Ritter von der Rolandnadel - Prinz Rupi - E-Book

Ritter von der Rolandnadel E-Book

Prinz Rupi

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Beschreibung

Seit 1859 pflegt die Schlaraffia eine Verbindung aus Freundschaft, Kunst und Humor. Prinz Rupi nimmt uns mit auf eine faszinierende Reise in diese schillernde Welt. In Reportagen und Porträts begegnet er den „Rittern von der Rolandnadel“ – visionären Künstlern, brillanten Geschichtenerzählern und leidenschaftlichen Musikern. Diese Porträts sind so vielfältig wie die Schlaraffen selbst. Wie zum Beispiel der Lionel Hampton von Hermsdorf: ein über 90-jähriger Musiker, der auf dem Xylophon Virtuosität und Leidenschaft vereint. Seine Lebensgeschichte erzählt von Kriegserfahrungen, einer Karriere als Schlagzeuger und seiner lebenslangen Liebe zur Musik - ein vielsaitiger Entertainer, Seefahrer, Bauchredner und kunstsinniger Trapper. Prinz Rupi enthüllt Geschichten, Geheimnisse und die Ideale, die die Schlaraffen verbindet: Gleichheit, Freiheit und die unbändige Kraft der Kreativität. Ein Buch für alle, die Inspiration suchen und die Magie der Künste lieben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 321

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ritter von der Rolandnadel

Prinz Rupi

Ritter von der Rolandnadel

Die Schlaraffen: Kunst, Humor und Gemeinschaft seit 1859

 

 

IMPRESSUM

 

Prinz Rupi: Ritter von der Rolandnadel– Die Schlaraffen: Kunst, Humor und Gemeinschaft seit 1859. Hamburg, Charles Verlag 2025

1. Auflage 2025

ISBN: 978-3-910408-20-3

Dieses Buch ist auch als eBook erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

ePub-eBook: 978-3-910408-21-0

Lektorat/Korrektorat: Amandara M. Schulzke, Bedey & Thoms Media GmbH

Satz: Graphiti

Umschlaggestaltung: © phantasmal Image

Umschlagbild, Text, Fotos: © Prinz Rupi

Kontakt zum Autor: [email protected]

Prinz Rupi®, Schlaraffia®, Allschlaraffia®, Lulu-TV® und UHU-Radio® sind eingetragene Wortmarken.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

 

Der Verlag behält sich das Text- und Data-Mining nach § 44b UrhG vor, was

hiermit Dritten ohne Zustimmung des Verlages untersagt ist.

Der Charles Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg

E-Mail: [email protected]

© Charles Verlag, Hamburg 2025

Alle Rechte vorbehalten.

https://www.charles-verlag.de

Gedruckt in Deutschland

Die Ritter von der Rolandnadel

Sie sippen in deutschen Landen, in Böhmen und Österreich 

Der Schweiz, den Niederlanden und überm großen Teich 

Getrennt durch Weltenmeere und doch einander nah 

Vereint zu Uhus Ehre in der Schlaraffia

:Das sind die Ritter von der Rolandnadel,

Die Ritter ohne Furcht und Tadel, 

Die Ritter deutscher Zung,

Die Ritter deutscher Art,

Um Uhus Banner treu geschart.:

Die Helmzier glänzt, es winket ihr ritterlich Panier, 

Und an der Seite blinket das Schwert am Bandelier 

Sie tragen stolze Ahnen, reich ist ihr Ordenskranz 

Es blendet den Profanen des Uhus hehrer Glanz. 

:Das sind die Ritter von der Rolandnadel, … :

Die Burg die ist geweihet der Kunst und dem Humor, 

Und echte Freundschaft leihet dem Bruder Hand und Ohr 

Sie pflegen alles Schöne, vereinen arm und reich 

Uhus getreue Söhne, vor ihm sind alle gleich. 

:Das sind die Ritter von der Rolandnadel, … :

Abhold profanen Zwecken umschlingt der Bruderbund 

Mit Tausenden von Recken das ganze Erdenrund. 

Und ständig wird sich mehren, sein Ansehn, seine Zahl

Weil nur bei ihm in Ehren noch steht das Ideal.

:Das sind die Ritter von der Rolandnadel, … :

Aus dem Liedgut der Schlaraffen

Prolog

Liebe(r) Leser(in),

Wenn ich mich an Euch in diesem Vorwort wende, dann tue ich dies unter Verwendung des »Ihrzens«. In der Welt der Schlaraffen reden wir uns bei unseren Treffen, den sogenannten Sippungen, auf diese Weise an. Der leitende Oberschlaraffe, den wir als fungierende Herrlichkeit bezeichnen, verwendet sogar das Pluralis Majestatis. Dies ist ein zentraler Bestandteil unserer Persiflage auf den Standesdünkel des 19. Jahrhunderts– ein charmanter Spiegel der Vergangenheit, den wir mit einem Augenzwinkern pflegen.

Und schon seid Ihr ein wenig eingetaucht in die Welt der Schlaraffen. Dieses Werk– Ritter von der Rolandnadel von Prinz Rupi– ist ein Fenster in unsere schlaraffische Welt: eine Gemeinschaft, die von Kreativität, Kameradschaft und der Freude an Kunst und Humor getragen wird.

Die Schlaraffia, vor mehr als 160 Jahren gegründet, hat stets Künstler, Denker und Freigeister vereint. Gemeinsam feiern wir das Schöne und Erheiternde des Lebens in einer Atmosphäre von Gleichheit und Respekt. Dieses Buch fängt diesen Geist wunderbar ein: Es erzählt von außergewöhnlichen Persönlichkeiten, die auf unterschiedlichen Wegen in diese einzigartige Bruderschaft gefunden haben.

Doch das Werk verschweigt auch nicht, dass es selbst in einer Gemeinschaft, die hohe Ideale anstrebt, menschliche Schwächen wie Eifersucht oder Missgunst geben kann. Schlaraffen sind schließlich auch nur Menschen. Es ist erfrischend, dass der Autor diesen Aspekt nicht ausblendet. Ein wahrer Schlaraffe beherrscht die Kunst der Toleranz– und weiß zugleich, wo die Grenze zwischen Toleranz und Akzeptanz liegt.

An diejenigen unter Euch, die noch keine Schlaraffen sind, richte ich eine herzliche Einladung: Kommt doch einmal zu einer Sippung und erlebt diese Welt selbst. Euch, die Ihr bereits Schlaraffen seid, ermutige ich, einen Freund als Pilger zu einer Sippung mitzubringen.

