Romane über Frauen, 8. Kaiserin Katharina II. (Erinnerungen) - Verschiedene Autoren - E-Book

Romane über Frauen, 8. Kaiserin Katharina II. (Erinnerungen) E-Book

Autoren Verschiedene

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Beschreibung

In ihren eigenhändig verfassten Erinnerungen, die lange Zeit als Staatsgeheimnis behandelt und erst 100 Jahre später in Paris veröffentlicht wurden, beschreibt Katharina die Große ihre Jugendjahre in Russland bis zur Thronbesteigung ihres Gatten als Zar Peter III. - auf die dann kurze Zeit später der Staatsstreich folgen sollte, der sie selbst an die Macht brachte. Dieser Umsturz wird im Anhang des Buches von der daran beteiligten Fürstin Daschkoff geschildert. Die Erinnerungen Katharinas sind nur ein Ausschnitt aus ihrem langen Leben, der allerdings sehr minutiöse Einblicke in ihren Charakter und ihren Alltag vor der Machtübernahme zulässt. Gerade die kleinen, intimen Details aus dem Palastleben sind überzeugendes Indiz dafür, dass Katharina den Text tatsächlich selbst verfasst hat.

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Seitenzahl: 489

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Verschiedene Autoren

Romane über Frauen

8. Kaiserin Katharina II. (Erinnerungen)

Von ihr selbst geschrieben

Romane über Frauen

Verschieden Autoren

8. Band: Katharina II. von Russland

Von ihr selbst geschrieben

Impressum

Texte: © Copyright by Verschiedene AurorenUmschlag:© Copyright by Walter Brendel

Verlag:Das historische Buch, 2024

Mail: [email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Vorwort

Erstes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Nachtrag aus den Memoiren der Fürstin Daschkoff.

Erstes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Anhang.

Vorwort

Während rings in Europa Throne zu versinken drohten, erhob sich hoch im Norden an den Ufern der Newa einer zu ungeahnter Größe, zu unermeßlicher Pracht, und eine Frau, eine Deutsche, führte mit geschickter Hand die Staatszügel des mächtigen Zarenreichs. Stolz legte sich ihr der Purpur um die weißen Schultern, der seit Generationen durch Ströme von Blut gefärbt zu sein schien.

Mehr als ein Jahrhundert ist verflossen, seitdem sich das Grab Katharinas II., der »nordischen Semiramis«, geschlossen, doch weder Zeit noch Ereignisse haben das Interesse verwischen können, das ganz Europa an dieser bewunderungswürdigen, außergewöhnlichen Frau mit dem Doppelwesen von Mann und Weib genommen. Ja, mit der Zahl der Schriften über sie stieg auch die Bewunderung für ihre selbsterworbene Größe. Denn nichts hatte sie ererbt, sondern ganz aus eigener Kraft ist sie zu jener Höhe gelangt, von der sie vierunddreißig Jahre lang auf ihr Volk, ihre Russen, herabblickte.

Vor ihr, seit dem Zerreißen der Traditionen, seit der vollkommenen Trennung des Volkes vom Staate, dieses armen, halbwilden russischen Volkes, das sich ängstlich und scheu in seinen elenden Dörfern verbarg, seit der Reform Peters I., waren Staatsstreiche und Palastrevolutionen an der Tagesordnung gewesen, und nach ihrem Tode schien es, als sollte es wieder so werden. Welch seltsame Epoche! Abends vor dem Schlafengehen wußten die Einwohner von St. Petersburg nicht, unter wessen Regierung sie am nächsten Morgen erwachen würden. Allerdings kümmerte dies die Bevölkerung wenig, oder gar nicht; das Drama spielte sich nur in den engeren Hofkreisen ab, und allein die Staatsbeamten hatten bei einer solchen Thronumwälzung für ihr Wohl und Wehe zu hoffen, oder zu fürchten. Das Volk, der Pöbel, jauchzte, wenn es ihm befohlen wurde, dem neuen Herrscher zu und spie dem alten ins Gesicht, den es noch am vorhergehenden Tage »Väterchen« genannt, für den es in seinen Kirchen den Segen des Himmels erfleht hatte. Was war das russische Volk? Nichts als eine große, leicht lenkbare, in tiefster Unwissenheit verharrende Menschenmasse, die zum ersten Male im Jahre 1812 aus ihrer fast tierischen Niedrigkeit erwachte, um sich einem Feinde, der das Land zu verwüsten drohte, entgegenzuwerfen.

Seit dieser Zeit aber haben Ereignisse, Kultur und Intelligenz das russische Volk erstarken lassen und aufgeklärt. Der Moment, wo es mit energischem Willen auch noch die letzten Spuren einer harten, langen Knechtschaft abschütteln wird, ist nicht mehr fern. Das ganze große russische Reich ist in seinen Grundfesten erschüttert, es bedarf nur eines letzten kräftigen Stoßes, um es völlig zu stürzen. Dann wird auf seinen Trümmern ein neues erstehen, wo die Sonne der Freiheit dem russischen Volke zum ersten Male leuchtet.

Und während unsere Nachbarn diesen Kampf um ihre Freiheit kämpfen, wird es von nicht geringem Interesse sein, das Leben an einem russischen Kaiserhofe vor mehr als hundert Jahren zu verfolgen, das freilich in unserer Zeit einen wesentlich andern Aspekt hat.

Die Memoiren der Kaiserin Katharina II., eins der interessantesten Dokumente, die wir über die russische Geschichte besitzen, wurden ihrem Sohne, dem Kaiser Paul I., einige Stunden nach dem Tode seiner Mutter in einem versiegelten Kuvert überreicht. Dieses Kuvert enthielt auch einen Brief Alexis Orloffs, des Hauptbeteiligten an der Thronbesteigung Katharinas, in welchem er der neuen Kaiserin mit zynischen Worten, trunken vom Wein, die Ermordung ihres Gemahls, Peters III., meldete. Paul I. sprach zu keinem Menschen von dem Manuskript seiner Mutter, außer zu seinem intimen Freund, dem Fürsten Alexander Kurakin, der heimlicherweise eine Abschrift davon nahm. Später, zwanzig Jahre nach dem Tode Kaiser Pauls, verschafften sich auch Alexander Turgenjeff und Fürst Michael Woronzow Abschriften von dem Exemplar Kurakins. Unter der Regierung des Zaren Nikolaus indes wurden alle vorhandenen Abschriften polizeilich eingezogen, worunter sich auch eine von der Hand des berühmten russischen Dichters Puschkin befand. Das Original selbst ließ Nikolaus, nachdem er es gelesen, mit dem großen Staatssiegel versehen und in den kaiserlichen Archiven sorgfältig verwahren.

Alexander Herzen, der diese Memoiren herausgegeben, berichtet, daß er zum ersten Male von den Aufzeichnungen Katharinas durch den Lehrer Alexanders II., Konstantin Arsenjeff, erfahren habe, der 1840 die Erlaubnis erhalten hatte, viele geheime Dokumente aus der Zeit Katharinas II. zu lesen.

Als dann während des Krimkrieges die kaiserlichen Archive nach Moskau gebracht wurden, verlangte Alexander II. ebenfalls das Manuskript zu lesen, und seitdem kursierten wieder einige Abschriften in Rußland. Nach einer derselben hat Herzen, der berühmte russische Publizist und Freidenker, die Erinnerungen der Kaiserin Katharina veröffentlicht, über deren Echtheit kein Zweifel herrschen kann. Sollte aber dennoch ein solcher bestehen, so wird er bald verschwinden, wenn man nur einige Seiten darin gelesen hat. Das Werk trägt unverkennbar den Stempel der Wahrheit und ist voll von interessanten Einzelheiten aus dem Privat- und Eheleben Katharinas, die nur sie und niemand anders wissen konnte; sie läßt den Leser bis in die geheimsten Winkel ihres Schlafzimmers blicken.

Die Zeit hat der Frische dieser kaiserlichen Bekenntnisse nichts von ihrem Reize genommen, und die Welt der Abenteurer, Intriganten und Glücksritter eines Hofes, der äußerlich glänzend, im Innern faul war, kann nicht drastischer veranschaulicht werden.

Man sieht Katharina hier entstehen, man sieht, wie sie Stufe für Stufe auf dem steilen Wege zu einem glänzenden, mit fast orientalischer Pracht umgebenen Thron emporklimmt, um einst als Katharina die Große oben anzulangen.

Jung, unerfahren, von Haus aus einfach erzogen, kam die kleine Prinzessin Sophie von Anhalt-Zerbst 1744 auf Befehl der Kaiserin Elisabeth mit ihrer Mutter nach Moskau. Wie ein armseliges Aschenbrödel, mit einem Dutzend Hemden, einigen dürftigen Kleidern und einer Aussteuer, der das Bettzeug fehlte, langte sie dort an. Des tieferen Grundes dieser Reise war sie sich noch nicht bewußt, und erst allmählich, durch die glänzenden Empfänge in den russischen Städten, begriff sie, warum sie hier war. Sie sollte einst als Gemahlin Peters III. die russische Kaiserkrone tragen! Und schon regte sich in der Fünfzehnjährigen das Herrscherfieber des Winterpalastes.

