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Robert Herbig E-Book

Robert Herbig

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Beschreibung

Die Zutaten für diese Sammlung sind einfach: Robert Herbigs Helden sind keine Superhelden. Sie sind immer menschlich geblieben mit ihren Stärken und Schwächen. Die Authentizität in allen Kurzgeschichten versetzt den Leser in eine einmalig gute Atmosphäre. Bleiben Sie dabei, wenn Schuss- und Stichwaffen, gift oder ein Küchenmesser für einen Mord herhalten müssen. Eine raffinierte Methode nach der anderen, jemanden um die Ecke zu bringen.

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e-book 013para bellum 02Morde erster Klasse

Erste Auflage 01.03.2014© Saphir im StahlVerlag Erik SchreiberAn der Laut 1464404 Bickenbachwww.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Crossvalley Smith

Vertrieb: bookwire GmbH

ISBN: 978-3-943948-23-3

HerausgeberErik Schreiber

para bellum 02

Morde erster Klasse

Inhaltsverzeichnis

Robert Herbig

Am Haken

Trügerisch

Witwentrost

Mescal

Killercodex

Ball-Heil-Hurra! Boruss-ia!

Kompostella

Hells Bells

Sehers Tod

Balter’s Entscheidung

Der Stich – Mord am Kühkopf

Apfelprinzessin

Nur ein toter Polacke

Schwarze Socken

Laila

Für eine Handvoll Kies …

Shake it, Baby

Ton in Ton

Der Killer vom Waidsee

Tod auf Bahn 9

Partner werden ist nicht schwer …

Batman und Robin

Christinas Abschied

Sascha Herbig

Berliner Luft

Der Abschlussball

Am Haken

Tom sah auf die Uhr und stellte fest, dass er seit mehr als acht Stunden am See saß. Trotz seiner dicken Kleidung begann er zu frösteln und bekam langsam kalte Füße. Im Köcher lagen zwei mittelgroße Karpfen. Drei kleinere Rotaugen hatte er wieder zurück ins Wasser geworfen. Einen der Karpfen würde er wieder in Freiheit entlassen, er wusste nur noch nicht, welchen. Bevor er nach Hause ging, würde er eine Münze werfen. Wenn ihm das Ergebnis des Wurfes nicht gefiel, würde er Harpo ausnehmen und ihn mit nach Hause nehmen. Groucho hätte dann eben Glück gehabt.

Tom gab den Fischen, die er fing, immer berühmte Namen. Das war persönlicher, fand er. Schließlich verbrachte man ja eine gewisse Weile miteinander. Und man aß sie anschließend auf. Jedenfalls taten das die meisten Angler.

Er hörte den Mann, ohne sich umzudrehen. Reglos blieb er sitzen und lauschte. Es war ein schwerer Mann, der Probleme hatte, die rutschige Uferböschung herunter zu kommen. Er keuchte heftig. Tom hörte, wie der Mann näher kam und schwer atmend hinter ihm stehen blieb.

„Na, beißen sie?“

Tom grinste, ohne den Kopf zu wenden.

„Nur wenn man mich reizt. Oder Dumme Fragen stellt.“

Der Mann schnaufte vernehmlich.

„Ich meinte die Fische.“

Tom nickte.

„Gelegentlich.“

Tom fühlte, ohne es zu sehen, dass der Mann einen Blick in den Köcher warf. Er wartete auf die nächste Frage, die kommen musste. Die Frage, die immer kam.

„Was finden die Menschen nur am Angeln?“

Tom lächelte.

„Es beruhigt die Nerven.“

„Das tut ein gutes Buch auch.“

„Lesen Sie denn Bücher?“ Tom tat, als sei er neugierig.

Der Mann zögerte mit der Antwort.

„Eigentlich nicht. Mir fehlt die Zeit. Der Job, wissen Sie?“

Tom nickte.

„Man muss sich die Zeit nehmen. Wer weiß, wie viel man noch hat.“

Er stellte sich vor, wie der Mann die Worte auffassen würde.

„Wie lange sitzen Sie denn heute schon hier?“, wollte der wissen.

„Was wird das? Ein Verhör?“

„Nein, nur so. Aus Interesse.“

„Acht Stunden.“

„Hmm, doch schon so lange.“

„Brauche ich etwa ein Alibi? Ich war den ganzen Tag allein, Sie sind der erste Besucher heute.“ Ein kurzes Lachen war zu hören.

Tom holte die Schnur ein und spießte mehrere Maiskörner auf den Haken.

Dazwischen zwei große Tauwürmer. Dann holte er aus und warf den Schwimmer etwa fünfzehn Meter weit nach links in den ruhigen See.

Rechts war das Ufergelände für Angler gesperrt, es war als Laichgebiet gekennzeichnet und stand unter Naturschutz. Obwohl ihn niemand kontrollierte, hielt sich Tom an das Verbot, dort zu angeln. Jeder gute Angler würde das tun.

Etwa fünf Minuten lang passierte gar nichts. Noch immer stand der Mann direkt hinter Tom.

„Gibt es denn etwas Langweiligeres als Angeln?“

Wieder musste Tom grinsen.

„Ja.“

„Und was soll das sein?“

„Jemandem beim Angeln zusehen.“

Tom hörte, wie der Mann scharf die Luft einzog.

„Sie machen sich über mich lustig?“

Tom zuckte die Schulter.

„Sie haben damit angefangen.“

Am gegenüberliegenden Ufer stand die Abendsonne über den hohen Bäumen und tauchte den See in ein sanftes, rötliches Licht.

Noch eine halbe Stunde, schätzte Tom, dann würde er aufbrechen müssen. Er wollte nicht im Dunkeln hier sitzen.

Aber vorher musste er noch die Münze werfen. Wegen Harpo und Groucho. Das würde er gerne alleine tun, ohne Beobachtung. Er müsste den Kerl also loswerden. Die Frage war nur, wie?

Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Der Mann seufzte plötzlich hörbar.

„Wenn ihnen das so viel Spaß macht, dann will ich sie auch nicht länger stören, Herr Buschhoff. Auf Wiedersehen.“

Tom hörte, wie der Mann sich umdrehte und Richtung Böschung ging.

In aller Ruhe legte Tom die Angel auf die Halter und drehte sich endlich um.

„Kommissar Kleist?“

Der Mann blieb stehen.

„Ja?“

„Sie sind doch nicht gekommen, um sich mit mir über das Angeln zu unterhalten. Oder den Sonnenuntergang zu genießen. Haben Sie Daniel mittlerweile gefunden?“

Tom bemerkte beiläufig, dass Kommissar Kleist immer noch diesen hässlichen Trenchcoat trug. Wie damals, vor drei Monaten, als Tom ihn das erste Mal gesehen hatte. Auf dem Präsidium in der Schillerstraße, zweiter Stock, Zimmer 204.

