Rosenblütenträume - Penny Vincenzi - E-Book
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Rosenblütenträume E-Book

Penny Vincenzi

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Beschreibung

Das »House of Farrell« – ein altehrwürdiges, luxuriöses Kosmetiklabel mit einem eleganten Geschäft in traumhafter Londoner Location. Unerschütterlich führt die legendäre Athina Farrell das Familienunternehmen, während ihre treue Mitarbeiterin Florence Hamilton den exklusiven Laden und so manches Geheimnis hütet. Doch nach einigen mageren Jahren steht das House of Farrell vor dem Ruin. Bianca Bailey, erfolgreiche Firmenretterin, soll das Unternehmen wieder neuem Glanz zuführen. Kein leichtes Unterfangen, denn mit dem House of Farrell ist eine große Geschichte voller Schicksal, Macht und Leidenschaft verbunden …

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Buch

Vor fünfzig Jahren gründete Athina Farrell zusammen mit ihrem Mann Cornelius das Kosmetiklabel »House of Farrell«. Legendäre Produkte, ein eleganter Laden in traumhafter Londoner Location: Das House of Farrell hatte einen Ruf als kleine, aber sehr feine Kosmetikmarke für die Reichen und Schönen. Doch seit Cornelius’ Tod vor einigen Jahren geht es dem Familienunternehmen immer schlechter. Daran können weder Athina, die unerschütterlich über das Beauty-Imperium wacht, noch ihre treue Mitarbeiterin Florence Hamilton, die den exklusiven Laden und so manches Geheimnis hütet, etwas ändern. Und so ist Athina gezwungen, einen Teil der Firma an Investoren zu verkaufen. Die engagieren die begabte junge Firmenretterin Bianca Bailey, die das House of Farrell wieder zu neuem Glanz führen soll. Kein leichtes Unterfangen, denn mit ihren Ideen stößt die charmante Bianca bei der strengen Athina zunächst auf wenig Verständnis. Und auch Biancas bisher makelloses Privatleben gerät auf einmal aus den Fugen …Weitere Informationen zu Penny Vincenzi sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

Penny Vincenzi

Rosenblüten-träume

Roman

Aus dem Englischen von Sonja Hauser

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »A Perfect Heritage« bei Headline Review, an imprint of Headline Publishing Group, an Hachette UK Company, London.Für die deutsche Übersetzung wurde die Originalausgabe durchgesehen und überarbeitet.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Taschenbuchausgabe Januar 2021

Copyright © der Originalausgabe 2014 by Penny Vincenzi

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: Hajna Nemeth/Arcangel; Evelina Kremsdorf/Arcangel; Alexander Spatari/Gettyimages; FinePic®, München

Redaktion: Ann-Catherine Geuder

KS · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-26913-5V001

www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

PROLOG

Das war’s also.

Letztlich der Abschied. Wie man es auch drehte und wendete: Das Haus Farrell, ihr Lebenswerk, ja, die Liebe ihres Lebens, würde nicht mehr in der bisherigen Form existieren.

Über dieses großartige, vitale, schillernde Wesen, das im Jahr der Krönung das Licht der Welt erblickt hatte, das sie und Cornelius gemeinsam erschaffen hatten, würde sie keine Kontrolle mehr haben. Es wäre nicht mehr länger ihr Schatz, ihr Trost, ihr Halt. Vor allen Dingen das: ihr Halt, besonders in den ersten Monaten nach Cornelius’ Tod. Was für eine wunderbare Frau sie doch ist, hatten die Leute gesagt, dass sie nach wie vor so viel arbeitet, schon erstaunlich, wie sie das alles schafft. Aber bedeutend erstaunlicher wäre es gewesen, wenn sie nicht gearbeitet, wenn sie aufgegeben hätte, denn dann hätten Kummer und Einsamkeit sie überwältigt und ihr den Lebensinhalt geraubt.

Sie lächelte höflich, wenn Leute bemerkten: »Gut, dass Ihre Kinder Ihnen so nahe sind«, und erwiderte: »Ja, das stimmt.« Doch verglichen mit ihrer Arbeit konnten sie ihr nichts geben. Was sie für sie empfand, ließ sich kaum als Liebe bezeichnen. Sie war als Mutter eher nachlässig gewesen, jenem langweiligen kleinen Mädchen, das Caroline früher gewesen war, und dem schüchternen kleinen Jungen Bertie gegenüber viel zu kritisch. Die beiden waren wie die meisten Kinder in glücklichen Ehen Außenseiter geblieben, Störenfriede für zwei Menschen, die ohne sie genauso zufrieden gewesen wären. Wohingegen das Haus Farrell diesem glamourösen Paar würdig war; es enttäuschte sie nicht, es war ihr ganzer Stolz.

Sie hatten von Anfang an im Mittelpunkt der Gesellschaft gestanden, sie und Cornelius. Sie galten als clever, wagemutig und einfallsreich, waren wohlhabend, stilsicher, kultiviert. Ihr Freundeskreis, der sowohl dem Establishment als auch der neuen, kreativen Aristokratie der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre angehörte, war ein bunter, interessanter Haufen, mit dem man Spaß haben konnte. Sie besaßen ein Haus in Knightsbridge und eine Wochenendwohnung in Brighton und pendelten zwischen diesen, Paris und New York hin und her, um sich Anregungen zu holen. Um ihre Kinder kümmerten sich Kindermädchen und Internate.

Sie hatten früh geheiratet – Cornelius dreiundzwanzig, sie einundzwanzig –, und die Ehe hatte von Anfang an funktioniert. Die Gründung des Hauses Farrell war die logische, fast unvermeidliche Folge gewesen.

Das Ganze war Cornelius’ Idee gewesen. Sein Interesse für die neuen Bereiche der Verkaufsförderung und Werbung, dazu das Vermögen, das er von seinem Patenonkel geerbt hatte, und die eher langweilige Arbeit in dessen Bank hatten ihn zu einem Unternehmer auf der Suche nach einem Projekt gemacht. Das ihm das Schicksal in Form einer exzentrischen Mutter bescherte, die sich als ehemalige Schauspielerin ihre Gesichtscremes selbst mischte und jeden Morgen und Abend eine volle Stunde damit zubrachte, aus einem Durchschnittsgesicht ein höchst attraktives zu machen. Und so hatte er der wunderbaren jungen Frau, mit der er den Bund der Ehe eingegangen war, vorgeschlagen, das Erbe in ein Kosmetikunternehmen zu investieren, das sie gemeinsam leiten würden.

»Du schaffst die Grundlagen, Liebes, und ich bleibe in der Bank, bis wir beide davon leben können.« Sie hatten beide keinen Moment daran gezweifelt, dass das Haus Farrell ihnen das irgendwann ermöglichen würde.

Sie hatten die Grundformel für ihre Cremes Cornelius’ Mutter abgekauft, die inzwischen von ihrem Mann getrennt lebte, hatten einen genialen Chemiker angestellt, der von Monsieur Coty in Paris ausgebildet worden war, und in einem kleinen Labor mit der Produktion begonnen. Dort hatten sie nicht nur The Cream entwickelt, die (wie es in den ersten Werbekampagnen hieß) »das Einzige ist, was die Haut wirklich braucht«, sondern auch einige Lippenstifte und Nagellacke. Ein paar Monate später waren Gesichtspuder und The Foundation, eine Grundierung, dazugekommen.

Da sie wussten, dass sie die Großen, die Revlons, Cotys und Yardleys, nicht mit ihren eigenen Waffen schlagen konnten, hatten sie ein Geschäft in der Berkeley Arcade von einem einfachen Schreibwarenladen in einen der hübschesten Shops dort umgewandelt, hatten im ersten Stock einen winzigen Salon eingerichtet und schließlich schlicht seine Türen der Welt geöffnet. Glücklicherweise war die Presse auf sie aufmerksam geworden, und das Lob, mit dem sie überschüttet wurden, hatte ihre kühnsten Träume übertroffen. Der Tatler bezeichnete das Geschäft als »den Ort, an dem wahre individuelle Schönheit zu finden ist«, die Vogue pries es als »erste Adresse für charmante Schönheitspflege«, und Harper’s Bazaar nannte es »den Shop, in dem Sie Ihr neues Gesicht entdecken«. Nach einem ausgesprochen kostspieligen Lunch mit der Beauty-Redakteurin von Harper’s Bazaar im Caprice hatte Cornelius genau das als Werbeslogan für das Haus Farrell übernommen. Außerdem hatte er die Öffentlichkeit durch Plakate darauf aufmerksam gemacht und Männer mit Werbetafeln ins West End geschickt, auf denen das Geschäft als »Das schönste Juwel in Londons Krone« bezeichnet wurde, sodass die Kundinnen schon bald in Scharen herbeiströmten. Sie hatten den Optimismus und die Kreativität jenes Sommers für sich nutzen können, die die Krönung der hübschen jungen Königin sowie das ersehnte Ende der Beschränkungen nach dem Krieg mit sich brachten. DeLuscious Lipstick, wie sie ihre erste Colour-Promotion nannten, war ein paar lebhafte Monate lang in – oder auf – aller Munde gewesen, und der Rest ward bald Farrell-Geschichte.

In den achtziger Jahren hatte das Haus Farrell eine Flaute erlebt, weil es nicht mit den brillanten Make-ups und wissenschaftlich entwickelten Hautpflegeprodukten der großen, finanzstarken Häuser mithalten konnte, in den Neunzigern hatte es sich kurz wieder erholt, um allerdings im Jahr von Cornelius’ Tod 2006 fast völlig von der Bildfläche zu verschwinden. Nur Athinas Beharrlichkeit hatte Farrell noch am Leben erhalten.