Mir ist dabei bewusst, dass ich die weibliche Leserschaft in gewisser Weise ausschließe, da die Teilnahme an unseren Sippungen Männern vorbehalten ist. Dennoch lieben und schätzen wir unsere besseren Hälften zutiefst: Bezeichnungen wie Burgfrau, Burgwonne oder auch Burgschreck– humorvoll erklärt im Kapitel Schlaraffenlatein– zeigen das. Ermuntert also Eure männlichen Partner, sich der Schlaraffia anzuschließen. Manche Burgfrauen genießen es sogar, wenn ihr Burgherr einmal in der Woche außer Haus ist und sie etwas Ruhe haben.

In der Hoffnung, Euch bei einer Sippung oder Krystalline persönlich begegnen zu dürfen, verbleibe ich mit onçagewaltigem Lulu und den besten Wünschen für Eure Lektüre!

Rt Graf Ernst

Allschlaraffenrat

Vorsitzender des Landesverbands Lateinamerika, Rio de Janeiro

Was sind Schlaraffen?

Schlaraffia ist ein international verzweigter, deutschsprachiger Verein, der sich den Werten Kunst, Humor und Freundschaft verschrieben hat. Die Gemeinschaft der Schlaraffen wurde 1859 in Prag gegründet und besteht aus Männern, die das mittelalterliche Ritterleben humorvoll neu interpretieren. Die Mitglieder gestalten ein parodistisches Rollenspiel voller Witz und Spielfreude, das ritterliche Traditionen mit Leichtigkeit und Heiterkeit ehrt. Durch ihr Erkennungszeichen, eine Perle im Revers, werden sie auch Ritter von der Rolandnadel genannt.

Das lateinische Motto in arte voluptas, auf Deutsch in der Kunst liegt das Vergnügen, spiegelt den zentralen Wert der Schlaraffen wider: den Spaß an der Kunst. Toleranz, Respekt, die Wertschätzung des Alters und echte Freundschaft sind weitere Werte. Frei von politischen, religiösen oder sozialen Schranken konzentrieren sich die Vereinsmitglieder auf das Wesentliche– die Freude am gemeinschaftlichen Erleben.

Bei den Treffen in den einzelnen Ortsvereinen, den sogenannten Reychen, entfalten sich teils spektakuläre Inszenierungen. Die Teilnehmer schlüpfen in Rollen wie Ritter, Junker oder Knappen und erschaffen durch geistreiche Wortgefechte, Situationskomik und Parodien eine lebendige Atmosphäre. Titel, Orden und Rituale werden dabei als humorvolle Verzierungen zelebriert.

Mit rund 8200 Mitgliedern in 260 Ortsvereinen weltweit– von Amerika bis Australien– bieten die Schlaraffen eine Plattform für kulturbegeisterte Weltenbummler. Die deutsche Sprache ist dabei das verbindende Element, das über Kontinente hinweg Brücken schlägt.

Weitere Informationen: https://www.schlaraffia.org/

Der Gründer der Schlaraffia

Frühsommer lacht in Baden bei Wien. Elisabeth Hallenstein, einst gefeierte Chorsolistin der Wiener Volksoper, steigt mit bemerkenswerter Eleganz die knarrende Dachbodentreppe ihrer alten Villa hinauf. Ihr Haar ist kunstvoll gebunden, ihr Blick entschlossen. Trotz ihres hohen Alters schreitet sie sicher über die Dielen. Sie weiß genau, wonach sie sucht: Es sind die Originalunterlagen eines der Gründer der Schlaraffia: ihres UrgroßvatersRitter Wendelin von Höllenstein das Tausendguldenkraut.

»Hier wartet er auf mich«, erklärt sie mit fester Stimme, in der noch immer Bühnenpräsenz schwingt.

Zwischen Schellackplatten, einem alten Grammophon, Antiquitäten und kostbarem Porzellan öffnet sie Truhen und Koffer, die Jahrzehnte lang unberührt waren. Ihre Hände zittern leicht, doch der Blick ist hellwach, als der Deckel mit einem tiefen Seufzer aufklappt– als würde die Vergangenheit selbst Luft holen.

Elisabeth Hallenstein hebt das erste Bündel Papier ans Licht. Staubwolken steigen auf, es riecht nach Leim, altem Leder und vergessenen Geschichten. Auf den vergilbten Blättern steht der Name ihres Urgroßvaters: Conrad Adolph Hallenstein– Schauspieler, Bühnenmensch, Gründergeist.

»Er hat gesprochen wie ein Kaiser, gespielt wie ein Narr und gedacht wie ein Poet«, sagt sie mit leiser Rührung und blättert in den ledergebundenen Folianten und Tagebüchern. Sie hütet einen Schatz: das Vermächtnis eines der Gründer der Schlaraffia. In diesen Unterlagen findet sich der Keim einer Idee, die eine Gruppe von Schauspielern Mitte des 19. Jahrhunderts in Prag verband. Verbunden durch den täglichen Hochleistungsjob auf der Bühne wollten sie einen Ort schaffen, an dem geistige Freiheit herrscht. Einen Ort, an dem Ironie statt Pathos den Ton bestimmt und Lachen als höchste Form der Intelligenz gilt.

Aus dem Dachbodenfund formt sich ein Bild: Prag in den 1850-er Jahren. Eine Welt im Umbruch. In den Theatergarderoben gärt es. Zwischen Puderquasten, Säbelrasseln und politischen Spitzeln suchen Hallenstein und seine Gefährten nach Zuflucht. Nicht im Rückzug, sondern im Spiel. In einer Welt mit eigenen Gesetzen, eigenen Titeln, einer Sprache zwischen Mittelalter, Barock und Schmäh– dem Bund der Schlaraffen.

Elisabeth lächelt. Sie kennt den Rhythmus, den Atem dieser Zeit. Auf der Opernbühne hat sie gelernt, dass große Gefühle oft in kleinen Gesten wohnen. Und hier, in den Zeilen ihres Urgroßvaters, erkennt sie dieselbe Wahrheit.

»Er war kein König. Aber er hat sich einen Hof erschaffen– mit Rittern, Weisheit, Fantasie.«

Und sie lässt Geschichte lebendig werden. Nicht nur die ihrer Familie, sondern die eines Bundes, der aus dem Theaterspiel Ernst gemacht hat– im Dienste der Freundschaft, des Humors und der Kunst.

Prag, 10. Oktober 1859

Der Moldaunebel liegt schwer auf den Gassen, drängt sich zwischen Laternen und Kutschenrädern wie ein Akteur in einem Stück, das täglich neu geschrieben wird. In den Caféhäusern wird über die Zukunft der Monarchie diskutiert, über Wagner gestritten, über Brahms gemunkelt. Die Theater sind voll. Nicht nur mit Publikum, sondern mit deutlichem Drang nach Ausdruck, nach Freiheit, nach etwas, das noch keinen Namen hat.

