Die Stürme der Zeit - Penny Vincenzi - E-Book
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Die Stürme der Zeit E-Book

Penny Vincenzi

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Beschreibung

Die Zwillinge Adele und Venetia Lytton genießen die Freiheit der goldenen Zwanziger in vollen Zügen. Wie einst ihre Mutter Celia verdrehen sie mit ihrer Schönheit, ihrem Charme und ihrem Selbstbewusstsein den Männern der Londoner und Pariser Society den Kopf. Das Leben scheint aus einer endlosen Abfolge von teuren Kleidern, Champagner und glamourösen Partys zu bestehen. Mit Stolz beobachten Celia und ihr Mann Oliver wie ihre Kinder erwachsen werden, und freuen sich über den anhaltenden Erfolg des Lytton-Verlags. Doch ein Schatten legt sich über Europa, der Zweite Weltkrieg kündigt sich an – und den Lyttons steht eine dramatische, alles verändernde Zeit bevor ...

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Seitenzahl: 960

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Buch

In der Londoner Society und Verlagswelt ist sie mittlerweile eine Art Legende: Lady Celia Lytton. Dank ihres untrüglichen Gespürs für Bestseller, aber natürlich auch dank ihrer charismatischen Persönlichkeit, erlebt der Lyttons-Verlag seine Blütezeit. Auch die Kinder von Celia und ihrem Mann Oliver sind inzwischen erwachsen und beginnen sich – teils mehr, teils weniger – für das Verlagsgeschäft zu interessieren. Während der arme Giles, mittlerweile angestellt bei Lyttons, es seiner Mutter nach wie vor nicht recht machen kann, strahlt der Stern der wunderschönen Zwillingsschwestern Adele und Venetia umso heller. Sie treiben sich in London und Paris herum, gehen fragwürdige Romanzen ein und verfolgen ungewöhnliche Karriereziele. Barty, das hochintelligente Mädchen aus dem Armenviertel, das Celia vor Jahren zu sich genommen hatte, hat mittlerweile ihr Studium in Oxford abgeschlossen und geht nach New York, um die amerikanische Dependance des Verlags zu leiten. Doch als der Zweite Weltkrieg ausbricht, stehen den Lyttons dramatische Veränderungen bevor …

Weitere Informationen zu Penny Vincenzi

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

PENNY VINCENZI

DIE

STÜRME

DER ZEIT

DIE LYTTON-SAGA BAND 2

Roman

Aus dem Englischen

von Ulrike Laszlo

Die englische Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel

»Something Dangerous – The Spoils Of Time: 2« bei Orion, London.

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Deutsche Erstveröffentlichung Mai 2018

Copyright © der Originalausgabe 2001 by Penny Vincenzi

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München

Covermotiv: Lee Avison/Trevillion Images

FinePic®, München

Redaktion: Ann-Catherine Geuder

em · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-21707-5V003

www.goldmann-verlag.de

Für Paul. Für ein immer offenes Ohr und

eine erstaunlich belastbare Schulter.

In großer Liebe.

»So ist doch was Gefährliches in mir.«

Hamlet, Prinz von Dänemark

DIE HAUPTFIGUREN

LONDON

Oliver Lytton, Leiter des Verlagshauses Lyttons

Lady Celia Lytton, seine Frau und Cheflektorin

Giles, die Zwillinge Venetia und Adele und Kit, ihre Kinder

Margaret (LM) Lytton, Olivers ältere Schwester und Geschäftsführerin

Jay Lytton, LMs Sohn mit ihrem verstorbenen Geliebten Jago Ford

Gordon Robinson,LMs Ehemann

Jack Lytton, Olivers jüngerer Bruder

Lily Lytton, Jacks Frau und Schauspielerin

Barty Miller, von Celia in der Lytton-Familie großgezogen

Sebastian Brooke, Bestsellerautor von Kinderbüchern, die bei Lyttons verlegt werden

Boy Warwick, Giles’ alter Schulfreund

Abigail Clarence, Lehrerin und Bartys Freundin

Cedric Russell, Gesellschaftsfotograf

AUF DEM LAND

Lord Beckenham, Celias Vater

Lady Beckenham, Celias Mutter

Billy Miller, Bartys Bruder

NEW YORK

Robert Lytton, Olivers älterer Bruder und erfolgreicher Bauunternehmer

Laurence Elliott, Roberts entfremdeter Stiefsohn aus seiner Ehe mit der inzwischen verstorbenen Jeanette

Jamie Elliott, Laurence’ Bruder

Maud Lytton, Robert und Jeanettes Tochter

John Brewer, Roberts Geschäftspartner

Felicity Brewer, Johns Frau und Dichterin, deren Werke bei Lyttons herausgegeben werden

Kyle Brewer, Felicitys und Johns Sohn, Lektor

Geordie MacColl, ein Autor, dessen Werke bei Lyttons herausgegeben werden

PARIS

Guy Constantine, Leiter eines französischen Verlagshauses

Luc Lieberman, Cheflektor

Madame André, Adeles Vermieterin

TEIL EINS

1928 – 1939

KAPITEL 1

Venetia Lytton erzählte allen mit Begeisterung, am Tag ihrer Geburt sei das ganze Land in Trauer gestürzt.

Das war zwar historisch korrekt und verschaffte ihr garantiert Aufmerksamkeit, vermittelte aber einen falschen Eindruck; ihre Zwillingsschwester Adele, die das Leben etwas nüchterner betrachtete, erklärte daraufhin üblicherweise, ihre Geburt sei fast auf die Stunde genau mit dem Tod von Edward VII. zusammengefallen.

»Ja, das stimmt«, räumte Venetia dann widerstrebend ein. »Aber es war auf jeden Fall ein furchtbar trauriger Tag. Mummy sagte, dass die Schwestern bei jedem Blumenstrauß, den sie hereinbrachten, immer heftiger schluchzten, und als Daddy kam, trug der Arzt tatsächlich eine schwarze Krawatte. Also ist er natürlich davon ausgegangen, dass etwas Schreckliches passiert war.«

Woraufhin fast immer jemand, meist einer der zwei Brüder der Zwillinge, falls sie dabei waren, anmerkte, dass das tatsächlich der Fall gewesen sei; schließlich seien sie und Adele an diesem Tag auf die arglose Menschheit losgelassen worden. Venetia gab dann vor zu schmollen, Adele lächelte gelassen und irgendjemand (für gewöhnlich eine andere junge Frau, die versuchte, ein wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen) bemühte sich, das Thema zu wechseln.

Es war nicht leicht, von den Lytton-Zwillingen abzulenken, weil sie nicht nur außerordentlich hübsch und unterhaltsam waren, sondern sich auch verblüffend ähnlich sahen. Es hieß, dass man die berühmten Morgan-Zwillinge Thelma und Gloria (besser bekannt als Lady Furness und Mrs Reginald Vanderbilt) nur voneinander unterscheiden konnte, wenn man nah genug vor ihnen stand, um die kleine Narbe unter Thelmas Kinn zu sehen, die Folge eines Rollschuh-Unfalls während ihrer Kindheit. Bei den Lytton-Zwillingen gab es jedoch keinen solchen hilfreichen Hinweis. Venetia hatte zwar ein kleines Muttermal auf ihrer rechten Pobacke, aber da diese in gesellschaftlichen Situationen üblicherweise bedeckt blieb, hatten die meisten Leute keine Ahnung, mit welchem der Zwillinge sie gerade sprachen, neben wem sie saßen oder mit wem sie tanzten.

Und die Zwillinge liebten es, diese Verwirrung noch weiter zu fördern. In der Schule hatten sie es genossen, sich ständig für die andere auszugeben, und ihre Lehrer damit zur Verzweiflung getrieben, bis ihre Mutter dahinterkam und ihnen aus großer Sorge um ihre Bildung – was für ihre Klasse und ihr Alter sehr ungewöhnlich war – androhte, sie in verschiedene Internate zu stecken. Die Angst vor einer Trennung war so groß, dass die beiden schließlich gehorsam folgten.

Bei ihrem Debütantinnenball trugen sie identische weiße Satinkleider und große weiße Rosen im schimmernden, kurz geschnittenen Haar und sorgten für so große Konfusion, dass einige Anwesende der älteren Generation das Gefühl hatten, betrunkener zu sein, als sie es tatsächlich waren.

