Romantische Bibliothek - Folge 7 - Birthe Neumann - E-Book

Romantische Bibliothek - Folge 7 E-Book

Birthe Neumann

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Beschreibung

Obwohl Wulf Maurer unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen ist - seine Eltern Joseph und Else sind arme Bauern -, hat der junge Mann in seinem Leben viel erreicht. Dank seinem Fleiß, seinem wachen Verstand und seinem ausgeprägten Ehrgeiz hat er es zuerst auf die Universität und dann zu bescheidenem Ruhm als Ingenieur gebracht. Joseph und Else sind sehr stolz auf ihren einzigen Sohn, ist er doch zudem ein anständiger Kerl und strahlt jede Menge Selbstsicherheit und Zufriedenheit aus - ganz anders als ihr Neffe.

Obwohl Frederik viel günstigere Grundvoraussetzungen hatte - seine Eltern gaben ihn gleich nach der Geburt in die Obhut eines reichen Ehepaares -, besticht er heute vor allem durch Faulheit und Arroganz. Als sich die beiden unterschiedlichen Cousins ausgerechnet beide in die verwöhnte Tochter eines reichen Mannes verlieben, kommt es zu einem ungleichen Wettstreit ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Tochter des reichen Mannes

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Olena Zaskochenko

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-1644-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Tochter des reichen Mannes

Als ein verwöhntes Mädchen Wulfs Leben durcheinanderbrachte

Von Birthe Neumann

Obwohl Wulf Maurer unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen ist – seine Eltern Joseph und Else sind arme Bauern –, hat der junge Mann in seinem Leben viel erreicht. Dank seinem Fleiß, seinem wachen Verstand und seinem ausgeprägten Ehrgeiz hat er es zuerst auf die Universität und dann zu bescheidenem Ruhm als Ingenieur gebracht. Joseph und Else sind sehr stolz auf ihren einzigen Sohn, ist er doch zudem ein anständiger Kerl und strahlt jede Menge Selbstsicherheit und Zufriedenheit aus … ganz anders als ihr Neffe. Obwohl Frederik viel günstigere Grundvoraussetzungen hatte – seine Eltern gaben ihn gleich nach der Geburt in die Obhut eines reichen Ehepaares –, besticht er heute vor allem durch Faulheit und Arroganz. Als sich die beiden unterschiedlichen Cousins ausgerechnet beide in die verwöhnte Tochter eines reichen Mannes verlieben, kommt es zu einem ungleichen Wettstreit …

Die schwarz gekleidete Frauengestalt verschmolz mit der Nacht, als sie den Heckenweg entlangging.

Im Gebüsch rauschte der Abendwind, irgendwo schrie ein Vogel, weit entfernt im Dorf kläffte ein Hund. Es war unheimlich für Camilla von Seeberg, diesen Weg allein zu gehen. Sie zog ihren Mantel fest über der Brust zusammen.

Das, was sie vorhatte, musste sie allein erledigen. Niemand brauchte davon zu wissen, obwohl es nichts Verbotenes, nichts Böses war, was sie zu tun beabsichtigte.

Endlich tauchte das niedrige, strohgedeckte Bauernhaus vor ihr auf. Das Licht aus den kleinen Fenstern fiel hell und freundlich in die dunkle Nacht, und Frau Camilla blieb am Zaun stehen. Ein paar Minuten stand sie bewegungslos da und starrte auf das Haus, das so friedlich dalag.

Die Gittertür kreischte in den Angeln, als sie sie öffnete und dann wieder hinter sich schloss. Der Hund kam heran und jaulte leise.

Camilla beugte sich nieder und tätschelte seinen Kopf, dann ging sie gemessenen Schrittes auf den dunklen Hauseingang zu. Sie klopfte und trat ein.

In der großen Diele war es dunkel, aber aus einem Raum, dessen Tür nur angelehnt war, fiel ein Lichtschein. Sie hörte Stimmen, ging auf das Zimmer zu, klopfte noch einmal an die Tür und öffnete sie.

Es war das Schlafzimmer des Ehepaares Maurer. Frau Else lag im Bett, ihr Mann saß an ihrer Seite und tupfte ihr den Schweiß von der Stirn. Camilla von Seeberg blieb in der offenen Tür stehen.

Joseph Maurer erhob sich bedächtig und erwiderte den Gruß der Dame.

