Rockerdämmerung - Joanna Wylde - E-Book

Rockerdämmerung E-Book

Joanna Wylde

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Beschreibung

Er wollte sie niemals verletzen. Levi 'Painter' Brooks war ein Niemand, bevor er sich dem Motorradclub Reapers MC angeschlossen hat. Die Rocker wurden zu seinen Brüdern, zu seinem Leben. Das einzige, was sie im Gegenzug von ihm erwarteten, war Loyalität. Seine Loyalität wurde hart auf die Probe gestellt, als er ins Gefängnis musste für ein Verbrechen, das er für den Club begangen hatte. Melanie Tucker hatte es nie leicht, doch sie hat gelernt, für ihre Zukunft zu kämpfen. Auch wenn sie es geschafft hat, ein neues Leben zu beginnen, so spürt sie dennoch immer noch die Berührungen dieses einen Bikers auf sich. Es hatte doch alles so unschuldig begonnen – nur ein paar Briefe an einen einsamen Mann im Gefängnis. Freundschaftlich. Harmlos. Sicher. Jetzt kehrt Painter Brooks nach Hause zurück … und Melanie muss lernen, dass es so etwas wie Sicherheit beim Reapers MC nicht gibt.

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Seitenzahl: 666

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howard

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Das war so eine Hammerstory!!! Ich liebe ❤️ diese Reihe! Die Handlung ist Mega heiß und sehr spannend geschrieben. Painter und Melli sind wahnsinnig sympathisch rübergekommen
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2017

© 2017 by Lago, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der Originalausgabe 2015 by Joanna Wylde

Die englische Originalausgabe erschien 2015 bei The Berkley Publishing Group unter dem Titel Reaper’s Fall.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Ramona Wilder

Redaktion: Helena Tischler

Umschlaggestaltung: Laura Osswald

Umschlagabbildung: ©Mariyal/iStock; javarman/Shutterstock

Satz: inpunkt[w]o, Haiger (www.inpunktwo.de)

ISBN Print 978-3-95761-174-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-089-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-090-3

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.lago-verlag.de

Inhalt

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Epilog

Danksagung

Anmerkung der Autorin

Für Dawn und Colleen

Jede Frau, die schreibt, braucht eine Krankenschwester und eine Anwältin, die für sie da sind, und ich habe die zwei besten,

Prolog

CALLUP, IDAHO

HEUTE

PAINTER

»Verdammt noch mal«, sagte Horse und sah durch das überfüllte Clubhaus zur Tür hin. Ich hielt, das Bier auf halbem Weg zum Mund, inne, drehte mich um und versuchte seinem Blick zu folgen. »Painter, Bruder, bleib ganz ruhig ...«

Und da sah ich sie.

Melanie Tucker.

Nein.

Das konnte nicht wahr sein. Vielleicht hatte ich ja Halluzinationen, denn ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Melanie tatsächlich so unglaublich dumm sein würde. Ich ließ meine Bierflasche fallen und hörte noch, wie sie auf dem Boden zersprang, dann ging ich quer durch den Raum auf sie zu. Mein Blickfeld schien sich verengt zu haben, und ich sah plötzlich alles rot.

»Moment mal, mein Sohn«, knurrte Reese »Picnic« Hayes. Vor ihm hatte ich mehr Respekt als vor jedem anderen Menschen, ich liebte ihn wie einen Vater ... aber in diesem Augenblick hätte selbst der President des Motorradclubs der Reaper nichts sagen können, was mich zum Stehenbleiben veranlasst hätte. Denn dort mitten im Clubhaus stand die Mutter meines Kindes, die Augen angstvoll aufgerissen. Sie wusste, dass sie Scheiße gebaut hatte.

Neben ihr stand ein Mann, ein Biker. Oder war es nur ein Hangaround, einer von denen, die mit Bikern rumhingen, ohne selbst zu einem Club zu gehören? Er hatte den Arm um sie gelegt, als würde sie ihm gehören.

Unglaublich. Er legte seine Dreckspfoten auf meine Melanie.

Bloß dass sie nicht mehr meine Melanie war, schon lange nicht mehr. Das hatte sie sich selbst so ausgesucht, also Pech für mich. Aber dafür, dass ich sie hatte ziehen lassen, hatte ich eine Regel aufgestellt, und die hatte sie gerade gebrochen: keineBiker. Trotzdem stand sie hier mit diesem Schwachkopf und Arschloch, mit irgend so einem Trottel, der glaubte, wenn er einen Motorradanzug anzöge, hätte er damit schon das Recht, auf der Welt zu sein.

Noch dazu im Clubhaus eines Motorradclubs.

Der Typ hatte ein Problem, und zwar ein richtig großes. Der Schrecken in Melanies Gesicht war völlig gerechtfertigt, denn sie war kurz davor, Zeugin eines verdammten Mordes zu werden. Und nein, das war nicht nur so dahingesagt. Ich hatte wirklich vor, diesem Kerl in den nächsten zehn Sekunden den Schwanz abzureißen, ihm ein vorgehaltenes Messer in den Hals zu schieben und aus dem Arsch wieder rauszureißen – und dann das Ganze noch mal von vorn.

Eine Hand packte mich fest am Arm – eine stille Warnung. Mein President versuchte mich zu beruhigen. Ich schüttelte sie ab und blendete aus, was immer Pic mir mitteilen wollte. Stattdessen packte ich den kleinen Scheißer am Hemd und schleuderte ihn brutal zu Boden. In meinen Ohren rauschte es, und wie von fern hörte ich Mel schreien, während die Zeit auf einmal langsamer zu vergehen schien. Dann verpasste ich dem Kerl einen Schlag ins Gesicht und spürte einen angenehmen Schmerz in den Knöcheln.

Ich kämpfe wirklich gern.

Mir gefällt es nicht nur zu gewinnen, ich liebe auch die berauschende Energie, den angenehmen Schmerz und die unglaubliche Erfahrung, wenn sich das gesamte Dasein plötzlich auf einen einzigen Augenblick und einen einzigen Vorsatz konzentriert. Es ist eine Urerfahrung und wirklich großartig, und nie hatte sie sich besser angefühlt als in dem Augenblick, als Melanies neuer Freund zu Boden ging.

Ich warf mich auf ihn und zerschmetterte ihm die Visage. Wie viel Blut ihm aus der Nase spritzte! Es war verdammt erlösend – sein Leben war jetzt vorbei. Aber durch den Schleier der Gewalt klangen weitere Schreie.

Sie sollte mal schön schreien und sie sollte auf jeden Fall auch verdammt Angst haben.

»Du Arschloch!«

Ich lächelte, denn wenn sie von Mel kam, klang eine Beschimpfung einfach höllisch süß. Sie hatte mich über die Jahre hinweg schon auf zehntausend verschiedene Arten als Arschloch beschimpft, von wütend und hasserfüllt bis hin zu geflüsterten Beschimpfungen mit Küssen dazwischen. Das war für mich in Ordnung. Ich war nun mal ein echtes Arschloch, aber diesmal würde sie es einfach hinnehmen und sich mit den Folgen abfinden müssen.

Sie hatte die verdammten Regeln gebrochen, als sie mit ihm hierhergekommen war.

Keine Biker.

War doch ganz einfach, oder? Die eine Bedingung, die ich ihr gestellt hatte: keine verdammten Biker. Sie brauchte ihren Arsch nur aus meiner Welt rauszuhalten, denn solange ich nicht sehen musste, wie sie irgendjemand anders den Schwanz lutschte, konnte ich so tun, als würde es gar nicht passieren.

War ja nun wirklich nicht schwierig.

Dann schlangen sich starke Arme um mich und zerrten mich von meinem Opfer weg, ehe ich den Mann endgültig um die Ecke bringen konnte. Dicht an meinem Ohr hörte ich die Stimme von Puck.

Puck.

Mein bester Freund. Puck, der mir im Knast über ein Jahr lang den Rücken freigehalten hatte. Ich hätte ihm da drin mein Leben anvertraut und ich vertraute ihm auch jetzt. Eigentlich hätte ich ihm zuhören sollen, aber ich wollte diesen Schwachkopf so wahnsinnig gerne umbringen.

Also schüttelte ich Puck ab und wollte die Sache zu Ende bringen.

»Er ist es nicht wert, Bruder«, warf er mit rauer Stimme ein. Melanie schrie noch immer. Zwischen uns beiden stöhne und heulte ihr Schlappschwanz von einem Date und jammerte herum, dass er nicht sterben wollte. Ja, du bettelst mal besser um dein Leben, dufeiges Stück Dreck. »Wenn du den Kerl umbringst, wirst du dein Kind nie wiedersehen. Auch wenn das mit dir und Mel vorbei ist – du musst an Izzy denken!«

Fuck. Ich holte tief Luft und zwang mich zur Ruhe, während ich über dem Mann stand und zwischen ihm und Melanie hin und her schaute.

Ich musste einen klaren Kopf bekommen.

Das Bild meines wunderschönen flauschig-blonden kleinen Mädchens erschien mir vor Augen. Izzy. Ich würde es für Izzy tun. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und rang den Zorn in mir nieder.