Tom saß eine Stunde lang alleine im Verhörzimmer, bevor Kleist hereinkam, den Trenchcoat auf einen Haken hängte und sich ihm gegenüber setzte.

„Mein Name ist Kleist, Hauptkommissar Walter Kleist, Herr Buschhoff. Ich untersuche mit meinem Kollegen, Kommissar Zufall, nein, lachen Sie nicht, der heißt wirklich so, also wir beide untersuchen den Mord an Ihrem Geschäftspartner Herrn Walser.“ Dann sah er Tom in die Augen.

„Steht denn schon fest, dass Daniel tot ist und ermordet wurde, Herr Kommissar?“, fragte Tom ruhig. Kleist schüttelte den Kopf.

„Nein, definitiv noch nicht. Wir gehen intern aber von einem Gewaltverbrechen aus. Wie sie wissen, fehlt uns als letzter Beweis nur die Leiche Ihres verschwundenen Geschäftspartners.“

„Sofern er denn wirklich tot ist“, warf Tom ein. Kleist legte den Aktenordner auf den Tisch und erhob sich.

„Reden wir mal Tacheles, Herr Buschhoff. Meinem Gefühl nach haben Sie ihren Partner aus Habgier kaltblütig ermordet und die Leiche verschwinden lassen. Staatsanwalt Wecker ist zwar anderer Meinung, aber ich konnte ihn überzeugen, mir die Untersuchung zu überlassen. Sie haben meiner Meinung nach Firmengelder unterschlagen. Herr Walser hat das bemerkt, Sie zur Rede gestellt, Ihnen vielleicht sogar mit der Polizei gedroht, darum musste er sterben. In ein paar Tagen werden wir seine Leiche finden, dann bricht Ihr Kartenhaus zusammen. Bisher habe ich noch jeden erwischt, der sich für besonders schlau hielt.“

Tom nickte.

„Man hat sich schon jede Mühe gegeben, meinen Partner zu finden, Herr Kommissar. Allerdings ohne Erfolg. Staatsanwalt Wecker hat unsere Häuser durchsuchen und die Gärten umgraben lassen, sogar Spürhunde wurden eingesetzt.“

Kleist beugte sich zu Tom hin.

„Wir werden ihn finden, darauf gebe ich ihnen mein Wort!“

Das war Ende Dezember gewesen. Zwei Tage vor Silvester, um genau zu sein. Daniels geschiedene Frau hatte sich am ersten Weihnachtsfeiertag an die Polizei gewandt, weil sie Thomas, den Patensohn von Tom über Silvester zu seinem Vater bringen wollte. Trotz mehrfacher Versuche war es ihr nicht gelungen, Kontakt zu Daniel herzustellen.

Tom wurde befragt, alle Mitarbeiter der Firma, Daniel blieb unauffindbar.

Ein Flugticket nach Buenos Aires tauchte in Daniels verwaisten Schreibtisch auf, das aber nicht benutzt worden war. Tom machte auf Bitte des Staatsanwaltes eine Aufstellung der Firmengelder und teilte ihm bestürzt mit, dass etwa 600.000 Euro vom gemeinsamen Konto verschwunden waren.

„Aha. Da hätten wir das Motiv.“ Staatsanwalt Wecker triumphierte.

Tom gab zu Protokoll, Daniel habe ihn am 21.Dezember überraschend von einem Kurzurlaub informiert. Er wolle vor Silvester wieder zurück sein.

„Ziel der Reise?“, fragte Wecker. Tom zuckte die Schultern.

„Ich nahm damals an, Daniel wolle Ski fahren. Gefragt habe ich ihn nicht.“

Für Staatsanwalt Wecker schien das Ganze ziemlich klar zu sein. Das fehlende Geld, ein genügend großer Vorsprung, um Daniels Spuren zu verwischen. Ein typischer Fall.

„Den finden wir nicht mehr. Der sitzt irgendwo in Südamerika und lässt sich die Sonne auf den Bauch brennen. Ich kenn mich da aus, Herr Buschhoff.“

Tage später wurde Tom ins Präsidium gerufen.

Dort teilte man ihm mit, dass die Untersuchung von einem anderen Beamten noch einmal aufgenommen wurde. Es gäbe da noch einige Fragen an ihn.

Kleist machte nie einen Hehl daraus, dass er Daniel für tot und Tom für dessen Mörder hielt. Fast drei Monate lang versuchte er alles, um das zu beweisen. Ohne Erfolg.

Jetzt stand er vor Tom, am Ufer des kleinen Sees. Groß, schwer und böse aussehend. Nein, eigentlich sah er nicht böse aus, eher verärgert. Die Abendsonne färbte sein Gesicht rötlich und nahm ihm ein paar der harten Linien.

„Staatsanwalt Wecker hat den Fall gestern zu den Akten gelegt. Es ... es wird keine weiteren Ermittlungen mehr gegen Sie geben. Eigentlich bin ich nur gekommen, um Ihnen das zu sagen.“ Kleist war immer leiser geworden. Tom spürte, wie schwer Kleist das Gesagte gefallen war. Er verzog keine Miene.

„Es war eine schwere Zeit, Herr Kommissar. Für uns beide.“

Kleist legte den Kopf leicht schief und schüttelte den Kopf.

„An meiner Meinung hat sich nichts geändert. Ich halte Sie immer noch für einen Mörder. Doch ohne eine Leiche kann ich es ihnen leider nicht beweisen. Sie haben Glück gehabt, wie es scheint.

Auf Wiedersehen, Herr Buschhoff. Petri Heil, so sagt man doch bei Ihnen, oder?“

Tom nickte nachdenklich.

„Auf Wiedersehen, Herr Kommissar. Petri Dank.“

Viele Minuten lang blieb Tom danach noch völlig still auf der Bank sitzen. Er hatte sich nach vorne gebeugt, die Ellbogen lagen auf seinen Oberschenkeln. Er holte seine Angel ein, packte alles in seine Angeltasche, Groucho und Harpo ließ er frei. Er sah den beiden zu, wie sie schnell davonschwammen. Irgendwann würde er es schaffen, einen gefangenen Fisch auch zu töten. Irgendwann würde er es übers Herz bringen. Irgendwann. Nicht heute.