Ihr zwei Jahre älterer prinzlicher Bräutigam, ein blöder, kindischer Junge, der schon von seinem zehnten Jahre an dem Trunke ergeben ist, läßt sie vollkommen kalt, aber die Krone von Rußland nicht. Ehrgeizig trachtet sie nach ihrem Besitz und ist entschlossen, komme was da wolle, sich dieselbe nicht entgehen zu lassen. Mit feinem weiblichen Instinkt ist sie sich bald bewußt, daß sie, um ihren Platz zu behaupten, nicht die Zuneigung des Großfürsten, nicht das Wohlwollen der regierenden Kaiserin, wohl aber die Liebe und das Interesse des russischen Volkes gewinnen müsse. Dazu gehört aber vor allem die Kenntnis des Idioms der Russen und die Annahme des orthodoxen griechischen Glaubens.

Fast spielend lernt sie die russische Sprache und ist so eifrig dabei, daß sie sogar in den kalten Winternächten aufsteht, um die von ihrem Lehrer aufgegebenen Vokabeln auswendig zu lernen. Ueberhaupt hat sie in dieser Zeit einen bewunderungswürdigen Studiendrang. Sie verschlingt alle Bücher, ohne Wahl allerdings, gute und schlechte, wie sie ihr gerade unter die Hände kommen. Ihre Lage aber ist keineswegs glücklich. Auf der einen Seite ihre neidische, zänkische Mutter, die sie wie ein kleines Schulmädchen behandelt, sie ohrfeigt und ihr die Kleider, die man ihr geschenkt, wegnimmt, um sie für sich zu gebrauchen; auf der andern die Kaiserin Elisabeth, ein rohes, eifersüchtiges, ränkesüchtiges Weib, das jeden ihrer Schritte bewacht, jedes ihrer Worte anders auslegt und ihre Umgebung nach Belieben, ohne sie zu fragen, verabschiedet. Und zwischen diesen beiden wenig sympathischen Charakteren der fast idiotische, betrunkene Großfürst, ihr Gemahl, der ihr ohne Scham alle seine Liebesabenteuer erzählt.

Als Großfürstin und Gemahlin Peters war die Lage Katharinas in jeder Beziehung erniedrigend. Neben dem gemeinsamen Schlafzimmer, und nur durch eine Bretterwand getrennt, hält er einen stinkenden Hundestall und dressiert seine Meute; in seinem Wohnzimmer hängt er eine Ratte auf und bezeichnet dies als eine kriegsgesetzliche Handlung, denn die Ratte habe es gewagt, eine Schildwache aus Zunder, womit der Großfürst täglich spielte, aufzufressen. Als drastisches Exempel sollte die Rattenleiche drei Tage im Zimmer hängen bleiben. Ein anderesmal, als er wie gewöhnlich unmenschlich betrunken ins Schlafzimmer kommt, wo seine Frau schon im Bett liegt, stellt sich Katharina, als ob sie fest schliefe, weil sie es satt ist, fortwährend seine Maitressengeschichten mit anzuhören. Er schreit und tobt, aber sie hört nicht. Da weckt er sie mit Faustschlägen und geht dann fluchend weg. Und die arme junge Frau weint die ganze Nacht.

Peter spielte leidenschaftlich gern mit Puppen und anderm Tand und benutzte, da man ihm tagsüber aufpaßte, die Nächte dazu. Wohl oder übel mußte auch Katharina, die zu jener Zeit noch mit ihrem Gemahl das Bett teilte, sich an diesen kindischen Vergnügungen beteiligen. Und geduldig ließ sie alles über sich ergehen.

Aber es sollte noch schlimmer kommen! Man fängt an, sie systematisch zu verderben. Man macht ihr den Vorwurf, daß sie keine Kinder bekommt; und als es sich herausstellt, daß die Schuld nicht an ihr liegt, läßt man ihr durchblicken, eine Großfürstin habe, wenn es sich um das Wohl des Landes handele, nicht die Tugend als erstes in die Wagschale zu werfen. Man geht weiter! Ihre Oberhofmeisterin, die als sittenstreng bekannte Madame Tschoglokoff, läßt ihr die Wahl zwischen zwei Kammerherrn: Leon Narischkin und Sergius Soltikoff, weil sie gemerkt hat, daß Katharina besonders einen von ihnen – welchen weiß sie nicht bestimmt – nicht ungern sieht. Und als die Großfürstin auf die Frage ihrer Anstandsdame: »Wenn ich nicht irre, so ist es Narischkin?« lebhaft mit »Nein, nein« antwortet, da ruft diese zynisch aus: »Nun, so ist es eben der andere!« Und er war es! Katharina macht nun kein Hehl mehr aus ihrem Verhältnis zu dem schönen Sergius. Sie liebt ihn ja auch wirklich, liebt wohl zum ersten Male. Sie läßt sogar in ihren Erinnerungen durchblicken, daß Soltikoff der Vater ihres Sohnes Paul ist.Diese Tatsache war schon zu ihren Lebzeiten, also lange vor Bekanntwerden Ihrer Erinnerungen in Hofkreisen bekannt.

Nachdem aber die Grenzen des Wohlanständigen einmal überschritten sind, wirft sie sich neuen Leidenschaften in die Arme. »Wenn man gefällt,« sagt sie mit einem fatalistischen Anflug in ihren Memoiren, »so ist der erste Teil der Verführung schon vollzogen, und der zweite kommt leicht dazu.« Sergius Soltikoff bekommt einen Nachfolger: Graf Poniatowski, der später von ihr zum König von Polen gemacht wird. Seine äußere Erscheinung, obwohl ebenfalls edel, konnte zwar nicht mit der glänzenden Schönheit Sergius' konkurrieren, aber er besaß mehr innern Gehalt, war ganz Weltmann und außerordentlich unterrichtet. Dieser Verbindung schreibt man die Geburt ihrer Tochter Anna zu. Und nun fliegt Katharina aus einem Arm in den andern, bis sie sich schließlich, nur ihrer maßlosen Sinnlichkeit folgend, ohne Wahl einem jeden, der ihr gerade gutdünkt, hingibt.

Aber merkwürdig, diese Frau, die so wenig ihre menschlichen Schwächen beherrschen konnte, die tiefer als die geringste ihrer Untertaninnen sank, wenn sie mit ihren Günstlingen wüste Gelage feierte, blieb in der Oeffentlichkeit immer die stolze, achtunggebietende Herrscherin, eine kluge, geistreiche Frau, die ihrem Lande, wie keine andere, eine Zukunft sicherte. Neben den Orgien, die sie zu feiern liebte, vergaß sie doch nie die Pflege ihres Geistes. Bis an ihr Lebensende hat sie unermüdlich gelernt. Dicke Bände hat sie durchgewälzt, mit den bedeutendsten Gelehrten, Dichtern, Schriftstellern und Philosophen ihrer Zeit ist sie in Beziehungen und Briefwechsel gestanden, Voltaire, Diderot und Grimm waren ihre vertrauten Ratgeber. Sie hat Paläste gebaut, Schulen, Kirchen, öffentliche Anstalten errichtet, und das heutige Rußland verdankt viele seiner Gebäude und Einrichtungen allein ihr, der großen Katharina, der einstigen kleinen deutschen Prinzessin von Anhalt-Zerbst.

Leider brechen die Aufzeichnungen der Kaiserin gegen Ende des Jahres 1759, also zwei Jahre vor ihrer Thronbesteigung, plötzlich ab. Verschiedene Leute behaupten, es seien noch Notizen vorhanden gewesen, die zu einer Weiterbearbeitung und Fortsetzung des Manuskriptes gute Dienste hätten leisten können, aber Paul habe dieselben verbrannt. Wieviel daran Wahres ist, hat bis jetzt noch nicht ermittelt werden können, da jeder Beweis dafür fehlt. Um indes den Leser auch mit den späteren Ereignissen, die nach dem Tode Elisabeths das Land erschütterten, einigermaßen bekannt zu machen, haben wir uns entschlossen, Bruchstücke aus den Memoiren der Fürstin Daschkoff, der über die damaligen russischen Verhältnisse best unterrichteten Frau, am Schlusse des Werkes anzufügen. Ihre Berichte über das Leben am Hofe Katharinas und Peters, der freilich nur kurze Zeit den Titel eines Kaisers trug, sind nicht weniger interessant, als die Aufzeichnungen der Kaiserin selbst, denn sie lebte längere Zeit in engster Intimität mit Katharina.

Man wird sich zwar wundern, daß ihre Erzählung der Ereignisse, besonders was den Tod Peters, die Thronbesteigung Katharinas und den Charakter des Großfürsten betrifft, nicht immer mit den Berichten der Kaiserin von Rußland übereinstimmen. Aber die Ursache davon ist nicht schwer zu erraten. Katharina leugnet direkt in einem Briefe an Poniatowski, was sie bei ihrer Thronbesteigung der Fürstin Daschkoff verdankte. Warum? Weil sie das ganze Verdienst an diesem Ereignis Alexis Orloff, ihrem Geliebten, zukommen lassen wollte. Die Fürstin Daschkoff hingegen hebt sich allzusehr empor, und ihre weibliche Eitelkeit reißt sie zu Behauptungen hin, die nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Gewiß aber ist, daß sie großen Anteil an der Thronumwälzung des Jahres 1763 gehabt hat, wenn auch die Orloffs die Leiter des Ganzen waren. Ueber den Tod Peters sind heute so ziemlich alle Zweifel gehoben, und in dieser Beziehung kommt der Bericht der Fürstin Daschkoff der Wahrheit näher, als das, was Katharina in ihrem Brief an Poniatowski darüber schreibt.