»Schafft ihn hier raus«, stieß ich endlich hervor. Niemand rührte sich, als der Mann sich auf die Seite rollte und wimmerte wie die kleine Fotze, die er nun mal war. Das verdammte Weichei hatte es noch nicht mal geschafft zurückzuschlagen. Ganz am Rande fiel mir auf, dass er Harley-Davidson-Aufnäher auf seinem Anzug hatte, aber keine Farben eines Motorradclubs. Für wen hielt er sich eigentlich, zum Clubhaus der Silver Bastards zu kommen? Das hier war kein Spiel. »Schafft ihn hier raus, sonst bring ich ihn um!«

»Fuck«, murmelte Horse, trat vor und packte den Schlappschwanz unter den Armen. Die Leute traten zur Seite, als er den Mann in Richtung Tür zog. Melanie schrie mich wieder an, und ich wandte mich zu ihr um und ging einen Schritt auf sie zu. Das war’s – ich hatte genug von ihrem Scheiß. Sie wollte also Spielchen spielen? Wunderbar, denn ich spielte gerne, und sie wusste genau, dass es bei meinen Spielen hart zuging.

Jetzt würde ich ihr verdammt noch mal die Augen öffnen.

Picnic baute sich zwischen uns auf, verschränkte drohend die Arme vor der Brust und starrte mich so lange an, bis ich wegschaute.

»Aufhören, mein Sohn.«

»Das geht dich gar nichts an«, schnauzte ich los. Ich hatte schließlich recht. Mir war es scheißegal, dass seine alte Lady die kleine Schlampe abgöttisch liebte. Er hatte sich schon viel zu lange zwischen Melanie und mich gestellt – und dieser kleine Zwischenfall heute Abend hatte nichts mit dem Club zu tun. Um die Sache mit Melanie musste ich mich kümmern, ich allein, und im ganzen Saal gab es keinen Mann, der das Recht hatte, etwas anderes zu behaupten, der President eingeschlossen.

»Sie ist schließlich hierhergekommen«, erinnerte ich ihn.

»Ich wusste doch noch nicht mal, wo er hinwollte«, schrie Melanie hinter Pic hervor. »Es war einfach nur ein Date, du Arschloch!«

Ich sah wieder rot, mein Kiefer verkrampfte sich und ich roch das Blut auf meinen Händen. »Er ist ein verdammter Biker. Du hast die Regeln gebrochen, Mel. Komm her!«

»Aufhören«, sagte Picnic erneut mit grimmigem Gesicht. »Das wird heute Abend nicht geklärt. Painter, beweg deinen Arsch nach Hause. Melanie, du kommst mit mir.«

Die Luft um uns herum wurde eisig. Die Brüder – sowohl die Silver Bastards als auch die Reapers – hatten die ganze Zeit über zugeschaut, aber nun lag auf einmal eine neue, gefährlich ruhige Stimmung in der Luft. Was eben noch ein Streit zwischen mir und einer Frau gewesen war, hatte sich jetzt zu einer Konfrontation zwischen zwei vollwertigen Mitgliedern entwickelt. Normalerweise trugen wir solchen Scheiß nicht öffentlich außerhalb des Gottesdienstes, also unserer clubinternen Besprechung, aus. Pic mochte zwar der President sein, aber, wie gesagt, das hier war keine Clubangelegenheit.

Er musste mir aus dem Weg gehen, und zwar sofort.

Plötzlich schob Mel ihn zur Seite. Wie sie das geschafft hatte, wusste ich wirklich nicht – die kleine Hexe war ja nur ein Fliegengewicht.

»Was ich tue, geht dich verdammt noch mal nichts an!«, schrie sie.

Ich fing Picnics Blick auf, und er zuckte mit den Achseln, wohl wissend, dass er geschlagen war. »Scheiß drauf. Ich bin fertig mit euch.«

Das wurde aber auch Zeit. Ich lächelte Mel breit an und genoss den Moment, in dem sie kapierte, was da gerade geschehen war. Wir mochten in einem anderen Clubhaus sein, aber die Silver Bastards waren die Brüder der Reapers. Pic hatte sich eingemischt, weil Melanie mit seiner alten Lady total dicke war, aber er war zu weit gegangen. Wenn Mel ihren verdammten Mund gehalten hätte, dann hätte sie hier vielleicht wieder so rausspazieren können. Aber jetzt? Auf keinen Fall.

»Ich bring dich nach Hause, Mel«, sagte ich sanft drohend und genoss den plötzlichen Schrecken auf ihrem Gesicht. »Da können wir uns in Ruhe unterhalten. Privatsphäre – verstehst du?«

Sie schaute sich mit weit aufgerissenen Augen um. Sie kannte ungefähr die Hälfte aller Männer, die heute Abend hier waren, aber das hätten auch Fremde sein können, denn es nutzte ihr überhaupt nichts. Ruger. Gage. Horse. Puck. Sie starrten sie alle mit kühlem Blick an, keiner würde auch nur einen Finger rühren, um sie vor mir zu beschützen.

»Fuck ...«, flüsterte sie. Ja,genieß es mal so richtig, dass dir die Augen geöffnetwerden, Baby.

»Ja, ficken tun wir vielleicht auch noch«, sagte ich und dachte an ihre heiße, süße Fotze. In den Genuss war ich seit Jahren nicht mehr gekommen, aber ich träumte immer noch jede einzelne verdammte Nacht davon.

Ich streckte die Hände aus und riss Melanie an mich. Sie schrie, aber niemand rührte sich. Sekunden später hatte ich sie mir über die Schulter geworfen und trug sie hinaus in die Nacht. Sie trommelte mir auf dem Rücken herum, wirklich süß, denn sie hatte nicht die geringste Chance.

Ich hatte fünf Jahre lang nach ihrer Pfeife getanzt, aber das war nun endgültig vorbei. Meiner Ansicht nach hatte sie ihre Freiheit in dem Augenblick verloren, als sie ihr Bein über das Bike eines anderen Mannes geschwungen hatte.

Jetzt musste ich sie nur noch zur Vernunft vögeln.

Kapitel eins

SÜDKALIFORNIEN, STAATSGEFÄNGNIS

FÜNF JAHRE ZUVOR

Lieber Levi,

irgendwann musst du mir malerzählen, wie es kam, dass du mit dem Malen angefangenhast. Irgendwie erzähl ich dir alles über mich, aber dunie was Richtiges über dich. Das ist doch komisch. Ichdenke immer mal wieder, ich sollte dir nicht mehr schreiben,denn eigentlich kennen wir uns ja auch gar nicht richtig. (Ich weiß immer noch nicht so genau, warum ich dieganze Zeit dein Auto benutzen darf, aber ich weiß dasecht zu schätzen – ich kümmere mich auch um den Ölwechselund dieses ganze Zeugs.) Aber dann passiert irgendwas Interessantes, undich merke, dass ich dir davon berichten will, also schreibich dir doch wieder.

Egal, du musst ja nicht antworten,wenn du nicht willst. Ich weiß, du hältst mich fürein halbes Kind, aber ich bin immerhin zwanzig und habschon eine Menge Mist erlebt.

Jetzt musste ich eine Pausemachen. Jessica ist vorbeigekommen – wir ziehen nächstes Semester zusammen. (Nurdass du’s weißt: Sie hat’s mir gesagt. Dasmit euch, meine ich. Sie hat gesagt, es war überhauptnichts, aber ich frage mich, ob du noch immer soan sie denkst.) Es geht ihr richtig gut. Das Sommersemesterist gerade zu Ende, und sie hat einen Durchschnitt vondrei Komma null, das ist echt super. Ich bin wahnsinnigstolz auf sie, denn sie hat Schwierigkeiten mit dem Lernenund das Ganze ist ihr echt nicht leichtgefallen. Und ichhabe auch gute Neuigkeiten: Heute hab ich erfahren, dass ichein Stipendium kriege, bei dem die Studiengebühren und das Büchergeldübernommen werden! Das heißt, ich kann von meiner staatlichen Unterstützungleben und muss dieses Jahr nicht arbeiten gehen, sodassich nächstes Semester ziemlich viele Kurse belegen kann. Wenn allesgut läuft, werde ich schon im Januar an die Universityof Idaho wechseln, ein ganzes Semester früher als geplant!

So ...und es ist noch was passiert, was ich dir erzählenwill. Ich hab einen Typen kennengelernt. Er ist echt süßund wir haben am gleichen Tag Geburtstag – ist das nichtirre? Wir waren auf einer Party, und da haben dieLeute »Happy Birthday« für ihn gesungen, und Jessica hat »HappyBirthday« für mich gesungen, und so fing das Ganze an.Wir sind ein paarmal zusammen aus gewesen, und jetzthat er mich gefragt, ob er nicht der Einzige seinkönnte, mit dem ich ausgehe.

Was hältst du davon?

Findestdu, dass ein Junge das schon nach so kurzer Zeitfragen sollte? Ich sollte wahrscheinlich mit Loni darüber reden, abersie macht sich ohnehin immer so viel Sorgen und ... achegal ... ich wollte nur wissen, was du davon hältst.

