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**Sie hat das Spiel gewonnen – doch der wahre Kampf beginnt jetzt** Romina ist die neue Hexenfürstin. Doch statt über die dreizehn Zirkel zu herrschen, ist sie auf der Flucht – vor der Verantwortung, ihren Feinden, den Albträumen, in denen der Teufel selbst sie heimsucht. Währenddessen erschüttert eine Mordserie die magische Welt: Jemand tötet die Ersten Hexen. Und ausgerechnet Ayden, ihr Erzfeind, der Mann, den sie zu nah an sich herangelassen hat, spürt Romina auf, um sie zu beschuldigen. Sie muss sich einer erschreckenden Wahrheit stellen, wenn sie überleben will. Und sich fragen, ob sie erneut bereit ist, den Preis für ihren Sieg zu zahlen ... Macht, Tod und Verrat treffen auf den Mut, sich den eigenen Dämonen zu stellen – selbst, wenn diese direkt aus der Hölle kommen. Für alle Fans der Tropes Forbidden Love, Forced Proximity und Reluctant Hero. //»Revenge & Redemption« ist der erste Band der fesselnden Urban-Fantasy-Dilogie »Game of Covens«. Alle Titel der Reihe: -- Band 1: Game of Covens. Curses & Betrayal -- Band 2: Game of Covens. Revenge & Redemption Diese Reihe ist abgeschlossen.//
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Veröffentlichungsjahr: 2025
COVE Story
More than a feeling.
COVE Story ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische E-Books und Prints. Wenn du süchtig machende Romance- und Romantasyromane deutschsprachiger Autor*innen suchst, ob von Newcomer*innen oder Vielschreiber*innen, wirst du hier garantiert fündig. Jede COVE Story lässt dich durch die Seiten fliegen und ist auf ihre eigene Art und Weise einzigartig.
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Anne Harmon
Revenge & Redemption (Game of Covens 2)
**Sie hat das Spiel gewonnen – doch der wahre Kampf beginnt jetzt**
Romina ist die neue Hexenfürstin. Doch statt über die dreizehn Zirkel zu herrschen, ist sie auf der Flucht – vor der Verantwortung, ihren Feinden, den Albträumen, in denen der Teufel selbst sie heimsucht. Währenddessen erschüttert eine Mordserie die magische Welt: Jemand tötet die Ersten Hexen. Und ausgerechnet Ayden, ihr Erzfeind, der Mann, den sie zu nah an sich herangelassen hat, spürt Romina auf, um sie zu beschuldigen. Sie muss sich einer erschreckenden Wahrheit stellen, wenn sie überleben will. Und sich fragen, ob sie erneut bereit ist, den Preis für ihren Sieg zu zahlen …
Buch lesen
Vita
Danksagung
© Pascal Nguyen
Anne Harmon wurde als eines der letzten 90er Kinder im wunderschönen Süden Deutschlands geboren. Das Schreiben bietet ihr einen kreativen Ausgleich zu der Welt der Algorithmen, Logik und Software, in der sie sonst versinkt. Sie liebt Bratapfeltee, Friends und die Winterzeit, wenn die Eishallen öffnen. Falls keine eisigen Bühnen zur Verfügung stehen, tritt sie mit ihrer Vocal Group auf.
Für alle, die noch um ihren Platz in der Welt kämpfen.
Liebe*r Leser*in,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.
Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.
Anne Harmon und das COVE-Story-Team
1. Vates: die Wahrsager
2. Maledictas: die Fluchhexen
3. Sanguise: die Bluthexen
4. Veneficiis: die Tränkemischer
5. Medicuse: die Heilerhexen
6. Animalis: die Tierhexen
7. Miraculas: die Schmiedhexen
8. Necromancas: die Totenbeschwörer
9. Ritualias: die Ritualhexen
10. Somnias: die Traumhexen
11. Daemonis: die Dämonenhexen
12. Runic: die Runenhexen
13. Transformia: die Wandlerhexen
Die Hexenfürstin war tot.
Ein Rabe flog durch die Nacht.
Die Spiele beendet im Höllenfeuer.
Der Hexer lief über die verlassenen Wege. Die Stille wurde nur durchbrochen vom Knirschen seiner Schritte sowie gelegentlichem Kreischen und Heulen. Der schwache Schein eines Lichtersteins flackerte und beleuchtete den alten, metallischen Käfigzaun vor ihm. Ein tiefes Brummen, fast schon ein Knurren, kam von irgendwoher, aber das Tier, das die Geräusche verursachte, war nicht zu sehen.
Er ging gerne nachts durch den Zoo, probierte neue Flüche an den gefangenen Kreaturen oder streifte wie heute nur zwischen den Gehegen hindurch, um einen freien Kopf zu bekommen. Um sich den düsteren Gedanken hinzugeben, die ihn quälten.
Wie war es nur gekommen, dass er mit zwei so nichtsnutzigen Söhnen bestraft wurde? Es flackerte immer noch heiße Wut durch seine Adern, wenn er daran dachte, wie sein Ältester das Spiel der Zirkel ohne einen einzigen Gegenstand in dem Pentagramm beendet hatte. Nun hatte sogar dieses Veneficiis-Mädchen gewonnen, das er so sehr hasste. Er wollte in keiner Welt existieren, in der einer dieser Ratten auf dem Thron saß. Unwillkürlich ballte er die Hand zur Faust, um die Funken zu ersticken, die sich zwischen seinen Fingern gebildet hatten. Vielleicht musste er heute Nacht doch noch ein paar Flüche ablassen.
Schmutziges braunes Fell streifte an den Gitterstäben entlang, als sich der Löwe kurz aus der schützenden Dunkelheit wagte. Den König der Tiere hatte er bisher noch nicht bezwungen. Er durfte nur nicht töten. Das würde wieder einen unnötigen Skandal nach sich ziehen. Der Zoo bekäme zu viel Aufmerksamkeit, Sicherheitsleute würden eingestellt werden und dann musste er sich nachts auch noch mit denen herumschlagen.
Da. Der fahle Glanz von Augen, die im Dunkeln lauerten. Eigentlich wollte er nicht diesem Tier das Herz herausschneiden, sondern der verfluchten Trankhexe. Er wollte den gesamten Zirkel wie Kakerlaken zertreten. Stattdessen hatte sein eigener Sohn zugelassen, dass sie sich auf den Thron schwang. Für einen Moment dachte er daran, auch ihm das Genick zu brechen, zusammen mit seinem nutzlosen Bruder, der nur eine weitere Missgeburt war, so wenig Magie, wie ihn ihm schlummerte. Er konnte nicht mal seinen eigenen Fluch lösen, interessierte sich für nichts als seine Instrumente.
Der Hexer war noch nicht zu alt, er könnte neue Kinder bekommen. Kinder, die dieses Mal tatsächlich taugten. Er verlor sich in dieser traumhaften Vorstellung, eine neue Dynastie aufzubauen.
Ein Rascheln hinter ihm ließ ihn aufschrecken. Es kam nicht, wie zuerst angenommen, aus einem der Käfige. Er wirbelte herum, aber es war nur der Schatten eines Baumes, der sich im Wind wog. Eine große Eule saß auf einem Ast über ihm.
Er schob die Ärmel nach oben. Zeit, sich mit dem Löwen zu befassen. Voller Vorfreude drehte er sich zurück zum Käfig, nur um in leuchtende Augen zu blicken.
Nur dass es nicht die des Löwen waren.
Der Schock flutete so allumfassend den Raum, ich konnte ihn sogar auf der Zunge schmecken.
Niemand hatte geglaubt, dass ich es wirklich schaffen würde. Dass ich siegen würde.
Doch das hatte ich.
Langsam drehte ich mich im Kreis, betrachtete die Augenpaare, die sich von der steinernen Tribüne in mich gruben. Bis ich merkte, dass es nicht ich war, die sich drehte, sondern die gesamte Arena. Sie rotierte immer schneller um mich herum, bis die Hexen und Hexer zu einem Brei aus dunklen Farben verschwammen.
Gehetzt versuchte ich in eine Richtung zu flüchten, aber die rasante Rotation des Raumes verwirrte meinen Gleichgewichtssinn. Ich stolperte, hielt mich gerade noch schwankend auf den Beinen.
Kurz bevor ich vor Schwindel meinen Mageninhalt hinaufwürgte, beruhigte sich der Raum wieder und kam nach und nach zum Stillstand. Es dauerte einen weiteren Moment, bis mein Gehirn aufholte. Ich erkannte, dass ich plötzlich allein in der Arena war. Fast zumindest, denn eine Gestalt saß lässig auf dem ersten Rang der Tribüne.