Die Mémoires de Catherine II., écrites par elle-même sind mitunter in einem ziemlich ungelenken, abgerissenen Stil geschrieben, für den zum Teil die verschiedenen Abschreiber des Originalmanuskriptes verantwortlich sein mögen. Soweit es mir angebracht erschien, habe ich diese Stilhärten in der Uebersetzung beibehalten.

G. Kuntze.

Motto

Nicht immer ist das Glück so blind, wie man es sich vorstellt. Es ist oft das Resultat wohlberechneter Maßnahmen, die, von der Allgemeinheit unbemerkt, den Ereignissen vorausgegangen sind. Besonders aber ist es das Ergebnis persönlicher Eigenschaften, des Charakters und der Handlungen.

Um dies etwas mehr verständlich zu machen, komme ich zu folgendem Schluß:

Eigenschaften und Charaktere sollen vorherrschen, die Handlungsweise in zweiter Linie kommen, Glück oder Unglück aber den Schluß bilden.

Zwei merkwürdige Beispiele davon sind:

Peter III. und Katharina II.

Erstes Kapitel.

Die Mutter Peters, eine Tochter Peters I., starb zwei Monate nach seiner Geburt an der Schwindsucht in der kleinen Stadt Kiel in Holstein; vielleicht aber war es auch der Kummer, sich dorthin versetzt zu sehen und so unglücklich verheiratet zu sein, der sie dahinraffte. Herzog Karl Friedrich von Holstein, der Neffe Karls XII., Königs von Schweden, und Vater Peters III., war ein schwacher, häßlicher, kleiner, kränklicher und armer Fürst. Er starb im Jahre 1739 und ließ seinen ungefähr elfjährigen Sohn unter der Vormundschaft seines Vetters Adolf Friedrich, des Bischofs von Lübeck, Herzogs von Holstein und späteren infolge des Friedens von Abo auf die Empfehlung der Kaiserin Elisabeth erwählten Königs von Schweden zurück. Die oberste Leitung der Erziehung Peters III. war den Händen des Oberhofmarschalls Brummer, eines geborenen Schweden, anvertraut. Unter dessen Befehlen standen der Oberkammerherr Berkholz und vier Kammerherren, von denen zwei – Adlerfeldt, der Verfasser einer Geschichte Karls XII., und Wachtmeister – Schweden, die beiden andern – Wolf und Madfeld – Holsteiner waren. Man erzog den Prinzen für den schwedischen Thron an einem, für das Land, in welchem er sich befand, zu großen Hofe, der in verschiedene Parteien gespalten war. Diese haßten sich gegenseitig bitter. Eine jede von ihnen suchte sich des Geistes des jungen Prinzen, den sie bilden sollten, zu bemächtigen und folglich auch ihm die Abneigung gegen die ihnen entgegenstehenden Persönlichkeiten einzuflößen. Der Prinz haßte Brummer im tiefsten Innern seines Herzens und liebte keinen in seiner Umgebung, weil alle ihm unbequem waren.

Seit seinem zehnten Jahre schon zeigte Peter III. eine starke Neigung zum Trunk. Man zwang ihn von frühester Jugend an bei den meisten Festlichkeiten und Vorstellungen bei Hofe gegenwärtig zu sein und verlor ihn weder Tag noch Nacht aus dem Auge. Die einzigen, die er während seiner Kindheit und der ersten Jahre seines Aufenthaltes in Rußland liebte, waren zwei alte Kammerdiener: der Livländer Kramer und der Schwede Rumberg. Letzterer, ein ungebildeter und roher Mensch, der unter Karl XII. Dragoner gewesen war, war ihm der angenehmste. Brummer und folglich auch Berkholz, der alles nur mit den Augen des ersteren ansah, waren natürlich dem prinzlichen Vormund und Regenten ergeben, während alle andern mit diesem und mehr noch mit seiner Umgebung unzufrieden waren.

Als die Kaiserin Elisabeth im Jahre 1741 den russischen Thron bestiegen hatte, schickte sie den Kammerherrn Korf nach Holstein, um ihren Neffen Peter zu holen, den der Prinzregent sofort in Begleitung des Oberhofmarschalls Brummer, der Kammerherren Berkholz und Decken abreisen ließ. Die Freude der Kaiserin bei seiner Ankunft war groß. Bald darauf begab sie sich zu ihrer Krönung nach Moskau, fest entschlossen, den Prinzen zu ihrem Thronerben zu erklären; vorher aber mußte er zur griechisch-katholischen Religion übertreten. Die Feinde des Oberhofmarschalls Brummer, namentlich der Großkammerherr Graf Bestuscheff und Graf Nikita Iwanowitsch Panin, der lange Zeit russischer Gesandter in Schweden gewesen war, behaupteten, überzeugende Beweise in Händen zu haben, daß Brummer, seitdem er die Kaiserin entschlossen sah, ihren Neffen zu ihrem Nachfolger zu erklären, sich ebenso sehr bemühte, Geist und Herz seines Zöglings zu verderben, als er früher bestrebt gewesen war, ihn der schwedischen Krone würdig zu machen. Ich selbst aber habe stets an dieser Abscheulichkeit gezweifelt und geglaubt, daß die Erziehung Peters III. ein Widerstreit unglücklicher Verhältnisse gewesen sind. Im folgenden werde ich erzählen, was ich gesehen und gehört, und schon daraus wird sich vieles bisher Unverständliche aufklären.

Ich sah Peter III. zum ersten Male im Jahre 1739, als er elf Jahre alt war, in Eutin bei seinem Vormund, dem Fürstbischof von Lübeck, einige Monate nach dem Tode seines Vaters, des Herzogs Karl Friedrich. Der Fürstbischof hatte seine ganze Familie bei sich versammelt, um seinen Zögling einzuführen. Meine Großmutter, die Mutter des Fürstbischofs, und meine Mutter, die Schwester desselben, waren zu diesem Zwecke mit mir, die ich damals zehn Jahre zählte, nach Hamburg gekommen. Auch Prinz August und Prinzessin Anna, die Geschwister des prinzlichen Vormundes und Regenten von Holstein, waren anwesend. Bei dieser Gelegenheit hörte ich im Familienkreise davon sprechen, daß der junge Herzog zum Trunke neige und ihn seine Umgebung nur mit Mühe verhindern könne, sich bei Tische zu betrinken. Er sei starrköpfig und jähzornig, liebe seine Umgebung und besonders Brummer sehr wenig; im übrigen aber fehle es ihm nicht an Lebhaftigkeit, obgleich er ein kränkliches und ungesundes Aussehen habe. Und in der Tat, er war sehr blaß, außerordentlich mager und von schwächlicher Konstitution. Diesem Kinde wünschte seine Umgebung das Ansehen eines fertigen Menschen zu geben, zu welchem Zwecke man ihn unaufhörlich belästigte und ihn unter einem Drucke hielt, der ihm jene Falschheit einpflanzen mußte, die seitdem den Kern seines Charakters bildete.

Bald nach seiner Ankunft in Rußland folgte dem holsteinischen Hofe eine schwedische Gesandtschaft, um sich von der Kaiserin ihren Neffen zur Nachfolge auf den schwedischen Thron auszubitten. Aber Elisabeth, die schon, wie oben bemerkt, ihre Absichten durch die Friedenspräliminarien von Abo erklärt hatte, antwortete dem schwedischen Landtage, sie habe ihren Neffen zum Erben des russischen Thrones ernannt und halte sich strikt an die Präliminarien von Abo, welche für Schweden den Prinzregenten von Holstein zum Kronerben bestimmten.

Peter III. wurde also zum Erben Elisabeths und Großfürsten von Rußland erklärt, nachdem er sein Glaubensbekenntnis, dem Ritus der griechischen Religion gemäß, abgelegt hatte. Zum Lehrer erhielt er den nachmaligen Erzbischof von Pleskow, Simon Theodorski. Der Prinz war im strengsten und intolerantesten lutherischen Ritus getauft und erzogen worden. Da er schon von Kindheit an stets jedem Unterricht abgeneigt war, habe ich von seiner Umgebung sagen hören, daß man in Kiel die größte Mühe gehabt, ihn an Sonn- und Festtagen in die Kirche zu führen, sowie ihn die Pflichten der Andachtsübungen erfüllen zu lassen. Auch bei Simon Theodorski soll er sich durch Mangel an religiösem Gefühl ausgezeichnet haben. Besonders aber war Seine kaiserliche Hoheit darauf bedacht, über jeden Punkt zu streiten, und oft wurde seine Umgebung herbeigerufen, um den heftigen Zänkereien ein Ende zu machen, oder sie zu mildern. Endlich, nach vielen Verdrießlichkeiten, unterwarf er sich dem Willen seiner Tante, obgleich er, sei es nun aus Vorurteil, Gewohnheit oder Widerspruchsgeist, oft merken ließ, daß es ihm lieber wäre, nach Schweden zu gehen, als in Rußland zu bleiben. Er behielt Brummer, Berkholz und seine holsteinische Umgebung bis zu seiner Verheiratung bei sich. Nur der Form halber hatte man ihm noch einige andere Lehrer beigegeben: Isaak Wessedowski für die russische Sprache, der indes zuerst sehr selten und später gar nicht mehr kam, ferner Professor Stehlein, der ihn Mathematik und Geschichte lehren sollte, im Grunde aber mit ihm spielte und ihm als Hanswurst diente. Der fleißigste Lehrer war der Balletmeister Laudé, der ihn das Tanzen lehrte.