Sollich mich jetzt richtig ernsthaft mit ihm treffen? Fällt dirirgendein Grund ein, warum ich das nicht machen sollte?

Melanie

PS: Danke für das Bild, das du mir geschickt hast –es fühlt sich an, als wäre ich selber dort gewesen.Immer wenn ich eine Zeichnung von dir sehe, haut esmich um. Ich versteh einfach nicht, wie man so tollmalen kann.

Ich faltete den Brief sorgfältig zusammen und schaute hinaus auf den Gefängnishof. Es war warm, absolut perfektes Wetter, und ich dachte an Idaho, wo man den größten Teil des Jahres nicht draußen sitzen kann.

Das einzig Gute am Gefängnis war, dass ich mir letzten Winter nicht den Arsch abgefroren hatte. Zu Hause sparten die Leute das ganze Jahr über und versuchten dann in den kalten Monaten irgendwo im Süden ein bisschen Sonne zu tanken – und ich hatte meinen Urlaub ganz umsonst gekriegt. Weiter hinten auf dem Hof sah ich Puck, der in meine Richtung spaziert kam. Er schien völlig ziellos unterwegs zu sein, aber ich wusste Bescheid. Er verteilte gerade Stoff, und mein Job war es, aufzupassen. Es durfte keiner was merken, wenn er seine Runden drehte.

Ein kleiner pickliger Flachwichser kam auf mich zugerannt und strahlte übers ganze Gesicht.

»Hast du wieder einen Brief von Melanie bekommen?«, fragte er mit leuchtenden Augen. Ich zuckte die Schultern und versuchte, ihn zu ignorieren. Dieser Idiot war der Zellengenosse von mir und Puck, und ich überlegte mindestens zweimal am Tag ernsthaft, ob ich ihm nicht eine kleine Lektion mit meinem Messer erteilen sollte.

»Hat sie Fotos geschickt?«, fragte er und leckte sich die Lippen. Ich unterdrückte ein Knurren.

»Halt dein verdammtes Maul. Wenn ich dich noch mal erwische, wie du das Foto von ihr anfasst, dann bring ich dich um, und das mein ich ernst. Puck und ich haben uns schon genau überlegt, wie wir’s machen.«

Sein Lächeln verschwand, offenbar hatte ich seine Gefühle verletzt. BloßeinklitzekleinerSchnitt...einmalnurdasMessergeschwungen,dannistseineZungeweg. »Das meinst du jetzt aber nicht ernst.«

Ich antwortete nicht. Der Typ hatte das Hirn eines Achtjährigen, eines gemeingefährlichen Achtjährigen, dessen halbes Leben aus bewaffneten Raubüberfällen bestanden hatte, aber beim IQ fehlte ihm so einiges. Puck redete mir immer gut zu, Geduld mit ihm zu haben, und das versuchte ich auch, ehrlich. Ich gab mir alle Mühe, aber manchmal war ich wirklich ganz kurz davor, ihn mit dem Messer an die Wand zu nageln.

»Ich hatte da so ’ne Idee«, sagte der Flachwichser und lehnte sich neben mir an die Wand.

»Halt die Klappe und verzieh dich.«

Er runzelte die Stirn. Ich ignorierte ihn, bis er endlich abzog wie ein getretener Welpe, und behielt Puck im Auge, der gerade auf eine Gruppe von Skinheads zuging. Das hatte ich immer schon witzig gefunden. Hinter seinem Rücken nannten sie Puck »den Mischlingsköter«, aber wenn er Stoff dabeihatte, verziehen sie Mr Redhouse großzügig all seine Sünden gegen die arische Rasse. Ich hätte gern darüber gelacht, aber ich war zu sehr damit beschäftigt aufzupassen, dass ihn keiner umbrachte.

Nur noch zwei Wochen.

Noch zwei Wochen in diesem Rattenloch, dann ging es zurück nach Hause, nach Coeur d’Alene. Zurück zu meinem Bike und zu meinem Club. Zu meinen Brüdern.

Und zu Melanie.

Zur schönen Melanie, die mit meinem Auto durch die Gegend fuhr, weil ich mich schuldig fühlte, dass ich sie damals am letzten Abend ohne Fortbewegungsmittel zurückgelassen hatte ... Liebe Güte, ich hatte eigentlich vorgehabt, ihr ein paar Tage mein Auto zu leihen, und jetzt hatte sie es schon ein ganzes Jahr. Lächerlich – wem wollte ich denn was vormachen? Mir gefiel die Vorstellung, dass sie in meinem Auto saß und jeden Tag an mich dachte. Dass sie mir was schuldig war.

Hier im Knast hätte ich die verdammte Karre ohnehin nicht brauchen können.

Ich tastete nach ihrem Brief und fragte mich, was zum Teufel ich ihr zu diesem Arsch schreiben sollte, der ihr an die Wäsche wollte. Wahrscheinlich: »Servier ihn ab, er ist nicht gut genug für dich.« Sie war zu jung, zu unschuldig und zu hübsch für irgendeinen Schwanzlutscher in den Zwanzigern, der nur Sex wollte. Er machte sich doch überhaupt nichts aus ihr, er wollte sie einfach nur flachlegen. Die Kerle waren alle gleich. Vielleicht würde er irgendwann mal erwachsen werden. Na ja, ich war fünf Jahre älter als er und auch noch nicht erwachsen.

Aber ich hatte kein Recht auf eine Meinung. Sie kannte mich ja kaum. Wir hatten alles in allem vielleicht acht Stunden miteinander verbracht, und eins ist klar, so was wie ein Happy End gibt’s ohnehin nicht. Ich hatte sie nach Hause gebracht und einen Film mit ihr geschaut. Dann hatte ich sie zum Essen eingeladen, damit sie dem Club nicht im Weg war. Es war nicht mal ein besonders großartiges Essen gewesen, nicht so, wie sie es verdient gehabt hätte. Eigentlich hätte ich dieses Mädchen gar nicht anschauen dürfen.

Verdammte Scheiße.

Puck warf einen Blick in meine Richtung und gab mir mit dem Kinn ein Zeichen. Der Deal war abgeschlossen. Ich stieß mich von der Wand ab und ging langsam auf ihn zu. Unser nerviger Zellennachbar wollte mir folgen, aber ich hielt ihn mit einem bösen Blick davon ab. Ein ganz normaler Tag im Knast, genau wie jeder andere, den ich in den vergangenen dreizehn Monaten hier verbracht hatte.

Doch heute war etwas anders.

Ich hatte erfahren, dass irgend so ein Arsch hinter Mellie her war, und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. Vielleicht vögelte er sie sogar genau jetzt und sagte ihr, wie wahnsinnig er sie liebte.

Verdammt.

Und sie würde wahrscheinlich auch noch drauf reinfallen.

Mel,

ich schreibdir Briefe, aber die sind alle gelogen. Ich frage nachdeinen Freunden und nach dem Studium und mit wem dudich so triffst. Das ist alles Schwachsinn, Mel.

Hier kommtdie Wahrheit.

Gestern hab ich auf einen Typen eingestochen, eheer auf mich einstechen konnte. Puck und ich haben einpaar Nazis ein bisschen Stoff verkauft, dann haben wir einpaar Mexikanern das gleiche Zeug verkauft. Und beim Abendessen gab’s Pudding zum Nachtisch.

Danach hab ich mir dreimaleinen runtergeholt und dabei an dich gedacht.

Das waren sodie Höhepunkte des Tages. Wie im Märchen, was?

Dass ichan dich denke, hilft mir, hier durchzuhalten, und, verdammt nochmal, das ergibt alles überhaupt keinen Sinn. Ich hab dichja kaum je angefasst. Und trotzdem überlege ich immer noch, wonach du gerochen hast, als du neben mir auf demSofa gesessen bist. Du warst so schmal und hast inmeinen Armen richtig gezittert. Ich weiß, du hattest bei diesemFilm Angst, und wir hätten auch was anderes sehen können, aber es war eine super Ausrede, so konnte ich meinenArm um dich legen.

Damals habe ich ernsthaft zum erstenMal dran gedacht, wie es wohl wäre, dich zu ficken.

Ich hätte dich mit dem Gesicht nach unten auf dieKissen geworfen, dir die Jeans runtergerissen und ihn so tiefreingeschoben, dass er dir oben zum Hals wieder rausgekommen wäre. So einer bin ich, Mel, und deshalb solltest du dichverdammt noch mal von mir fernhalten.

Wenn ich je dieChance kriege, werde ich dich packen und in dich reinhämmern, egal, wie sehr du dich losreißen willst. Ich träume jedeNacht davon und hole mir einen runter und heute habich ernsthaft überlegt, einen Menschen zu töten, weil er diegleichen Fantasien von dir hat wie ich. Damals am erstenAbend hab ich London versprochen, ich würde dich nicht anrühren, dabei war ich schon seit Stunden hart. Nur gut, dasssie aufgetaucht ist – sie hat dir den Arsch gerettet. Istdas nicht ein Glück?

