wirklich nicht, aber sein Blick wirkte eher verzweifelt als stur. Was mein Mitleid weckte. »Was ist dein Problem, Mann?«
Er lachte bitter auf und schwieg weiter. Schließlich rieb er sich das Gesicht und versuchte erneut ein Lächeln. »Ich komme klar. Danke nochmal für deine Hilfe. Aber jetzt geh bitte.«
Das war nicht sein Ernst! Mit verschränkten Armen funkelte ich ihn an. »Ich habe einen Schwur geleistet. Der besagt, dass ich jederzeit mein Menschenmöglichstes gebe, um anderen zu helfen und vor Schaden zu bewahren. Wenn ich jetzt gehe, breche ich diesen Schwur. Was mich, streng genommen, den Job kosten könnte. Und genau das werde ich nicht tun, nur, weil du deinen verdammten Dickschädel durchsetzen willst!«
»Alter, was stimmt nicht mit dir? Du kennst mich nicht, vielleicht bin ich ein Riesenarschloch!«
Ja, diese Aussage hatte durchaus seine Berechtigung. Aber darüber würde ich in diesem Moment nicht nachdenken.
Ehe ich jedoch kontern konnte, wurde Zane lauter. »Jetzt verzieh dich endlich!«
Autsch, das hatte gesessen. Ich schluckte hart, während er tief durchatmete. »Es tut mir leid. Ich rufe mir ein Taxi, okay? Aber, bitte, geh jetzt.«
Gut, wie er wollte. Dumm anmachen lassen musste ich mich nicht. »Dann machs gut. Ich hoffe für dich, dass dein Fuß das halbwegs unbeschadet übersteht.«
Er seufzte. »Danke, Mann. Und das meine ich ernst. Ich wünsche dir viel Glück in deinem Leben. Scheinst es verdient zu haben.«
Hatte ich das? Dann war es noch nicht zu mir vorgedrungen. »Dir auch«, murmelte ich und wandte mich zum Gehen.
»Warte!« Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Hatte er es sich anders überlegt?
Als ich mich umdrehte, hielt er mein Shirt hoch. »Hast du vergessen.«
Enttäuschung schoss durch meine Adern. Kopfschüttelnd winkte ich ab und ging. War mehrmals kurz davor, mich erneut umzudrehen, nur um ihn nochmal zu sehen. Aber er war deutlich genug gewesen. Also ließ ich es und fragte mich, warum es mir so schwerfiel. Ich sollte wohl mal an meinem Helfersyndrom arbeiten. Und mir einen One-Night-Stand besorgen. So ging das nicht weiter.
Erst als ich einen der überfüllten Traumstrände erreichte, schaffte ich es, Zane aus meinem Kopf zu drängen. Ich ließ mich auf der gemauerten Strandbegrenzung nieder und beobachtete den seichten Wellengang. Die Sonne knallte vom Himmel, ganz anders als in Deutschland. Dabei war ich froh, einen dunkleren Teint zu haben. So blieb mir hoffentlich der Sonnenbrand erspart.
Die Wärme schien meine Haut zu durchdringen und bis ins Herz zu gelangen. Der Anblick des ruhigen und doch so kraftvollen Meeres tat sein Übriges. Binnen weniger Minuten war zumindest die eiserne Klaue aus meiner Brust verschwunden, ich konnte wieder freier atmen. Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich hierherziehen. Vielleicht gab es ja einen reichen Mallorquiner, der auf Partnersuche war.
Ich ließ den Blick über die Badegäste schweifen, obwohl ich nicht davon ausging, dass sich viele Einheimische darunter gemischt hatten.
Dann sah ich ihn. Er saß mit dem Rücken zu mir, aber ich war mir sicher, dass er es war. Durchtrainiert, lange, blonde Locken ... Wie zum Teufel hatte es Zane hierhergeschafft? So schnell? Mit kaputtem Fuß?
Zögernd stand ich auf, überlegte, ob ich wirklich zu ihm gehen sollte. Immerhin hatte er mich ziemlich deutlich abgewiesen. Dennoch ...
In dem Moment drehte er sich um. Er war mindestens Ende dreißig und konnte Zane nicht mal annähernd das Wasser reichen.
Erschrocken über mich selbst ließ ich mich wieder auf die Mauer sinken. Presste die Kiefer aufeinander und rieb mir das Gesicht. Was war nur mit mir los? Das war nervig! Und absolut sinnfrei. Niemals hätte er es in dem Zustand hierher geschafft.
Wieso dachte ich überhaupt noch an ihn? Wollte ich nicht entspannen, anstatt meinen Beruf auch hier auszuleben? Schluss jetzt damit.