Kälte und Dunkelheit krochen durch meine Knochen und infizierten jeden Teil von mir bis zu meiner Seele.
»Romina, du enttäuschst mich.« Seine Stimme schoss durch mich hindurch. Wie eine Axt teilte sie mich entzwei. »Rieche ich da Hochmut?«
Der Fürst der Hölle beugte sich nach vorne und stützte die Ellenbogen auf die Oberschenkel. Licht fiel auf seine grausig schönen Züge. Ich wollte nicht hinsehen, aber mir blieb nichts anderes übrig, als ihn anzustarren.
»Du hast mir ein Spiel versprochen. Bisher langweilst du mich grausig.«
»Mein Leben dient nicht deinem Vergnügen«, widersprach ich und klang dabei stärker, als ich mich fühlte.
»Das ist der Punkt, an dem wir uns nicht einig sind.« Elegant erhob er sich und schlenderte Stufe für Stufe zu mir herunter. Ein Tiger, der mit seinem Essen spielte, bevor er es verschlang.
»Dein Leben gehört mir«, flüsterte er, als er vor mir zum Stehen kam. Fast schon liebevoll hob er seine Hand, streifte mit dem Knöchel über meine Wange. Ich sah in die schwarzen Abgründe, die seine Augen waren.
»Dann hol es dir.«
Der Teufel lächelte verwegen. »Noch nicht. Aber eines Tages werde ich kommen und dich holen. Doch vorher sollst du mich unterhalten. Renn, kleine Maus.«
Bevor ich lossprinten konnte, fliehen konnte, wachte ich auf.
Schwer atmend versuchte ich Luft zu holen, mit jedem Ausatmen ein bisschen von der Kälte loszuwerden, die meinen Körper lähmte. Hastig tastete ich nach der Nachttischlampe. Grelles Licht flutete den Raum. Es vertrieb allmählich das Bild der teuflischen Fratze, das noch immer vor meinen Augen hing und mich verhöhnte.
Mit einem protestierenden Laut beschwerte sich die Person neben mir und zog den Unterarm über den Kopf, um seine Augen vor der Helligkeit zu schützen.
Ihn ignorierend sah ich mich gründlich um, aber erkannte niemanden außer uns beiden. Es war nur ein Traum, redete ich mir ein. Nur dass ich Probleme hatte, mir selbst zu glauben.
Der Hexer neben mir gab erneut ein Murren von sich und tastete mit seiner Hand nach mir.
Nein, hier konnte ich auf gar keinen Fall bleiben.
Ich sprang aus dem Bett, griff nach meinem Kleid, das ich gestern Abend achtlos auf den Boden geworfen hatte. Mit einer hastigen Bewegung zog ich es mir ungelenk über den Kopf. Dann hielt ich Ausschau nach meinem Slip. Er war nirgendwo zu entdecken, deswegen entschied ich ihn als verloren abzustempeln.
Der alte Holzboden knarrte, als ich darüberschlich. Ich warf einen letzten Blick zu dem Bett. Der Hexer war bereits wieder eingeschlafen.
Leise drückte ich die Doppeltür auf und schlüpfte aus dem Raum, bevor er ein weiteres Mal aufwachte. Die Gänge des kleinen Schlosses, dem Lustschloss, wie die Besitzerin Lore gerne betonte, waren wie ausgestorben. Selbst die feierwütigsten Bewohner waren bereits erschöpft in ihre eigenen oder fremden Betten gefallen.
Barfuß eilte ich eine steinerne Treppe nach oben und sah dabei über meine Schulter. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war immer noch da. Von ihm beobachtet zu werden. Bei all den Sünden, die in Lores Refugium vorherrschten, wäre es nicht mal überraschend, dem Teufel hier zu begegnen. In einem der Spielräume, wie er Hexen davon überzeugte, noch mehr Geld an den Spieltischen zu lassen, oder sie dazu bewog, noch eine weitere Gestalt in ihr Bett zu ziehen.
Vielleicht war ich ja wegen seiner unterschwelligen Präsenz hiergeblieben?
Mein Kopf dröhnte bei jeder Stufe, aber ich verlangsamte meine Schritte nicht. Ich wollte so schnell wie möglich in meinem eigenen Zimmer im Westflügel ankommen.
Ein Schnarren sendete ein Schock durch meine ohnehin angespannten Nerven. Ich wirbelte zu dem düsteren Gang hinter mir herum. Sofort richtete sich meine Magie auf. Ich spürte, wie die Magieströme der verschiedenen Zirkel durch mich hindurchschossen und sich verwoben. Trotz der vergangenen Monate wurde ich nicht wirklich besser darin, sie auseinanderzudröseln und zu nutzen.
Der Gang schien völlig leer. Dachte ich zumindest, bis ich im Augenwinkel eine Bewegung über mir ausmachte. Zögernd legte ich den Kopf in den Nacken, um den Blick an dem Gemälde vor mir hinaufwandern zu lassen. Es zeigte eine Abbildung, die direkt aus dem Kamasutra stammte. Auf dem monströsen goldenen Rahmen saß, sich kaum von der Schwärze des Korridors abhebend, ein Rabe.
Erleichtert schnappte ich nach Luft. Der pechschwarze Vogel legte den Kopf schief.
»Naaaa«, machte das Tier gehässig, »ist das der nächtliche Gang der Schande?«
»Solltest du nicht bei der Jagd sein oder was magische Raben nachts so treiben?«, murmelte ich, erleichtert, dass ich meine eigentliche Mission, mein Bett, wieder aufnehmen konnte.
»Wenigstens treiben wir es nicht mit jemandem«, gluckste Covus begeistert und hob ab, um neben mir herzugleiten.
»Wer sagt, dass ich mich nicht ausleben darf?«, warf ich ein und verdrehte die Augen.
»Oh, wärst du dabei glücklich, würde ich meine Meinung für mich behalten …«
»Das bezweifele ich stark«, kommentierte ich.
»Aber in diesem Gang stinkt es so gewaltig nach Selbsthass. Du weckst noch die Wölfe.«
»Vielleicht«, imitierte ich seinen gehässigen Tonfall, »empfinde ich nur Selbsthass, weil ich die dämliche Entscheidung getroffen habe, dich zu befreien.«
»Das meinst du nicht ernst«, trällerte Covus glücklich und drehte eine Schraube um einen der hohen Kerzenständer.
Nach dem Ende der Spiele war ich so weit weg geflüchtet, wie ich nur konnte. Weg von meiner Großmutter, weg von den schrecklichen Ereignissen, weg von dem grausamsten aller Dämonen und weg von allen Fehlern, die ich mit Ayden begangen hatte. Covus hatte mich schließlich zusammengekauert in der Kabine eines Schiffes gefunden. Beim Einsteigen hatte ich nicht einmal gewusst, wohin es fuhr, und es war mir auch egal gewesen. Später hatte sich dann herausgestellt, dass ich auf einer Kreuzfahrt über das Mittelmeer gelandet war. Also war ich in Mykonos wieder von Board gegangen und hatte dort einige Wochen verbracht, bevor ich zurück nach Deutschland gereist war. Ich wollte sichergehen, dass es meinem Zirkel gut ging. Vor allem Maira und Maria. Ich hatte ihnen versprochen zurückzukommen. Ob sie mich vermissten? Ob sie sich fragten, wo ich war? Was hatte Adele ihnen erzählt, warum ich nicht zurückgekommen war? Wahrscheinlich hatte sie mich genauso als Verräterin gebrandmarkt, wie sie es mit meiner Mutter gemacht hatte, nachdem Adele Lilian aus dem Zirkel vertrieben hatte, weil die Macht der Ersten Hexe auf Lilian überging.
Allerdings hatte ich es nie bis zum Hotel Hortus, dem Hauptsitz des Veneficiis-Zirkels, geschafft, sondern war seit einer Weile in Lores Refugium hängen geblieben. Es war ein wunderbarer Ort zum Vergessen. Also perfekt für mich, da ich die meiste Zeit die eigenen Gedanken in meinem Kopf nicht ertrug. Ich musste sie zum Verstummen bringen und alle Mittel dafür wurden einem hier von der geschäftstüchtigen Besitzerin Lore auf dem Silbertablett serviert. Tagsüber bezahlte ich für meinen Aufenthalt mit dem Brauen von Tränken. Dafür durfte ich ihr Etablissement nachts frei nutzen. Ich hatte mir eine Tinktur zusammengemischt, die das Rot meiner Haare überdeckte, und mich als freie Hexe ausgegeben, wie die meisten Besucher sowie Lore selbst. Bisher war meine wahre Identität unentdeckt geblieben, wofür ich sehr dankbar war.