AlsichdichzumEssenausgeführthab,wollteichmaleinbessererMenschsein,ichhab’sechtversucht.Mirwarklar,duwürdestnichtverstehen,wiesoichdicheingeladenhaboderwasdaszubedeutenhatte.SiewolltendichausdemWeghaben,Mel.DaswarmeineAufgabe –ichsolltedafürsorgen,dassdubeschäftigtbist.UndichhabLondonversprochen,keinenScheißzubauen.AbersiehatunsdieganzeZeitangelogen,undichhabüberlegt,eigentlichmüssteichdochdannjetztmeinVersprechenauchnichtmehrhalten.

Ich bin verdammt sicher, dass iches jetzt schon ziemlich lange nicht mehr halte.

Wir habenuns unterhalten, und du hast gelächelt und bist rot geworden. Mein Schwanz war so hart, dass er beim Aufstehen fastdurchgebrochen wäre. Ich musste mich irre anstrengen, sonst hätte ichdich auf mein Bike geworfen und wäre mit dir abgehauen... Ich will dich fesseln und in deinem Arsch kommen unddir meinen Schwanz so tief in den Hals stecken, dassdu keine Luft mehr kriegst. Ich will, dass du Kleinmädchen-Zöpfe hast, an denen ich mich festhalten kann, während ichdeinen Mund ficke. Ich will, dass du schreist und heulstund mir alles gibst, was du zu bieten hast. Ichwill, dass du verdammt noch mal MIR gehörst.

Na, wiefühlt sich die Wahrheit an, Mel? Willst du immer nochDating-Tipps von mir?

IchkommebaldnachHause,unddusolltestverschwinden,solangedudasnochkannst,Mel,sonstversauichdichwomöglich.Ichwürdedichsosehrversauen,dassdudich niewiederdavonerholenwirst.IchwürdedichaufdieharteTourzahlenlassen.Duglaubst,duwärsterwachsen–aberdasbistdunicht.Ichkönntedirunglaublichvielbeibringen ...undsovielesmitdirmachen.Verdammt,wennduauchnurdieleisesteAhnunghättest,würdestdumirniemehrschreiben.

Du solltest echt nach Alaska abhauen.

Legdir einen anderen Namen zu.

Viel Glück dabei, ich werdedich trotzdem finden und dich nehmen und dann ...

Verdammte Scheiße.

Ich ließ den Stift fallen und fragte mich, wie ich so einen Brief für eine gute Idee hatte halten können. Natürlich würde ich ihn nicht abschicken! Stattdessen würde ich ihr ein freundliches kurzes Briefchen schreiben und ihr sagen, sie solle sich mit ihm treffen und ihren Spaß haben. Irgendwie dachte ich, es würde mich vielleicht von meiner Besessenheit heilen, wenn ich das schrieb, was ich wirklich dachte. Stattdessen war mein Schwanz hart wie Stein. Wieder mal.

Immer noch.

Eigentlichimmer.

Ich riss das Blatt in kleine Schnipsel, denn auf gar keinen Fall sollte der Flachwichser das hier zu lesen kriegen. Er wühlte immer in unserem Abfall rum wie eine Ratte. Und Puck brauchte das auch nicht zu sehen. Er war zwar mein Bruder – der beste Bruder, den man sich wünschen konnte, das hatte er tausendfach bewiesen, seit sie uns eingelocht hatten. Aber er brauchte wirklich nicht zu wissen, was für ein Weichei ich geworden war.

Tja ... wem wollte ich hier eigentlich was vormachen?

Wahrscheinlich lachte sich Puck sowieso schon insgeheim tot über mich.

Ich schnappte mir ein neues Blatt Papier und wollte jetzt einen echten Brief schreiben. Ihr zu den guten Noten gratulieren und ihr sagen, dass sie sich einen anständigen Freund suchen sollte. Aber ich fand nicht die richtigen Worte. Wahrscheinlich musste ich zu sehr an ihre Lippen denken, ein voller, aufgeworfener Schmollmund, vom lieben Gott ganz klar dafür geschaffen, einen Schwanz zu lutschen. Und zwar meinen Schwanz. Wie aufs Stichwort wurde der jetzt so hart, dass es wehtat, eine Säule aus Beton in meiner Unterhose, die verzweifelt gern mal wieder echte Action gehabt hätte.

»Ich hab dir ein Bild gemalt«, sagte der Flachwichser und grinste mich von seiner Pritsche aus blöde an. Er hielt ein Stück Papier hoch, auf dem er mit orangen und roten Buntstiften rumgekritzelt hatte. Das Rote war Blut, das aus den Körpern von Strichmännchen lief, aber ich hatte keinen Schimmer, was die orangefarbenen Spiralen bedeuten sollten. Vielleicht waren das die Stimmen in seinem Kopf?

Er sprach gern mit mir über seine Kunst, als hätten wir etwas gemeinsam. Manchmal bekam ich eine grobe Ahnung, wie der Mann so tickte. Verdammt Furcht einflößend.

»Lass meinen Bruder in Ruhe«, sagte Puck ärgerlich zum Flachwichser. Er hatte sich schon für die Nacht fertig gemacht und las irgendein Geschichtsbuch, Scharfschützen im Zweiten Weltkrieg oder so was – so einen Scheiß liebte er. »Licht geht eh gleich aus. Leg deine Stifte weg und hau dich hin, Schwanzlutscher.«

Der Flachwichser kicherte, und ich stand unter Schmerzen auf. Meine Pritsche war nur drei Schritte entfernt, aber jeder Schritt tat mehr weh als der letzte. Es fühlte sich an, als würde mein Schwanz gleich aufplatzen, so viel Blut war darin aufgestaut. Ich ließ mich auf mein Bett fallen und wartete, dass das Licht ausging.

Dann würde ich mir einen runterholen.

Wieder mal.

Das würden wir alle tun.

Und Flachwichser würde gut dran tun, nicht auf meine Bilder von Mel abzuspritzen, denn dann würde ich ihn wirklich umbringen. Mit einem Dröhnen gingen die Lichter aus, genau wie im Film. Das hab ich nie kapiert – so laut kann das doch gar nicht sein, wenn man einen Schalter umlegt!

Regelrecht bedrohlich. Schon Sekunden später hob ich die Hüften, zog mir die Hose runter und befreite meinen Schwanz. Zum tausendsten Mal fragte ich mich, wie ich es schaffen sollte, die Finger von Mel zu lassen, wenn ich wieder nach Hause kam.

Der Flachwichser grunzte im Dunkeln, während ich meinen Schwanz packte.

Verdammt.

Noch zwei Wochen.

Wenn ich nur das geringste bisschen Anstand hatte, würde ich sie in Ruhe lassen. Das könnte ich schaffen. Wahrscheinlich hatte ich mir eh nur eingebildet, dass sie so schön war. Im Knast schufen sich die Männer alle möglichen irrealen Vorstellungen – und die zerplatzten dann alle wie Seifenblasen, sobald sie wieder draußen waren. Mel war einfach nur eine von diesen Schlampen, und zwar eine, die deutlich zu viele Probleme auf dem Buckel hatte. Eigentlich wollte ich sie gar nicht. Und ich brauchte sie auch nicht.

Na klar ... Wem zum Teufel wollte ich hier eigentlich was vormachen?

Kapitel zwei

COEUR D’ALENE

EINEN MONAT SPÄTER

MELANIE

»Heißt das, er hat dich nicht mal angerufen?«, fragte Kit mit erstaunt aufgerissenen Augen. »Ich weiß ja, dass Männer total bescheuert sein können, aber erst leiht er dir einfach so das ganze Jahr sein Auto und schreibt dir jede Menge Briefe aus dem Knast – und dann sollst du meinem Dad den Autoschlüssel geben, damit er dich nicht sehen muss? Das ist doch echt bekloppt.«

»Ich will nicht darüber reden«, murmelte ich und warf Jessica, der alten Tratschtante, über den Tisch hinweg einen bitterbösen Blick zu. Meine beste Freundin, die auf dem besten Weg war, meine ehemals beste Freundin zu werden, schien völlig unbeeindruckt.

Blöde Schlampe.

»Das kann ich gut verstehen«, verkündete Em und griff nach der Weinflasche. »Ich rede auch nicht gern über Painter. Er ging mir viel zu lange nicht aus dem Kopf, ich war nämlich mal total in ihn verknallt, als er noch Anwärter war.«

»Du hast ja auch zugelassen, dass er dir die ganze Zeit im Kopf rumging«, sagte Kit und schob Em das Glas hin, damit sie ihr Wein nachschenkte. Em schlug ihr auf die Hand, und plötzlich stritten sich die Schwestern um die Flasche wie Kindergartenkinder um einen Keks.

Ich warf Jessica einen Blick zu und fragte mich, wie sich unser Freitagnachmittag auf einmal in ein Besäufnis verwandelt hatte, noch dazu mit zwei Frauen, die ich kaum kannte. Kit und Emmy Hayes waren offenbar ziemlich durchgeknallt. Jess zuckte mit den Schultern, als wollte sie sagen: Mich darfst du nicht fragen, dann trank auch sie ihr Weinglas aus. Ich griff mir ein paar Cracker von der kleinen Platte mit Käse und Fleisch, die Em mitgebracht hatte, als die beiden aus heiterem Himmel bei uns aufgetaucht waren. (Kit war für den Alkohol zuständig gewesen.)