Im Ständetheater zu Prag, einem ehrwürdigen Haus mit bröckelndem Stuck und gestrenger Direktion am Obstmarkt, steht Conrad Hallenstein auf der Bühne. Seine Stimme– ein baritones Gewitter, seine Präsenz– ein Leuchtturm. Doch hinter den Kulissen treibt es ihn zu mehr.

»Wir spielen hier, als ob wir ein Dekret aufsagen«, zischt er seinem Chef Franz Thomé in der Garderobe zu. »Wo bleibt der Witz, die Seele, der Funke? Wir tun so, als gäbe es kein Morgen– und kein Heute.«

Theaterdirektor Thomé, ein stattlicher Herr mit einem mächtigen, der Mode der Zeit entsprechendem, schlohweißen Franz-Joseph-Bart, hebt die Schultern. »Im heutigen Prag wird der Witz von der Polizei verhört.«

Es ist der moralische, politische und künstlerische Druck, der den Mimen keine Ruhe lässt. Zwischen Requisiten und Revolutionsresten suchen sie nach einem Ort, der nicht Bühne, aber auch nicht bloße Flucht ist. Nach einem Raum für Gleichgesinnte, für Fantasten, Spötter und Idealisten.

Eines Abends treffen sich eine Handvoll Kollegen nach einer Aufführung im Hinterzimmer von Freund’s Restauration, Ecke Wassergasse und Grube in Prag. Das Feuer im Ofen knistert, der Wein ist herb, die Ideen sind süß wie Met.

»Was wäre«, fragt Hallenstein und erhebt sein Glas, »wenn wir ein eigenes Reich erschaffen– nicht mit Armeen, sondern mit Wortwitz, mit Spiel, mit Herz?«

»Ein Reich des Schalks?«, fragt Opernsänger Albert Eilers, der später den Ritternamen Graf Gleichen annimmt.

»Ein Reich des Geistes«, erwidert Direktor Franz Thomé. »Ein Königreich, in dem die Weisheit einen Esel reitet und der Ernst das Podium dem Humor überlässt. Wo jeder zum Ritter wird– wenn er lacht.«

So nimmt er seinen Anfang: der Schlaraffen-Bund, der sich von dünkelhaften Vereinen abheben möchte. Aus Skizzen werden Statuten. Aus Bühnenfreunden– Gründerritter. Aus Spiel– Ernst. Oder besser: Ernst im Spiel.

Prag wird zur Wiege eines Bundes, der nicht regieren will, sondern erinnern: an das Kind im Manne, den Narren im Denker, den Künstler im Beamten.

Und während draußen monarchistischer Nebel kriecht und die Welt sich ändert, erfinden drinnen ein paar Theaterleute eine Gegenwelt des Geistes.

Schauspieler mit mächtiger Stimme

Der am 15. Januar 1833 in Frankfurt am Main als Sohn eines Possendichters geborene Conrad Hallenstein war schon als junger Mann zum Theater gekommen und am Königlichen Ständetheater in Prag gelandet. In diesem Haus waren 1787 Mozarts Don Giovanni und 1791 seine Oper La clemenza di Tito uraufgeführt worden. Er wechselte dann zum Neustädter Theater, im Volksmund Theater vor dem Roßthore genannt, das unter der Intendanz von Franz Thomé am 24. April 1859 eröffnet wurde.

Thomé hatte sich einen Namen als Darsteller jugendlicher Liebhaber gemacht. Geboren zu Wien als Sohn eines Kanzleibeamten des russischen Botschafters Fürst Rasumovsky zog er nach des Vaters Tod mit der Mutter nach Dresden, wo er in der katholischen Schule und am Gymnasium seine erste Ausbildung erhielt. Über Engagements in Wien und Paris gelangte er nach Prag, wo er Hallenstein kennenlernte und engagierte.

Elisabeth Hallenstein blättert in den Tagebüchern ihres Urgroßvaters. Akribisch sind Spielpläne und Auftritte in flüssiger Kurrentschrift mit spitzen und geschwungenen Buchstaben verzeichnet. Der Schauspieler, dessen Stimme ein enormes Volumen hat, die weit ins Publikum trägt, absolviert ein unglaubliches Pensum.

»Ich erhebe den Humpen auf das Reich, das wir erdacht und den Unsinn, der uns frei gemacht!«, ruft er an diesem 10. Oktober 1859, einem Montag, als sich die Herren nach einer Vorstellung auf einen Absacker in Freund’s Restauration treffen.

Die Bierkrüge krachen zusammen. Böhmisches Lager schäumt golden in schweren Zinnkrügen. Der erste Uhu-Abend ist kein offizieller Akt, sondern ein Rausch aus Worten und Einfällen.

Man spricht in Reimen, vergibt sich gegenseitig Titel– Direktor Thomé wird Ritter Carl II., Eilers Ritter Graf Gleichen, Hallenstein zu Ritter Wendelin von Höllenstein das Tausendguldenkraut. Der eine rezitiert mit Pathos ein eigenes Unsinns-Sonett, der andere schlägt auf dem Klavier ein schräges Lied an.

Ein gutes Dutzend Herren ist versammelt. »Heute stand ich im Theater elfmal tot auf der Bühne«, klagt einer von ihnen, und beißt in ein salziges Brötchen. »Und das nur, weil der Inspizient den Gong nicht gehört hat.«

»Ich hatte eine Gräfin, die keuchte wie eine Dampfpfeife«, schmunzelt ein anderer. »Das war keine Kunst, das war Verkehrslärm!«

Gelächter. Noch ein Krug. Noch ein Trinkspruch.

Dann erhebt sich Hallenstein, die Stimme fest, aber mit ironischem Schwung, der jede Steifheit unterläuft:

»Edle Freunde, dies ist mehr als nur ein Gelage. Wir sind Ritter eines neuen Reichs. Eines, das keine Mauern braucht– nur Geist, Humor und Freundschaft.«

Er zieht aus seiner Westentasche ein handgeschriebenes Pergament. Der Entwurf für das, was eines Tages einmal Spiegel & Ceremoniale heißen wird.

»Lasst uns ein Wappen zeichnen, ein Ritual erfinden– nicht für den Spott, sondern gegen die Verbissenheit dieser Welt!«

Und so beschließen sie: Jeder darf ein Wappen führen– doch der Uhu, das kluge, verschmitzte Nachttier, soll über allem schweben.

Die Nacht wird lang. Das Bier versiegt, die Worte nicht.

Als sie im Morgengrauen aufbrechen, taumeln sie beseelt auf das Kopfsteinpflaster Prags hinaus. Eine Idee ist geboren. Keine Revolution, aber eine leise Gegenwelt.

