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Ronja Weisz

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Beschreibung

Blake Dillon ist seinem Motorradclub, den Death Raiders, treu ergeben. Als Vizepräsident hat er schon mehr als ein Mal den Kopf für das Oregon-Chapter hingehalten und saß wegen Waffenschmuggel mehrere Jahre im Gefängnis. Seitdem ist er auf das Rechtssystem alles andere als gut zu sprechen. Bis er auf Eva Peters trifft. Eva ist mit ihrem Leben und ihrem Job als Polizistin alles andere als zufrieden. Sie führt ein lockeres Liebesleben ohne feste Bindungen eingehen zu wollen. Bis sie auf Blake Dillon trifft. Als in Portland erneut geschmuggelte Waffen auftauchen, stehen die Death Raiders wieder im Visier der Ermittlungen, doch Eva bezweifelt, dass sie diesmal etwas damit zu tun haben. Im Chaos zwischen Leidenschaft, Gewalt, Anziehungskraft und Misstrauen versucht sie, Licht in die Anschuldigungen und ihre Gefühlswelt zu bringen.

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Seitenzahl: 387

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RIDING FREE

Death Raiders MC 2

Ronja Weisz

© 2018 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Covergestaltung Andrea Gunschera

ISBN Taschenbuch: 9783864437731

ISBN eBook-mobi: 9783864437748

ISBN eBook-epub: 9783864437755

www.sieben-verlag.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Epilog

Kapitel 1

Portland, Oregon Chapter des Death Raiders Motorradclubs

Meine Oma beschloss, sich im Alter von sechsundsiebzig Jahren von meinem Großvater scheiden zu lassen, weil sie während ihrer letzten Zeit auf dieser Erde keine Kompromisse mehr eingehen wollte. Anschließend tat sie fünf Jahre lang exakt nur, worauf sie Lust hatte. Reiste mit Gruppen von alleinstehenden, ebenfalls jung gebliebenen, älteren Menschen um die Welt, begann mit Yoga und Pilates oder trug neumodische Sneakers. Es gab zudem wohl auch zahlreiche Affären in ihrem neu gestalteten Leben, über die ich lieber nicht im Detail nachdenken will. Bis sie vor vier Jahren aufgrund eines Schlaganfalles viel zu früh verstarb. Als wir sie das letzte Mal sehen durften, kurz bevor man sie einäscherte, wirkte es, als würde sie zufrieden lächeln. Als wenn die vergangenen fünf Jahre ohne die Person, mit der sie vorher ein halbes Jahrhundert ihres Lebens teilte, dennoch die schönsten waren.

Tief drin glaube ich, dass meine Oma und ich uns von all den Menschen in meiner Familie am besten verstanden. Dass ihr Einfluss am einprägsamsten durch meine Adern fließt.

Es erklärt zumindest eine Menge über mein Verhältnis in Bezug auf Männer.

Zeit genug, um über den Ursprung meiner Bindungsphobie nachzudenken, habe ich, denn mein Blind Date ist eine halbe Stunde überfällig. Mein Blind Date, von dem mein bester Freund Alec behauptete, dass er so genau wie ein Schweizer Uhrwerk ticke. Buchhalter, Fitnessfreak, Katzenliebhaber. Mehr weiß ich nicht von ihm. Und wenn ich mir die Kombination der Eigenschaften erneut durch den Kopf gehen lasse, bin ich beim besten Willen nicht sicher, warum ich überhaupt zugesagt habe. Der Steckbrief dieses Kerls klingt wie der wahrgewordene Schwiegersohntraum meiner Mutter. Und wie meine persönliche Garantie, mein Leben endgültig in die Bedeutungslosigkeit verlaufen zu lassen.

Den Tisch in dem Pub, der angeblich die besten Burger in ganz Oregon serviert, habe ich bereits aufgegeben und sitze an der Bar, starre missmutig in mein zweites Gin Tonic Glas. Warum ich nicht nach Hause gehe? Hauptsächlich deshalb, weil mich dort Alec erwartet, der alles über diesen grandiosen Abend erfahren möchte. Ein weiterer, nicht zu verachtender Grund ist mein leerer Kühlschrank. Und mit leer meine ich, dass sich dort nicht einmal Alkohol befindet, auf den ich aktuell nicht verzichten kann. Ich will dieses Glas nur noch zu Ende trinken und mich anschließend nach Hause begeben, um dort frustriert ins Bett zu fallen. Frustriert vielmehr, weil ich tatsächlich so dämlich war und auf Alecs permanentes Drängen eingegangen bin.

Ich hebe das Glas an meine Lippen und will einen Schluck trinken, als mein Handy auf dem Tisch vibriert.

Alec Malone [22:12] Wie läuft’s? Brauchst du einen Notfall-Anruf?

Eva Peters [22:12] Es läuft toll! Bislang habe ich ja nicht an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, aber seit heute …

Alec Malone [22:13] Ist das dein Ernst?

Eva Peters [22:14] Natürlich. Er hat mir Bilder seiner Katzen gezeigt und da war’s einfach um mich geschehen.

Alec Malone [22:14] Grant hat nur eine Katze. Und der ist ein Kater.

Eva Peters [22:15] Ich werde ja wohl die Liebe meines Lebens besser kennen als du.

Alec Malone [22:15] Okay, was hast du getan? Ihm wieder deine Waffensammlung auf dem Handy gezeigt? Selbstverteidigungstricks und ihm dabei die Schulter ausgekugelt? Sag nicht, dass du wieder Witze darüber gemacht hast, dass du ihm Drogen aus der Asservatenkammer untergeschmuggelt hast und ihn gleich verhaften wirst!

„Aufgescheuchtes Huhn …“, murmele ich genervt, als ich das Handy mit einem Kopfschütteln zurück auf den Tresen lege und erneut nach meinem Glas greife.

„Hahn. Wenn überhaupt.“ Eine tiefe Stimme lässt mich zusammenzucken. Erschrocken sehe ich zu dem Mann, der direkt neben mir an der Bar steht und gerade eine Bestellung für den Barkeeper aufgeben möchte. Aber da kann er hier ewig stehen. Obwohl nicht sonderlich viel los ist, musste ich den Mann hinter dem Tresen mit diversen ‚Hey’s‘ und ‚Hallo’s‘ gefühlte Stunden auf mich aufmerksam machen. Irgendwann hat der fette Barkeeper dann seine Nase aus dem Smartphone gezogen, um seinen gottverdammten Job zu erledigen. Nur hier stehen und auf ein Wunder warten, wird dem Kerl neben mir also sicherlich keinen Erfolg …

„Oh hey, Mann. Schön dich zu sehen, was darf ich dir bringen?“

Fassungslos starre ich zu dem übergewichtigen Barkeeper, der sich dem Fremden innerhalb von Nanosekunden zugewandt hat und diesen nun fragend anblickt.

„Gib mir ’n Bier“, antwortet der Kerl neben mir.

Daraufhin macht sich der Barkeeper, ohne zu zögern ans Werk. Ich betrachte den Fremden verstohlen und kann den plötzlichen Wunsch nicht unterdrücken, dass es sich bei ihm vielleicht um Grant handelt. Es wäre eine Überraschung. Definitiv. Denn er sieht nicht aus wie ein klassischer Buchhalter, den ich felsenfest mit Anzug und Krawatte in diesem Pub erwartet habe.