Nun, da sie im ausschließlich geldgetriebenen Marathon der Kosmetikindustrie weit abgeschlagen waren, erkannte auch sie, dass sie dringend Hilfe benötigten – nicht nur in finanzieller, sondern auch in kreativer Hinsicht. Denn obwohl sie sich eher zu Cornelius ins Grab gelegt als das zugegeben hätte, taugte ihre Vorstellung von der Zukunft nicht mehr. Sie mochte den pseudowissenschaftlichen Ansatz der Kosmetikgroßlabore nicht und verstand ihn auch nicht. Sie hatte das beunruhigende Gefühl, sich nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit zu befinden. Und obwohl sie ihren neuen Kollegen gegenüber tiefe Feindseligkeit empfand – (sie weigerte sich, sie als die künftigen Herren des Unternehmens anzuerkennen) –, musste sie doch widerwillig gestehen, dass sie über ihr Erscheinen auch ein wenig erleichtert war.

Die Umgestaltung würde schmerzhaft werden. Die Neuen würden sich nicht um die Dinge scheren, die das Haus Farrell groß gemacht hatten, wofür es stand. Für sie würden nur Gewinn und Verlust zählen. Und sie würde sich ihnen bis zu einem gewissen Punkt beugen müssen.

Doch sie würde kämpfen, würde nicht aufgeben. Sie verdankte dem Konzept des Hauses Farrell alles – und sie würde ihm so weit wie möglich treu bleiben.

KAPITEL 1

Liebe auf den ersten Blick, genau das war es; berauschend, lebensverändernd, pulsbeschleunigend. Etwas Vergleichbares war ihr zuvor nur zweimal passiert, dieses Gefühl des Wiedererkennens, dass etwas so absolut richtig für sie war. Sie hatte keine Sekunde gezögert, keine Spielchen gespielt, nicht gesagt, sie würde es sich überlegen. Doch nach einem Blick auf ihre Uhr hatte sie gemerkt, dass sie zu spät zur Vorstandssitzung kommen würde, und war nach einer äußerst knappen Verabschiedung aus dem Lokal gehastet.

Im Taxi rief sie als Erstes ihren Mann an. Das tat sie immer, denn er musste Bescheid wissen, sofort davon erfahren. Sein Leben wurde von ihren Entscheidungen genauso stark beeinflusst wie das ihre. Er freute sich wie erwartet für sie und sagte, sie würden sich beim Abendessen weiter unterhalten. Es würde spät werden, erinnerte sie ihn, worauf er nur leise seufzend meinte, er freue sich trotzdem auf sie, wann immer sie käme.

Sie konnte sich glücklich schätzen, einen solchen Mann zu haben, dachte sie.

»Gut gelaufen.« Hugh Bradford lehnte sich zurück und bestellte einen Brandy. Sonst trank er mittags keinen Alkohol; er hatte sich während des Essens auf Wasser beschränkt und lediglich mit einem Glas Champagner auf den Deal angestoßen, obwohl er Lust auf mehr gehabt hätte. Und auch Bianca hatte nur ein paar Schlückchen von dem Champagner getrunken, um einen klaren Kopf zu bewahren.

Hugh fragte sich kurz, ob diese attraktive Frau sich jemals gehen ließ, und kehrte dann wieder in die Realität zurück. Solche gedanklichen Ausflüge hatten in seiner Beziehung zu Bianca keinen Platz.

»Ja, ausgezeichnet«, pflichtete ihm Mike Russell, sein langjähriger Kollege, mit einem anerkennenden Blick auf die Brandyflasche bei. »Jetzt müssen wir sie nur noch der Familie verkaufen.«

»Der bleibt keine andere Wahl«, sagte Bradford. »Aber ich glaube, sie werden sie mögen. Oder zumindest die Vorstellung von ihr. Bestimmt finden sie sie besser als einen Mann. Wir sollten ein Treffen für Anfang nächster Woche vereinbaren.«

»Oder noch diese? Wir haben nicht viel Zeit.«

»Ich werde die Familie und die Unternehmensleitung von Farrell am Freitag kennenlernen«, sagte Bianca an jenem Abend zu ihrem Mann. »Am Freitagnachmittag. Ich kann’s kaum erwarten. Das Ganze ist einfach irre, Patrick, als hätte Hollywood die Story dazu geschrieben.«

»Tatsächlich?«

»Ja. Natürlich gibt’s eine Matriarchin – in der Kosmetikbranche wirkt im Hintergrund fast immer eine Matriarchin …«

»Tatsächlich?«, fragte Patrick noch einmal.

»Ja. Elizabeth Arden, Estée Lauder, Helena Rubinstein …«

»Ich glaube nicht, dass ich interessante Gedanken zur Kosmetikindustrie beitragen kann«, bemerkte Patrick. »Da kenne ich mich nicht so gut aus. Doch vermutlich wird sich das bald ändern.«

»Könnte gut sein. In diese Branche muss man vollkommen eintauchen, um sie zu begreifen. Jedenfalls hat die Matriarchin Lady Farrell das Unternehmen 1953 mit ihrem Mann gegründet, der vor fünf Jahren gestorben ist. Schon traurig, es scheint die große Liebe gewesen zu sein; die Ehe hat fast sechzig Jahre gehalten. Dann wären da eine Tochter und ein Sohn in der Unternehmensleitung, die beide, soviel wir wissen, nicht viel zu melden haben, und noch so eine alte Dame, eine gewisse Florence Hamilton, die von Anfang an mit von der Partie ist und wahrscheinlich aus nostalgischen Gründen in der Unternehmensleitung sitzt.«

»Praktisch eine Familienangelegenheit also.«

»Jedenfalls halten sie momentan sämtliche Anteile, und Lady Farrell wird sich nicht kampflos geschlagen geben, obwohl sie muss, weil die Bank kurz davorsteht, den Geldhahn zuzudrehen, so weit sind sie im Minus. Trotzdem glaube ich – nein wir, Hugh, Mike und ich glauben, dass die Sache Potenzial hat. Ich kann’s kaum erwarten, mich an die Arbeit zu machen. Es wird eine lange Sitzung. Ist das okay für dich?«

»Klar. Ich geh mit den Kindern ins Kino, den Tim-und-Struppi-Film anschauen. Der interessiert dich sowieso nicht …«

»Stimmt«, pflichtete Bianca ihm bei, »ich kann mir kaum was Langweiligeres vorstellen.«

»Gut, dann sind wir uns ja einig«, sagte Patrick Bailey.

Bianca Bailey war in der Geschäftswelt so etwas wie ein Rockstar. Ihre Bühne war nicht die O2-Arena und auch nicht Wembley, sondern die Welt der Hochfinanz, und ihr Erfolg bemaß sich nach Umsätzen und Aktienkursen. Mit ihren achtunddreißig Jahren galt sie mit ihrer blendenden Erfolgsbilanz bei der Umstrukturierung von Unternehmen als weiblicher Midas und war aufgrund ihrer Attraktivität ein Gottesgeschenk für alle PR-Leute. Sie war groß gewachsen (barfuß fast eins achtzig), schlank, elegant und mit ihrer dunklen Haarmähne und den großen grauen Augen ausgesprochen foto- und telegen. Außerdem war sie redegewandt, charmant, glücklich verheiratet, hatte drei reizende Kinder, wohnte in einem beeindruckenden Haus in Hampstead und besaß, wie nicht anders zu erwarten, ein sehr hübsches Landhaus in Oxfordshire, das sie bescheiden als »Cottage« bezeichnete. Wie schon mehr als einer ihrer Freunde bemerkt hatte: Wenn die Baileys nicht so verdammt nett gewesen wären, hätte man sie durchaus hassen können.

Bianca hatte gerade überlegt, was sie als Nächstes tun würde, nachdem sie wichtigen Anteil am erfolgreichen Verkauf des Unternehmens, in dem sie gegenwärtig CEO war, eines bis dahin nicht groß in Erscheinung getretenen Toilettenartikelherstellers, gehabt hatte, als Mike Russell von Porter Bingham, Risikokapitalgebern, sie telefonisch zu einem Kaffee und einem Gespräch zu sich bat. Da sie schon früher mit dem Unternehmen zusammengearbeitet hatte, wusste sie, dass es wieder einmal darum gehen würde, einem erfolglosen Betrieb auf die Beine zu helfen.

Was sie ihr präsentierten, war schwierig, und schwierigen Dingen konnte Bianca einfach nicht widerstehen.

»Sie sind auf uns zugetreten«, hatte Mike Russell ihr erklärt. »Genauer gesagt der Sohn Bertram. Sieht auch aus wie ein Bertram, ist aber ganz nett. Im Moment schreiben sie jährlich fünf Millionen Verlust, doch das Unternehmen hätte Potenzial, besonders wenn Sie sich der Sache annähmen. Es bestünde die Aussicht auf einen Verkauf in fünf bis acht Jahren. Schauen Sie es sich an und sagen Sie mir, was Sie davon halten.«

Genau das hatte Bianca getan. Beim Anblick der Bilanzen waren ihr die Haare zu Berge gestanden. Trotzdem war ihr klar gewesen, was Mike Russell mit dem »Potenzial« des Unternehmens gemeint hatte, und so hatten sie sich mit seinem Partner Hugh zum Lunch im Le Caprice getroffen und sich darauf geeinigt, dass Porter Bingham dem Haus Farrell einen Investitionsvorschlag unterbreiten würde.