»Runde zwei ist wohl auch noch geplant«, riss Covus mich aus meinen Gedanken und setzte sich auf meine Schulter.
»Was?«, stieß ich alarmiert aus. Einige Schritte später erkannte ich, was Covus’ Rabenaugen schon vor mir entdeckt hatten.
Jemand ging ungehalten vor meiner Zimmertür auf und ab.
»Ich habe mich mit niemandem verabredet«, erklärte ich Covus argwöhnisch. Hatte ich im Rausch etwas getan, an das ich mich jetzt nicht mehr erinnerte? Ich straffte die Schultern. Es war ganz einfach: Ich würde dem Hexer erklären, dass ich nicht interessiert war. Zumindest heute Nacht nicht mehr. Danach würde ich endlich in die köstlich weiche Matratze fallen, die hinter meiner Zimmertür auf mich wartete, und hoffentlich von weiteren Besuchen des Teufels verschont bleiben.
Die Gestalt fasste sich auf diese eine bestimmte Art an die Stirn, wie ich es nur von einer einzigen Person kannte. Mein Körper funktionierte für eine Sekunde nicht mehr, als hätte mich ein Fluch des Erstarrens getroffen. Der Mann, der vor mir stand, wäre dazu in der Lage.
Covus klapperte nervös mit dem Schnabel. »Auweia.«
Ayden sah auf. Ein weiterer kleiner elektrischer Schock durchfuhr mich, als ich in das tiefe, alles verschlingende Grün blickte. Verdammt. Wie hatte er mich gefunden?
»Romina«, sagte er schlicht und ich musste mich davon abhalten, die Augen zu schließen, um seinem Angesicht zu entgehen. Falls mich nicht der Teufel in meinen kurzen Nächten quälte, dann war es Ayden mit seiner unverkennbaren tiefen Stimme, mit der er die Buchstaben meines Namens nahm, verdrehte, aufblies und dann wieder glattzog, sodass er schöner klang, als ich ihn je gehört hatte.
Vorsichtig ging ich einen Schritt auf ihn zu, wartete auf den Angriff. Wartete darauf, dass er mich verfluchte oder mir ein Messer in die Brust rammte, aber nichts dergleichen geschah. Sein Blick glitt über meine zerzausten Haare, das knappe Kleid und die nackten Füße. Sein Gesichtsausdruck war unlesbar.
Die Finger seiner linken Hand, an deren kleinem der Siegelring seines Zirkels steckte, zuckten und ich hielt es nicht mehr aus. Ich konnte nicht länger in seiner Gegenwart sein.
Mit bebender Hand griff ich nach dem Knauf der Tür, zog sie auf und zwängte mich hindurch. Bevor Ayden etwas sagen oder tun konnte, knallte ich sie hinter mir wieder zu.
Ein Traum.
Ayden, der gestern vor meiner Tür gestanden hat – das war nur ein Traum. Eine Halluzination, hervorgerufen durch Wein und den anderen Drogen, die ich mir nicht nur einwarf, sondern teilweise sogar selbst produzierte. Rauschmittel, die einem eine kleine Pause gönnten von dem, was man nicht länger ertragen konnte.
Stöhnend zog ich die Bettdecke über den Kopf. Wann würden meine Dämonen aufhören mich zu verfolgen? Wie weit musste ich noch reisen, um Ruhe vor ihnen zu haben? Oder gab es für mich keinen Ort in dieser Welt, der Frieden versprach?
Reisen? Du meinst wohl flüchten, hörte ich Covus förmlich in meinem Kopf gackern.
Kurz erwog ich einfach für immer unter der Bettdecke zu bleiben, aber nach wenigen Minuten verlangte meine Lunge nach frischer Luft, weswegen ich den Plan enttäuscht verwarf.
Hoffnungsvoll wandte ich mich zum Fenster, doch der verhangene Himmel war völlig rabenfrei. Nachdem sich Covus vergewissert hatte, dass ich wohlbehalten in meinem Bett angekommen war, hatte er sich noch einen nächtlichen Ausflug gegönnt.
Der Januar glänzte schon seit Wochen mit Trostlosigkeit in Form von Wolken und Schauern. Auch heute wölbte sich eine dicke Wolkendecke über den Himmel und drohte mit Regengüssen.
Eine Weile lag ich nur da und starrte auf die weinrote venezianische Maske, die auf meinem Nachtisch lag und auf unheimliche Art zurückstierte. Ich hatte sie als Mahnmal dort platziert. Diese Welt hatte mich verschlungen und gebrochen wieder ausgespuckt.
Schwerfällig raffte ich mich schließlich doch noch auf. Ich schob die müden Beine über die Bettkante. Sofort setzte der bereits wohl bekannte Kopfschmerz ein. Vorwurfsvoll pochte es gegen meine Schädeldecke, zusammen mit dem Bild von Ayden, das ich schnell wieder verdrängte, bevor es zu einem ausgewachsenen Gedanken werden konnte.
Da würde nur der mächtigste Zaubertrank aller Zeiten helfen: Kaffee.
Diese Hoffnung auf Besserung gab mir genug Kraft, mich zu waschen, meine Haare mit einem Bleistift nach oben zu stecken, mich anzuziehen und mein Zimmer zu verlassen.
Zögernd öffnete ich die Tür, in der Erwartung, dass Ayden lässig im Türrahmen lehnte, die dunklen Augenbrauen leicht zusammengezogen, von oben auf mich herabblickend. Aber das war natürlich albern. Der Gang vor mir war, wie ich ihn erwartet hatte: völlig ausgestorben.
Lores Refugium war trotz des älteren Baujahrs zum Glück mit allen Annehmlichkeiten aus der Menschenwelt ausgestattet. Das hatte der Atmosphäre des Schlosses, das im 18. Jahrhundert erbaut worden war, aber keinen Abbruch getan. Die langen Korridore waren mit Kunstwerken, Büsten und Statuen ausgestattet, die verschiedene Wesen zeigten, die sich ihren Gelüsten hingaben. Bodentiefe Fenster gaben den Blick auf die weitläufigen Gärten und die Orangerie frei.
Ich verzichtete auf den Speisesaal, sondern nahm stattdessen die eng gewundene Steintreppe, die mich eine Etage tiefer führte. So gut die Stimmung abends auf den Feierlichkeiten war, so unerträglich war sie am nächsten Morgen. Also würde ich mich direkt an die Quelle wenden.
Die Küche war eine wilde Mischung aus altmodisch und modern. Die aufgereihten Kessel, die Kräuter, die von schwarzen Metallstangen baumelten, und das Feuer, das einer Ecke prasselte, erinnerten mich schmerzhaft an das Hotel Hortus. Ein weiterer meiner Dämonen, den ich gerne vertrieb, der aber nicht aufhörte mich zu belagern.
Auf der moderneren Seite der Küche stand bereits ein Kaffeekännchen auf dem Gasherd, mit dem ich sehnsüchtig liebäugelte.
Zwischen mir und der Erlösung stand nur noch Hanna, die chaotischste Köchin, die mir je untergekommen war. Es gab kaum einen Tag, an dem sie sich nicht schnitt, verbrannte oder fast das gesamte Schloss abfackelte. Die Hauptaufgabe ihrer beiden Hilfsköche bestand darin, dafür zu sorgen, dass es keine schlimmeren Unfälle gab. Einer von ihnen, ein freier Fluchsprecher namens Ethan, war gerade mit dem Hacken von frischen Kräutern beschäftigt. Als ich zu ihm trat, schenkte er mir ein Lächeln. Seine dichten, krausen Haare band er während der Arbeitszeit in einen Dutt zusammen, was seine Gesichtszüge besonders kantig hervorhob.
Hannas Sommersprossen, die nicht nur ihre Wangen, sondern ihr gesamtes Gesicht bis hin zum Hals schmückten, tanzten ebenfalls, als sie mich erblickte.