Er lehnte sich langsam zurück und sah zum Rundweg hin, dorthin wo Kleist verschwunden war. Aus den Augenwinkeln heraus nahm er rechts im Laichgebiet eine Bewegung wahr. Dort hatte die Frühlingssonne längst begonnen langsam die noch vorhandene Eisdecke aufzutauen. Tom sah eine große Bisamratte, die sich vorsichtig aus dem Ufergestrüpp auf die Eisfläche begab, sich immer wieder misstrauisch schnuppernd zu ihm umdrehte um dann, etwa fünfundzwanzig Meter vom Ufer entfernt stehen zu bleiben.

Wieder sah sie Tom an. Als sie allem Anschein nach der Meinung war, von ihm ginge keine Gefahr aus, zupfte und zerrte sie an einem bleichen, aufgeschwemmten, menschlichen Finger, der wie anklagend aus dem Wasser ragte.

Trügerisch

Der kleine Laubwald befand sich auf einer Anhöhe. Weites, flaches Land umgab ihn. Ein kleiner Weg, von breiten Wagenspuren durchfurcht, schlängelte sich zwischen den Feldern dahin. Es war Nachmittag, die Sonne hatte schon ein wenig an Kraft verloren, die Lerchen schraubten sich etwas müder in den Himmel. Ihr Gesang würde leiser.

Von seinem Lieblingsplatz am Rande des Waldes aus hatte Frank einen wundervollen, kilometerweiten Blick über die friedlich daliegende Landschaft.

Er trug Jeans, ein dünnes, kariertes Hemd und helle Stiefel aus weichem Leder. Schläfrig kaute er auf einem Grashalm, mit sich und der Welt zufrieden.

Ein alter Traktor quälte sich mühsam den Weg herauf. Zwei Männer, die darauf saßen, unterhielten sich angeregt miteinander, lachten. Der Beifahrer hatte es sich auf seitlichen Abdeckung bequem gemacht und warf Frank beim Näherkommen einen neugierigen Blick zu. Als der Traktor Franks Höhe erreicht hatte, nickte der Fahrer freundlich, jedoch ohne anzuhalten.

„Hallo Frank!“

Frank nickte zurück. „Hallo Peter.“

Einige Augenblicke sah Frank den Beiden noch nach, dann machte er sich auf den Heimweg.

„Was war das denn für ein Typ?“ Fritz, der Beifahrer sah Peter neugierig an.

„Frank?“ Peter machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Er kommt hier aus unserer Gegend. War fünfzehn Jahre im Ausland, erzählt man sich, bevor er die alte Mühle gekauft und für viel Geld umgebaut hat.“

„Dem gehört die alte Mühle?“ Fritz schien überrascht. „Der sieht so ... so nichtssagend aus. Nicht wie jemand, der so viel Kohle hat.“

Peter hielt den Traktor an.

„So, wir sind da.“ Dann stutzte er.

„Frank? Nichtssagend? Hmm, merkwürdig, so hab ich das noch nie gesehen.“ Mühsam kletterte er vom Traktor.

„Er arbeitet als Berater für die Industrie, ist ständig in der ganzen Welt unterwegs. Vor sechs Jahren kam er hierher, kaufte die Mühle und renovierte sie. Ich hab ihm letztes Jahr mal eine Fuhre Gemüse und Salat gebracht, für eine Gartenparty. Eine Inneneinrichtung hat die Mühle jetzt, wie in einem französischen Schloss. Seine Frau Baumann hält das Ganze in Schuss.“

„Wer ist denn Frau Baumann?“

„Sie ist seine Dame für alles. Führt ihm den Haushalt, kocht, putzt, wäscht. Alles, was halt so anfällt. Ich sehe sie oft, wenn sie im Dorf einkaufen geht.“

Fritz sah über die Schulter zurück auf den Weg.

„Und wenn er nicht da ist, steht die Mühle leer?“

Peter zog die Augenbrauen nach oben.

„Komm jetzt bloß nicht auf dumme Gedanken, mein Freund. Erstens ist die Mühle durch moderne Alarmanlagen so gut bewacht wie Fort Knox, außerdem wohnt Frau Baumann und noch ein Hausangestellter im Haus.“

Fritz schüttelte heftig den Kopf.

„Aber ich wollte doch nur ... ich hab doch nicht ...!“ Seine Gesichtsfarbe wechselte ins Tiefrote.

Peter winkte ab.

„Komm endlich, wir müssen wässern, wir haben schon viel zu viel Zeit verloren.“

Die letzten Meter vor der Mühle genoss Frank.

Herrliche, große Eichen standen rechts und links der Zufahrtstrasse und rauschten im Nachmittagswind.

Hier würde er sich zur Ruhe setzen, wenn die Zeit gekommen war. Ein, zwei Jahre noch, schätzte er, dann wollte er seinen Job endgültig aufgeben.

Seine Reisen, die Planungen, die wochenlangen Recherchen, all das würde er hinter sich lassen. Nur noch leben.

Er seufzte leise. Schon zweimal hatte er sich vorgenommen, alles hinzuschmeißen. Immer wieder kam etwas dazwischen.

Morgen früh würde er wieder drei Wochen unterwegs sein. Erst eine Woche in Lissabon, dann mindestens zwei Wochen in Los Angeles. Frühestens in drei Wochen, würde er wieder zurück sein.

Joseph, der Mann, der sich um seine Pferde kümmerte, führte Golden Star am Zügel zur Weide, als er den Hof betrat.

„Beweg ihn noch ein wenig, Joseph, es wird ein paar Wochen dauern, bis ich wieder hier bin.“

Das Pferd reagierte auf seine Stimme und drehte den Kopf. Frank rieb über die Blesse, nahm ein Zuckerstück aus der Tasche und hielt es ihm hin. Er spürte den warmen Atem des Pferdes auf seiner Haut, die feuchten Lippen, die die angebotene Leckerei vorsichtig entgegen nahmen.

„Du wirst dich ein wenig gedulden müssen, mein Alter, bis ich wieder zurück bin.“

Er nickte Joseph noch mal zu, dann ging er zum Haupteingang zur Mühle.

Als er sich im Flur befand, hörte er jemanden in der Küche hantieren. Leise öffnete er die Tür.

Eine untersetze, etwa sechzigjährige Frau mit grauen Haaren stand am modernen Herd. Bratenduft stieg Frank in die Nase.

„Da bist Du ja endlich. Hast Du Hunger?“ Ohne sich umzudrehen und ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, fragte sie. Frank lächelte.

