Richtige Mutter – falsche Mutter? - Angelika Rohwetter - E-Book

Richtige Mutter – falsche Mutter? E-Book

Angelika Rohwetter

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Beschreibung

Können Mütter das Recht an ihrem Kind verlieren? Sind Pflegemütter die besseren Mütter? 2013 haben deutsche Jugendämter 42.123 Kinder aus ihrer Herkunftsfamilie genommen. Was bedeutet das für die leiblichen Mütter? Haben sie das Recht auf ihr Kind und den Kontakt zu ihm verwirkt? Angelika Rohwetter und Marlies Böner Zollenkopf fragen danach, wie nach einer notwendig gewordenen Inobhutnahme durch das Jugendamt der Kontakt zu den leiblichen Eltern gestaltet werden kann. Die Inobhutnahme bleibt ein Eingriff in das Beziehungssystem, wenn auch manchmal unvermeidbar, weil das Wohl des Kindes gefährdet ist. Den häufig alleinstehenden Müttern wird oft von Jugendämtern und Pflegefamilien der Kontakt zu ihren Kindern erschwert. Manchmal erscheinen diese Maßnahmen eher als Strafaktion für unfähige Mütter. Die leiblichen Mütter dürfen und sollten auch weiterhin eine Rolle im Leben ihrer Kinder spielen; wie diese gestaltet werden könnte, beschreibt das Buch.

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Angelika Rohwetter / Marlies Böner Zollenkopf

Richtige Mutter – falsche Mutter?

Die Rolle der leiblichen Mütter im Pflegekindersystem

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99757-5

Umschlagabbildung: I Miss You © fotoknips/shutterstock.com

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/

Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort

Zu diesem Buch

Die Kinder

Frühe Prägung

Daniel

Bindung und Beziehung

Die phantasierten/phantastischen richtigen Eltern

Entwicklung der Bindungstheorie – und die Inobhutnahme

Das unsicher gebundene Kind in der Pflegefamilie

Die Mütter

Wie viele Kinder braucht Heike, um glücklich zu sein?

Petra

Emel

Mütter sind unzuverlässig und stören nur

Mütter haben das Recht, bei der Lösung der Probleme ihrer Kinder beteiligt zu sein

Pflegeeltern

Kinderwunsch und andere Motive

Pflegekinder als Aufgabe

Pflegekinder und leibliche Kinder in einer Familie

Behinderte Kinder im Pflegeverhältnis

Zeitliche Begrenzung des Pflegeverhältnisses

Besondere Pflegeformen

Laien oder Profis als Pflegeeltern?

Rechtliche Grundlagen

Rechtliche Grundlagen, die das »Wohl von Kindern und Jugendlichen« und die »Inobhutnahme durch das Jugendamt« regeln

Rechtliche Grundlagen zum Kontakt zwischen Kindern, die in Pflegefamilien leben und ihren Eltern

Umgangsrecht der Eltern bzw. der Mutter

Die Rolle des Jugendamtes bei der Durchführung des Umgangs

Pflegeeltern und Besuchskontakte

Elternberatung der Pflegekinderdienste

Die Pflegekinderdienste

Elternberatung der Pflegekinderdienste

Besuchskontakte

Überlegungen zur Elternberatung der Pflegekinderdienste

Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder, die nicht bei ihren Eltern leben können

Familienwohnen

Mutter-Kind-Häuser

Leinerstift

Exkurs: Aus der Praxis des Pflegekinderwesens

Modelle zur Veränderung des Pflegekinderwesens

Vorbemerkung

Die Stärkung der Mutter im System

Arbeit mit dem Mutter-Kind-Pflegefamilie-Gefüge

Mütter und Kinder in gemeinsamen Einrichtungen

Resümee

Literatur

Vorwort

Dieses Buch ist entstanden nach vielen Begegnungen mit Müttern, denen aus ganz unterschiedlichen Gründen ihre Kinder weggenommen wurden. Für (fast) jede dieser Inobhutnahmen gab es gute Gründe, weniger für die rigide Form, in der sie manchmal durchgeführt wurden.

Wir begannen an diesem Thema zu arbeiten in tiefer emotionaler Parteilichkeit – für die Pflegekinder, die hin- und hergerissen werden zwischen persönlicher und institutioneller Gewalt, richtigen und falschen Eltern. Diese Parteilichkeit bestand manchmal in emotionaler Erschütterung, oft in geteilter oder stellvertretender Wut. Wie viel manche Mütter zu erleiden hatten, war uns vorher nicht so deutlich.

Wir hatten (und haben) ein großes Mitgefühl mit den sogenannten Herkunftsmüttern, die, entmachtet und oft ohne jegliches Mitspracherecht, zurückblieben – und nicht mehr als eine Störung im neuen System bedeuteten. Schon allein an den verschiedenen Namen, die diesen Frauen gegeben werden – Herkunftsmutter ist nur einer davon – wird einiges davon deutlich, was den Frauen an Ressentiments entgegengebracht wird.