Sie genossen ihre Einführung in die Gesellschaft sehr; ihre Mutter hatte ganz bewusst einen der Bälle in der frühen Osterzeit ausgesucht, da sie diese für bedeutender und einprägsamer hielt: »Im Juni ist so viel los – da besteht die Gefahr, dass man diesen Ball nur noch als einen von vielen im Gedächtnis behält.«

Nicht dass die Sorge bei diesem Ball, der in Celias Elternhaus in der Londoner Curzon Street abgehalten wurde, begründet gewesen wäre. Selbst wenn das Haus nicht ganz so prächtig, der Champagner nicht ganz so edel und die Musik nicht ganz so modern gewesen wäre, hätte allein die Tatsache, dass es sich um einen Ball für die Zwillinge handelte, das Fest beachtenswert gemacht. Sie gehörten unbestritten zu den beliebtesten und brillantesten Debütantinnen des Jahres, gefangen in einem Rausch von Bällen, Partys und Wochenenden auf dem Land, und all die aufregenden Ereignisse der Saison – das Derby, Ascot, Henley und noch einiges mehr – lagen noch vor ihnen. In der Regenbogenpresse erschienen regelmäßig Fotos von ihnen, und die Vogue hatte ihnen sogar ehrenvollerweise eine ganze Seite gewidmet, auf der sie ihre Ballkleider von Vionnet trugen. Ihre Mutter war über ihren Erfolg sehr erfreut. Es wäre schon eine Freude gewesen, auch nur eine hübsche und beliebte Tochter in die Gesellschaft einzuführen, aber gleich zwei solche Töchter vorzustellen kam einem Triumphzug gleich.

Heute, an ihrem achtzehnten Geburtstag, war noch öfter als sonst über die Trauer im Land bei ihrer Geburt gesprochen worden, sodass Giles, ihr um fünf Jahre älterer Bruder, beim Frühstück damit gedroht hatte, abends nicht zu der Party zu erscheinen, wenn er noch ein weiteres Wort darüber hören würde.

»Und dann wird es dir leidtun, Venetia. Denn ich werde Boy Warwick sagen, dass er ebenfalls nicht kommen soll.«

»Das ist mir völlig gleichgültig«, erwiderte Venetia unbekümmert, zog eine Puderdose aus ihrer Tasche und tupfte ein wenig Puder auf ihre perfekt gerade Nase. »Schließlich hast du ihn eingeladen, nicht ich. Er ist dein Freund.«

»Venetia, bitte nicht bei Tisch, das ist so schrecklich gewöhnlich«, wies ihre Mutter sie scharf zurecht. »Und natürlich wird Boy kommen – ich kann jetzt unmöglich die Tischordnung noch einmal ändern. Ich werde mich gleich bei der Köchin vergewissern, dass alles für das Dinner vorbereitet ist. Da Barty nicht kommen kann, sind wir nur neunzehn.«

»Wie schade«, flüsterte Venetia Adele zu. Als sie sah, dass ihre Mutter den Blick auf sie richtete, lächelte sie fröhlich. »Ich habe nur gesagt, wie schade ich das finde. Aber es ist ja auch ein weiter Weg von Oxford. Nur für ein Dinner.«

»Nun, sie wäre einige Tage geblieben«, sagte Celia. »Aber die Abschlussprüfungen stehen bevor, und sie sind ihr sehr wichtig. Das sollten wir respektieren, findet ihr nicht?«

»Natürlich«, erwiderte Adele.

»Absolut«, stimmte Venetia ihr zu.

Sie tauschten einen Blick und sahen dann ihre Mutter unschuldig an.

»Wir werden sie vermissen.« Adele seufzte. »Sie ist so klug. Ich bin sicher, sie wird mit Auszeichnung abschließen.«

»Mit Sicherheit«, warf Venetia ein.

»Sicher ist nichts«, widersprach Celia. »Kein Erfolg stellt sich automatisch ein, vor allem nicht im akademischen Bereich. Euer Vater hat sein Studium mit Bestnote abgeschlossen, aber dafür hat er auch unglaublich hart gearbeitet. Stimmt doch, Oliver?«

»Was meinst du, meine Liebe?« Oliver Lytton schaute von der Times auf, die Stirn leicht gerunzelt.

»Du hast für deinen Abschluss mit Auszeichnung offensichtlich sehr hart gearbeitet, Daddy«, erklärte Venetia.

»Das nehme ich an. So genau kann ich mich daran nicht mehr erinnern.«

»Mummy ist davon überzeugt.«

»Da ich eure Mutter damals noch nicht kannte, ist es schwer für sie, das zu beurteilen.«

»Für Mummy ist nichts schwer zu beurteilen.« Adele kicherte.

Celia warf ihr einen strafenden Blick zu. »Ich habe wichtigere Dinge zu tun, als dermaßen dumme Gespräche zu führen. Und wenn ich rechtzeitig zu eurer Geburtsparty wieder zu Hause sein will, muss ich in einer halben Stunde ins Büro fahren. Giles, möchtest du mich begleiten?«

»Ich … ich werde jetzt schon fahren«, erwiderte Giles rasch. »Wenn es dir recht ist.«

»Natürlich, Giles, warum sollte mir das nicht recht sein? Ich bin froh, dass du deine Arbeit so ernst nimmst. Was genau hast du heute Morgen vor? Es muss etwas sehr Dringendes sein, wenn es nicht noch dreißig Minuten warten kann. Ich hoffe, es liegt nichts im Argen?«

Gott, sie ist so unfair, dachte Giles. Selbst beim Familienfrühstück wies sie ihn in seine Schranken und betonte seine niedrige Position bei Lyttons.

»Alles in Ordnung, Mutter, aber ich muss einige Seiten des neuen Buchanan-Buchs Korrektur lesen und Änderungen vornehmen, und …«

»Ich hoffe, wir sind damit nicht zu spät dran«, unterbrach Celia ihn. »Es muss unbedingt im Juli in den Verkauf gehen. Es würde mir große Sorgen bereiten, wenn …«

»Mutter, wir liegen damit genau im Zeitplan.«

»Warum dann die Eile?«

»Celia, lass den Jungen in Ruhe«, mischte sich Oliver sanft ein. »Er möchte einfach nur seinen Job machen, bevor die Telefone zu klingeln beginnen. Korrekturlesen erfordert viel Sorgfalt; ich habe es auch immer am liebsten früh am Morgen erledigt.«

»Ich weiß darüber bestens Bescheid – schließlich habe ich selbst einige Erfahrung damit«, entgegnete Celia. »Ich wollte einfach nur …«

»Celia«, mahnte Oliver leise. Sie starrte ihn einen Moment lang an, stand dann auf, rückte geräuschvoll ihren Stuhl zurück und warf ihre Serviette auf den Tisch.

»Nun, da Giles ein so gutes Beispiel gibt, sollte ich selbst so rasch wie möglich in die Firma fahren. Wenn ihr mich entschuldigt.«

Giles wartete einen Augenblick, schaute kläglich auf seinen Teller und hastete dann seiner Mutter hinterher.

»Armer alter Giles«, sagte Venetia.

»Armer alter Junge«, sagte Adele.

»Ich verstehe nicht ganz, womit Giles so viel Mitleid verdient hat«, meinte Oliver.

»Daddy! Das ist doch vollkommen offensichtlich. Mummy lässt keine Gelegenheit aus, um ihn zurechtzuweisen und ihm klarzumachen, dass sie der Boss ist – sowohl im Büro als auch hier.«

»Adele! Das war unangebracht. Ich finde, du solltest dich entschuldigen.«

Sie sah ihn einen Augenblick lang erschrocken an, dann erschien auf ihrem hübschen kleinen Gesicht ein süßes, kokettes Lächeln.

»Daddy, sei nicht dumm. Ich hab nur Spaß gemacht, das weißt du doch.« Sie sprang auf, ging zu ihm hinüber und küsste ihn rasch. »Natürlich ist Mummy nicht der Boss – das bist du. Aber Giles ist so nervös wegen seines neuen Jobs. Und wenn Mummy so auf ihn losgeht, macht es die Sache nur noch schlimmer.«

»Sie ist nicht auf ihn losgegangen«, entgegnete Oliver streng. »Sie wollte sich nur vergewissern, dass es keine Probleme gibt.«

»Ja, natürlich. Tut mir leid, Daddy. Wahrscheinlich verstehen wir das nicht so richtig, weil wir nicht bei Lyttons arbeiten.«

»Adele, ich wäre sehr glücklich, wenn ihr auch ein Teil von Lyttons wärt. Und ich bin es schon bei der Vorstellung, dass ihr das eines Tages vielleicht sein werdet.«

Oliver lächelte beide an, stand auf und sammelte die Tageszeitungen ein. »In der Zwischenzeit solltet ihr so viel Spaß haben wie nur möglich. So, und ich muss jetzt auch an die Arbeit. Was habt ihr beide heute vor? Wahrscheinlich müsst ihr wichtige Einkäufe erledigen.«

»Sehr wichtige«, erwiderte Venetia.

»Wirklich wichtige«, bestätigte Adele. »Wir sind am Samstag zu einer Party auf dem Land eingeladen und brauchen dafür dringend neue Schuhe – die alten haben wir alle schon durchgetanzt. Bis später, Daddy.«

Allein am Tisch sahen sie sich in die Augen.