»Ha!«, sagte Em schadenfroh und hielt triumphierend die Flasche außer Reichweite. »Vergiss es, Kit, und jetzt zurück zum Thema: Wir müssen uns was richtig Tolles für den Junggesellinnenabschied von London ausdenken. Bis jetzt haben wir Tanzen gehen. Was haltet ihr davon, wenn wir als Überraschung ein paar Stripper einladen?«

»Ich glaube nicht, dass Reese das mit den Strippern besonders gefallen würde«, murmelte ich und spuckte dabei Krümel, weil ich vergessen hatte, dass ich mir gerade erst die Cracker in den Mund gesteckt hatte. Igitt. Ich griff nach meinem Wasserglas, trank einen großen Schluck – und spürte plötzlich flüssiges Feuer im Hals. Ich verschluckte mich, und Jess klopfte mir auf den Rücken, während die anderen mich anstarrten. Langsam kam ich wieder zu Atem, ich musste knallrot sein.

»Das war ja Wodka pur«, stieß ich hervor und starrte auf den grünen Plastikbecher. Ich hatte Kits Becher erwischt, nicht meinen, und Wasser war offenbar nicht gerade ihr Lieblingsgetränk.

»Weiß ich«, sagte Kit und nickte ernst. »So knallt es mehr.«

»Du spülst deinen Wodka mit Wein runter?«, fragte Em.

»Nein, ich spüle meinen Wein mit Wodka runter«, erklärte Kit. »Das betäubt. Wir sprechen drüber, dass Dad wieder heiratet, und das ist echt unheimlich – es hilft, wenn ich ordentlich beschwipst bin.«

Ich lehnte mich zurück, schaute zwischen den Schwestern hin und her und versuchte, die Situation abzuschätzen. Jessica und ich waren erst vor einer Woche hier eingezogen. Unsere neue Wohnung war Teil eines älteren Hauses mit drei Etagen. Es war alles schon ziemlich marode, und früher oder später würde jemand das Haus abreißen und irgendwas Neues, Aufsehenerregendes hinbauen. Bis dahin war es in vier Wohnungen unterteilt worden: Zwei lagen unten im Souterrain und die anderen beiden so, dass sie jeweils Erdgeschoss und ersten Stock hatten, so wie ein Reihenhaus.

Es gefiel mir unglaublich gut.

Nach vorne raus hatten wir eine riesige Veranda, und von der Küche aus führte eine Tür in einen schattigen Hof, der von Bäumen umstanden war. Beim Sperrmüll hatten wir eine alte hölzerne Kabeltrommel gefunden, die wir als Picknicktisch benutzten. Und um den saßen wir jetzt eng zusammengedrängt auf alten Campingstühlen. Sehr praktisch, weil wir fürs Esszimmer eh noch keinen Tisch hatten. Vielleicht würden wir den hier reinholen, wenn es kälter wurde ... Wie unsere neue Wohnung hielten wir auch den Tisch für einen Volltreffer. London, Jessicas Tante, die sie großgezogen und auch mich aufgenommen hatte, und ihr Alter Mann, Reese Hayes, waren hingegen der Meinung, dass das hier ein echtes Drecksloch war.

Irgendwie hatten sie da nicht ganz unrecht.

Das Haus war mindestens hundert Jahre alt, die Farbe blätterte ab und das Verandadach neigte sich so beunruhigend stark, dass ich beschlossen hatte, bewusst nicht darüber nachzudenken – besonders, weil mein Zimmer (das früher auch mal eine offene Veranda gewesen und dann verglast worden war) gleich über der zweifelhaften Konstruktion lag. Das heiße Wasser funktionierte die halbe Zeit nicht, und wenn jemand irgendwo anders im Haus einen Wasserhahn aufdrehte, während man unter der Dusche stand, dann wurde es eiskalt. Die Wände waren so dünn, dass kaum die Reißnägel drin stecken blieben, mit denen wir Poster aufhängten, und der Kühlschrank gab unheimliche, ächzende Geräusche von sich, als würde ein Mörder in finsterer Nacht schnaufen. (Nicht dass ich je einen nächtlich schnaufenden Mörder gehört hätte, aber ich hatte eine lebhafte Fantasie.)

Trotzdem – das hier gehörte jetzt uns.

Es war unser erstes echtes Zuhause als Erwachsene.

Außerdem hatten wir zum großen Teil wirklich tolle Nachbarn. In der anderen Haushälfte wohnten drei Jungs, die aufs North Idaho College gingen, genau wie wir. Sie waren laut und unhöflich, aber bisher hatten wir immerhin ihren Grill mitbenutzen dürfen, der auf der Veranda stand, und für das Mädchen, das im Souterrain wohnte, hatten sie eine Schlange getötet. In dem anderen Apartment im Souterrain wohnte ein Typ, der ein bisschen seltsam schien. Jessica meinte, er könnte vielleicht ein Dealer sein. Ich konnte das schwer einschätzen. Allerdings hatten in der einen Woche, die wir jetzt hier wohnten, schon derart viele Autos vor dem Haus gehalten, jede Nacht bis zwei, drei Uhr früh ... Das war doch nicht normal, dass jemand so spät noch so viel Besuch bekam.

Wir hatten beschlossen, Reese nichts davon zu erzählen, denn er würde den Typen wahrscheinlich umbringen ... es sei denn, er stand bei den Reapers auf der Gehaltsliste. Reese war der President des Motorradclubs, aber was er da eigentlich genau machte, hatte ich nie kapiert.

Aber manchmal ist es vielleicht besser, wenn man nicht so genau Bescheid weiß.

Kit und Em waren seine Töchter, und offenbar waren die beiden jetzt unsere neuen besten Freundinnen. Jess hatte kurz erzählt, dass sie in der Stadt waren. Die Reapers veranstalteten irgendeine große Party zum Tag der Arbeit, und die Leute kamen von überallher – von Washington, Oregon, Idaho und Montana – für dieses Fest angefahren. Sogar uns hatten sie eingeladen, als Londons ... tja, was waren wir denn eigentlich?

Jessica war die Nichte von London, also gehörte sie zur Familie. Ich war seit Jahren eng mit Jessica befreundet, und London hatte mich halb mit aufgezogen, also schätze ich, dass ich irgendwie auch zur Familie gehörte.

Dass es keine griffige, passende Bezeichnung für eine Konstellation wie unsere gab, machte sie keineswegs weniger bedeutend. Es war wirklich ein Hammer gewesen, als Loni mich gefragt hatte, ob ich eine ihrer Brautjungfern sein wollte. Jetzt, wo sie etwas mit dem Presidenten der Reapers hatte, begriff ich erst, was das bedeutete: dass der ganze Club irgendwie ein Teil unserer Welt werden würde. Unter anderen Umständen hätte ich sicher überlegt, zu dieser großen Party zu gehen. Aber ich konnte nicht – Jess hasste das Clubhaus und weigerte sich rundheraus, dort hinzugehen. Im vergangenen Jahr hatte sie dort irgendwas Schlimmes erlebt. Ich wusste nichts Genaueres und ich wollte es auch gar nicht wissen. Wenn sie nicht gehen wollte, dann wollte ich auch nicht. Wir würden einfach zu Hause bleiben und uns um unsere Referate kümmern, während die anderen feierten. Zumindest war das der Plan gewesen, ehe Kit und Em und ihr Alkohol hier wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, um über die Planung für den Junggesellinnenabschied zu sprechen.

»Jetzt sind wir vom Thema abgekommen«, sagte Jessica. Ich zwinkerte ihr zu und fühlte mich, als würde sich die Welt drehen. Der große Schluck Wodka hatte mir ordentlich zugesetzt. »Will London denn überhaupt einen Junggesellinnenabschied? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr so was gefällt.«

»Jede Frau will einen Junggesellinnenabschied«, verkündete Kit. »Und wir werden das richtig gut hinkriegen. Ich gebe zu, am Anfang war ich nicht gerade glücklich, als die beiden zusammengekommen sind. Ich krieg immer noch die Krise, wenn ich daran denke, dass sie jede Nacht mit Dad schläft ...«

»Besser sie als die Mädels, die er sonst wo aufgegabelt und mit nach Hause gebracht hat«, sagte Em und verzog die Nase. »Die Hälfte von denen war jünger als ich. Einmal hat er sogar ein Mädchen gefickt, das angezogen war wie eine Karotte. Da ist London wirklich ein gewaltiger Fortschritt.«

Jess und ich schauten uns an. Wie eine Karotte?

Frag sie nach der Karotte!, flüsterte ich Jess lautlos zu.

Auf gar keinen Fall, flüsterte sie lautlos zurück, die Augen schockiert aufgerissen.

