Rockerlust - Joanna Wylde - E-Book

Rockerlust E-Book

Joanna Wylde

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Beschreibung

London ist eine starke, unabhängige Frau und mag ihr selbstbestimmtes Leben. Während sie sich privat vor allem um ihre leichtsinnige Nichte Jessica kümmert, die sie über alles liebt, leitet London beruflich eine Reinigungsfirma. Ihr neuester Kunde ist der Motorradklub Reapers MC, dessen Präsidenten Reese »Picnic« Hayes sie kurz darauf kennenlernt. Vom ersten Moment an ist sie von diesem Mann fasziniert, und auch seine kriminellen Machenschaften können sie nicht abschrecken. London lässt sich auf ihn und seine besitzergreifende Art ein. Als jedoch ihre Nichte in die Fänge eines skrupellosen Drogenkartells gerät, muss sie plötzlich unter Beweis stellen, ob sie wirklich alles für Jessica opfern würde.

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Seitenzahl: 567

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howard

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Wieder eine Geschichte mit vielen Höhen und Tiefen. Es begann alles richtig romantisch und was für Verliebte. Konnte nicht aufhören mit lesen, die Geschichte wurde Seite für Seite spannender.
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

2. Auflage 2016

© 2016 by Lago, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096

© der Originalausgabe 2014 by Joanna Wylde. Die englische Originalausgabe erschien 2014 bei Berkley Books unter dem TitelReaper’s Stand.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with The Berkley Publishing Group, a member of Penguin Group (USA) LLC, A Penguin Random House Company.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Ramona WilderRedaktion: Dr. Carina HeerUmschlaggestaltung: Melanie Melzer, MünchenUmschlagabbildung: iStockphotoSatz: Alexandra Noll, München

ISBN Print 978-3-95761-125-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-045-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-046-0

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

>www.lago-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unterwww.muenchner-verlagsgruppe.de>

www.muenchner-verlagsgruppe.de

ANMERKUNG DER AUTORIN

Während ich an dieser Reihe schreibe, versuche ich, den Lesern einen Einblick in die Kultur der Motorradclubs zu ermöglichen und auch aufzuzeigen, wie ich für diese Bücher recherchiere. Glücklicherweise kann ich immer auf die Unterstützung einiger Frauen zählen, die Motorradclubs angehören. Wie auch meine bisherigen Bücher wurde auch dieses von ihnen auf Plausibilität geprüft. Rockerlust war das erste Buch, in dem meine Freundinnen aus den Clubs keine größeren Fehler hinsichtlich des Clublebens entdeckten. Vielleicht bekomme ich die Sache also langsam in den Griff.

Ich habe mich bemüht, jedes Buch der Reapers-MC-Reihe ganz unterschiedlich zu machen und nicht einem bestimmten Skript zu folgen, was für mich als Autorin durchaus eine Herausforderung war. Doch es hat mir auch Spaß gemacht, auf diese Weise verschiedene Figuren zu erkunden. Ich glaube, dass Rockerlust auf meine Leser anders als die vorherigen Bücher wirkt. Teufelsrocker war zum Beispiel ein Roman über das Erwachsenwerden, ein klassischer Coming-of-age-Roman. Rockerlust ist das genaue Gegenteil – es ist ein Buch über reife Charaktere, die ihre Persönlichkeit bereits entwickelt haben. Jedes Mal, wenn ich etwas Neues ausprobiere, mache ich mir Sorgen, ob die Leser diesen Schritt mitgehen. Bisher habt ihr mich noch nicht im Stich gelassen. Ich wünsche euch viel Spaß mit Rockerlust.

PROLOG

Coeur d’Alene, Idaho

Gegenwart

London

Sollte ich ihm ins Auge blicken, wenn ich ihn tötete, oder sollte ich ihm einfach in den Rücken schießen?

Schwierige Entscheidung.

Ich hockte in der Küche und wühlte in meiner Handtasche, als ob ich nach meinen Schlüsseln suchte. Natürlich wusste ich genau, wo meine Pistole war, aber es erschien mir so … obszön, sie einfach hervorzuziehen. Der Geruch des Essens, das auf dem Herd stand, stieg mir in die Nase. Hühnchen mit Chili, dazu frisch gebackenes Maisbrot.

Es war bereits seit zehn Minuten im Ofen, was bedeutete, dass mir noch etwa zwölf Minuten blieben, um sein Leben zu beenden, bevor das Brot anbrannte.

Reese saß draußen im Esszimmer, las eine seiner Motorradzeitschriften und trank sein Lieblingsbier, während er auf das Essen wartete. Ich hatte ihm vorher extra einen halben Kasten besorgt und ihm gleich beim Reinkommen ein kaltes Bier in die Hand gedrückt. Inzwischen war er beim zweiten Bier angelangt. Doch ich machte mir keinerlei Illusionen – zwei Bier reichten nicht aus, ihn auszubremsen, wenn er sich auf mich stürzen wollte, oder seine Schmerzen zu lindern, falls ich nicht gut zielen sollte.

Aber ein Mann verdient schließlich ein Bier, bevor er stirbt.

Meine Finger strichen über das kalte Metall der Pistole. Stattdessen holte ich mein Handy heraus und sah mir Jessicas hübsches Foto an, eine Aufnahme von ihrem Schulabschlusstag. Voll Hoffnung und Erwartung lächelte sie in die Kamera und winkte mir mit ihrer rechten Hand zu. Ihr kleiner Finger zeigte nach vorne. Eine glitzernde Spitze ihrer frisch manikürten Nägel wurde so sichtbar. Sie hatte sie sich so sehr für diesen Tag gewünscht. Eigentlich hatten wir kein Geld dafür übrig gehabt, aber ich hatte einfach nicht Nein sagen können.

Dazu muss man wissen, dass keiner von uns damit gerechnet hatte, dass Jessica ihren Schulabschluss schaffen würde.

Verdammt, wir hatten ja nicht mal geglaubt, dass sie überhaupt zur Welt kommen würde. Meine Cousine, das verfluchte Miststück, hatte während ihrer beiden Schwangerschaften reichlich Drogen genommen, doch irgendwie war Jessie durchgekommen – jedoch nicht ohne Schäden davonzutragen. Sie zeigte die üblichen Entwicklungsverzögerungen … gestörte Impulskontrolle, schlechtes Urteilsvermögen, leichte Erregbarkeit, alles Folgen der Drogenwirkung während der Schwangerschaft – ein Geschenk, das ein ganzes Leben lang anhält. Aber zumindest war sie am Leben. Ihre kleine Schwester starb zwei Tage nach der Geburt auf der Neugeborenenintensivstation. Sie hatte nie eine Chance.

Verdammt, Amber. Du sollst in alle Ewigkeit verdammt sein, weil du das deinen Kindern angetan hast.

Ich warf einen Blick auf die Backofenuhr und merkte, dass ich beinahe drei Minuten damit verschwendet hatte, an Jess zu denken. Wahrscheinlich könnte ich ihn auch umbringen, nachdem ich das Brot aus dem Ofen genommen hatte. Doch es vor mir herzuschieben würde die Sache nur verschlimmern.

Oder sollte ich ihm vielleicht zuerst noch was zum Essen geben?

Nein. Er hatte sein Bier gehabt. Wenn ich Reese beim Essen gegenübersitzen müsste, würde ich es nie über mich bringen. Ich könnte ihm nicht in seine blauen Augen sehen und ins Gesicht lachen, denn ich war noch nie eine gute Lügnerin gewesen. Die vergangenen Tage waren eine Mischung aus Himmel und Hölle gewesen, ein einziger Witz.

Ja, ein Witz. Und jetzt war es Zeit für die Pointe.

Ich zog meine kleine Pistole hervor und steckte sie in die Tasche des weiten Sweatshirts, das ich genau für dieses Vorhaben sorgfältig ausgewählt hatte. Auch meine Schlüssel, meinen Ausweis und mein Bargeld holte ich aus meiner Handtasche und stopfte alles in meine Jeans. Nur für den Fall der Fälle. Ich rechnete nicht wirklich damit, die Nacht zu überleben, aber man konnte doch hoffen, oder? Der Minivan war vollgetankt und startklar, falls ich wider Erwarten entkommen konnte.

Natürlich hatte ich keine Ahnung, wohin ich fahren sollte. Zerbrich dir darüber den Kopf, wenn es so weit ist …

Das Ganze ging schon schief, als ich dass Esszimmer betrat. Reese saß nicht wie zuvor am Kopfende des Tisches. Verflucht. Ich hätte ihn einfach ohne Vorwarnung in den Rücken schießen können, wenn er auf seinem Platz geblieben wäre. Jetzt saß er mir gegenüber, gemütlich angelehnt, mit dem Bier in der Hand. Eine Zeitschrift lag aufgeschlagen vor ihm, und er sah hoch, um mich wie üblich leicht spöttisch anzulächeln. Mein Gott, wie ich dieses Lächeln liebte, selbst wenn es manchmal verdammt grausam wirkte.

»Möchtest du über irgendwas mit mir reden?«, fragte er mit schräg gelegtem Kopf.

»Nein«, murmelte ich, während ich mich fragte, was er wohl zu meinen Gedanken sagen würde. Mensch, Reese, tut mir echt leid, dass ich dich gleich umlegen werde, aber vielleicht hilft es dir ja, dass ich mich dabei absolut beschissen fühle – ich bin mir nicht mal ganz sicher, ob ich mich nicht als Nächstes selbst erschieße.