»Meiner Ansicht nach lassen sich die fünf Millionen Pfund Verlust innerhalb von fünf Jahren in einen jährlichen Gewinn von zehn Millionen Pfund verwandeln«, hatte Bianca Mike Russell mitgeteilt. »Aber dazu müssten Sie ungefähr dreizehn Millionen investieren, sagen wir zehn sofort und später noch mal zwei oder drei Millionen.«

Bianca hatte ihm ihr breitestes Julia-Roberts-Lächeln geschenkt. Sie mochte die beiden, und Hugh war auf konventionelle Art ziemlich attraktiv. Bianca hatte schon oft dem Schicksal dafür gedankt, dass er nicht ihr Typ war, weil sie vermutlich sonst hin und wieder weniger professionelle Entscheidungen getroffen hätte. Obwohl sie sich in ihrem erfolgreichen Berufsleben bisher niemals von persönlichen Erwägungen hatte leiten lassen. Das war einer der vielen Gründe für ihren Erfolg.

»Ich finde das ziemlich aufregend«, hatte sie Patrick mitgeteilt, nachdem sie von jener ersten Besprechung nach Hause gekommen war, »aber ich hätte gern deine Zustimmung. Das wird noch härter als bei PDN. Was sagst du dazu?«

Patrick hatte geantwortet, dass sie das Angebot selbstverständlich annehmen müsse, wenn sie das wirklich wolle. Was sie machen würde, wenn er ihr nicht seinen Segen gäbe, fragte er lieber nicht. Denn Bianca tat immer, was sie wollte.

Patrick wusste, was ihm bevorstand; wie bei jedem neuen Projekt von Bianca lagen viele einsame Abende vor ihm, denn ihr Engagement für ein neues Unternehmen geriet jedes Mal fast zur Obsession. Er fügte sich aus zwei Gründen in sein Schicksal: Erstens fand er ihre Projekte selbst ziemlich interessant, und zweitens liebte er Bianca und wollte, dass sie zufrieden war.

Er neigte nicht zu quälender Innenschau, denn als Einzelkind besaß er gesundes Selbstbewusstsein. »Wir sind nicht wie andere Leute«, sagte Patrick gern, und das entsprach der Wahrheit.

Auch Bianca hatte keine Geschwister. Darüber hatten sie in den Anfängen ihrer Beziehung oft gesprochen, es schweißte sie zusammen. Sie hatte ihm sogar eine Statistik präsentiert, die nachwies, dass Einzelkinder sich häufig von Einzelkindern angezogen fühlten – »oder von den ältesten Kindern in einer Familie, was praktisch das Gleiche ist«. Außerdem führte sie aus, dass Einzelkinder der Statistik nach für gewöhnlich ausgesprochen erfolgreich waren und zu Zwanghaftigkeit neigten. Patrick war sich nicht so sicher, ob das auch auf ihn zutraf, doch natürlich wollte er nicht, dass die dynamische Miss Wood ihn als liebenswerten Versager betrachtete. Oder ihr Vater, der angesehene Historiker Gerald Wood, dem mittelalterliches Staatswesen und Literatur näher waren als das einundzwanzigste Jahrhundert, insbesondere seit seine geliebte Frau Pattie neunzehn Jahre zuvor das Zeitliche gesegnet hatte.

»Hallo, Mr Bailey. Hatten Sie einen guten Tag?«

»Ja, er war nicht schlecht, danke, Sonia. Und der Ihre?« Er würde der Haushälterin nicht verraten, dass er nach dem Mittagessen im Büro vor Langeweile eingenickt war.

»Sehr gut, danke. Ich habe Ihnen für heute Abend eine Sauce Bolognaise vorbereitet – Mrs Bailey kommt nicht nach Hause, sagen Sie?«

»Nein, sie hat morgen eine wichtige Besprechung und muss deswegen heute länger arbeiten. Ich esse mit den Kindern und koche uns Spaghetti, machen Sie sich keine Gedanken.«

»Gut. Dann gehe ich jetzt. Ruby ist im Bett – Karen liest ihr gerade etwas vor, wenn sie fertig ist, geht sie auch.«

Karen war das Kindermädchen. Sie betreute die achtjährige Ruby nach der Schule und blieb, bis diese im Bett war. In den Ferien war sie den ganzen Tag bei ihnen.

»Wunderbar. Danke, Sonia. Hallo, Milly, wie war dein Tag?«

»Cool.«

»Freut mich zu hören.«

»Und deiner?«

»Ach, ziemlich aufregend.«

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben.

»Du bist ulkig«, bemerkte sie schmunzelnd.

»Ich tue mein Bestes. Hast du deine Hausaufgaben gemacht?«

»Klar!«

»Bestimmt?«

»Daddy, du bist wirklich schrecklich.«

»Sie hat sie gemacht, Mr Bailey«, bestätigte Sonia mit einem Lächeln in Millys Richtung. »Gleich nach der Schule.«

»Siehst du! Danke, Sonia.«

»Hast du Klarinette geübt?«

»Auch erledigt.«

»Du bist ein Traum von einer Tochter. Wo ist Fergie?«

»Spielt Wii.«

»Na so was. Das ist doch vor sieben nicht erlaubt.«

»Daddy! Du klingst schon wie Mummy. Bis später.«

Ganz auf ihr Handy konzentriert trottete Milly davon. Patrick sah ihr lächelnd nach. Emily, die von Geburt an den Kosenamen Milly trug, war fast dreizehn, groß und schlank und hatte langes, dunkles, glattes Haar und braune Augen. Sie war hochintelligent und beliebt und gehörte zu den Mädchen, die bei allen Partys dabei waren und oft bei Freundinnen übernachteten. Milly besuchte im zweiten Jahr St. Catherine’s in Chelsea, eine neue, leistungsorientierte Mädchenganztagsschule, und besaß großes musikalisches Talent – Eins mit Stern für ihr Klarinettenspiel. Lediglich bei Ballspielen war sie eine Niete.

Der elfjährige Fergus besaß das gute Aussehen und den Charme der Familie, war in Ballspielen genauso gut wie Milly schlecht, spielte in seiner Schule in allen ersten Mannschaften, und dank seiner Intelligenz gelang es ihm gerade so, sich in der Stipendiengruppe zu halten.

Patrick ging in sein Arbeitszimmer im ersten Stock des viktorianischen Hauses und blickte hinaus auf den weitläufigen Garten. Die Anzahlung dafür war ein Hochzeitsgeschenk von seinem Vater gewesen; das sagte nach allgemeiner Ansicht fast alles über die Baileys aus, was man wissen musste: Sie waren wohlhabend, glücklich und großzügig, und alle verstanden sich glänzend.

Patricks Vater Guy Bailey war im Goldenen Zeitalter der Londoner City Börsenmakler gewesen, hatte ein Vermögen gemacht, sich 1985 früh auf sein Altenteil zurückgezogen, »zum Glück noch vor dem Big Bang«, wie er oft sagte, und war in ein geräumiges Haus auf dem Land mit Grund und Stallungen gezogen. Dort hatte er sich zu einem ausgezeichneten Schützen entwickelt und sein uraltes Hobby, das Handeln mit Antiquitäten, in einen, wie er es nannte, »Halbtagsjob« verwandelt.

Patrick war mit einem beachtlichen Abschluss in Philosophie, Politik und Wirtschaft von Oxford abgegangen und in die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft seiner Onkel am Londoner Strand eingetreten. Hier hatte er ein hübsches Büro, verdiente sehr gutes Geld und war bei Kollegen und Mandanten gleichermaßen beliebt, weil er freundlich, gleichmütig und intelligent war. Wahrscheinlich hätte er sich nach ein paar Jahren wieder einen anderen Job gesucht, weil er die Arbeit nicht gerade spannend fand, aber da er Bianca Wood kennengelernt hatte und man in Patricks Welt einer jungen Frau erst dann einen Heiratsantrag machte, wenn man ihr ein hübsches Haus in einer guten Gegend sowie ein ordentliches Einkommen bieten konnte, für den Fall, dass sie nicht arbeiten wollte oder sie Kinder bekamen, war er geblieben. Patrick fühlte sich nicht unwohl bei Bailey Cotton and Bailey; seine Arbeit war nur einfach nicht sonderlich aufregend. Und so hatte er 1995 um die Hand von Miss Wood angehalten und sie 1996 geheiratet.

Er hatte sie bei einem Abendessen in der City kennengelernt und war ihr sofort verfallen. Sie war beredt und kurzweilig, fand ihn anscheinend ebenfalls interessant und stellte sich als Marketingchefin einer Toilettenartikelfirma vor.

»Zahnpasta und Deos mögen nicht sonderlich spannend klingen«, hatte sie erklärt, »aber im Jahr davor hatte ich noch mit Waschmitteln zu tun, also ist das ein großer Fortschritt. Überhaupt ist das Aufregende nicht das Produkt selbst, sondern das, was man damit machen kann. Es gibt kaum ein tolleres Gefühl, als wenn die Umsätze in die Höhe schnellen!«

Er hatte sie zum Essen eingeladen, und sie hatten sich so gut unterhalten, dass sie erst merkten, wie spät es war, als die Kellner schon die Stühle auf die Tische stellten. Danach hatten sie sich für den folgenden Freitag verabredet.

»Diesmal zahle ich. Sorry, so bin ich nun mal. Ich mag von niemandem abhängig sein.«

Obwohl es Patrick gar nicht gefallen hatte, dass sie die Rechnung übernahm, waren sie schon drei Monate später zusammengezogen.

Bei ihrer Hochzeit 1996 hatte Bianca bereits zweimal den Job gewechselt. Sie arbeitete bis eine Woche vor Millys Geburt und saß nach vier Monaten wieder am Schreibtisch. Als Fergie zwei Jahre später dazukam, war sie nur zwölf Wochen zu Hause geblieben. Was nicht bedeutete, dass sie eine schlechte Mutter war – sie liebte ihre Kinder abgöttisch, funktionierte nur einfach besser als Mutter, wenn sie noch andere Aufgaben hatte. Und als sich etwas mehr als zwei Jahre nach Fergie Ruby bemerkbar machte, hatte sie sich nicht, wie es andere Frauen vielleicht getan hätten, für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, sondern Ruby einfach willkommen geheißen.