»Also, wir könnten die Sache auf zwei Arten angehen«, erklärte Kit. »Entweder können wir etwas planen, das London gefällt, oder wir können etwas tun, das Dad zur Weißglut zu bringt. Das würde wiederum mir gefallen, also bin ich für die zweite Variante.«

»Die Herausforderung liegt darin, etwas zu planen, das ihr gefällt und bei dem er trotzdem in die Luft geht«, erklärte ich. Allmählich kam ich auf den Geschmack. »Wir sollten ein paar Stripper für sie besorgen und ihm dann Bilder davon schicken.«

»Könnten wir im Line feiern?«, fragte Jessica fasziniert. The Line war ein Stripclub, der den Reapers gehörte. Ich war schon daran vorbeigefahren, aber noch nie drinnen gewesen.

»Das ist eine Idee«, sagte Kit. »Sie werden ihn sicher nicht den ganzen Abend zumachen wollen, aber vielleicht können wir eine Art Ladys Night organisieren. Das gab’s da schon mal, das weiß ich. Auf diese Weise verdienen sie ihr Geld, wir geben eine Party für London, und Dad explodiert vor Wut. Da haben wir alle was davon.«

Ich stand langsam auf und schwankte leicht.

»Ich muss mal pinkeln«, verkündete ich ernst. Ich war viel betrunkener, als mir klar gewesen war. Ich hätte wohl ein paar mehr Cracker essen sollen ... bloß hatte mich der letzte Cracker fast umgebracht. Hinterhältige kleine Mistdinger.

»Soll ich dir helfen?«, fragte Jess, und ich musste über ihren Scherz lachen, denn ich brauchte selbstverständlich keine Hilfe. Wofür hielt sie mich denn, für ein Vorschulkind? Aber die anderen lachten nicht, und ich kapierte, dass sie es ernst meinte. Das fand ich noch lustiger und musste sehr laut kichern. So sehr, dass ich fast zurück auf meinen Platz fiel.

»Bist du wirklich sicher, dass du keine Hilfe brauchst?«, fragte Kit. Ich schüttelte den Kopf, und dabei wurde mir wieder schwindelig.

»Nein, ich glaube, das schaffe ich schon.«

Ich brauchte länger als erwartet, vor allem weil ich beim Reingehen versehentlich die Badezimmertür verriegelt hatte und nicht mehr wusste, wie ich sie wieder aufkriegen sollte.

Ich sollte mich in Zukunft wirklich von Kits Becher fernhalten.

»Er hat sie angeschaut und ›Hallo‹ gesagt, und das war’s«, erzählte Jess gerade, als ich zurückkam. Scheiße. Sie sprach wieder von Painter, das für mich wahrscheinlich verhassteste Thema der Welt.

Er war jetzt seit zwei Wochen wieder draußen. Ich hatte erwartet, dass er mich anrufen würde. Stattdessen hatte ich eine Nachricht von Reese bekommen, ich solle das Auto und die Schlüssel zu ihm nach Hause bringen – und dann kam gar nichts mehr. Nicht dass ich fand, Painter wäre mir irgendwas schuldig, das war er natürlich nicht, aber ich wollte mich wenigstens bei ihm bedanken. (Okay, das stimmt nicht, ich wollte mich eher auf ihn stürzen, denn ich hatte mich tierisch in ihn verknallt, aber ich hatte auch meinen Stolz. Ich hätte es bei einem kurzen Dankeschön belassen und vielleicht ein paar Kekse gebacken.)

»Wechseln wir doch das Thema«, erklärte ich.

»Nein, ich will das jetzt hören«, sagte Kit, sie nuschelte schon ein bisschen. »Vorhin hast du mich abgelenkt, aber jetzt, wo wir auf die Idee mit den Strippern gekommen sind, können wir uns konzentrieren.«

Ich seufzte und fragte mich, ob ich Jessica nicht einfach erwürgen könnte. Wahrscheinlich nicht. Sie war nicht besonders groß, aber drahtig und ungewöhnlich kräftig. Das würde nicht gut für mich ausgehen. Da konnte ich mich auch gleich dem Unvermeidlichen beugen und ihnen die Geschichte erzählen.

»Also, ich hab Painter letztes Jahr kennengelernt«, fing ich an und runzelte die Stirn. Ich wollte wirklich nicht darüber sprechen. »Wisst ihr was? Ich hab Hunger! Lasst uns doch ’ne Pizza bestellen.«

»Du kriegst was zu essen, sobald du uns die Geschichte erzählt hast«, sagte Kit, die längst Blut gerochen hatte. »Jetzt spuck’s schon aus. Ich will alles bis ins kleinste Detail erfahren.«

Das war echt beschissen. Ich kannte die Töchter von Reese Hayes nicht mal besonders gut. Vor dem heutigen Treffen hatten wir uns erst ein paarmal an irgendwelchen Feiertagen gesehen. Ich war mir im Haus von Reese wie ein Eindringling vorgekommen, und wenn seine Töchter da gewesen waren, war es noch schlimmer gewesen. Letztes Jahr Weihnachten war ich direkt nach dem Abendessen in mein Zimmer verschwunden und hatte eine bescheuerte Geschichte erfunden, ich würde irgendwo ehrenamtlich arbeiten, nur damit ich wegkam.

»Also, ich hab Painter letztes Jahr kennengelernt«, fing ich erneut an. »Wir haben uns wirklich nur ein paarmal gesehen. Dann kam er ins Gefängnis und ich hab angefangen, ihm zu schreiben.«

»Ich hab ihr gesagt, dass das keine gute Idee ist«, sagte Jessica wichtigtuerisch. »Er ist keiner von den Netten, auch wenn er dir sein Auto geliehen hat.«

»Das stimmt«, fiel Em ein. »Er ist wirklich keiner von den Netten.«

»Wollt ihr die Geschichte nun hören oder nicht?«, fragte ich und schenkte mir Wein nach. Ich fühlte mich gleich nüchterner, wenn ich an Painter dachte, und das durfte nicht sein.

»Erzähl weiter«, sagte Kit und kniff die Augen zusammen.

»Als er nach Kalifornien musste, hat er mir sein Auto dagelassen. Das war eigentlich nur für ein paar Tage gedacht. Aber dann wurde er festgenommen, und Reese hat mir ausgerichtet, ich könnte es weiterhin benutzen. Ich hab Painter geschrieben und mich bedankt, und ich glaube, so hat es angefangen«, sagte ich. »Seine Briefe waren so süß, obwohl ich ihn doch nur ein paarmal gesehen hatte, ehe er ins Gefängnis kam. Er hat mich nicht mal wie ein Mädchen behandelt, jedenfalls nicht so richtig. Aber er war so ... beschützend. Am Anfang kam es mir bescheuert vor, ihm zu schreiben, aber als er immer geantwortet hat, fühlte ich mich, als wäre ich was Besonderes. Und eines Tages, kurz vor seiner Entlassung, bekam ich einen Brief, in dem er schrieb, es wäre merkwürdig, dass ich keinen Freund hätte und dass ich mich vielleicht mehr mit Männern treffen sollte. Es war wie ein Schlag in den Magen. Ich glaube, ich habe gar nicht richtig kapiert, wie verknallt ich in ihn gewesen bin.«

»Ich hab versucht, sie zu warnen«, sagte Jessica kummervoll. »Aber sie hat ja nicht auf mich gehört.«

»Sie hören nie auf einen«, antwortete Kit traurig wissend. »Ich sage dir, wenn die Leute das beherzigen würden, was ich ihnen sage, wären alle viel glücklicher.«

Ich warf Em einen Blick zu. Sie verdrehte die Augen.

»Jetzt kannst du auch noch den Rest erzählen«, befahl Jessica. Ich seufzte.

»Okay, also, danach habe ich nichts mehr von ihm gehört, er hat nicht angerufen, als er wieder in der Stadt war, und nichts. Am letzten Wochenende sind wir dann hier eingezogen, und Reese ist mit ein paar Typen vom Club aufgetaucht und hat uns geholfen ...«

Ich verstummte, als ich daran dachte. Es war unglaublich demütigend gewesen. Reese und Loni waren mit einem großen Wagen gekommen, und gleich dahinter war Painter auf seiner Maschine gekommen, zusammen mit ein paar anderen Bikern, jüngere Typen, nicht viel älter als ich selbst. Ich hatte völlig fasziniert zugeschaut, als er seine Harley sorgfältig abgestellt und das Bein über den Sitz geschwungen hatte.

Als er hochschaute, blickte er mir geradewegs in die Augen.

Er war schöner, als ich ihn in Erinnerung hatte.

Und auch kräftiger. Ich schätze, er hatte im Gefängnis einige Zeit im Kraftraum verbracht. Und sein Haar war länger geworden. Als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war es kurz und stachelig und so hellblond gebleicht gewesen, dass mir die Augen wehgetan hatten. Jetzt war es nicht richtig lang, aber es war auch nicht mehr hellblond, und außerdem struppiger, so wie es natürlich wuchs. Er hatte scharfe Wangenknochen, seine Gesichtszüge waren kantig und härter, als ich sie in Erinnerung hatte, und in seinen blassblauen Augen lag etwas Furchteinflößendes.