Das würde ich allerdings nicht tun. Noch nicht. Nicht, bis ich nicht Jessica mit eigenen Augen gesehen und mich überzeugt hätte, dass sie ihr Versprechen gehalten hatten und sie unverletzt und in Sicherheit war.

Danach?

Nun, das würden wir dann sehen.

Er seufzte, wobei er einen kurzen Blick auf meine Shirttasche warf, wo meine Hand nervös an der Waffe herumfingerte.

Wieder überkam mich die Angst.

Er wusste es. Er wusste über alles Bescheid. Das konnte ich an seinem Gesicht ablesen. Fuck. Ich hatte es vergeigt, ich hatte sie im Stich gelassen … Mach dich nicht lächerlich. Wie könnte er das wissen?

»Baby, du siehst aus, als ob du einen freien Tag vertragen könntest«, sagte er schließlich. »Willst du vielleicht ins Spa? Oder dir eine Massage gönnen?«

»Das kostet zu viel«, antwortete ich automatisch und verkniff mir zugleich ein hysterisches Lachen. Als ob es jetzt noch aufs Geld ankäme!

»Ich habe nicht gemeint, dass du es bezahlen sollst«, sagte er mit einem Stirnrunzeln.

»Ich will dein Geld nicht …«

»Ja, ich weiß, du bist völlig unabhängig, und das ist dir wichtig. Bla, bla. Lass mich nur einmal was für dich tun, zum Teufel.«

Shit. Warum musste er so nett sein?

Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, und sah weg, während ich mich dazu zwang, meine Gefühle in den Griff zu kriegen und mich zu konzentrieren. Ich musste ihn töten, und ich durfte mich nicht verraten. Doch er sah mir ins Gesicht und saß am anderen Ende des Zimmers, was schlimmer war, als es auf den ersten Blick zu sein schien. Pistolen sind nicht gerade für ihre Zielgenauigkeit bekannt, und außerdem hatte ich nicht allzu viel Erfahrung.

Ich musste näher ran.

Wenn ich hinter ihm wäre, seine Schultern massieren würde … Das wäre nah genug. Mein Gott, was war ich nur für ein übler Mensch.

»Das Essen braucht noch zehn Minuten«, sagte ich. »Du siehst irgendwie verspannt aus. Soll ich dir den Rücken massieren?«

Er hob eine Augenbraue, als ich um den Tisch herumging.

»Ich glaube, du solltest stehen bleiben«, sagte er langsam.

Ich wartete.

»Was meinst du?«

»Nun, ich will es dir nicht zu leicht machen, Süße.«

Meine Brust zog sich zusammen. Ich lächelte schwach, denn ich bin, wie gesagt, eine beschissene Lügnerin.

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Ich nehme an, dass du mir in den Hinterkopf schießen willst«, sagte er ruhig. Da wurde mir klar, dass er ganz und gar nicht so locker war. Er mochte sich scheinbar gemütlich anlehnen, doch jeder einzelne seiner starken Muskeln war angespannt und bereit zum Angriff. »Das ist eine schlechte Idee. Wenn du aus der Nähe schießt, wirst du voller Blutspritzer sein. Was bedeutet, dass du riskierst, das Haus mit Blutspuren zu verlassen, oder dass du dir die Zeit zum Saubermachen nehmen musst. In jedem Fall macht es die Sache komplizierter.«

Na ja. Zumindest lagen die Karten nun auf dem Tisch – was fast eine Erleichterung war. Ich zog die Waffe und hob sie hoch. Dabei stützte ich meine linke Hand mit der rechten und visierte ihn sorgfältig an. Eigentlich rechnete ich damit, dass er aufspringen und sich auf mich stürzen würde, um sich zu wehren. Doch er saß einfach da und wartete.

»Na komm schon, drück ab«, sagte er mit einem traurigen Lächeln in den Mundwinkeln. »Zeig mir, was du draufhast.«

»Es tut mir so leid«, flüsterte ich. »Ich wünsche mir so sehr, dass ich das nicht tun müsste, glaub mir.«

»Dann lass es bleiben. Was auch immer los ist, wir schaffen das zusammen. Ich helfe dir.«

»Das kannst du nicht.«

Er seufzte, sah dann an mir vorbei und machte eine Bewegung mit dem Kinn.

»Es ist vorbei, Baby«, hörte ich einen Mann hinter mir sagen.

Vermutlich hatte er recht. Zum Glück hatte ich noch genügend Zeit, abzudrücken, bevor er mir einen Schlag verpasste.

KAPITEL EINS

Achtzehn Tage zuvor

London

Mein Rücken brachte mich noch um.

Es war beinahe zwei Uhr morgens, und ich hatte gerade die Reinigungsnachtschicht in der Pfandleihe beendet. Die vergangenen Monate hatten mich verweichlicht. Ich hatte zu viel Zeit mit der Verwaltung und dem Bürokram verbracht und nicht genügend Stunden damit, Klos zu putzen. Denn ich hatte tatsächlich vergessen, wie viel Zeit und Energie es kostete, eine Toilette zu schrubben.

Okay, eine Toilette zu schrubben, den Boden zu reinigen, abzustauben und staubzusaugen. All das leistete London’s Cleaning Service. Wir waren vielleicht nicht die preisgünstigsten Anbieter in der Stadt, aber sicher die besten. Das wusste ich, weil ich inzwischen mehr Aufträge ablehnte, als ich annahm. Dank meines hart erarbeiteten Rufs war es leicht, neue Kunden zu finden – bei Mitarbeitern sah es leider etwas anders aus. Die meisten Leute verbringen ihre Nächte ungern damit, hinter anderen herzuputzen. Und selbst bei meinem überdurchschnittlichen Einstiegslohn ließen mich manche Leute in letzter Sekunde sitzen.

Wie heute Abend zum Beispiel.

Ich hatte einen Anruf von Anna, einer meiner Vorarbeiterinnen, bekommen, die mir mitgeteilt hatte, dass zwei ihrer Mitarbeiterinnen nicht erschienen waren. Weil das Leben einer Putzfrau glamourös ohne Ende ist, verbrachte ich nun meinen Freitagabend damit, getrocknete Pisse vom Boden einer Herrentoilette zu kratzen.

Was für ein wunderbares Leben – ich weiß schon.

Zumindest konnten mein schmerzender Rücken und ich bald ins Bett kriechen.

Als ich daheim vor meinem Haus anhielt, sah ich einen blauen Honda Civic davor parken – Mellies Wagen. Mellie war die beste Freundin meiner Nichte zweiten Grades. Sie übernachtete wohl bei Jessie. Ich unterdrückte meinen aufsteigenden Ärger. Einerseits war es mir wirklich lieber, wenn Jess so etwas vorher mit mir absprach, andererseits gab es Schlimmeres, als wenn sie an einem Freitagabend zu Hause blieb. Fast alles war schlimmer als das. Mein Gott, ich liebte Jessica so sehr, aber sie war einfach unmöglich. Ich rief mir wieder ins Gedächtnis, dass es nicht ausschließlich ihre Schuld war. Die Therapeuten erklärten mir immer wieder, dass ich ihr dabei helfen müsse, mit ihren Beschränkungen umgehen zu lernen, weil sich ihre Probleme nie auswachsen würden.

Entscheidungen zu treffen war nicht gerade Jessicas Stärke.

Laut den Experten hatte sich dieser Teil ihres Gehirns dank der Romanze ihrer Mutter mit diversen Chemikalien nicht richtig entwickelt. Ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Sie war nicht wie andere Kinder, das wusste ich. Aber müssen wir nicht alle lernen, in der Welt zurechtzukommen? Niemand wird völlig unbelastet geboren, und sie war schließlich kein kleines Mädchen mehr.

Als ich die Haustür aufsperrte, entdeckte ich Mellie, die mit angezogenen Knien auf der Couch saß. Sie sah mich mit aufgerissenen Augen an, in der Hand eine Dose Cola light, die sie wie einen Schutzschild vor sich hielt.

Mein Elternradar schaltete sich ein.

»Was hat sie wieder angestellt?«

»Wir waren auf einer Party«, flüsterte Mel. »So ungefähr um zehn Uhr hat sie ein paar Mädchen getroffen, die schon vor ein paar Jahren ihren Abschluss gemacht haben – Terry Fratelli und ihre Freundinnen –, und sie haben uns auf eine Party ins Arsenal zum Reapers-Motorradclub eingeladen.«

Ich schwankte und musste mich an meinem alten, grünen Ohrensessel festhalten.

»Fuck.«

Mellies Augen wurden noch größer. Ich fluchte sonst nicht. Sie wusste, dass ich nicht fluchte. Nie.

»Was noch?«

Das Mädchen sah weg und kaute auf ihrer Lippe herum.

»Es tut mir so leid, dass ich sie alleingelassen habe«, antwortete sie mit schuldbewusster Miene. »Aber ich würde nie da rausfahren, und sie wollte einfach nicht auf mich hören. Sie wurde sogar ziemlich …« Ihre Stimme wurde leiser und verstummte, doch ich konnte mir denken, was sie sagen wollte.

Jessica machte sich gerne über Mel lustig, wenn sie nicht wie ein wohlerzogener Welpe hinter ihr herdackelte. Typisch Jess. So ein dämliches Kind – ich verstand gar nicht, wie sie es mit ihrem bescheuerten Verhalten schaffte, trotzdem eine Freundin wie Melanie zu haben.