„Einen Bärenhunger. Ich war oben am Waldrand. Peter Bartels hab ich gesehen. Er wässert seine Felder.“

„Ach, der ist vor kurzem Vater geworden. Ein Sohn. Deck schon mal den Tisch, der Schmorbraten ist gleich fertig.“

Geschäftig hantierte sie mit dem gusseisernen Topf, während Frank zwei Teller aus dem Regal nahm und auf den Küchentisch stellte. Wenn sie unter sich waren, aßen sie meist in der Küche, Frank fand das gemütlicher als im riesigen Esszimmer.

Nach dem Essen lehnte er sich zurück und zündete sich eine Zigarette an.

„Dein Essen wird mir die nächsten Wochen fehlen, Luise.“

Sacht blies er einen Rauchring in die Luft. Luise setzte sich ihm gegenüber, nachdem sie das Geschirr in die Maschine gestellt hatte.

„Margarita kocht auch sehr gut. Und die paar Tage im Hotel wirst Du wohl überstehen.“ Frank fühlte den vorwurfsvollen Blick, den sie ihm zuwarf, ohne sie anzusehen.

„Du weißt, dass ich es nicht so gern habe, wenn Du hier in der Küche rauchst.“

„Ja, tut mir leid. Ich setz mich auf die Terrasse.“ Er nahm den Ascher und ein Glas, goss sich einen Cognac ein und ging nach draußen.

Es war dunkel geworden, ein warmer Luftstrom kam von der offenen Hofeinfahrt herüber. Nach ein paar Minuten kam Luise nach und setzte sich in die Hollywoodschaukel.

Die Bretter der Schaukel protestierten vernehmlich, als sie sich entspannt nach hinten lehnte.

„Du grübelst über etwas.“

Frank zündete sich eine neue Zigarette an.

„Vor dir kann man einfach nichts geheim halten.“

„Etwas Privates?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, nicht nur.“ Er schwieg lange.

„Ich ertappe mich immer öfter bei dem Gedanken, einfach aufzuhören, mich zur Ruhe zu setzen. Irgendwann vielleicht zu heiraten, Kinder zu haben.“

Nach diesen Worten blickte er sie direkt an, um zu sehen, wie die Worte auf sie wirkten.

Sie nickte.

„Auf so was in der Art warte ich schon lange“, sagte sie überraschend. „Gibst Du mir auch eine?“ Dabei deutete sie auf seine Zigaretten.

Frank stand auf, fischte eine Zigarette aus der Schachtel und hielt sie ihr hin. Dann gab er ihr Feuer.

Luise zog den Rauch tief in sich hinein, Frank hatte das Gefühl, als wolle sie damit Zeit gewinnen.

„Und wo, fragte sie dann, möchtest Du dich zur Ruhe setzen?“

Frank wartete mit seiner Antwort. Langsam blickte er über den Hof, zur Einfahrt hin, durch das Tor zu den im Mondschein bleich aussehenden Feldern.

„Warum nicht hier?“

Wieder nickte Luise. Nachdem sie mehrere Minuten lang nichts gesagt hatte, wurde Frank ungeduldig.

„Was hältst Du von der Idee?“

Luise beugte sich vor.

„Was wird aus mir?“, fragte sie ihn.

„Du bleibst natürlich hier. Das Haus ist doch groß genug, es hat Platz für uns beide.“ Seine Augen leuchteten.

„Was, wenn Du wirklich heiraten solltest?“

Er stand auf und lehnte sich ans Geländer.

„Das war doch gar nicht sicher, sondern nur ein Beispiel. Selbst wenn, haben wir bis dahin noch eine Menge Zeit.“

Diesmal schüttelte Luise den Kopf.

„Du hast diese Zeit, Frank, ich nicht.“

Bevor er protestieren konnte, fuhr sie fort.

„Ich bin achtundfünfzig. Diesen Job mach ich jetzt seit mehr als dreißig Jahren. Ein, zwei Jahre noch, dann will ich mir das kleine Haus in Südfrankreich kaufen.

„Aber diese ein, zwei Jahre könntest Du doch noch hier bleiben und dann ...“

„Und dann?“

Frank seufzte.

„Ach, ich weiß doch auch nicht.“ Er setzte sich wieder auf die Bank und zündete sich noch eine Zigarette an.

Frank wusste, dass Luise in ihm fast einen Sohn sah. Schon seit damals, als er mit ihrem Mann gekommen war.

Er war damals ein junger, zorniger kaum vierzehnjähriger Teenager gewesen, der nicht verstand, was passiert war.

Und heute?

Aus ihm war ein gutaussehender Mann geworden. Vierunddreißig Jahre alt, fast einen Meter neunzig groß, schlank, aber muskulös, sprachgewandt und charmant. Ein offenes, freundliches Gesicht und blaue Augen rundeten den sympathischen Eindruck ab.

„Glaubst Du denn, dies wäre der rechte Ort, um sich zur Ruhe zu setzen?“

Er nickte, sein Gesicht leuchtete förmlich.

„Hier ist alles so ... friedlich, irgendwie. So sicher.“

„Und Du glaubst, Du passt in diese friedliche Gegend?“

„Warum denn nicht? Ich könnte dich auszahlen, dir deine deinen Hälfte der Mühle abkaufen.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Frank, darum geht es gar nicht. An das Geld hab ich dabei nicht gedacht.“

„Woran denn sonst?“ Frank fragte fast trotzig.

„Muss ich dir das wirklich erklären?“ Sie sah müde aus, als sie die Frage stellte.

„Leute deines Schlages ...“ Sie zögerte kurz. „Leute deines Schlages setzen sich nicht einfach zur Ruhe.“

„Leute meines Schlages ...?“ Frank war bleich geworden. Er wandte sich von Luise ab und machte sich auf, ins Haus zu gehen. „Frank?“ Ihre Stimme klang besorgt.

Er drehte sich um und sah sie an. ‚ ’Wie das zornige Kind von damals’, schoss es Luise durch den Kopf.

„Ja, was noch?“

„Bitte, setz dich. Bitte!“

Er schien unwillig, nahm dann aber doch Platz. Sie machte eine kleine Pause, wartete lange.

„Ich will nicht, dass Du so gehst. Du weißt doch, Du warst für mich immer etwas Besonderes. Fast wie ein Sohn.“

Er lachte kurz und kehlig auf. Dann erhob er sich wieder, trat zum Geländer und stützte sich mit beiden Händen ab.

„Fast wie ein Sohn. Aber nur fast.“

„Ich hätte dich damals nicht aufnehmen müssen.“ Luise wurde lauter.

Schritte näherten sich. Joseph kam aus dem Stall. Als er Luise und Frank wie Kampfhähne gegenüber stehen sah, blieb er stehen.