„Sie wundern sich bestimmt, mich so spät hier zu sehen“, begann Frau Camilla zaghaft. Ihr Blick wanderte zu der erschöpften Frau und blieb an einem Kindchen hängen, das neben ihr lag: der Sohn der Maurers, ein gesunder, kräftiger Junge.

Es war für Frau Camilla sehr schwer, ihren Blick wieder von dem Kind abzuwenden. Schmerz lag in ihren Augen.

„Ich … ich wollte Ihnen gratulieren …“, stieß sie leise hervor.

Vater Joseph räusperte sich.

„Nehmen Sie doch Platz“, forderte Frau Else die vornehme Besucherin auf.

Camilla von Seeberg wohnte im Herrenhaus auf der anderen Seite des Tales, und ihr gehörten die größten Ländereien der Umgebung. Sie war eine sehr vornehme und reiche Dame, und Frau Else fühlte sich durch ihren Besuch befangen.

„Dürfen wir Ihnen etwas anbieten?“, erkundigte sie sich leise.

Frau Camilla schüttelte stumm den Kopf.

„Ein Kind …“, flüsterte Frau Camilla und trat auf Zehenspitzen an die Seite des Bettes. Ihre Hände, mit kostbaren Ringen geschmückt, strichen über die Decke, die den winzigen Körper wärmte. „Haben Sie schon einen Namen für den Kleinen?“

„Wulf soll er heißen“, gab Vater Joseph stolz Auskunft. „Er wiegt sieben Pfund“, fügte er dann noch hinzu.

Frau Camilla liebte Kinder. Für sie wäre ein Kind die Erfüllung ihres Lebens gewesen, aber sie konnte keine Kinder bekommen.

Die Maurers waren arme Leute, aber sie waren glücklich, denn sie hatten ein Kind. Frau Camilla war reich, doch sie musste auf das Glück, Mutter zu werden, verzichten.

Was mag sie von uns wollen?, fragte sich Vater Joseph.

„Nehmen Sie doch Platz“, forderte Frau Else die vornehme Besucherin noch einmal auf.

Ihr Mann zog einen Stuhl heran, und zögernd ließ sich Frau Camilla nieder.

Je länger Frau Camilla an der Seite des Bettes saß und auf das Kind starrte, desto schwerer und ängstlicher pochte Frau Elses Herz. Unwillkürlich griff sie zur Seite und legte ihren Arm um das Kleine, als müsse sie es verteidigen.

Camilla von Seeberg sah diese Bewegung und verzog bitter den Mund.

„Ein schönes Kind“, sagte sie. „Doch es wird ein schweres Leben vor dem Kleinen liegen, Frau Maurer.“

Vater Joseph warf ihr einen scharfen Blick zu. Was sollte so eine Bemerkung am Wochenbett einer jungen Mutter? Sie wussten selbst, dass ihr Kind einmal würde arbeiten müssen. Aber hatten nicht auch sie arbeiten müssen und waren glücklich dabei?

„Sie werden ihm all das, was das Leben schön und lebenswert macht, nicht geben können“, fuhr Frau Camilla leise fort. „Der Junge wird in die Dorfschule gehen, und später wird er den Hof übernehmen. Genau wie Sie wird er arbeiten müssen, und genau wie Sie hat er dann nur das Notwendigste zum Leben.“

„Was wollen Sie?“, fragte Vater Joseph grob. Er hatte die Stirn in Falten gelegt, und sein sonst gutmütiges Gesicht war plötzlich finster.

Wie eine Sünderin senkte die vornehme Dame den Kopf. Ihre Hände lagen gefaltet im Schoß, ihre Finger verkrampften sich ineinander.

„Ich kann keine Kinder bekommen …“, flüsterte sie.

Einen Augenblick herrschte Stille nach ihrem Bekenntnis, dann beugte Frau Else sich zur Seite und legte ihre harte Hand mitleidig auf die schlanken Finger mit den vielen kostbaren Ringen.

Eine impulsive, mitleidige Gebärde, die Frau Camilla die Kraft zum Weitersprechen gab.

„Wenn wir Kinder hätten“, flüsterte sie, ohne jemanden anzuschauen, „dann hätten es unsere Kinder gut.“

„Jeder hat sein Päckchen zu tragen“, stellte Vater Joseph leise fest.

„Wenn wir ein Kind annehmen könnten, es würde es sehr gut bei uns haben“, fuhr Frau Camilla heiser fort.

Frau Else zog ihre Hand erschreckt zurück und legte sie schützend auf das Köpfchen des Säuglings, der satt und zufrieden an ihrer Seite schlief.