»Jedenfalls hat sie mir versprochen, mir eine Nachricht zu schicken, und ich versprach ihr, nichts zu verraten, solange sie mit mir in Kontakt bleiben würde. Aber gegen Mitternacht hat sie das letzte Mal geschrieben, und dabei war sie eindeutig ganz schön betrunken. Ihre Nachrichten waren schon ziemlich wirr. Ich mache mir wirklich Sorgen um sie, London.«

Die letzten Worte wurden von einem Schniefen begleitet, wodurch mir klar wurde, dass das arme Mädchen sich schrecklich fürchtete. Ich ging zu ihr rüber, setzte mich neben sie und umarmte sie. Mel verbrachte so viel Zeit bei mir, dass sie mir manchmal schon wie mein eigenes Kind vorkam.

»Sie wird stinksauer sein, weil ich es dir gesagt habe.«

»Du hast das Richtige getan, Baby«, sagte ich und streichelte ihr übers Haar. »Sie benimmt sich wie eine selbstsüchtige Göre, wenn sie dich in eine solche Lage bringt.«

»Nun, sie wird mir auch wieder verzeihen, das ist die gute Nachricht«, murmelte Mel. Sie zog die Nase hoch und löste sich von mir. Dann sah sie mit einem unsicheren Lächeln zu mir auf. »Das tut sie immer.«

Ich lächelte zurück, hegte dabei jedoch finstere Gedanken. Mel war zu nett. Manchmal wünschte ich, sie würde Jessie von sich stoßen und sich eine andere beste Freundin suchen. Danach fühlte ich mich wieder schuldig, weil ich Jessie trotz all ihrer Probleme tief in mein Herz geschlossen hatte.

»Ich muss los, um sie zu suchen«, sagte ich. »Willst du hierbleiben oder heimfahren?«

»Ich dachte, ich könnte heute Nacht vielleicht hier schlafen?«, fragte sie.

Da ich die Ursache dafür kannte, nickte ich schlicht. Die Freitagabende waren bei Mel daheim selten angenehm, besonders nicht am Zahltag. Ihr Dad feierte das Ende der Woche etwas zu enthusiastisch.

»Das klingt prima.«

Ich versuchte, Bolt Harrison von meinem Minivan aus anzurufen, damit mich Mellie nicht hören konnte. Er war der Geschäftsführer der Pfandleihe – des Ladens, den ich heute Nacht geputzt hatte. Inhaber war zufällig der Reapers MC. Bolt war der Vice President des Clubs.

Den Vertrag dort hatte ich seit etwa sechs Monaten. Sie waren inzwischen einer meiner lukrativsten Auftraggeber und hatten angedeutet, dass ich vielleicht für das Line, ihren Stripclub, einen zweiten Auftrag bekommen könnte. Wir hatten schon ein paar Mal dort geputzt, wenn sie zusätzliche Hilfe benötigt hatten. Ich machte mir große Hoffnungen, dass daraus mehr werden könnte. Ursprünglich hatte ich die Putzcrew in der Pfandleihe selbst geleitet, doch vor zwei Monaten hatte ich diese Aufgabe Jason übertragen, einem älteren Typen, der seit fast fünf Jahren für mich arbeitete. Er war zuverlässig, arbeitete hart und war seinen Mitarbeitern ein toller Vorgesetzter.

Der MC zahlte gut und in bar, was für mich ganz praktisch war. Im Gegenzug hielten wir unseren Mund, falls uns irgendwas auffiel, was seltener vorkam, als man glauben möchte. Ich nahm an, dass die Hinterzimmer des Line zur Prostitution genutzt wurden, doch ich hatte nie mitbekommen, dass eine Frau zu etwas gezwungen wurde. Es war schließlich nicht meine Aufgabe, erwachsenen Leuten zu sagen, was sie mit ihren Körpern anstellen sollten.

Trotzdem sorgte ich dafür, dass nie eines der jüngeren Mädels mitkam, wenn ich ins Line fuhr. Nur weil ich nicht die Bullen rief, hieß das noch lange nicht, dass ich wollte, dass meine Leute in irgendwas reingezogen wurden.

Wie auch immer – ich nahm an, dass Bolt eine gute Anlaufstelle wäre, wenn ich Jess da rauskriegen wollte, egal, in was für einen Mist sie dieses Mal hineingeraten war. Ich mochte Bolt und fühlte mich relativ wohl mit ihm. Und genau genommen war er der einzige Ansprechpartner, den ich hatte. Die andere Möglichkeit wäre Reese Hayes gewesen, der President des Clubs. Doch der Mann jagte mir eine Heidenangst ein, das gebe ich ehrlich zu. Er hatte irgendwas an sich … wie er mich mit seinen Blicken verfolgte – als ob er mich auffressen wollte, und zwar garantiert ohne mir zuvor Blumen zu überreichen und bei Kerzenschein mit mir zu dinieren. Seine leicht ergrauten Schläfen zeugten davon, dass er wahrscheinlich in etwa so alt war wie ich. Doch sein Körperbau passte eher zu einem Mann in den Zwanzigern. Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigte: der Schrecken, den er von Natur aus verbreitete, oder die Tatsache, dass mich dieser Schrecken insgeheim anmachte. (Erbärmlich, ich weiß.)

Nie im Leben würde ich mit ihm sprechen, wenn es sich vermeiden ließe.

»Ja?«, antwortete Bolt.

Im Hintergrund hörte ich Musik, laute Musik.

»Hi, Mr. Harrison.«

»Hat es irgendeinen Sinn, dir nochmals zu erklären, dass du Bolt zu mir sagen sollst?«

Wenn ich nicht so angespannt gewesen wäre, hätte ich gelächelt – seit ich für den MC arbeitete, spielten wir schon dieses Spielchen. Keines der Clubmitglieder verstand, warum ich darauf pochte, den Abstand zu wahren. Doch ich hatte meine Gründe. Nur weil der MC so gut bezahlte, hieß das noch lange nicht, dass man auf Schmusekurs gehen musste. Ich legte Wert auf klare Grenzen.

»Nicht wirklich«, sagte ich, wobei meine Stimme meine Besorgnis verriet.

»Was ist los?«, fragte er, da er meinen Tonfall wohl bemerkt hatte. So war Bolt eben – er sah und hörte alles, ob einem das nun gefiel oder nicht.

»Ich habe ein persönliches Problem und hoffe, dass Sie mir dabei helfen können.«

Schweigen.

Wahrscheinlich hatte ich ihn damit überrascht, denn ich hatte ihn noch nie um Hilfe gebeten. Eigentlich sah ich ihn kaum noch. In den ersten Monaten hatte er uns mit Argusaugen beobachtet, aber in der letzten Zeit waren wir sozusagen unsichtbar geworden. Niemand achtet auf die Putzfrauen, das hat mich schon immer fasziniert. Es ist unglaublich, was ich alles gesehen habe und welche Geheimnisse ich hüte.

Vermutlich war das einer der Gründe, warum ich Reese so beunruhigend fand – selbst nach sechs Monaten war ich für ihn noch nicht unsichtbar geworden.

»Wahrscheinlich wissen Sie es nicht, aber ich bin der Vormund meiner Nichte zweiten Grades«, sagte ich in drängendem Tonfall. »Eine ihrer Freundinnen hat mir gerade erzählt, dass sie heute Abend auf eine Party in Ihrem Clubhaus gegangen ist. Ich mache mir Sorgen um sie – sie ist ein tolles Mädchen, hat aber so ihre Schwierigkeiten damit, die, sagen wir, richtigen Entscheidungen zu treffen. Könnten Sie mir möglicherweise dabei helfen, sie zu finden?«

Nochmals Schweigen. Ich krümmte mich innerlich zusammen, als mir klar wurde, dass ich ihn beleidigt hatte. Denn ich hatte angedeutet, dass in seinem Clubhaus gewisse Dinge passierten, die bekanntermaßen wahr waren, die jedoch niemand eingestand und über die niemand gerne sprach – nämlich, dass das Clubhaus kein sicherer Aufenthaltsort für junge Frauen war, dass man dem Club nicht trauen konnte.

»Ist sie volljährig?«

»Sie ist achtzehn, aber sie hat erst vor zwei Wochen ihren Abschluss gemacht, und sie ist unreif für ihr Alter.«

Bolt schnaubte.

»Ich sag’s dir ungern, Süße, aber sie ist alt genug, um selbst zu entscheiden, wo sie feiern möchte.«

Nun war ich an der Reihe mit Schweigen. Ich hätte so einiges sagen können – dass sie vielleicht alt genug zum Feiern wäre, aber laut Gesetz noch keinen Alkohol trinken durfte, dass sie eine Menge Ärger bekämen, wenn sie ihr Alkohol zu trinken geben würden. Aber was wusste ich schon? Vielleicht feierten die Bullen ja mit. Also hielt ich meinen Mund, denn ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass wenn man jemanden nur lang genug anschweigt, der andere irgendwann dieses Schweigen unterbrechen wird.

»Okay«, sagte er schließlich. »Ich verstehe, was du meinst. Heute Abend bin ich nicht draußen, aber Pic ist dort.«

Mist. »Pic« war die Kurzform von »Picnic«, und das war Reeses Spitzname. Ich hatte keine Ahnung, warum sie ihn so nannten, und ich hatte ihn ganz sicher nicht danach gefragt. Er war nämlich absolut nicht der Picknick-Typ.