In seinen inneren Gemächern beschäftigte sich der Großfürst anfangs mit nichts anderem, als ein paar Bediente, die ihm als Kammerdiener beigegeben waren, exerzieren zu lassen. Er gab ihnen Grad und Rang und degradierte sie nach Belieben. Es war die reinste Kinderei. Ueberhaupt war er sehr kindisch, obgleich er schon sechzehn Jahre zählte. Am 9. Februar des Jahres 1744, als der russische Hof in Moskau war, kam ich mit meiner Mutter dort an. Der russische Hof war damals in zwei große Parteien gespalten. An der Spitze der einen, die sich aus ihrem Verfall zu erheben begann, stand der Vizekanzler Graf Bestuscheff-Rjumin. Er wurde weit mehr gefürchtet als geliebt, war ein äußerst intriganter und argwöhnischer Mensch, fest und unerschrocken in seinen Grundsätzen, ziemlich tyrannisch, ein unversöhnlicher Feind, aber Freund seiner Freunde, die er nur verließ, wenn sie selbst ihm den Rücken kehrten; übrigens schwierig im Umgang und oft kleinlich. Er stand an der Spitze der auswärtigen Angelegenheiten. Da er die Umgebung der Kaiserin zu bekämpfen hatte, war er vor der Reise nach Moskau ein wenig im Nachteile, begann sich aber bald zu erheben. Er hielt es mit den Höfen von Wien, Sachsen und England, und meine und meiner Mutter Ankunft war ihm daher nicht angenehm, denn sie war das geheime Werk der ihm feindlich gesinnten Partei. Obgleich die Feinde des Grafen Bestuscheff sehr zahlreich waren, so zitterten doch alle vor ihm. Er hatte vor ihnen den Vorteil seiner Stellung und seines Charakters voraus, der ihn weit über die Politiker der Vorzimmer erhob.

Die Bestuscheff entgegengesetzte Partei stand auf seiten Frankreichs, seines Schützlings Schweden und des Königs von Preußen. Der Marquis de La Chétardie war ihre Seele, und die von Holstein gekommenen Hofleute waren ihre Matadore. Sie hatten Lestocq, einer der Hauptbeteiligten an der Revolution, welcher die Kaiserin Elisabeth auf den russischen Thron gebracht hatte, für sich gewonnen, und dieser war einer der ersten Vertrauten der Kaiserin. Seit dem Tode der Kaiserin Katharina I. war er Elisabeths Leibarzt gewesen, hatte der Mutter sowie der Tochter große Dienste geleistet, und es fehlte ihm weder an Geist, noch Schlauheit und Intrige, aber er war schlecht und von finsterem und bösem Charakter. Alle jene Fremden unterstützten diese Partei und drängten besonders den Grafen Michael Woronzow vor, der ebenfalls an der Revolution teilgenommen und Elisabeth in der Nacht, als sie den Thron bestieg, begleitet hatte. Sie hatte ihm die Nichte der Kaiserin Katharina I., Gräfin Anna Karlowna Skawronski, zur Frau gegeben, welche in der Nähe der Kaiserin Elisabeth erzogen und ihr sehr ergeben war. Auch Graf Alexander Rumianzoff, der Vater des Marschalls, stand auf seiten dieser Partei. Er hatte den Frieden von Abo mit Schweden unterzeichnet, einen Frieden, bei dem Bestuscheff wenig zu Rate gezogen worden war. Außerdem zählten sie den Generalprokurator Trubetzkoi, sowie die ganze Familie dieses Namens und folglich auch den Prinzen von Hessen-Homburg, der eine Prinzessin Trubetzkoi geheiratet hatte, zu ihren Anhängern. Obgleich damals sehr angesehen, war der Prinz von Hessen-Homburg eigentlich nichts durch sich selbst; sein ganzes Ansehen verdankte er nur der zahlreichen Familie seiner Frau, deren Vater und Mutter damals noch lebten, und von denen besonders die Mutter großen Einfluß auf den russischen Thron hatte.

Die übrige Umgebung der Kaiserin bestand damals aus der Familie Schuwaloff. Diese hielt in jeder Beziehung dem Oberjägermeister Razumowski das Gleichgewicht, der für den Augenblick der erklärte Günstling war.

Graf Bestuscheff wußte von ihnen Nutzen zu ziehen, aber seine Hauptstütze war der Baron Tscherkassoff, Kabinettssekretär der Kaiserin, der schon im Kabinett Peters I. gedient hatte. Er war ein roher und starrköpfiger Mensch, der Ordnung und Gerechtigkeit wollte und alles im gewohnten Gange zu halten wünschte. Der Rest des Hofes stellte sich auf die eine oder die andere Seite, je nach seinen persönlichen Interessen und Ansichten.

Wie es schien, freute sich der Großfürst über die Ankunft meiner Mutter und über die meinige sehr. Während der ersten Tage bewies er mir, der fast Fünfzehnjährigen, viele Aufmerksamkeiten. Aber während dieses kurzen Zeitraumes sah und begriff ich nur zu gut, daß er sich aus der Nation, über die er zu herrschen bestimmt war, sehr wenig machte, an seinem lutherischen Glauben festhielt, seine Umgebung nicht liebte und sehr kindisch war. Ich schwieg meist und hörte ihm zu, was mir sofort sein Vertrauen gewann. Dabei erinnere ich mich, daß er mir unter anderem auch sagte, was ihm am meisten an mir gefalle, sei, daß ich seine Cousine wäre und er mit mir als seiner Verwandten rückhaltslos sprechen könne. Darauf erzählte er mir, daß er in eine der Ehrendamen der Kaiserin verliebt sei, die nach dem Unglück ihrer Mutter, einer Madame Lapukin, welche nach Sibirien verdammt worden war, den Hof hätte verlassen müssen. Er habe sehr gewünscht, sie zu heiraten, sei aber jetzt fest entschlossen, sich mit mir zu vermählen, weil es seine Tante befehle. Errötend hörte ich diese verwandtschaftlichen Mitteilungen an und dankte ihm für sein vorzeitiges Vertrauen; aber im Grunde meines Herzens betrachtete ich mit Erstaunen seine Unvorsichtigkeit und den Mangel an Urteil über viele Verhältnisse.

Zehn Tage nach meiner Ankunft in Moskau, es war an einem Sonnabend, begab sich die Kaiserin ins Kloster Troitza, während der Großfürst bei uns in Moskau blieb. Man hatte mir schon drei Lehrer gegeben: Simon Theodorski, um mich in der griechischen Religion zu unterrichten, Basil Abaduroff für die russische Sprache und den Ballettmeister Laudé für den Tanz. Um schnellere Fortschritte in der russischen Sprache zu machen, stand ich des Nachts auf und lernte, während alles schlief, die mir von Abaduroff gegebenen Hefte auswendig. Da mein Zimmer warm war und ich keine Erfahrungen hinsichtlich des Klimas hatte, unterließ ich es, mir Schuhe und Strümpfe anzuziehen und studierte so wie ich aus dem Bett kam. In der Folge wurde ich nach vierzehn Tagen von einer Brustfellentzündung befallen, die mich hinwegzuraffen drohte. Sie begann am Dienstage nach der Abreise der Kaiserin mit einem Schüttelfroste, als ich mich eben angekleidet hatte, um mit meiner Mutter beim Großfürsten zu Mittag zu speisen. Nur mit Mühe erhielt ich von meiner Mutter die Erlaubnis, mich zu Bett zu legen. Als sie vom Diner zurückkehrte, fand sie mich fast besinnungslos, fieberhaft heiß und mit einem unerträglichen Schmerz in der Seite. Sie glaubte, ich würde die Pocken bekommen, schickte nach Aerzten und forderte, daß sie mich demgemäß behandelten. Die Aerzte behaupteten, man müsse mir zur Ader lassen, sie aber verweigerte ihre Zustimmung, weil man, wie sie sagte, durch Aderlaß ihren Bruder in Rußland an den Pocken habe sterben lassen, und sie wolle nicht, daß mir dasselbe geschähe. Die Aerzte und die Umgebung des Großfürsten, welche die Pocken nicht gehabt hatten, schickten nun einen genauen Bericht über den Stand der Dinge an die Kaiserin, während ich im Bette lag, umgeben von meiner Mutter und den Aerzten, die miteinander stritten, bewußtlos, im hitzigsten Fieber und mit einem Schmerz in der Seite, der mir furchtbare Leiden verursachte und Seufzer entriß, wofür meine Mutter mich schalt und von mir verlangte, daß ich meine Leiden geduldig ertrage.