Und über den Dächern der Goldenen Stadt Prag breitet ein Uhu seine Schwingen aus und blinzelt.

Ritter von der Rolandnadel

Elisabeth Hallenstein, Urenkelin von Ritter Höllenstein, kommt aus dem Erzählen nicht heraus. Die Mitternachtsstunde rückt näher schon, die Geschichten sprudeln. Ihr Burgherr, Rt. Bari-Toni von Höllenstein, schleppt weitere Kisten und Kästen herbei, die Schätze aus dem Fundus des Urschlaraffen Höllenstein bergen.

Hundertjährige Ritterhelme werden entstaubt, 150 Jahre alte Zeitschriften hervorgezaubert. Orden und Ehrenzeichen blitzen aus dem Staub der Geschichte auf. Österreichs Kaiser Franz Joseph ernannte Hallenstein zum Ritter seines eigenen Franz-Joseph-Ordens. Es macht heute keinen Unterschied mehr, ob es ein Orden der damaligen regierenden Majestät war oder ein schlaraffischer Orden– alles verwebt zu einem Fundus, der seinerzeit Eitelkeiten bediente, doch im Ergebnis ein buntes Sammelsurium von Kuriosa darstellt.

Der Nachlass verdeutlicht, wie sich eine Gemeinschaft entwickelte, deren Erkennungszeicheneine kleine weiße Perle im Revers ist: die Rolandnadel. Diese Ritter von der Rolandnadel bilden heute eine– so steht es in der Satzung– »innige Gemeinschaft von Männern, die in gleich gesinntem Streben die Pflege der Kunst und des Humors unter gewissenhafter Beachtung eines gebotenen Zeremoniells bezweckt und deren Hauptgrundsatz die Hochhaltung der Freundschaft ist.«

Schlaraffenreyche bildeten sich bald überall in Österreich, Deutschland, der Schweiz, sogar in Übersee. Nach seinem Wechsel an das Hoftheater in Wien 1871 legt Hallenstein den Grundstein für das Wiener Schlaraffenreych Vindobona. Zu seinen Ehren wird die Burg Veste Höllenstein genannt. Sein Vorbild inspiriert weitere Künstler und Schauspieler.

Komponist Franz Lehár, Schauspieler Gustl Bayrhammer, Attila und Paul Hörbiger, Schriftsteller Ludwig Ganghofer, Peter Rosegger und Albert Sixtus waren ebenso mit Spielfreude dabei wie Walter Oehmichen, Gründer der Augsburger Puppenkiste. Maler, Architekten, Ärzte, Historiker und Theologen erfreuten sich am Ritterspiel.

Anderthalb Jahrhunderte nach seiner Gründung ist der Bund der Schlaraffen immer noch ein Treffpunkt faszinierender Zeitgenossen, die sich den Themen Kunst, Freundschaft und Humor verschrieben haben.

Die Rolandnadel

Unter den vielen Symbolen, mit denen sich das Schlaraffentum schmückt, nimmt die Rolandnadel einen besonderen Platz ein. Sie ist das dezente, aber bedeutsame äußere Erkennungszeichen der Schlaraffen– getragen mit Stolz und Innerlichkeit zugleich. Unauffällig am linken Revers befestigt, kündet sie von einer Zugehörigkeit, die weit über den äußeren Rahmen eines Vereins hinausgeht: von der stillen Verpflichtung gegenüber den Idealen der Freundschaft, der Kunst und des Humors.

Es handelt sich um eine schlicht gestaltete Nadel, deren Blickfang eine weiße Perle bildet– ein Symbol für Klarheit, Integrität und Verbundenheit. In ihrer Zurückhaltung liegt Würde; in ihrer Einfachheit– Bedeutung.

Die Rolandnadel verdankt ihren Namen und ihre Idee dem Rt. Roland der Colonia Agrippina, der sie als sichtbares Zeichen schlaraffischer Gemeinschaft ins Leben rief.

Es war sein Wunsch, ein dauerhaft tragbares Erkennungszeichen zu schaffen– nicht nur für die festliche Burg, sondern auch für das profane Leben dazwischen, auf Reisen, bei Begegnungen, im Alltag.

So wurde aus einer kleinen Geste ein großes Symbol: Wer die Rolandnadel trägt, bekennt sich zur schlaraffischen Gesinnung– nicht laut, nicht aufdringlich, sondern mit jener feinsinnigen Zurückhaltung, die das Spiel der Schlaraffen durchzieht. Die Ritter der Rolandnadel erkennt man also nicht nur an diesem dezenten Schmuckstück, sondern auch an ihrer Haltung: offen, humorvoll, zugewandt.

Neben der Nadel ist auch der schmunzelnde Uhukopf ein weithin sichtbares Zeichen schlaraffischer Präsenz– jener charakteristische, leicht blinzelnde Vogel, der mit verschmitztem Blick Weisheit und Ironie verbindet. Viele Sassen führen diesen Uhu als Aufkleber an ihrem Fahrzeug– ein augenzwinkerndes Grußzeichen, das auf Autobahnraststätten wie auf Schlossparkplätzen Erkennung ermöglicht.

Wer diesen Aufkleber sieht, erkennt ihn nicht selten mit einem Lächeln– und nicht wenige Male hat ein solches Zeichen schon zu einem spontanen Gespräch, einem Wiedersehen oder gar einem kleinen Ausritt geführt.

So bleibt die Rolandnadel, gemeinsam mit dem reisenden Uhu, ein Symbol für die stille Verbindlichkeit einer weltweiten Bruderschaft, deren Mitglieder sich erkennen, auch wenn sie sich noch nie begegnet sind– durch ein Zeichen, ein »Lulu«.

Der überzeugte Narr

René ist ein Narr. Genauer gesagt, er ist ein Hofnarr. Inzwischen ist der gebürtige Schweizer sogar ein Erb-Hofnarr, weil er dieses Amt länger als zehn Jahre ausübt, ohne geköpft worden zu sein.

Was zeichnet einen Hofnarren aus?

»Dass er sich nicht beeindrucken lässt«, lacht der sonnengegerbte Wahl-Mallorquiner auf meine Frage. Im Notfall hat er seine Marotte; die kann er vorzeigen, um den eigenen Kopf zu retten. Diese Marotte ist ein mit Schellen und Bändern geschmückter Stab, mit einem geschnitzten oder bemalten Kopf verziert, der das Gesicht des Hofnarren darstellt. Sie symbolisiert die Rolle und die Macht des Narren, der die Freiheit hat, Wahrheiten zu sagen und Kritik zu üben, die anderen verwehrt ist.