Das Exemplar neben mir trägt ein blau-weiß kariertes Holzfällerhemd, das ihm eine Nummer zu groß zu sein scheint. Er füllt es trotzdem ordentlich aus, ohne übermäßig muskulös zu wirken. Doch das könnte auch an seiner Körpergröße liegen, denn obwohl ich mit meinen eins neunundsiebzig eher groß für eine Frau bin, wird er mich im Stehen sicherlich mit mindestens einem halben, wenn nicht sogar einem ganzen Kopf überragen.

Als er sein Gesicht langsam in meine Richtung dreht, schaffe ich es erst viel zu spät, wieder zu meinem Glas zu sehen. Das verfluchte Starren muss ihm aufgefallen sein. Eigenartigerweise erwidert er es, indem er unverblümt, beinahe nachdenklich, ebenfalls in meine Richtung stiert. Vielleicht ist er es ja doch? Unwahrscheinlich … aber nicht unmöglich …

„Hey.“ Ich wende mich ihm zu. „Du bist nicht zufällig Grant?“

Seine Augenbrauen wandern überrascht in die Höhe, lassen mich den nussbraunen Farbton der schmalen Augen im schummrigen Kneipenlicht erkennen.

„Wer zur Hölle heißt denn Grant? Scheiße, so heißen doch nur Kerle, die seit dem Tag ihrer Geburt schon im Krankenhaus vergessen wurden, weil sie so bedeutungslos sind.“

Ich antworte darauf nichts, außer einem müden Lächeln, und nippe an meinem Gin Tonic. Also nicht. Schade.

„Sag bloß, du bist mit ’nem Kerl hier verabredet, der Grant heißt und der noch nicht aufgekreuzt ist?“ Er wendet sich mir vollkommen zu.

Wenn er von der Seite betrachtet schon ansehnlich ist, dann enttäuscht die Front ebenfalls nicht. Er ist breit gebaut, ohne unnatürlich massiv zu wirken. Seine dunkelblonden, fast braun wirkenden Haare trägt er ungeordnet zu einem Zopf am Hinterkopf. Ließe er sie offen, würden sie ihm vielleicht bis über die Schultern reichen, was vereinzelte Strähnen, die sich aus dem Zopf gelöst haben und in den Augen hängen, zeigen. In dem verengten, lauernden Blick liegt etwas Spielerisches, und als er meinen kreuzt, wandert sein Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen in die Höhe. Ich sehe von den Lippen zu dem unordentlichen Rund-um-den-Mund-Bart, der mich irgendwie an den Bart von Johnny Depp erinnert. Außer, dass sich der Mann vor mir offensichtlich nicht einmal die Mühe macht, ihn an den Wangenknochen wegzurasieren. Zusammen mit dem lockeren Zopf wirkt er wie ein Kerl, der sich nicht viel um sein Äußeres schert. Nicht, dass er es nötig hätte, darin viel Zeit zu investieren. Wirklich nicht.

Ich weiß, dass er noch immer auf eine Antwort von mir wartet, also reiße ich mich von seinem anziehenden Aussehen los und räuspere mich.

„Objektiv betrachtet schon.“

„Ich sag dir, wie’s war.“ Er greift nach dem Bier, und ich habe das Gefühl, dass er mir dabei noch näher kommt. Als wollte er mir ein Geheimnis verraten, lehnt er sich ein Stückchen vor zu mir. „Der Kerl hat sich pünktlich ’n Taxi bestellt und wartet jetzt vor seiner Haustür, weil der Taxifahrer ihn vergessen hat. Grants vergisst jeder. Das ist ’ne Tatsache.“ Mit einem bedeutungsschweren Nicken trinkt er einen Schluck von dem Bier.

„Ist das so?“ Ich lache und spiele mit dem Strohhalm des Gin Tonics.

„Ja.“ Er bestätigt mit einem Schmunzeln.

Leichte Fältchen um seine Augen lassen mich ernsthaft an meiner ersten Einschätzung seines Alters betreffend zweifeln. Ich hatte ihn auf Anfang dreißig geschätzt, aber vielleicht lag ich damit daneben.

Während ich von ihm wegsehe, spüre ich, wie sein Blick auf mir kleben bleibt. Alec mag das anders sehen, aber ich bin in Bezug auf die Männer kein spanisches Wörterbuch. Ich verstehe die Zeichen sehr wohl. Meistens ignoriere ich sie, verurteile sie oder mache mich darüber lustig. Weil ich weiß, dass jeder Mann, der ernsthaft versucht hat, ein Teil meines Lebens zu werden, diesen Versuch bereits nach kurzer Zeit abgebrochen hat. Allerdings gebe ich mir daran eine große Mitschuld. Ich bin verdammt gut darin, Menschen zu vergraulen. Vielleicht weil ich weiß, dass mein langweiliges Leben kein Mann mehr aufwerten kann. Vielleicht aber auch, weil ein anständiger Kerl an meiner Seite das letzte Puzzleteil ist, das den teuflischen Plan meiner Eltern aufgehen lässt, mich in ein Leben zu zwängen, das sie immer für mich vorgesehen haben.

Wie auch immer. Ich weiß in diesem Moment jedenfalls mit ziemlicher Sicherheit, dass der Kerl Interesse an mir hat. Er findet mich vermutlich attraktiv, glaubt, leichtes Spiel zu haben, weil ich verletzlich und allein gelassen in einer Bar sitze und mich volllaufen lasse. Dass Grants Fernbleiben zwar an meinem Stolz kratzt, ich aber über sein Fehlen weitaus mehr erleichtert als enttäuscht bin, kann der Kerl jedoch nicht sehen.

„Wie heißt du?“, fragt er schließlich und stützt sich mit beiden Ellenbogen auf den Tresen, späht an seiner Schulter vorbei zu mir herüber.

„Polly.“ Ich lüge wirklich verdammt schlecht.

„Yeah.“ Er lacht heiser auf. „Und ich bin Mickey Mouse.“

„Nett dich kennenzulernen, Mickey. Oder soll ich lieber Mr. Mouse sagen?“

Er schnaubt daraufhin nur amüsiert und trinkt einen weiteren Schluck von der Bierflasche. Als er wieder zu mir sieht und mit seinen Augen jeden Winkel meines Gesichtes erforscht, zuckt sein Mundwinkel erneut verdächtig. „Und was treibst du den ganzen Tag, Polly?“

„Ich strippe. Hauptberuflich.“ Das sollte immerhin nichts Ungewöhnliches in Oregon sein, dem Staat mit der größten Stripclubdichte des Landes. Die Antwort lässt die Gesichtszüge meines Gegenübers trotzdem für einen Augenblick entgleisen, bevor er sich wieder fängt.

„Irgendwo, wo man dich sehen kann?“ Er hebt anzüglich die Augenbrauen. Er weiß, dass alles, was ich sage, absoluter Quatsch ist, aber ich kann an dem Funkeln in seinen Augen erkennen, dass er sich keinesfalls veralbert vorkommt. Das kleine Spielchen zwischen uns amüsiert ihn vielmehr.

„Ich trete nicht in Clubs auf. Ich bin selbstständig. Junggesellenabschiede, Geburtstage, Firmenjubiläen, Trauerfeiern. Solche Sachen.“

Das Bild einer strippenden Polly auf dem Sarg bei einer Beerdigung lässt ihn laut auflachen. Sein Kopf sackt zwischen den Schulterblättern hinab, selbst seine kräftigen Schultern wippen daraufhin vor Lachen auf und ab. Er schüttelt den Kopf ein paar Mal und sieht dann mit einem tiefen Atemzug zurück zu mir. Sein Blick aus seinen dunklen, so warmen Augen springt zwischen meinen hin und her.