»Armer alter Giles«, sagte Venetia.

»Armer alter Junge«, sagte Adele.

Giles ging mit schnellem Schritt am Embankment entlang, weg vom Cheyne Walk, weg von seinen Eltern, und wünschte sich dabei leidenschaftlich, sie nicht in einer knappen Stunde schon wieder sehen zu müssen. Seit fast zwei Jahren arbeitete er jetzt im House of Lytton in der Paternoster Row, unbestreitbar eines der größten Verlagshäuser in London. Er war in der Hierarchie vom Postjungen zum Verlagsgehilfen bis zum Nachwuchslektor aufgestiegen. Natürlich war dieser Aufstieg sehr schnell gegangen und keine richtige Lehre gewesen, aber er hatte trotzdem alle Stationen durchlaufen müssen.

»Das ist sehr wichtig«, hatte Oliver ihm erklärt. »Du musst über jede Phase des Prozesses Bescheid wissen, um zu verstehen, wie sich das alles zu einem Ganzen fügt.« Damit war Giles natürlich einverstanden; er hatte nicht erwartet, als Mr Lytton der Dritte in die Firma einzutreten und bereits am ersten Tag eine Reihe von ihm ausgesuchte Bücher zu veröffentlichen. Und diese neue Phase war sehr interessant. Die Fehler des Schriftsetzers zu entdecken, die Rechtschreib- und Satzzeichenfehler aufzuspüren und dann die Korrekturen von den ersten Fahnen auf die weiteren zu übertragen, war schon eher das, was er unter Verlagsarbeit verstand. Und er durfte jedes neue druckfrische Buch lesen, herausfinden, was sich hinter den Titeln in den Katalogen verbarg, an endlosen Redaktionskonferenzen teilnehmen, mitdiskutieren, welcher Buchumschlag am besten geeignet war, und die wachsende Aufregung miterleben, die jede neue Publikation begleitete.

Er genoss das alles, und es störte ihn nicht, wenn ihm aufgetragen wurde, etwas immer wieder zu machen. Es machte ihm auch nichts aus, wenn man ihn darauf hinwies, dass er einen Fehler begangen hatte. Was für ihn jedoch beinahe unerträglich war, war die übermächtige Präsenz seiner Mutter und ihre Einmischung in alles, was er tat. Es schien ihr nicht darum zu gehen, ihm dabei zu helfen, sich zu verbessern, sondern nur darum, ihn auf seine Fehler hinzuweisen, und zwar so, dass alle in der Firma es mitbekamen. Sie sollten sehen, dass er sehr viel falsch machte, und dass sie ihm, obwohl er ihr Sohn war, keine Schnitzer durchgehen ließ.

Ihr eigener Perfektionismus und ihre beinahe visionäre Fähigkeit, den literarischen Geschmack vorherzusagen, waren nicht nur bei Lyttons, sondern in der gesamten Branche bekannt; sie war bereits zu Lebzeiten eine Legende. Und diese Bewunderung hatte sie durchaus verdient. Die schöne, brillante Lady Celia Lytton bewegte sich in den gehobenen literarischen Kreisen ihrer Zeit, und da gehörte sie auch hin. Aber seiner Meinung nach könnte sie ein wenig großzügiger sein, wenn es darum ging, die Ambitionen ihres eigenen Sohns zu fördern und seine Karriere zu unterstützen, anstatt alle Bemühungen so heftig und scharf zu kritisieren, dass er ihr Verhalten als Eifersucht gedeutet hätte, wäre der bloße Gedanke daran nicht so absurd gewesen.

»Ich glaube, wir werden ihn bekommen.« Venetia stürmte in das Wohnzimmer, das sie sich mit Adele teilte. »Ist das nicht aufregend?«

»Und wie!«

»Ich habe gehört, wie Mummy mit Brunson geredet hat. Sie hat ihn deutlich angewiesen, dafür zu sorgen, dass der Bereich vor dem Haus heute Nachmittag absolut frei bleibt.«

»Das klingt vielversprechend. Oh, ist das großartig! Aber es wurde auch Zeit. Ich meine …«

»Ich weiß. Auch ihr ganz eigenes. Nur für die Fahrten nach Oxford und zurück.«

»Aber wir würden es uns lieber teilen, richtig? Ich frage mich, welches Modell es sein wird. Einer dieser kleinen Austins wäre toll.«

»Und wie! Natürlich wäre ein Sportwagen … na ja, flotter. Glaubst du nicht, dass wir …?«

»Keine Chance«, erwiderte Adele. »Sie werden uns zum Lernen eine lahme Kiste geben. Aber so schwer kann das doch nicht sein, oder?«

»Natürlich nicht. Bunty sagt, man muss nur darauf achten, immer geradeaus zu fahren und Gas- und Bremspedal nicht zu verwechseln.«

»Na also. Großartig! Und ehrlich gesagt freue ich mich richtig auf heute Abend.«

»Ich mich auch«, stimmte Venetia ihr zu.

Adele sah sie an. »Vor allem darauf, ihn zu sehen …«

»Nun, ja. Schon. Ich meine, ja. Adele, glaubst du, dass …«

»Mit Sicherheit. Es könnte nicht offensichtlicher sein.«

»Tatsächlich?«

»Tatsächlich.«

»Sehr gut«, sagte Venetia zufrieden. Die Zwillinge unterhielten sich ständig so – eine Art verbaler Kurzschrift, bei der nur Satzteile ausgetauscht wurden. Vieles wurde erahnt und musste deshalb nicht ausgesprochen werden. Das faszinierte ihre Freunde, verärgerte ihre Brüder und brachte ihre Mutter zur Weißglut, weil sie es nicht ertragen konnte, von irgendetwas ausgeschlossen zu werden.

»Was Maud wohl gerade macht?«, fragte Adele plötzlich.

»Wahrscheinlich schläft sie noch. Dort drüben ist es erst sechs Uhr morgens.«

Maud Lytton war ihre Cousine, die dank einer Laune des Schicksals genau ein Jahr nach ihnen geboren war. Sie sahen sich nur gelegentlich, mochten sich aber sehr gern.

»Natürlich. Irgendwann müssen wir unseren Geburtstag gemeinsam feiern. Mit ihr kann man richtig Spaß haben.«

»Nur für einen Geburtstagstee ist die Reise ein bisschen zu weit. Aber du hast Recht – es wird Zeit, dass sie uns wieder einmal besuchen kommt. Wir sollten das mal ansprechen. Mummy ist allerdings immer ein bisschen komisch, was sie betrifft.«

»Nur, weil sie Amerikanerin ist. Mummy hält alle Amerikaner für gewöhnlich.«

»Lächerlich.« Venetia kicherte. »Ich meine damit Mummy. Komm schon, lass uns gehen. Sollen wir uns jetzt die Haare ondulieren lassen oder nicht?«

Venetia zögerte. »Nicht heute. Wenn es nicht gut aussieht, verderben wir uns damit den Abend.«

Sie kamen rechtzeitig zum Mittagessen zurück, das sie an diesem Tag ganz zwanglos im Esszimmer der Kinder mit Nanny einnahmen. Sie liebten ihre Nanny und fühlten mit ihr, weil sie jetzt, wo Kit in der Schule war, tagsüber keine Aufgaben mehr hatte. Kit war acht, und anders als Giles war er nicht auf ein Internat geschickt worden. Celia war vernarrt in ihren Jüngsten und wollte ihn nicht der Brutalität und dem Elend aussetzen, das Giles, wie sie wusste, hatte ertragen müssen. Dazu blieb ihrer Meinung nach noch Zeit, bis er dreizehn war, und der Direktor der Schule, die sie ausgesucht hatte – ein kleines Institut in Hampstead, das vom Bildungsbürgertum sehr geschätzt wurde –, glaubte, dass Kit mit Sicherheit in Winchester aufgenommen werden würde, vielleicht sogar als Stipendiat. Das war einer der unzähligen Gründe, warum Giles einen Groll gegen seinen kleinen Bruder hegte.

»Liebe Nanny, die ist ja wunderschön«, rief Venetia.

»Ganz bezaubernd«, pflichtete Adele ihr bei.

Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa im Kinderzimmer, lächelten Nanny an und betrachteten ihr Geschenk, eine kleine, aber sehr hübsche Kristallvase. Von Nanny bekamen sie üblicherweise nur ein Geburtstagsgeschenk für beide (an Weihnachten war das anders), und bei ihren Eltern war das meistens auch so: ein Puppenhaus, ein Puppenwagen (allerdings für Zwillinge geeignet), eine Staffelei und eine Schachtel mit Farben.