Die Besucherin wusste, was diese Gebärde zu bedeuten hatte. Die armen Menschen ahnten jetzt also, weshalb sie hergekommen war.

„Sie werden noch viele Kinderchen haben, Herr Maurer“, sagte sie und schaute den Bauern mit festem Blick an. „Und je mehr Kinder Sie haben, desto schwerer wird Ihr Leben sein. Wenn Sie mir diesen Jungen geben würden, ich würde alles für ihn tun.“

Die breite Brust des Mannes hob sich im schweren Atem. Er schüttelte stumm den Kopf. Er sollte sich von seinem Kind trennen?

„Stellen Sie sich vor, dass Ihr Sohn einmal alles im Leben erreichen könnte …“

Vom verschlossenen Gesicht des Mannes vermochte Frau Camilla nicht abzulesen, welche Gedanken hinter seiner breiten Stirn waren.

„Ich würde Ihnen Geld geben, Herr Maurer. Sie könnten Ihren Hof renovieren lassen, sich Maschinen kaufen, Kühe, Pferde …“ Die Besucherin sprach immer hastiger. Sie musste diesen Mann überzeugen, dass es nichts Besseres für ihn geben konnte, als auf das Kind zu verzichten. „Sie sind doch beide gesund. In ein oder zwei Jahren können Sie wieder ein Kind haben, aber lassen Sie mir den Kleinen, ich flehe Sie an.“

„Nein.“ Joseph Maurer schüttelte schwer den Kopf. „Wir geben unser Kind nicht weg, gnädige Frau.“

„Denken Sie an das Kind“, beschwor ihn Frau Camilla.

„Ich kann es nicht tun“, knurrte Joseph.

Er wusste, dass er nicht so redegewandt war wie die vornehme Frau. Es klang alles ganz vernünftig, was sie sagte, denn niemals würde er dem Kleinen auch nur annähernd das bieten können, was Frau von Seeberg für ihn tun konnte.

Er konnte ihm nur seine Liebe geben, ihn zu einem aufrechten, anständigen Menschen erziehen. Aber auch das war schon viel, jedenfalls in seinen Augen.

Jede Mutter träumt für ihr Kind, bevor das kleine Wesen noch selbst imstande ist, einen eigenen Gedanken zu fassen.

Du sollst es einmal besser haben als ich, denkt die Mutter, wenn ihr Kreuz müde ist vom vielen Bücken, wenn ihre Hände aufgesprungen sind von der Mühe und Plage des Alltags. Auch Frau Else hatte es gedacht, solange der kleine Wulf unter ihrem Herzen gewesen war.

„Du sollst es einmal besser haben“, hatte sie oft geflüstert und doch nicht gewusst, wie sie ihm ein schöneres Leben schaffen sollte.

„Mein Kind bekäme ein eigenes Reitpferd und ein Zimmer für sich ganz allein, außerdem Spielzeug und Bücher“, drängte Frau Camilla. „Stellen Sie sich nur vor, Frau Maurer, dass er den schönsten Anzug trägt. Er wird die besten Lehrer haben.“

Während sie sprach, schaute Frau Else auf das schlafende Kind. All das konnte sie ihm verschaffen, und es war so einfach: Sie brauchte es nur in die Arme dieser fremden Dame zu legen.

Blanke Tränen liefen ihr über die Wangen und tropften in die Kissen, während Frau Camilla weitersprach. Sie sah, dass Frau Else schwankte, dass ihre Worte sie überzeugt hatten. Die Mutter liebte das Kind, und doch – oder vielleicht gerade deshalb – war sie bereit, auf ihren Sohn zu verzichten.

Camillas Worte überstürzten sich. Sie malte ein Leben aus, wie es schöner nicht sein konnte.

Die beiden Menschen, die ihr zuhörten, wussten, dass sie die Wahrheit sprach.

Joseph beugte sich über das Bett und starrte aus nächster Nähe in das Gesichtchen des Kleinen. Auch er hatte für das Kind geträumt, aber anders als seine Frau.

Er sah seinen Sohn mit blondem Haar und blauen Augen an seiner Seite gehen. Er drückte den Pflug in den Boden, zeigte Wulf, wie man es machte. Er nannte ihm die Namen der Vögel, die in den Bäumen und Büschen nisteten, und er lehrte ihn, wann man die Saat in den Boden warf.

„Geben Sie mir das Kind“, flehte Frau Camilla und streckte die Arme aus.