Diplomatie sei extrem wichtig in dem Amt, ergänzt der Mann mit den vielen Lachfalten und definiert: Diplomatie sei die Kunst, den Hund so lange zu streicheln, bis der Maulkorb fertiggestellt sei. Er liebt das Spiel in parallelen Welten, so wie es ihm als Hofnarr der Schlaraffen der Medina Mayurka– so heißt sein auf Mallorca angesiedeltes Schlaraffenreych– möglich ist. Da tritt er in quietschbunten Schuhen mit Narrenkappe auf und bringt sich mit trockenem Humor in das Spielgeschehen ein.

»Andere besteigen Berge und klettern Felswände hoch. Ich bekomme meinen Kick hier«, erläutert er seine Passion. »Ich bin gern Hofnarr bei den Schlaraffen.«

René ist ein Mann, der hinterfragt. Für ihn gibt es keine objektiven Wahrheiten; alles ist eine Frage des Betrachtungswinkels und der subjektiven Sichtweise auf die Welt. Wissen ist für ihn relativ. Er hält es mit Sokrates, dem in Platons Dialog Apologie der Satz zugeschrieben wird: »Ich weiß, dass ich nichts weiß, und je mehr ich weiß, desto mehr erkenne ich, wie wenig ich weiß.«

Da wir nichts sicher wissen und dennoch alles zu wissen glauben, kommt der Glaube ins Spiel. Schon als Schüler kam René mit Glaubensfragen in Berührung, als er den Vikar im katholischen Religionsunterricht fragte, ob es eine Sünde sei, wenn zwei Menschen, die nicht verheiratet sind, miteinander schlafen.

Eine Ohrfeige für den Zweifel

»Klar ist das eine Sünde«, antwortete ihm der Gotteskrieger. Aber, fragte der Junge weiter, wenn dabei ein Kind entsteht, dann sei dies doch von Gott? Statt einer Antwort erhielt er eine Ohrfeige. Der schwarzenPädagogik fehlten die Argumente.

An kirchlichen Ritualen stößt sich René. Er stellt die Beichte infrage und will wissen, was es denn nütze, wenn er zehn Vater unser zur Buße für irgendeine Sünde herunterrasselt. Das helfe doch dem Geschädigten nicht. So gelangt er zur Philosophie: Für jede gelöste Frage gibt es zwei neue.

Schon der Großvater rät dem Jungen, der im Schweizer Winterthur aufwuchs, weniger zu grübeln und mehr zu tun. Handlung bestimmt die Figur! Was einer tut, ist entscheidend und weniger, was einer glaubt. Wie ein Rachezeichen des Himmels schlägt das Schicksal zu: Er bekommt als Sechsjähriger Kinderlähmung. Dem vollständig Gelähmten gibt nur die Zuversicht der Eltern Kraft, wieder auf die Beine zu kommen. Durch sein Handicap fehlt er in der Schule und wird mühsam mitgeschleppt. Für die höhere Schule reicht es nicht, er bekommt dennoch die Chance, Elektriker zu werden.

Nach der Gesellenprüfung, er hat seine Behinderung inzwischen überwunden, arbeitet er für eine Spezialfirma für Waschmaschinen, reist durch die Schweiz und schraubt an teuren Automaten. Zehn Jahre später macht er sich mit diesem Gewerbe selbstständig. Mittlerweile hat er geheiratet; in Sachen Weiblichkeit hat er durch die Krankheit Nachholbedarf: Inzwischen ist er Vater von sieben Kindern von vier verschiedenen Frauen. Mit allen hat er ein gutes Verhältnis, man besucht sich gegenseitig. Zwei seiner Kinder hat er mit schlaraffischen Grußworten getauft: eins heißt Lulu, das andere Rocco Ehee.

Null Bock aufs Militär

René hat keinen Bock aufs Militär. Er geht ins Militärbüro, um sich für den Dienst abzumelden. Da gibt es ein großes Lachen und man fragt ihn, ob er genau wisse, was einen Verweigerer erwarte. »Na, klar! Ich gehe in den Knast«, antwortet René. Ein Hauptmann liest ihm die Leviten, aber er bleibt stur. Ein Adjutant nimmt ihn am Arm und sagt, der Staat dürfe ihn zweimal im Jahr einberufen. Er müsse folglich jedes Jahr zweimal neunzig Tage in den Knast.

Da entschließt sich René auszuwandern. Der Nonkonformist versteht sich als Weltenbürger. Nach ausgedehnten Reisen durch Brasilien und Australien landet er 1998 auf der spanischen Balearen-Insel Mallorca. Dort schlägt er Wurzeln. In der Gemeinde Binissalem gründet er eine Farm für Aussteiger, die er zu einem Familienparadies entwickelt.

Auf der Insel findet er Kontakt zu den Schlaraffen. Er hört, man solle sich bei den Zusammenkünften fein anziehen. Deshalb tritt er in feinem Nadelstreifen mit weißem Hemd, Coca-Cola-Werbekrawatte und Zigeunerhut auf. Zeremonielles widerstrebt ihm; Formelles stößt ihn ab. Er kommt ein paar Mal zu den Sippungen, trägt dann ein Gedicht vor unter dem Titel Warum ich nicht mehr komme. Doch kaum hat er es vorgetragen, widerruft er lachend: »Vergesst es, ich komme wieder!«

René baut die Burg der Medina Mayurka mit auf und wird mit der Gründung des ersten Schlaraffenreychs der Insel anno 2003 in den Ritterstand erhoben. Künftig ist er Ritter Geizen-Peter der Un-verstandene. Das ist nach seinem Geschmack, außerdem überspringt er damit die Phasen von Prüfling, Knappe und Junker, mit denen sein Temperament kollidiert wäre.

Was machen die Schlaraffen mit solch einem Sonderling? Er wird zum Hofnarren bestellt. Das ist die Rolle seines Lebens. Rt. Geizen-Peter entwickelt sich zu einem Schlaraffen, ohne dessen Show-Einlagen den Sippungen auf Malle etwas fehlen würde. Er empfiehlt den Bund als Auszeit aus dem Stress und als Ferien für Geist und Seele. Wer außerdem bereit sei, Pflichten zu übernehmen und Verantwortung zu tragen, passe optimal in den bunten Haufen, der sich Schlaraffia nennt.

Als Hofnarr kann René Wahrheiten humorvoll im Scherz vortragen und durch seine scheinbare Unverantwortlichkeit Wahrheiten aussprechen, die Könige nicht hören wollen. Zwischen Narrenstab und Philosophie hat er seine Welt gefunden.

Sippungen und Funktionen

Die Sassen jedes Schlaraffenreyches versammeln sich während der Winterung einmal wöchentlich in der Burg zur Sippung. Die Winterung erstreckt sich über sieben Monde. Auf der nördlichen Erdhalbkugel dauert die Winterung vom 1. Oktober bis zum 30. April, auf der südlichen Erdhalbkugel vom 1. April bis zum 31. Oktober. Innerhalb der sippungsfreien Zeit darf eine weitere Sippung stattfinden. Der Sippungstag heißt Uhutag.