»Das macht Sinn«, meinte Nanny. »Schließlich ist es auch nur ein Geburtstag.«

Die Zwillinge störte es nicht, in diesem Fall praktisch als eine Person wahrgenommen zu werden; sie selbst betrachteten sich zwar nicht als eins, aber als zwei Teile eines Ganzen. Sie zogen sich immer noch gern identisch an, teils aus Spaß und teils aus Bequemlichkeit, wie Venetia erklärte: »Dann wissen wir immer, wie wir aussehen und brauchen keinen Spiegel.«

»Also, was habt ihr heute noch vor?« Nanny häufte Shepherd’s Pie auf ihre Teller, eine weitere Geburtstagstradition. »Ich nehme an, ihr geht einkaufen.« Ihre Stimme klang leicht missbilligend; ihrer Meinung nach waren die Zwillinge ein wenig zu oberflächlich. Damit war sie nicht allein; ihre Mutter, die vertrauensvoll darauf gehofft hatte, dass die Mädchen an einer Universität studieren oder zumindest einen Sekretärinnenkurs belegen und anschließend Interesse an einer Mitarbeit bei Lyttons zeigen würden, stimmte ihr voll und ganz zu.

»Ich finde es besorgniserregend, dass diese Mädchen nur an Kleidung interessiert sind«, sagte sie mindestens ein Mal pro Woche zu Oliver. »Die ganze teure Ausbildung zum Teufel!«

Oliver pflegte darauf zu antworten, dass die Ausbildung in erster Linie dazu gedacht war, den Horizont zu erweitern, und keine sture Vorbereitung auf eine bestimmte Tätigkeit sein sollte. »Ihre Ausbildung wird ihnen bei allem, was sie tun, weiterhelfen. Selbst wenn sie sich statt für eine Karriere für die Ehe entscheiden sollten«, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu. »Sie sind noch so jung – lass ihnen ihren Spaß. Für eine Karriere bleibt noch genügend Zeit.« Und dann bemühte er sich, das Thema zu wechseln.

»Nein, liebe Nanny, wir gehen nicht einkaufen«, antwortete Adele. »Das haben wir schon erledigt. Also bleiben wir heute Nachmittag zu Hause und bereiten uns auf den Abend vor.« Sie sah Nanny forschend an. »Du hast doch nicht etwa irgendwelche Gerüchte über … über heute Nachmittag gehört, Nanny?«

»Was sollte ich denn gehört haben?«, fragte Nanny nervös. »Ihr wisst doch, dass ich in diesem Haus immer die Letzte bin, die etwas erfährt. Adele, pass doch auf! Sonst bekleckerst du noch dein hübsches Kleid.«

Die Zwillinge tauschten einen Blick. Nanny war dafür bekannt, dass sie niemandem etwas vormachen konnte, selbst wenn es um etwas Geringfügiges ging.

Daher waren sie kaum überrascht – aber vollkommen aus dem Häuschen –, als Brunson sie am Nachmittag nach unten holte und ihnen sagte, es sei eine Lieferung für sie eingetroffen. Als sie die Haustür öffneten, hatten sich ihre Eltern im Sonnenschein links und rechts neben einem scharlachroten Austin Seven postiert und hielten ein Transparent mit der Aufschrift Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag in die Höhe. Die nächsten zwei Stunden verbrachten sie damit, unter der Aufsicht von Daniels, dem Chauffeur, am Flussufer auf und ab zu fahren, wenn auch noch ein wenig unsicher und in Schlangenlinien. Um sechs stürmten sie ins Haus und erklärten triumphierend, dass gar nichts dabei sei.

»Wir haben uns überlegt, dass wir morgen Nachmittag nach Sussex fahren«, verkündete Adele unbekümmert. »Dann machen wir niemandem Umstände.«

Celia erwiderte streng, dass es durchaus Umstände machen würde, wenn sie einen Unfall hätten, und dass sie in den nächsten Wochen auf keinen Fall allein irgendwohin fahren dürften.

»Das ist unfair! Barty durfte im letzten Semester allein nach Oxford fahren!«

»Barty hatte vorher etliche Fahrstunden. Solltet ihr euch jetzt nicht besser frisch machen? Eure Freunde kommen in weniger als einer Stunde. Und außerdem … ja, Brunson?«

»Telefon, Lady Celia. Mr Brooke.«

»O ja, danke, Brunson. Ich nehme das Gespräch oben in meinem Arbeitszimmer entgegen.«

»Verdammt«, stieß Celia hervor. »Verdammt, verdammt, verdammt. Das sind verflucht schlechte Manieren. So behandelt man andere nicht, Sebastian. Das tut man einfach nicht.«

Sie ging im Zimmer auf und ab, zog an ihrer Zigarette, inhalierte tief und versuchte, sich zu beruhigen. Es war absurd, sich so aufzuregen, das war ihr klar. Aber sie regte sich auf. Und die Zwillinge würden sich auch ärgern, wenn sie hörten, dass er an ihrem Geburtstag zu spät zum Abendessen kommen würde. Sehr spät sogar. Wahrscheinlich würde er erst nach dem Dinner eintreffen, und das nur, weil er sich bereit erklärt hatte, irgendeine lächerliche zusätzliche Lesung zu halten, und nicht eher aus Oxford wegkam.

»Mistkerl!« Sie war sich nicht bewusst, dass sie laut gesprochen hatte. Sehr laut. Kit steckte den Kopf zur Tür herein.

»Mummy? Alles in Ordnung?«

»Ja, ja. Danke, Schätzchen.«

»Ich hab dich schreien hören. Du siehst nicht gut aus.«

»Mir geht’s aber gut. Wie war dein Tag in der Schule?«

»Sehr schön. Wo sind die Zwillinge?«

»Sie machen sich zurecht.«

»Wem gehört das tolle Auto vor der Tür?«

»Das kleine rote? Das ist ihr Geburtstagsgeschenk.«

»Sie haben ein Auto bekommen? Diese Glückspilze! Kann ich mich hineinsetzen? Wann darf ich mitfahren? Ich will es ausprobieren!«

Celia lachte. Wie immer, wenn er bei ihr war, hob sich ihre Stimmung. Ihre Gefühle für Kit, ihr geliebtes jüngstes Kind, waren so übermächtig, dass sie fast alle ihre anderen Emotionen übertrafen. Er war nicht nur ein hübsches Kind mit seinem glänzenden goldblonden Haar und seinen dunkelblauen Augen, sondern auch klug – bereits mit vier Jahren hatte er Lesen gelernt und mit sieben Geschichten und Gedichte geschrieben –, und er besaß einen für Kinder sehr ungewöhnlichen Charme und erstaunliche gesellschaftliche Umgangsformen.

»Kit, lauf los, mein Schatz. Du musst dich fürs Abendessen umziehen.«

»Okay.«

»Und sag nicht okay, wenn du in Hörweite deiner Grandma bist.«

»Okay.«

»Kit!«

Sie warf ihm einen strengen Blick zu. Er sah sie mit unschuldiger Miene an, bis er zu grinsen begann. »Werde ich nicht. Versprochen.«

KAPITEL 2

Celia, meine Liebe, du siehst müde aus.«

»Vielen Dank, LM«, erwiderte Celia. Sie wechselten nach den Cocktails ins Esszimmer über. »Das ist genau das, was man zu Beginn eines Abends hören möchte. Ich fühle mich aber überhaupt nicht müde.«

»Freut mich zu hören. Ich bin es schon.«

Celia musterte sie. LM sah tatsächlich erschöpft aus. Sie arbeitete zu hart; natürlich erforderte ihre Stellung als Geschäftsführerin das, aber sie war auch nicht mehr die Jüngste. Olivers große Schwester, wie sie sich selbst immer bezeichnete, wurde in diesem Jahr vierundfünfzig. Die Initialen standen für »Little Margaret«, die kleine Margaret, denn sie war nach ihrer Mutter benannt worden, doch kein Name hätte unpassender sein können. Sie war sehr groß, etwa einen Meter dreiundachtzig und sehr schlank. Sie besaß eine tiefe Stimme, blasse Haut und dunkle Augen mit einem ungewöhnlich forschenden Blick. Außerdem kleidete sie sich sehr streng: lange Röcke, enge Blusen, Krawatten, taillierte Blazer. Ihr dichtes dunkles Haar, das allmählich ergraute, war streng nach hinten frisiert und zu einem ordentlichen Knoten gebunden. Aber sie war eine äußerst attraktive Frau, warmherzig und humorvoll; Männer fanden sie immer noch sexuell anziehend, und alle Frauen mochten sie, weil sie direkt und ohne Arglist war. Sie war, wie Celia oft betonte, ihre allerbeste Freundin.

»Wie geht’s Jay?«, fragte Kit, als sie sich gesetzt hatten. Auf Celias Wunsch hatte er den Platz neben LM zugewiesen bekommen.