Sie waren leer, nie würde ein Baby von ihrem Fleisch und Blut darin liegen. Aber solch ein winziges Wesen, ein paar Tage alt, das noch nichts von seinen Eltern und der Welt wusste, würde die Leere füllen können.

„Wulf“, schluchzte die Mutter. Und dann schüttelte sie den Kopf. Sie konnte nicht auf ihr Kind verzichten, auch nicht um den Preis, den Frau Camilla ihr bot.

Vater Joseph brachte die Besucherin bis an das Gatter, das den Hofplatz vom Weg trennte.

„Einmal wird es Ihnen leidtun, Herr Maurer, meine Bitte abgeschlagen zu haben“, prophezeite Frau von Seeberg bitter, als sie auf dem Weg stand.

„Kein Mensch weiß, ob er sich richtig entscheidet“, sagte der Mann schwer. „Aber ein Kind gehört zu seinen Eltern, solange sie da sind, gnädige Frau. Man kann ein Kind nicht verkaufen.“

Lange noch stand der Vater auf dem Hof und schaute ihr nach. Ein befreites Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er ein paar Minuten später wieder vor dem Bett seiner Frau stand und auf das schlafende Kind schaute.

„Wulf gehört zu uns“, sagte er schwer.

„Unser Kind …“, flüsterte Frau Else und lächelte glücklich.

***

Henning Maurers Hof lag etwa achthundert Meter südlich von dem seines Bruders. Das Haus war erst nach dem Tod seines Vaters von den Brüdern gemeinsam erbaut worden.

Joseph wohnte im Elternhaus und hatte die Hälfte des Hofes übernommen, während sein Bruder die andere Hälfte bekommen und sich ein neues Haus gebaut hatte. Die beiden verstanden sich sehr gut, und auch die Frauen empfanden herzliche Sympathie füreinander.

Elisabeth, Hennings Frau, war ein Jahr älter als Else, und ihr Sohn erblickte ein paar Tage nach Wulf das Licht der Welt. Sie wollten ihn Frederik nennen, und sie waren genauso stolz wie Joseph und Else über den Erben, der kräftig und gesund in seiner Wiege lag.

Joseph hatte zu niemandem über Camillas nächtlichen Besuch gesprochen. Deshalb kam ihr Besuch bei Henning, ebenfalls zu später Stunde, für den Bauern überraschend.

Ich will ein Kind haben, und ich werde auch ein Kind haben, hatte Camilla von Seeberg sich geschworen.

Die Maurers waren ein gesundes, kräftiges Bauerngeschlecht. Wenn Joseph sich geweigert hatte, ihr sein Kind zu überlassen – sein Bruder würde es vielleicht tun.

„Henning und Elisabeth sind heute ja sehr lange auf“, stellte Joseph fest, denn vom Schlafzimmerfenster aus konnte man das Haus liegen sehen.

„Vielleicht ist der Kleine unruhig“, vermutete Frau Else und schaute glücklich lächelnd auf die Wiege, die am Fußende ihrer Betten stand.

„Tut es dir nicht leid, dass wir Frau von Seeberg abgewiesen haben?“, fragte Vater Joseph leise, und als sie seine Frage flüsternd verneinte, zog er seine Frau fest an sich.

„Um keinen Preis der Welt würde ich mich von unserem Kind trennen“, gestand sie.

Am nächsten Vormittag kam Bruder Henning zu Besuch, ein strahlendes Lächeln auf seinem gebräunten Gesicht.

Frau Else stand in der Diele und butterte, erwiderte das Lächeln des Schwagers und forderte ihn mit einer Handbewegung zum Eintreten auf.

„Ich bin gleich fertig, Henning.“

Der Mann beobachtete ihre flinken, geschickten Hantierungen und ging dann, so leise wie möglich, in das Nebenzimmer, in dem Wulf lag und schrie.

Er war erwacht und wollte etwas zu trinken haben. Sein Gesicht war krebsrot von der Anstrengung des Schreiens. Er strampelte, und Henning stand an der Wiege und schaute auf das Kind.

Als er wieder auf die Diele trat, war das Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden. Ein nachdenklicher Ausdruck stand in seinen Augen, als er seiner Schwägerin in die Stube folgte und umständlich Platz nahm.