An der Spitze eines jeden wohlsortierten Schlaraffen-Reyches thronen drei Oberschlaraffen– würdige Spielleiter und Ehrfurcht gebietende Regenten der Sippung, die standesgemäß mit Eure Herrlichkeit angeredet werden. Sie lenken mit geistvoller Milde und wohlgewähltem Spott die Geschicke des Reyches– und behalten dabei stets die Krone der Heiterkeit im Auge.

Ihnen zur Seite steht der Kantzler, der als Euer Vieledlen bekannt ist und sich mit stoischer Würde um alles kümmert, was nach Verwaltung riecht. Er hält diplomatische Fühlhörner zur Zentralkantzlei, zu anderen Reychen, Ehrenrittern und dem Allschlaraffenrat ausgestreckt und weiß dabei stets, welches Formular wohin gehört– eine seltene, fast mythische Fähigkeit.

Der Reychsmarschall– Hüter der Matrikel, Meister der Protokolle und Großmogul des Tamtam– hat die alleinige Macht, den Gong zu

schlagen. Allerdings nur, wenn der Fungierende, also der gerade aktive Oberschlaraffe, dies ausdrücklich befiehlt. Von sich aus zu bimmeln, gilt als schweres Vergehen und führt direkt ins Burgverlies.

Für die Zucht und Ordnung der aufstrebenden Jungspunde ist der Junkermeister zuständig, liebevoll »Euer Gestrengen« genannt. Er erzieht Knappen und Junker mit eiserner Faust und der berüchtigten Knute– einem Instrument schlaraffischer Pädagogik, das mehr Eindruck als Schmerzen hinterlässt.

Über den Mammon wacht der Reychsschatzmeister– ein Zahlenzauberer mit scharfem Blick und engem Gürtel. Ihm untersteht der Säckelmeister, der mit klapperndem Beutel und sanftem Nachdruck die fälligen Pönen (Strafen) und übrigen Abgaben einsammelt– stets charmant, aber bestimmt.

Der Ceremonienmeister wiederum ist das Gesicht des Reyches: Er empfängt die einreyttenden Sassen befreundeter Reyche aus dem ganzen Uhuversum, führt sie ehrfurchtsvoll vor den Thron und sorgt mit sicherem Taktgefühl dafür, dass keine Zeremonie zur Farce verkommt– zumindest nicht unbeabsichtigt.

Musikalisch begleitet wird das bunte Treiben vom Zinkenmeister, der auf dem Clavicimbel, ja, das ist ein Klavier, mal feierlich, mal fröhlich in die Tasten greift, Fanfaren erklingen lässt und gelegentlich solistische Höhenflüge wagt, die selbst alte Uhuhasen zu Tränen rühren.

Und dann ist da noch der Hofnarr– ein ganz besonderer Vogel im schlaraffischen Schwarm. Als Einziger darf er jederzeit dazwischen quaken, Witze reißen, Thronreden zerpflücken und die Wahrheit sagen, ohne gepönt zu werden. Ein guter Hofnarr verleiht der Sippung nicht nur Glanz, sondern manchmal sogar Glorie.

Am Ende jeder Winterung– der schlaraffischen Jahreszeit voller geistvoller Gelage– wird gewählt. Die Reychsämbter werden neu besetzt, die Posten verteilt, und alles beginnt wieder von vorn. So lebt das Reych– weise, würdig und mit einem Lächeln auf den Lippen.

Der schmunzelnde Advokat

»Das Wichtigste am Humor ist, sich nicht zu ernst zu nehmen und mehr über sich selbst zu lachen als über die Schwächen der anderen«, sagt der Osnabrücker Jurist Christian Säfken. Ob dies wohl ein Motiv ist, Mitglied der Schlaraffia zu sein? Um das zu ergründen, treffe ich den 1,97 Meter großen Hünen zum Gespräch.

Als Christian Säfken am 13. Juni 1976 im Zeichen des Zwillings geboren wird, ahnt niemand, welch baumlanger Kerl aus dem Würmchen, das im Land der Teetrinker in den Himmel der Wesermarsch brüllt, einmal erwachsen würde. Bei einem späteren Besuch in einem Schlaraffenreych wird schmunzelnd festgestellt, er habe es wohl »nicht mal auf zwei Meter gebracht«. Seitdem nennt sich Säfken scherzhaft »schlaraffischer Pygmäe«, auch wenn dieser Begriff mittlerweile auf dem Index der Sprachpolizei steht.

Christian wächst in einem behüteten Umfeld auf. Sein Vater, der erste in der Familie, der nicht in der Landwirtschaft arbeitet, studiert Betriebswirtschaft, während seine Mutter, eine Einzelhandelskauffrau, ihre berufliche Karriere aufgibt, um sich der Familie zu widmen.

Christian verbringt viel Zeit mit Kunst, Literatur und Musik und ist Stammgast in der Bibliothek, wo er seine Nachmittage verbringt. Sportler wird er keiner, dafür Musiker: Mit fünf Jahren entscheidet er sich für das Akkordeon, auf dem er bis heute gern spielt.

Seemann mit Akkordeon

Bei schlaraffischen Treffen lässt Christian oft Lieder auf seinem Akkordeon erklingen und erinnert dabei an einen Seemann, der mit wiegendem Gang durch die Reihen läuft. Man stelle sich einen großen Mann mit wettergegerbtem Gesicht und breiten Schultern vor, dessen Hände sicher über die Tasten gleiten, wobei ein Lächeln um seine Lippen spielt. Zwar sieht Christian Säfken nicht ganz so martialisch aus, doch hat er während der Semesterferien als Aushilfsmatrose gearbeitet und das raue Leben auf See kennengelernt.

Auch sein Outfit erinnert kaum an einen Seemann. Auf dem Haupt trägt er einen mit Orden behangenen, meist leicht schief sitzenden Schlaraffenhelm. Ein güldener Eiffelturm baumelt über dem Nasenrücken, zwei Augen blitzen verschmitzt hinter einer großen Brille, und ein mächtiger Mantel in den Farben Hellblau-Weiß-Schwarz umflutet seinen Oberkörper. Beim Singen strahlt er eine ansteckende Freude aus, die die Zuhörer mitnimmt.

Schwimmer gegen den Strom

Schon als Jugendlicher hebt sich Christian von der Masse ab. Statt sich für Rock oder Pop zu interessieren, bevorzugt er Messen und Requien und singt in klassischen Chören. Für ihn ist nur Musik gut, die »mindestens 150 Jahre alt« ist.