»Es geht ihm sehr gut, vielen Dank. Er wurde schon für die Junior-Fußballmannschaft getestet und spielt Tennis in der Juniorenmannschaft. Und er singt im Chor.« LMs Stimme klang jetzt weicher. Alle in der Familie wussten, wie sehr sie Jay, ihr einziges Kind, vergötterte; das einzige Mal, dass man sie hatte weinen sehen, war an dem Tag gewesen, an dem Jay im vorherigen Semester nach Winchester gegangen war. Gordon, ihr Ehemann und Jays Stiefvater, hatte schon mehrmals erwähnt, dass er Jay als Grund benennen würde, falls er sich jemals würde scheiden lassen wollen.

»Es besteht kein Zweifel daran, wen LM am meisten liebt«, sagte er fröhlich und blinzelte ihr aus seinen blassblauen Augen zu. »Ich bin es nicht.«

Ein Mann mit geringerem Selbstbewusstsein wäre wahrscheinlich ernsthaft eifersüchtig auf Jay und LMs abgöttische Liebe für ihn gewesen, aber Gordon Robinson bekümmerte das nicht. Er hatte LM erst vor sechs Jahren geheiratet; Jay hatte von Anfang an nicht nur zu LMs Leben, sondern auch zu ihr selbst gehört, und ihre Liebe für ihn war ein wesentlicher Bestandteil ihres großzügigen und leidenschaftlichen Wesens. Es interessierte ihn nicht, dass sie zu alt war, um ihm ein eigenes Kind zu schenken. Jay – robust, fröhlich, sehr intelligent und dem Landleben und der Tierwelt genauso zugetan wie Gordon – war für ihn der perfekte Sohn.

Gordon betrat das Zimmer und begann ein angeregtes Gespräch mit Oliver. Mit seiner Größe von zwei Metern überragte er jeden und zählte zu den wenigen Männern, zu denen LM im wahrsten Sinne des Wortes aufschauen konnte. Celia war begeistert von ihm.

»Meine liebe Celia, darf ich dir sagen, dass du bezaubernd aussiehst. Es ist kaum zu glauben, dass du die Mutter all dieser erwachsenen Kinder sein sollst.«

»Ich bin noch nicht erwachsen«, warf Kit ein. »Ich halte sie jung. Stimmt doch, Mummy, oder?«

»Im Moment schon noch, Kit. Meinetwegen brauchst du nicht erwachsener zu werden.«

Kit lächelte sie an. »Ich werd’s versuchen.«

Die Party lief gut bisher, dachte Giles. Alle plauderten miteinander, niemand saß verlegen schweigend da – außer ihm natürlich. Er war es gewohnt, sich in Gesellschaft anderer uninteressant und unbeholfen zu fühlen, und es wurde auch nicht leichter mit der Zeit. Seine Großmutter, die Gräfin von Beckenham, hielt jedem, der bereit war, ihr zuzuhören, einen fachspezifischen Vortrag über die wichtige reinrassige Zucht von Pferden, und sein Großvater genoss die Gesellschaft einer der hübschen Freundinnen der Zwillinge. Es schien, als lausche er interessiert ihren Berichten von all den Festlichkeiten dieser Saison, aber Giles wusste, dass er eigentlich nur auf ihren unzeitgemäß großen Vorbau starrte. (Die Zwillinge hatten vorher schon erklärt, dass sie über genügend Selbstbewusstsein verfüge, um einen solchen Angriff auszuhalten.)

Olivers jüngerer Bruder Jack und die reizende Lily – so war sie auf den Theaterplakaten genannt worden, als Jack sie kennengelernt hatte – saßen zwanglos nebeneinander. Nach sieben Jahren Ehe waren sie immer noch sehr verliebt ineinander. Und Boy Warwick war natürlich charmant wie immer. Ein glattzüngiger Schmeichler, dachte Giles. Meine Güte, wie er ihn beneidete. Boy musste bei dem Job in der Bank seines Vaters kaum Lippenbekenntnisse ablegen und verbrachte den Großteil seines Lebens damit, dessen Geld auszugeben, während Giles sich bei Lyttons abplagte und Überstunden machte und Boys Einladungen zum Mittagessen, zu endlosen Abenden in Nachtclubs und Vier-Tage-Wochenenden in Landhäusern widerstand.

Aber trotz seines zügellosen, beinahe hedonistischen Lebensstils war Boy tatsächlich ein netter Kerl und überraschend loyal seinen Freunden gegenüber (nicht jedoch gegenüber seinen Frauenbekanntschaften); Giles hatte ihn in Eton und Oxford mehrmals in kniffligen Situationen gedeckt und, was wahrscheinlich noch wichtiger war, ihn in den Kreis seiner Familie eingeführt. Dieser ganz eigene und etwas andere Glanz faszinierte Boy und bereitete ihm große Freude.

Celia behauptete, er würde mit Sicherheit in die Fußstapfen seines zweimal geschiedenen Vaters treten, der sich mit einer Reihe von Geliebten umgab. Aber sie mochte ihn sehr; er war amüsant, und es fiel ihr schwer, seinen koketten Schmeicheleien zu widerstehen, obwohl sie sie durchschaute. In ihren Augen war sein größtes Verbrechen nicht seine Extravaganz oder seine freizügige Art zu leben, sondern sein Müßiggang, seine Fähigkeit, den ganzen Tag nur zu tun, was ihm Vergnügen bereitete, ohne jeglichen Ehrgeiz zu zeigen. Das war eine Schande, wie sie ihm oft streng sagte, denn er hatte einen scharfen Verstand und sein Studium in Oxford in den klassischen Hauptfächern mit Bestnote abgeschlossen.

Die Zwillinge beteten ihn an: Er sah wirklich sehr gut aus. In seinen dunklen Augen lag ständig ein amüsierter Ausdruck, sein schwarzes Haar war glatt zurückgekämmt, er trug teure Kleidung, besaß einen Stall voller Autos und eine supermoderne Wohnung im Albany. Er war charmant, unterhaltsam, reich und vollkommen unbekümmert. Alles, was ernstzunehmender war als die nächste Party, das letzte Pferderennen, die neueste Mode oder eine Klatschgeschichte interessierte ihn nicht.

Die Zwillinge waren völlig überdreht und erzählten gewagte Witze, was aber niemanden zu stören schien. Celias schlechte Laune war verflogen; sie zeigte sich von ihrer witzigsten und charmantesten Seite und flirtete abwechselnd mit Boy und einem sehr attraktiven jungen Mann, den Adele ihr als ihren tollen Freund Charley vorgestellt hatte. Oliver war eher schweigsam und genoss gutmütig das Treiben um sich herum, obwohl er sich wie üblich auf Partys nicht sonderlich wohl fühlte.

Wenn Barty nur hier wäre, dachte Giles. Ohne sie schien die Familie nicht komplett zu sein. Eigentlich eine Ironie, denn genau genommen gehörte sie nicht dazu. In ihrer Gegenwart fühlte er sich immer glücklich und entspannt; allein der Gedanke an sie hob seine trübe Stimmung. Er stellte sich vor, wie sie in ihrem Zimmer in Oxford saß und sich ruhig und mit Verstand an die Arbeit machte …

Gott sei Dank bin ich jetzt nicht dort, dachte Barty, schob ihre Bücher zurück und griff nach ihrer Kakaotasse. All die Jahre über, selbst nach ihrem Umzug nach Oxford, hatte sie dasitzen und lächeln müssen, bis ihr das Gesicht wehtat, und sich verzweifelt bemüht, mit dem armen Jungen, den man neben sie gesetzt hatte, ein angemessenes Gespräch zu führen. Die meisten hatten nicht so recht gewusst, was sie von ihr halten sollten – war sie nun eine Lytton oder nicht? Oh, es war jedes Mal schrecklich gewesen. In diesem Jahr hatte sie die perfekte Ausrede gehabt. Einer der glücklichsten Tage in ihrem Leben – wie sie oft dachte, aber natürlich nie laut aussprach – war der Tag ihrer Abreise nach Oxford gewesen, als sie das riesige Haus am Cheyne Walk verlassen hatte, um sich für die nächsten drei Jahre ein eigenes Heim im College Lady Margaret Hall zu schaffen. Als sie Celia zum Abschied zugewinkt hatte, hatte sie nur Freude und keinerlei Bedauern empfunden – sie war nicht einmal nervös gewesen. Natürlich hatte sie Celias offensichtliche Traurigkeit berührt, und auch, dass sie ihren lieben Wol, wie sie Oliver immer genannt hatte, verlassen musste. Sie war in das Gebäude zurückgegangen und die Treppen zu ihrem Zimmer hinaufgestiegen. Über eine Stunde lang hatte sie einfach nur dagesessen, ohne irgendetwas zu tun, und darüber nachgedacht, wie schön es war, zum ersten Mal in ihrem Leben etwas zu haben, was ihr rechtmäßig zustand, und sich an einem Ort zu befinden, an den sie gehörte.