Die Kinder schienen nicht unter ihrem Beruf zu leiden. Sie waren alle intelligent, reizend und selbstbewusst. Patrick hatte manchmal das Gefühl, dass Bianca sich ein wenig mehr für ihn und seine Arbeit interessieren könnte, aber, wie er selbst zugeben musste: In seinem Job gab es eben nicht allzu viel Interessantes. Mittlerweile war er zum Partner aufgestiegen, verdiente noch besser als früher und verfügte – anders als Bianca – über geregelte Arbeitszeiten. Im Großen und Ganzen hatte er nichts dagegen, für sie der Fels in der Brandung zu sein. Kurz nach Millys fünftem Geburtstag war Bianca Marketingchefin einer Stofffabrik geworden und hatte Patrick in Sachen Gehalt überrundet. Das hatte Patrick sehr zu schaffen gemacht.

»Schatz, es ist doch unser gemeinsames Geld. Damit bezahlen wir alles für die Familie, unser Leben. Was spielt es schon für eine Rolle, wer mehr verdient?«, hatte Bianca gesagt.

Einmal hatte er sie in ziemlich betrunkenem Zustand gefragt, ob sie für ihn ihre Arbeit aufgeben würde. Sie hatte sich über den Tisch gebeugt und geantwortet: »Natürlich, Schatz, wenn du das wirklich wollen würdest. Aber das möchtest du doch nicht, oder? So bist du nicht – und genau deswegen liebe ich dich.«

Und das stimmte: Sie liebte ihn sehr. Genauso sehr wie Patrick sie.

KAPITEL 2

Bianca Bailey sagte gern, Besprechungen seien, ebenso wie das wirkliche Leben, keine Proben. Egal, wie kurz: Sie zählten, und dafür waren angemessene Aufmerksamkeit und sorgfältige Planung nötig.

Die Konferenz an jenem Nachmittag, bei der sie, Hugh Bradford und Mike Russell die Farrells zur Kooperation zu überreden versuchen würden, zählte sogar sehr, weswegen sie mehrere Tage mit der Ausarbeitung einer Strategie verbracht hatten.

Bianca trug zu dem Anlass ein schickes Kleid mit einer Strickjacke statt eines Blazers und einer Hose. Ihre Haare schwangen offen auf ihren Schultern und waren nicht wie sonst streng zurückgebunden, und sie hatte ein klein wenig mehr Make-up aufgelegt als sonst. So würde sie den Farrells als Frau gegenübertreten, die Freude an Kleidung und Kosmetik hatte und sich in ihre Welt einfühlen konnte, nicht als barsche androgyne Person, der es ausschließlich ums nackte Geschäft ging. Das wäre wichtig, damit sie wussten, dass ihr das Unternehmen und seine Produkte genauso am Herzen lagen wie die wirtschaftliche Seite, dass sie ein Gefühl dafür hatte. Sie erkannte die Magie einer Marke und begriff gleichzeitig, dass sie sich finanziell auch tragen musste. Sie konnten sich glücklich schätzen, sie zu haben, dachte Hugh.

Athina Farrell hatte sich ebenfalls mit Bedacht gekleidet. Mit ihren fünfundachtzig Jahren hielt sie nicht nur die Zügel im Haus Farrell in der Hand, sondern demonstrierte das auch durch ihre äußere Erscheinung. Sie trug ein übers Knie reichendes marineblaues Jerseykleid von Jean Muir sowie rote Wildlederschuhe, was beides ihre nach wie vor wohlgeformten Beine bestens zur Geltung brachte. Ihr silberfarbener Bubikopf war frisch geschnitten, ihr Make-up minimalistisch, jedoch sehr geschickt aufgetragen, und auch ihren Schmuck hatte sie sorgfältig ausgewählt: die Perlenkette, die Cornelius ihr zum dreißigsten Hochzeitstag geschenkt hatte, die Perlenohrringe von Chanel, die Armbanduhr von Tiffany, ein Geschenk ihrer Eltern zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, sowie ihre beiden Diamantringe – einer zur Verlobung, der andere, auf Wunsch von Cornelius äußerlich identisch, zur goldenen Hochzeit. »Diese Leute«, wie sie sie insgeheim verächtlich nannte, würden eine kultivierte Frau mit Stil kennenlernen, keine lächerliche Alte. Sie hatte das Haus Farrell fast sechzig Jahre lang geleitet, und auch nur einen Teil davon abzugeben war ihr noch bis vor Kurzem als undenkbar erschienen.

Doch nun musste sie sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass das Unternehmen vor dem Bankrott stand und Hilfe benötigte. Aus diesem Grund hatte sie sich zu jenem Treffen mit den Investoren von Porter Bingham überreden lassen, dem sie mutig, mit Widerspruchsgeist und unnachgiebig entgegenblickte.

Sie hatte ihre beiden Kinder und Florence Hamilton, die alle in der Firmenleitung saßen, vor der eigentlichen Besprechung zu einem Briefing einberufen, bei dem sie ihnen letztlich erklärte, was sie zu sagen und zu tun hatten. Bertram, besser bekannt als Bertie, war Kaufmännischer Leiter, Caroline, für enge Freunde Caro und für alle anderen Mrs Johnson, Chefsekretärin und Personalchefin, und Florence, einfach nur Florence, war innerhalb der Unternehmensleitung für die Immobilien zuständig.

Athina war sich nicht so sicher, ob irgendeiner von ihnen überhaupt etwas in der Unternehmensleitung verloren hatte. Wären sie nicht ihre Kinder gewesen – oder wie Florence fast so sehr Teil des Hauses Farrell wie Athina und Cornelius –, hätten sie darin vermutlich keinen Platz gefunden. Bertie und Caro konnte man die Intelligenz nicht absprechen, doch es fehlten ihnen der Instinkt und der Stil, um das Werk von ihr und Cornelius fortzuführen, und Florence, die sowohl Instinkt als auch Stil besaß, mangelte es an Ehrgeiz. Letztlich hatte Athina Florences Berufung in die Unternehmensleitung nie gut gefunden. Sie war Cornelius’ Idee gewesen; Athina selbst war seinerzeit krank gewesen und nicht in der Lage zu widersprechen.

Nun musste man das Beste aus der Situation machen, weswegen sie sie alle in ihre Wohnung in Knightsbridge beordert hatte, wo sie beim Sandwich-Lunch erklärte: »Wir müssen Einigkeit beweisen, das ist von größter Bedeutung, und dürfen ihnen keinen Einfluss gewähren. Natürlich werden auch unsere Anwälte Walter Pemberton und Bob Rushworth anwesend sein …«

»Meinst du nicht, dass die das ein bisschen überfordert?«, fragte Caro.

Athina antwortete, sie vertraue ihnen völlig. »Die beiden regeln von Anfang an alles Juristische für uns. Cornelius hat sie ausgesucht, und er kannte sich aus mit Anwälten.«

»Ja, Mutter«, sagte Caro, »aber bei allem Respekt: Das war vor sechzig Jahren.«

»Caro«, entgegnete Athina in einem Tonfall, der keinen weiteren Widerspruch duldete, »Pemberton und Rushworth werden sich nicht übertölpeln lassen. Und nun zu dieser jungen Frau, dieser Bianca Bailey. Ich habe keine Ahnung, wie sie wirklich ist, aber sie hat einen Ruf, und sie kennt die Branche – was ihr mit PDN gelungen ist, war clever, doch sie sollte sich keine Hoffnungen machen, auch das Haus Farrell verkaufen zu können. Wir müssen die Mehrheit der Anteile behalten. Das ist nicht verhandelbar.«

»Sie dürfen auch nicht an unserem Image rumfuhrwerken«, fügte Caro hinzu. »Das Haus Farrell ist keine beliebige Billigmarke. Und The Shop zu verkaufen kommt nicht infrage. Der würde den Sparmaßnahmen bestimmt als Erstes zum Opfer fallen.«

The Shop, wie das Geschäft im Unternehmen hieß, befand sich als exklusive Verkaufsstelle des Hauses Farrell in der viktorianischen Berkeley Arcade in der Nähe des Piccadilly Circus. Die Arkade war ein Touristenmagnet; in den Läden der exklusiven Hoflieferanten (wie sie noch immer genannt wurden) gab es Schmuck, Lederwaren, Maßhemden und ähnlich luxuriöse Dinge zu kaufen. In dem bezaubernden kleinen Farrell-Geschäft mit verglasten Türen und Fenstern konnte man nicht nur die gesamte Produktpalette von Farrell erwerben, sondern sich auch eine Gesichtsmassage gönnen, und Florence hatte in der oberen Etage ihr Büro. Den Mietvertrag hatte Cornelius von seinem Vater übernommen, und The Shop galt gemeinhin als Schatzkästchen des Unternehmens, obwohl er keinerlei Gewinn machte.

»Sie werden sich genau überlegen, was sie aus dem Haus Farrell machen können«, sagte Bertie und nahm sich Sandwich Nummer vier. »Einen gewissen Handlungsspielraum müssen wir ihnen schon lassen. Schließlich wollen sie das Unternehmen auf Vordermann bringen und nicht nur Geld reinpumpen.«

Athina und Caro sahen ihn mit offenem Mund an.

»Bertie, dessen sind wir uns durchaus bewusst«, erklärte Athina, »aber wir müssen auch von Anfang an unsere Position klarstellen. Sonst zerstören sie alles, was das Haus Farrell ausmacht. Und Bertie: Hat dein Arzt nicht gesagt, dass du abnehmen sollst?«

»Ich bin ganz Berties Meinung«, meldete sich Florence zu Wort und griff ihrerseits nach ihrem dritten Sandwich, um ihre Solidarität mit ihm zu demonstrieren und ihren gewaltigen Appetit zu stillen, der in Widerspruch zu ihrer zierlichen Gestalt zu stehen schien.