»Sieh an, wer es da in den frühen Morgenstunden in meine Küche geschafft hat«, scherzte sie und goss mir, ohne zu fragen, eine Tasse Kaffee ein. Beim Einschenken der heißen Flüssigkeit verfehlte sie nur knapp ihre Hand. »Ich hätte nicht vor dem Mittagstisch mit dir gerechnet, Jade.«
Meistens arbeitete ich mit Hanna in der Küche. Sie war eine freie Hexe, die sich ebenfalls vor allem der Trankmagie verschrieben hatte. Darüber hinaus besaß sie eine wahre Leidenschaft für das Kochen und Backen. Aktuell kümmerte ich mich um das Brauen der Tränke für Lore, was Hanna gut gefiel, da sie dadurch deutlich mehr Zeit ins Zubereiten von köstlichen Speisen stecken konnte. Mein Hauptauftrag war Rauschmittel, die dann abends den Kunden zur Verfügung gestellt wurden. Trotzdem experimentierte ich immer noch gerne. Ohne meine umfangreichen Notizen, die im Hotel Hortus lagen, war es deutlich schwieriger, aber ich hatte erst gestern einen großen Durchbruch bei einem Wahrheitstrank erzielen können. Etwas Zitronenmelisse verstärkte den Effekt des Wahrheitssprechen massiv. Es war Ethan, der sich netterweise als Versuchsobjekt bereitstellte. Leider war es ihm letztes Mal trotzdem noch gelungen, die Magie des Trankes hin und wieder zu unterdrücken und mir etwas von gelben Teppichmonstern vorzulügen.
»Albträume«, murmelte ich und nahm einen ersten Schluck von dem Kaffee. Ich hatte Hanna oder Ethan nie erzählt, wer mich nachts verfolgte. Zum Glück fragten sie auch nicht. Ich war mir sogar sicher, dass sie vermuteten, dass Jade nicht mein richtiger Name war, aber auch dazu hatten sie nie etwas gesagt. Es gab hier keine Namen und niemand stellte Fragen. Deswegen war Lores Schloss perfekt für mich.
»Ja, ich auch«, gab Hanna zu, während sie in einer Sauce rührte, die sie bereits für das Mittagessen zubereitete. »Gestern war eine Traumhexe im Haus.«
Sofort verspannte sich meine Rückenmuskulatur und ich umklammerte die Tasse fester.
»Somnias?«, fragte ich gepresst. Mit Balász hatte ich immer noch eine Rechnung offen, denn er hatte mir das genommen, was einer Freundin am nächsten kam. Um seine eigene Tochter zu retten, hatte er mich und Alva entführt. Für den Heiltrank gegen den sogenannten Hexenwahn, an dem seine Tochter litt, brauchte er die Magie von fünf Hexen. Ich war knapp entkommen, aber konnte Alva nicht retten, bevor sie völlig ausbrannte und ihre gesamte Magie an den Trank gegeben hatte. In den Nächten, in denen mich der Teufel, Ayden oder meine Großmutter nicht besuchten, durchlebte ich diese Momente in dem alten Weinkeller immer wieder.
Verwundert sah Hanna bei meiner heftigen Reaktion zu mir. »Nein, eine freie Hexe.«
»Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie den größten Teil der Nacht anders beschäftigt war«, wandte Ethan ein.
Behutsam atmete ich aus und merkte da erst, dass ich die Luft angehalten hatte. Es kamen nur sehr selten Zirkelhexen hierher. Falls doch, warnte mich Lore meistens netterweise vor, sodass ich mich auf meinem Zimmer bedeckt halten konnte. Zum Glück hatte sie mich nie gefragt, warum diese Warnung nötig war. Wahrscheinlich war es ihr schlichtweg egal. Es war nur einmal knapp geworden, als ich einer laufenden Weide begegnet war, die sich später als Mitglied der Transformia, der Wandlerhexen, herausgestellt hatte. Danach hatte ich erwartet, dass mehrere Zirkel das Schloss stürmten, um mich zu töten oder dafür zu sorgen, dass ich als Hexenfürstin für sie arbeitete, aber nichts dergleichen geschah.
»Apropos Zirkelhexen. Hast du schon von dem grausamen Mord an der Ersten Hexe der Miraculas gehört? Es gibt schon den ganzen Morgen kein anderes Thema.«
»Vor allem weil du es jedem erzählst, dem du begegnest«, merkte Ethan schmunzelnd an.
Erstaunt sah ich zu Hanna auf. »Eine Familienfehde?« Sich gegenseitig zu töten, um an die Macht der Ersten Hexe zu kommen, war kein unbekanntes Terrain für mich. In meiner Magie spürte ich, wie sich meine Großmutter weiterhin gegen den Übergang zu mir wehrte. Mir immer noch den vollen Zugang zu der Macht der Ersten Hexe verwehrte. Sogar noch vehementer als vor den Spielen.
»Niemand weiß, wer der Mörder ist. Die Leiche war wohl ziemlich zerfetzt«, berichtete Hanna, zuckte bei dem Gedanken sogar zusammen.
»Ich habe gehört, ein Dämon sei beteiligt gewesen«, ergänzte Ethan und griff nach dem Basilikum.
Hanna warf einen empörten Blick über die Schulter zu ihm. »Also hast du doch noch mehr Informationen.«
Ethan zuckte mit den Schultern. »Nur Gerüchte.«
Die Sauce hinter Hanna gluckerte und sprudelte dann auf. Bevor sie reagieren konnte, liefen bereits die ersten Tropfen über. Hanna packte den Griff, um den vor sich hin spuckenden Topf anzuheben. Mit einem Küchentuch wischte sie über die Seiten und dann über den Herd.
Hastig beugte Ethan sich vor und schnappte das Tuch, bevor es auf dem Herd in Flammen aufging. Hanna war völlig blind für den Brand, den sie fast ausgelöst hätte.
Die Küchentür wurde erneut geöffnet. Lore, die Besitzerin des Lustschlosses, kam mit wiegenden Hüften hereingeschwebt. Ihre Haare fielen ihr in weichen Wellen über den Rücken. Sie strahlte vor weiblicher Schönheit und wenn man nicht schon allein davon fasziniert war, gaben ihre Augen einem den Rest. Eins war violett, das andere strahlte in einem tiefen Blau.
»Gut, du bist schon wach, Jade. Unser spezieller Wein war gestern aus, was einige Kunden erzürnt hat. Du weißt, wie schlecht erzürnte Kunden für das Geschäft sind«, mahnte sie, während sie kurz in Hannas Topf spähte, den diese mittlerweile wieder auf den Herd gestellt hatte.
»Ich kümmere mich darum«, versprach ich, denn es gab nichts, das Lore mehr hasste als Dinge, die schlecht für das Geschäft waren. Sie war eine knallharte Frau, die für gewöhnlich bekam, was sie wollte.
Als ich mich nicht in Bewegung setzte, starrte sie mich durchdringend nieder. Ich würde mich wohl sofort darum kümmern. Mit großen Schlucken trank ich meinen Kaffee und bedankte mich bei Hanna.
»Bin ja schon auf dem Weg«, sagte ich zu Lore.
»Gut«, erwiderte sie und trommelte mit ihren langen roten Nägeln auf die Arbeitsfläche. »Ich bin schließlich keine Wohltäterin.«
»Ich kann dir helfen«, bot Ethan mir eifrig an, während ich mir einen der Weidenkörbe und meinen Mantel schnappte.
»Nichts da«, unterbrach ihn Hanna sofort. »Heute Abend soll es ein Fünf-Gänge-Menü geben und da brauche ich dich am Herd.«
»Nächstes Mal wieder«, versprach ich Ethan, weil ich wusste, wie gern er sich in den Gärten aufhielt. Immer wenn Hanna es zuließ, begleitete er mich beim Sammeln der Zutaten und leistete mir dann Gesellschaft beim Brauen. Er war so etwas wie ein Freund geworden. Soweit ich Freunde haben konnte, die weder meinen echten Namen noch meine Vergangenheit kannten.
Winkend drückte ich mich an Lore vorbei, um in die Orangerie zu gehen. Anders als es der Name vermuten ließ, wuchsen dort nicht nur Zitrusfrüchte, sondern alles, für das es aktuell zu kalt draußen war. Lores spezieller Wein war Rotwein, den ich mit einer Mischung aus Stechapfel und etwas Bilsenkraut anreicherte, um die berauschende Wirkung zu fördern und die Hemmschwelle der Trinkenden weiter zu senken. Das brachte die Besucher des Refugiums dazu, noch mehr zu konsumieren und eine größere Menge Geld an den Spieltischen zu lassen.
»Jade!«, rief Lore mir noch hinterher. Ich drehte mich erneut zu ihr um. »Ich weiß über alles Bescheid, was in diesem Schloss geschieht, gesagt oder getan wird. Wenn ich dich noch mal zu jemandem sagen höre, dass ich einen weichen Kern hätte, serviert Hanna als Nächstes deine Zunge.«
Ehe ich mich versah, war der Tag im Alltagstrott an mir vorbeigezogen und der nächste Abend bereits wieder angebrochen. Ich achtete darauf, beschäftigt zu sein, um nicht näher über den Traum nachdenken zu müssen, in dem Ayden vor meiner Tür gestanden hatte. Auch aus Angst, dass es doch kein Traum gewesen war und der Hexer jeden Moment in Fleisch und Blut vor mir auftauchte.