Erneut erhob ich mich und nahm die naheliegenden Bars und Restaurants unter die Lupe. Beim Ami blieb ich hängen. Das alte, typisch amerikanische Flair versetzte mich für kurze Zeit zurück nach Florida, wo ich einige Monate Work and Travel gemacht hatte. Das sollte ich als nächstes Reiseziel auf meine Liste setzen.
Erstmal würde ich jedoch diese Insel genießen. Ohne Zane, aber vielleicht ja doch noch mit dem ein oder anderen netten Mann. Und leckerem Bier und einem fettigen Burger, der Maulsperre versprach.
Nach einigen Tagen kam ich langsam wieder mit der Menschheit klar. Die Karaokebar am Strand hatte es mir angetan, meine Abende verbrachte ich nur noch dort. Zwar waren die meisten Gäste hinter dem Mikrofon sturzbetrunken und deren Gesang entsprechend katastrophal, es trieb jedoch viele nette Menschen hierher. Ich saß nie lange allein an der Bar, auch wenn es meistens Frauen waren, die sich zu mir gesellten. Sie sorgten allesamt für heitere Abende, zumindest bis es an den Abschied ging. Einige waren maßlos enttäuscht, dass ich sie nicht mehr ins Hotelzimmer begleiten wollte, was sie mich auch deutlich spüren ließen. Aber das war ich gewohnt, insofern störte es mich nicht weiter.
An meinem letzten Abend in Spanien wurde ich verzaubert. Von einer Melodie und einer Stimme, die nicht von dieser Welt sein konnten. Der hübsche Kerl in meinem Alter ging vollständig in seinem Song auf, tauchte komplett darin ab. Voller Faszination beobachtete ich ihn, vergaß alles um mich herum. Das Lied kannte ich nicht, aber nach ein paar Takten stand für mich fest, dass ich es mir unbedingt besorgen musste.
Musik hatte schon seit jeher eine krasse Wirkung auf mein Befinden, aber diese hier hob sie auf ein völlig neues Level an. Die sanften Gitarrenklänge, die ebenfalls von ihm kamen, in Kombination mit seiner Stimme jagten mir eine Gänsehaut nach der nächsten über den ganzen Körper, ein fast vergessenes Glücksgefühl stieg in mir auf. Am liebsten hätte ich die Augen geschlossen, zog es jedoch vor, diesen faszinierenden Mann weiter zu bewundern. Er schien ein Einheimischer zu sein, auf jeden Fall aber südländischer Herkunft. Seine Finger glitten über die Saiten, als würden sie den ganzen Tag nichts anderes machen.
Donnernder Applaus riss mich aus den Träumen. Der Song war zu Ende, was ich zutiefst bedauerte. Der Musiker öffnete seine dunklen Augen, sein Lächeln war immer noch verträumt. Er nickte in die Menge, ließ den Blick schweifen und blieb an mir hängen. Nach wie vor erfüllt von der Euphorie, die seine Stimme in mir geweckt hatte, strahlte ich ihn an. Vermutlich grinste ich wie ein Honigkuchenpferd, was mir gerade herzlich egal war. Er sollte wissen, was er damit in mir ausgelöst hatte.
Es schien anzukommen. Der Sänger nickte mir zu, verließ die Bühne und verschwand in der Menge, die sich sofort um ihn tummelte.
Seufzend wandte ich mich meinem Bier zu. Die Frage nach dem Songtitel konnte ich wohl vergessen, denn bis ich mich durch diese Damentraube gekämpft hätte, wäre er garantiert schon verschwunden. Oder völlig entnervt.
In Gedanken ließ ich die letzten Minuten Revue passieren. Versuchte, den Klang seiner Stimme fest in meinem Kopf zu verankern, um sie möglichst lange parat zu haben. Erschrocken fuhr ich herum, als ich sie plötzlich lebensecht hinter mir hörte.