Endlich am Sonnabend Abend um sieben Uhr, also am fünften Tage meiner Krankheit, kam die Kaiserin aus dem Kloster Troitza zurück. Sowie sie ihren Wagen verlassen hatte, begab sie sich in mein Zimmer, wo sie mich ohne Besinnung fand. Mit ihr kamen der Graf Lestocq und ein Wundarzt, und nachdem sie den Rat der Aerzte gehört, setzte sie sich selbst auf den Rand meines Bettes und befahl, mir sofort zur Ader zu lassen. In dem Augenblick, wo dies geschah, kam ich wieder zu mir und sah mich, als ich die Augen öffnete, in den Armen der Kaiserin, welche mich stützte. Siebenundzwanzig Tage schwebte ich zwischen Leben und Tod, während man mir sechzehnmal zur Ader ließ, und bisweilen viermal an einem Tage. Meine Mutter durfte kaum noch mein Zimmer betreten. Sie widersetzte sich fortwährend gegen diese häufigen Aderlässe und behauptete öffentlich, man wolle mich umbringen. Schließlich aber begann sie sich doch zu überzeugen, daß ich die Pocken nicht bekommen würde. Die Kaiserin hatte die Gräfin Rumianzoff und mehrere andere Damen zu mir geschickt, und es schien, als ob man dem Urteile meiner Mutter mißtraue. Endlich öffnete sich der innerliche Abszeß an meiner rechten Seite durch die Bemühungen des portugiesischen Arztes Sanches. Ich brach ihn aus, und von diesem Augenblick an kehrte mein Bewußtsein vollkommen zurück. Sofort aber bemerkte ich, daß das Benehmen meiner Mutter während meiner Krankheit ihr die Mißbilligung aller zugezogen hatte. Als sie mich sehr krank sah, wollte sie einen lutherischen Pastor zu mir rufen lassen, und man sagte mir später, daß man einen Augenblick, wo ich bei Bewußtsein war, benutzte, mir diesen Vorschlag zu machen, daß ich jedoch antwortete: »Wozu? schickt lieber nach Simon Theodorski; mit diesem will ich gerne sprechen.« Man holte ihn, und er sprach mit mir in Gegenwart der Anwesenden auf eine Weise, die jedermann befriedigte. Dies machte einen sehr guten Eindruck auf die Kaiserin und den ganzen Hof.

Aber noch ein anderer kleinerer Umstand schadete meiner Mutter sehr. Um Ostern ließ sie mir eines Morgens durch eine Kammerfrau sagen, ich möchte ihr einen blauen, silberdurchwirkten Stoff abtreten, den mir mein Onkel bei meiner Abreise nach Rußland geschenkt hatte, weil ich großen Gefallen daran fand. Ich ließ ihr erwidern, es stehe ganz bei ihr, ihn zu nehmen, obgleich ich ihn sehr liebe, weil ihn mir mein Onkel, als er gesehen, daß er mir gefalle, geschenkt habe. Da nun die Personen meiner Umgebung merkten, daß ich meinen Stoff nur ungern hergab, und bedachten, wie lange ich zwischen Leben und Tod geschwebt, und seit wie wenigen Tagen ich mich erst etwas besser fühlte, besprachen sie unter einander die Unklugheit meiner Mutter, einem sterbenden Kinde das geringste Vergnügen zu mißgönnen, während sie, statt diesen Stoff an sich zu reißen, ihn lieber gar nicht hätte erwähnen sollen. Man erzählte den Vorgang der Kaiserin, die mir auf der Stelle mehrere reiche und prächtige Stoffe schickte, unter andern auch einen blauen silberdurchwirkten. Meiner Mutter jedoch schadete dies bei ihr ungemein, und man beschuldigte sie, weder Zärtlichkeit noch Schonung für mich zu empfinden, während meiner Krankheit hatte ich mich daran gewöhnt, die Augen geschlossen zu halten, so daß man glaubte, ich schliefe; dann sprachen die Gräfin Rumianzoff und die andern Damen unter sich, was sie auf dem Herzen hatten, wodurch ich viele Dinge erfuhr.

Als es mir ein wenig besser ging, brachte der Großfürst den Abend im Zimmer meiner Mutter zu, welches auch das meinige war. Er und alle andern schienen das größte Interesse an meinem Zustande zu nehmen, und die Kaiserin hatte sogar oft Tränen in den Augen. Endlich, am 21. April 1744, meinem fünfzehnten Geburtstage, war ich imstande, zum ersten Male nach dieser schrecklichen Krankheit in Gesellschaft zu erscheinen.

Ich glaube, man war über meinen Anblick nicht sehr erbaut. Ich war mager wie ein Skelett geworden, war gewachsen, aber mein Gesicht und meine Züge hatten sich verlängert, die Haare fielen mir aus und ich war totenbleich. Ich selbst fand mich zum Erschrecken häßlich und konnte meine Züge kaum wiedererkennen. Die Kaiserin schickte mir auch deshalb einen Schminktopf und befahl mir, etwas Rot aufzulegen.

Mit dem Beginne des Frühlings und des schönen Wetters hörte die uns vom Großfürsten bewiesene Teilnahme auf. Er zog es vor, spazieren zu gehen oder in der Umgebung von Moskau zu schießen. Zuweilen jedoch aß er mit uns zu Mittag oder zu Abend und setzte dann seine kindischen Geständnisse gegen mich fort, während seine Umgebung sich mit meiner Mutter unterhielt. Diese empfing sehr viel Besuch und es fanden bei ihr häufig Unterredungen statt, welche den nicht daran Beteiligten äußerst mißfielen. Besonders war dies bei dem Grafen Bestuscheff der Fall, dessen Feinde sich bei uns versammelten, unter andern auch der Marquis de La Chétardie, der damals zwar noch keine offizielle Stellung im Staate einnahm, aber schon seine Beglaubigungsschreiben als Gesandter des französischen Hofes in der Tasche hatte.

Im Mai begab sich die Kaiserin wieder ins Kloster Troitza, wohin der Großfürst, ich und meine Mutter ihr folgten. Schon seit einiger Zeit begann die Kaiserin meine Mutter mit großer Kälte zu behandeln, und die Ursache davon sollten wir bald im Kloster Troitza erfahren. Eines Nachmittags, als der Großfürst in unserem Zimmer war, trat die Kaiserin plötzlich ein und forderte meine Mutter auf, ihr in das anstoßende Gemach zu folgen. Graf Lestocq begleitete sie beide, während der Großfürst und ich uns unterdessen ans Fenster setzten. Die Unterredung dauerte sehr lange. Endlich sahen wir den Grafen Lestocq heraustreten, der im Vorübergehen sich dem Großfürsten und mir näherte, und als er uns lachen sah, sagte: »Diese große Heiterkeit wird bald ein Ende haben.« Und dann, gegen mich gewandt, fuhr er fort: »Sie haben weiter nichts zu tun, als Ihr Gepäck in Ordnung zu bringen, denn Sie werden sofort nach Hause zurückkehren.« Als der Großfürst wissen wollte, weshalb, antwortete Lestocq: »Das werden Sie später erfahren.« Dann ging er hinaus, um seinen mir unbekannten Auftrag auszurichten, uns, den Großfürsten und mich, unsern Gedanken über das eben Gehörte überlassend. Die Bemerkungen des Großfürsten waren in Worten, die meinigen in Gedanken. Er sagte: »Aber wenn Ihre Mutter Fehler begangen hat, so haben Sie doch nicht auch welche begangen,« worauf ich ihm erwiderte: »Meine Pflicht ist, meiner Mutter zu folgen und zu tun, was sie mir befiehlt.« Uebrigens sah ich deutlich, daß er mich ohne großes Bedauern verlassen haben würde, was mich betraf, so war er mir bei seiner Sinnesart ziemlich gleichgültig, aber die Krone von Rußland war es mir nicht. – Endlich öffnete sich die Tür des Schlafzimmers, und die Kaiserin trat mit hochrotem Gesicht und erzürnter Miene heraus. Meine Mutter folgte ihr mit geröteten und tränenerfüllten Augen. Als wir uns beeilten, von der ziemlich hohen Fensterbank, auf die wir uns gesetzt hatten, hinabzuspringen, mußte die Kaiserin lächeln, küßte uns beide und ging. Nachdem sie sich entfernt hatte, erfuhren wir allmählich, um was es sich handelte.

Der Marquis de La Chétardie, der früher – oder besser gesagt, bei seiner ersten Gesandtschaftsreise nach Rußland – die Gunst und das Vertrauen der Kaiserin in hohem Maße besessen hatte, sah sich bei seiner zweiten Reise in seinen Hoffnungen getäuscht. In seinen Reden zwar mäßigte er sich, seine Briefe aber waren voll der bittersten Galle. Man hatte sie geöffnet und entziffert, in ihnen die Einzelheiten seiner Unterhaltungen mit meiner Mutter und vielen andern Personen über die Zeitverhältnisse und zwar in einem der Kaiserin ungünstigen Sinne entdeckt, und es war der Befehl erteilt worden, den Marquis de La Chétardie, der so wenig Diplomatie gezeigt, des Landes zu verweisen. Man nahm ihm den St. Andreasorden und das Porträt der Kaiserin, ließ ihm indes alle sonstigen Kostbarkeiten, die er einst von ihr zum Geschenk erhalten. Ich weiß indes nicht, ob es meiner Mutter gelang, sich vor der Kaiserin zu rechtfertigen, aber aus unserer Abreise wurde nichts. Meine Mutter jedoch wurde stets mit großer Zurückhaltung und Kälte behandelt. Es ist mir unbekannt, was zwischen ihr und de La Chétardie vorgefallen war, aber ich erinnere mich, daß er sich eines Tages an mich wandte und mich beglückwünschte, mein Haar mit Bändern geschmückt zu haben. Darauf erwiderte ich ihm: »Um der Kaiserin zu gefallen, würde ich mich auf jede mögliche Art frisieren, die sie liebt.« Als er dies hörte, wandte er sich ab, entfernte sich nach einer andern Seite und sprach nicht wieder mit mir.