»Fahr zum Arsenal und frag nach ihm. Sag ihm, dass ich dich geschickt habe und dass es um einen persönlichen Gefallen geht. Vielleicht sucht er sie für dich, vielleicht aber auch nicht. Wie gesagt, das Mädchen ist erwachsen. Weißt du, wie du hinkommst?«

»Natürlich.«

Er lachte. In Coeur d’Alene wusste jeder, wo das Arsenal war.

»Danke, Mr. Harrison«, sagte ich schnell und legte auf, bevor er es sich anders überlegen konnte. Dann drehte ich den Schlüssel im Zündschloss, und der Motor meines Minivans sprang an, ebenso wie die Kontrollleuchte für den Motor, die mich schon seit letzter Woche nervte. Ich ignorierte sie, denn selbst wenn ich jemanden gehabt hätte, der sich den Wagen mal hätte ansehen können, könnte ich es mir doch nicht leisten, die blöde Karre reparieren zu lassen.

Solange der Wagen noch fuhr, war er nicht kaputt. Das war zumindest meine Theorie.

Ich legte den Rückwärtsgang ein und setzte die Einfahrt zurück. Oh, Jessie würde mich hassen. Tante London kommt, um sie zu retten – und das in einem Minivan mit der Aufschrift der Reinigungsfirma auf der Seite.

Egal. Es war ja nicht so, als ob dies das erste Mal wäre.

Das Clubhaus der Reapers lag etwa zehn Meilen nordöstlich von Coeur d’Alene, an einer Privatstraße, die sich durch die stark bewaldeten Hügel wand. Ich war noch nie dort gewesen, obwohl sie mich schon zu ein paar Partys eingeladen hatten, nachdem ich angefangen hatte, in der Pfandleihe zu putzen.

Ich hatte dankend abgelehnt, da ich Berufliches und Privates nicht vermischen wollte. Nachdem Joe, mein Exmann, mich verlassen hatte, war ich nur noch selten ausgegangen. Ich war ihm nicht böse, dass er gegangen war – er hatte von Anfang an klargestellt, dass er keine Kinder im Haus haben wollte. Als Amber eine Überdosis genommen hatte und fast daran gestorben war, musste ich mich zwischen ihm und Jessie entscheiden, weil ich mir die Sache nicht länger ansehen konnte. Die Wahl war mir leichtgefallen, und die Scheidung war einvernehmlich abgelaufen.

Trotzdem hatte ich danach eine Weile meine Wunden geleckt. Während ich mein Geschäft aufbaute und meine Nichte aufzog, hatte ich nicht einmal versucht, mich zu verabreden, bis ich vor zwei Monaten Nate kennengelernt hatte. In einer Nacht wie heute fragte ich mich, ob diese einsamen Jahre die Sache wert gewesen waren. Es war nicht so, dass Jess missraten wäre. Sie hatte nur nie das Prinzip von Ursache und Wirkung begriffen und würde es vermutlich auch nie tun.

Als ich schließlich beim Arsenal ankam, war es bereits drei Uhr morgens. Ich weiß nicht, wie ich mir das Clubhaus der Reapers vorgestellt hatte. Ich wusste, dass es ein ehemaliges Gebäude der Nationalgarde war, ein Waffenarsenal, doch hatte ich es in meiner Vorstellung nicht als »Fort« abgespeichert. Aber im Grunde war es genau das: ein großes, solides Gebäude mit mindestens drei Stockwerken, schmale Fenster, Schießscharten auf dem Dach. In einer der Seitenmauern war ein Tor, durch das man in eine Art Hof hinter dem Gebäude gelangte.

Direkt vor dem Haus standen Motorräder in einer Reihe, die von ein paar jungen Männern bewacht wurden. Sie trugen die typischen Lederkutten, die ich im Lauf der Jahre häufig in der Stadt gesehen hatte. Weiter rechts war ein gekiester Parkplatz, auf dem eine Menge Autos standen. Ich parkte am Ende einer Reihe und schaltete den Motor aus.

Mir wurde klar, dass ich eine Party sprengen würde, nachdem ich gerade sechs Stunden mit Putzen verbracht hatte. Toll. Wahrscheinlich sah ich aus, wie aus einem Irrenhaus entsprungen. Ich klappte den Spiegel runter – wie erwartet war mein Haar völlig verstrubbelt, und mein Make-up hatte sich schon vor langer Zeit verflüchtigt. Na, egal … Es war nicht das erste Mal, dass ich Jess wieder einfing, anstatt mich der dringend nötigen Körperpflege zu widmen und anschließend ins Bett zu gehen.

Allerdings hatte sie mich noch nie zu einem derart furchterregenden Ort geschleppt.

Ich stieg aus dem Auto und ging in Richtung der Haupteingangstür. Einer der Männer kam über den Parkplatz auf mich zu. Ich betrachtete ihn und fühlte mich alt. Er war höchstens zwanzig, und sein Zausebart, den er offenbar mit Stolz trug, ließ noch Lücken erkennen. Außerdem war er nicht so muskulös wie sein Freund, der die Tür bewachte, sondern eher sehnig mit deutlich hervortretenden Knochen.

»Bist du wegen der Party hier?«, fragte er, während er mich skeptisch beäugte, was ich ihm nicht verübeln konnte: Dass meine Jeans abgewetzt waren, fiel hier vielleicht gar nicht so auf, doch auch mein Tanktop hatte schon bessere Tage gesehen, und das Tuch, mit dem ich meine Haare zusammenhielt, war voller Schweißflecken. Wahrscheinlich hatte ich sogar Schmutzstreifen im Gesicht. Das Licht im Auto war so schlecht gewesen, dass ich sie vermutlich nicht einmal entdeckt hätte.

Oh, und habe ich schon erwähnt, dass ich mich alt fühlte? Ich war ziemlich sicher, dass ich mit meinen achtundreißig Jahren die Mom dieses Jungen hätte sein können.

Ich beschloss, dass ich ihn nicht mochte.

»Nein, ich bin hier, um mit Mr. Hayes zu sprechen«, erwiderte ich höflich. »Mr. Harrison schlug vor, hierherzukommen, um mit ihm zu reden.«

Er sah mich verständnislos an.

»Weiß nich, von wem du redest«, sagte er schließlich. Das Riesenbaby, das sich als Erwachsener ausgab, wandte sich um und brüllte seinem Freund zu: »BB, hast du ’ne Ahnung, wer ›Mr. Hayes‹ is?«

BB stapfte wie ein Bär zu uns rüber. Sein dunkles Haar hing ihm in einem Zopf über den Rücken. Er schien älter zu sein als der Bursche vor mir, jedoch nicht viel. Ich seufzte. Mein Gott, das waren doch noch Babys. Wenn auch gefährliche Babys, rief ich mir ins Gedächtnis, während ich einen Blick auf die Ketten an ihren Hosen und auf die dicken Ringe an ihren Fingern warf.

Im Grunde waren das Schlagringe.

»Das ist Picnic, du Idiot«, sagte BB und betrachtete mich kritisch. »Warum nennst du ihn Mr. Hayes? Hast du irgendeinen Papierkram abzuliefern? Er ist nicht hier.«

Ich schüttelte meinen Kopf und wünschte mir, es wäre nur das.

»Ich nenne ihn Mr. Hayes, weil ich für ihn arbeite«, sagte ich mit sachlicher und ruhiger Stimme. »Ich bin die Inhaberin von London’s Cleaning Service – einige der Läden, die zum Club gehören, werden von uns gereinigt. Mr. Harrison hat mich hier rausgeschickt, um Mr. Hayes zu finden.«

»Bolt hat sie geschickt«, erklärte BB dem Kleinen. Er nickte mir zu. »Ich geh mit dir rein. Wir sehen mal, ob wir ihn finden.«

»Danke.«

Ich nahm einen tiefen Atemzug und wappnete mich, bevor ich ihm folgte. Ich hatte so viele Geschichten über diesen Ort gehört, dass ich gar nicht wusste, was ich erwarteten sollte. Wenn man den Gerüchten glaubte, war das Arsenal eine Mischung aus Bordell und illegaler Kampfarena, in der alle Räume vom Boden bis zur Decke mit Raubgut angefüllt waren. Fünfzig Prozent Piratenhöhle, fünfzig Prozent Drogenumschlagplatz, hundert Prozent Gefahr.

BB öffnete die Tür, und ich folgte ihm hinein, sodass ich zum ersten Mal einen Blick auf das Innere des Clubhauses werfen konnte.

Nun ja.

Die Gerüchte über Diebesgut waren ganz offenbar falsch. Man möchte ja annehmen, dass wenn sie das Haus mit gestohlenen Möbeln eingerichtet hätten, darunter ein paar ansprechende Exemplare wären. Doch ich sah nichts dergleichen.

Die Tür lag genau in der Mitte des Gebäudes, die große Halle dahinter erstreckte sich über die ganze vordere Hälfte des Gebäudes. Rechts hinten war eine Bar. Uralte Sofas und ramponierte Stühle standen entlang der Wände. In der Mitte des Raums waren einige altersschwache und nicht zusammenpassende Tische aufgestellt. Links entdeckte ich einen Billardtisch, Dartscheiben und eine Jukebox, die entweder vierzig Jahre alt war oder ein verdammt guter Nachbau. Die Einrichtung war nicht schmutzig, aber doch sehr abgewohnt.