„Wenn Grant wüsste, was ihm bei dir entgeht, Polly.“

Nicht viel, um ehrlich zu sein, denke ich still und heimlich, sehe lächelnd von ihm weg. Ich meine es so, möchte aber gleichzeitig nicht, dass dieser Fremde das in meinem Blick erkennen kann. Das kleine Rollenspiel, das aus einem Spaß heraus entstand, hat mir eine Sache ganz deutlich gezeigt; ich wäre verdammt gern jemand anderes. Ein Mensch, dem die Bedeutung von Dingen bewusst ist, der nicht vollkommen abgestumpft und sarkastisch ist. Ich wäre gern Polly, die auf Trauerfeiern strippt und sich einen Scheißdreck um andere schert, weil sie nur macht, was sie will und nicht, was man von ihr erwartet. Weil sie verflucht noch mal weiß, was sie eigentlich will. So wie meine Großmutter es tat.

Ich könnte hier und jetzt damit anfangen, mehr wie Polly zu sein. Einfach nur tun, worauf ich Lust habe, ohne an die Konsequenzen zu denken. Vielleicht käme mir mein Leben dann für einen Abend nicht so sinnlos und eintönig vor. Noch während ich darüber nachdenke und der Kerl neben mir von seinem Bier trinkt, vibriert mein Handy auf dem Tresen erneut. Alec. Ich habe ihm bislang nicht geantwortet, und ich möchte wetten, dass er die Zeit genutzt hat, um bei Grant nachzuhorchen. Er muss erfahren haben, dass Grant gar nicht erst aufgekreuzt ist, will mich trösten, obwohl ich diesen Trost nicht nötig habe. Ich will mich damit jetzt nicht beschäftigen. Ich fühle mich gut, ehrlich gut. Leicht beschwipst und zudem sehr angetan von meinem attraktiven Nebenmann.

„Hey.“ Ich erwecke wieder seine Aufmerksamkeit. Er sieht zu mir, neugierig und offen. Exakt so, wie ich ihn brauche. Eigentlich hätte ich auch nichts weiter sagen müssen, denn mein Blick aus niedergeschlagenen Augenlidern ist mehr als nur eindeutig. „Ich hätte heute noch einen Termin frei.“

Mein Nacken kitzelt, als würden Millionen winzige Seifenblasen unter der Haut platzen, und für einen Augenblick dröhnt mein Puls lautstark in den Ohren. Das chaotische Stimmengewirr der Menschen um uns herum, das Dudeln irgendeines Folk Rock Liedes verschwindet fast vollkommen. Nur kurz wird mir die Tragweite meiner Aufforderung bewusst, löst ein nervöses Flattern in der Magengegend aus. Aber die Wahrheit ist, dass er nicht der erste Mann wäre, mit dem ich bereits am ersten Abend mitgehe. Noch das Beste rausholen, auch wenn ich das Beste daraufhin nur äußerst selten bekomme. Das nervöse Flattern rührt von der Erwartung, die in Bezug auf mein Gegenüber so hoch wie nie zuvor ist.

Er lächelt träge, hebt die Bierflasche erneut an seine Lippen und trinkt den beachtlichen Rest in wenigen Zügen leer. Fester als notwendig stellt er die Flasche zurück auf die klebrige Holzbar. Zu meiner Verwunderung legt er sich im nächsten Moment mit dem Oberkörper förmlich über den Tresen hinüber. Das wird zwar von dem fetten Barkeeper mit einem Blick zur Kenntnis genommen, aber tatsächlich unkommentiert gelassen. Er fummelt in einer Kiste hinter dem Tresen herum und fischt schließlich ein Schlüsselbund hervor. Er lässt den Schlüssel kurz um seinen Zeigefinger kreisen und sieht dann zu mir.

„Du weißt hoffentlich, wie sich das gerade angehört hat, was du gesagt hast?“

„Was ist das für ein Schlüssel?“ Ich ignoriere die Frage und nicke zu seiner Hand.

„Lagerraum. Abschließbar“, antwortet er, und der schelmische Ausdruck in seinen dunklen Augen verschwindet.

Sie sind nunmehr einfach nur dunkel, fast schwarz, und es wirkt erneut, als würde er lauernd abwarten. Mein Blick wandert zu seinen Lippen hinab, dann langsam wieder hinauf. Ich beantworte die stumme Frage mit einem anzüglichen Lächeln.

Der Lagerraum befindet sich direkt neben der Bar. Eine chaotische Abstellkammer ohne Heizung, in der zahlreiche Metallregale nebeneinanderstehen, die mit Getränkeflaschen, Pappkartons und undefinierbarem Müll gefüllt sind. Außerdem stehen dort zwei große Tiefkühltruhen, auf die ich mich zielgerichtet zubewege, als sich die Tür hinter uns schließt und wir in vollkommener Dunkelheit verschwinden. Ich kann hören, wie er den Schlüssel ins Loch steckt und sie abschließt. Für einen kurzen Moment habe ich Angst, dass er gleich das Licht anmacht und es gleißend in meinen Augen brennt. Ich bin nicht der Typ für Sex im Hellen, auch wenn ich weiß, dass die Kerle darauf stehen. Vermutlich liegt es daran, dass mir so nur deutlicher vor Augen geführt wird, wie bedeutungslos der Moment gerade ist. Zu meinem Glück wendet er dem Lichtschalter den Rücken zu und blickt zu mir herüber. Das einzige Fenster ist durch Gitterstäbe gegen Einbruch gesichert, und lediglich das unnatürliche Licht der Straßenbeleuchtung schenkt uns etwas Helligkeit. Er sieht mich an meinem Platz mitten im Raum vermutlich besser als ich ihn. Und nur deshalb verharrt er weiterhin an der Tür, als müsste er mich erst begutachten. Oder als könnte er noch immer nicht recht glauben, dass er bei mir so ein einfaches Spiel hat. Doch das hat er. Er muss nur endlich damit beginnen.

Das Geräusch seiner Schuhe auf dem staubigen Betonboden lässt mein Herz ein paar Takte schneller schlagen. Er kommt näher, langsam und gemächlich, als würde er schlendern. Ich drücke mich mit dem Hintern an die Tiefkühltruhe zurück, stütze mich mit den Handballen am Rand ab. Irgendwann ist er mir so nahe, dass ich seine Atmung nicht mehr nur hören kann, sondern sie an meiner Stirn fühle. Ich sehe auf. Als er noch einen Schritt näher kommt, ziehe ich mich rückwärts auf die Truhe und mache ihm Platz zwischen meinen Beinen. Er hat auch hier leichtes Spiel, wenn er es denn leicht möchte. Ein simpler Griff unter den Saum des Jerseykleides, und er kann das einzige Kleidungsstück loswerden, das ihm im Weg ist. Der Alkohol und die Lust nach rauen, groben Händen lassen mich schwindeln, pumpen Adrenalin durch meinen Körper. Für einen Herzschlag lang weiß ich, warum ich das immer und immer wieder tue. Ich fühle mich selten so lebendig wie in diesem Augenblick. Dieser Moment, kurz bevor er mich berühren wird. Bevor seine Lippen auf meine krachen werden, wir uns in dem Rauschen verlieren, das noch nachbeben wird, wenn er sich schon wieder aus mir zurückgezogen hat.