Er zog seine Pfeife hervor und zündete sie an, alles schweigend und irgendwie unbeholfen. Frau Else wusste dass er kein Mensch war, der viele Worte machte, also wartete sie gelassen, bis er von selbst zu sprechen begann. Aber ihre Hände, nicht gewohnt, unbeschäftigt zu sein, strickten ein Jäckchen für den Kleinen.

„Frau von Seeberg war gestern Abend bei uns“, begann Henning. Er starrte auf einen Punkt der Tischdecke, seine klobigen Hände lagen flach auf dem Tisch.

Frau Else ließ ihr Strickzeug sinken.

„Bei euch auch?“, fragte sie heiser. „Sie kann mir leidtun. Ist nun so reich, hat alles, was sie haben will, nur …“

Ihre Hände bewegten die Nadeln schon weiter, sie wusste ja, was Henning sagen wollte – zumindest glaubte sie das, doch die Eröffnung ihres Schwagers traf sie wie ein Schlag.

„Wir haben ihr Frederik mitgegeben.“

„Ihr habt ihr euer Kind gegeben?“, stieß Else ungläubig hervor. „Aber Henning, das ist doch nicht möglich!“

Der Schwager warf ihr einen schrägen Seitenblick zu.

„Er soll es einmal besser haben als wir“, begründete er seinen Entschluss heiser. „Eine hohe Schule besuchen und studieren …“

Frau Else schaute auf das Strickzeug in ihrer Hand, das einmal ein kleines Jäckchen werden sollte, ein wärmendes Stück für ihren Jungen.

„Wir haben uns alles überlegt. Wir haben nur an das Kind gedacht, das kannst du mir glauben, Else. Was können wir ihm schon bieten? Arbeit, immer nur Arbeit, weiter nichts.“ Hennings Stimme klang verbittert, und er schaute auf seine großen Hände. „Ja, Else, das war es, was ich euch sagen wollte. Joseph ist wohl draußen, nicht wahr?“

Seine Schwägerin nickte. „Er ist bei den Weiden und bessert den Zaun aus.“

Henning Maurer erhob sich, nickte der jungen Mutter mit verschlossenem Gesicht zu und stampfte schwerfällig hinaus. Auf der Diele blieb er noch einmal stehen und lauschte auf das Schreien des Kindes. Dann drehte er sich um, ging in das Schlafzimmer und schaute in die Wiege hinein.

Er wird einmal Bauer werden und ewig ein armer Mann bleiben. Bald schon wird sein Rücken krumm werden von der schweren Arbeit, dachte er. Unser Sohn hingegen wird teure Anzüge tragen. Er wird in einem Auto fahren, und Wulf muss die Mütze abnehmen, wenn er vorbeifährt. Unser Sohn wird einmal ein Herr sein.

Henning Maurer beugte sich nieder, hob das schreiende Bündel empor und nahm es auf den Arm. Das Weinen des Kindes verstummte, und seine Händchen patschten unbeholfen in das Gesicht des Onkels.

Für Henning war es ein eigenartiges Gefühl, diese warme, winzige Kinderhand auf seiner gebräunten Haut zu spüren.

Wir werden andere Kinder haben, dachte er …

***

Henning sah seinen Bruder in der Ferne arbeiten. Er blieb kurz stehen, ging dann aber weiter, ohne mit ihm zu sprechen.

Mochte Else ihm sagen, was sie getan hatten. Er wollte gar nicht hören, was sein Bruder von all dem dachte. Henning hatte seinen Entschluss gefasst, und nichts auf der Welt war imstande, ihn wieder rückgängig zu machen.

In der Brusttasche seiner Jacke knisterte der Schein, den er gestern Abend unterschrieben hatte. Eine Verzichtserklärung auf sein Kind! Er hatte kein Geld genommen, es empört abgewiesen, als Frau Camilla ihm eine hohe Summe geboten hatte.

„Wir wollen Frederik nicht verkaufen“, hatte er gebrummt. „Der Junge soll es nur einmal besser haben als wir.“

Als er die Tür seines Hauses aufstieß, schob er den Kopf lauschend vor. Still war es hier, sehr still.

Frau Elisabeth stand am Fenster und wandte den Kopf. Sie versuchte ihm zuzulächeln, aber es wollte ihr nicht gelingen.

Henning nickte schweigend, ging dann weiter in das Schlafzimmer. Die Wiege stand noch dort.

Ich muss sie auf den Boden bringen, wir brauchen sie ja nicht mehr, dachte er. Mit dem Fuß stieß er gegen das Holz, und es geriet in Bewegung, aber die Wiege war leer.