Da stand er, aus der Nähe noch schöner als eben auf der Bühne. Seine temperamentvollen Augen funkelten freundlich, volle Lippen entblößten ebenmäßige Zahnreihen. »Hola, yo soy Tadeo.«
Ich ergriff seine dargebotene Hand und musste mich räuspern, ehe auch ich mich, wohlweislich auf Englisch, vorstellen konnte. »Ich bin Arian. Das war ... grandios!«
Er deutete eine Verbeugung an. »Vielen Dank. Das ist mein neuester Song, heute war Premiere. Freut mich, wenn er gut ankommt.«
Ganz von allein schießen meine Augenbrauen in die Höhe. »Du hast ihn selbst geschrieben?«
»Claro, all meine Songs schreibe ich selber.«
Da hatte ich einen Musiker vor mir stehen, vielleicht sogar berühmt, und blamierte mich bis auf die Knochen. »Sorry, ich bin nicht von hier. Ich kenne dich nicht.«
Er musterte mich und sprach dann in gebrochenem Deutsch weiter. »Du bist Alemán, richtig?«
»Ja.« Ich grinste. »Merkt man mir das an?«
»Si. Aber das meine ich ... Wie sagt man? Positivo!«
Nun war ich derjenige, der die Verbeugung andeutete. »Gracias. Sag mal, bekommt man deine Songs auch zu kaufen?«
»No. Nicht für dich.«
Nicht für mich? Hatte er mich falsch verstanden? Ich runzelte die Stirn, und noch während ich überlegte, schlug er sich die Hand vor den Mund. »Oh, no! So meinte ich das nicht! Naturalmente du kannst meine Musik haben! Aber ich schenke sie dir.«
Erstaunt wie erfreut hob ich die Brauen. »Oh, das ist … Das freut mich sehr! Wie komme ich dazu?«
»Ich habe gesehen, dass du liebst meinen Song. Deine Augen waren verträumt und glücklich. Das ist es, warum ich diese Musik schreibe.«
»Wow, das hast du gesehen? Dabei hätte ich gedacht, dass du selbst voll in deiner Melodie versunken warst.«
»Oh, ich war. Aber immer mit einem viertel Auge beim Publikum. Weil ich wissen muss, wie es ankommt.«
Das lockte ein Lächeln auf meine Lippen. »Ja, das verstehe ich. Aber du kannst dir sicher sein, dass deine Musik perfekt ankommt.«
Lief er gerade rot an? Süß! Tatsächlich wandte er sich ab und rieb sich verlegen den Nacken. »Gracias. Du kommst mit mir? In meine Wohnung? Dann kann ich dir geben die Musik.«
Nichts lieber als das! Ich exte mein Bier und winkte dem Kellner zu, um zahlen zu können, doch Tadeo schob sich zwischen uns. »Ich mache das.« Nach einem kurzen Wortwechsel der beiden grinste er mich an. »Fertig.«
»Vielen Dank!« Ich warf ihm ein strahlendes Lächeln zu und verspürte eine gewisse Vorfreude. Irgendetwas sagte mir, dass dieser Abend durchaus erfolgreich werden könnte.
Unterwegs warf er mir einen nahezu schüchternen Seitenblick zu. »Und? Wartet deine Freundin zu Hause?«
Meine Hoffnung stieg weiter an. »Nein. Das wird auch niemals passieren. Und um deiner nächsten Frage zuvorzukommen – da ist auch kein Mann, der auf mich wartet.«
Kurz hielt er die Luft an und stieß sie dann scharf aus. War das ein stiller Jubel gewesen?
Er legte seinen Arm um meine Schultern. »Diese Antwort gefällt mir.«
Das wollte ich hören. Langsam zog sich die freudige Erwartung bis in meine Lenden. Ich fühlte mich wie in einem Traum. Einem verdammt schönen Traum wohlgemerkt, und ich würde tunlichst dafür sorgen, dass ich so schnell nicht daraus aufwachte. Einen besseren Partner für einen One-Night-Stand konnte ich mir schließlich nicht wün... Zane.
Was machte er plötzlich wieder in meinem Kopf? Und das jetzt, wo ich diesen Hingucker mit der traumhaften Stimme an meiner Seite hatte!
Nein. Den Abend würde ich mir nicht versauen lassen. Schon gar nicht von einem Kerl, den ich nie wiedersehen würde! Zumal ich nicht mal seine sexuelle Orientierung kannte.
***
Was auch immer Tadeo versuchte – bei mir tat sich nichts. Gar nichts. Trotz seiner wirklich grandiosen Ideen.
Schließlich seufzte ich frustriert und bat ihn, aufzuhören und sich neben mich zu legen. Es war mir nicht nur unheimlich peinlich, sondern tat mir auch ehrlich leid.
Aber er trug es mit Fassung. »Du machst Urlaub wegen ... wie sagt man? Liebeskummer?«
Erstaunt sah ich ihn an. »Nein! Ich bin nicht der Typ für eine feste Beziehung. Das verträgt sich nicht mit dem Job und außerdem brauche ich meine Freiheiten. Wie kommst du darauf, dass ich Liebeskummer hätte?«
»Das Eine schließen Andere nicht aus. Aber okay. Ich finde dich trotzdem nett, auch wenn ich dich scheinbar nicht anmache.«
Er lachte dabei, dennoch befürchtete ich, dass diese Tatsache nicht gut für sein Ego war. Zumal ich es selbst nicht verstand. In der Bar hatte er durchaus eine gewisse Anziehung auf mich gehabt. Bis ... Oh, verdammt. Sollte er mit seiner Theorie wirklich recht haben? Hatte Zane eine derartige Wirkung auf mich?