Später öffnet er sich auch zeitgenössischen Klängen und findet Gefallen daran, wie klassische Techniken auf hohem Niveau in der modernen Musik angewandt werden können.

Den 15-Jährigen trifft man folglich eher im Konzerthaus als auf der Tanzdiele. Doch wie lernt man bei einem Requiem Mädchen kennen?

Minnegesang im Juristenkeller

Im Hochsommer 1999, im Keller des juristischen Seminars der Universität Göttingen, sitzt Christian und paukt Strafrecht. Die Ruhe wird von einer Gruppe Mädchen gestört, die laut kichert.

Der Herr Studiosus hebt die Augenbrauen und bittet die Damen formvollendet, sich vom Acker zu machen: »Wenn Sie sich unterhalten wollen, oben scheint die Sonne, das ist hier nicht der richtige Ort. Hier möchten Menschen arbeiten.«

Die Kommilitoninnen lachen über den seltsamen Vogel. Eine der Damen, Sandra, trifft er Wochen später wieder. Sie erkennt ihn sofort als »den Arsch, der sie damals verscheucht hat«. Er dagegen erkennt sie nicht wieder– zum Glück, denn aus den beiden wird ein Paar.

Sie ist als Arbeitsrechtlerin bei der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz in Berlin tätig, während er sich an der Schnittstelle zwischen Recht, Datenschutz und IT-Sicherheit als Justiziar und Datenschutzbeauftragter für die Klinikum Region Hannover GmbH behauptet, einer Organisation von acht Krankenhäusern, vier Tochtergesellschaften und 8500 Mitarbeitern.

Der harte Job und die Leichtigkeit des Humors

Dass dieser Job knallhart ist und enorme Belastung auslösen kann, zeigt sich, wenn man Christian Säfken bei einer seiner Entspannungsübungen beobachtet: Er liebt Literatur und Comics.

Ein Jurist, der in einem anspruchsvollen Beruf arbeitet und sich in seiner Freizeit mit einem Comic entspannt, verbindet Ernsthaftigkeit und Humor erfrischend. Diese Balance ist eine clevere Strategie zur Stressbewältigung und ein Zeichen großer Lebensfreude.

Christian besitzt die Fähigkeit, auch in strapaziösen Zeiten zu lachen. Diese Leichtigkeit hebt seine eigene Stimmung und die seiner Umgebung. Er zeigt, dass man auch in der Welt des Rechts mit einem Schmunzeln durchs Leben gehen kann– eine erfrischende Perspektive auf einen ernsten Beruf. Gleichzeitig entschuldigt er scherzhaft seinen Hang zum Trivialen: Das Große Buch der Witze, das er auf einer schlaraffischen Veranstaltung dem Gastgeber überreicht, sei auch als Dämmstoff geeignet.

Kontakt mit der Schlaraffia

Zu seinem 40. Geburtstag hat er sich gerade die Kuchenkrümel vom Mund gewischt, als ihn der große Uhu, der Wappenvogel der Schlaraffia, trifft: Gemeinsam mit einem Freund singt er im Bach-Chor Osnabrück, einem Chor, der auf historische Authentizität Wert legt. Die Choristen sitzen auf der Orgel-Empore.

Christian sieht am Revers seines Freundes eine Nadel blitzen und versucht, sie ihm aus dem Sakko zu ziehen, mit den Worten: »Da hat die Reinigung was vergessen. Das musst du da mal rausmachen, bevor du dich hier stichst.«

»Finger weg von meiner Rolandnadel«, faucht ihn der Träger des schlaraffischen Erkennungszeichens an. Er solle sich einen Anzug besorgen, mitkommen und den Verein mal ansehen.

»Was für ein bekloppter Verein, in dem man einen Anzug tragen muss, um mal vorbeizuschauen«, brummt der Eingeladene und erscheint trotzdem.

An diesem Abend kommt er aus dem Staunen nicht heraus. Männer in farbenprächtigen Mänteln treiben allerlei Schabernack, reden in Zungen und machen Musik.

Vom Skeptiker zum Schlaraffenritter

»Irgendwann habe ich gedacht, die haben alle einen Dachschaden, aber einen sehr sympathischen«, denkt Pilger Säfken und kommt wieder. Schließlich wird er im Osnabrücker Reych Ossenbrugga »weiß gekugelt« und nach Knappen- und Junkerzeit zum Ritter geschlagen. Seitdem trägt er den Ritternamen Kleinerdrei– Wanderer in Digitalien.

Sein berufliches Umfeld und die daraus gewonnene Sichtweise helfen Ritter Kleinerdrei in seinem grundsätzlichen Ansatz für die Zukunft des Bundes. »Es ist wenig förderlich, mit dem Strom zu schwimmen, nicht anzuecken und bloß das zu machen, was die anderen tun«, erklärt der vom Großunternehmen geprägte Jurist.

Ihm geht es darum, auf möglichst vielen Ebenen kreativ zu sein, mit den vorhandenen Ressourcen vernünftig umzugehen und zu hinterfragen, ob das, was der Bund seit Jahrzehnten betreibt, auch im 21. Jahrhundert zeitgemäß ist. Die Schlaraffia habe sich in den letzten 165 Jahren stets hinterfragt, und es sei kaum der Wille ihrer Gründer gewesen, dass bis in alle Ewigkeit alles so bleibe wie am Gründungstag, lautet seine Überzeugung.

Ein Bund im Wandel

Heute gibt es knapp 8300 Schlaraffen auf dem Blauen Planeten– ein Völkchen, das ums Überleben kämpft. Um das Spiel wieder attraktiv zu machen und Nachwuchs zu gewinnen, müssen alle Formen der Kommunikation genutzt werden.

Ritter Kleinerdrei bekennt sich zu den Netzrittern, die sich zusätzlich zu ihren Sippungen in virtuellen Räumen treffen, um über Kontinente hinweg zu kommunizieren und den Bund in die Zukunft zu führen.

Humor als Grundpfeiler der Schlaraffia

Die Entwicklung des Humors ist Kleinerdrei ein wichtiges Anliegen, gilt dieser neben Kunst und Freundschaft als eine der drei Grundsäulen des schlaraffischen Selbstverständnisses. Doch in den Reihen der Schlaraffen kommt niveauvoller Humor oft zu kurz. Zu häufig erlebt er die bloße Reproduktion bekannter Witze und Klassiker– von Loriot bis Heinz Erhardt.

Diese sind zwar beliebt, doch bei solchen Versen weiß jeder bereits im Voraus, wann gelacht werden darf und wann nicht. Dem Ritter fehlen dabei die echte Kreativität und der originäre Geist, den Humor haben sollte. Zwar komme gelegentlich eigener Witz zum Vorschein, wenn der güldene Ball, womit der spielerische Umgang mit Rede- und Gegenrede gemeint ist, einmal fliegt, doch es gibt auch Abende, die humorfrei bleiben– und das bedauert er sehr.