Der Bauer starrte unter gerunzelten Brauen hinunter, dann nahm er sie mit seinen großen Händen und trug sie hinaus.

Später einmal wird es Joseph leidtun, dass er seinem Sohn die glänzende Zukunft verbaut hat, dachte er. Wenn Frederik ein feiner Herr ist und wenn sein eigener Sohn Wulf mit müden Gliedern auf den Feldern schuftet, dann wird er wissen, dass er ein Egoist war, dass er nur an sich gedacht hat und nicht an sein Kind.

Wir … wir lieben unser Kind mehr als er. Wir haben verzichtet, damit Frederik es einmal besser hat.

„Was haben sie gesagt?“, fragte Frau Elisabeth, als Henning zu ihr in die Küche trat und neben der Tür stehen blieb.

„Nichts“, knurrte der Mann und ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. „Frau von Seeberg war auch bei ihnen gewesen. Sie haben ihr Angebot abgelehnt.“

Henning erhob sich. Heute fehlte ihm die Ruhe. Er schlenderte hinaus, die Hände in den Taschen, und starrte über den kargen Boden, der viel zu trocken war, um eine gute Ernte zu bringen. Viele Steine lagen auf den Feldern, die Sonne dörrte die Erde aus, machte sie rissig und unfruchtbar.

All unser Schuften bringt uns so viel ein, dass wir gerade leben können, dachte er.

„Ich habe den Jungen bis zur Weide hin schreien hören“, sagte Joseph Maurer im gleichen Moment zu seiner Frau.

Stolz schaute er auf den Kleinen, der bei seinem Eintritt plötzlich still geworden war und mit großen, tiefblauen Augen zu ihm emporblickte.

„Er soll einmal ein tüchtiger Bauer werden“, wünschte Joseph leise. „Genau wie unser Vater. War Henning vorhin bei dir? Mir war doch, als hätte ich ihn gesehen.“

Frau Else erzählte ihm, was sein Bruder gewollt hatte.

Joseph Maurer starrte unter zusammengezogenen Brauen in die Ferne.

„Frederik wird einmal ein feiner Herr“, sagte er schwer. „Aber ob er glücklicher werden wird als unser Wulf? Ich glaube, die Zufriedenheit im Leben liegt nicht am Geld, es kommt auf etwas ganz anderes an.“

Er war kein Mensch, der seine Gefühle zeigte, und deshalb bedeutete es schon viel, als er seine Hand hob und leicht über Frau Elses Haar strich.

„Wenn man sich nur gut versteht …“, meinte er leise, und seine Frau schaute ihn mit glänzenden Augen an.

Die beiden waren zufrieden. Sie hatten genug zum Leben, ein Dach über dem Kopf, und sie wussten, wofür sie lebten.

***

Es war ein schöner sommerlicher Sonntag. Von fern hörte man das Läuten der Kirchturmglocken. Sonntäglich gekleidete Menschen gingen, das Gebetbuch unter dem Arm, durch die Feldwege zwischen dem hoch stehenden Getreide, und auch Joseph und Else Maurer traten vor das Haus.

Zwischen sich, rechts und links festgehalten, hatten sie den kleinen Wulf, ein aufgewecktes, dreijähriges Kind, das mit munteren Augen in die Welt blickte und immer wieder etwas Neues sah.

Der Vater schaute voller Liebe auf den Jungen, und Frau Else musste ihn manchmal mahnen, Wulf nicht zu verwöhnen.

Auch jetzt nahm er Wulf auf den Arm, und der Kleine legte ihm seine Ärmchen um den Hals.

„Hottehü!“, verlangte er, und der Vater duldete es, dass Wulf seine Hände fest in sein Haar krallte.

Hottehü spielen war die ganze Seligkeit des kleinen Mannes, und sein Vater wurde nicht müde, zu traben, wenn der Kleine es verlangte.

Joseph Maurer war im Dorf allgemein geachtet. Man schätzte seine stille Zuverlässigkeit und seinen Fleiß.

Vor dem Pfarrhaus traf Joseph seinen Bruder Henning. Die beiden Männer begrüßten einander mit einem stummen Kopfnicken, die beiden Frauen reichten sich die Hände und gingen schweigend nebeneinander her.

Frau Elisabeth war alt geworden. Auf ihrem Gesicht lagen ein paar bittere Falten, die früher nicht da gewesen waren. Sie schaute nicht auf Wulf, denn das Lachen des Kindes tat ihr weh.