Klar, nach fünf Minuten Anzicken. Ganz bestimmt. Und selbst wenn – so großartig er auch aussah, er hatte in meinem Schädel nichts verloren. Punkt.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Tadeo mich beobachtete. Ein wissendes Lächeln umspielte seine Lippen.
Seufzend zuckte ich die Schultern. »Vielleicht hast du doch recht. Da schwirrt tatsächlich jemand in meinem Kopf herum, der ganz süß ist. Aber ich werde ihn nie wiedersehen, darum sollte ich ihn schleunigst vergessen. Vor allem, wenn er es mir dadurch mit einem großartigen Mann wie dir versaut.« Ich beugte mich vor und drückte ihm einen Kuss auf den Arm. »Das bist du wirklich. Und es tut mir ehrlich leid, dass mein kleiner, sturer Arian nicht mitgespielt hat.«
»Oh, so klein der ist gar nicht.«
Wir lachten beide auf, wobei ich allerdings schnell wieder ernst wurde. »Na gut, aber stur ist er trotzdem.«
»Ja, ich hätte wirklich gerne mehr gesehen. Gespürt. Es ist nett mit dir.«
Das versetzte mir einen Stich. Tief seufzend lehnte ich meinen Kopf auf seine breite Brust. Ob die von Zane wohl auch so ... Schluss jetzt! »Es tut mir ehrlich leid. Das liegt wirklich nicht an dir.«
»Ach, was solls. Manchmal es ist eben so. Und du musst dich nicht entschuldigen, denn deinen Job hast du wirklich Excelente gemacht.«
Ich zuckte lediglich die Schultern und strich gedankenverloren über seine wenigen Brusthaare. Drückte ihm noch einen Kuss drauf und schwang mich auf die Bettkante. »Entschuldige, ich bin müde und muss morgen früh raus, wenn ich meinen Flieger passend erwischen will.«
»Du fliegst schon wieder?« In seiner Stimme war deutlich die Enttäuschung herauszuhören. Ich schloss die Augen, denn mir ging es ähnlich. Auch ich hätte diesen Abend gerne wiederholt – diesmal ohne ihn vom nicht mal anwesenden Schönling versauen zu lassen. Seit wann achtete ich derart aufs Aussehen? Das war ja schlimm!
»Ja. Leider. Es gefällt mir hier, aber ich muss übermorgen auch wieder arbeiten. Vielleicht können wir das ja in ein paar Monaten nochmal wiederholen?«
»Con mucho gusto, wirklich sehr gerne. Ich habe auch ein Zimmer für dich, jederzeit. Gibst du mir deine Nummer? Im Austausch zu meine Musik?«
Ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Lippen, was mir ein Grinsen entlockte. Gewusst wie. Aber ich hatte absolut nichts dagegen, mit ihm in Kontakt zu bleiben. »Klar. Hast du ein Handy hier? Dann tippe ich die direkt ein.«
Er gab es mir und rief mich im Anschluss an, sodass ich seine ebenfalls abspeichern konnte. Was ich sehr gerne machte.
***
Nachdem ich am nächsten Tag meinen Koffer gepackt hatte, blieb mir noch etwas Zeit. Ein letztes Mal besuchte ich die Strände, verabschiedete mich vom Meer. Es tat mir in der Seele weh, und doch war ich unendlich dankbar für die Entspannung der letzten Tage. Und die neue Bekanntschaft mit Tadeo, die sich hoffentlich auch auf die Entfernung vertiefen würde. Ich mochte ihn wirklich gern.
Zu all den teils brennenden Gefühlen blitzte immer wieder die Erinnerung an Zane durch. Ich tat es als missglückte Urlaubsschwärmerei ab und drängte ihn wieder zurück in einen versteckten Winkel meines Gehirns, auf den ich nicht mehr zugreifen wollte. Was nützte es denn, ständig an ihn zu denken? Allen »Was wäre, wenn«-Fragen nachzugehen. Es hatte nicht mal annähernd zur Debatte gestanden.
Um mich abzulenken, ging ich an der Bar von gestern Abend vorbei, in der Hoffnung auf ein kurzes Wiedersehen mit Tadeo. Leider erfolglos. Wie seine Schwester, der dieser Club gehörte, mir sagte, war er ins Tonstudio nach Palma gefahren. Ich schluckte die Enttäuschung herunter, ließ ihm meinen Gruß ausrichten und machte mich auf den Weg zum Flughafen.
Ich würde wiederkommen. Spätestens nächstes Jahr. Und ich freute mich schon jetzt darauf.