Humor hat viele Facetten– von schwarzem bis zum katholischen Humor. Doch welchen Humor bevorzugt er selbst? Eine unerwartete Frage, die er gern beantwortet: Er verehrt die sogenannte Frankfurter Schule– nicht Horkheimer und Adorno, sondern die Humoristen, Dichter und Satiriker Bernstein, Gernhardt, Henscheid, Eilert, Traxler und Waechter.

Diese überschritten oft Grenzen, auch die des guten Geschmacks, doch geistreich und mit einem Scharfsinn, der zum Lachen anregte.

Humortester auf Reisen

Christian Säfken testet als Ritter Kleinerdrei den Humor der verschiedenen Schlaraffenreyche, indem er regelmäßig ausreitet. Berufsbedingt ist er ständig auf Achse. Mehrmals wöchentlich kann er deshalb Sippungen in anderen Städten besuchen.

Inzwischen hat er 194 verschiedene Reyche kennengelernt. Dabei erfreut er sich an einer Sammlung von Willkommensgeschenken wie Orden, Titeln, Schärpen und Ehrenzeichen, die ihm als Anerkennung verliehen werden. Das schlaraffische Spiel lebt auch von diesen Belohnungen aus Blech– eine parodistische Hommage an diejenigen, die derartigen Mummenschanz allzu ernst nehmen.

Individualität der Sippungen

Wer viel unterwegs ist, der kann viel erzählen. Es sei ein Mythos, dass sich Sippungen stets gleichen, meint Kleinerdrei. In einige Reyche kehrt er deshalb lieber ein als in andere. Dazu zählt beispielsweise die Brunsviga in Braunschweig, die es geschafft hat, nach einem dreifachen Ritterschlag elf neue Sassen an der Junkertafel zu versammeln, die mit Freude und Hingabe beim Spiel dabei sind. Einen dieser Sassen brachte er selbst als Pilger in die Burg.

Ein weiteres Reych, das der Osnabrücker Ritter schätzt, ist die Gladebachum Monachorum in Mönchengladbach. Die musikalischen Sassen dort haben nicht nur eine eigene Band, sondern setzen sich auch für die Erinnerungskultur ein, indem sie Stolpersteine für ihre früheren jüdischen Sassen in der Stadt verlegen. Dabei scheuen sie sich nicht, kritische Worte zur Vergangenheit und Gegenwart des Bundes zu finden.

Humor als Maßstab der Sippung

Die Qualität einer Sippung und der spielerisch eingesetzte Humor hängen für ihn immer vom Engagement der Sassenschaft ab– und es gibt trotz aller Unkenrufe viele aktive Mitglieder.

Zwar ist der schlaraffische Bürokratismus auf der höheren Ebene oft übertrieben, doch Ritter Kleinerdrei sieht in vielen lokalen Schlaraffenvereinen eine lebendige Dynamik und den Wunsch, das Spiel weiterzuentwickeln.

Fast jede Woche besucht er das Reych Hannovera, das fußläufig zur Hannoveraner Oper sippt. Dort trifft er auf exzellente Künstler, die auf internationalen Bühnen auftreten. Er genießt ihr Streben nach Meisterschaft in Musik und darstellender Kunst. Auch Amateure finden in dieser Gemeinschaft ihren Platz und werden genauso geschätzt wie Berufskünstler. Dieses demokratische Prinzip in der Schlaraffia hält er für vorbildlich.

Selbst ist er ebenfalls als musizierender Dilettant unterwegs und tritt in verschiedenen Reychen auf, auch wenn manche Auftritte mal daneben gehen. Die Gemeinschaft nimmt es gelassen– und er darf beim nächsten Mal wiederkommen, um es besser zu machen.

Zwischen Toleranz und Anspruch

Ob diese Nachsicht immer fair ist, bezweifelt Kleinerdrei. Man sei zuweilen allzu tolerant, gerade bei Neumitgliedern. Anfangs werde alles, was Pilger und frisch Gekugelte beitragen, mit gedonnertem »Lulu« gefeiert. Nach einigen Monaten und Jahren ebbt der Enthusiasmus ab.

Wer dann zum 50. Mal dasselbe Stück vorträgt, löst eher Wiedererkennungskrämpfe aus. Dagegen ernten diejenigen, die sich etwas Neues einfallen lassen und kreativ werden, echte Begeisterung. Solche Momente, in denen Schlaraffen sich trauen, schöpferisch zu sein, bringen die schönsten Augenblicke des Spiels hervor.

Mitgliederwerbung als zentrales Anliegen

Christian Säfken spricht gern über eines seiner Lieblingsthemen: die Mitgliederwerbung. Er ist überzeugt, dass die Qualität der Sippungen entscheidend ist, um Interessenten zu begeistern.

»Wer Langeweile verbreitet, wird kaum Leute anziehen«, erklärt er.

Gleichzeitig müsse man die Menschen aktiv anlocken. Er beobachtet die Tendenz, sich zu vereinzeln– eine Entwicklung, die durch das Internet verstärkt wird.

Die Blütezeit der Schlaraffia ist Geschichte

Um 1900 zählten die Schlaraffen zu den bekanntesten und berühmtesten Gesellschaftsvereinen in Deutschland. Damals gab es viele Mitglieder, da die Mitgliedschaft eine gesellschaftliche Aufwertung versprach.

Heute sucht kaum jemand mehr den Kontakt zur feinen Gesellschaft. Selbst in Österreich, wo Veränderungen oft langsamer verlaufen, kämpfen einzelne Vereine bereits mit Mitgliederschwund.

Was ist in dieser Situation zu tun?

»Wir müssen zeigen, was wir haben und was wir können. Wir müssen ein Angebot schaffen und akzeptieren, dass viele Menschen sagen werden: ›Das ist nichts für mich; Gedichte vorlesen oder Musik machen, möchte ich nicht.‹ Das ist okay. Aber es werden immer interessierte und engagierte Leute hängen bleiben, wenn man ihnen zeigt, was die Schlaraffia sein kann«, sagt Kleinerdrei.

Modernisierung der Schlaraffia

Der Schlaraffenritter wird bei diesem Thema leidenschaftlich: »Burgen öffnen, Licht und Luft reinlassen, sich der modernen Welt und dem Kontakt zu Jüngeren nicht verschließen. Man kann Poetry-Slammer und junge Musiker von der Musikhochschule einladen. Man kann Kontakte knüpfen und sollte die Burg auch nicht länger vor dem weiblichen Geschlecht verschließen.«