Er schaute mich gar nicht an, sondern regelrecht durch mich hindurch. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch immer die Hoffnung gehabt, dass er nur zu beschäftigt gewesen war oder so. Wie blöd konnte man eigentlich sein?

»Er hat bloß ›Hallo‹ gesagt«, erzählte ich den Mädchen. »Als wäre ich eine völlig Fremde. Es war ganz klar, dass er keine Lust hatte, mit mir zu reden. Er hat bloß kurz genickt, als ich mich für seine Hilfe bedankt hab, und ist weitergegangen. Er hat uns beim Umzug geholfen, aber ich schwöre, zu Jessica war er freundlicher als zu mir.«

Das tat besonders weh, denn ich kannte ihr Geheimnis. Jessica und Painter hatten einmal miteinander geschlafen. Oder zumindest rumgemacht, wie auch immer. Sie hatte es mir nie in allen Einzelheiten erzählt, aber ich wusste, dass zu einem gewissen Zeitpunkt ihre Lippen in Kontakt mit seinem Schwanz gekommen waren. Das war noch zu der Zeit gewesen, ehe sich Jessica zusammengerissen und ihr Leben in den Griff gekriegt hatte.

»Mellie, das hat überhaupt nichts bedeutet«, sagte meine beste Freundin sanft. »Du weißt doch, dass er kein Interesse an mir hat.«

»An dir?«, fragte Kit mit erhobener Stimme. »Ich dachte, das hier wäre ein Problem zwischen ihm und Melanie?«

Ich klappte den Mund zu, denn das war nicht meine Geschichte.

»Ich war früher ziemlich wild drauf«, sagte Jess und holte tief Luft. »Letztes Jahr war ich ziemlich besoffen und bin raus zum Arsenal zu einer Party. Ich hab mit Painter rumgemacht und mit einem anderen Typen namens Banks. Dann ist London aufgetaucht und hat mich rausgeholt, und eine Menge anderer Scheiß ist auch noch passiert.«

»Wow«, sagte Em mit aufgerissenen Augen. »Dann kann er dich nicht besonders gern haben, Jessica. Er schläft nie mit den Mädchen, die er wirklich mag.«

Ich schnappte nach Luft, und Kit gab Em einen warnenden Klaps auf den Kopf.

»Es ist ganz schön mies, so was zu sagen«, fuhr sie sie an. Ich spürte, wie sich etwas in mir zusammenzog – Jess hatte echt schon genug Probleme, sie brauchte nicht auch noch so was zu hören.

»Hey, ist es vielleicht meine Schuld, dass er einen Komplex hat – jede Frau ist für ihn entweder Heilige oder Hure«, protestierte Em.

»Halt die Klappe, verdammt!«, zischte Kit. »Liebe Güte, Em, was ist denn mit dir los?!«

»Ist schon okay«, sagte Jess und tat die Sache mit einer Handbewegung ab. »Tut mir leid, aber allein der Gedanke an diese ganze Sache ist schon lächerlich. Ehrlich, es ist mir so was von scheißegal, ob Painter mich mag oder nicht. Aber sag mal: Fickt er wirklich nicht die Mädchen, die er mag? Was zum Henker ist denn mit dem Kerl los?«

»Wie lange hast du heute Abend Zeit?«, fragte Em ernsthaft. »Es könnte eine ganze Weile dauern, dir das im Einzelnen zu erläutern.«

Ich hob die Hand.

»Darf ich auch was dazu sagen?«

»Nein«, sagte Kit. »Em, erzähl ihr die kurze, knackige Version.«

»Ich war mehr als ein Jahr hinter Painter her«, sagte Em. »Er stand total auf mich, das sagten alle. Aber der Club kam für ihn immer an erster Stelle und es war, als würde er erwarten, dass ich so eine Art perfekter, wertvoller Engel bin, während er mit seinen Club-Huren rumgefickt hat. Irgendwann hatte ich dann die Schnauze voll und bin mit Hunter durchgebrannt.«

»Ehrlich?«, fragte ich. Sie wurde rot.

»Na ja, ein bisschen komplizierter ist es schon«, gab sie zu. »Es war ganz klar was zwischen mir und Painter, aber er hat den Arsch nie hochgekriegt. Der Kerl hat echt Probleme.«

»Painters Problem liegt darin, dass ihm zwar die Vorstellung von einer Beziehung gefällt, er aber viel zu viel Schiss hat, die Sache auch durchzuziehen«, sagte Kit kichernd.

»Nein, Painters Problem liegt darin, dass er ein komplizierter Mensch ist«, sagte Jess und klang jetzt ernster. »Eigentlich würde ich sagen, er ist ein totales Arschloch, aber letzten Sommer hat er geholfen, mir das Leben zu retten. Und deswegen ist er im Knast gelandet. Das ändert natürlich nichts an der Wahrheit – aber wenn du in Lebensgefahr bist und jemanden brauchst, der dich rettet, dann ist es großartig, wenn man Painter in der Nähe hat. Aber sonst? Er ist keiner von den Netten, Mel. Du solltest nicht mit ihm reden, er ist gefährlich. Das sind sie alle.«

Kit und Em waren still geworden.

»Dir ist aber schon klar, dass du auch über meinen Dad und Ems alten Mann redest, oder?«, fragte Kit leise. Jess schaute ihr geradewegs in die Augen.

»Ich weiß genau, wovon ich rede«, antwortete sie mit fester Stimme. »Melanie sollte sich verdammt noch mal von dem Kerl fernhalten.«

»Irgendwann musst du mir mal die ganze Geschichte erzählen«, sagte ich endlich leise. Jess lächelte mich traurig an.

»Der Club hat mich gerettet«, sagte sie wieder. »Sie können Gutes tun, Mel. Aber du solltest dich davon nicht blenden lassen und denken, ihre Welt wäre gut, denn das ist sie nicht. Dort passieren schlimme Dinge.«

Wir schwiegen, während wir über ihre Worte nachdachten.

»Wir sollten noch was trinken«, verkündete Kit plötzlich. »Und wo ist eigentlich die Musik? Wie soll man denn ohne Musik einen Junggesellinnenabschied planen?«

»Gute Idee«, sagte Jess, offenbar erleichtert über den Themenwechsel. »Ich mache mal Musik an.« Sie stand auf und ging quer über unseren Hof, der halb grasüberwachsen, halb erdig-dreckig war, auf die Veranda zu. Em und Kit schauten ihr nach.

»Geht’s ihr auch gut?«, fragte Em.

»Ihr geht’s immer gut. Jess hat mit einigen Dingen zu kämpfen, aber sie schafft das schon. Sie ist hart im Nehmen.«

»Verdammte Scheiße«, brach es aus Kit heraus.

»Was ist los?«

»Wir haben nichts mehr zu trinken«, verkündete sie und drehte mit trauriger Miene die leere Weinflasche um. Auch ihr Wodkaglas war leer. »Was machen wir denn jetzt?«

»Wir besorgen uns noch was«, sagte Em. »Ich bin allerdings besoffen und kann nicht mehr Auto fahren ...?«

»Das ist ein Problem«, antwortete Kit. »Ein echt großes Problem.«

»Wir könnten aufhören zu trinken«, sagte ich. Die beiden Schwestern starrten mich ausdruckslos an. »Na gut, wir könnten auch zu Peterson’s gehen und noch was kaufen. Es sind nur ungefähr sechs Blocks.«

»Das Mädchen gefällt mir«, sagte Kit ernsthaft. »Sie hat Verstand.«

»Yeap, wir sollten sie behalten«, sagte Em. »So, wer kommt jetzt mit? Ich will Chips. Und vielleicht was von diesem fiesen Käse-Spritz-Zeug aus der Flasche.«

Kit verzog den Mund. »Das ist echt ekelhaft. Du stirbst noch, wenn du das isst.«

»Und du stirbst, wenn du zu viele Schwänze in den Mund nimmst«, stichelte Em zurück.

»Du bist ja bloß eifersüchtig, weil ich ein bisschen Abwechslung im Leben habe«, sagte Kit unbeeindruckt. Sie schaute mich an. »Bist du noch Jungfrau? Em war Jungfrau, als sie mit Hunter zusammengekommen ist. Sie weiß nicht mal, dass es da draußen in der Welt noch andere Schwänze gibt. Nach allem, was man hört, hat er einen Apparat von zehn Zentimetern. Gib dich nie mit nur einem zufrieden, Mel.«

Ich kicherte.

»Ich werd’s mir merken.«

»Wir könnten so was hier gebrauchen«, sagte Kit, nahm eine Packung mit Grillwürstchen aus der Kühltruhe des Supermarkts und schaute sie nachdenklich an.

»Das kann ich nicht beurteilen«, erwiderte Em sorglos. »Aber ich finde das mit den Würstchen nicht besonders hygienisch. Du solltest lieber einen Dildo kaufen.«

Ich schnappte nach Luft und schaute mich um, ob uns jemand gehört hatte. Wir standen an den Kühltruhen mit Fleisch. Bei Peterson’s gab es nichts Hochprozentiges, aber wir hatten einige Flaschen Wein in den Einkaufswagen gepackt und dazu ein paar frische Früchte, damit wir Sangria machen konnten. Mir war nicht so richtig klar, warum wir eigentlich Sangria brauchten, aber Kit hatte darauf bestanden. Sie spielte mit der Limette in ihrer Hand und murmelte irgendwas Gemeines vor sich hin.