Die nächsten Stunden machten jegliche Erholung zunichte. Erst waren sich die Leute bei der Sicherheitskontrolle unsicher, ob meine Powerbank den Anforderungen entsprach. Als das endlich geklärt war, hatte das Flugzeug zwei Stunden Verspätung. Mein Nebenmann sägte mindestens einen Regenwald ab, mit dem Kopf an meiner Schulter. Selbst nach der Landung bekam ich ihn zunächst nicht wach, sodass wir, trotz der dritten Reihe, erst mit dem letzten Schwung Passagieren herauskamen. Beim nächsten Flug würde ich auf den Fensterplatz verzichten und einen am Gang reservieren, so viel war sicher.
Meinen Koffer erhielt ich ebenfalls mit einiger Verspätung, sodass ich den Zug nach Münster und somit auch den letzten Nachtbus nach Hause verpasste. Wie gut, dass ich als Krankenpfleger reich war und mir problemlos ein Taxi für eine fast Dreißigkilometerstrecke leisten konnte. Nicht.
Als ich endlich zu Hause ankam und halbtot ins Bett fiel, ging bereits die Sonne auf. Großartig. Drei Stunden Schlaf vor einem Spätdienst am OP-Tag. Besser konnte es kaum laufen.
Entsprechend gerädert erreichte ich mittags meine Station und hoffte inständig, noch Zeit für einen Kaffee zu haben, bevor es losging.
Weit gefehlt. Kaum war ich umgezogen und auf dem Weg zum Dienstzimmer, lief mir meine Kollegin Christine über den Weg. »Arian! Schön, dass du wieder da bist! Kannst du mir direkt helfen? Die anderen sind alle beschäftigt und den Patienten bekomme ich nicht alleine gelagert.«
Großartig. Ja, der Urlaub war schön und erholsam, danke der Nachfrage.
Ich war ihr nicht böse. Hier herrschte das Chaos, wie befürchtet. Es ging genauso weiter, wie es aufgehört hatte, und das nervte mich. Aber das war nicht ihre Schuld. »Klar, ich bringe nur schnell meine Tasche weg.« »Super, ich erwarte dich in Achtzehn.«
Mit einem herzhaften Seufzer eilte ich in die Küche, wo ich den Rucksack in mein Fach stopfte. Sehnsüchtig schielte ich zur Thermoskanne auf dem Tisch. Hoffentlich ließen mir die Kollegen noch etwas übrig. Den Kaffee hatte ich bitternötig.
Aber der musste warten. Ich eilte zum besagten Zimmer und zog mir beim Eintreten Handschuhe aus den Spendern. Stellte mich dem Patienten im ersten Bett, Herrn Meinert, vor, neben dem Christine bereits alles vorbereitet hatte. Vielleicht kam ich ja doch noch zu meinem Kaffee. Gewohnheitsgemäß sah ich zum Nachbarbett herüber, um mich auch dieser Person vorzustellen.
Und erstarrte.
Sein Shirt kam mir bekannt vor. Es sah aus wie das, welches ich Zane zum Kühlen überlassen hatte. Es saß ziemlich eng an dem durchtrainierten Oberkörper ...
Zögernd ließ ich den Blick nach oben gleiten. Ein dunkles, geheimnisvolles und überaus irritiertes Augenpaar fixierte mich. Mein Herz setzte für mindestens einen Schlag aus, ehe es zu rasen begann. Wie war das möglich?
»Zane! Wieso bist du hier?«
»Weil ich mir das Sprunggelenk gebrochen habe?« Er schien sich gefasst zu haben und grinste mich schief an, was ich bemüht entspannt erwiderte.
Ob er die Schmetterlinge in meinem Bauch flattern sah?
Was bitte dachte ich denn da für einen Schwachsinn? Es wurde höchste Zeit für eine Ablenkung.
»Stimmt, da war was«, sagte ich zwinkernd. Mein Grinsen erstarb, als ich die Metallstangen aus seinen Knochen ragen sah. Wenn er einen Fixateur bekommen hatte, war der Fuß richtig kaputt. »Wow, da hat es dich aber ordentlich erwischt.«
»Halbe Sachen habe ich noch nie gemacht.« Er wurde ernst. »Nächstes Mal höre ich auf dich.«
Bekräftigend hob ich den Zeigefinger. »Besser ist das.«
»Oh ja, auf Arian sollte man immer hören«, stimmte Christine grinsend zu. »Ihr kennt euch also?«
»Ja«, erwiderte Zane, während ich zeitgleich ein »Nein« von mir gab. »Also, kennen wäre zu viel gesagt«, fügte ich eilig hinzu.
Christine sah von ihm zum mir und zuckte schließlich die Schultern. »Ist ja auch egal. Können wir?«
»Ja, klar.«
Während wir Herrn Meinert versorgten, huschte mein Blick wie von allein immer wieder zu Zane, der konzentriert in den kleinen Fernseher am Bett zu starren schien. Ich hatte schon vergessen, wie gut er aussah.