Als ich mich umblickte, war mein erster Gedanke, dass ich wohl overdressed war. Mit »overdressed« meine ich, dass ich zu viele oder zu große Kleidungsstücke am Körper trug.

Viel zu viele.

Der Bekleidungszustand der Frauen reichte von splitterfasernackt bis zu lässig, mit engen Jeans und tief ausgeschnittenem Tanktop. Ich stach ins Auge wie … nun, wie eine Putzfrau auf einer Bikerparty. Die Hälfte der Typen hatte eine Frau auf dem Schoß, die nur zum Teil oder gar nicht bekleidet war. Und in einer Ecke glaubte ich ein Paar zu sehen, das womöglich sogar Sex hatte.

Ich riskierte einen zweiten Blick aus dem Augenwinkel.

Das ganz offensichtlich Sex hatte. Ekelhaft … doch seltsam faszinierend … ich musste mich zwingen, meinen Blick abzuwenden, und hoffte inständig, dass ich nicht rot wurde wie ein kleines Mädchen.

Du bist achtundreißig und weißt, wo die Babys herkommen, erinnerte ich mich streng. Nur weil du keinen Sex hast, bedeutet das noch lange nicht, dass sie auch keinen haben dürfen.

Die Leute nahmen mich allmählich wahr – kräftige Typen mit Tattoos am ganzen Körper und Lederkutten mit den Reapers-Abzeichen darauf. Ihre Blicke reichten von neugierig bis eindeutig misstrauisch. Shit. Es war falsch gewesen hierherzukommen, selbst wenn mich Bolt hergeschickt hatte. Das hieß schließlich nicht, dass es ungefährlich oder eine gute Idee war. Bolt war nicht mein Freund. Er wertschätzte mich sicher als tüchtige Arbeiterin, aber der Club wertschätzte auch seine Stripperinnen. Das hinderte sie aber sicher nicht daran, ihnen einen Tritt in den Arsch zu geben und ihnen eine Kündigung zu überreichen, wenn ihre persönlichen Probleme außer Kontrolle gerieten.

Beruhig dich wieder.

Ich nahm nochmals einen tiefen Atemzug und lächelte BB fröhlich an. Er hatte mich erwartungsvoll beobachtet, fast als ob er damit gerechnet hätte, dass ich davonlaufen würde oder so. Ein Feigling bin ich allerdings nicht. Auch wenn ich beschlossen habe, keine schmutzigen Worte in den Mund zu nehmen, weiß ich doch zumindest, was sie bedeuten.

Ich schaute mich weiter um und erblickte einen großen Mann mit schulterlangem, gewelltem Haar und ziemlich viel Gestrüpp im Gesicht. Er trug auch so eine Kutte: Darauf stand sein Name, »Gage«, und darunter war ein kleinerer Aufnäher mit der Bezeichnung »Sgt at Arms« – Sergeant at Arms, sozusagen der Oberaufpasser. In der Pfandleihe hatte ich ihn noch nie gesehen, aber das wollte nicht viel heißen – es hatte schließlich einen Grund, warum wir erst nach Ladenschluss zum Putzen kamen.

»Sie sagt, dass sie Pic sprechen will«, sagte BB. »Bolt schickt sie.«

»Tatsächlich?«, fragte er mit kritischem Blick, den er über meinen Körper gleiten ließ.

Ich zwang mich, ihn anzulächeln.

»Ich suche nach der Tochter meiner Cousine«, sagte ich. »Sie kam angeblich mit ein paar Freundinnen hier zur Party. Mr. Harrison meinte, dass mir Mr. Hayes vielleicht helfen könnte.«

Der Mann grinste dämlich.

»Hat er das wirklich gesagt? Na so was.«

Ich wusste nicht, was ich von seinen Worten halten sollte, weshalb ich beschloss, sie wörtlich zu nehmen und auf weitere Äußerungen zu warten.

»Wieder raus mit dir, BB«, sagte der Mann. »Ich übernehme sie. Du bist die Frau von der Reinigungsfirma, oder?«

Ich sah auf meine dreckigen Klamotten runter.

»Wie haben Sie das nur erraten?«, fragte ich trocken. Als er lachte, ließ meine Spannung etwas nach.

»Ich bin Gage«, sagte er. »Schauen wir mal, ob wir Pic finden.«

»Ich störe ihn wirklich nur sehr ungern«, sagte ich schnell. »Wenn er gerade beschäftigt ist, meine ich. Ich sehe, dass Sie zu den Cluboffizieren gehören. Vielleicht können Sie mir helfen?«

Er hob eine Augenbraue.

»Bolt hat gesagt, dass du mit Picnic reden sollst, oder?«

Ich nickte, während ich mich fragte, ob ich einen Fehler gemacht hatte. Prima Schachzug, London. Verärgere genau den Typen, dessen Hilfe du brauchst.

»Dann solltest du auch mit Picnic reden.«

Ich lächelte erneut und fragte mich, ob er merkte, dass ich kurz vor einem Gesichtsmuskelkrampf stand. Er wandte sich ab, und ich folgte ihm durch den Raum, wobei ich mich bemühte, niemandem direkt in die Augen zu sehen. Einige schienen sich für mich zu interessieren, doch die meisten waren viel zu sehr mit Trinken, Reden und intimeren Dingen beschäftigt, um auf eine schmuddlige Frau zu achten. In der Mitte der hinteren Wand war ein offener Durchgang, der ins Innere des Gebäudes führte. Als mein Führer hindurchging, folgte ich ihm, wurde aber mit jedem Schritt nervöser. Das Gebäude zu betreten war schon schlimm genug gewesen, aber das hier war eindeutig schlimmer – wie eine Reise ohne Wiederkehr.

In jedem Fall eine Reise ohne Zeugen.

Vor uns ging eine Tür auf, und zwei Mädchen kamen kichernd herausgestolpert. Jessica? Nein. Dafür erkannte ich aber eine von ihnen.

»Kimberly Jordan, weiß deine Mutter, wo du dich gerade herumtreibst?«, fragte ich mit schneidender Stimme.

Alle im Gang erstarrten, selbst Gage.

Kim starrte mich mit großen Augen an.

»N-nein«, antwortete sie. Sie sah an mir vorbei, als ob sie befürchtete, dass gleich ihre Mutter auf sie losgehen würde. Gut. Vielleicht brachte sie das zum Nachdenken.

»Willst du jetzt mit dem Pres reden oder nicht?«, fragte Gage kühl. »Du musst dich schon entscheiden, Baby, welche Schlacht du schlagen willst. Willst du dieses Mädel hier oder die Tochter deiner Cousine?«

Ich schluckte, denn mir wurde klar, dass elterliche Einwände hier womöglich nicht so willkommen waren. Ups.

»Ich bin wegen Jessica hier«, sagte ich ihm.

Er lächelte mich an, sodass seine Zähne in dem gedämpften Licht hell aufleuchteten.

»Bestens, dann lassen wir die hier in Frieden, okay? Schaut, dass ihr weiterkommt, Mädels.«

Sie drückten sich an uns vorbei und flüsterten dabei aufgeregt miteinander.

»Kommen öfter nicht volljährige Mädchen zum Trinken hierher?«, fragte ich ihn, da ich das Thema einfach nicht auf sich beruhen lassen konnte.

»Leute, die noch nicht volljährig sind, bekommen hier nichts«, sagte er rundheraus.

Ich hob eine Augenbraue, um ihm ohne Worte zu vermitteln, dass ich wusste, dass er mir Mist erzählte. Er grinste.

»Willst du mir ins Gesicht sagen, dass du deinen ersten Drink mit einundzwanzig Jahren hattest?«

Ich seufzte. Natürlich nicht. Ich hatte sogar eine ganze Menge getrunken und war trotzdem keine Alkoholikerin geworden – schwanger oder sonst was Schlimmes auch nicht.

»Können wir einfach weitergehen?«

Gage gab sich nicht mal Mühe, seine Belustigung zu verbergen. Dann trat er einen Schritt vor und klopfte an die Tür ohne Schild zu unserer Linken.

»Pic? Hast du einen Augenblick?«

Reese

Ich saß auf meiner Bürocouch und fragte mich, warum zum Teufel es mir völlig egal war, dass gerade ein hübsches Mädchen meinen Schwanz lutschte. Normalerweise macht mir ein Blowjob genauso viel Spaß wie wahrscheinlich den meisten Männern. Aber heute Abend war ich nicht bei der Sache, ich konnte es einfach nicht richtig genießen. Das war echt Pech, denn die Süße zwischen meinen Beinen hatte einen Mund wie ein Staubsauger und ein sehr schwach ausgeprägtes moralisches Empfinden. Sie war der neue Star im Line – die Jungs hatten sie extra für mich mitgebracht.

Als Geburtstagsgeschenk.

Dreiundvierzig verdammte Jahre.

Ihre Finger wanderten unter meine Eier und berührten sie leicht, während ihre Zunge um meine Eichel kreiste. Ich griff nach meinem Bier und nahm einen langen, langsamen Schluck. Die kalte Flüssigkeit lief meine Kehle hinunter, und ich beschloss, dass es mir völlig egal war, ob sie mich zum Abspritzen brachte oder nicht.

Ich will, dass du glücklich bist, Baby, aber du hast was Besseres als das hier verdient …, schien Heather in mein Ohr zu flüstern.