„Alles in Ordnung bei euch beiden?“

„Fang Du auch noch an.“ Frank wurde wieder laut.

„Ja, bei uns ist alles in Ordnung“, erklärte er barsch.

Joseph sah Luise kurz aber intensiv an, ging dann, ein leises „Na, dann gute Nacht“, murmelnd in Richtung angrenzendes Gebäude.

Frank besann sich und rief ihm hinterher.

„Joseph?“

Der blieb stehen, drehte sich aber nicht um.

„Ja?“

„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht ... Du weißt schon.“

Durch das schwache Terrassenlicht ahnte man das Nicken Josephs mehr, als man es sah.

„Schon okay, gute Nacht!“

„Gute Nacht, Joseph“, sagten Luise und Frank gleichzeitig.

Als Joseph im Dunkel verschwunden war, drehte Frank sich um.

„Wie lange ist Joseph schon bei dir?“

„Joseph? Der war schon bei Charly, bevor der mich kennen lernte. Ich kenne ihn seit ... fünfunddreißig Jahren.“

„Und er wollte nie aussteigen?“

Luise lächelte.

„Joseph war einmal fast so gut wie Du. Damals. Bis es diesen Zwischenfall gab, in Madrid, vor zwölf Jahren.“

„Damals, als Charly starb?“

Luise nickte.

„Joseph lag damals viele Wochen im Krankenhaus, Lungensteckschuss. Er war mehr tot als lebendig. Danach war er nie wieder der Selbe. Seither arbeitet er im Stall und im Haus mit.“

Frank wurde nachdenklich.

„So gut wie ich?“, fragte er.

„Fast so gut wie Du!“

Um die Stalllampe tanzten ein paar große Nachtfalter, sandten hüpfende Schatten über den Hof.

„Ich will doch nichts weiter, als irgendwann, irgendwo meinen Frieden finden“, sagte er leise.

Nach einem Moment der Stille stand Luise abrupt auf.

„Hast Du für Morgen alles gepackt? Wann geht dein Flug?“

„Um halb elf. Joseph fährt mich zum Flughafen.“

„Was brauchst Du in Lissabon? Eine Walther?“

Frank schüttelte den Kopf.

„Nein“, sagte er, „ich nehme die Glock 19, die ist leichter und fällt nicht so auf.“

„Okay, ich rufe Paolo an, er soll dir alles herrichten. Denk dran, Du kommst erst in drei Wochen wieder hier her. Mindestens zwei Wochen bleibst Du nach Lissabon noch in L.A., bis über die Sache mit dem Minister Gras gewachsen ist.“

Frank nickte.

„Luise, ich bin jetzt Profikiller seit fast zwanzig Jahren. Dein Mann hat mir all das beigebracht, nachdem er meine Eltern umbrachte und mich mit sich nahm. Ich kenne die Regeln des Spiels genau.“

Luise nickte.

„Ich wollte nur nochmal ...“ Sie seufzte. „Gute Nacht, Frank.“

„Gute Nacht, Luise.“

Kurz sah Frank ihr noch nach, dann drehte er sich zu den Nachtfaltern um. Bleich und friedlich zogen die weiterhin ihre Kreise um die Stalllampe.

Witwentrost

„Du hast dein Haar anders ... anders als früher.“ Klaus unterbrach das Schweigen zwischen ihnen.

Hinter dem schwarzen Schleier bemerkte er ihre dunklen, jetzt tief in den Höhlen liegenden Augen, die er einmal so geliebt hatte.

Sie nickte.

„Dass dir das auffällt.“

Lange sah er sie an.

„Was wirst Du jetzt machen?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Es ist alles noch so frisch, weißt Du?“

Jetzt war es an ihm, verstehend zu nicken.

„Hat Willy dich wenigstens ... ich meine finanziell ... hat er dich versorgt? Wenn Du etwas brauchst ...?“

Hinter dem dünnen Stoff des Schleiers entstand ein kleines Lächeln.

„Mach dir mal keine Sorgen, Willy hat mich nicht mittellos zurück gelassen. Ganz im Gegenteil. Du siehst vor dir so etwas wie eine wohlhabende Witwe. Nicht mehr die Jüngste, aber durch eine beachtliche Erbschaft immer noch attraktiv genug.“

Er versuchte zu protestieren.

„Du bist noch lange nicht alt, Sabine.“

„Ich bin zweiundvierzig, Klaus, genau wie Du. Wir müssen uns nichts vormachen, Frauen haben, was das Alter angeht, nun mal die schlechteren Karten als Ihr Männer. Ihr werdet reif, wir werden alt.“

Um die peinliche Stille zu unterbrechen, fragte er:

„Wie alt war Willy eigentlich?“

Sie warf einen Blick zurück auf das Grab mit den vielen Blumen, den Kränzen und Trauerfloren. Ein Mann im Trenchcoat stand einsam am Grab und sah neugierig zu ihnen herüber. Sie seufzte.

„Willy war vierundsechzig, letzten Mai.“ Schnell drehte sie den Kopf und sah ihn fast anklagend an.

„Du hast mich damals ja nicht gewollt.“

Klaus wurde das Gespräch langsam unangenehm.

„Petra war im sechsten Monat schwanger ...“ Er fragte sich, warum er plötzlich ein schlechtes Gewissen hatte.

„Sabine, das ist mehr als vier Jahre her.“

Wieder glaubte er, ein leichtes Lächeln hinter dem Schleier zu sehen.

„Fünf, um genau zu sein.“ Da war ein Lächeln, er war jetzt ganz sicher. Nachdenklich nickte er.

„Du hast damals in Willy ja schnell Ersatz gefunden.“ Sofort nachdem er den Satz gesagt hatte, tat er ihm auch schon Leid. „Ich meine ...“, begann er, stockte aber sofort wieder.

Sie sah ihn an, als habe sie Mitleid mit ihm.

„Willy hat mich wirklich geliebt. Er war ein erfahrener Mann, ich unglücklich, weil meine große Liebe mich verlassen hatte. So ergab eins das andere.“

„Hast Du ihn denn auch geliebt?“

Klaus fiel ihr letztes Zusammentreffen ein, als er mit seiner Frau in einer Theaterpause plötzlich Sabine und ihrem Mann gegenüber stand.

Sie trug ein sündhaft tief ausgeschnittenes Abendkleid, Willy einen Smoking. Beide hatten ein Sektglas in der Hand. Klaus wusste damals nicht, wie er reagieren sollte.

Sabine sah ihn und Petra kühl, ja fast kalt an und nickte ihnen zu.

„Hallo Klaus. Petra.“ Dann wandte sie sich an Willy.