Immer wenn die Gedanken an ihn zurückkehren wollten, arbeitete ich noch ein bisschen schneller. Bis stimmungsvolle, diesige Lichter das Schloss erleuchteten und meinen Feierabend einläuteten. Ich verschloss die letzte Weinflasche und stellte sie zurück in das Regal. Dies würde einige Nächte reichen und das bedeutete, ich konnte mich morgen wieder auf meinen Wahrheitstrank konzentrieren.
Die ersten Abendgäste strömten bereits durch das eiserne Eingangstor des Schlosses. Mir kribbelte es in den Fingern, mich ihnen anzuschließen.
Heute war eine Musikgruppe zu Gast, die ich noch nicht kannte, und ich konnte es kaum erwarten, ihre Kompositionen zu hören. Die regelmäßigen Auftritte von verschiedenen Künstlern waren das, was ich am meisten an Lores Refugium liebte. Vor allem Musik ließ mich für einen kurzen Moment meine Dämonen vergessen, ohne dass bewusstseinsverändernde Substanzen im Spiel waren. Mit Musik fühlte ich mich nicht schlecht, wenn ich abends zurück in mein Zimmer schlich – bei den bedeutungslosen Nächten mit Fremden schon, auch wenn das ebenfalls meine Dämonen für eine gewisse Zeit ruhigstellte.
Nach einem flüchtigen Abstecher in mein Zimmer, um in ein langes dunkelgrünes Kleid mit tiefem Rückenausschnitt zu schlüpfen, stand ich ebenfalls im Foyer. Mittlerweile war der Strom der Gäste beachtlich gewachsen und ich erkannte sogar einige der Stammgäste. Darunter auch der Hexer, in dessen Bett ich gestern aufgewacht war. Zügig duckte ich mich nach rechts. Er bemerkte mich glücklicherweise nicht und verschwand mit einem höheren Dämon in das Kartenzimmer, in dem Glücksspiel aller Art stattfand. Von etwas Gold über Dienstleistungen magischer und körperlicher Art bis hin zu seinem Erstgeborenen konnte man dort alles verspielen. Meistens hielt ich mich fern. Es war für mich viel zu gefährlich, in die Dienste von jemandem zu gelangen. Ich wollte gar nicht wissen, was die meisten Hexen, die hier verkehrten, mit der Macht der Hexenfürstin anstellen würden, wenn sie ihnen in die Finger fallen würde. Jedenfalls nichts Gutes, da war ich mir sicher.
Die Band würde im Ballsaal spielen, dessen Eingang sich zu meiner Linken befand. Ich wollte gerade hineinschlüpfen, da hörte ich Lores Stimme.
»Guten Abend, Mister«, schnurrte sie verführerisch und ich lächelte in mich hinein. Lore zog die Gäste gerne mit verheißungsvollen Versprechen in ihr Etablissement, nur um sie dann dort ihren Wölfen zum Fraß vorzuwerfen. Täglich kamen Liebesbriefe von Verehrern an, die sie allesamt unbeantwortet ließ. Trotzdem waren viele verzaubert von der schönen Hexe mit den unterschiedlich farbigen Augen. Der Strom an Bewunderern nahm einfach nicht ab.
Bevor ich die Antwort ihres aktuellen Opfers hören konnte, nahm die Musik meine Ohren schon völlig ein. Also schlüpfte ich schnell durch die antiken Doppeltüren. Der Ballsaal des Schlosses erstreckte sich vor mir. Er wirkte gleichzeitig majestätisch und unheimlich. Spitzbögen zierten sowohl die Eingänge als auch die Fenster, deren Buntglas aus tiefen Rot- und Violetttönen bestand. Zusammen mit den Kerzen und Fackeln warfen sie verschwommene Schatten an die Wand.
Ich lief am Rande des Saals durch die elegant gekleideten Gäste auf den opulenten Möbeln aus dunklem Holz entlang. Auf einer Couch vor den schweren Samt- und Brokatvorhängen ging es zwischen zwei Hexenwesen bereits heftig zur Sache. Alle Seiten des Raumes waren zusätzlich mit großen Spiegeln in aufwendig gestalteten Rahmen ausgestattet, die den Raum unendlich weit wirken ließen.
Automatisiert griff ich nach einem Glas mit sprudelndem Champagner. Wie ich zu gut wusste, war diesem ebenfalls etwas beigesetzt, das die Wirkung des Alkohols verstärkte, nur war mir das egal. Es war sogar willkommen. Ich spürte Covus’ missbilligenden Blick fast schon auf mir, doch der Rabe war nirgends zu entdecken. Vielleicht war es aber auch nur mein eigenes Gewissen, das sich meldete.
Um es auszuschalten, leerte ich das Glas mit mehreren Schlucken, warf noch ein Blick auf das Pärchen auf der Couch, zu dem mittlerweile eine dritte Person gestoßen war, und drückte mich dann weiter in die Menge.
In der hinteren Ecke hatten die Musiker ihr Equipment aufgebaut. Mittlerweile, nach Jahren der Abgeschiedenheit, wusste ich, dass die Gitarre eines meiner Lieblingsinstrumente war. Die heute wurde besonders intensiv gespielt. Die Finger des Gitarristen tanzten über die Saiten, zupften mit atemberaubender Geschwindigkeit einzelne Töne. Dazu das Schlagzeug, dessen Rhythmus mir vorgab, wie mein Herz zu schlagen hatte, während die Bassgitarre tief in meinem Körper vibrierte. Doch was mich wirklich faszinierte, war die Stimme der Sängerin. Sie war rau und ehrlich und zog mich komplett in ihren Bann. Meine zersprungene Seele fand ein Fitzelchen Ruhe, wenn auch nur für einen Moment, als ich ihr mit schief gelegtem Kopf lauschte.
Mich im Takt der Musik wiegend schloss ich die Augen, ließ meinen Verstand treiben, bis ich spürte, wie jemand nah an meinen Rücken trat. Ich spähte hinter mich und betrachtete den Hexer, der sich an mich herangeschlichen hatte. Er war attraktiv, dunkelhaarig und besaß wache Augen, die mit einem Zwinkern im Blick zu mir heruntersahen. Perfekt.
Ein Nicken reichte. Der Hexer schlang sofort seine Arme um meine Taille. Ich sog die Nähe und den Körperkontakt in mich auf. Seine Berührungen würden meine Haut nicht zum Kribbeln bringen, seine Stimme würde nichts im mir vibrieren lassen, aber das war genau, was ich wollte. Bloß nicht zu viel fühlen, dennoch genug, um mich von allem abzulenken.
Als das Lied endete, verflocht der Fremde seine Hand mit meiner und ich ließ mich von ihm davonziehen. Er steuerte einen massiven Sessel in dunkelviolettem Samt vor einem der Spiegel an. Nachdem er sich gesetzt hatte, zog er mich ohne Umschweife auf seinen Schoß.
»Wie heißt du?«, murmelte er dicht an meinem Ohr.
»Müssen wir miteinander sprechen?«, bat ich indirekt darum, das hier einfach anonym zu halten. »Können wir nicht einfach …«
»Spaß haben?«, vollendete er meinen Satz. Ich nickte.
Der Hexer zuckte unbekümmert mit den Schultern. »Klar.«
Dann beugte er sich nach vorne, um einen Kuss auf meinem Kinn zu platzieren. Ich drehte den Kopf, gewährte ihm so einen besseren Zugang zu meinem Hals und sah zu dem Divan neben uns. Darauf räkelte sich eine Frau in den Armen einer weiteren Frau, deren Hand eindeutig unter ihrem Kleid verschwand.
Mein Blick wanderte weiter nach oben. Die Welt blieb stehen.
Ich hatte gestern Abend nicht halluziniert. Mein vernebelter Verstand hatte mir keinen üblen Streich gespielt, wie ich angenommen hatte.
Ayden war hier.
Für jemanden, der ihn nicht kannte, könnte seine Körperhaltung entspannt wirken, wie er da lässig mit einem Glas in der Hand an der Wand lehnte, aber ich wusste es besser. Sein Kiefer mahlte und es war ein Wunder, dass das Glas nicht einfach zerbrach, bei der Härte, mit der er es umklammerte. So eindringlich, wie er mich fixierte, könnte er mit seinen Augen Löcher in mich brennen. Seine Magie stand kurz davor, es tatsächlich zu tun.