Ich hörte ihre Stimme seit dem Tag, an dem sie gestorben war. Mein Gott, ich vermisste sie so sehr. Ich wünschte, dieses leise Flüstern entspränge nicht nur meinem kranken Unterbewusstsein. Doch es konnte nur Einbildung sein, denn wenn Heathers Geist wirklich bei mir gewesen wäre, um mir Ratschläge zu erteilen, dann hätte ich das mit unseren Töchtern nicht so schlecht hinbekommen.

Ich sah auf den schwarzen Metallaktenschrank auf der anderen Seite des Zimmers. Darauf stand ein Foto in einem angelaufenen Silberrahmen. Meine Alte Lady. Die Aufnahme stammte von einer der letzten Familienfeiern, direkt nachdem sie sich von der Brustamputation erholt hatte, aber noch vor der letzten Chemo. Sie hatte ihre Arme fest um unsere zwei hübschen Mädchen geschlungen; alle drei lachten mich aus dem Bilderrahmen an.

Gerade in diesem Moment beschloss der Staubsauger, meinen Schwanz tief in den Hals zu saugen. Ich schloss meine Augen. Verdammt, Bolt hatte mir erzählt, dass sie blasen könne wie ein Profi, aber die Beschreibung reichte nicht aus. Die Frau hatte echt Talent. Jeder Zentimeter wurde fest zusammengedrückt. Und meiner war nicht gerade klein. Ich stöhnte und ließ meinen Kopf zurückfallen.

Warum fühlte es sich immer noch so an, als ob ich Heather betrügen würde?

Der Staubsauger tauchte wieder auf und kicherte nervig. Ich machte meinen Mund auf, um ihr zu sagen, dass sie leise sein sollte, doch sie bearbeitete schon wieder meinen Schwanz, bevor ich Gelegenheit zum Sprechen hatte. Scheiße, tat das gut. Mein Stumpfsinn verschwand und wurde durch eine Klarheit ersetzt, die nur guter Sex oder ein guter Kampf bei mir heraufbeschworen. Mein Körper fühlte sich unglaublich an, meine Gedanken begannen zu schweben, und mein Geist trennte sich für eine Weile von meinem Körper. Keine Schuldgefühle gegenüber Heather, keine Sorgen wegen des Clubs, nicht mal der Gedanke an meine zwei Töchter konnte mich jetzt erreichen.

Ich fühlte mich wie eine Maschine, kraftvoll und frei.

Neben mir auf der Couch vibrierte mein Handy, und als ich einen Blick darauf warf, konnte ich folgende Nachricht lesen.

BOLT: Genießt du deine Party? Ich habe dir noch ein Geschenk geschickt. Pass auf, dass du’s nicht kaputtmachst.

Ich warf einen Blick auf den braunhaarigen Schopf, der zwischen meinen Beinen vor und zurück zuckte, und fand, dass mein Leben vielleicht nicht perfekt war, aber meine Freunde sich liebevoll um mich kümmerten. Wenn es einen Gott gab, würde ich gleich die Zwillingsschwester dieses kleinen Miststücks hier kennenlernen.

Jemand klopfte laut an die Tür.

»Pic? Bist du beschäftigt?«, rief Gage. »Du hast Besuch. Bolt hat sie hergeschickt.«

Ich griff nach unten und packte die Stripperin bei den Haaren, damit sie langsamer machte.

»Schick sie rein.«

Die Tür ging auf, und eine kleine, kurvige Blondine in einem schmutzigen T-Shirt und abgewetzten Jeans stolperte ins Zimmer. Als sie sah, was vor sich ging, riss sie die Augen auf. Der Aufdruck »London’s Cleaning Service« auf der Vorderseite ihres Shirts wurde von üppigen Brüsten gedehnt.

Fuck. Fuck.

Dieser verdammte Schwanzlutscher. Bolt würde dafür bezahlen, denn London Armstrong war die letzte Frau, die ich in diesem Gebäude sehen wollte. Diese Frau mit ihrem fantastischen Vorbau hatte mein Leben in den vergangenen sechs Monaten zur Hölle gemacht, weil sie das Allerletzte war, was ich in meinem Leben gebrauchen konnte, ich aber gleichzeitig noch nie eine Frau lieber hatte ficken wollen.

Nicht einmal Heather.

Und das war ein Problem.

Es war egal, wie hübsch Londons Titten um meinen Schwanz drapiert aussehen würden, wenn ich ihr mitten in ihr schönes Gesicht spritzte. Sie war zu nett, zu sauber und entschieden zu erwachsen. Miss Armstrong war eine ganz normale Bürgerin, voll Anstand und Rechtschaffenheit, und sie passte einfach nicht in meine Welt. Sie würde laut kreischend davonrennen, wenn ich mit ihr richtig loslegte …

Was die Sache noch schlimmer machte, war, dass ich sie auch als Mensch irgendwie mochte.

Der Staubsauger gab plötzlich ein ersticktes Geräusch von sich, und mir wurde klar, dass ich ihren Kopf eingeklemmt und ihr die Luft abgeschnürt hatte. Ich ließ sie los, und sie riss den Kopf hoch, um verwirrt und keuchend, mit rotem, feuchtem Mund zu mir aufzusehen. Ich tätschelte ihren Kopf und beruhigte sie so.

Wie bei einem Hund. Mein Gott.

Was zum Teufel hatte sich Bolt dabei gedacht, als er London hierherschickte? Ich nahm einen tiefen Atemzug. Die Frau, die mich quer durchs Büro wie einen Axtmörder anstarrte, sah so aus, als ob sie sich gleich umdrehen und das Weite suchen wollte. Und ich wollte sie jagen, wenn sie das tat … sie einholen, ihre Jeans herunterreißen und meinen Schwanz tief in sie hineinstoßen, während sie schrie. Ja, die Vorstellung war echt völlig in Ordnung.

Scheiß drauf.

Sechs Monate lang hatte ich mir einen runtergeholt, während ich mir ihre Titten vorstellte. Doch ich hatte das Richtige getan und sie nicht angerührt. Aber schließlich war es nicht meine Schuld, dass sie jetzt in mein verdammtes Büro spaziert kam. Es lag auch nicht in meiner Verantwortung, sie nun, da sie vor mir stand, zu retten. Ich sah es ganz klar vor mir: Es gab nur einen Weg, das hier zu beenden.

Ich schenkte ihr mein schönstes Raubtierlächeln und hob eine Hand, um sie zur Couch zu winken.

Happy Birthday, lieber Reese.

KAPITEL ZWEI

London

Ich hatte mich selbst nie als prüde eingeschätzt.

Aber da hatte ich mich wohl getäuscht. Ich war definitiv prüde, denn in meinem Kopf gab es keinen Ort, an dem ich das, was ich sah, als ich durch die Tür marschierte, hätte einsortieren können. Keine Ahnung, warum es so schockierend war. Es war ja nicht so, dass ich nicht bereits im anderen Raum Leute gesehen hätte, die es in aller Öffentlichkeit miteinander trieben. Ein privates Büro war schließlich der perfekte Ort für einen schnellen Blowjob … Aber als es um die Frage ging, ob Reese Hayes beschäftigt sei, hatte ich erwartet, dass es sich um eine schändliche Tat handelte, die irgendwie mit Bikergangs zu tun hatte.

So was wie Geldwäsche oder so.

Dann lächelte er mich an – wie ein Hai eine Schiffbrüchige, bevor er ihr Bein abbeißt. Er hob seine Hand und winkte mich zur Couch.

Ich starrte ihn an (oh mein Gott, er hat den Kopf einer Frau zwischen seinen Beinen!), während Panik in mir aufstieg. Schon öffnete ich meinen Mund, um ihm zu sagen, dass ich später wiederkommen könne. Doch in dem Moment wurde mir klar, dass ich eben nicht später kommen konnte. Ich musste Jess finden, und zwar jetzt, bevor sie etwas anstellte. Und selbst wenn ich die Clubmitglieder dafür verurteilen wollte, dass sie sie vom rechten Weg abbrachten, wusste ich doch verflixt genau, dass sie es auch ganz allein schaffte, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Wenn ich sie hier rausschaffte, wäre das genau genommen ein Gnadenakt den Reapers gegenüber.

Sie hatten keine Ahnung, welches Zerstörungspotenzial in Jess schlummerte.

Du schaffst das.

»Hallo, Mr. Hayes«, sagte ich munter, da mir ein geschäftsmäßiger Ton als das beste Mittel erschien, um mich von seiner anderen … Freundin abzuheben. Nein, ich war schließlich eine Frau auf einer Mission und hatte keine Zeit, herumzualbern.

Dennoch kostete es mich all meine Kraft, nicht auf seinen Schoß zu starren und zu schauen, ob ich nicht einen flüchtigen Blick auf seine Ausstattung erhaschen konnte. Das wäre wesentlich einfacher gewesen, wenn ich nicht bei den letzten zwei, drei Sitzungen mit meinem Vibrator genau so eine Szene vor Augen gehabt hätte, allerdings mit mir in der Hauptrolle.

Reiß dich zusammen, Armstrong.

»Ich bin London Armstrong, die Inhaberin des Reinigungsunternehmens, das für Ihren Club tätig ist.«

Ich betrat das Büro, ging aber nicht so weit, zu ihm zu marschieren und ihm die Hand zu schütteln.