„Schätzchen, erinnerst Du dich noch an Klaus? Meine ehemals große Liebe?“

Alle drei waren von Sabines Worten betroffen,

„Und das ist Petra, die Frau, wegen der er mich verlassen hat.“

Abschätzend sah sie Petra an.

„Und das Kind? Was ist es? Ein Junge? Ein Mädchen?“

Petra wurde bei diesen Worten blass, Klaus drückte ihre Hand fester. Er räusperte sich.

„Meine Frau“, sagte er, wobei er Petra liebevoll ansah, „hatte eine Totgeburt, wenige Wochen vor dem Termin.“

Willy lief jetzt rot an, an Sabines Gesichtsausdruck änderte sich gar nichts.

„Die überstürzte Hochzeit war also völlig unnötig?“, fragte sie Petra direkt. Die kämpfte mit den Tränen.

„Und danach?“, setzte Sabine noch einen drauf. „Ihr seid jetzt doch schon zwei Jahre verheiratet. Keine Kinder? Potent genug ist er doch ...“

Bevor Klaus darauf antworten konnte, spürte er einen sanften Druck auf seiner Hand.

„Klaus bitte, lass uns gehen.“ Petras Stimme klang müde und brüchig, sie hatte keinerlei Farbe mehr im Gesicht.

Klaus drehte sich kurz um, nickte und verließ dann mit Petra das Theater.

„Ob ich Willy geliebt habe?“ Sabine hob ihren Schleier und befestigte ihn am Hut.

„Willy kam zur rechten Zeit, ... irgendwie. Wenn Du verstehst, was ich meine.“ Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Du musst mir glauben, das damals ... im Theater ... es tut mir leid, wie ich euch ... wie ich Petra behandelt habe.“

Klaus nickte. Sabine kam noch einen Schritt näher.

„Ich hoffe, sie hat sich das Ganze nicht zu sehr zu Herzen genommen?“

Klaus nahm ihre Hand von seiner Schulter und hielt sie fest.

„Petra wurde durch die späte Totgeburt unfruchtbar. Wir haben danach nie wieder darüber gesprochen, aber ich glaube, sie hat deine Worte nie wirklich überwunden.“

Er spürte, wie der längst verloren geglaubte Zorn wieder in ihm hoch stieg.

„Warum hast Du das damals getan? Was hast Du dir davon versprochen? Du warst mit Willy verheiratet, warum diese Demütigung?“

Sabine drehte sich plötzlich um. Der Mann, der als Letzter an Willys Grab gestanden hatte, kam gerade den Kiesweg herunter. Als er an Klaus und Sabine vorbei ging, lüftete er kurz seinen Hut und grüßte knapp. Sabine zog schnell die Hand zurück, die Klaus festgehalten hatte. Klaus stutzte.

„Ein Bekannter von dir?“, fragte er nach wenigen Sekunden.

Sabine starrte dem Mann böse nach.

„Was? Ein Bekannter?“ Sie schüttelte den Kopf, so als müsse sie eine Erinnerung loswerden. Dann lachte sie kurz auf.

„Oh nein, mein Lieber, das war kein Bekannter. Das war Herr Gram, der nette Ermittler von der Novalia-Versicherung.“

„Ermittler? Ich verstehe nicht ...?“

„Willy hatte eine Lebensversicherung abgeschlossen. Eine ziemlich hohe Lebensversicherung, Und zwar über zwei Millionen Euro. Und bei solchen Summern wird erst mal geprüft, ob denn beim Ableben des Versicherten auch alles mit rechten Dingen zugeht.“

Klaus sah völlig sprachlos aus. Er schüttelte den Kopf.

„Soll das etwas heißen, man verdächtigt dich, bei Willys Tod nachgeholfen zu haben?“

Sabine nickte, während sie dem Mann nachsah.

„Das soll es heißen. Er wird sich aber vergeblich bemühen.“

„Was soll das denn?“ Klaus sah sie mit großen Augen an. „Du hast doch wohl nicht ...?“

„Willy umgebracht?“ Sabine zog die Augenbrauen nach oben. „Traust Du mir das etwa zu?“

Er machte ein nachdenkliches Gesicht..

„Eigentlich nicht, obwohl ...“

„Obwohl?“ Sabine hatte jetzt einen amüsierten Blick, den Klaus angesichts des Ortes und der Gelegenheit unpassend fand.

„Hast Du?“

„Willy war schwer herzkrank. Der Arzt hat eine natürliche Todesursache bestätigt. Auch die Obduktion ergab keine Hinweise auf ein Verbrechen.“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“

„Erwartest Du wirklich eine Antwort darauf? Das kann doch nicht dein Ernst sein.“

„Wie geht es Petra eigentlich?“, fragte sie nach einer kleinen Pause.

„Petra starb vor einem Jahr.“

„Oh!“

Das schien ihr wirklich etwas auszumachen. Sacht legte sie eine Hand auf seinen Arm.

„Das tut mir ehrlich Leid, Klaus, woran denn?“

Klaus fuhr sich über die Augen.

„Darüber streiten die Ärzte heute noch. Ich vermute, sie starb an gebrochenem Herzen. Ihr Licht ging einfach aus, wie das einer Kerze.“

Sabines Augen funkelten plötzlich.

„Dann ... dann sind wir beide allein. Du und ich.“

Klaus nickte.

„Ja, das ist wohl so.“

Sie schmiegte sich leicht an ihn, ihr Gesicht war nur noch Zentimeter von seinem entfernt.

„Das muss doch aber ... nicht so bleiben, oder?“ Sanft strich sie ihm über die Wange.

„Sabine, ich ...“

Sie legte ihm einen Finger auf den Mund.

„Schhhhhht! Ich weiß doch. Man würde über uns reden, wenn ich die lustige Witwe geben würde. Es muss ja nicht gleich sein, Klaus, wir können uns Zeit lassen oder uns am Anfang heimlich treffen.“

Er schüttelte heftig den Kopf.

„Du missverstehst mich, Sabine. Ich weiß einfach nicht, ob ich schon so weit bin, eine neue Beziehung einzugehen. Der Tod Petras ist immer noch sehr frisch und schmerzhaft in meinem Gedächtnis.“

Sabine ließ ihn los und trat einen Schritt zurück.

„Bei deiner Sekretärin warst Du aber nicht so zurückhaltend“, sagte sie mit kaltem Blick.

Klaus stand der Mund offen.

„Bei ... bei meiner Sekretärin?“, echote er.

„Du hattest doch etwas mit ihr, vor vier Monaten, oder?,

„Woher weißt Du davon?“

Sabine zuckte die Schultern.