»Ich aber nicht«, entgegnete Caro. »Das ist eine Riesengelegenheit für die. Sie werden mit der Marke Farrell eine Menge Geld verdienen. Wir besitzen etwas sehr Kostbares, das dürfen wir nicht vergessen.«

»So kostbar, dass die Bank uns den Geldhahn zudrehen will«, bemerkte Bertie. »Porter Bingham wird uns davor bewahren. Ohne sie kommen wir nicht weiter.«

»Bertie hat recht«, pflichtete Florence ihm bei. »Was nicht bedeutet, dass wir uns nicht wehren sollten.«

Bertie war derjenige gewesen, der sich an Porter Bingham gewandt hatte, nachdem ein an den Finanzdirektor adressierter Brief eingetroffen war. Der Absender, ein gewisser Mike Russell von Porter Bingham Private Equity, hatte ihm mitgeteilt, dass er im Rahmen von Recherchen zu einem ähnlichen Unternehmen auf das Haus Farrell aufmerksam geworden sei und sich gefragt habe, ob Mr Farrell möglicherweise an einem Treffen interessiert sei: Porter Bingham habe gegenwärtig ein Investitionsvolumen von 367 Millionen Pfund und halte Ausschau nach gewinnträchtigen Anlagemöglichkeiten bei Unternehmen mit Wachstumspotenzial.

Da das Haus Farrell kein solches Wachstumspotenzial aufwies, hatte Bertie nicht geglaubt, dass Porter Bingham tatsächlich Interesse haben würde, das Schreiben jedoch trotzdem seiner Mutter gegenüber erwähnt.

Athina hatte abgewinkt. »Es ist immer das Gleiche mit diesen Leuten. Sie machen sich im Unternehmen breit, und ehe man sich’s versieht, hat man nichts mehr zu melden. Vergiss es, Bertie, wie deine Tochter sagen würde.«

»Mutter, ich habe das Gefühl, dir ist nicht klar, in was für einem Schlamassel wir stecken. Ich glaube …«

»Bertie. Nein.«

Zwei Tage später hatte Lady Farrell einen Brief von der Bank erhalten, in dem diese sie daran erinnerte, dass das Haus Farrell sämtliche Zahlungsfristen überschritten habe und die Bank das fällige Geld jederzeit eintreiben könne. Ob sie einen Termin zu einem Gespräch über die Situation vereinbaren wolle?

Das Treffen war unerfreulich verlaufen, und es hatte sich herausgestellt, dass das Haus Farrell kurz vor der Insolvenz stand. Auf dem Weg zurück ins Büro hatte Bertie zum ersten Mal so etwas wie Panik in Athinas Blick gesehen. Auf seinen Vorschlag, sich vielleicht doch mit den Leuten von Porter Bingham zusammenzusetzen, hatte sie nun mit einem widerwilligen Nicken reagiert.

»Na schön, Bertie, wenn du wirklich meinst, dass das etwas nützt. Obwohl ich das sehr bezweifle.«

Die erste Zusammenkunft im imposanten Hauptquartier von Porter Bingham hatte nicht gerade dazu beigetragen, Athinas Zweifel zu zerstreuen. Sie hatte den Investoren unumwunden erklärt, dass sie keinerlei Möglichkeit zu einer Zusammenarbeit sehe, und das Treffen vorzeitig verlassen. Doch nach einem erfolglosen Abklappern all ihrer Kontakte in der Bankenwelt hatte der arme Bertie doch noch einmal mit Mike Kontakt aufnehmen müssen.

»Mr Farrell«, hatte Mike gesagt, »es war mir ein großes Vergnügen, Ihre Mutter kennenzulernen, und es hat mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass Sie etwas sehr Wertvolles besitzen. Ich würde vorschlagen, dass wir uns zu viert noch einmal in Ihrem Büro zusammensetzen.«

In ihrem eigenen Revier war Athina zugänglicher geworden, und bei der zweiten Unterredung hatten sie sich darauf geeinigt, sich im Besprechungszimmer von Porter Bingham mit Bianca zum Lunch zu treffen. Bianca war reizend gewesen und hatte angesichts des gemeinsamen Projekts gleichermaßen Zuversicht und Zurückhaltung an den Tag gelegt, was ihr, wenn schon nicht Lady Farrells Zustimmung, so doch immerhin einen geringeren Grad an Feindseligkeit einbrachte. Und so waren sie auf einem holprigen, gewundenen Pfad auf diesen Termin zugeschritten, der nun anstand und dessen Ziel es war, zu einem Vertragsabschluss zu gelangen.

Der Nachmittag zog sich dahin. Argumente wurden vorgebracht, Zugeständnisse gemacht und wieder zurückgezogen, Pemberton und Rushworth brachten unzählige Punkte vor, diskutierten über jedes winzige Detail, nahmen wiederholt auf die Vergangenheit Bezug und hielten das Prozedere im Wesentlichen nur auf.

Hugh und Mike bewahrten bewundernswerte Geduld.

Nachdem wieder eine lange Stunde vergangen war, räusperte sich Mike.

»Ich finde, es ist an der Zeit, über die Verteilung der Anteile zu sprechen«, sagte er. »Soweit ich das verstehe, ist Ihre Position unverändert, Lady Farrell: Sie bestehen nach wie vor auf der Mehrheit der Anteile?«

»Allerdings«, antwortete Athina mit eisigem Blick.

Hugh und Mike sahen einander an; Bianca kannte diesen Blick. Im Schach wäre dies das »Schach«, wenn nicht das »Schachmatt« gewesen.

»Lady Farrell«, hob Mike an und schaute sie mit bemerkenswert ausdruckslosem Gesicht an, »das Haus Farrell benötigt eine substanzielle Finanzspritze, um es vor dem Untergang zu bewahren – mindestens zehn Millionen Pfund zur Schaffung einer gesunden Basis sowie weitere bis zu drei Millionen für die Finanzierung der Veränderungen, die Bianca vermutlich vorhat. Denken Sie wirklich, dass wir Ihnen so viel Geld geben und Ihnen nach wie vor die Kontrolle über das Unternehmen überlassen können?«

»Ja«, antwortete Athina, »genau das tue ich. Denn ohne uns wird es für Mrs Bailey kein Haus Farrell zu … äh … ›verändern‹ geben.«

Nun räusperte sich Walter Pemberton; es lag auf der Hand, dass dies der Moment war, auf den er gewartet hatte. »Unsere Haltung im Hinblick auf die Mehrheit der Anteile ist nicht verhandelbar. Das ist unser letztes Wort.«

Bianca verfolgte die Verhandlungen schweigend. Sie genoss den Rhythmus, die wechselnden Machtdemonstrationen, erkannte, welche Etappensiege wichtig waren und welche nicht, und wartete auf den Todesstoß. Inzwischen war es halb neun, und sie musste Lady Farrell bewundern, die noch genauso frisch und scharfsinnig wirkte wie sieben Stunden zuvor. Auch Caro wankte nicht, obwohl sie wenig zu den Verhandlungen beitrug. Florence lauschte aufmerksam, sagte jedoch noch weniger. Bertie war innerhalb der Familienhierarchie ganz klar das unwichtigste Mitglied: Niemand richtete das Wort an ihn, selbst seine vorsichtigsten Vorschläge wurden barsch beiseitegeschoben. Doch Bianca fiel auf, dass einige seiner Ansichten, eine über den Standort der Produktionsstätte, eine andere über die mögliche Verlegung der Verwaltung, klug waren. Er wurde unterschätzt.

»Gut«, sagte Mike Russell nach einem Teilsieg in puncto Unternehmensumstrukturierung, »ich glaube, allmählich kommen wir voran. Aber da wäre immer noch das Problem mit den Anteilen. Lady Farrell – in diesem Punkt wollen Sie nach wie vor nicht nachgeben?«

»Nein.«

»Würden Sie uns einen Augenblick entschuldigen?«, fragte Mike. »Hugh …«

Sie verließen das Zimmer, und Bianca, die nun mit den Farrells allein war, lächelte ihnen zu.

»Hübscher Raum«, bemerkte sie mit einem Blick auf die hohen Fenster, den schönen edwardianischen Kamin und den hochglanzpolierten Boden. »Ich wünschte, alle Sitzungszimmer wären so behaglich.«

»Wir sind stolz auf unsere Gebäude«, erklärte Athina. »Vermutlich waren Sie noch nicht in unserem Geschäft in der Berkeley Arcade. Das ist etwas ganz Besonderes.«

»Doch, ich war schon dort«, entgegnete Bianca, »allerdings habe ich es mir nur von außen angesehen. Es ist wirklich reizend.«

»Und es besitzt unschätzbaren Wert für die Marke«, bemerkte Athina, »im Hinblick auf Image und Kundenbindung. Eine Journalistin der Vogue hat einmal geschrieben, in ihm schlage das Herz des Hauses Farrell. Würden Sie dem zustimmen?«

»Lady Farrell, es wäre dreist von mir, dem beizupflichten oder zu widersprechen«, antwortete Bianca. »Im Moment weiß ich noch nicht genug über das Haus Farrell, um mir darüber eine Meinung bilden zu können. Aber das Geschäft gefällt mir gut.« Sie nickte Florence zu. »Soweit ich weiß, sind Sie dafür zuständig. Es macht Ihnen bestimmt große Freude.«

»Allerdings.«

In dem Augenblick kamen Mike und Hugh zurück.