Nach der üblichen Definition sind Mütter der weibliche Teil des Elternpaares, der Teil, der das Kind zur Welt gebracht hat. Deshalb sind sie auch keine »abgebenden Mütter«, das impliziert ja, dass es annehmende Mütter gäbe. Wir meinen: Die Mütter sind die Mütter. Es gibt Mütter, rechtliche Mütter (Adoptivmütter) und Pflegemütter. Dass die letzteren beiden auch manchmal »soziale Mütter« und die Mütter »biologische Mütter« oder noch schlimmer »Bauchmütter« genannt werden, beschreibt zwar nur sehr ungenau einen Sachverhalt, spiegelt aber durchaus das Problem: Es gibt gute und schlechte Mütter, und welche welche ist, steht im Pflegekindersystem nicht in Frage.

Wir nehmen sehr ernst, dass die Mütter immer die Mütter sind, auch wenn sie nicht – oder vorübergehend nicht – in der Lage sind, ihrem Kind eine genügend gute Mutter im Sinne Winnicotts (1953) zu sein. Der Kinderpsychoanalytiker prägte den Ausdruck der good enough mother. Das ist eine Mutter, die nicht perfekt ist, aber ihr Kind ausreichend gut versorgt. Nur bei einer solchen Mutter lernt das Kind Frustrationstoleranz, Objektkonstanz, Entwicklung eigener Lösungen etc.

Wir bemühen uns in diesem Buch um konsequente Benennungen. Wenn wir also von Müttern sprechen, meinen wir genau diese: die leiblichen Mütter. (Leibliche Väter kommen in der Realität des Pflegekindersystems selten vor, häufig sind die Mütter zum Zeitpunkt der Geburt schon wieder getrennt, manchmal kennen sie den Kindsvater gar nicht, wenn doch, handelt es sich in der Regel um sehr kurze Beziehungen.)

In Psychotherapien tauchen manchmal Pflegemütter auf – selten geht es dabei um Probleme, die aus dieser Situation entstanden sind. Häufiger suchen ehemalige Pflege-, Adoptiv- oder Heimkinder psychotherapeutische Hilfe, die Mütter dieser Kinder unserer Erfahrung nach nie. Genauso wenig kommen sie als Thema in Ausbildungen (psychosozialer oder psychotherapeutischer Art) vor.

Wir haben auch nach Literatur über Mütter gesucht, die nicht mit ihren Kindern zusammenleben können/dürfen. Bis auf ganz wenige kurze Absätze in Büchern über Pflegekinder und Pflegefamilien gibt es nichts, kein einziges Buch befasst sich ausführlich mit der spezifischen Problematik dieser Mütter. Dabei ist das längst überfällig. Einige Pflegekinderdienste beginnen ihren Fokus auf die Mütter zu erweitern, indem sie für diese ein besonderes Beratungs- und Gruppenangebot realisieren. Diese Angebote sind aber unseres Erachtens nicht niederschwellig genug, sie erreichen die betroffenen Mütter nur zu einem kleinen Teil (geschätzte 7 bis 10 %). Sie beinhalten im Wesentlichen die Arbeit daran, dass die Mütter einsehen mögen, dass alles richtig ist, so, wie es ist: Mutter und Kind getrennt voneinander. Die Idee, die Mutter-Kind-Beziehung aufrechtzuerhalten und zu stabilisieren, auch dann, wenn das Kind voraussichtlich eine ganz lange Zeit in der Pflegefamilie bleiben muss, dieser Ansatz kommt in keinem der von uns geprüften Konzepte der Pflegekinderdienste vor. Mütter, die erziehungsunfähig sind, selbst krank oder süchtig, haben momentan kaum eine Chance, einen der Situation angemessenen Kontakt zu ihrem Kind aufrechtzuerhalten. Ihnen gelten immer noch unsere Sympathie und unsere Sorge, und für sie haben wir dieses Buch geschrieben.

Wir bedanken uns bei den Müttern, die uns ihre Geschichte zur Verfügung gestellt haben, bei den Pflegemüttern für einige sehr persönliche Gespräche und bei den Institutionen, die uns einen Einblick in ihre Arbeit gewährt haben.