Sofort war ich gefangen. Wie durch Watte nahm ich am Rande meines Bewusstseins wahr, wie der Fremde sich meinen Hals hinunter küsste und mein Schlüsselbein erreichte.
Etwas flackerte in Aydens Blick. Im nächsten Moment drückte er sich von der Wand ab.
Ich sprang aus der Umarmung des Hexers auf meine Füße, als wäre ich vom Blitz getroffen worden. Verwirrt sah der Mann in dem Sessel zu mir hoch, aber mein Blick blieb auf Ayden gerichtet, der zu uns herüberkam.
»Badezimmer«, murmelte ich in Richtung des fremden Hexers und stolperte zwei Schritte rückwärts. Etwas an Ayden ließ mich zögern ihm den Rücken zuzukehren. Würde er mir sofort ein Messer hineinrammen, wie ich es ihm einst angedroht hatte? Einst sogar getan hatte?
Ein Pärchen lief zwischen uns hindurch, sodass ich Ayden für einen Moment aus den Augen verlor. Ich witterte meine Chance, schlüpfte durch die Menge ins Foyer. Die weitläufige Treppe hinauf zu meinem Zimmer würde ich nicht schnell genug nehmen können, also huschte ich ins Kartenzimmer.
Was, verdammt noch mal, wollte Ayden hier? Wie hatte er mich nur gefunden?
Ich eilte die irrsinnig lange Theke der Bar entlang, zwischen Kartentischen und Sofas hindurch. Nicht ganz sicher, wo ich überhaupt hinwollte oder wo ich sicher vor ihm war. Gab es so einen Ort überhaupt?
Ein wenig außer Atem ließ ich mich auf den nächsten freien Stuhl nieder, sodass ich mich an einem der Duo-Tische wiederfand. Die Kartengeberin blickte emotionslos zu mir. Ich hatte bis auf Hanna und den Küchenhilfen nichts mit den Angestellten von Lores Refugium zu tun, daher war ich mir nicht mal sicher, ob sie mich überhaupt kannte.
Natürlich war ich nicht weit genug gekommen, denn Ayden ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber gleiten. Angespannt sah ich mich um. Er würde wohl nicht versuchen mich hier vor all den Hexen umzubringen? Vielleicht konnte ich wenigstens herausfinden, wie er mich gefunden hatte. Damit das nicht noch ein weiteres Mal vorkam.
»Einsatz?«, wollte die Geberin gelangweilt wissen, während sie ihre abgekauten Nägel betrachtete.
»Eine Nacht mit dir«, sagte Ayden an mich gerichtet, worauf die Kartengeberin abschätzig die Augenbrauen hochzog. Tatsächlich war das nicht einmal ein Einsatz, der selten vorkam.
»Um mich zu töten?«, fragte ich trocken.
»Wir werden sehen«, antwortete Ayden kalt.
»Dein Einsatz?«, wandte sich die Kartengeberin an mich.
»Dass du abreist und nicht mehr nach mir suchst«, forderte ich von Ayden.
Jetzt war die Geberin nicht mehr gelangweilt, stattdessen huschte ihr Blick zwischen Ayden und mir hin und her, während sie die Karten mit geschickten Handgriffen mischte. Sie verkniff sich die Fragen, die ihr offensichtlich auf der Zunge lagen, sondern teilte die ersten vier Karten aus. Ich nahm sie auf und fächerte sie in den Händen auf.
Ayden auf der anderen Seite tat es mir gleich, den Ellenbogen auf den samtroten Stoff des Tisches gestützt. Seine Gesichtszüge wirkten schärfer als bei unserem letzten Aufeinandertreffen. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen hatte sich tiefer in sein Gesicht gegraben. Mir fiel auf, dass seine schneeweißen Haare kürzer geschnitten waren als noch zu der Zeit in Venedig. Wie sehr konnte sich ein Mensch in drei Monaten verändern? Nur was fragte ich mich da. Ich musste nur mich selbst ansehen, die sich so sehr verändert hatte, dass ich keine Ahnung mehr hatte, wer ich überhaupt war. Falls ich das überhaupt jemals gewusst hatte.
Die Geberin räusperte sich. Ayden legte seine erste Karte ab.
Die Runden zogen an mir vorbei. Ayden und ich tasteten uns mit Blicken ab, versuchten den anderen aus der Reserve zu locken, aber niemand von uns ließ sich provozieren.
Ayden fuhr mit der Hand über den Samtstoff des Tisches, als könnten ihm meine Karten erscheinen, wenn er nur oft genug darüberwischte.
Meine Muskeln standen unter Strom, bis ich einen Drilling legte. In Kombination mit meinen anderen Karten war das fast nicht zu überbieten.
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte Ayden ruhig, als er sah, wie sich meine Anspannung etwas löste.
Die nächsten zwei Runden zogen wir Karten, keiner legte ab. Dann verengte Ayden die Augen für eine Millisekunde. Ich wusste es, bevor er die drei Karten überhaupt ablegte: Ich hatte verloren.
Wie festgefroren saß ich auf dem Sitz, meine Karten noch in der Hand, und starrte auf den Tisch, der mir meine Niederlage darlegte.
Selbstsicher erhob sich Ayden, wobei er seine Manschetten richtete.
»Kommst du?«, fragte er dann und streckte mir seine Hand hin. Einen Moment starrte ich auch diese lediglich an, dann ergriff ich sie zögerlich.
Verdammt, ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, wie sehr seine Berührung mich elektrisieren würde oder wie mein Magen plötzlich absackte, als würde ich in ungeahnte Tiefen fallen.
Langsam ließ ich mich von Ayden nach oben ziehen. Sein Blick glitt über das bodenlange dunkelgrüne Kleid, das viel zu eng und dadurch unbequem saß. Der Muskel an seinem Kiefer machte sich bemerkbar, aber er sagte nichts, sondern dirigierte mich sanft zu ihm.
O Hölle, ich war geliefert.
Ich ließ mich von Ayden durch das Zimmer und das Foyer in den Garten leiten. Eine flache Treppe führte von der Terrasse nach unten auf die Schotterwege. Auf einem der Pfeileraufsätze an der Seite des Geländers saß ein Rabe. Am Anfang war es mir schwergefallen, Covus von den anderen Tieren zu unterscheiden. Mittlerweile wusste ich durch die Farbe seiner Federn und der Art, wie sein Schnabel gebogen war, auf den ersten Blick, dass er es war.
Ayden hatte ihn noch nicht bemerkt. Mit einem unauffälligen Nicken gab ich Covus zu verstehen, dass alles in Ordnung war. Er hob ab und ich war mir sicher, dass er über mir Kreise ziehen würde, um die Geschehnisse im Auge zu behalten. Das beruhigte mich ein bisschen. Das und die winzige Phiole mit dem Trank, der einen lähmenden Effekt besaß und zwischen meinen Brüsten steckte.
Wir erreichten die Treppe und Ayden ließ meine Hand los. Meine Haut kribbelte dort, wo seine Finger zuvor meine berührt hatten.
»Machen wir einen Spaziergang«, schlug er vor. Ich konnte nicht deuten, wie bedrohlich die Frage gemeint war.
»Du bist der Gewinner, du entscheidest«, erwiderte ich und folgte ihm über die Steintreppe in den Garten.
»Nach allem sollte man meinen, du wärst die Gewinnerin«, widersprach Ayden, während er forschend zu mir hinübersah.
»Sollte man wohl meinen, ja«, murmelte ich. Doch das war definitiv nicht der Fall. Dafür hatte ich zu viel verloren, zu viel war zerbrochen.
Wir passierten einen Brunnen mit einer männlichen Statue, bei der der Wasserstrahl aus dem Geschlechtsteil spritzte. Lore hatte ihrem Lustschloss einen ganz eigenen Charme verpasst, aber Ayden zeigte sich unbeeindruckt. Er war offensichtlich nicht hier, um die Kunst oder die Gäste des Refugiums zu bewundern.
»Wie hast du mich gefunden?«, wollte ich im gleichen Moment wissen, in dem Ayden ebenfalls zu sprechen begann.
»Mein Vater ist tot.«
»Was?« Bestürzt blieb ich stehen. Ayden spiegelte die Bewegung.
»Mein Vater ist ermordet worden«, sagte er mit emotionsloser Stimme. Ich musterte sein Gesicht. Es versetzte mir ein Stich, wie viel Verschlossenheit mir entgegenstrahlte.
»Von wem? Ist James etwas passiert?«, fragte ich. Ayden hob abschätzig die rechte Augenbraue. »Du denkst, ich war das«, stellte ich ernüchtert fest.