»Wir würden gern folgenden Kompromissvorschlag machen«, sagte Mike. »Sie behalten Ihre einundfünfzig Prozent der Anteile, wir übernehmen vierzig und Bianca und der neue Finanzdirektor, den wir bestimmen, gemeinsam neun Prozent.«

»Mrs Bailey wird Anteile am Unternehmen halten? Warum denn das? Ich dachte, sie wird eine einfache Angestellte sein.«

»Lady Farrell, ohne Anteile würde Bianca nicht in die Unternehmensleitung berufen werden. So läuft das bei solchen Vereinbarungen immer.«

»Warum?«

»Weil sie diejenige sein wird, die das Unternehmen zurück in die Gewinnzone führen, es retten muss. Kein Gehalt könnte ihrer Arbeit oder dem damit verbundenen Risiko gerecht werden.«

»Ich weiß nicht, ob wir dem zustimmen. Ihnen einen Anteil zu überlassen ist natürlich vernünftig. Und auch dem Finanzdirektor, der, nehme ich an, von Ihnen kommen würde. Sozusagen als deutlich sichtbares Zeichen der Investition, die Sie tätigen. Aber …« – ihre grünen Augen richteten sich aufblitzend auf Bianca – »aber was hat das mit … ihr zu tun?«

Obwohl Bianca in ihrem gesamten Berufsleben noch niemals so abgekanzelt worden war, ließ sie sich nicht anmerken, wie verletzt sie war. Sie beugte sich vor, lächelte Athina zu und sagte freundlich: »Lady Farrell, wenn es uns heute gelingt, ein Arrangement zu treffen, das mich als CEO des Hauses Farrell etabliert, werde ich mich hundertprozentig in dieses Unternehmen einbringen. Mein Ruf steht dabei genauso sehr auf dem Spiel wie der des Hauses Farrell. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das Unternehmen gemeinsam in die Zukunft und zurück zu seinem früheren Erfolg führen können. Doch das muss miteinander geschehen. Wir sind gegenseitig auf Loyalität angewiesen. Folglich muss ich Teil des Unternehmens sein, nicht nur Angestellte. Können Sie das nachvollziehen?«

Kurzes Schweigen, dann: »Gut, wir stimmen diesem Punkt zu«, erklärte Lady Farrell. »Vorausgesetzt, alles, was Sie uns sonst noch anbieten, sagt uns zu.«

Mike nickte. »Das hoffen wir. Wir gewähren Ihnen einen Kredit und übernehmen Anteile, und wenn das Unternehmen den Erwartungen nicht entspricht, wird zuerst der Kredit getilgt, und der Restwert steht den Anteilseignern zu. Für den Kredit verlangen wir fünfzehn Prozent Zinsen, dafür behalten Sie Ihre Anteile. Wenn Sie an das Haus Farrell und seine Überlebensfähigkeit glauben, sind Sie bestimmt bereit, dieses Risiko einzugehen. Wenn Sie mehr Anteile abgeben, reduziert sich die Höhe der Zinsen. So einfach ist das.«

Erneutes Schweigen.

»Natürlich müssen wir uns darüber mit unseren Anwälten unterhalten, aber ich denke, auf dieser Basis könnten wir aufbauen«, sagte Athina nach einer Weile. »Wir setzen uns am Montag mit Ihnen in Verbindung. Danke. Ich lasse Ihnen Ihre Garderobe bringen.«

Mit diesen Worten erhob sie sich und marschierte mit ihrem Gefolge hinaus.

»Gut gemacht«, lobte Mike alle mit einem müden Grinsen, als die Tür sich hinter ihnen schloss. »Wir haben’s fast geschafft. Ich hatte schon Angst, dass ihre Anwälte uns im letzten Augenblick noch Knüppel zwischen die Beine werfen.«

»Ich glaube, Pemberton und Rushworth wissen gar nicht, wie das geht«, bemerkte Hugh.

»Das Ganze ist clever eingefädelt«, meinte Bianca. »Das haben wir gut hingekriegt.«

»Das finde ich auch«, pflichtete Mike ihr bei.

»Wir haben enorm an Boden gewonnen. Die Sache mit dem Gehalt haben sie geschluckt.«

»Ja, ich hatte befürchtet, dass die Anwälte den Haken an der Sache erkennen, aber …«

»Nein«, sagte Hugh, »die sind viel zu sehr damit beschäftigt, ihr eigenes Verhandlungsgeschick zu bewundern.«

»Schon interessant, wie Eitelkeit den gesunden Menschenverstand trübt, was?«, stellte Bianca fest. »Der Einzige, der so etwas wie Realitätssinn zu besitzen scheint, ist Bertie. Dabei hatte ich ihn anfangs nicht für den Hellsten gehalten.«

KAPITEL 3

Bianca schluchzte laut. Patrick strich ihr die zerzausten Haare aus dem Gesicht und drückte sie an sich. Schon bald würde sie mit dem Weinen aufhören und sich beruhigen, wie immer nach dem Sex.

Allmählich begann sie die Ruhe zu spüren, der sie sich mit einem leisen Seufzen hingab.

»Danke«, sagte sie, auch wie immer.

Und er antwortete, ebenfalls wie gewohnt: »Gern geschehen.«

Jedes Mal war sie aufs Neue überrascht, wie intensiv der Sex nach so vielen Jahren und so großer Vertrautheit noch sein konnte, so wild und außergewöhnlich, so lebendig und wesentlich für ihre Ehe.

Viele hielten Bianca aufgrund ihres Erfolgs in der Geschäftswelt für die Dominante in der Beziehung, doch dem war nicht so, und Patrick beherrschte sie umgekehrt ebenso wenig. Sie waren auf wunderbare Weise gleichberechtigt. Sie diskutierten, stritten sich, schlossen Kompromisse, und wichtiger: Sie achteten einander, hatten Freude aneinander und an ihren komplementären Rollen innerhalb der Familie. Letztlich war es zu schön, um wahr zu sein, das ahnte Bianca.

Sie hob den Kopf ein wenig und sah ihn lächelnd an.

»Möchtest du reden?«

Nach dem Sex waren sie beide selten erschöpft, sondern sprühten eher vor Energie, und in diesem Zustand emotionaler und intellektueller Nähe unterhielten sie sich oft über Probleme, wie sie es im Alltag nicht konnten.

Bianca wusste, dass das etwas sehr Ungewöhnliches, von all den Wundern in ihrer Ehe möglicherweise das größte war.

»Ja«, antwortete Patrick.

Bianca war frustriert. Die Leute von PDN hatten ihr mit sofortiger Wirkung Urlaub gegeben, während die Farrells, oder besser gesagt Athina und Caro, sich weigerten, sie ins Unternehmen zu lassen, bevor der Vertrag unter Dach und Fach war.

»Gott, sind die arrogant«, beklagte sie sich, als sie eines Morgens nach einem erfolglosen Versuch, einen Blick auf die Verkaufszahlen zu werfen, in Mike Russells Büro stürmte. »Glauben die denn, dass ich ihre Betriebsgeheimnisse an Estée Lauder verkaufen will?«

»Wahrscheinlich«, antwortete Mike. »Bianca, haben Sie Geduld. Es dauert nicht mehr lange.«

»Lass uns doch in den Ferien Skifahren gehen«, schlug Bianca Patrick an jenem Abend vor. »Bei mir steht nichts an. Das würde mir Spaß machen und mich ablenken.«

»Hm.« Patrick wirkte alles andere als begeistert. »Dir ist klar, dass ich gesagt habe, wir würden nicht fahren? Ich bin im Moment ziemlich beschäftigt und habe den Urlaub gestrichen. Außerdem haben die Rentons das Chalet inzwischen bestimmt jemand anders angeboten.«

»Schatz, du kannst dir doch immer frei nehmen«, erwiderte Bianca. »Du musst es nur sagen. Es ist ja lediglich eine Woche, und wenn die Kinder sich in den Ferien daheim langweilen und ich mich mit ihnen, kriegen wir alle einen Hüttenkoller. Ich rede mal mit Patsy und frage sie, ob noch Platz für uns ist.«

Patsy Renton, die wusste, dass es ihrem Ruf sehr guttun würde, wenn sie erzählen konnte, dass die Baileys den Urlaub mit ihnen in dem Chalet in Verbier verbringen würden, antwortete, sie seien herzlich willkommen. »Ihr müsstet euch nur um den Flug kümmern«, fügte sie hinzu.

»Das soll Patrick machen«, erklärte Bianca. »Wunderbar, Patsy, ich freu mich schon.«

Danach vereinbarte Bianca einige Extrastunden mit ihrem Personal Trainer – auf keinen Fall wollte sie schlechter sein als die anderen Skifahrerinnen in der Gruppe – und brachte einen atemberaubend teuren Vormittag bei Snow and Rock zu, wo sie alle mit neuen Skisachen ausstattete. Sie konnte sich glücklich schätzen, dass es ihr vergönnt war, das Beste aus ihren beiden Welten zu ziehen, aus der Familie und dem Beruf.

»Cool«, seufzte Milly mit einem Blick auf ihre Beute.

»Echt cool«, pflichtete Fergie ihr bei.

»Hoffentlich stelle ich mich nicht wieder so dumm an«, sagte Ruby, die im vergangenen Skiurlaub ein ums andere Mal gestürzt war.

»Ach was«, munterte Milly sie auf. »Daran war nur dieser blöde Skilehrer schuld. Ich helfe dir, versprochen.«

»Ich will bloß Snowboarden«, verkündete Fergie. »Skifahren macht mir keinen Spaß. Kannst du mir ein Snowboard besorgen, Mum?«

»Hab ich schon«, antwortete Bianca.

»Du bist die Beste!«, rief Fergie begeistert aus.

»Ich weiß«, meinte Bianca bescheiden.

Patrick fiel es gar nicht so leicht, die beiden anderen Partner davon zu überzeugen, dass die große Betriebsprüfung, die er durchführen sollte, noch eine Woche warten konnte. Außerdem musste er das Treffen mit seinem Freund Jonjo Bartlett verschieben, auf das er sich sehr gefreut hatte. Aber ein richtiger gemeinsamer Familienurlaub wäre wunderbar. Der letzte im vergangenen Sommer, im Segelboot an der türkischen Küste, hatte leider ein vorzeitiges Ende gefunden, weil Bianca nach der Hälfte der Zeit nach Hause hatte fliegen müssen.