Zu diesem Buch

Wie im Vorwort erwähnt, begannen wir dieses Buch ausgesprochen parteiisch. Im Laufe unserer Arbeit und vieler Gespräche öffnete sich diese Haltung. Wir erkannten, dass eine Umkehrung der Zuordnung richtige und falsche Mütter das Problem nicht löst. Neben aller Empörung über Willkür und Amtsanmaßung sahen wir nun die Überforderung, Hilflosigkeit, mangelnden Ressourcen und fehlende fachliche Kompetenz der Ämter. Auch unsere Haltung gegenüber den Pflegeeltern weichte auf. Sicher, viele nehmen die Kinder aus eher unreflektierten Gründen zu sich. Wenn man sich diese Gründe näher ansieht, stellt man fest, dass es die gleichen Gründe sind, aus denen Menschen Kinder bekommen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur muss der Situation Rechnung getragen werden, dass die angenommenen Kinder schon Eltern haben. Genau darauf, was das bedeutet, welche Konsequenzen es für das Kind und das Leben mit ihm hat, eben nicht Eltern zu sein, sondern Pflegeeltern, müssen die aufnehmenden Paare gut vorbereitet werden. Die häufig anzutreffende Haltung »wie mein eigenes Kind« spiegelt das Problem. Wie ein eigenes Kind ist eben kein eigenes Kind.

Im Buch stellen wir viele Fallgeschichten dar, die diese Probleme deutlich machen. Die Fälle sind keineswegs willkürlich gewählt und die Liste vergleichbarer Vorkommnisse kann beliebig verlängert werden. Uns geht es darum, wie nach einer notwendig gewordenen Inobhutnahme der Kontakt zu den leiblichen Eltern gestaltet werden kann. An diesem Prozess sind von Amts wegen schon eine Reihe von Personen beteiligt. Nun kommen noch die Menschen hinzu, in deren Familien das Kind untergebracht wird, also Pflegeeltern und, in selteneren Fällen und mit zeitlicher Verzögerung, auch Adoptiveltern.

Bei den Pflegestellen handelt es sich in der Regel um Familien, die Platz haben, ein oder mehrere Kind/-er aufzunehmen und gegen Geld zu versorgen, meist pädagogische Laien, die vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit geschult werden, manchmal einfach wohlmeinende Verwandte oder Nachbarn.

Mitunter sind diese Pflegeeltern Profis, also ausgebildete Pädagogen, besonders bei Kindern mit besonderem Bedarf. In diesem Fall werden die Pflegeeltern häufig von Beratern fachkundig begleitet und unterstützt. Die Berater stehen zwischen Pflegeeltern, Ämtern und Herkunftsfamilien.

Besonders die Letztgenannten beschäftigen uns in diesem Buch. Wer sind diese Menschen, deren Kinder in Obhut genommen werden müssen? Und was haben sie danach noch mit ihren Kindern zu tun? Sie – in der Regel geht es dabei eher um die Mütter – haben häufig keinen oder wenig Kontakt mehr zu ihren Kindern, ganz gleich, was sie sich wünschen. Die Inobhutnahme der Kinder erscheint somit oft als Strafaktion für unfähige Mütter und nicht einfach als notwendig gewordener Eingriff in ein Beziehungssystem, in dem das Wohl der Kinder nicht gesichert ist. Von Ämtern und Pflegeeltern wird der Kontakt zu den Müttern oft unterbunden, weil diese als nicht zuverlässig gelten. Wir gehen der Frage nach, ob diese Mütter im Leben ihrer Kinder noch eine Rolle spielen sollten – und wenn ja, wie diese gestaltet werden kann. Uns ist es dabei wichtig, für diese Frauen, die keinerlei Lobby haben, einzutreten.

Wir beleuchten unsere Fragestellung von drei Seiten her und zwar von der Seite der Mütter, der Kinder und der Pflegeeltern. Ausgelassen haben wir – bis auf kleine Anmerkungen – die Ämter und die Pflegekinderdienste in privater Trägerschaft. Es ist nicht zu übersehen, dass die Pflegekinderdienste ein Teil des Problems sind, nicht zuletzt wegen ihres finanziellen Interesses und ihrer Parteilichkeit für die Pflegeeltern, die daraus erfolgen muss. Wenn das Konzept »die Mütter gehören dazu« von den Pflegekinderdiensten eindeutig vertreten würde, müssten größere Veränderungen in der Ausbildung der Pflegeeltern vorgenommen werden. Bisherige Praxis ist es, die Störungen durch die Mütter möglichst gering zu halten. Wir stellen in keiner Weise in Frage, dass es viele Gründe gibt, Kinder in Obhut zu nehmen. Aber alle sprachlichen Tricks (amtliche Benennungen) können nicht ungeschehen machen, dass es zwischen diesen Kindern und ihren leiblichen Müttern enge Beziehungen gibt, dass die Trennung – auch wenn sie das Kind in bessere Verhältnisse bringt – für beide ein Trauma ist. Wir plädieren dafür, die leiblichen Mütter/Eltern mit viel Geduld und Fürsorge in das Leben des Kindes einzubeziehen. Die Zusammenarbeit mit den leiblichen Eltern sollte als notwendiger Faktor für das Wohlergehen des Pflegekindes akzeptiert werden und verbindlicher Bestandteil der Fürsorge für die Kinder sein.