Er hebt die Hand, als er sich zwischen meine Beine schiebt, die Jeans an der Innenseite meiner nackten Schenkel entlangschabt. Es kitzelt und kratzt zugleich.

Ein lautes Klopfen an der Tür, und seine Hand erstarrt in der Luft, als wäre sie gegen eine unsichtbare Mauer gestoßen. Kaum wahrnehmbar löst sich ein Knurren in seinem Hals. Ich kann sehen, wie er die Backenzähne aufeinanderbeißt.

„Telefon für dich.“ Ich höre eine Stimme durch die Tür brüllen. Ein weiteres Klopfen folgt, das die Tür vibrieren lässt. Als wäre das erste nicht schon laut genug gewesen.

„Fuck.“ Er seufzt und senkt den Blick. Seine Hand fällt unverrichteter Dinge zurück. „Jetzt nicht, Booze!“, brüllt er in Richtung Tür gewandt.

„Es ist Nash. Er sagt, dass es wichtig ist.“

Ich kann sein Zögern beinahe greifen, so spürbar ist es. Doch allem voran will ich ihn packen und ihm die Entscheidung abnehmen. Ich will, dass ich in diesem Augenblick das Wichtigste für ihn bin. Nur einen verfluchten Moment lang. Aber als er den gesenkten Blick hebt, weiß ich, dass das nicht passieren wird.

„Bist du noch hier, wenn ich wiederkomme?“

„Klar“, antworte ich mit brüchiger Stimme. Aber es ist gelogen.

Kapitel 2

Als ich nach Hause komme, frage ich mich nicht zum ersten Mal, warum ich Alec seinen Schlüssel nicht schon längst abgenommen habe. Dass er überhaupt einen besitzt, ist von Anfang an einem großen Fehler zu verdanken. Dem Fehler, dass wir einst glaubten, vielleicht so etwas wie eine Beziehung miteinander führen zu können. Es hat sich schnell herausgestellt, dass wir das nicht konnten. Ich, weil ich wohl einfach kein Typ für eine feste Bindung bin, und Alec … nun ja, Alec ist schwul. Auch wenn ihm die Tatsache erst während des halben Jahres, das wir so was wie zusammen waren, klar geworden ist. Angeblich hatte diese Erkenntnis etwas damit zu tun, dass er mit mir die heißeste Frau im Bett hatte, die es auf dem Planeten gebe. Und wenn selbst ich bei ihm nichts auslöse, dann müsse er wohl schwul sein. Das ist seine Art, diese Sache zu betrachten. Mein gekränkter Stolz sieht das anders. Alec hat ein halbes Jahr lang eine Beziehung mit mir geführt und daraufhin beschlossen, sich lieber der Männerwelt zu widmen. Es ist wohl alles eine Frage der Perspektive.

Dass ich mich überhaupt auf dieses halbe Jahr mit ihm einließ, hängt wahrscheinlich mit dem gleichen Grund zusammen, warum Alec noch immer einen Schlüssel besitzt und jetzt um Mitternacht auf meiner Couch auf mich wartet. Denn ich mag ihn. Auf eine natürliche, rein freundschaftliche Art, die ich für ausreichend hielt, um daraus eine funktionierende Beziehung zu basteln.

Alec schaltet den Fernseher sofort aus, als er mich in der Tür stehen sieht, und legt die Fernbedienung etwas zu energisch neben sich ab.

„Wo zur Hölle warst du? Ich habe mit Grant gesprochen. Sein Auto ist liegen geblieben, und er hat gefühlte hundert Mal bei dem Pannenservice angerufen, aber sie scheinen ihn jedes Mal vergessen zu haben. Er hatte deine Nummer nicht, also hat er mich gebeten, dir Bescheid zu sagen. Nur du bist nicht an dein Handy gegangen!“ Jetzt erhebt er sich und stemmt die Hände in die Hüften.

Mit einem breiten Schmunzeln im Gesicht lege ich die Handtasche neben die Tür und hänge meine Jeansjacke an den Haken. Grants vergisst jeder. Das ist ’ne Tatsache, schießen mir die Worte des unbekannten Kerls durch den Kopf. Verflucht heiß und noch überaus intelligent. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn ich auf ihn gewartet hätte, anstatt mich hinter seinem breiten Rücken vorbeizuschleichen, während er telefonierte.

„Ich war in der Bar, hab mir die Zeit vertrieben. Und getrunken.“ Nichts davon ist eine Lüge. Trotzdem sieht mich Alec mit diesem Blick an, den ich nur zu gut kenne. Er glaubt mir kein Wort.

„Wer war’s dieses Mal? Der Barkeeper? Irgendein dahergelaufener Trucker?“

„Niemand“, antworte ich entrüstet und marschiere in meine offene Wohnküche. Der Kühlschrank ist tatsächlich erschreckend leer, wie schon vermutet. Lediglich eine einsame Gewürzgurke treibt scheinbar schwerelos in ihrem Glas umher. Ich greife nach einer Wasserflasche und nehme einen Schluck. Alec ist derweil neben dem Pfosten stehen geblieben, der optisch den Küchenbereich vom Wohnzimmer trennt. Dort lehnt er in seinem typischen grauen Buchhändlercardigan mit dem strubbeligen blonden Lockenkopf an der Wand.

„Willst du Grant noch eine Chance geben?“

„Gott, nein! Ich weiß sowieso nicht, warum ich überhaupt zugesagt habe.“

„Weil du tief drin eine einsame, verkümmerte Seele bist, die Liebe und Zuneigung braucht.“ Er lächelt verschmitzt.

„Dafür habe ich doch dich. Und Hamlet.“

„Oh, ich glaube, der ist tot.“

„Was? Scheiße.“ Ich stelle die Wasserflasche auf die Ablage zurück und laufe ins Wohnzimmer, wo auf einer alten Nussbaumkommode, die einst meiner Großmutter gehörte, der Nagerkäfig steht. Kleine, bepelzte Krallen lugen nach außen zwischen den Gitterstäben hindurch, während der Goldhamster auf den Hinterpfoten neugierig auf mich zu warten scheint.

„Dieser Mistkerl! Er hat es schon wieder getan. Ich schwöre dir, dass er dieses Mal wirklich tot war. Er lag auf dem Rücken, hatte sogar die Augen auf, die ins Leere gestarrt haben.“ Alec hinter mir ist aufgebracht, während ich dem Hamster über seine winzigen Pfötchen streichele.

Ich war nie ein besonders tierlieber Mensch. Oder besser gesagt sorgte meine Mutter vielmehr dafür, dass meine Schwester und ich schlichtweg nie sonderlich viel in Kontakt mit Tieren kamen. Denn die sind schmutzig, stinken und verteilen überall ihre Haare. Eins dieser Lebewesen auch nur in die Nähe unseres schicken Familienhauses zu lassen, würde bei meiner Mutter bereits Nervenflattern verursachen. Doch als ich vor einem halben Jahr die Wohnungstür eines Junkies aufbrach und außer einer ekelhaft versifften Wohnung diesen halb toten Hamster in einer Blechdose fand, konnte ich ihn nicht zurücklassen. Also behielt ich ihn, päppelte ihn auf und gab ihm ein Zuhause.