Bertie erfuhr als Erster davon. Bertie, der somit gezwungenermaßen zum Überbringer der schlechten Botschaft wurde und in die Schusslinie geriet. Er war einfach zu anständig, um das Gespräch den eigentlich Verantwortlichen zu überlassen, Bernard Whittle and Sons, seit der Gründung des Hauses Farrell durch Cornelius und Athina Steuerberater des Unternehmens.

Es stellte sich heraus, dass versäumt worden war, die Einkünfte von The Shop für die vergangenen drei Jahre zu versteuern, was bedeutete, dass das Haus Farrell dem Finanzamt nun einschließlich Zinsen und Mehrwertsteuer eineinhalb Millionen Pfund schuldete.

»Das ist lächerlich«, lautete Athinas Kommentar. »Wir haben daran keine Schuld, höchstens du, Bertie.«

»Warum ich?«, fragte Bertie. »Ich bin nicht für die Buchhaltung zuständig.«

»Doch, das gehört in den Aufgabenbereich des Kaufmännischen Leiters«, widersprach Athina. »Obwohl ich über Bernard Whittle erstaunt bin. Vermutlich müssen wir das diesen Leuten mitteilen, weil wir solche Beträge nicht aus der Portokasse zahlen können, und eine Million mehr oder weniger spielt für die sicher keine Rolle, oder? Ruf sie mal lieber an und sag’s ihnen – die werden dir schon nicht den Kopf abreißen.«

»Ich glaube, es wäre besser, wenn du das erledigst, Mutter«, entgegnete Bertie. »Oder wenn wir sie wenigstens gemeinsam aufsuchen. Es geht nicht gerade um Peanuts. Ich denke, wir schulden ihnen eine offizielle Erklärung.«

»Verstehe«, sagte Mike Russell, um Fassung bemüht angesichts von Lady Farrells Überzeugung, dass die Forderung nach weiteren eineinhalb Millionen Pfund verglichen mit der Gesamtsumme, die Porter Bingham in das Haus Farrell investieren wollte, eher nebensächlich war.

»Lady Farrell, wir sprechen von einem nicht unerheblichen Betrag. Und von einem ziemlich deutlichen Beweis für die Inkompetenz Ihrer Steuerberater. Offen gestanden bin ich entsetzt. Wir müssen die Angelegenheit mit unserer Unternehmensleitung besprechen. Das muss alles genehmigt werden, und ich hatte schon Probleme bei der Absegnung unserer letzten Beschlüsse. Möglicherweise werde ich Sie bitten müssen, das zusätzliche Geld selbst aufzutreiben.«

»Das ist lächerlich! Wir sind nicht in der Lage, solche Summen aus dem Ärmel zu schütteln.«

»Vielleicht könnte einer von Ihnen Geld aus seinem Privatvermögen zuschießen. Sie wohnen ja alle recht feudal und …«

»Das halte ich für keine gute Idee«, unterbrach Athina leicht genervt. »Obwohl dein Haus natürlich viel zu groß für euch ist, Bertie, und Priscilla schon seit Jahren davon spricht, nach London zurückzuziehen. Das könnten wir überlegen.«

Bertie schwieg.

Mike erhob sich, trat ans Fenster und schaute hinaus. »Diese Mitteilung hat mein Vertrauen in die von Ihnen gelieferten Informationen erschüttert. Wie Sie wissen, werden wir künftig unsere eigenen Finanzexperten für die Zusammenarbeit mit dem Haus Farrell bestimmen, und die wollen nächste Woche mit der Prüfung der Bücher beginnen. Mir graut schon vor neuen Katastrophenmeldungen. Möglicherweise werden Sie uns als Zugeständnis Ihrerseits die Kontrolle über die Familienanwesen überlassen müssen. Ich weiß, dass Mrs Johnson ein Haus in Hampstead besitzt. Mr Farrell, wo befindet sich das Ihre?«

»In … in Surrey«, antwortete Bertie. »In … äh … Esher.«

»Sehr gut. Es ist nicht mit einer Hypothek belastet?«

»Nein.«

Bertie betrachtete seine Hände, die – das fiel Mike auf – wie so oft zu Fäusten geballt waren.

»Gut, dann wäre das vielleicht ein denkbarer Weg«, sagte er. »Überdies muss Bianca ab sofort Zugang zu allen Informationen erhalten, die sie benötigt. Sie muss in der Lage sein, eigene Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen, und zwar jederzeit. Ich möchte, dass Sie von Montag an vollständig mit Bianca kooperieren. Wenn das nicht möglich ist, muss ich unsere weitere Zusammenarbeit noch einmal überdenken.«

»Ich sehe da kein Problem«, erklärte Bertie. »Im Gegenteil: Der Vorschlag scheint mir sehr vernünftig zu sein.«

»Mir nicht«, widersprach Athina. »Aber vermutlich sollten wir darüber reden.«

Bianca war gerade dabei, die Koffer für die Kinder zu packen, als Mike anrief.

»Bianca, es geht los.«

»Wie bitte?«

»Am Montag. Die alte Hexe hat Lawrence Ford, diesem Clown von Marketing Manager, gesagt, dass er vollständig mit Ihnen kooperieren muss und dass Sie sich auch in allen Geschäften umsehen können. Okay?«

»Tja«, antwortete Bianca mit einem hektischen Blick auf die Berge von Jacken auf ihrem Bett, »eigentlich wollte ich gerade eine Woche zum Skifahren …«

»Ach.« Mikes Stimme klang plötzlich hart. »Bianca, wir stehen unter Zeitdruck, das wissen Sie doch. Sie können später im Jahr Urlaub nehmen, wenn die Sache läuft. Lassen Sie mich jetzt nicht hängen.«

»Ich … okay«, sagte Bianca, und während sie hörte, wie Fergie Patrick, der gerade vom Büro nach Hause gekommen war, erzählte, er habe am Morgen alle anderen Jungen auf der Kunstschneepiste geschlagen, spürte sie dieses vertraute Gefühl der Erregung in sich aufsteigen, weil sie sich nun endlich richtig mit dem Haus Farrell und seinen Problemen beschäftigen konnte.

»Natürlich komme ich am Montagmorgen«, versprach sie. »Danke, Mike.«

Dann bat sie Patrick, ihr ins Arbeitszimmer zu folgen.

KAPITEL 4

Gott, wie schrecklich! Wenn das so weiterging, würde sie alles hinschmeißen. Es wurde mit jedem Tag schlimmer. Nicht nur der Job und das Gefühl, nicht voranzukommen, sondern auch das, was das mit ihr und ihrem Ruf in der Branche machte. Sie konnte es sich nicht leisten, als Versagerin dazustehen. Hätte sie sich nur nicht darauf eingelassen! Dabei hatte es so verführerisch geklungen.

»Mir ist klar, dass wir nicht gerade das aufregendste Unternehmen der Branche sind«, hatte Lawrence Ford, der Leiter der Marketingabteilung, gesagt, »aber genau deswegen wollen wir Sie. Um aufregender zu werden. Wir haben große Pläne und wollen Aufmerksamkeit – mit Ihrer Hilfe. Wenn Sie einschlagen, Miss Harding« – er hatte sie mit einem intensiven Blick bedacht –, »sind Ihnen keine Grenzen gesetzt.«

Leider war Susie inzwischen bereits an ihre Grenzen gestoßen. Sie hätte es wirklich besser wissen müssen, denn sonderlich sympathisch hatte sie Lawrence Ford nicht gefunden. Er war ihr zu schmierig dahergekommen, hatte aber eine Sprache gesprochen, die sie verstand, ihr fünfundzwanzig Prozent mehr Gehalt geboten als bisher, eine betriebliche Krankenversicherung, ausgesprochen großzügig bemessene Spesen und eine Firmenkreditkarte. Das ganze Drum und Dran.

Und so schön sie auch gewesen war, die Arbeit bei Brandon, dem jüngsten, coolsten Make-up-Hersteller: Sie hatte das Gefühl gehabt, dort alles erreicht zu haben und neue Herausforderungen zu brauchen. Schließlich hatte sie einen ausgezeichneten Ruf, war die PR-Frau, die alle Journalisten anriefen, wenn sie etwas benötigten, sei es eine Story oder das neueste Produkt. Sie hatte sich einige Tage lang über das Haus Farrell informiert, über seine Produktpalette und die Firmengeschichte (was für ein PR-Potenzial; die alte Lady Farrell war ja echt der Wahnsinn!), und beschlossen zuzusagen. Sie sah, wo Fehler gemacht worden waren, und hatte jede Menge Ideen, wie sie sich beheben ließen.

Sie hatte mit Henk darüber geredet; Henk war ihr neuer Freund, ein bislang eher erfolgloser Fotograf. Er hatte sie gedrängt, die Gelegenheit zu ergreifen.

»Das bringt mehr Geld, Baby, und du bist dein eigener Chef.«

Ihre innere Stimme hatte sie gewarnt, dass er ihr zuredete, weil sie dank der neuen Stelle in der Lage wäre, ihn mit durchzufüttern und ihm möglicherweise sogar Arbeit zu verschaffen, aber diesen Gedanken schob sie rasch wieder beiseite. Susie reizte die Herausforderung, und das hatte sie Lawrence Ford am Telefon gesagt.