»Arian?«
Erschrocken sah ich Christine an, die grinsend zum Patienten deutete. »Du kannst ihn loslassen, er muss sich jetzt zu mir drehen.«
»Oh ... Klar. Sorry, war gerade in Gedanken.«
»Mhm.« Wissend nickte sie und schmunzelte, während mir das Blut in den Kopf schoss. Ich schielte zu Zane, der mich ebenfalls ansah. Mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte. Mein Puls raste, als ich mich eilig der Arbeit zuwandte. Das fing ja schon großartig an. Man könnte wohl sagen, ich war urlaubsreif.
Bei der Übergabe fünf Minuten später, mit dem lang ersehnten Kaffee in der Hand, fiel mir die Konzentration nach wie vor schwer. Ständig sah ich Zane vor mir, in mein Shirt gepresst, was ein verdammt heißer Anblick war. Andererseits fragte ich mich, warum er ausgerechnet das Teil angezogen hatte. Denn dass es viel zu eng war, dürfte auch ihm nicht entgangen sein. Entweder hatte er keine saubere Wäsche mehr, oder ... Ich wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Zumal das völliger Blödsinn war. Als ob er mich vermissen würde, nachdem er mich auf diese wenig freundliche Weise weggejagt hatte.
»Geht das klar, Arian?«
Erschrocken fuhr ich zu Anna herum. Mit ihr und Katja würde ich heute den Spätdienst schieben. »Was?«
Sie stemmte die Fäuste in die Seiten und musterte mich mit gespielt finsterer Miene. »Also, Herr Orloff, so geht das nicht. Ich glaube, du hast gleich eine Menge zu erzählen, diese Herzchen in deinen Augen sind ja schon gruselig! Aber vorher schaltest du bitte kurz deinen Verstand wieder ein. Oder sag einfach ja, das reicht mir schon.«
»Ja? Wozu?«
»Danke!« Sie wandte sich an Katja. »Prima, dann ist das ja geklärt.«
»Äh, was ist geklärt?«, hakte ich nach und erntete ein herzhaftes Lachen der beiden Kolleginnen.
Katja nahm meine Hand und führte mich zu einem der Schreibplätze. »Dass du den mittleren Bereich übernimmst, ist geklärt. Hast du jedenfalls gerade bestätigt. Da du aber während der Übergabe gepennt hast, bekommst du noch zehn Minuten, um alles zu deinen Patienten nachzulesen. Anna und ich gehen schon mal arbeiten.«
Die beiden ließen mich grinsend allein. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich ihnen hinterher. Unfähig, etwas zu sagen, was allerdings bitternötig gewesen wäre. Ich konnte die Mitte nicht übernehmen! Da ... lag Zane.
Mein Herz flatterte, die Knie gaben unter mir nach. Schnaufend ließ ich mich auf den Stuhl fallen und blinzelte. Scheiße. Was sollte ich denn jetzt machen? Sobald ich das Zimmer betrat, würde ich meinen Verstand draußen vergessen. Das konnte gar nicht gutgehen!
Nein, ich musste mit den beiden reden. Sonst würde irgendjemand diesen Dienst nicht überleben. Entschlossen stand ich auf und ging in den Flur, auf das Zimmer zu, in dem die Zwei verschwunden waren. Vorbei an der Achtzehn.
Wo es in diesem Moment klingelte.
Verdammt!
Hilfesuchend sah ich den Flur in beide Richtungen ab. Aber da war niemand, der mich retten konnte. Mir blieb nichts übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und reinzugehen.
Mit geschlossenen Augen atmete ich tief durch, straffte die Schultern. Bemühte mich um ein Lächeln und trat ein. Mein Herz raste, die Hand zitterte, als ich die Klingel quittierte. Hoffentlich sah Zane das nicht! »Was gibt‘s?«
Da lag er, sah mich an. Mit ausdrucksloser Miene. Autsch.
»Mein Tropf ist leer.«
Sein typisch englisches halb verschlucktes R verpasste mir eine Gänsehaut. Aber die unterdrückte ich, denn seiner Mimik nach zu urteilen freute er sich weniger, mich zu sehen.
»Klar, ich mach ihn dir ab.«
Mit zusammengepressten Lippen holte ich einen Stöpsel aus der Schublade und ging zu ihm. Fixierte konzentriert den Zugang in seinem Arm und machte mich daran, den Schlauch abzuschrauben.
»Geht es dir gut?«
Herrgott, warum klang er jetzt besorgt? »Klar, wieso?«
»Weil du zitterst.«
Super. »Ich hab noch nichts gegessen. Bin heute früh erst nach Hause gekommen, weil der Flieger Verspätung hatte und ich darum die Bahn verpasst hab.«
Er griff in die Schublade seines Nachtschränkchens und hielt mir den verpackten Kuchen vom Mittagstablett hin. »Hier.«
Ich schluckte. Was gab das jetzt? Wie konnte man derart unterschiedliche Signale in so kurzer Zeit senden?