Die Hayes-Schwestern waren völlig durchgeknallt, so viel war klar.

»Kommt, wir holen noch ein paar Chips, und dann ab nach Hause«, sagte ich, denn ich machte mir allmählich Gedanken, wie teuer die ganze Aktion werden würde. Mein Geld würde für ein Semester ohne Zuverdienst reichen – aber nur, wenn ich meine Groschen auch zusammenhielt. »Und wenn ihr wirklich schlauchförmiges Fleisch wollt, findet ihr sicher im Ironhorse einen Typen, der euch seins gern umsonst zur Verfügung stellt.«

Jess schnappte nach Luft.

»Melanie, hast du das wirklich gerade gesagt?«

»Was denn?«, sagte ich. »Du hältst mich offenbar für eine Art ängstliche Jungfrau. Das bin ich aber nicht – ich mache mir einfach nur mehr Gedanken über meine Ausbildung und meine Zukunft als darüber, flachgelegt zu werden. Das heißt noch lange nicht, dass ich prüde bin.«

»Natürlich ist sie nicht prüde«, verkündete Kit und legte mir stolz den Arm um die Schultern. »Und heute Abend zeigen wir Painter, was er verpasst, weil er so ein mieser kleiner Jammerlappen ist. Ein paar Brüder von Hunter aus Portland sind in der Stadt – die werde ich euch mal vorstellen, und dann könnt ihr euch richtig gut amüsieren. Painter kann inzwischen rumsitzen und Däumchen drehen.«

»Wir gehen aber nicht zur Party«, sagte ich. Kit schüttelte langsam den Kopf.

»Doch, du gehst ganz sicher hin«, sagte sie. »Es muss ihn mal jemand in die Schranken weisen.«

Jessica und ich schauten uns mit aufgerissenen Augen an. Sie schüttelte den Kopf und flüsterte mir ein lautloses »Tu’s nicht!« zu.

»Ich muss wirklich noch eine ganze Menge arbeiten ...«

»Du kommst mit zur Party«, wiederholte Kit, und ihr Blick wurde hart. »Keine Sorge, wir lassen dich nicht hängen. Aber dieser Scheiß muss endlich mal ein Ende haben. Ich lasse nicht zu, dass noch ein Mädchen jahrelang von diesem Schwachkopf besessen ist, nur weil er den Arsch nicht hochkriegt. Es war schlimm genug, dass Em diesen Scheiß mitgemacht hat. Das Mädchen war die ganze Zeit unbrauchbar, wirklich völlig unbrauchbar.«

»Ich steh hier neben dir«, sagte Em.

»Ist mir bewusst«, antwortete Kit, und ihr Ton wurde plötzlich sanft. »Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe, Schwesterchen. Und jetzt gib mir meine Würstchen.«

Zwei Stunden später war mir immer noch nicht klar, wie es eigentlich dazu gekommen war, dass ich jetzt angestrengt in den Spiegel starrte und überlegte, was ich anziehen sollte. Ich wollte nicht auf diese Party gehen, und trotzdem stand ich hier und hübschte mich auf, und jedes Mal, wenn ich mir vorstellte, dass ich Levi »Painter« Brooks dort treffen würde, wo er quasi Heimvorteil hatte, wurde mir fast schlecht.

Jessica kam in mein Zimmer und runzelte die Stirn.

»Ich kann immer noch nicht fassen, dass du da hingehst«, sagte sie. »Im Arsenal werden sie dich bei lebendigem Leib verschlingen. Du hast ja keine Ahnung, wie solche Partys laufen.«

»Kit und Em haben mir versprochen, dass sie mich im Auge behalten«, erinnerte ich sie. »Und das Ganze ist heute ein Familienfest – nicht so eine durchgeknallte Fickparty wie die, wo du warst.«

»Geh ihnen bloß nicht auf den Leim«, sagte Jess düster. »Im Clubhaus der Reapers passiert ziemlicher Scheiß. Egal, ob sie mir den Arsch gerettet haben oder nicht, die Reapers sind gefährlich und ich wäre einiges glücklicher, wenn du einfach zu Hause bleiben und mit mir zusammen arbeiten würdest.«

Ich drehte mich um, schaute sie an und staunte mal wieder, wie sehr sich meine beste Freundin im Lauf des vergangenen Jahres verändert hatte. Damals in der Highschool war sie regelrecht besessen gewesen von ihrem Aussehen, von Partys und Jungs. Und jetzt war Freitagabend, und sie lehnte hier bei mir im Türrahmen, trug eine uralte abgeschnittene Jogginghose und ein fleckiges Tanktop, das Haar zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt. Nicht zu einem süßen, unordentlichen, sexy Knoten. Der hier sah aus, als würde ein haariger Mutant auf ihrem Kopf wuchern.

Ich drehte mich wieder um und betrachtete mein Spiegelbild.

»Ich geh aber trotzdem«, sagte ich und griff nach meinem Marmeladenglas mit Sangria. »Also erfüll mal deine Pflichten als Freundin und hilf mir, mich fertig zu machen. Sehe ich hierin dick aus?«

Jessica leckte nachdenklich an dem Eis am Stiel, das sie in der Hand hatte.

»Nein, aber du siehst darin aus, als wärst du vierzig. Und zwar nicht wie eine scharfe Lady von vierzig Jahren, sondern eher wie eine Obdachlose, die sich für ein Vorstellungsgespräch rausgeputzt hat.«

Ich starrte sie an. »Wie soll ich das bitte verstehen?«

»Du solltest es so verstehen, dass du besser was anderes anziehst«, sagte sie kopfschüttelnd. »Damit hast du keinesfalls meinen Segen, heute Abend auf diese Party zu gehen, ich bin immer noch total dagegen. Aber jetzt mal ehrlich, Mel: Du bist so ein hübsches Mädchen. Wenn ich so wunderbares schokoladenfarbenes Haar und so einen dunklen Teint hätte wie du – Mann, wenn ich so aussehen würde –, dann würde ich bestimmt nicht hier sitzen und zuschauen, wie du dich fertig machst, um auszugehen, während ich zu Hause hocke und die ganze Nacht lerne. Ich sehe keinen Grund, warum du dich wie eine Pennerin anziehen solltest.«

»Erstens sind das gewagte Worte für eine Frau, deren Haar aussieht, als wäre es verfilzt«, antwortete ich mit gerunzelter Stirn. »Und zweitens bist du ja wohl hier diejenige, die sich weigert auszugehen. Ich will schließlich, dass du mitkommst.«

»Wie auch immer – zieh dich um!«

Ich verdrehte die Augen und schaute wieder in den Spiegel. Jess hatte recht – sie hatte sogar verdammt recht. Das hier war vielleicht die richtige Kleidung für ein Vorstellungsgespräch, aber ganz bestimmt nicht für eine Party. »Ich hab keine Ahnung, was ich anziehen soll. Kann ich mir was von dir leihen?«

Jessica überlegte kurz, ging einmal langsam um mich herum und schaute mich mit scharfem und kritischem Blick an.

»Ich könnte dir helfen«, sagte sie. »Aber das erfordert von dir völligen Gehorsam.«

»Natür ...«

»Ruhe!«, fuhr sie mich an und hob die Hand. »Lenk mich nicht ab. Ich hab da eine Idee ... Wir brauchen was ganz Besonderes. Damit es ihm verdammt leidtut, dass er dich hat abblitzen lassen. Sei bloß nicht so bescheuert und kriech zurück zu ihm.«

»Ich war überhaupt nie mit ihm zusammen.«

»Ein Grund mehr, das hier richtig zu machen«, sagte sie. »Wenn du auf diese Party gehst, wirst du echt scharf aussehen. Es wird ihm einer abgehen, wenn er dich sieht, das schwör ich dir. Dann kannst du ihn winseln lassen und ihm einen Tritt verpassen.«

Igitt.

»Ich will gar nicht, dass ihm einer abgeht.«

Sie hielt den Kopf schief und grinste mich an.

»Wer von uns beiden verschließt denn nun die Augen vor der Wahrheit?«

Ich seufzte, denn sie hatte recht.

Jessica leistete ganze Arbeit, und als ich eine Viertelstunde später wieder in den Spiegel schaute, hatte mein Spiegelbild absolut nichts mehr mit einem Vorstellungsgespräch zu tun. Ich sah gut aus, das musste ich zugeben. Jess hatte mich in einen schwarzen Push-up und ein weites schwarzes Sommertop gesteckt, das mir von der Schulter rutschte. Ich trug Kreolen und silberne Armreifen und einen kurzen Schottenrock, eine Mischung zwischen einem Kilt und einem dieser kleinen Röckchen, die die Mädchen an katholischen Schulen oft tragen. Schwere Stiefel vervollständigten das Outfit.

»Mit denen kannst du Painter in die Eier treten, wenn er dir blöd kommt«, grinste sie.