Eine Frau kann schließlich nicht alles auf einmal schaffen.

Hayes schenkte mir denselben Blick, mit dem er mich sonst auch immer bedachte. Berechnend. Hungrig mit einer Spur Neugier, während sein Blick über meinen Körper wanderte. Er verweilte kurz auf meinen Brüsten, übertrieb es aber nicht. Nein, er war ganz geschäftsmäßig, abgesehen von der unangenehmen Tatsache, dass ihm eine Frau gerade einen Blowjob verpasste. Ich schluckte und spürte, wie ich rot wurde.

Sein Blick zuckte wieder nach oben zu meinen Augen.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte er mit leiser, rauer Stimme.

Sexy. Ich erschauerte, weil ich mir eine ganze Reihe von Dingen vorstellte, die er für mich tun könnte, vielleicht sogar mit mir, obwohl ich das ungern zugab. Die letzten sechs Jahre waren ganz schön lang gewesen. Mit Nate hatte ich immer noch nicht geschlafen … Wir gingen zwar seit fast sechs Monaten miteinander aus, aber da wir beide viel zu tun hatten, sahen wir uns nicht allzu oft. Eine ziemliche Durststrecke also.

Ich bemühte mich, Hayes’ Frage angemessen zu beantworten – trotz der schmatzenden und glitschenden Geräusche, die von seinem Schoß aufstiegen. Wie konnte diese Frau nur einfach weiter an ihm herumlutschen und alles andere um sich herum ausblenden? Es war wirklich sehr irritierend.

»Du wolltest etwas, Süße?«, fragte Hayes nochmals und nahm dabei einen Schluck von seinem Bier. »Wenn du hier bist, um mitzumachen, wunderbar. Ansonsten setzt du dich am besten hin und erklärst mir, was du willst.«

Mitzumachen?

Meine Wangen wurden warm, und ich wusste, dass ich verloren war. Bis zu dem Moment war es mir gelungen, sachlich zu bleiben. Doch es gibt gewisse Grenzen. Bring’s einfach hinter dich! Dann kannst du nach Hause fahren und ein sehr großes Glas Wein trinken.

Ich bräuchte schon einen Kübel für all den Wein, den ich heute Abend noch trinken würde, entschied ich.

»Ich suche die Tochter meiner Cousine. Sie lebt bei mir.«

»Nimm Platz«, sagte er nochmals. Gage lachte hinter mir los und schloss die Tür von außen. Ich warf einen Blick auf die Couch, ein altes Monstrum mit Karomuster, das bestimmt zwanzig Jahre alt war. Bei meinem Glück würde ich mir darauf noch eine Krankheit holen.

»Ich bleibe lieber stehen.«

»Setz. Dich. Hin.«

Seine Stimme klang scharf, und ich fing an zu zittern. Reese Hayes war ein Mann, der einem Angst einflößen konnte. Bisher hatte er sich benommen, doch ich war mir der Gerüchte, die sich um ihn rankten, nur allzu bewusst. Nate war ein Hilfssheriff und hatte mir schon eine Menge Geschichten über die Reapers erzählt, besonders über ihren President. Ich hatte dem keine Beachtung geschenkt, da der MC ein guter Kunde war und ich annahm, dass Nate so seine Vorurteile hatte. Es konnte doch wohl kaum eine kriminelle Bande einfach so offen existieren, oder? Wenn ich mir allerdings Hayes nun ansah, waren einige der Geschichten vielleicht doch wahr.

Seine Augen glichen zwei Splittern aus blauem Eis, und durch die grauen Schläfen und den Dreitagebart strahlte er eine solch starke Autorität aus, dass ich beinahe instinktiv gehorchen wollte. Seine Arme waren stark muskelbepackt, und seine Oberschenkel … Ich sah schnell wieder weg, denn seine kräftigen Oberschenkel bildeten den perfekten Rahmen für die halb nackte Frau, die an seinem Penis lutschte – als ob ich mitten in einer hochklassigen HD-Pornoaufnahme gelandet wäre.

Ich wollte einfach sterben.

Selbst unter günstigen Bedingungen fühlte ich mich in seiner Gegenwart ziemlich unwohl. Deshalb hatte ich mir alle Mühe gegeben, ihm nicht zu begegnen. Bisher war mir das ganz gut gelungen – er hing schließlich nicht in der Pfandleihe herum, wenn ich mit meiner Truppe am Abend zum Putzen kam. Na ja, manchmal war er schon da, blieb aber hinten im Büro.

Vielleicht wusch er ja dort sein Geld?

Ich hatte eindeutig einen kleinen hysterischen Anfall, denn ich fragte mich ernsthaft, wie man denn eigentlich Geld wusch. Kurz stand mir ein Bild vor Augen, in dem Hayes an einer altmodischen Waschmaschine mit Kurbel zugange war, während eine Gruppe von Bikern in Schürzen sorgsam Hundertdollarnoten auf eine Wäscheleine hängte, die sich über eine sonnige Wiese spannte.

»Baby?«

Ich blinzelte und überlegte, warum ich das hier jemals für eine gute Idee gehalten hatte.

»Ja?«

»Setzt du dich jetzt hin oder nicht?«, fragte er.

»Mir ist das … wirklich unangenehm«, sagte ich auf die Frau deutend.

»Das ist nicht mein Problem, oder?«, sagte er und legte eine Hand auf ihren Kopf. »Aber wenn es dich stört, kannst du ja ihren Platz einnehmen.«

»Nein«, erwiderte ich schnell.

»Dann setz dich hin, verdammt, und sag mir, warum du hier bist.«

Seine Stimme klang gepresst, er wäre mit seiner Geduld wohl bald am Ende. War ja auch verständlich – er hatte offenbar andere Dinge an seinem … äh, in seinem Kopf. Vorsichtig nahm ich mit Blick auf die Tür am Rand der Couch Platz. Mir wurde klar, dass das sogar besser war, denn nun musste ich ihn nicht mehr ansehen. Dafür wackelte das Sofa im Takt der Bewegungen der Frau, was sich ziemlich gruselig anfühlte.

»Die Tochter meiner Cousine befindet sich auf dieser Party«, sagte ich schnell. »Sie heißt Jessica; ihre Urteilsfähigkeit ist nicht so besonders. Ich würde sie wirklich gerne mit nach Hause nehmen, bevor sie etwas Dummes anstellt.«

Wie das Haus anzuzünden.

»Verdammt schlechtes Timing.«

Ich antwortete nicht. Was sollte ich auch sagen? Es gab schließlich keine Grußkarten mit der Aufschrift »Tut mir leid, dass ich Sie beim Oralsex gestört habe«.

Vielleicht sollte ich an die entsprechenden Firmen schreiben, um den Text vorzuschlagen?

Hayes grunzte, und die Couch kam zum Stillstand.

»Geh Gage suchen«, murmelte er an die Frau gewandt, die sich mit einem schmatzenden Geräusch von ihm löste, das ich wirklich nicht hören wollte. Eine Sekunde später stand sie auf, wischte sich über den Mund und starrte mich giftig an. Ich zuckte mit den Schultern und schenkte ihr ein mehr oder weniger entschuldigendes Lächeln, bevor ich mich abwandte. Die Couch wackelte wieder, als sich Hayes bewegte. Eine schreckliche Minute lang dachte ich, er würde mich tatsächlich packen und an ihre Stelle befördern. Dann hörte ich, wie ein Reißverschluss zugezogen wurde.

»Keine Gefahr mehr.«

Ich wandte mich ihm zu. Auch er drehte sich zu mir herum, legte einen seiner in Stiefel steckenden Füße auf seinem Knie ab und streckte seine Arme auf der Rückenlehne aus – unangenehm nahe bei mir. Wenn ich mich vorlehnte, konnte ich ihn berühren. Nichts in seinem Gesicht verriet, dass ich gerade sein Happy End ruiniert hatte. Nicht die kleinste Regung.

Absolut keine. Oh Schreck!

»Erzähl mir von ihr«, sagte er. »Wo liegt das Problem?«

Das war eine recht bedeutungsschwere Frage …

»Das Problem liegt darin, dass sie jung und dumm ist«, sagte ich in fatalistischem Ton. »Sie neigt zur Selbstzerstörung, und wenn ich sie hier von der Leine lasse, wird was Schlimmes passieren, glauben Sie mir.«

Er legte seinen Kopf schief.

»Und das ist unsere Schuld?«, fragte er. »Du hast Angst, dass wir sie in Gefahr bringen?«

Ich schnaubte, während ich mir ein nervöses Lachen verkniff und den Kopf schüttelte. Mein Gott, wenn es doch nur so wäre …

»Nein«, erwiderte ich. »Ja, okay. Wahrscheinlich. Aber die Gefahr ist beiderseitig. Jessica ist …«

Ich machte eine Pause, denn ich war mir nicht sicher, wie viel ich ihm über meine Familie erzählen wollte. So wenig wie möglich, beschloss ich.

»Jessie hat viele Probleme. Sie trifft ungünstige Entscheidungen und zieht andere Leute mit hinein. So wurde zum Beispiel ihre beste Freundin durch ihre Schuld wegen Ladendiebstahls verhaftet, obwohl das arme Kind keine Ahnung hatte, was eigentlich los war. Ich weiß, dass Sie keinen Grund haben, mir diesen Gefallen zu tun. Aber würden Sie mir bitte dabei helfen, sie zu finden, damit ich sie mitnehmen kann?«

Er beobachtete mich und ließ seinen Blick über mein Gesicht wandern. Ich wünschte, er würde ein Gefühl zeigen. Irgendeines. Ich konnte überhaupt nicht erkennen, was er dachte, und das machte mich wahnsinnig.