»Schließlich hast du mir ein Versprechen gegeben.« In meiner Wut, als ich dachte, Ayden hätte mich verraten, hatte ich ihm möglicherweise geschworen seinen gesamten Zirkel abzuschlachten, wie sein Vater es einst mit meinem getan hatte. Nicht mein bester Moment.
»Ich habe nichts damit zu tun.«
Aydens Augen blieben hart.
»Du glaubst mir nicht«, las ich aus ihnen ab. »Selbst wenn ich ihn getötet hätte, war das nicht genau das, was du von mir wolltest? War es nicht Teil des Deals, dass ich dafür sorge, dass du Erster Hexer wirst, im Gegenzug für deine Hilfe bei dem Spiel der Zirkel?«
Ayden verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich wollte ihn nicht tot sehen. Nur nicht mehr im Maledictas-Zirkel.«
»Man muss aufpassen, was man sich wünscht«, erwiderte ich bissig. Dass Ayden hierhergekommen war, um mich zu verdächtigen, tat mehr weh, als ich mir eingestehen wollte.
»Ich bin nicht der Einzige, der denkt, dass du damit etwas zu tun hast«, sagte Ayden leise. »Nach der Vergangenheit mit meinem Zirkel war es für die Leute nur eine Frage der Zeit, bis du deine Rache antreten würdest.«
Das überraschte mich nicht. Unsere Zirkel waren Erzfeinde. Sie würden alles tun, um sich gegenseitig zu töten.
»Blut gegen Blut«, murmelte ich, aber Ayden reagierte nicht. »Und jetzt bist du hier, um die Schuld erneut zu begleichen? Um die Fehde weiterzuführen?«
»Es wird von mir erwartet«, erwiderte Ayden kalt, aber für den Bruchteil einer Sekunde flimmerte etwas in seinen Augen.
»Das heißt, wir stehen wieder am Anfang.« Ich reckte das Kinn. »Mit einem Unterschied.«
Sanft ließ ich kleine rote Funken zwischen meinen Fingern hin und her springen, während ich mich an der Fluchmagie seines Zirkels bediente. Ayden starrte auf die Funken und die Falte zwischen seinen Augenbrauen grub sich noch tiefer.
»Es ist dieses Mal schwerer, mich zu töten«, erklärte ich und ballte die Hände wieder zu Fäusten, um die Magie versiegen zu lassen.
Ein weiteres Pärchen erschien auf der Terrasse. Die Frau kicherte ausgiebig über den Witz ihres Begleiters. Am liebsten hätte ich laut geschrien: Seht her, wir waren mal Feinde, ehe wir mehr füreinander waren und nun wieder Feinde sind! Aber ich blieb still und die beiden schritten tiefer in die weitläufigen Gärten.
Ayden ließ sich von dem Pärchen nicht beirren, sah weiter zu mir hinunter. »Aber nicht unmöglich.«
»Nein«, gab ich ihm recht.
In Gedanken zog ich bereits das Fläschchen aus meinem Dekolleté, doch Ayden ging nicht zum Angriff über. Ein Krähen ertönte im Baum über uns.
»Hallo, Covus«, sagte Ayden ruhig, ohne nach oben zu sehen. Sein Blick klebte immer noch auf mir. Erwartete er, dass ich zuerst angriff?
»Lasst euch von mir nicht stören«, flötete der Rabe. »Ich wollte nur Bescheid geben, dass ein bisschen Unterstützung auf dem Weg ist, falls das eure Pläne ändern sollte.«
Ein Knistern der Zweige verriet uns, dass er wieder abgehoben hatte. Sicher, um jemanden aus dem Schloss zu uns zu führen.
»Soll er doch Unterstützung holen. Selbst wenn du den Armreif deiner Großmutter nicht mehr trägst, mit dem du für alle magisch geleuchtet hast«, begann Ayden, ließ seine Arme sinken und trat ein Schritt auf mich zu, »werde ich dich trotzdem finden. Es gibt keinen Ort, an dem du dich vor mir verstecken kannst.«
Damit löste er etwas in mir aus, das ich schon eine ganze Weile nicht mehr gefühlt hatte: den Drang zu handeln. Ich ging ebenfalls einen Schritt auf ihn zu, sodass nicht mal mehr eine Faust zwischen uns gepasst hätte.
»Vielleicht bin ich damit fertig, mich zu verstecken.«
»Umso besser.« Ein Lächeln, das nicht mehr als das Zucken seiner Mundwinkel war, erschien auf seinem Gesicht.
Wir standen einander so nah gegenüber, dass ich nicht nur die Wärme seines muskulösen Körpers spürte, sondern mir auch sein einzigartiger herber Geruch in die Nase stieg. Etwas, das sich verdächtig nach Sehnsucht anfühlte, grub sich den Weg durch meine Eingeweide.
Um das Gefühl zu verdrängen, richtete ich mich zu meiner vollen Größe auf und sah herausfordernd zu ihm hoch.
»Warum beenden wir das nicht ein für alle Mal hier und jetzt?«, forderte ich ihn heraus.
Aydens Blick wanderte über meinen Kopf zu dem Schloss dahinter. Dann beugte er sich nach vorne. Mein Herz setzte aus und ich hielt die Luft an.
Sanft streiften Aydens Lippen über mein Ohr. »Weil ich dafür lieber mit dir allein sein will.«
Während ich noch die Gänsehaut verarbeitete, die seine Berührung auslöste, machte Ayden zwei Schritte zurück.
»Deine Unterstützung ist da«, sagte er dann mit einem Nicken über meinen Kopf hinweg in Richtung Schloss. Stimmengewirr drang zu uns herüber, als die Terrassentür geöffnet wurde.
Allerdings wandte ich mich nicht um, sondern beobachtete Ayden, wie er sich rückwärtsgehend entfernte.
»Wir sehen uns wieder«, versprach er. Dieses Mal klang es definitiv wie eine Drohung. Bei dem Gedanken daran lief es mir sowohl eiskalt als auch wohlig warm den Rücken herunter. Verdammt, ich war verloren. Ich wusste nur noch nicht auf welche Weise und wie sehr.
Dann drehte er sich um und schlenderte in die Dunkelheit. Gerade als jemand meine Schulter berührte, wurde er von ihr verschluckt.
»Alles in Ordnung?«, fragte Ethan besorgt hinter mir und ich wandte mich ihm zu. Skeptisch begutachtete er mich, genauso wie Covus, der über seinem Kopf flog.
»Ja«, sagte ich und räusperte mich, als ich hörte, wie belegt meine Stimme klang.
»Wer war das?«, wollte Ethan neugierig wissen, auf die Stelle starrend, an der Ayden gerade verschwunden war.
»Niemand Wichtiges«, antwortete ich tonlos. »Nur ein alter Feind.«
Wie ein Schwarm aufgeschreckter Kolibri rasten meine Gedanken, nachdem Ayden verschwunden war. Blake war tot und Ayden glaubte, ich sei dafür verantwortlich. Wenn sogar Ayden davon überzeugt war, dann war es sein Zirkel ebenfalls. Das bedeutete, seine Mitglieder würden mit ziemlicher Sicherheit in Kürze vor den Toren des Lustschlosses stehen. Ausgestattet mit Mistgabeln und Feuer.
»Wir sind hier nicht mehr sicher«, murmelte ich in mich hinein. Kühle Nachtluft strich über meine Haut, aber sie war nicht der Grund, warum meine Hände unkontrolliert zitterten.
»Was hat Ayden gesagt?«, fragte Covus, während Ethan zur gleichen Zeit zu sprechen begann: »Sicher vor was?«
»Ayden?«, wiederholte Ethan mit zusammengeschobenen Augenbrauen. Dann schien ihm ein Licht aufzugehen. »War das gerade etwa der Sohn des Ersten Hexers der Maledictas?«
»Ja«, bestätigte ich leise. Mein Blick huschte umher, um potentielle Gefahren zu erkennen. War Ayden wirklich gegangen? Gab es noch weitere Hexen, die mich gefunden hatten? Wir waren hier draußen zwischen den Hecken und Sträuchern des Gartens völlig schutzlos.
»Lasst uns lieber reingehen«, schlug ich nervös schluckend vor, aber Ethan sah aus, als würde er sich keinen Zentimeter bewegen, wenn ich ihm nicht sofort erklärte, was hier vor sich ging.
Ein lang gezogener, tiefer Ruf erklang. Covus zuckte an meinem Hals zusammen, doch es war nur eine Eule.
»Komm schon«, bat ich Ethan eindringlich und endlich setzte er sich in Bewegung.