Wieso ich überhaupt die Wohnung eines Junkies aufbrach? Ich bin ein Cop. Angestellt bei dem Polizeirevier der Kleinstadt Canby, die etwa vierzig Kilometer südlich von Portland liegt. In der Regel versuche ich aber genau das, was meine Kollegen nur zu gern machen, zu vermeiden; darüber andauernd zu sprechen. Und das hat zahlreiche Gründe. Angefangen bei meinem schwierigen, familiären Hintergrund bis hin zu der persönlichen Abneigung dem Job gegenüber. Denn, um ehrlich zu sein, bin ich kein guter Cop. Ich mag weder die Kollegen sonderlich, nicht einmal meinen Partner Theo, noch verspüre ich das essenzielle Verlangen, das einen guten Polizisten antreiben sollte. Nämlich anderen Menschen zu helfen. Ich bin sogar froh, wenn die Leitstelle uns als Erstes zu einem Einsatz ruft, weil ich mich dann nachher auf das Revier zurückziehen kann, um den Papierkram zu erledigen, anstatt da draußen zu sein. Ich bin die Art Polizistin, die genervt guckt, wenn man sie anspricht, die knappe, abweisende Antworten gibt. Nicht, weil ich mich für etwas Besseres halte oder auf die Menschen hinabblicke. Sondern einfach nur, weil es in diesem Moment kaum was gibt, was ich noch weniger machen will, als einer alten Frau den Weg zum nächsten Supermarkt zu zeigen.

Warum ich dann überhaupt Polizistin geworden bin? Die naheliegende Antwort ist, dass ich schlichtweg nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen. Und dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass das so ziemlich der letzte Grund sein sollte, diesen Job zu ergreifen, wenn man schwört, Leib und Leben seiner Mitmenschen zu schützen. Vielleicht muss ich die Antwort darauf auch noch finden. Vielleicht aber finde ich sie nie.

Die schwarze Krähe der Death Raiders blickt finster von dem Eingang des Clubhauses auf sie alle herab. Ihre Augen funkeln blutrot, und ihre Krallen lassen den Totenschädel, auf dem sie sitzt, fast zerbersten. Davon unbeeindruckt rennen unterhalb der Tür gerade ein Haufen Kinder kreischend entlang, die von einem weiteren Kind gejagt werden.

Blake beobachtet das eigenartige Bild vor ihm amüsiert. Es kommt nicht oft vor, dass sich an diesem Ort Kinder herumtreiben. Zum einen, weil das hier der Hauptsitz des Oregon Chapters, des berühmt-berüchtigten Death Raiders Motorradclubs ist, und zum anderen, weil sich auf der gegenüberliegenden Seite eine Reihe schmuddeliger Striplokale befinden. Aber das alljährliche Kinderfest hat fast Tradition bei ihnen. Nämlich immer dann, wenn Rufio erneut Vater wird. Scheiße, das wievielte Kind war das mittlerweile? Das sechste oder siebte? Blake weiß nur sicher, dass es wieder ein Mädchen geworden ist. Susan, Samantha oder so was. Keine Ahnung. Es spielt jedoch keine Rolle, denn nicht einmal Rufio bekommt es auf die Reihe, sich die Namen seiner Kinder zu merken. Meistens ruft er sie nur laut mit ‚Hey, du da!‘. Da wird er es seinem Vizepräsidenten sicherlich nicht krummnehmen, wenn er die Namen auch nicht kennt.

„Die Nachricht kam heute Morgen. Ronan ist vollzählig zum neuen Präsidenten des Nevada Chapters gewählt worden“, spricht Nash, ihr Präsident, neben ihm. Er sitzt ebenfalls in einem der Campingstühle, trinkt genüsslich von seinem Bier und lässt sich an diesem Sonntagnachmittag die warme Julisonne auf den Bauch scheinen.

„Das ist gut. Ronan ist ein feiner Kerl.“ Blake streckt die Beine genießerisch auf dem Campingstuhl aus. Er ist eindeutig zu groß für den Stuhl, aber mit seinen knapp ein Meter und fünfundneunzig hat er schon immer damit zu kämpfen gehabt, in dieser Welt eher zu wenig als zu viel Platz zu haben.

„’n feiner Kerl zu sein, bringt dem Club auch nix, wenn die Kacke so richtig am Dampfen is. Ich hoffe nur, dass der Ire ordentliche Eier in der Hose hat, die er auch ab und zu mal zeigt.“ Nash schnaubt und trinkt energisch ein Schluck von seinem Bier.

Blake legt den Kopf in den Nacken und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Sein Magen ist gut gefüllt mit den Spareribs, die Tuna auf dem Hof grillt. Und das zahlreiche Bier tut sein Übriges, um ihn leicht benebelt zurückzulassen. Nicht einmal Nashs permanentes Gemecker kann ihm heute seine Laune vermiesen.

Er liebt den Sommer im Norden Oregons. Nicht nur, weil sie ihre Harleys endlich angemessen ausführen können, wann immer ihnen der Kopf danach steht, sondern auch, weil die Gegend hier diesen besonderen Geruch bekommt. Die Nadelbäume riechen nach würzigem Harz und die ganzen verfluchten Wälder um ihn herum nach dem frischen Duft gefällter Bäume und Sägespäne. Für einen Kerl wie ihn, der aus einem kleinen Ort in Kansas stammt, ist das was Besonderes. Denn Wälder sucht man dort vergeblich. Nur fein säuberlich abgesteckte Ackerböden, Sonnenblumenfelder und quietschende Westernräder. Wenn Blake an seine Kindheit zurückdenkt, hat er dabei stets dieses träge Quietschen im Ohr, und es passt ziemlich gut zu der Eintönigkeit seiner Vergangenheit. Ganz im Gegensatz zu der Welt, in der er heute lebt.

Mit einem zufriedenen Ausdruck im Gesicht öffnet er die Augen wieder und blinzelt zu dem Haufen Weibern hinüber, die gerade mit kleinen Tippelschritten auf ihren High Heels die Straße zum Clubhaus überqueren. Es sind ihre Mädels aus dem Striplokal auf der anderen Seite, welches ebenfalls dem Club gehört. Die Raiders sind dort stets immer ihre besten Kunden.

Stripperinnen auf einem Kindergeburtstag, denkt er bei dem Anblick amüsiert. Manche Dinge sind eben nur in ihrer Welt vorstellbar. Ohne es kontrollieren zu können, driften Blakes Gedanken zu dem vergangenen Abend ab. Polly. Sie sah verdammt noch mal nicht aus wie eine Polly, erst recht nicht wie eine Stripperin. Auch wenn er sie sich gut nackt rekelnd auf seinem Schoß vorstellen könnte. Mit ihren grünen Katzenaugen, die im Gegensatz zu den schulterlangen braunen Haaren ganz und gar nicht bieder aussahen. Dann dieses anzügliche Lächeln ihrer vollen, rot bemalten Lippen. Nicht das nuttige Rot, das die Mädchen tragen, die gerade kichernd auf sie zulaufen, sondern ein stilvolles Rot, weil es so ziemlich alles an Schminke war, was er an ihr hatte ausmachen können. Sie ist der Typ Frau, den er nur äußerst selten zwischen die Finger bekommt. In der Regel, weil sie wesentlich schwieriger zu überzeugen sind als die Exemplare, die nun ein paar Meter vor ihnen stehen bleiben und ihm verstohlene Blicke zuwerfen. Zumindest eine von ihnen.