Und nun war diese Zeit fast vorbei, und sie war traurig und gleichzeitig gespannt, wohin es sie als Nächstes verschlagen würde. Ganz sicher nicht zum Cheyne Walk, zumindest nicht für lange …

Das Abendessen war fast vorbei, die Gespräche wurden ruhiger, und der Glanz des frühen Abends verflog langsam. Venetia stand auf. »Wie wäre es, wenn wir jetzt alle ins Embassy fahren? Es ist schon spät, und die anderen werden auch dort sein, und …«

»Einen Moment«, unterbrach Oliver sie. »Wir haben einen Toast vergessen. Auf Cousine Maud. Na los!«

Auch das gehörte zur Tradition: Die Familienmitglieder hoben ihre Gläser, und den Außenstehenden wurde rasch der Grund dafür erklärt.

»Alles Gute zum Geburtstag, Maud«, sagte Adele.

»Prost«, fügte Venetia hinzu. »Auf deinen Geburtstag, Maud.«

»Was ist das nur für ein schrecklicher Ausdruck, Venetia«, tadelte Lady Beckenham. »Wo um alles in der Welt hast du dieses Wort aufgeschnappt?«

»Was meinst du? Prost? Das sagt heutzutage jeder, Grandma.«

»Das macht es nicht besser. Wie auch immer, wie geht es deinen Verwandten, Oliver?« Lady Beckenham stellte vor Außenstehenden gern klar, dass jegliche Vulgarität nicht von der Beckenham-Seite der Familie kam.

»Sehr gut, vielen Dank, Lady Beckenham.« Obwohl er nun seit vierundzwanzig Jahren mit ihrer Tochter verheiratet war, brachte Oliver es nicht fertig, sie auf eine vertraulichere Weise anzusprechen. Das war nicht verwunderlich, denn schließlich nannte sie ihren eigenen Ehemann immer noch »Beckenham«.

»Wir finden, dass es Zeit für einen weiteren Besuch wird. Gleichgültig, wer zu wem fährt. Ich bin der Meinung, wir alle sollten sie besuchen, auch Giles. Er muss sich ohnehin endlich mal den Außenposten des Lytton-Imperiums anschauen. Onkel Robert würde sich sicher freuen, uns zu sehen.«

»Venetia, Robert hat ebenso viel zu tun wie wir«, erklärte Celia bestimmt. »Er hat mit Sicherheit keine Zeit, für euch und Maud allen möglichen Unsinn zu veranstalten.«

»Mummy, Maud und wir würden uns natürlich selbst um alles kümmern«, erwiderte Adele. »Und jetzt müssen wir wirklich los. Na, kommt schon! O Sebastian, du hast es ja doch noch geschafft. Wie schön, aber leider, leider brechen wir gerade auf.«

»Ihr geht? Was? Bin ich so spät dran?« Sebastian Brooke betrat lächelnd den Raum. »Es tut mir so leid. Oliver, wie schön, dich zu sehen. Celia, bitte verzeih mir. LM, Gordon, guten Abend. Und Lady Beckenham, was für eine Freude. Lord Beckenham, wie geht es Ihnen?«

Er ging von einem zum anderen, lässig und mit perfektem Charme, und verlieh dem Abend eine neue Wendung. Der alte Mistkerl, dachte Giles, obwohl er ihn sehr mochte. Er konnte mit seinem Charme Vögel nicht nur aus den Bäumen, sondern sogar in einen Käfig locken, wo sie verzückt sitzen bleiben würden, ohne dass man die Tür hinter ihnen schließen musste. Nur Giles’ Mutter wirkte unbeeindruckt; sie nickte nur kühl und schenkte Sebastian ein frostiges Lächeln.

»Sebastian.« Adele hakte sich bei ihm unter. »Wir gehen ins Embassy. Willst du mit uns kommen? Du tanzt doch gern, und da heute Donnerstag ist, könnte sogar der Prince of Wales da sein …«

»Mein Schätzchen, ich bin doch gerade erst gekommen. Da kann ich doch unmöglich eine so schöne Party gleich wieder verlassen.«

»Aber die Party ist vorbei«, erklärte Venetia. »Wir gehen jetzt alle.«

»Nicht alle«, berichtigte Oliver sie. »Einige von uns Älteren bleiben hier.«

»Und das werde ich auch tun, Mädchen. Beinahe hätte ich es vergessen – hier sind eure Geschenke. Sie kommen von Herzen.«

Die Zwillinge öffneten die Päckchen mit der Aufschrift des Juweliers Asprey und zogen zwei silberne Zigarettenetuis heraus. »Oh, wie hübsch!«, riefen sie. »Ganz bezaubernd!«

Venetia beobachtete, wie Boy Warwick ausgelassen mit Bunty Valance tanzte, und fragte sich, ob sie und Adele sich geirrt hatten, und ob er auch nur ein kleines bisschen an ihr interessiert war. Er hatte bisher nur einmal mit ihr getanzt. Danach hatte er mit Babs Rowley einen Charleston aufs Parkett gelegt und mit Adele einen Foxtrott, und nun tanzte er mit irgendeinem Mädchen, das er nicht auf ihrer Party, sondern hier kennengelernt hatte, einen sehr auffallenden Blackbottom. Als er an ihren Tisch zurückkam, wischte er sich theatralisch über die Stirn.

»Das war anstrengend. Noel Coward ist hier – hast du gesehen, wie gut er tanzt? Und wir hatten Recht, der Prince ist auch da. Mit Thelma.«

»Es ist mir völlig gleichgültig, mit wem er hier ist«, erwiderte Venetia schmollend, aber sie starrte den Prince of Wales und die wunderschöne Lady Furness fasziniert an.

»Sieht sie nicht toll aus?«, warf Adele ein, die sie ebenfalls beeindruckt beobachtete.

»Nicht so gut wie du, Schätzchen«, entgegnete Boy. »Nicht so gut wie ihr beide.« Er nahm ihre Hände in seine und küsste sie. »Kommt mit, ich möchte ausprobieren, ob ich mit euch beiden gleichzeitig tanzen kann.«

Später spielte die Band einen Walzer. Venetia tanzte allein mit Boy, spürte seine weiche Hand an ihrem nackten Rücken und seinen warmen Körper an ihrem. Sie schmiegte sich ein wenig zu eng an ihn.

»Das ist schön«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Sehr schön. Du bist wunderschön, Venetia. Und in diesem Kleid siehst du aus wie die Frau auf einem Druck, den ich vor Kurzem gekauft habe. Von Lepape.«

Natürlich war ihr Lepape ein Begriff. Vor allem seine fantastischen Titelbilder für die Vogue waren ihr bekannt. Die Zwillinge verbrachten zwar viele ihrer Tage mit Einkaufen und viele ihrer Nächte mit Tanzen, aber sie hatten in ihrem Elternhaus auch viel wichtiges Wissen mitbekommen.

»Meine Güte. Du hast Drucke von Lepape?«

»Ja. In meiner Wohnung. Du solltest du sie dir demnächst einmal anschauen. Ihr beide«, fügte er nach einer kaum wahrnehmbaren Pause hinzu.

Venetia atmete tief durch.

»Wir gehen nicht immer zusammen überallhin.« Sie lächelte ihn an. Und dann war sie zutiefst entsetzt über sich selbst. Beinahe zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ihre enge Nähe und Loyalität zu Adele verraten.

»Gut«, war alles, was Boy Warwick dazu sagte.

»Nun, erzähl uns alles über deine Lesung«, forderte Celia Sebastian auf. »Sie war wohl sehr gut besucht.«

Sie befanden sich immer noch im Esszimmer, waren aber jetzt fast allein, vor allem, da Kit unter Protest ins Bett geschickt worden war.

»Allerdings«, erwiderte Sebastian. »Ich habe heute Abend sehr viele Bücher verkauft.«

»Großartig, gut gemacht«, lobte Oliver. »Und wie steht es mit dem fünften Band von Meridian Times? Wir werden … ich meine …« Er verstummte, und Sebastian lachte.

»Oliver, natürlich werdet ihr das nächste Buch bekommen. Habe ich euch jemals im Stich gelassen? Es wird rechtzeitig zur Veröffentlichung in der Weihnachtszeit fertig sein. Und mit ein wenig Glück werden wie bisher viele Kinder schon darauf warten – und ein paar Hundert werden noch dazukommen.«

»Das wollen wir hoffen.« Oliver klopfte rasch auf den Tisch.