Es war tatsächlich eine Herausforderung gewesen. Sie hatte bis tief in die Nacht gearbeitet, bei Leuten angerufen, die ihr noch einen Gefallen schuldeten, lateral agiert, sich Geschichten ausgedacht – alles völlig umsonst. Am Ende hatten Beauty-Redakteurinnen und Blogger keine Mails oder Anrufe von Susie Harding mehr beantwortet. Make-up-Artists nahmen ihr Angebot, sie mit der vollen Produktpalette des Hauses Farrell auszustatten, nicht mehr an, und die Aussicht auf ein persönliches Interview, die bei Kris Brandon noch so verlockend gewesen war, erschien bei den Farrells völlig unattraktiv – es sei denn natürlich, es handelte sich um Lady Farrell selbst, denn für die interessierten sich alle. Aber die weigerte sich, auch nur an ein solches Interview zu denken, wenn sie nicht jedes Wort des Artikels überprüfen konnte, bevor er erschien.

Und als Susie dann schließlich doch noch das Unmögliche gelang, nämlich The Cream bei Ein Model empfiehlt unterzubringen, einem der Top-Ten-Blogs, und zwar als »absolut super«, dankte man es ihr nicht einmal. Im Gegenteil: Am Ende beklagte sich die Alte sogar, dass sie es lediglich geschafft hatte, »einen Blog« für das Unternehmen zu interessieren.

»Wir wollen Vogue und Tatler, Susie, bitte vergessen Sie das nicht.«

Susie fuhr seufzend den Computer herunter, schlüpfte in ihren Mantel, steckte das Handy in ihre Handtasche und machte sich mit klappernden Stöckelschuhen (Louboutins, aber wen interessierte das heutzutage noch?) auf den Weg zum Aufzug. In einer halben Stunde würde sie sich mit Henk im Soho House treffen. Er wäre bestimmt ganz ihrer Meinung, denn er sagte ihr schon seit ihrer ersten Woche beim Haus Farrell, dass sie ihre Zeit vergeudete. Nicht, dass er eine Ahnung gehabt hätte. Er wäre nur gern mitgegangen, wenn sie ihre Freunde von der Presse bespaßte, und das tat sie ja nun nicht mehr. Manchmal wünschte sich Susie, eine richtige Beziehung zu haben, in der sie das Gefühl haben konnte, dauerhaft unterstützt zu werden, in der es nicht nur ums Lachen und den Sex ging. So eine Beziehung hatte sie bisher nicht gefunden.

Immerhin hatte sie jemanden. Jemanden, der cool und sexy war. Und nur das zählte; Alleinsein schadete dem Image – ganz abgesehen von den anderen Nachteilen, die ein Singledasein mit sich brachte.

Sie musste weg vom Haus Farrell. Dort bekam sie Depressionen, und mit Depressionen konnte man sich nicht um die PR kümmern.

»Hallo, Patrick. Ich bin’s, Jonjo. Wie geht’s, alter Schwede? War’s schön in dem Skiurlaub, für den du mir einen Korb gegeben hast? Egal, ich hätte da einen Vorschlag für dich und wollte fragen, ob du in den nächsten Tagen mal ein paar Minuten Zeit hast.«

»Klar. Gern.« Wie fühlte es sich wohl an, fragte sich Patrick, keine paar Minuten Zeit zu haben, wirklich beschäftigt zu sein, sogar gestresst, überlastet, erschöpft, und sich nach einer Pause zu sehnen? All das konnte er sich nicht vorstellen, weil er sich gemütlich von Mandant zu Mandant, von Besprechung zu Besprechung, von Lunch zu Lunch vorarbeitete.

»Wunderbar! Wie wär’s mit einem Drink am Donnerstag im L’Anima, bei der Broadgate West? So gegen sechs?«

»Ist mir ein bisschen zu früh«, erklärte Patrick in dem verzweifelten Versuch, beschäftigt zu klingen. »Halb sieben wäre mir lieber.«

»Gut, halb sieben. Wie geht’s Bianca?«

»Danke der Nachfrage. Steht gerade vor einem neuen, sehr, sehr anstrengenden Job. Im Gegensatz zu einem nur sehr anstrengenden.«

»Warum überrascht mich das nicht?«, fragte Jonjo lachend. »Sie ist wirklich eine bemerkenswerte Frau. Bis Donnerstag.«

Patrick überlegte, worüber Jonjo wohl mit ihm sprechen wollte. Jonjo Bartlett, der coolste, witzigste, cleverste Kerl der Londoner City, der Millionen verdiente, verlor und mit einem Mausklick zurückgewann. Jonjo, von dessen Arbeit als Devisenhändler Patrick so gut wie nichts verstand. Jonjo, dessen Freunde alle ebenfalls witzig, clever und cool waren, Jungs aus der Arbeiterschicht, die es ziemlich weit nach oben geschafft hatten. Jonjo, der in ganz großem Stil in einer Wohnung in Canary Wharf residierte, ein Vermögen für Kleidung und Autos und eine endlose Reihe von supertollen Mädchen ausgab und jedes Mal, wenn er Patrick zu Hause besuchte, gestand, dass er auf ihn neidisch sei. Jonjo, der einmal verheiratet gewesen war und sich nach zwei Jahren hatte scheiden lassen. Jonjo, der zugab, dass er seitdem auf der Suche nach einer neuen Ehefrau sei.

Anders als die meisten seiner Kollegen stammte Jonjo aus einer reichen Familie. Er hatte wie Patrick eine Privatschule besucht, wo zwischen ihnen eine enge, wenn auch ein wenig merkwürdige Freundschaft entstanden war.

Als nach dem Abschluss an der Charterhouse-Schule alle an die Uni gegangen waren, hatte Jonjo, der die Lernerei satthatte, sich sofort einen Job in der Londoner City gesucht und bereits nach zwei Jahren Aufsehen erregt. Er und Patrick trafen sich mindestens einmal im Jahr zum Essen. Dabei verwöhnte Jonjo seinen Freund mit Jahrgangschampagner von Bollinger und seit Neuestem auch mit Sushi, und am Ende des Abends erklärte er ihm immer mit zunehmend verwaschener Stimme, wie glücklich Patrick sich schätzen könne und dass er seinen neuen Ferrari dafür geben würde, an seiner Stelle zu sein. Patrick nickte jedes Mal mitfühlend und tätschelte zuerst Jonjos Hand, dann seine Schulter und schließlich seinen Kopf, der mittlerweile für gewöhnlich auf seinen Unterarmen auf dem Tisch ruhte, und versicherte ihm, dass eines Tages bestimmt alles gut werden würde.

Es wäre schön, ihn zu sehen, dachte Patrick, weil die letzten Wochen grässlich gewesen waren und die Arbeit ihm in letzter Zeit immer weniger Spaß machte. Dazu dann noch der Albtraum mit dem Skiurlaub. Die Kinder hatten alle geweint, richtig geweint, als klar geworden war, dass ihre Mutter nicht mitkommen würde, und Patrick hatte versucht, sie in Verbier zu bändigen, wenn sie hin- und herschwankten zwischen dem Kummer darüber, dass ihre Mutter nicht dabei war, und ihrem Drang, ihre Selbstständigkeit zu beweisen und auszuleben.

Noch nie war Patrick so froh gewesen, von einem Urlaub nach Hause zu kommen.

»Hallo! Hoffentlich störe ich nicht. Lady Farrell hat gesagt, ich könnte Sie besuchen und mit Ihnen sprechen, Miss Hamilton.«

Florence Hamilton bedachte Bianca über die Verkaufstheke des Geschäfts in der Berkeley Arcade hinweg mit einem Lächeln. »Immer gern.« Allerdings klang sie nicht sonderlich begeistert. Sie war felsenfest davon überzeugt, dass Bianca den Shop schließen wollte.

Bianca strahlte. »Was für ein Schmuckstück für das Haus Farrell. Das Geschäft ist reizend. Seit wann führen Sie es? Seit 1953?«

»Ja«, antwortete Florence. »Lady Farrell – damals natürlich noch Mrs Farrell – hat mich im März eingestellt, und wir haben im Mai eröffnet, gerade rechtzeitig zu den Krönungsfeierlichkeiten, zu denen so viele Touristen nach London kamen. Sie sind alle in die Arkade geströmt, und besonders den amerikanischen Damen hat es hier sehr gut gefallen. Das war damals eine sehr aufregende Zeit.«

»Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte Bianca und nahm eine Dose von The Cream von der Verkaufstheke. »Darf ich?«

»Ja, natürlich.«

Bianca öffnete die Dose wie ein Kind ein Weihnachtsgeschenk und trug ein wenig von der Creme auf die Innenfläche ihres Handgelenks auf. »Ich liebe diese Creme.«

»Dann nehmen Sie doch eine Dose für sich mit.«

»Das ist nett, danke, aber selbstverständlich habe ich schon eine zu Hause. Schließlich wollte ich das Produkt, das dem Haus Farrell zu Ruhm verholfen hat, an mir selbst ausprobieren.«

»Und?«, erkundigte sich Florence.

»Wie gesagt: Ich liebe sie. Damit sehe ich auf einen Schlag mindestens zehn Jahre jünger aus.« Sie schmunzelte. »Die Verpackung gefällt mir auch. Aber wo sind die Body Lotions und die anderen Sachen? Ah, da, ich sehe sie schon. Und das Augen-Make-up …?«

»Hier, unter der Glastheke«, erklärte Florence.

»Gute Idee. Was für ein hübsches altmodisches Geschäft. Ich könnte mir vorstellen, dass der Umsatz saisonal schwankt. Im Sommer ist mehr los, nicht wahr?«

»Ja, aber ganz ruhig ist es hier nie«, erklärte Florence mit fester Stimme. »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten? Ich habe oben ein kleines Zimmer, mein Boudoir. Natürlich arbeite ich dort«, fügte sie hastig hinzu, damit Bianca nicht auf die Idee kam, dass das ihr persönlicher Luxus war. »Darin erledige ich den Papierkram.«