Auch Nash bemerkt den Blick der solariumgebräunten Blondine und späht zu Blake herüber. „Wenn du mal durch bist mit Gigi, dann sag Bescheid.“

„Hättest du mir mit deinem Anruf gestern nicht ’ne sichere Nummer vermasselt, hättest du heute vielleicht sogar gute Karten, Bruder.“

„Wenn sie nicht mal fünf Minuten auf dich warten konnte, hast du sie wohl nicht sonderlich von deinen Qualitäten überzeugt.“

Blake schmunzelt daraufhin und sieht zu dem Weiberhaufen. Die geballte Mischung aus billigem Goldschmuck, grellen pinken Klamotten und künstlich gefärbten Haaren erschlägt ihn fast. Er glaubt, die Nebelwolke an beißendem Parfüm bis zu sich herüber zu riechen. Aus den Augenwinkeln bemerkt er, wie sich die Tür zum Clubhaus öffnet und ihr Anwärter Gibbs einen weiteren Kasten Bier nach draußen schleppt. Gibbs entdeckt den Frauenbesuch und bleibt stehen. Sein Blick wandert über die dargebotenen Brüste und Ärsche. Blake kann sehen, wie sich seine ohnehin schon großen Augen noch mal weiten. Vermutlich sind die Weiber für ihn der größte Anreiz, endlich die Kutte des Clubs tragen zu dürfen, denn Nash lässt ihm erst die freie Auswahl bei den Clubhuren, wenn sich der Grünschnabel als würdig erweist. Ihr Präsident ist kein sonderlich großherziger oder mitfühlender Mensch. Auch in diesem Moment nicht.

„He! Gibbs! Schwing deinen kleinen Arsch hier rüber und sorg gefälligst für Nachschub. Kannst dir nachher in der Dusche auf ihren Anblick einen wichsen, wenn die Erinnerung dann noch frisch is“, brüllt Nash.

Aus der Ecke des Hofes sehen die Old Ladys mit empörtem Blick zu ihm hinüber. Dass hier kein Blatt vor dem Mund genommen wird, ist jeder von ihnen klar, sonst hätten sie sich keinen Raider angelacht. Aber das hier ist immer noch ein Fest voller Kinder. Doch wenn man Blake fragt, dann ist jedes Kind, das in ihrem Umfeld aufwächst, sowieso auf Lebzeiten versaut.

Besonders Rufios aktuelle Frau und Mutter des Säuglings, dessen Geburt sie heute feiern, sieht einen Moment länger wütend zu Nash hinüber. Nash bemerkt es, wendet langsam seinen Blick von ihr ab und starrt zu dem näher kommenden Gibbs.

„Wenn die Schlampe es noch mal wagt, mich mit diesem Blick anzusehen, prügel ich sie eigenhändig aus dem Clubhaus, sobald Rufio beschließt, seinen Schwanz in die nächste Old Lady zu stecken“, murmelt Nash leise.

Und Blake weiß, dass das nur eine Frage von Monaten ist, bis sich Rufio jemand neues suchen wird. Genauso wie er weiß, dass Nash in solchen Sachen keine Scherze zu machen pflegt. Nash ist skrupellos in Bezug auf alles und jeden. Das kann dem Club manchmal sehr nützlich sein, doch oftmals bringt es sie auch einfach nur in ziemlich beschissene Situationen.

Blake erwidert darauf besser nichts, so wie er es schon früh gelernt hat, trinkt den letzten Rest seiner Bierflasche leer und greift in Gibbs’ Kasten nach einer neuen Flasche. Mit dieser erhebt er sich aus dem Campingstuhl und schlendert zu dem Weiberhaufen hinüber. Gigi unterhält sich dort gestellt lachend mit den anderen, doch eigentlich hat sie nur Augen für ihn. Sie kennt das Spiel, kennt selbst seine Blicke in- und auswendig. Auch wenn Blake definitiv kein Typ für eine feste Sache ist und schon gar keinen Nerv für eine Old Lady hat, ist er manchmal froh darüber, dass Gigi und er ein eingespieltes Team sind, wenn es um spezielle Dinge geht.

Ohne ein Wort zu sagen, lässt sie die Mädels stehen und folgt ihm mit einem stolzen Lächeln in das Clubhaus, als hätte sie nie etwas anderes getan.

Kapitel 3

„Hey! Peters! Hast du mal ’ne Minute?“

Die Stimme des Polizeichefs in Canby echot durch den ganzen Raum, sodass sich jeder Polizist nach mir umdreht. Während ich meine Augen überrascht weite, überdenke ich kurz, ob es sich lohnt, mich hinter dem Bildschirm zu verkriechen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Chief Carter meinen braunen Schopf längst zwischen den anderen ausgemacht hat. Theo, mein Partner, späht an seinem Bildschirm vorbei seitlich zu mir herüber und macht dabei ein fragendes Gesicht. Zu Recht. Denn für Chief Carter existiere ich im Grunde nicht. Es überrascht mich, dass er überhaupt meinen Namen kennt, da er ansonsten so unauffällig wie möglich auf mein Namensschild stiert, wann immer er an mir vorbeiläuft. Ah ja, Peters, so war ihr Name, geht wohl jedes Mal durch seinen Kopf. Dazu muss man jedoch betonen, dass ich ihm nie Anlass gebe, sich meinen Namen zu merken. Ich tue mich nicht durch besonderes Engagement hervor, melde mich nie freiwillig und schweige beim Briefing die meiste Zeit auf einem der hinteren Plätze.

Mir fällt also beim besten Willen kein Grund ein, warum er mich nun zu sich zitieren könnte. Nicht einmal etwas verbockt habe ich in jüngster Zeit. Denn auch darauf achte ich akribisch. Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren, während ich mich langsam erhebe und zu seinem Büro am anderen Ende des Raumes laufe. Es fühlt sich verdammt noch mal an, als wäre ich zum Rektor zitiert worden. Das machen die verstohlenen Blicke der Polizisten um mich herum nicht gerade besser. Neunundzwanzig Jahre alt, und ich weiß noch immer ganz genau, wie beschissen sich das anfühlt.

Chief Carter hält mir mit einem breiten Lächeln die Tür auf, und mein Blick fällt auf den Hinterkopf einer weiteren Person, die vor dem Schreibtisch des Chiefs sitzt. Ich schiebe mich an Carters massigem Körper vorbei in den Raum hinein und bleibe dort unsicher stehen, während Carter die Tür hinter sich schließt. In diesem Moment dreht sich die Gestalt, die ebenfalls die dunkelblaue Uniform der Polizei trägt, zu mir um. Mein Blick landet als Erstes auf den zwei goldenen Sternen, die den Kragen des Hemdes zieren. Ich kenne diese zwei Sterne nur zu gut. Chief Carter trägt als Polizeipräsident die gleichen. Doch es gibt nur einen Polizeipräsidenten in Oregon, den man auch ohne die entsprechende Markierung am Oberarm erkennen würde. Und dabei handelt es sich um Chief Matthew Stark, Polizeipräsident unserer Hauptstadt Portland.

„Officer Peters, schön Sie kennenzulernen.“ Er lächelt charmant und reicht mir im Aufstehen seine Hand.