»Gewiss«, meinte Celia. »Aber natürlich darf man das nicht als selbstverständlich betrachten. Trends kommen und gehen – im Verlagswesen ebenso wie in allen anderen Bereichen. Diese neuen Bücher von A. A. Milne sind im Moment sehr angesagt.«

»Meine Liebe, ich glaube kaum, dass ein paar skurrile Geschichten und Gedichte über einen Spielzeugbären es mit Sebastians aufwändig geschriebenen Zeitreisen aufnehmen können.«

»Nun, ich …«, begann Sebastian. »Ich, na ja, ich möchte euch etwas sagen. Ich hoffe, ihr freut euch für mich.«

Er stand auf und ging um den Tisch herum. Die beiden sahen ihm dabei zu, ohne weiter überrascht zu sein. Sebastian war nicht in der Lage, während einer Mahlzeit, eines Theaterstücks oder einer Zugreise ohne mehrere Unterbrechungen sitzen zu bleiben.

Abrupt nahm er wieder Platz und trank sein Glas Portwein aus. »Es geht um Folgendes: Ich habe … ich möchte euch von jemandem erzählen. Von jemandem, den ich kennengelernt habe.«

»Jemanden?« Oliver lächelte ihn freundlich an. »Eine Frau?«

»Ja, eine Frau. Eine ganz besondere Frau, eine sehr, sehr … nun ja, eine Frau, die sehr wichtig für mich geworden ist.«

»Das kommt ziemlich überraschend«, meinte Celia. Sie sah ihn ruhig und ausdruckslos an. »Erzähl uns mehr.«

»Gern. Ja, es ist auch für mich überraschend gekommen. Ich kenne sie erst seit etwa einem Monat. Ich habe sie bei einer Lesung getroffen. Sie arbeitet als Bibliothekarin in der Bodleian Library.«

»Eine Bibliothekarin!« Celias Stimme klang, als hätte sie eine Prostituierte akzeptabler gefunden.

»Erzähl weiter, alter Knabe«, forderte Oliver ihn auf. »Dürfen wir ein wenig mehr über sie wissen? Ihren Namen vielleicht?«

»Sie heißt Pandora. Pandora Harvey. Sie wohnt in Oxford, allein in einem kleinen Haus.«

»Klar, ein größeres braucht sie wohl nicht.« Oliver versuchte, die Situation etwas aufzulockern. Sebastian warf ihm einen dankbaren Blick zu und lächelte.

»Stimmt. Sie ist einunddreißig«, fügte er hinzu. »Sehr charmant und natürlich sehr hübsch. Ich hätte euch schon eher von ihr erzählt, aber – wie soll ich sagen – es war mir ein wenig peinlich, dass mir das passiert ist.« Er zögerte kurz und fuhr dann rasch fort. »So plötzlich und so unmissverständlich. In meinem fortgeschrittenen Alter.«

»Das klingt sehr … ernst«, sagte Celia.

Sebastian sah sie an und schwieg sehr lange. »Es ist ernst«, erwiderte er schließlich. »Sehr ernst sogar.«

Celia bemühte sich um ein wohlwollendes Lächeln. »Nun, dann freuen wir uns darauf, sie kennenzulernen.«

»Das wird nicht mehr lange dauern«, sagte Sebastian. »Denn wir werden heiraten.«

Wieder herrschte Schweigen. »Heiraten?«, stieß Celia so heftig hervor, dass das Wort die Stille zerriss. »Du willst heiraten?«

»Ja. Ja, ich werde heiraten.«

»Ich verstehe«, sagte Celia, und Oliver schien sich plötzlich nicht mehr in diesem Raum zu befinden. »Schon bald?«

»Ja, Celia. Sobald wir alles arrangiert haben. Wir haben keinen Grund, länger zu warten.«

»Verstehe«, wiederholte sie, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und starrte ihn an. Dann hob sie die Hand, um sich eine Zigarette zu nehmen, und stieß dabei ihr Glas um. Der Rotwein breitete sich langsam auf dem weißen Tischtuch aus, düster und irgendwie bedrohlich – es sah auf erschreckende Weise aus wie Blut.

KAPITEL 3

Oh, mein Schätzchen, ich gratuliere dir! Ich bin so froh – und stolz. Das sind wunderbare Neuigkeiten. Du bist sicher außer dir vor Freude. Ich werde eine große Party organisieren, damit wir gebührend feiern können.«

»O nein, bitte nicht!« Barty spürte vertraute Panik in sich aufsteigen. »Ehrlich, Tante Celia, das möchte ich lieber nicht.«

»Aber warum nicht? Du hast es verdient, und wir hätten alle Spaß daran …« Sie klang verletzt, und Barty hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Sie atmete tief durch und zwang sich dazu, Begeisterung in ihre Stimme zu legen.

»Ja, sicher, das schon, und ich würde mich freuen. Vielen Dank. Aber vielleicht könnten wir das um ein oder zwei Wochen verschieben. Ich bin schrecklich erschöpft, und …«

»Natürlich. Vielleicht in drei Wochen? Ich fürchte allerdings, der Sommer wird dann fast vorüber sein.«

Barty holte noch einmal tief Luft. »Das wäre wunderbar, Tante Celia. Danke.«

»Gut. Gib mir so bald wie möglich eine Liste mit den Namen der Leute, die du einladen möchtest. Und heute Abend werden Wol und ich dich zum Essen ausführen. Giles, die Zwillinge und Kit werden wahrscheinlich mitkommen wollen. Soll ich Giles von deinem Erfolg erzählen, oder willst du das lieber selbst machen?«

»Ich würde es ihm lieber selbst erzählen. Vielleicht, wenn er nach Hause kommt …«

»Ach, ruf ihn doch jetzt sofort an. Ich befürchte, ich kann es nicht lange für mich behalten. Was haben die Zwillinge gesagt? Sie sind sicher begeistert.«

Barty erklärte, dass sie noch nicht aufgestanden seien. »Aber Kit hat sich sehr gefreut.«

»Natürlich. Sag der Köchin, sie soll euch etwas Besonderes zum Mittagessen zubereiten. Bis dann, Schätzchen. Und noch einmal herzlichen Glückwunsch.«

»Danke. Für alles. Bis später.«

Sie legte auf und dachte, wie immer bei solchen Gelegenheiten, traurig darüber nach, wie sehr ihre Mutter sich gefreut hätte und wie stolz sie gewesen wäre, auch wenn sie das alles nicht ganz verstanden hätte. Billy würde hocherfreut sein; sie würde es ihm gleich berichten. Aber nur ihm – der Rest ihrer eigenen Familie würde nicht verstehen, was sie erreicht hatte, und sich auch nicht dafür interessieren. Es hatte keinen Sinn, es einem von ihnen zu erzählen.

In solchen Momenten fühlte Barty sich sehr einsam …

»Sie hat tatsächlich ihren blöden Abschluss mit Auszeichnung bestanden.« Venetia betrat ihr gemeinsames Wohnzimmer, in dem Adele sich gerade die Nägel lackierte.

»O Gott, das wird eine Aufregung geben. Ich höre Mummy schon pausenlos darüber reden. Hat sie es dir gesagt?«

»Nein, Kit. Er freut sich riesig. Sie wollen heute zum Abendessen ausgehen und feiern.«

»Können wir uns irgendwie davor drücken?«

»Ich glaube nicht. Es ist ja keiner da.« Sie klang verärgert, und Adele wusste, warum. Boy war auf einer Kreuzfahrt im Mittelmeer. Er hatte Celia und Oliver gefragt, ob sie und Adele mitkommen könnten, aber da keine geeigneten Begleitpersonen dabei waren, hatten sie es nicht erlaubt.

Die Lyttons hatten zu einem späteren Zeitpunkt eine Villa in Südfrankreich reserviert. »Das wird sicher ein Riesenspaß«, hatte Adele düster prophezeit. »Nur Familie, nicht einmal Sebastian. Gott, ist das deprimierend.«

Die Saison war vorbei, und die Zwillinge langweilten sich fürchterlich. Einige ihrer Freundinnen hatten bereits Verlobungsanzeigen mit verträumten Fotos im Tatler veröffentlicht; obwohl sie aufgehende Sterne am gesellschaftlichen Firmament waren, hatten sie keinen so großen Erfolg gehabt, wie sie oder ihre Mutter sich das möglicherweise gewünscht hatten.

»Komm, lass uns gehen. Sie ist ein kluges Mädchen, aber ich will nicht auch noch beim Mittagessen darüber reden müssen. Wir gehen jetzt einkaufen. Kit ist schließlich auch noch da …«

Brunson betrat den Morgensalon, und Barty lächelte ihn an.

»Telefon, Miss Miller.«

Diese Anrede überraschte sie immer wieder. Für die Bediensteten war sie immer Miss Barty gewesen, bis sie nach Oxford gegangen war. Dann wurde sie durch einen merkwürdigen gesellschaftlichen Prozess, angeregt durch Celia, wie sie vermutete, plötzlich zu Miss Miller. Es klang wichtiger und passend für eine Erwachsene, aber gleichzeitig machte es auf unangenehme Weise noch deutlicher, dass sie nicht zu den Lyttons gehörte.