»Was hat Ayden von dir gewollt?«, fragte er, als wir die überfüllte Eingangshalle erreichten.
Angespannt blickte ich über meine Schulter, aber niemand beachtete uns. Trotzdem antwortete ich erst, als ich die Tür zu meinem Zimmer hinter uns geschlossen hatte. Frustriert ließ ich mich auf das Bett fallen. Durch die Wucht hob Covus empört von meiner Schulter ab. Er flog zu meinem Nachttisch und starrte mich von dort vorwurfsvoll aus seinen schwarzen Knopfaugen an.
»Erklärst du uns jetzt vielleicht mal, was hier los ist?«, begann Ethan erneut, die Arme vor der Brust verschränkend.
Obwohl Ethan in den letzten Wochen so etwas wie ein Freund geworden war, zögerte ich jetzt. Wie viel sollte ich ihm verraten? War er vertrauenswürdig? War ich, nach den Taten meiner Großmutter, überhaupt noch in der Lage, jemandem mein Vertrauen zu schenken?
»Ayden hat mir mitgeteilt, dass sein Vater tot ist«, erklärte ich tonlos.
Covus klapperte mit dem Schnabel, Ethan ließ die Arme kraftlos sinken. Seine Augen weiteten sich erschrocken.
»Blake ist tot? Wie? Was ist geschehen?«, fragte Ethan sofort nach.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Aber …«
»Aber was?« Ethan ließ nicht locker.
»Ayden denkt, dass ich es gewesen bin, und er will jetzt Rache. Die Blutschuld begleichen.«
»Da steht Lord Tea Bag aber ganz schön auf dem Schlauch.«
Verwirrt schaute Ethan kurz zu Covus, dann wieder zu mir.
»Warum zur Hölle sollte der Erste Hexer der Maledictas denken, dass du seinen Vater getötet hast?«
»Weil …«, begann ich, doch mein Gehirn weigerte sich auf die Schnelle eine plausible Ausrede zu finden.
»Jade.« Ethan umfasste meine immer noch zitternde Hand. »Du kannst mir vertrauen.«
»Mein Name ist nicht Jade«, flüsterte ich schließlich so leise, dass ich mir erst nicht sicher war, ob die Worte meinen Mund überhaupt verlassen hatten.
Ethan ließ meine Hand wieder los. »Wer bist du?«
Ich atmete einmal tief durch und das ließ Ethan noch beunruhigter aussehen.
»Mein echter Name ist Romina.«
Schockiert schnappte Ethan nach Luft. »Romina … wie unsere neue Hexenfürstin Romina?«
Meine Stimme versagte mir den Dienst, weswegen ich nur ein Nicken zustande brachte.
»Es hieß immer, dass sie rote Haare habe, die dem Feuer gleichen.«
»Haarfarben sind ja bekanntlich unveränderbar«, blökte Covus ironisch dazwischen.
Ich zupfte an einer der dunklen Strähnen, die mir über die Schulter fielen. »Die sind gefärbt.«
Ethans Blick wanderte über mein Gesicht, als suchte er nach Anzeichen einer Lüge. Als wäre die Antwort auf all seine Fragen in meiner Miene versteckt.
Covus flatterte genervt mit den Flügeln. »Jaja, sie ist es wirklich. Die sagenumwobene Hexenfürstin, die seit den Spielen wie vom Erdboden verschluckt ist. Nun, da wir das geklärt haben, können wir uns auf das eigentlich Wichtige konzentrieren.«
»Das wäre?«, hakte Ethan nach. Er sah so aus, als wäre er immer noch nicht überzeugt von meiner Identität.
»Offensichtlich sollten wir darüber nachdenken, was unsere nächsten Schritte sind! Menschen … Langsamer als eine Schildkröte, die eine Schnecke imitiert«, grummelte er in sich hinein.
»Er hat recht«, sagte ich und sprang auf, was auch Ethan dazu brachte, sich wieder zu erheben. Skeptisch blickte er zu mir. »Also nicht mit der Schildkröte«, murmelte ich, »mit dem davor.«
Umständlich bückte ich mich, zog meinen Koffer unter dem Bett hervor. Dann begann ich chaotisch Klamotten, Tränke und Bücher hineinzuwerfen.
Schrittweise setzte sich ein Plan in meinem Kopf zusammen. »Wir müssen Lores Refugium verlassen. Ayden wird wiederkommen. Nächstes Mal vielleicht mit Unterstützung aus seinem Zirkel und ich will Hanna, Lore und die anderen nicht in Gefahr bringen.«
»Ich wollte schon immer mal auf die Bahamas«, warf Covus ein.
»Ich kenne Ayden. Er wird mich überall auf der Welt finden.«
»Dann stirbst du wenigstens mit einem Cocktail in der Sonne am Pool.«
»Wo willst du dann hin?«, mischte sich Ethan wieder ein.
»London.«
Wieder reagierten Covus und Ethan gleichzeitig. »Was?!« »Hast du jetzt endgültig deinen angeschlagenen Verstand verloren, Hexe?«
Die Frage kam natürlich von Covus.
»Ich muss Blakes wahren Mörder finden. Vorher werden Ayden und die Maledictas mich niemals in Ruhe lassen.«
»Wie willst du das anstellen, Ms Holmes?«
»Ich weiß es nicht. Noch nicht. Erst mal muss ich herausfinden, wo er gestorben ist, und mir den Tatort ansehen«, erklärte ich, während ich weitere Habseligkeiten in den Koffer warf.
»Du kannst doch nicht in die Höhle des Löwen fahren, dort munter herumschnüffeln und erwarten, dass du nicht zu hexigem Hackfleisch verarbeitet wirst«, brüskierte Covus sich und ließ nicht locker.
»Fällt dir vielleicht etwas Besseres ein?« Ich wandte mich zu ihm und funkelte ihn böse an.
»Okay, wann brechen wir auf?«, fragte Ethan dann in die darauffolgende Stille hinein. In einer Hand einen Hausschuh, in der anderen Hand den Dolch, den Ayden mir geschenkt hatte, blieb ich erstarrt stehen.
»Wir?«, wiederholte Covus verächtlich. »Knisterknabe, du gehörst nicht zum fabelhaften selbstmordreifen Duo.«
»Du wirst Hilfe brauchen«, sprach Ethan bewusst nur mit mir, ignorierte den Raben. »Ich kann sehr gut mit meiner Fluchmagie umgehen und kenne mich in London aus, nachdem ich selbst jahrelang dort gelebt habe. Außerdem«, er räusperte sich, »könnte das eine Chance für mich sein, an den Zirkel heranzukommen.«
Verwundert hob ich die Augenbrauen. Ethan hatte nie erwähnt, dass er den Wunsch hegte, sich den Maledictas anzuschließen und nicht mehr als freier Hexer zu leben, noch dass er Zeit in London verbracht hatte. Obwohl ich aufgrund seines Akzents bereits angenommen hatte, dass er aus England stammte.
»Wenn ich dir helfe den Mord aufzuklären, dann bekomme ich aus Dankbarkeit vielleicht eine Chance, dem Zirkel beizutreten«, erklärte Ethan weiter.
»Praktischerweise ist ja gerade ein Platz frei geworden«, gurrte Covus.
»Nun …«, stotterte Ethan und verzog das Gesicht. »Ja.«
»Die Unterstützung eines Fluchsprechers könnte nicht schaden«, dachte ich laut nach, unterdrückte dabei die Gedanken an Ayden. Ethan war nur ein freier Hexer, der nichts dafür konnte, dass seine Kräfte denen von Ayden ähnelten. Und natürlich hatte ich nicht mehr vor die Maledictas tatsächlich abzuschlachten.
Covus stöhnte.
»Nur wird das nicht einfach und Covus hat recht«, fuhr ich fort.
»Natürlich habe ich das. Erneut, möchte ich anmerken«, unterbrach der Rabe mich.
»Es wird sehr gefährlich werden, Ethan, und ich werde dich nicht beschützen können, falls du das denkst. Ich … Die Magie der Hexenfürstin in mir ist zwar stark, aber ich habe Probleme, sie zu kanalisieren.«
»Ich bin in der Lage, auf mich selbst aufzupassen.« Ethan zuckte mit den Schultern. »Vielleicht kann ich dir sogar helfen. Zumindest was die Fluchmagie angeht.«
Bisher hatte ich nur allein versucht die Magieströme, die durch mich hindurchflossen, zu verstehen und zu nutzen. Sehr weit war ich so nicht gekommen, vielleicht war es an der Zeit, es mit etwas Hilfe zu versuchen.