Wir beschreiben in diesem Buch, wie die einzelnen Beteiligten in diesem Dreieck aus Müttern, Kindern und Pflegeeltern dastehen, was sie brauchen und was ihnen fehlt. Wir haben dabei auf einen möglichst aktuellen theoretischen Stand geachtet, wie z. B. die Bindungsforschung, die Hirnforschung und neue Ansätze in der Familientherapie. Gerade die Hirnforschung beschreibt eindrucksvoll die Bindung des Kindes an seine leibliche Mutter, die schon vor der Geburt beginnt.

Natürlich sind wir bei unserer Kritik am Pflegekindersystem schnell mit den Sätzen konfrontiert worden: »Habt ihr eine bessere Idee? Und wer soll die Arbeit mit den Müttern machen?« Obwohl wir nicht der Meinung sind, dass, wer Missstände aufzeigt, gleich die Lösung parat haben muss, haben wir nach solchen gesucht. Wir haben dabei nach Erfolg versprechenden Ansätzen Ausschau gehalten und unsere eigenen Fachkenntnisse befragt. Und wir sind fündig geworden. Unsere ersten Notizen zur Lösung sahen so aus: Es müsste ein Modell geben, in dem alle Beteiligten besser aufgehoben sein könnten als in der gegenwärtigen Praxis.

In einem solchen Modell sollte die Inobhutnahme und das ganze Pflegekinderwesen in die Zuständigkeit des Jugendamtes zurückgegeben werden: Wenn die Notwendigkeit des Eingreifens vorläge, würde das Kind in eine Pflegestelle gegeben, diese Pflegestellen könnten weiter von Kinderpflegediensten vermittelt werden. Danach würde ein besonderes Gremium des Amtes tätig werden, eine Institution ähnlich den psychosozialen Diensten. Hier würden Sozialpädagogen (mit Zusatzausbildung, am besten in systemischer Beratung), Erzieher und Psychologen arbeiten. Dieses Gremium wäre weitgehend unabhängig, hätte den Verlauf zu beobachten und alle wichtigen Entscheidungen müssten vor ihm begründet werden. Im Zweifelsfall hätte es den Stichentscheid. Abgebende, aufnehmende Familien, Kinder und andere eventuell Beteiligten (Verwandte, Schule etc.) würden als ein System gedacht und in gemeinsamen Sitzungen oder Aktionen begleitet werden. Den Kindern würde immer und von Anfang an erklärt werden – unabhängig vom Alter! – was mit ihnen geschehen ist und warum. Dazu bräuchte es versierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die auch mit Säuglingen und Kleinkindern arbeiten können. Dass durchaus schon kleinste Kinder psychoanalytisch unterstützt werden können, beschreibt die Psychoanalytikerin Caroline Eliacheff in ihrem Buch »Das Kind, das eine Katze sein wollte« (1997).

Soweit die ersten Notizen. Daraus hat sich ein dreistufiges Lösungsmodell entwickelt, in dem die einzelnen Komponenten auch verknüpft werden können. Alle drei Stufen halten wir für praktikabel, hilfreich und bezahlbar. Letztlich geht es darum, die Mütter wieder einzusetzen als das, was sie sind: die Mütter – und ihnen dabei die Hilfe und Unterstützung zu geben, die sie brauchen.

Methodische Anmerkungen: Alle beschriebenen Fallbeispiele sind authentisch. Manche wurden aus der Erinnerung aufgeschrieben, einige nach einem von uns entworfenen Interviewleitfaden von jeweils einer von uns erfragt.1 Die Interviews wurden aufgezeichnet und transkribiert. Die Aussagen der Interviewpartnerinnen, die in Anführungszeichnen stehen, sind wörtlich so gefallen. Natürlich haben wir alle Namen geändert und in den meisten Fällen auch die Lebensumstände verfremdet, ohne dass die Inhalte verfälscht wurden. Ausnahmen hiervon sind die Fälle, die durch ihre Verbreitung in den Medien bekannt geworden sind, zum Beispiel auch die Geschichte von Christian. Hier handelt es sich um veröffentlichte persönliche Daten.

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1 Deshalb steht in den Fallbeispielen »ich« und im übrigen Text »wir«, wenn wir, die Autorinnen, von uns sprechen.

Die Kinder

»Als meine Familie bezeichne ich eigentlich alle so richtig, die jetzt so zu mir gehören, also einmal meine Pflegeeltern und einfach meine richtigen Eltern auch. Also ich würd jetzt nicht unbedingt sagen, dass ich nur hierhin gehöre, aber ich würd jetzt auch nicht sagen, dass ich woanders hingehöre.« Anna (Lehner, 2014)

Frühe Prägung

Ein Kind wurde geboren. Eine Stunde nach der Geburt liegt es in einem warmen, hygienischen Bettchen und schläft (scheinbar) entspannt. Nur manchmal zucken seine winzigen Ärmchen. Dieses Kind liegt in seinem Bett und nicht in den Armen seiner Mutter und auch nicht mit ihr in einem Raum, weil es nicht bei seiner Mutter aufwachsen wird. Die Mutter ist nicht in der Lage, dem Kind eine genügend gute Mutter zu sein.