Stirnrunzelnd sah ich auf den Kuchen, dann ihn an. »Danke, aber das ist deiner. Ich kriege gleich schon was.«
»Ich bin eh satt. Und du kannst ihn vertragen.«
Der nächste Stich, den er mir versetzte. Ja, ich war ein Hänfling. Aber musste er mir das an den Kopf knallen?
Hatte er nicht, das war mir klar. Dennoch taten die Worte aus seinem Mund weh. Was ich mir nicht anmerken lassen durfte. »Wie gesagt, ich bekomme gleich was. Kann ich sonst was für dich tun?«
Kommentarlos schüttelte er den Kopf und verstaute das Gebäck wieder in der Schublade. Hatte ich ihn jetzt enttäuscht? Wenn, dann konnte er das verdammt gut überspielen. Seine Miene war nach wie vor ausdruckslos.
Okay. Ich musste mich wohl auf lange Dienste einstellen. Um spätestens nach seiner Entlassung alle Kraftanstrengung darauf zu legen, ihn endgültig aus dem Schädel zu bekommen.
Ich wandte mich ab und seinem Bettnachbarn zu. Er schlief. Sehr gut. Leise verließ ich das Zimmer, ohne Zane nochmal anzusehen. Schlurfte den Flur herunter und ließ mich vor dem PC auf den Stuhl fallen. Nicht, dass ich mich jetzt besser konzentrieren konnte. Aber es nützte nichts. Schließlich musste ich wissen, wen ich betreute.
Kaum hatte ich mich eingeloggt, stand Katja hinter mir. »Wie jetzt? Du hast nicht mal eine Patientenakte geöffnet!«
Ich sah sie nicht an. »Nein. Dafür aber schon gearbeitet.«
Der Stuhl neben mir knatschte, als sie sich daraufsetzte und näher zu mir rollte. Mit beschwörender Stimme murmelte sie: »Es ist der Evans, richtig?«
Ein Schauer durchfuhr mich allein bei seinem Namen.
»Was ist mit ihm?« Das klang weniger unschuldig als geplant. Super. So schnell hatte ich verloren.
»Christine hat erzählt, dass du ihn schon kennst. Näher? Ich meine, schnucklig ist er ja!«
Noch immer vermied ich Blickkontakt mit ihr. »Können wir da später drüber reden? Ich muss mich konzentrieren.«
»Ich kann dir auch alles erzählen, den Bereich hatte ich bis gestern. Ist nur ein Neuer zugekommen, den Rest kenne ich in- und auswendig. Da brauchte ich echt mal was Anderes, weil da nur Langlieger sind, wobei ich deinen Zane gerne mitgenommen hätte.«
Sie grinste, als ich auf meinem Stuhl hochfuhr. »Das ist nicht mein Zane! Klar?«
»Oh, dann darf ich ihn haben?«
Unwillkürlich schluckte ich. Natürlich. Er war mit Sicherheit hetero. Wie alle interessanten Kerle, die ich bisher kennengelernt hatte. Abgesehen von Tadeo. Wobei sich mir die Frage stellte, ob ich ohne Zanes verstandsruinierende Existenz in meinem Schädel andere Gefühle für ihn entwickelt hätte.
Tat auch nichts zur Sache. »Nimm ihn dir doch.« Ich schaffte es nicht, sie dabei anzusehen.
»Aha. Also, soll ich dir alles zu deinen Patienten erzählen? Im Gegenzug will ich aber auch was hören!«
»Es gibt nichts, was ich dir sagen könnte. Ja, ich hab seinen Unfall mitbekommen, aber er hat mich weggejagt. Das ist schon alles. Und schon bist du dran.« Nun grinste ich sie doch an. Pech gehabt, die Lovestory fiel aus.
Entsprechend enttäuscht war ihre Miene, als sie sich zurücklehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. »Echt jetzt? Und dafür machst du so ein Drama?«
»Augenblick mal!« Ich stieß mich auf dem Stuhl zurück und drehte ihn zu ihr um. Stemmte die Fäuste in die Seiten und funkelte sie an. »Wer macht hier bitte das Drama? Ich habe kaum geschlafen, hatte erst einen Kaffee und nichts zu essen. Das mit Evans ist eure Einbildung, da kann ich nichts für!«
Ich sah ihr an, dass sie es mir nicht abkaufte. Dennoch zuckte sie nach einem Moment die Schultern. »Okay, wie du willst. Dann lies mal die Akten.«
»Hey! Du hast gesagt ...«
»... dass ich es dir erzähle, wenn ich im Gegenzug die Wahrheit höre. So haben wir nicht gewettet.« Sie stand auf. »Ich muss arbeiten.«
Mit einem genervten Stöhnen sah ich ihr hinterher. Das hatte ja super geklappt. Vielleicht sollte ich wirklich nach Mallorca auswandern. Zu Tadeo. Der war mir gerade wesentlich lieber als alle hier in Deutschland.