„Simone hat mir selbst davon erzählt.“

„Dann hast Du auch gewusst, dass Petra tot ist?“

Klaus wirkte völlig entgeistert. Dann sah er sie fassungslos an.

Gedanken wirbelten in seinem Kopf.

„Hat etwa Willys Tod ... nein, oder?“

„Was?“ Sie sah ihn an, so als wartete sie darauf, dass ihm endlich ein Licht aufgehen würde.

„Hast du Willy umgebracht, um mit mir ...?“

Sabine senkte den Blick.

„Das ist nicht wahr. Sag, dass das nicht wahr ist.“

„Es war nicht schwer und er ... er hat auch nicht gelitten!

Er wäre sowieso bald gestorben.“ Sabine wirkte jetzt irgendwie kleinlaut. Klaus schüttelte den Kopf und lief ein paar Schritte. Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.

„Ich fass es nicht. Du wirst zur Mörderin, weil Du glaubst, ich würde wieder mit dir zusammenkommen? Nach allem, was passiert ist? Nach all den Jahren?“

„Wir haben uns doch einmal geliebt, Klaus. Und zumindest ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.“ Er drehte sich um, kam zurück. Direkt vor ihr blieb er stehen.

„Wie hast Du es gemacht?“, brüllte er.

„Ach Klaus, das ist doch jetzt nicht so wichtig“, wiegelte sie ab, „Hauptsache ist doch, dass wir uns ...“

Er ging nicht darauf ein.

„Wie Du es gemacht hast, will ich wissen.“

Misstrauisch sah sie ihn an. Dann blickte sie sich um.

„Ich habe mir ein Mittel besorgt, dass den Herzschlag beschleunigt und es ihm in den Tee getan. Du musst nicht glauben, dass ich besonders stolz daauf bin, aber es musste einfach sein. er hat auch nicht gelitten. Ich habe das für uns getan, Klaus.

Für unsere gemeinsame Zukunft. Wir können endlich wieder zusammen sein.“

Klaus schüttelte den Kopf.

„Das ist so ... grotesk. Ich kann das einfach nicht glauben. Du machst dir einen Scherz mit mir, oder?“

Gehässig sah sie ihn an.

„Die Schachtel mit dem Rest des Mittels hab ich im Garten vergraben, unter dem Rosenstock, den Du mir mal geschenkt hast. Wenn Du mir nicht glaubst, grab ich sie aus und überzeug sie dir.“ Jetzt war sie wieder die kalte, berechnende Sabine, die er kannte.

„Du willst eine gemeinsame Zukunft auf einem Mord aufbauen?“

Klaus schien fassungslos.

„Wir könnten für immer zusammen sein. Könnten gemeinsame Reisen unternehmen. Willy war ja vermögend und durch die Versicherungssumme sind wir absolut unabhängig. Wir müssten nie wieder arbeiten.“

Mitleidig sah er sie an.

„Du hast sowieso noch nie gearbeitet, soweit ich weiß.“

„Du könntest aber endlich deinen Job an der Uni aufgeben.

Klaus schüttelte langsam den Kopf.

„Ich arbeite nicht mehr an der Uni. Der Job war mit irgendwann zu öde und langweilig. Seit zwei Jahren bin ich für die Staatsanwaltschaft tätig.“

Sabine wurde blass. Nervös nestelte sie an einer Zigarettenschachtel.

„Ach, wo denn?“

„In Dortmund“

Sie atmete langsam aus

„Und was machst Du da?“

Er nahm seine eigene Schachtel aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an.

„Man nennt es Profiler. Ich arbeite mit den jeweiligen Mordkommissionen zusammen und erstelle Täterprofile.“

Sabine wirkte plötzlich angespannt, aufgeregt.

„Lohnt sich das denn?“, fragte sie. „Gibt es so viele Morde in Dortmund?“

Klaus schüttelte den Kopf und sah zum Friedhofseingang.

„Nein, bei weitem nicht. Manchmal muss ich ...“

Er unterbrach sich, als drei Polizeifahrzeuge in den Friedhof einfuhren.

„… manchmal muss ich bei anderen Mordkommissionen aushelfen.

Dann sah er ihr fest in die Augen. „So wie in diesem Fall.“

In aller Ruhe öffnete er sein Jackett und nahm ein Aufnahmegerät heraus, das er versteckt getragen hatte. Sie sah ihm entgeistert zu, wie er ein kleines Mikrofon, das in der äußeren Jackettasche steckte, in die Hand nahm und hinein sprach:

„Ich hoffe, Sie haben alles, Herr Kommissar.“

Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze.

„Du hast mich wirklich ins offene Messer laufen lassen? Dabei dachte ich, Du liebst mich.“

Klaus sah sie lange an. Zwei Polizeibeamte in Uniform kamen langsam den Weg herauf. Einer von ihnen hatte Handschellen, die er umständlich vom Gürtel löste.

„Du hättest das damals nicht tun dürfen, Sabine. Das mit Petra. Wir hatten uns so auf einen Sohn gefreut.“

„Aber Klaus ...“ Sie lachte kurz, aber laut auf. „... das ist doch über vier Jahre her. Das hast Du doch selbst gesagt.“

Klaus nickte.

„Über fünf Jahre, Sabine. Genauer, fünf Jahre, vier Monate und zwölf Tage.“ Er wandte sich an einen der beiden Uniformierten:

„Abführen!“

Regungslos sah er zu, wie die beiden Polizisten Sabine Handschellen anlegten und sie dann in die Mitte nahmen und zum Wagen brachten. Langsam drehte er sich noch einmal um und sah zu Willys frischem Grab. Dann verließ er den Friedhof.

Ihn fröstelte.

Mescal

Die dicke Köchin von diesem Schwein Carlos kommt wieder in die Bar. Immer wenn ich hier auf meinem Lieblingsplatz am Ende der Theke sitze, kommt dieses fette Weib zur Tür herein. Als würde sie mich fühlen, mich riechen. Sie lächelt mich an, ihr Mehrfachkinn schlabbert heftig.

Sie schwitzt.

Wie immer.

Sie lacht kehlig, als sei sie geil auf mich.

Wie immer.

Ich schenke mir noch einen Mescal ein. Hab keine Lust, mich mit der Dicken zu unterhalten. Wenn meine Rosa kommen würde, für Rosa hätte ich Zeit. Aber Rosa liegt jetzt in der Mittagshitze mit Carlos im von seiner Klimaanlage gekühlten Schlafzimmer und hält Siesta.