Man sieht diesem Neugeborenen nicht an, was es schon erlebt und erlitten hat. Da war zuerst die nicht immer leichte Schwangerschaft, auch, wenn diese medizinisch gesehen völlig komplikationslos verlief. Als Teilhaber am Organismus der Mutter wurde das Kind von ihr versorgt mit allem, was es brauchte, davon vielleicht manchmal ein bisschen zu wenig. Und es bekam auch verschiedene Dinge mit, die es nicht gebraucht hätte, verschiedene toxische Stoffe, Lärm, Aufregung, Stress. Dies vermittelte sich über die erhöhte Herzfrequenz der Mutter, ihre tiefe oder flache Atmung, Verkrampfung ihrer Muskeln und die in ihr ausgeschütteten Stresshormone, die über die Nabelschnur in den kindlichen Organismus gelangten. Diese Stresshormone werden lange, vielleicht für immer, im Leben des Kindes eine belastende Rolle spielen. Es wird anfälliger für Stress sein, sein Risiko, an Diabetes, Angst, hohem Blutdruck oder Depressionen zu erkranken, ist höher als beim Durchschnitt der Menschen. Bei Ratten verursacht intrauteriner Stress sogar Veränderungen des Gehirns, die Forscher wissen noch nicht, ob das auch bei Menschen der Fall ist.

Spätestens im 6. Schwangerschaftsmonat ist das Gehirn des Fötus so weit gereift, dass es reagiert und Erlebtes und Reaktionen speichert. Wenn die Mutter Stress hat, hat er auch Stress. Er kann Angst erleben, er kann weinen, wie dreidimensionale Ultraschallbilder ab der 16. Schwangerschaftswoche zeigen und natürlich auch lächeln, wenn es etwas zu lächeln gibt (Hüther u. Krens, 2011, S. 109 ff.).

Nach dieser anstrengenden Schwangerschaft – und sie war mit Sicherheit anstrengend, wenn nun das Jugendamt bereitsteht, um das Kind in Obhut zu nehmen, kommt die Geburt, die immer traumatisch ist: Der Weg durch den engen Geburtskanal, das Aufwachen in einer fremden Umgebung, mit anderem Licht, anderen Geräuschen – alles ist plötzlich anders.

Ein großes Trauma ist bei der Geburt die Trennung von der Mutter. Wenn das Kind auf die Welt kommt, verliert es alles, was ihm bisher vertraut war: den Raum in der Mutter, ihre Stimme, ihren Herzschlag, das Rauschen ihres Blutes, ihre Bewegungen. Um diese Dinge wissend, wird in der modernen Geburtshilfe alles versucht, um den Übergang von der einen in die andere Welt für das Kind so sanft wie möglich zu gestalten.

Diese ersten Erfahrungen prägen das Kind, sie leiten die frühe Bindung ein – die Bindung an die leibliche Mutter. Das Kind kommt also auf die Welt in der Erwartung, die Stimme, den Herzschlag und die Bewegungen der Mutter wiederzufinden, mit denen sein Kontinuum an Geborgenheit erhalten bleibt. Unser Neugeborenes wird auch hier getrennt – das dritte Trauma, das es erlebt.

Früher sprach man vom »dummen ersten Vierteljahr« (Diepold, 1992) und glaubte, in dieser Zeit sei ein Neugeborenes mehr eine Pflanze als ein Mensch. Ja, bis in die 1950er Jahre hinein waren manche Mediziner der Ansicht, diese kleinen Menschen seien schmerzunempfindlich. Nur so konnte es zu der verbreiteten Theorie kommen, dass je früher die Kinder in fremde Hände gebracht würden, dies bei ihnen weniger Schaden anrichtet, da sie sich ja an nichts erinnern könnten. Die vielen körperlichen Störungen, die Säuglinge zeigen, wenn sie früh zu Adoptions- oder Pflegeeltern gegeben werden, erklärte man sich mit der Vorgeschichte der Kinder oder einer allgemeinen Konstitutionsschwäche. Die Idee, dass es sich bei den Störungen um eine psychosomatische Reaktion der Kinder handelt, ist – zumindest in Deutschland – relativ neu, dabei »drückt sich in ihrem Alter [der Bruch, die Trennung; A.R./M.B.Z.] in funktionellen Störungen aus, oder, wie Denis Vasse sagt: ›Sie sprechen eine »Organsprache«, die nur deshalb organisch ist, weil sie sich nicht in Worten ausdrücken kann‹« (zit. n. Eliacheff, 1997, S. 20).