Mit dem Großfürsten nach Moskau zurückgekehrt, isolierte man meine Mutter und mich noch mehr als zuvor, wir erhielten weniger Besuch, und ich wurde zur Ablegung meines Glaubensbekenntnisses vorbereitet. Für diese Zeremonie setzte man den 28. Juni, und den darauffolgenden, den Peterstag, für meine Verlobung mit dem Großfürsten fest. Ich erinnere mich, daß der Marschall Brummer während dieser Zeit wiederholt Klagen über seinen Zögling bei mir vorbrachte, und mich dazu verwenden wollte, seinen Großfürsten zu bessern oder anzufeuern. Aber ich sagte ihm, das sei mir unmöglich, denn dadurch würde ich ihm ebenso verhaßt werden, wie es seine Umgebung schon wäre.

Damals schloß meine Mutter sich eng an den Prinzen und die Prinzessin von Hessen an, mehr aber noch an den Bruder der letzteren, den Kammerherrn von Retzki. Diese Freundschaft aber mißfiel der Gräfin Rumianzoff, dem Marschall Brummer, kurz, jedermann. Während sie mit ihren Freunden in ihrem Zimmer war, beschäftigten der Großfürst und ich uns damit, im Vorzimmer, in welchem uns niemand störte, umherzulärmen, denn an jugendlich-kindlicher Lebhaftigkeit fehlte es uns beiden nicht.

Im Juli feierte die Kaiserin das Fest des mit Schweden geschlossenen Friedens, bei welcher Gelegenheit für mich, als verlobte Großfürstin von Rußland, ein Hofstaat eingerichtet wurde. Gleich nach diesem Feste ließ uns die Kaiserin nach Kiew abreisen. Sie selbst folgte uns einige Tage später, wir reisten in kleinen Tagereisen; meine Mutter und ich, die Gräfin Rumianzoff und eine Ehrendame meiner Mutter in einem, der Großfürst, Brummer, Berkholz und Decken in einem andern Wagen. Eines Nachmittags wollte der Großfürst, der sich in Gesellschaft seiner Erzieher langweilte, mit meiner Mutter und mir fahren. Sowie er aber in unserm Wagen saß, weigerte er sich, ihn wieder zu verlassen. Hierauf war meine Mutter, die es langweilte, Tag für Tag mit mir und ihm zu fahren, darauf bedacht, die Gesellschaft zu vergrößern. Sie teilte ihre Absicht den jungen Herren unseres Gefolges mit, unter denen sich auch Fürst Galitzin – der nachmalige Marschall dieses Namens – und Graf Zacharias Czernitscheff befanden. Man nahm einen der Reisewagen, welche unsere Betten trugen, stellte rings herum Bänke hinein, und Tags darauf bestiegen wir ihn, der Großfürst, meine Mutter, ich, Fürst Galitzin, Graf Czernitscheff und ein bis zwei der jüngsten Herren unseres Gefolges. Auf diese Weise legte die Gesellschaft in unserm Wagen den Rest der Reise sehr vergnügt zurück. Aber alle, die nicht mit uns fuhren, empörten sich dagegen, und besonders mißfiel dies dem Oberhofmarschall Brummer, dem Oberkammerherrn Berkholz, der Gräfin Rumianzoff, der Ehrendame meiner Mutter, aufs höchste, weil sie nicht mit dabei waren. Und während wir unterwegs lachten, langweilten und ärgerten sie sich.

So kamen wir nach drei Wochen in Koselsk an, wo wir weitere drei Wochen auf die Kaiserin warteten, deren Reise unterwegs durch verschiedene Zwischenfälle verzögert worden war. Wir erfuhren in Koselsk, daß sie unterwegs mehrere Personen ihres Gefolges verbannt habe und in sehr übler Laune sei. Endlich, Mitte August, kam sie in Koselsk an, und wir blieben dort mit ihr bis Ende August. Hier spielte man vom Morgen bis zum Abend in einem großen Saale inmitten des Hauses Pharo, und zwar sehr hoch. Uebrigens wohnten wir sehr eng. Meine Mutter und ich schliefen in demselben Zimmer, die Gräfin Rumianzoff und die Ehrendame meiner Mutter im Vorzimmer, und ebenso alle andern. Eines Tages kam der Großfürst in das Zimmer meiner Mutter, als sie eben mit Schreiben beschäftigt war. Neben ihr stand ihr Geldkasten geöffnet, und er wollte aus Neugier darin herumsuchen. Meine Mutter jedoch sagte ihm, er solle ihn nicht anrühren, und er entfernte sich auch wirklich, um im Zimmer umherzuspringen. Als er aber, um mich zum Lachen zu bringen, bald nach dieser, bald nach jener Seite sprang, blieb er an dem Deckel des offenen Geldkastens hängen und warf ihn um. Nun wurde meine Mutter böse, und es entspann sich zwischen ihnen ein heftiger Wortwechsel. Meine Mutter beschuldigte ihn, den Geldkasten absichtlich umgestoßen zu haben, er wiederum beklagte sich über ihre Ungerechtigkeit, und beide wandten sich an mich, um mein Zeugnis anzurufen. Da ich die Gemütsart meiner Mutter kannte, fürchtete ich Ohrfeigen zu bekommen, wenn ich nicht ihrer Meinung wäre; ebensowenig aber wollte ich lügen, als dem Großfürsten mißfallen, und befand mich also zwischen zwei Feuern. Dennoch sagte ich meiner Mutter, ich glaubte nicht, daß Absichtlichkeit bei dem Großfürsten vorgelegen habe, sondern sein Rock wäre beim Springen an dem Deckel des Kastens hängen geblieben, der auf einem schmalen Tabourett stand. Nun wandte sich meine Mutter gegen mich, denn wenn sie erzürnt war, mußte sie irgend jemand haben, an dem sie ihre Wut auslassen konnte. Ich schwieg und fing an zu weinen. Als der Großfürst sah, wie der ganze Zorn meiner Mutter mich traf, weil ich ein Zeugnis zu seinen Gunsten abgegeben, und daß ich weinte, klagte er meine Mutter der Ungerechtigkeit an und antwortete wütend auf ihre Zornesausbrüche. Sie ihrerseits sagte ihm, er sei ein schlecht erzogener kleiner Junge; kurz, man kann einen Zank kaum weiter treiben, ohne handgreiflich zu werden, was sie schließlich aber doch nicht taten. Seitdem war der Großfürst meiner Mutter gram, und nie vergaß er ihr diesen Streit. Meine Mutter ließ es gleichfalls an Bitterkeit ihm gegenüber nicht fehlen, und ihre Art, mit einander zu verkehren, zog fortwährend Unannehmlichkeiten, Mißtrauen und gereizte Stimmung nach sich. Selbst in meiner Gegenwart wußten sie dies nicht zu verbergen. Vergebens bemühte ich mich, sie zu besänftigen, was mir indes nur in ganz seltenen Augenblicken gelang, und dann auch nur auf kurze Zeit. Immer hatten sie Sarkasmen gegen einander zur Hand. Meine Lage wurde dadurch von Tag zu Tag peinlicher; der einen suchte ich zu gehorchen, dem andern zu gefallen. Wirklich öffnete mir der Großfürst damals sein Herz mehr als allen andern, denn er sah, daß meine Mutter häufig gegen mich losfuhr, wenn sie mit ihm nicht anbinden konnte. Natürlich schadete mir das in seinen Augen nicht, weil er sich meiner dadurch versichert hielt.

Zweites Kapitel.

Am 29. August zogen wir endlich in Kiew ein. wir blieben zehn Tage dort und kehrten darauf nach Moskau, ganz und gar in derselben Weise wie wir gekommen waren, zurück.

In Moskau verging dann der ganze Herbst mit Theater, Ballett und Hofmaskeraden. Trotz aller Feste aber bemerkte man, daß die Kaiserin häufig verstimmt war. Eines Tages, als meine Mutter und ich mit dem Großfürsten in einer der kaiserlichen gegenüberliegenden Loge im Theater saßen, bemerkte ich, daß die Kaiserin sehr heftig und aufgebracht mit dem Grafen Lestocq sprach. Als sie zu Ende geredet, verließ Lestocq sie, kam in unsere Loge, näherte sich mir und sagte: »Haben Sie gesehen, wie die Kaiserin mit mir gesprochen hat?« Ich antwortete bejahend. »Nun,« fuhr er fort, »sie ist sehr böse auf Sie.« – »Auf mich? und weshalb?« erwiderte ich. »Weil Sie viel Schulden gemacht haben. Als sie Prinzessin gewesen, habe sie ebenfalls keine andere Einnahme gehabt und noch dazu für ein ganzes Haus sorgen müssen, doch sie habe sich gehütet, Schulden zu machen, weil sie gewußt, daß niemand dieselben für sie bezahlen werde.« Er sagte dies alles in einem ärgerlichen, trockenen Ton, wahrscheinlich, damit die Kaiserin aus ihrer Loge sehen sollte, wie er sich seines Auftrages entledigte. Die Tränen traten mir in die Augen, aber ich schwieg. Nachdem er ausgeredet, entfernte er sich. Der Großfürst, der neben mir saß und den größten Teil unserer Unterhaltung gehört hatte, fragte mich nach dem, was er nicht verstanden und gab mir dann mehr durch Mienen als durch Worte zu verstehen, daß er der Meinung seiner Frau Tante sei und es ganz recht finde, daß man mich gescholten habe. Dies entsprach durchaus seiner Art und Weise: er glaubte sich der Kaiserin angenehm zu machen, indem er auf ihre Ansichten einging, wenn sie jemand zürnte. Als meine Mutter hörte, um was es sich handele, erklärte sie, man habe ja alle möglichen Mittel angewandt, mich ihrer Autorität zu entziehen und mich in den Stand gesetzt, ohne ihren Rat zu handeln, so daß sie ihre Hände in Unschuld wasche. So nahmen sie beide gegen mich Partei.