Die nächsten Stunden waren, wie befürchtet, katastrophal. Das Telefon stand nicht still, genauso wenig die Patientenklingeln. Ständig war einer von uns unterwegs zum OP oder Aufwachraum, die anderen beiden kümmerten sich um die Station. Mein Magen hing mir förmlich in den Kniekehlen, denn er war immer noch leer. Nicht mal Flüssigkeit hatte er nach dem einen Kaffee bekommen. Wenigstens musste ich dadurch nicht aufs Klo – das hätte zeitlich ohnehin nicht gepasst.
Schweißnass und schnaufend ließ ich mich, nachdem das Abendbrot verteilt war, auf den Stuhl vor dem PC fallen. Manchmal hatte der Dokumentationswahnsinn ja doch seine Vorteile – man konnte endlich mal sitzen. Auch wenn es an der Konzentration haperte. Aber Halt, jetzt konnte ich etwas trinken. Eilig goss ich mir den Rest des Kaffees von heute Mittag in eine Tasse. Sie wurde halbvoll und das Zeug war kalt. Eklig. Inzwischen war mir das allerdings egal, ich brauchte dringend was Flüssiges und das bestenfalls mit Koffein versetzt.
Mit schnellen Schritten ging ich zurück zu meinem Platz und klickte auf dem Bildschirm herum. Öffnete versehentlich die Laborwerte von Herrn Meinert auf Achtzehn. Trottel.
Ehe ich meinen Fehler berichtigen konnte, fielen mir seine Kaliumwerte auf. Scheiße, die waren viel zu niedrig. Von wann war der Wert?
Von gestern. Meine Suche nach einer Maßnahme dagegen war erfolglos. Das konnte nicht wahr sein! Erschrocken riss ich das Telefon aus der Tasche, das in diesem Moment klingelte. Nicht jetzt, verdammt!
Doch. Die nächste OP konnte abgeholt werden. »Ich brauche ein paar Minuten.« Damit legte ich auf, ehe es zur Diskussion kommen konnte. Ein derart niedriger Kaliumwert hatte Vorrang.
Ich tippte die Nummer des diensthabenden Arztes ein.
»Was?«, fuhr er mich sichtlich genervt an.
Dennis Mirquard. Wenn ich seine Stimme schon hörte, verging mir alles. Aber er war nun mal der zuständige Arzt. »Arian hier. Herr Meinert hat einen Kalium von zwei Komma zwei.«
»Und?«
Ich blinzelte. Mein Gehirn ratterte. Perplex hob ich das Telefon vom Ohr und starrte es an, als würde nun ein Geist rauskommen und mich mit April April auslachen.
»Er hat einen Kalium von knapp über zwei!«, wiederholte ich.
»Ich bin nicht taub. Was willst du jetzt von mir?«
»Was ich will? Der Patient gehört auf die Intensiv mit so einem Wert!«
»Weil?«
Alter, hatte er das Studium gemacht oder ich? Heiße Lava der Wut brodelte in meinen Adern. Das war ein ausgelernter Arzt, der musste das doch wissen! »Weil er jeden Moment Kammerflimmern bekommen kann, darum, verdammt! Ordne wenigstens eine Kaliuminfusion an oder so!«
Okay, das war zu viel gewesen. »Überleg dir, mit wem du redest!«, brüllte er in mein Ohr. »Ich treffe die Entscheidungen und du übertreibst mal wieder maßlos!«
Ein Tuten beendete seine Schimpftirade. Mein innerer Vulkan brach aus. Mit einem wütenden Aufschrei feuerte ich das Telefon auf die Ablage. »Du unfähiger ...« Nur mit Mühe konnte ich mir eine derbe Beschimpfung verkneifen, da in dem Moment Angehörige über den Flur liefen und mich erstaunt ansahen.
Ich bemühte mich um ein Lächeln, was mir nicht gelingen wollte. Noch weniger, als sie an mich herantraten. Ich musste die Vitalwerte von Herrn Meinert checken, verdammt!
»Entschuldigung, wie sind denn die Besuchszeiten hier?«, erkundigte sich die Frau.
Ich griff in die Ablage und riss einen Flyer heraus. »Hier steht alles drin, inklusive unserer Telefonnummer. Entschuldigen Sie mich.«
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