Die französische Kinderanalytikerin Françoise Dolto arbeitete schon in den 1970er Jahren mit Säuglingen, ebenso der amerikanische Psychologe William Emerson, beide also lange, bevor die Hirnforschung die grundlegenden Thesen der Kinderpsychoanalyse bezüglich Bindung und subjektivem Erleben bestätigte. Eliacheff ist eine Schülerin von Dolto. Letztere sagt: »Sobald ein Kind auf die Welt kommt, lässt es seine Stimme hören, wird es bei seinem Namen genannt und hört es bei Reden zu. Das gibt ihm eine soziale Existenz und eine symbolische Aktivität« (Dolto, 1988, S. 183 f.).

In den 1960er und 1970er Jahren begann dann die intensive Säuglingsforschung, in der sich besonders Daniel Stern Verdienste erworben hat. Sein berühmtestes Experiment sei hier nur kurz geschildert (Stern, 2003): Stern zeigte Säuglingen (im Alter von 6 bis 12 Wochen) Fotos ihrer Mütter und anderer Frauen. Daraus, dass die Bilder der Mütter deutlich länger angeschaut wurden als die anderer Frauen, wurde nach vielen Versuchen deutlich, dass die Säuglinge nicht nur in der Lage waren, ihre Mütter im persönlichen Kontakt zu erkennen, sondern sie auch in dieser abstrakten Form, auf dem Foto, identifizieren konnten. Die Schlussfolgerung war: Kinder müssen ein präverbales Erleben haben. Auch Cramer (1991) beschreibt sehr anschaulich diese frühen Bindungen – und was aus ihnen folgt. Heute wissen wir, dass die Kinder sogar ein pränatales Erleben haben. Dieses subjektive Erleben vor der Sprach- und Sprechfähigkeit kann in späteren Jahren nicht in Worten oder in Bildern erinnert werden. Trotzdem gibt es Erinnerungen, die das ganze Leben lang wirksam bleiben, besonders, wenn sie nicht benannt und akzeptiert werden. So kennen wir Beispiele von diffusen Gefühlen, die von den Betroffenen so umschrieben werden: Etwas stimmt nicht, stimmt hier nicht oder stimmt mit mir nicht.

Diese Gefühle lösen sich auf, wenn Menschen erfahren, dass sie adoptiert worden sind.2 Aus diesem Grund ist es wichtig, in allen Stadien der Wegnahme und Fremdunterbringung bzw. Fremdplatzierung mit dem Kind einfühlsam zu sprechen.

Kinder, die in vorsprachlicher Zeit getrennt wurden, empfinden Schmerz darüber. Dieser Schmerz braucht Akzeptanz und Ausdruck – und als Ausdruck steht ihnen nichts anderes zur Verfügung als das körperliche Symptom. Dies genügt uns nicht: Jemand muss diesem Schmerz eine Stimme geben, weil die Kinder ein Recht auf diesen, ihren Schmerz haben. Diese Bemerkung scheint überflüssig, aber aus der Praxis kennen wir Fälle, wo sich Pflegeeltern (oder die Umgebung der Familie) wundern, wie schwierig die Kinder sind, obwohl sie so viel geboten bekommen. Außerdem hilft dieses Wissen, dem Impuls zu widerstehen, eine Kontaktsperre zu verhängen, um dem Kind damit vermeintlich Schmerz zu ersparen.

Aus den Babyambulanzen (Praxen für sogenannte Schreikinder) wissen wir, dass die Kinder aus zwei Gründen schreien, nämlich, um einerseits ein »vorübergehendes Unwohlsein« anzuzeigen und andererseits »als Ausdruck der Erinnerung an eine existentielle Not, die [sie] im Mutterleib oder während [ihrer] Geburt erlebt ha[ben]« (Renggli, 2011, S. 270).

Das bisher Gesagte gilt natürlich auch für ältere Kinder. Wir wissen, dass viele Pflegekinder sich schlecht entwickeln und emotional, sozial und intellektuell unter ihren Möglichkeiten bleiben, wie liebevoll und zugewandt die Pflegeeltern auch sein mögen und wie viele Angebote zur Entwicklung den Kindern auch zur Verfügung gestellt werden: Das diffuse Gefühl der existentiellen Not behindert sie im Aufbau ihrer Beziehungen und ihrer ganzen Entwicklung. Deshalb sollte bereits bei der Arbeit mit Säuglingen angesetzt werden, um den Trennungsschmerz von der Mutter, den Eltern, zu mildern:

»Die psychoanalytische Behandlung eines Säuglings bietet vor allem die Möglichkeit, ihm den Grund für die Trennung mitzuteilen und das, was er erlebt, in Worte zu fassen. Alles Nicht-Gesagte nämlich bewirkt einen Bruch im Symbolisierungsprozess, einen Bruch, der sich in der allerersten Zeit vor allem in körperlichen Symptomen äußert.