„Sir“, erwidere ich und nicke anerkennend. Gott, ich bin gefeuert. Ich bin so was von gefeuert, schießt es in Dauerschleife immerzu durch meinen Kopf. Carter bewegt sich derweil an uns vorbei hinter seinen Schreibtisch und bleibt da mit einem vollkommen undefinierbaren Gesichtsausdruck stehen. Immerhin erkenne ich auch kein Mitleid in seinem Blick, was ein gutes Zeichen ist. Aber andererseits kennt er mich zu wenig, um überhaupt Mitleid zu empfinden.

„Sie fragen sich sicher, warum wir Sie zu uns gerufen haben?“ Matthew Stark lächelt weiterhin sein strahlendes Zahnpastalächeln.

Er ist vor knapp vier Jahren mit seinen Ende dreißig zum jüngsten Polizeichef Oregons ernannt worden. Doch auch die vier Jahre, die er seitdem auf dem Buckel hat, lassen ihn nicht wirklich alt aussehen. Mit den glatt nach hinten gegelten Locken würde ihm der Anzug eines schmierigen Rechtsanwaltes wahrscheinlich besser stehen als die Uniform der Polizei. Sein schmaler Blick durchbohrt mich fast, als versuchte er gerade, meine Gedanken zu lesen, auch wenn das nicht sonderlich schwerfallen sollte, denn mit seiner Frage hat er den Nagel auf den Kopf getroffen.

Er erwartet offenbar keine Antwort von mir, denn er wendet sich abrupt ab, läuft zur Wand und lehnt sich da mit dem Rücken an einen Aktenschrank, auf welchem Chief Carters zahlreiche Auszeichnungen stehen. Dort verschränkt er die Arme vor der Brust und überkreuzt die Beine an den Knöcheln. „Ich habe Chief Carter um seine Mithilfe gebeten. Ich bin auf der Suche nach qualifizierten Polizisten in der Gegend, um mit ihnen eine spezielle Arbeitsgruppe zu bilden. Eine Taskforce könnte man sagen.“ Er schmunzelt.

„Worum geht es?“ Ich bringe endlich einen halbwegs anständigen Satz heraus.

Die beiden Polizeichefs wechseln einen kurzen Blick, doch es ist erneut Matthew Stark, der das Wort ergreift. „Wir haben vorletzte Woche am Stadtrand Portlands eine Waffenlieferung auf einem Güterumschlagplatz entdeckt. Ältere Sturmgewehre, ein paar Handfeuerwaffen. Allesamt ohne Seriennummer. Die sind uns nur aufgefallen, weil dem Zugführer beim Entladen in den Lieferpapieren was spanisch vorkam. Kontaktdaten haben gefehlt, die Namen, die da standen, klangen ausgedacht wie Disney Figuren, meinte er.“ Matthew Stark schnaubt amüsiert auf. Carter tut es ihm mit leichter Verzögerung nach. „Ein paar Tage später wurden diverse Lieferungen storniert. Auch die Dokumente dazu waren eigenartig, auf dieselbe Art und Weise. Das gibt uns zu denken. Und nicht zu knapp.“

„Was vermuten Sie, Sir?“, frage ich, auch wenn ich die Lunte schon bei der Erwähnung der Waffenlieferung gerochen habe.

„Es ist wohl erneut so weit. Diese Wichser haben einige Jahre ins Land ziehen lassen und glauben nun, dass wir uns wieder schlafen gelegt haben, damit sie ihre Scheiße von vorn abziehen können.“ Matthew Stark wird lauter, stößt sich von dem Schrank im Rücken ab und kommt einen Schritt auf mich zu. Er ist mit mir fast auf Augenhöhe. Wenn mich nicht alles täuscht, überrage ich ihn sogar mit wenigen Millimetern. „Wir werden nicht zulassen, dass sie unser Land erneut mit den illegalen Waffen überschwemmen. Diese Aktivitäten müssen wir schon im Keim ersticken, noch bevor das Scheiß-ATF uns mit ihren Agenten überrollt.“

„Den Ursprung der Waffen vermuten wir in Russland. Über den Pazifik geschippert und in Seattle umgeschlagen. Aber für die Abnehmer hier kommen nur sehr wenig Gruppen infrage. Und da kommen wir ins Spiel“, erklärt Chief Carter mir ruhig.

„Inwiefern?“

Matthew Stark begegnet meiner gespielten Naivität mit einem wissenden Lächeln. „Officer Peters, Sie wissen doch mittlerweile ganz genau, warum ich Sie in meinem Team möchte.“

„Ich glaube nicht, dass ich …“

„Ihre Anwesenheit hat eine besondere Bedeutung in dieser Arbeitsgruppe“, sagt er sofort unterbrechend. „Ich kann und werde da nicht drauf verzichten.“

Ich halte einen Moment inne, doch der Blick meines Gegenübers ist unbeugsam. Es gibt aus dieser Sache keinen Weg hinaus, und wenn ich ehrlich bin, habe ich mein ganzes Leben lang damit gerechnet, dass es mich irgendwann einholen wird. Man kann sich vor solchen Dingen nicht für immer in der Polizeistation einer Kleinstadt verkriechen.

„Was bedeutet das für mich? Wechsel ich nach Portland?“

„Nein. Sie sitzen hier ganz gut, wie mir scheint. Ich bin noch dabei, die Arbeitsgruppe zusammenzustellen, aber die Nähe von Canby zum südlichen Stadtrand Portlands könnte ein entscheidender Vorteil sein. Diese Pisser glauben, am Stadtrand aus dem Auge des Gesetzes zu verschwinden. Aber wir schlafen niemals.“ Matthew Stark sieht mit stolzem Blick zu Carter hinüber, der die Haltung sofort strafft und seinen fettleibigen Oberkörper, soweit es ihm möglich ist, in eine aufrechte Position hievt. Seine Antwort ist ein kurzes, bestimmtes Schnauben, ähnlich dem einer Bulldogge.

„Wieso sind Sie sich so sicher, dass der Club wieder dahintersteckt? Es gibt doch noch zahlreiche andere Gruppen oder Gangs in der Gegend.“

„Ich mache den Job nicht erst seit gestern, Officer“, antwortet er eine Spur zu überheblich. „Wir hätten es gerne anders in unserer Welt, aber die traurige Wahrheit ist, dass sich aus Abschaum kein Goldklumpen machen lässt. Und aus einer Krähe wird in diesem Leben ganz sicher keine weiße Taube mehr.“

„Wie sieht’s aus, machst du alles, was der Kunde von dir verlangt? Blowjob mit Schlucken? Anal? Felching?“ Jolly Roger tippt mit dem Ende seines Kugelschreibers auf dem Holztisch herum, sieht neutral interessiert über den Rand der Lesebrille zu der Stripperin vor ihm.

„Was zur Hölle soll das sein?“, zischt Blake zu Jolly Roger hinüber.

„Felching halt … das kennt man doch“, antwortet Jolly Roger ebenfalls leise, wobei die Stripperin vor ihnen natürlich trotzdem jedes Wort versteht.

Anhand ihres verwirrten Gesichtsausdruckes weiß Blake jedoch, dass sogar ein Profi in dem Gebiet von Jolly Rogers perversen Neigungen noch nie etwas gehört hat. Er ist definitiv der Typ Raider, um den man sich am meisten Sorgen machen muss. Größtenteils, weil er seine Perversität nicht einmal als abnormal anerkennt. Es erschreckt Blake immer wieder aufs Neue, wie überrascht Jolly ist, wenn seine Art zu vögeln selbst in ihrem freizügigen Kreisen für Ekel sorgt.