Ich selbst wünschte nichts mehr, als meine Angelegenheiten sofort in Ordnung zu bringen und forderte am nächsten Tag meine Rechnungen. Aus diesen ersah ich, daß sich meine Ausgaben auf 17 000 Rubel beliefen. Vor der Abreise von Moskau nach Kiew hatte die Kaiserin mir 15 000 Rubel und eine große Kiste mit sehr einfachen Kleidungsstoffen gegeben, obgleich ich mich reich kleiden sollte. So betrug denn am Ende meine ganze Schuld 2000 Rubel, was mir keine unmäßige Summe schien. Uebrigens hatten mich verschiedene Umstände in Unkosten gestürzt.

Erstens war ich mit einer sehr unvollständigen Ausstattung nach Rußland gekommen. Wenn ich drei oder vier Kleider hatte, so war dies das höchste, und das an einem Hofe, wo man den Anzug täglich dreimal wechselt. Meine ganze Wäsche bestand aus einem Dutzend Hemden, und die Bettücher gebrauchte ich von meiner Mutter.

Zweitens hatte man mir gesagt, daß man in Rußland gern Geschenke empfinge, daß man sich durch Großmut Freunde erwerbe und sich gern gesehen mache.

Drittens hatte man mir die verschwenderischste Frau in ganz Rußland beigegeben, die Gräfin Rumianzoff, die immer von Kaufleuten umringt war und mir täglich eine Menge Sachen zeigte, die sie mich aufforderte, zu kaufen, und die ich häufig nur nahm, um sie ihr zu schenken, weil sie großes Verlangen danach hatte.

Dazu kostete mich der Großfürst viel, weil er ungeheuer gierig nach Geschenken war.

Auch die Verstimmung meiner Mutter war leicht gehoben, sobald man sie mit etwas erfreute, was ihr gefiel, und da sie sich damals häufig besonders gegen mich übelgelaunt zeigte, vernachlässigte ich nicht, dies von mir entdeckte Mittel in Anwendung zu bringen. Die Mißstimmung meiner Mutter rührte meist daher, daß sie bei der Kaiserin in vollkommener Ungnade stand und diese sie oft kränkte und demütigte. Außerdem sah sie nicht ohne Mißfallen, daß ich vor ihr den Vortritt hatte, was ich, so oft es möglich war, vermied; aber bei öffentlichen Gelegenheiten ließ sich nichts daran ändern. Ueberhaupt hatte ich mir zur Regel gemacht, ihr die größte Achtung und Ergebenheit zu beweisen, doch half mir dies wenig. Bei jeder Veranlassung entschlüpften ihr Ausdrücke der Bitterkeit, welche ihre Lage nicht besserten und die Menschen nicht zu ihren Gunsten einnahmen.

Unter den Personen, die meiner Mutter schadeten, war besonders die Gräfin Rumianzoff, die durch Hin- und Herreden und Klatschereien am meisten dazu beitrug, sie bei der Kaiserin in ein schlechtes Licht zu setzen. Jener achtsitzige Wagen auf der Reise nach Kiew spielte dabei eine große Rolle. Alle Alten waren davon ausgeschlossen, alle Jungen zugelassen worden. Der Himmel weiß, welche Bedeutung man diesem in Wirklichkeit so unschuldigen Vergnügen beigemessen hatte. Das wahrscheinlichste aber ist, daß alle diejenigen, die durch ihren Rang eigentlich hätten zugelassen werden sollen, sich darüber ärgerten, daß man ihnen andere, die unterhaltender waren als sie, vorzog. Im Grunde aber rührte die Sache daher, daß man Betzki und die Trubetzkois, in die meine Mutter großes Vertrauen setzte, nicht an der Reise nach Kiew hatte teilnehmen lassen. Hieran waren Brummer und die Gräfin Rumianzoff sicher schuld, und der achtsitzige Wagen, in den man sie nicht mit Platz nehmen ließ, war eine Art Rache von meiner Mutter.

Im November bekam der Großfürst in Moskau die Masern. Da ich dieselben noch nicht gehabt, wandte man Vorsichtsmaßregeln an, um mich vor Ansteckung zu bewahren. Die Umgebung des Prinzen kam nicht mehr zu uns, und alle Vergnügungen hörten mit einem Male auf. Sobald er aber genesen, reisten wir zu Anfang des Winters von Moskau nach Petersburg; meine Mutter und ich in einem, der Großfürst und Brummer in einem anderen Schlitten. Wir feierten den 18. Dezember, den Geburtstag der Kaiserin, in Twer und setzten Tags darauf unsere Reise fort. Als wir die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatten und in dem Flecken Chotilowo angekommen waren, fühlte sich der Großfürst, als er des Abends in meinem Zimmer war, plötzlich unwohl. Man brachte ihn in das seinige und legte ihn zu Bett. Während der Nacht litt er an heftigem Fieber. Den folgenden Morgen begaben wir uns, meine Mutter und ich, in sein Zimmer, um ihn zu besuchen. Allein kaum hatte ich die Türschwelle überschritten, als Graf Brummer mir entgegenkam und mir empfahl, nicht weiter zu gehen. Natürlich wollte ich die Ursache wissen, und er sagte mir, daß Pockenflecken beim Großfürsten zum Vorschein gekommen wären. Da ich die Pocken nicht gehabt hatte, führte mich meine Mutter schnell hinweg, und es wurde beschlossen, daß sie und ich noch an demselben Tag nach Petersburg abreisen sollten, während der Großfürst und seine Umgebung in Chotilowo zurückblieben. Auch die Gräfin Rumianzoff und die Ehrendame meiner Mutter blieben dort, um, wie man sagte, den Kranken zu pflegen. Man hatte sofort einen Kurier an die Kaiserin abgeschickt, die vor uns abgereist und schon in Petersburg angekommen war. Kurz vor Nowgorod trafen wir sie. Sie hatte, als man ihr die Nachricht übermittelte, daß die Pocken bei dem Großfürsten ausgebrochen seien, Petersburg sogleich verlassen, um sich zu ihm nach Chotilowo zu begeben, und hielt sich dort solange auf, als die Krankheit währte. Sowie die Kaiserin uns sah, ließ sie, obgleich es mitten in der Nacht war, ihren und unsern Schlitten halten und fragte, wie sich der Großfürst befinde. Meine Mutter sagte ihr alles, was sie wußte, worauf die Kaiserin dem Kutscher weiter zu fahren befahl und auch wir unsere Fahrt nach Nowgorod fortsetzten, wo wir gegen Morgen eintrafen.

Es war Sonntag und ich ging zur Messe. Dann dinierten wir. Als wir eben wieder abfahren wollten, kamen der Kammerherr Fürst Galitzin und der Kammerkavalier Zacharias Czernitscheff von Moskau an, die im Begriff waren, nach Petersburg zu reisen. Meine Mutter war gegen den Fürsten Galitzin sehr erzürnt, daß er mit dem Grafen Czernitscheff reiste, weil dieser ich weiß nicht welche Lüge gesagt haben sollte. Sie behauptete, man müsse ihn fliehen wie einen gefährlichen Menschen, der nach Belieben Geschichten erdichte. Sie schmollte also mit beiden. Da man sich indes bei diesem Schmollen zum Sterben langweilte, und man außerdem nicht viel Auswahl hatte, da sie ferner viel unterrichteter waren und angenehmer plauderten als die andern, so stimmte ich nicht mit meiner Mutter überein, was mir ihrerseits mehrere bittere Bemerkungen zuzog.