Die Worte werden direkt an den Säugling gerichtet, um ihn als Subjekt zu bezeichnen und ihm die Möglichkeit zu bieten, seinen Körper zu besetzen: Es geht also nicht darum zu trösten, und noch weniger darum, Wiedergutmachung zu leisten. Vielmehr wird das Leiden symbolisiert, indem man die Geschichte des Kindes neu faßt, durch die Verknüpfung mit seinen Ursprüngen seine Identität festigt und ihm ermöglicht, seine Rechte als Subjekt wahrzunehmen« (Eliacheff, 1997, S. 21).

Ein Kind braucht klare Verhältnisse, auch sprachlicher Art. Immer wieder muss verbalisiert werden, was mit ihm geschieht und warum. Auch seine Beziehungen müssen klar ausgedrückt werden, also wo es lebt und warum es nicht bei seinen leiblichen Eltern sein kann. Ein Kind, dass früh dazu aufgefordert wird, die Pflegeeltern Mama und Papa zu nennen, wird dies tun, weil im Kindergarten alle Kinder die sie begleitenden Erwachsenen so ansprechen, weil es Angst hat, sein Nest zu verlieren oder weil es – aus verschiedenen Gründen – ein braves, gehorsames Kind ist. Und gleichzeitig wird es wissen, dass hier etwas nicht stimmt, dass es seine Eltern verleugnet.

Zu der notwendigen Klarheit gehört es auch, niemals schlecht über die leiblichen Eltern zu reden, weil sich damit auch das Kind, dass ja mit ihnen identifiziert ist, entwertet und entwürdigt fühlt – und außerdem den Wunsch aufbaut, zu den leiblichen Eltern zurückzugehen, so wie es bei Daniel der Fall ist.

Daniel

Daniel ist neun Jahre alt. Seit fünf Jahren lebt er bei einer Pflegefamilie in Osnabrück. Die Pflegeeltern sind ganz in Ordnung, manchmal vielleicht etwas streng.

In der Familie gibt es noch zwei Kinder, die eingebildete 13-jährige Laura, die richtige Tochter von Martin und Hilde. Daniel findet Laura besonders doof, wenn eine ihrer zahlreichen Freundinnen mit nach Hause kommt. Dann hören die Mädchen Musik und kichern. »Raus aus meinem Zimmer«, ruft Laura, wenn Daniel aus Versehen in die Nähe kommt.

Es gibt noch den 4-jährigen Josef aus Ghana. Der ist behindert. Er hat ja auch einen blöden Namen. Wie Maria und Josef zu Weihnachten.

Martin ist Lehrer an einer großen Schule. Wenn er mittags nach Hause kommt, muss man ihn in Ruhe lassen, sonst ist er schnell genervt. Aber am Wochenende hat er Zeit. Dann kann Daniel mit ihm Fußball spielen oder Fahrrad fahren am Schöllerberg.

Dort ist Daniel mit dem Rad einmal gestürzt. Beide Knie waren blutig und auf der Stirn hatte er eine große Schramme. Natürlich musste er heulen. Jetzt wird das nicht noch mal passieren, er fährt viel sicherer.

Hilde war früher auch Lehrerin. Heute kümmert sie sich um die Kinder. Das heißt, sie meckert auch öfter. Weil die Hausaufgaben nicht fertig sind, wenn Daniel mal vergisst, die Zähne zu putzen, mit Schuhen auf dem Sofa hopst oder Josef am Ohr zieht. Sie bringt Daniel in die Schule und Josef in den Kindergarten, sie kauft ein, kocht, wäscht die Wäsche und hilft bei den Hausaufgaben.

Daniel hat aber auch eine richtige Mutter. Die wohnt in Dortmund und kommt einmal im Monat mit der Bahn nach Osnabrück. Daniel freut sich mächtig, wenn die Mama kommt. Er ist morgens schon so aufgeregt, dass fast immer etwas passiert. Die Milch kippt um, die Marmelade kleckert auf die Tischdecke oder das viel zu weiche Frühstücksei, das er sowieso nicht essen mag, fällt auf den Teppich. Hilde schimpft dann, aber Daniel kann doch nichts dafür.

Daniel wurde zufällig in Osnabrück geboren. Seine Mutter machte gerade einen Drogenentzug in einem Therapiezentrum in der Nähe, als sie schwanger wurde. Damals hatte sie schon eine kleine Tochter, die in einem Kinderheim im Ruhrgebiet lebte. Das neue Kind wollte Daniels Mutter Simone aber gern behalten und so ging sie auf Anraten des Jugendamtes noch während der Schwangerschaft in ein Mutter-Kind-Haus in Osnabrück.