»Wie alt ist sie?«, fragte er nachdenklich.

»Achtzehn. Sie ist gerade mit der Highschool fertig geworden. Aber glauben Sie mir, sie ist noch nicht erwachsen.«

Er hob eine Augenbraue.

»Sie muss nicht tun, was du ihr sagst«, antwortete er. »Viele Kinder in dem Alter leben schon allein.«

»Sie muss tun, was ich ihr sage, solange sie bei mir wohnt«, erwiderte ich vorsichtig. »Und sie kann noch in keiner Weise für sich selbst aufkommen, deshalb wird sie wohl noch eine Weile bei mir bleiben. Ich würde ungern die Verantwortung für ein Neugeborenes übernehmen, aber bei meinem Glück lässt sie sich gerade bereitwillig schwängern, während wir uns hier unterhalten. Das muss wirklich nicht sein.«

Er schüttelte langsam seinen Kopf, wobei ein schwer zu deutendes Gefühl in seinen Augen aufleuchtete.

»Darauf hast du keinen Einfluss«, sagte er zu mir. »Ich habe selbst Töchter, wusstest du das?«

»Ich weiß gar nichts über Sie«, sagte ich, was allerdings nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich erinnerte mich noch an unsere erste Begegnung, denn er war ein schöner Mann. Und wenn ich nicht eine reife, vernünftige Frau wäre, würde ich zugeben, dass ich ein bisschen verknallt in ihn war. Ich spürte definitiv eine starke körperliche Anziehung – zumindest, wenn ich nicht gerade Angst vor ihm hatte.

Das war nicht in Ordnung.

Ich hatte einen Freund. Nate. Er war nett und hatte mich gern. Ich hatte ihn auch gern und fühlte mich bei ihm sicher. Ich hatte ein gutes Leben, kümmerte mich um Jessica und manchmal auch um ihre Freundinnen und leitete meine Firma. Unangebrachte Schwärmereien für Biker waren daher nicht angesagt, schon gar nicht für einen, der mein Auftraggeber war.

Aber so toll Nate auch war – die vergangenen Monate war es mir nicht gelungen, meine Augen von Reese Hayes zu lassen. In der Stadt gab es mehr als genug Klatschgeschichten über ihn, die meine Fantasie anregten, sobald ich einmal zuhörte. Hayes hatte zwei erwachsene Töchter, er war nun seit zehn Jahren der President der Reapers, und seine Frau Heather war vor sechs Jahren an Brustkrebs gestorben. Direkt nachdem ich die Vormundschaft für Jessica gerichtlich durchgesetzt hatte.

Ich wusste von Heather Hayes’ Tod, weil ich auf ihre Beerdigung gegangen war.

Sie war mit Amber auf der Highschool gewesen. Obwohl wir uns nicht wirklich gekannt hatten damals, wollte ich ihr doch die letzte Ehre erweisen. Nie hatte ich einen gebrocheneren Mann gesehen als Reese Hayes an diesem kalten und düsteren Märznachmittag am Grab seiner Frau. Es hatte noch einmal geschneit, und seine Mädchen hatten die ganze Zeit über hysterisch geweint.

Er jedoch weinte nicht, nein. Reese Hayes hatte wie ein Mann ausgesehen, der seine Seele verloren hat. Seitdem hatte er sich in der Stadt einen Ruf als richtiger Hurenbock erarbeitet, ein Ruf, der allem Anschein nach wohlverdient war.

Es ist nicht an dir, darüber zu urteilen, sagte ich mir.

Als ich mein Reinigungsunternehmen gegründet hatte, hatte ich schnell gelernt, dass wirklich jeder etwas zu verbergen hatte und dass es nicht mein Job war, diese Geheimnisse zu enthüllen. Rein, den Job machen, raus, nach Hause. Ganz einfach.

»Wenn du mich besser kennen würdest, wüsstest du, dass ich mit dir fühle«, sagte er. »Wie gesagt, ich habe selbst Töchter. Aber ich habe auf die harte Tour gelernt, dass man sie nicht kontrollieren kann. Ich bin ein knallharter Mann, und nicht mal ich hab sie im Griff. Du hast bei diesem Kind keine Chance. Warum gehst du nicht einfach nach Hause?«

Genug. Ich stand schnell auf.

»Ich gehe nicht ohne sie nach Hause. Helfen Sie mir nun, oder soll ich mich selbst auf die Suche machen?«

Er bewegte sich nicht, und sein Gesichtsausdruck hatte sich auch nicht verändert. Doch die Raumtemperatur war deutlich gesunken.

»Setz dich auf deinen Hintern«, sagte er mit blau blitzenden Augen. Dem Ton absoluter Autorität und Willenskraft in seiner Stimme wagte ich nicht zu widersprechen, was mich wieder daran erinnerte, dass Hayes ein sehr gefährlicher Mann war.

Ich setzte mich.

Hayes stand auf und stellte sich vor mich. Dann beugte er sich vor und stützte seine Hände auf die Rücklehne der Couch links und rechts von meinem Kopf auf. Als er mich mit seinem Blick durchbohrte, schoss mein Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen.

Was zum Teufel hatte er vor?

»Dir ist klar, wo du dich hier befindest?«, fragte er sanft, was wesentlich angsteinflößender war, als wenn er mich angebrüllt hätte. Eine leise Drohung, bei der vor meinem geistigen Auge in flachen Gräbern verscharrte Leichen aufstiegen …

»Du bist in meinem Clubhaus. Vor diesem Raum warten zwanzig Männer, die alles tun würden, was ich von ihnen verlange. Wirklich alles. Und rund um das Gebäude erstrecken sich Wälder und Berge bis nach Montana. Die einzigen Zeugen da draußen sind Hirsche und vielleicht ein oder zwei Elche. Bist du dir sicher, dass du mir ans Bein pinkeln willst? Ich habe für dich gerade meinen Schwanz aus dem Mund einer willigen Frau gezogen und bin deshalb nicht gerade bester Laune.«

Ich konnte kaum atmen. Mein Herz schlug so schnell, dass ich dachte, es würde mir in der Brust zerspringen. Deshalb war ich mir absolut sicher, dass ich ihm garantiert nicht ans Bein pinkeln wollte.

»Jetzt bitte mich freundlich um Hilfe«, sagte er langsam und deutlich.

Ich nickte, brauchte aber einen Moment, um mich seelisch vorzubereiten.

»Mr. Hayes, würden Sie mir bitte helfen, meine Nichte Jessica zu finden?«

»Nein.«

Mir traten plötzlich Tränen in die Augen, und ich merkte, dass ich zu zittern anfing. Schnell blinzelte ich und zwang die Tränen durch pure Willenskraft zurück. Ich wollte verdammt sein, wenn ich ihm diese Befriedigung gönnte. Schweigen senkte sich herab. Sein Gesicht befand sich etwa fünfzehn Zentimeter von meinem entfernt. Die Spannung zwischen uns war zum Greifen. In der Ferne hörte ich Musik und Partylärm. Mir war nur zu bewusst, dass ich ihm völlig ausgeliefert war.

»Kann ich gehen?«, fragte ich ruhig.

»Nein.«

Zumindest war er direkt. Nervös leckte ich mir über die Lippen, wobei sein Blick der Bewegung folgte. Ich konnte ihn nicht mehr ansehen und senkte deshalb den Blick nach unten.

Was ein Fehler war.

»Unten« war nämlich sein Körper, und ich konnte unschwer erkennen, dass nur weil er seine kleine Freundin weggeschickt hatte, sein Interesse an Sex keineswegs erlahmt war. Nein. Da war vielmehr eine hübsche, große Beule in seiner Jeans.

Ups.

Ich sah schnell weg und landete bei dem großen Messer, das er ans Bein geschnallt hatte. Ein Jagdmesser. Auf einer Party in einem Haus. Absolut nicht furchteinflößend, oder?

»Du musst schon ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten, damit ich dir helfe«, sagte er leise, während seine Stimme einen sanften, ja fast samtigen Klang annahm.

»Wie?«, flüsterte ich.

Er lachte leise.

»Was glaubst du denn?«

Ich schloss meine Augen und überlegte. Sex. Er sprach von Sex. Okay. Es war ja nicht so, dass ich keine Ahnung von Sex hatte … War ich bereit, mit einem Mann zu schlafen, um Jessica zu finden? War ich bereit, meine Beziehung zu Nate aufzugeben?

Mein Inneres verkrampfte sich. Ich hatte schon so viel für sie aufgegeben.

»Es ist nicht gut, wenn man Geschäftliches und Privates vermischt«, sagte ich ihm. »Momentan arbeiten zwei meiner Putzcrews für Sie. Eine persönliche Beziehung wäre da ein großer Fehler. Und nicht nur das: Ich habe auch bereits eine Beziehung.«

Hayes lachte leise in sich hinein.

»Ich will keine Beziehung, und dein Freund ist mir scheißegal. Aber ich hätte nichts dagegen, deine Titten zu ficken – das würde meine Hilfsbereitschaft aktivieren. Deine Entscheidung.«

Ich schnappte nach Luft.