Endlich kamen wir in Petersburg an und wurden in einem der zum Hofe gehörenden Häuser einquartiert. Da aber das Schloß, worin die Kaiserin wohnte, nicht geräumig genug war, um auch den Großfürsten darin unterzubringen, bewohnte er ein zwischen dem Palaste und dem unsrigen liegendes Haus. Meine Zimmer befanden sich im linken, die meiner Mutter im rechten Flügel des Schlosses. Sowie meine Mutter diese Anordnung bemerkte, ärgerte sie sich darüber, erstens, weil es ihr schien, als seien meine Zimmer besser gelegen als die ihren, zweitens, weil die ihrigen von den meinigen durch einen gemeinsamen Saal getrennt waren. In Wahrheit hatte jede von uns vier Zimmer, zwei nach vorn und zwei nach dem Hofe. Sie waren ganz gleich und ohne Unterschied mit blauen und roten Möbeln ausgestattet. Was aber am meisten dazu beitrug, meine Mutter aufzubringen, war, daß mir die Gräfin Rumianzoff in Moskau den Plan des Hauses auf Befehl der Kaiserin gezeigt, mir verboten, davon zu sprechen und mich zu Rate gezogen hatte, wie man uns einlogieren sollte. Da die Zimmer aber ganz gleich waren, konnte von einer Wahl nicht die Rede sein. Ich sagte dies der Gräfin, die mir bemerkte, daß es der Kaiserin angenehmer sei, wenn ich für mich wohnte, statt, wie in Moskau, mit meiner Mutter die Wohnung zu teilen. Diese Einrichtung gefiel auch mir bei weitem besser, weil ich mich in den Zimmern meiner Mutter sehr unbehaglich fühlte und ihre Gesellschaft buchstäblich niemand zusagte. Meine Mutter mußte wohl ahnen, daß man mir jenen Plan vorgelegt, und sprach davon, worauf ich ihr ganz einfach erzählte, was vorgefallen. Sie schalt mich, daß ich ihr die Sache verheimlicht hätte, doch ich erwiderte, man habe mir verboten, davon zu reden, worin sie indes keinen Grund zum Schweigen sehen wollte. Ueberhaupt bemerkte ich, wie sie von Tag zu Tag gereizter gegen mich wurde und ziemlich mit allen in gespanntem Verhältnis lebte, so daß sie weder mehr zum Diner noch zum Souper erschien, sondern sich in ihrem Zimmer servieren ließ. Nichtsdestoweniger besuchte ich sie drei- bis viermal am Tage; den Rest meiner Zeit benutzte ich, die russische Sprache zu erlernen, Klavier zu spielen und Bücher zu lesen, die ich mir selbst gekauft. So war ich denn mit fünfzehn Jahren für mein Alter einsam und fleißig genug.

Gegen Ende unseres Aufenthaltes in Moskau kam eine schwedische Gesandtschaft, an deren Spitze der Senator Cederkreutz stand. Kurz darauf traf auch Graf Gyllenburg ein, um der Kaiserin von der Vermählung des Kronprinzen von Schweden, des Bruders meiner Mutter, mit einer schwedischen Prinzessin Anzeige zu machen. Wir kannten Graf Gyllenburg und viele andere Schweden seit der Abreise des Kronprinzen nach Schweden. Er war ein sehr geistreicher Mann, nicht mehr jung, auf den meine Mutter große Stücke hielt. Ich meinerseits war ihm einigermaßen verpflichtet, denn als er in Hamburg bemerkte, daß meine Mutter wenig oder gar nichts von mir halte, sagte er ihr, sie habe unrecht, ich sei entschieden ein über mein Alter entwickeltes Kind. In Petersburg angelangt, kam er sofort zu uns und sagte mir aufs neue, ich habe eine sehr philosophische Geistesrichtung und fragte mich dann, wie es in dem Strudel meines gegenwärtigen Lebens mit meiner Philosophie stehe. Als ich ihm erzählte, womit ich mich in meinem Zimmer beschäftigte, bemerkte er, eine fünfzehnjährige Philosophin könne sich nicht selbst kennen, und ich sei von so vielen Klippen umgeben, daß er sehr fürchte, ich werde scheitern, wenn nicht mein Geist sich über alles erhebe. Es sei notwendig, ihn durch die beste Lektüre zu nähren, und zu diesem Zweck empfahl er mir, »Plutarchs Lebensbeschreibungen berühmter Männer«, das »Leben Ciceros« und die »Ursachen der Größe der Römer und des Verfalls des römischen Reichs« von Montesquieu zu lesen. Sofort ließ ich mir diese Bücher besorgen, die damals in Petersburg nur mit Mühe aufzutreiben waren. Ihm aber versprach ich eine Schilderung meiner selbst, so wie ich mich kenne, damit er sehen möge, ob ich mich richtig beurteile oder nicht.

In der Tat entwarf ich ein Bild von mir in einem Aufsatz unter dem Titel: »Porträt der fünfzehnjährigen Philosophin« – und schickte es ihm. Viele Jahre später, 1758, habe ich dieses »Porträt« wieder gefunden und war erstaunt über die tiefe Selbstkenntnis, welche es enthielt. Unglücklicherweise habe ich es in jenem Jahre mit allen andern Papieren verbrannt, da ich fürchtete, auch nur ein einziges in meinem Zimmer zu behalten, wegen der unglücklichen Affäre mit Bestuscheff.

Graf Gyllenburg gab mir einige Tage später mein Schriftstück zurück. Ob er eine Abschrift davon genommen hat, weiß ich nicht. Er begleitete es mit einem Dutzend Seiten voller Bemerkungen, worin er versuchte, die Seelengröße und Festigkeit ebenso sehr wie die andern Eigenschaften des Herzens und des Geistes in mir zu befestigen. Immer von neuem las ich durch, was er geschrieben, vertiefte mich darein und nahm mir vor, seinen Ratschlägen zu folgen. Ich versprach es mir selbst, und wenn ich mir etwas selbst versprochen, so habe ich es, so viel ich weiß, immer gehalten. Darauf gab ich dem Grafen Gyllenburg sein Schriftstück zurück, wie er mich gebeten hatte, und ich gestehe, daß es sehr dazu beigetragen hat, meinen Geist und meine Seele zu bilden und zu stählen.

Anfang Februar kam die Kaiserin mit dem Großfürsten von Chotilowo zurück. Sobald man uns von ihrer Ankunft benachrichtigte, gingen wir ihr entgegen und trafen sie im großen Saale zwischen vier und fünf Uhr abends, in der Dämmerung. Trotzdem erschrak ich fast, als ich den Großfürsten sah, der bedeutend gewachsen, dessen Gesicht aber fast unkenntlich geworden war. Seine Züge waren grob, das ganze Gesicht noch angeschwollen, und es war unzweifelhaft, daß man ihm die Spuren seiner Krankheit immer ansehen würde. Da man ihm die Haare abgeschnitten hatte, trug er eine ungeheure Perücke, welche ihn noch mehr entstellte. Er kam auf mich zu und fragte mich, ob es mir nicht schwer werde, ihn wiederzuerkennen. Verwirrt stammelte ich einen Glückwunsch zu seiner Genesung, aber er war in der Tat abscheulich häßlich geworden.

Am 9. Februar 1745 war gerade ein Jahr seit meiner Ankunft am russischen Hofe verflossen. Am 10. feierte die Kaiserin den Geburtstag des Großfürsten, der in sein siebzehntes Jahr eintrat. Sie dinierte mit mir allein auf dem Throne, da der Großfürst noch nicht öffentlich erschien. Man beeilte sich nämlich nicht, ihn gerade in diesem Zustande, in den er durch die Pocken versetzt war, zu zeigen. Während des Diners war die Kaiserin sehr gnädig gegen mich. Sie sagte mir, daß die russischen Briefe, welche ich ihr nach Chotilowo geschrieben, ihr viel Freude gemacht hätten; sie wisse, daß ich mich sehr bemühe, die Landessprache zu erlernen. In Wirklichkeit waren sie von Abaduroff abgefaßt, von mir aber eigenhändig abgeschrieben. Dabei sprach sie immer Russisch mit mir und wollte, daß auch ich ihr in dieser Sprache antwortete, was ich denn auch tat. Sie lobte meine gute Aussprache und gab mir zu verstehen, daß ich seit meiner Krankheit in Moskau hübscher geworden sei; kurz, während des ganzen Diners war sie nur darauf bedacht, mir ihre Güte und Zuneigung zu beweisen. Sehr heiter und glücklich kam ich in mein Zimmer zurück, und jedermann beglückwünschte mich. Die Kaiserin ließ mein Porträt, welches der Maler Caravaque angefangen hatte, holen und behielt es bei sich in ihrem Zimmer; es ist dasselbe, welches der Bildhauer Falconnet mit nach Frankreich genommen hat; es war sprechend ähnlich.

Um in die Messe oder zur Kaiserin zu gehen, mußten meine Mutter und ich die Gemächer des Großfürsten durchschreiten, die neben den meinigen lagen, wir sahen ihn daher sehr oft. Manchmal brachte er auch des Abends einige Augenblicke bei mir zu, aber ohne besondere Lust; im Gegenteil, er war immer sehr vergnügt, wenn er einen Vorwand fand, um sich zu entschuldigen und in seinem Zimmer bleiben konnte, umgeben von seinem gewöhnlichen Spielzeug, wovon ich bereits gesprochen. Kurz nach der Ankunft der Kaiserin und des Großfürsten in Petersburg hatte meine Mutter einen großen Verdruß, den sie nicht verbergen konnte. Der Sachverhalt ist folgender:

Prinz August, der Bruder meiner Mutter, hatte ihr nach Kiew geschrieben, daß er gern nach Rußland kommen möchte. Meine Mutter aber wußte, daß diese Reise nur den Zweck hatte, bei der Majorennität des Großfürsten, welche man vor der Zeit proklamieren wollte, die Verwaltung Holsteins zu erhalten, das heißt, man wünschte die Vormundschaft aus den Händen des ältesten Bruders zu nehmen, der Kronprinz von Schweden geworden war, und die Regierung Holsteins dem Prinzen August, dem jüngeren Bruder meiner Mutter, unter dem Namen eines volljährigen Großherzogs zu übertragen.