Knapp vier Jahre lebten Daniel und seine Mutter dort zusammen. Einmal lernte Simone in einer Disco einen Mann kennen. Sie verbrachte die Nacht mit ihm und blieb dann gleich bei ihm. Sie vergaß im Mutter-Kind-Haus Bescheid zu sagen. Als sie sich dort nach einer Woche reumütig meldete, war Daniel vom Jugendamt in einer Übergangspflegestelle untergebracht worden. Es dauerte ein paar Wochen, bis Simone und Daniel wieder zusammen waren. Simone versprach, ihr Kind nie mehr allein zu lassen. Das klappte leider nicht, sie brach ihr Versprechen: Es gab andere Männer und am Ende wieder Drogen. So kam Daniel zu Hilde und Martin.

Wenn Daniels Mama Simone nach Osnabrück kommt, holt ihn eine Frau von der Schule ab, die sich »begleiteter Umgang« nennt. Die beiden fahren dann zum Bahnhof und warten auf Simone. Manchmal hat der Zug Verspätung. Das ist ganz schrecklich für Daniel. Er hält die Warterei kaum aus. Dann ist die Mama endlich da, und Daniel rennt sie fast um vor Begeisterung. Er drückt und küsst sie und redet ganz schnell, damit er nichts vergisst, was er ihr erzählen will. Die Frau vom begleiteten Umgang geht ein paar Schritte hinter ihnen auf dem Weg zum Einkaufszentrum, das sie immer besuchen. Daniel hält Mamas Hand ganz fest. Dass Simone wieder dünner geworden ist und dass sie undeutlicher spricht, weil ihr jetzt fast alle Zähne fehlen, bemerkt nur der begleitete Umgang.

Simone bestellt Pommes Frites mit Majo und Ketchup, dazu für jeden eine Bratwurst. Das würde Hilde nicht gut finden, weiß Daniel, aber der Nachmittag mit Mama ist etwas ganz Besonderes.

Zum Glück hat Daniel seine Batman-Figur mitgenommen. Die gefällt Mama auch gut. Robin hat er leider zu Hause vergessen.

In seinem Zimmer gibt es noch mehr Spielfiguren, aber er darf Mama nicht mit nach Hause nehmen. Das wollen Hilde und Martin auf keinen Fall. Daniel ist darüber ganz traurig. Zu gerne würde er Mama zeigen, wo er wohnt.

Einmal hat er Hilde gefragt, ob seine Mama ihn zum Geburtstag besuchen dürfe. »Nein«, war die Antwort. »Warum nicht?«, wollte er wissen. »Weil ich das nicht will«, sagte Hilde. Daniel trat dann gegen den Kühlschrank, der seitdem eine Delle hat.

Manchmal verspricht Simone, Daniel anzurufen, und dann vergisst sie es. Das macht Daniel schrecklich wütend. Er muss dann etwas kaputt machen, gegen eine Tür treten oder Josef schubsen. Wenn er weinen muss, soll das niemand sehen. Es darf auch niemand sehen, denn vielleicht kommt die Mama dann gar nicht mehr. Daniel hat einmal gehört, wie Hilde zu Martin sagte: »Vielleicht wäre es besser, diese unzuverlässige Frau würde den Kontakt zu Daniel endgültig abbrechen«.

Nach dem Essen schlendern Daniel, Simone und die Frau vom begleiteten Umgang durchs Einkaufszentrum. Bei schönem Wetter gehen sie zum Spielplatz. Da schaukeln Daniel und Simone um die Wette. Simone ist meist besser als Daniel.

Der Abschied auf dem Bahnhof macht Daniel immer traurig, aber Mama verspricht, bald anzurufen. Daniel winkt, bis er den Zug nicht mehr sehen kann. Wenn Daniel groß ist, wird er mit dem Zug fahren und Mama in Dortmund besuchen. Das hat er sich fest vorgenommen.

Warum erzählen wir diese Geschichte? Daniel geht es gut mit seiner Pflegefamilie, die Pflegeeltern sorgen liebevoll für ihn. Er fühlt sich aufgehoben. Mit den Pflegegeschwistern hat er ganz normale Geschwisterkonflikte. Er zankt sich mit ihnen, man verträgt sich aber auch schnell wieder. Es sieht alles aus wie in einer Familie. Aber es ist keine normale Familie im Sinne unserer Traditionen oder Gesetze.

Die Pflegeeltern zu ihren Gründen für die In-Pflegenahme zweier so verschiedener, schwieriger Kinder – Daniel und Josef – zu befragen, war nicht möglich, da für uns der Kontakt zu diesem Familiensystem über Daniels leibliche Mutter bestand. Mit System oder Familiensystem meinen wir alle Menschen, die durch die Fortnahme der Kinder von ihren leiblichen Eltern miteinander zu tun haben: das Kind, seine leiblichen Eltern, die Pflegeeltern, eventuell Verwandte, die eine Rolle spielen und alle Geschwister.

Die Aufteilung von Betreuungen und Verfügungsbefugnissen ist für ein solches Familiensystem ein problematischer Punkt. Das System