„Ähm … ich bin auf jeden Fall offen für vieles“, stottert die Bewerberin vor ihnen und sieht unsicher zwischen den Bikern hin und her.

„Mhm … Mhm …“, murmelt Jolly nachdenklich und überfliegt die spärlichen Bewerbungsunterlagen, die die Kleine ihnen mitgebracht hat.

„Nur damit das klar ist.“ Blake lehnt sich über den Tisch nach vorn zu der Stripperin. „Du musst nicht alles machen, was die Männer von dir verlangen. Du sagst uns, was du zu machen bereit bist, und dann bekommst du die entsprechenden Kerle. Sollte sich einer daneben benehmen, was anderes fordern als das, was wir vereinbaren, dann kommst du zu einem von uns. Wir klären das für dich.“

Er kann sehen, wie ihre Augen hinter den künstlichen Wimpern zu strahlen beginnen. Blake weiß genau, dass seine tiefe Stimme, gepaart mit dem durchdringenden Blick bei den meisten Frauen für Vertrauensvorschüsse sorgt. Unter anderem deshalb arbeiten in ihren Clubs die heißesten Damen Oregons. Und natürlich, weil das Argument, den Motorradclub als Beschützer hinter sich zu haben, einiges an Gewicht hat. Die meisten von ihnen kommen von der Straße. Arbeiten entweder allein oder werden von zwielichtigen Zuhältern auf die perversesten der Männer verteilt. Machen sie nicht, was diese dann verlangen, enden sie schnell im Krankenhaus. Anschließend können sie ziemlich sicher mit einer Strafe wegen illegaler Prostitution rechnen. In einem der Striplokale der Death Raiders zu arbeiten, ist also heiß begehrt.

Hinter ihnen öffnet sich die Tür und Nash, gefolgt von Tuna, betreten das Lokal, welches zur Mittagszeit noch geschlossen hat. Nash pfeift zwischen seinen Zähnen und deutet Blake an, ihm zu folgen.

„Ich lass den Irren garantiert nicht alleine mit ihr“, ruft Blake laut in Richtung Tür und nickt zur Seite auf Jolly.

Nash grinst wissend und drückt ihren Sergeanten Tuna in den Raum herein. „Tuna passt auf, dass er uns nicht wie eine Bande Psychopathen aussehen lässt. Ich muss dich alleine sprechen, Vize“, antwortet Nash, hält die geöffnete Tür noch immer in der Hand.

Grelles Tageslicht strömt in einem gefilterten Streifen in das verlassene Lokal, als befänden sie sich in einer Höhle. Es ist einer dieser verflucht genialen Tage, die Blake eigentlich auf seinem Bike auf den Straßen zwischen den Wäldern verbringen will, anstatt in diesem düsteren Nest.

„Ich kann euch hören, verfickte Scheiße!“, flucht Jolly neben Blake, als sich dieser erhebt, um zu ihrem Präsidenten zu stoßen.

„Sollst du auch. Das regt vielleicht zum Nachdenken an.“ Blake schmunzelt und klopft Jolly freundschaftlich auf die Schulter. Dann lässt er die drei allein. Bevor er nach draußen geht, greift er zu seiner Sonnenbrille und sieht zu der Stripperin zurück. Sie starrt ihm hinterher, ihr Blick klebt ungeniert auf ihm. Mit einem schiefen Schmunzeln zwinkert er ihr zu und tritt schließlich ins Freie.

„Zwei erstklassige Nutten hat der Perversling uns schon gekostet“, brummt Blake draußen, während er sich eine Kippe anzündet und über die Straßenseite zu ihrem Clubhaus sieht. Ein paar Raiders treiben sich auf dem Hof herum, die ein oder andere Clubhure ebenfalls, aber ansonsten ist es ein vollkommen ruhiger Tag.

„Wir können ihn nicht alleine lassen.“ Nash bestätigt das mit einem Schmunzeln.

„Fuck, der is wie ein kleines Kind. Wenn er keine Frauen vergrault, kann er seine Finger sonst auch nicht unter Kontrolle halten.“ Der Spitzname Jolly Roger, wie man die Piratenflagge nennt, kommt bei ihm definitiv nicht von ungefähr. Auf seinem Konto bei der Polizei befinden sich zahlreiche Diebstahls- und Einbruchsdelikte.

Blake zieht den Qualm genießerisch in die Lunge, ehe er zu Nash hinüberspäht. „Also, was gibt’s, Präs?“

Nichts Gutes offensichtlich, weiß Blake bereits, bevor Nash den Mund aufmacht. Er kann es in seinen strengen Gesichtszügen sehen. Nash ist fast immer ernst, verbissen könnte man sagen, doch Blake kennt ihn zu gut. Er erkennt Unterschiede in seinem Ausdruck. Gerade zum Beispiel beschäftigt ihn einiges, was unter Garantie auch Blake nicht schmecken wird.

„Es gibt Gerüchte auf den Straßen. Ein paar AKs sind im Umlauf, ohne Seriennummern. Verflucht billig. Einstiegspreise, wird gemunkelt.“

„Du weißt, wie das mit Gerüchten is.“ Aber die dunklen Wolken, die sein Innerstes an diesem sonnigen Tag trüben, fressen sich tiefer in sein Gemüt.

„Das weiß ich nur zu gut, mein Freund. In der Regel ist an Gerüchten nämlich immer was dran.“

„Scheiße, wenn die Russen wieder Waffen ins Land schmuggeln würden, hätten wir doch was mitbekommen.“

„Außer, die Wichser sind vorsichtiger geworden und lassen andere die Drecksarbeit für sie erledigen.“

„Die Nazis?“

„Fällt dir sonst noch jemand ein, der bei dem Russenkram ’n fetten Ständer bekommt?“ Nash beißt die Zähne zusammen und verzieht wütend das Gesicht. Er weiß, dass Blake der Einzige ist, der diese Wut nachvollziehen kann, weil er derjenige ist, der alles an seiner Seite durchgestanden hat. Auch wenn sich der Zorn bei ihnen schon immer anders äußerte. Blake ist seit damals vorsichtiger geworden. Nash nur skrupelloser, wütender.

„Okay …“ Blake seufzt. „Was nun?“

Nash wendet sich ihm vollkommen zu, blinzelt gegen die tief stehende Sonne zu seinem Vize herauf. „Wird Zeit, dass wir diesen rechten Wichsern noch mal begreiflich machen, was unsere Abmachung gewesen ist. Das Ganze wird im Ansatz erstickt. Ohne Gnade.“

Kapitel 4

„Dreiunddreißig. 12-29 Ecke Pine Street, Grant Avenue.” Die monotone Stimme dröhnt durch den Polizeifunk in unserem Streifenwagen.

Theo, der den Wagen fährt, sieht irritiert zu mir herüber. „Dreiunddreißig? Das bist du, verdammt! Und ist das nicht ein Ruf für Portland? Was zur Hölle haben wir da verloren?“

Ich ignoriere ihn, so gut ich kann, und greife nach dem Funk. „Verstanden. Sind auf dem Weg.“

Obwohl ich die Verwirrung in Theos dunkelhäutigem Gesicht sehen kann, setzt er den Blinker, um den Wagen in Richtung Norden nach Portland zu wenden.

„Hat das was mit Starks mysteriösem Besuch zu tun? Scheiße Eva, erzähl endlich, was er von dir wollte!“