Danach werden die beiden ein wenig herumvögeln und über mich lachen.

Sie lachen immer über mich, seit Carlos Rosa mitgenommen hat.

Ich weiß es, die Dicke hat es mir erzählt.

Verdammtes Arschloch, dieser Carlos. Ich war noch keine 24 Stunden in diesem Scheisskaff, da hat er sich meine Rosa gekrallt und ist mit ihr ins Bett gesprungen. Und ich konnte nur dümmlich grinsen. Was hätte ich auch sonst machen sollen? Er ist der Jefe in diesem Dorf mitten im Dschungel, der Herr über Leben und Tod. In seinen Augen bin ich nur ein Dummer, kleiner Gringo. Einer der ihm das Geld von Señor Gonzales gebracht hat. In sechs Stunden wird Carlos damit die nächste Lieferung Rauschgift bezahlen. Wenn seine Kumpane mit der Eselkarawane aus dem Dschungel kommen und ihm die Lieferung bringen, wird er lächelnd den Koffer holen. Er wird ihn holen, ihn öffnen und bemerken, dass der Koffer bis auf ein paar alte Zeitungen leer ist.

Sie werden ihn umlegen, ganz sicher werden sie ihn umlegen.

Geschieht dem Schwein recht. Der wird keine fremden Frauen mehr vögeln.

Nicht dass Rosa es ihm schwer gemacht hätte, oh nein, Rosa ist ein berechnendes Biest. Die Schlampe hat sofort gemerkt, wo ihr Vorteil liegt. Erst wollte sie mit mir hierher, weil sie sich einen Vorteil davon versprach, die Vertriebswege des Stoffs kennen zu lernen, wie sie sagte und als sie hier war, hat sie sich sofort an Carlos rangeschmissen.

Klar, Carlos lebt hier wie ein König, er hat das große Haus ein paar Meilen weiter und verbringt die meiste Zeit des Jahres in Miami.

Und was hab ich? Einen alten Dodge, zehn Jahre alt, Schulden auf der Bank und eine geschiedene Frau die jedem Monat ihren Scheck will. Außerdem ein Alkoholproblem und ein Magengeschwür mit achtunddreißig Jahren.

Carlos hat Dollars zum Wegschmeißen und Rosa, diese Sau.

Er hat nicht bemerkt, dass ich Nachschlüssel habe anfertigen lassen. Ich hab ihm den Schlüssel geklaut, als er es mit Rosa lautstark im Nebenzimmer trieb. Bei mir hat sie nie so geschrien, diese Hure, höchstens mal ein wenig gestöhnt

Verdammte Weiber.

Ich trinke noch einen Mescal.

In sechs Stunden wird Carlos mit dem Koffer hier sein.

Aber schon in vier Stunden wird der Hubschrauber auf mich warten, drei Meilen von hier.

Lange genug war ich der Verlierer, der Befehlsempfänger für einen dummen Kolumbianer mit schlechten Zähnen. Der nicht mal richtig lesen kann. Und ich war der Arsch für eine kleine Nutte aus einem Vorort von Mexico City, mit einem Körper, so scharf wie die Sünde.

In vier Stunden wird niemand mehr über mich lachen.

Niemand.

Ich höre Gesprächsfetzen.

Die Dicke unterhält sich aufgeregt mit Pedro, dem Wirt.

Was ist mit Carlos?

Nein, nein, Carlos schläft jetzt, dann vögelt er Rosa.

Wie meint sie das, ihn angerufen? Sie kann Carlos nicht angerufen haben, nicht während der Siesta.

Noch schnell einen Mescal, trotz der mittäglichen Hitze ist mir plötzlich kalt.

Vier Stunden noch. Vier Stunden.

Pedro deutet jetzt aufgeregt nach draußen. Warum sieht er mich so seltsam an?

Was ist da draußen? Die Dicke mit dem wabbeligen Kinn sieht jetzt auch zu mir her.

Warum lacht sie nicht mehr?

Ich stehe von meinem Barhocker auf, gehe zum Fenster und schaue hinaus.

Carlos kommt mit hochrotem Kopf wütend auf die Bar zu, in der einen Hand hat er den leeren Koffer, in der andern seine Machete.

Verdammt, ich hab keine vier Stunden mehr...

...und keinen Mescal.

Killerkodex

„Warum?“, fragte Goldstein schluchzend.

„Weil ich dafür bezahlt werde“, antwortete sein Killer, lapidar.

Er beendete seinen Job gefühllos und ohne mit der Wimper zu zucken.

Nachdem er ihm beide Pulsadern der Länge nach aufgeschnitten hatte, löste er die Fesseln, warf ihn ohne zu zögern über Bord und fuhr mit dem Boot zurück Richtung Hafen. Er wusste, dass der korpulente Dreiundfünfzigjährige die zehn Meilen nicht schaffen würde. Schon nach ein paar Minuten würde ihn die Kraft verlassen und er würde ertrinken.

Eine gescheiterte Ehe, ein fortgeschrittenes Magengeschwür, Probleme in der Firma, die junge und gefräßige Geliebte, aufgeschnittene Pulsadern und ein einsam treibendes Boot, das alles musste der Polizei für eine Selbstmordtheorie reichen.

Nachdem er zu Fuß in die Stadt zurückgekehrt war, nahm er im erstbesten Motel ein Zimmer und schlief bis zum nächsten Mittag. Er zahlte seine Motel Rechnung, ließ ein Taxi rufen und sich zum Busbahnhof fahren.

Dort bestieg er ein weiteres Taxi und fuhr damit zum Flughafen. Aus einer Telefonzelle heraus wählte er eine Nummer in einem kleinen Kaff in der Nähe von Las Vegas.

Jemand meldete sich mit einem Brummen.

„Ich bin hier fertig. Gibt es etwas Neues?“

„Ja“, sagte die Stimme gleichmütig.

„Wo?“

„Dallas! Joe Smith.“

Er überlegte kurz, rieb sich seine kleine Narbe am Mundwinkel und sah auf die Anzeige der startenden Maschinen.

„Okay.“

Eine Stunde später saß er im Flugzeug und war auf dem Weg nach Dallas.

In der Filiale der Hauptpost von Dallas nahm er seinen falschen Ausweis namens Joe Smith aus seiner Jacke und stellte sich in die Reihe.

Eine junge Frau, die den Ausweis ziemlich nachlässig überprüfte, händigte ihm einen einfachen, braunen Umschlag aus. Vor dem Postamt setzte er sich in einem Park auf eine Bank und zog ein Bild und ein Blatt Papier heraus.

Als er das Bild sah, runzelte er die Stirn.