»O danke, Brunson. Wer ist es?«

»Mr Miller, Miss Miller.«

Billy! Er rief sonst nie an.

»Billy? Hallo, ist etwas passiert?«

»Nein, ich wollte dir nur gratulieren. Gut gemacht. Du hast es verdient.«

»O Billy, vielen Dank. Aber woher weißt du es, und wie …«

»Lady Beckenham hat es mir gesagt. Sie lief ganz aufgeregt durch den Garten zu mir und sagte, ich müsse sofort ins Haus kommen und dich anrufen.«

»O Billy, das war wirklich freundlich von ihr.« Bartys Augen füllten sich mit Tränen, und sie schluckte heftig.

»Ja, sie ist sehr nett. Das weiß ich besser als jeder andere. Und sie hat sich gefreut wie eine Schneekönigin. Und ich freue mich auch riesig. Du hast Verstand, Barty, wirklich. Mum wäre begeistert.«

»Ja«, stimmte Barty ihm zu. »Das wäre sie.«

»Barty, meine Liebe, hier ist Sebastian. Ich wollte dir gratulieren. Das sind ja fantastische Neuigkeiten! Ich bin so stolz auf dich. Nicht dass ich ein Recht darauf hätte, aber ich bin stolz und begeistert.«

»Wer hat es dir gesagt?«

»Oliver. Ich war heute Morgen bei Lyttons, und er und Celia saßen da wie zwei Katzen vor einem riesigen Sahnetopf. Darf ich dich zum Mittagessen einladen?«

»Kit und ich essen hier. Die Köchin bereitet gerade ein Festmahl zu. Komm doch zu uns.«

»Tja, das klingt verlockend. Sind die Terror-Zwillinge auch da?«

»Nein, sie gehen aus.«

»Dann komme ich gern. Ich freue mich auf dich.«

Sebastian kam kurz vor Mittag, in einer Hand einen großen Strauß Rosen, in der anderen eine Flasche Champagner. Er reichte die Flasche Brunson, zog Barty an sich und umarmte sie. »Du kluges, kluges Mädchen. Es ist großartig. Pandora schickt dir ganz herzliche Grüße.«

»Vielen Dank. Richte ihr bitte auch meine Grüße aus. Geht es ihr gut?«

»Sehr gut. Sie hat viel zu tun mit der Hochzeit.«

»Wol hat mir gesagt, ihr wollt im September heiraten. In ihrem Haus in Oxford. Eine wunderbare Idee – es ist sehr hübsch dort.«

»Ganz meine Meinung. Ich hab höllische Schwierigkeiten, sie davon zu überzeugen, nach der Hochzeit hierher zu ziehen. Sie will unbedingt dort bleiben.«

»Und warum ziehst du nicht zu ihr?«, fragte Barty.

»Weil ich mich in meinem Haus in London sehr wohl fühle.«

»Nun, ihr könntet auch die Zeit aufteilen und mal hier und mal dort wohnen.«

»Und wo soll ich meine Bücher aufbewahren?«

»Ein paar Exemplare hier und ein paar dort.«

»Hast du etwa mit Pandora gesprochen?«, fragte Sebastian misstrauisch.

»Nein, natürlich nicht. Aber mir erscheint das einleuchtend. Und ihr Haus ist wunderschön.«

»Das ist mein Haus auch. Nun komm, lass uns die Flasche Champagner köpfen. Kit, hallo, mein Junge. Wie geht’s dir? Was sagst du dazu, dass wir eine Intelligenzbestie in unserer Mitte haben? Da müssen wir uns ganz schön anstrengen, um mitzuhalten.«

Kit grinste, schüttelte ihm zuerst die Hand und umarmte ihn dann; die beiden mochten sich sehr gern. Barty beobachtete sie, wie sie sich auf das Sofa setzten und fröhlich miteinander plauderten. Auf eine merkwürdige Weise ähnelten sie sich sehr. Beide hatten goldblonde Locken, beide waren sehr charmant. Und sie gehörten für sie zu den liebsten Menschen auf dieser Welt.

Einige Jahre lang war sie fast ein bisschen verliebt in Sebastian gewesen, und auch jetzt fand sie immer noch, dass er unglaublich gut aussah. Wie ein Filmstar oder zumindest wie ein romantischer Poet. Frauen fanden ihn unwiderstehlich. Selbst LM hielt ihn für einen sehr attraktiven Mann, und die Zwillinge sagten, bei ihm würde man glatt dahinschmelzen – ihr neuester alberner Ausdruck. Nur Celia schien unempfänglich für sein gutes Aussehen zu sein.

Barty fragte sich manchmal, ob Celia Sebastian überhaupt leiden konnte. Giles hatte ihr erzählt, dass sie richtig gemein zu ihm gewesen sei, als er zwei Stunden zu spät zum Geburtstagsdinner der Zwillinge gekommen war: »Der arme Kerl hatte nur gearbeitet wie immer und eine zweite Lesung gehalten, weil die erste ausverkauft gewesen war.« Außerdem habe sie sich ziemlich komisch angestellt, als es darum ging, Pandora kennenzulernen. »Doch plötzlich hat sie eine große Dinnerparty für sie gegeben, war unglaublich charmant und hat immer wieder gesagt, dass Sebastian sie gar nicht verdiene.«

Tatsächlich dachte Sebastian das auch; er hatte nie geglaubt, dass er noch einmal so für jemanden empfinden würde wie für Pandora. Männer mit siebenundvierzig und einer beträchtlichen Vergangenheit, einschließlich einer Ehe und zahlreicher Affären, egoistische Einzelgänger mit eingefahrenen Gewohnheiten und einer atemberaubend erfolgreichen Karriere, die ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte und ihr Leben bestimmte, konnten nicht erwarten, sich noch einmal zu verlieben. Und doch war es geschehen – ohne Warnung, auf wundersame Weise und ohne dass er etwas dagegen hätte tun können.

Es war ihre Stimme, in die er sich zuerst verliebt hatte. Er hatte nach einer Lesung in der Bodleian Library gesessen, eine scheinbar unendliche Reihe seiner Bücher signiert und dabei seine jungen Leser und deren Eltern, die nach und nach an seinen Tisch kamen, höflich angelächelt. Wieder und wieder sagte er, wie sehr er sich freue, dass ihnen sein letztes Werk gefiele. Interessant, dass sie das erste Buch immer noch bevorzugten, und nein, er habe im Augenblick kein Lieblingsbuch, und ja, natürlich könne er »Für Freddy« über seine Unterschrift setzen, und nein, es mache ihm gar nichts aus, ein altes Exemplar der ersten Auflage zu signieren. Und dann hörte er sie. Diese sanfte, leise und unglaublich süße Stimme, die ihm anbot, noch weitere Bücher aus den Kisten in der Ecke zu holen. Er schaute auf und sah ein kleines, herzförmiges Gesicht vor sich, zwei große braune Augen und ein weiches, mitfühlendes Lächeln. Plötzlich durchfuhr ihn ein Gefühl des Wiedererkennens, so heftig, dass es körperlich zu spüren war und ihn verwirrte und ein wenig schwindlig machte.

»Das wäre sehr freundlich«, hatte er gesagt und versucht, sich wieder zu beruhigen. »Natürlich nur ein paar, oder vielleicht hilft Mr Jarvis ihnen, er ist normalerweise …«

Sie lächelte wieder und wandte sich ab; sie war klein, wie er feststellte. Sehr klein. Ihr goldbraunes Haar wurde mit einer großen Schildpattspange zusammengehalten und fiel ihr wie eine lange Schlange über den Rücken. Ihre Bewegungen waren schnell und anmutig. Als sie mit den Büchern zurückkam, bedankte er sich vielmals und fühlte sich wie beraubt, als sie ihn wieder verließ. Nach der Lesung ging er zu ihr hinüber.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Hilfe«, sagte er. »Vielen Dank.«

»Keine Ursache«, erwiderte sie. »Ihre Gespräche mit den Lesern haben mir gefallen.«

»Ich habe sie manchmal satt«, gestand er. »Sie wiederholen sich, und mir erscheinen sie langweilig, aber die Leute haben heute Nachmittag Gefallen daran gefunden, oder?«

»O ja, da bin ich ganz sicher.«

»Und es waren nicht wenige. Das ist immer eine Nervenstrapaze für mich. Ich weiß vorher nie, ob jemand zu den Lesungen kommen wird, ob die Leute an den richtigen Stellen lachen werden. Daran werde ich mich nie gewöhnen. Verrückt, finden Sie nicht auch?«

»Ja, ich meine, nein.« Sie sah ihn ruhig an. »Mr Brooke, ich möchte nicht unhöflich sein. Ihre Lesung hat mir sehr gefallen, und ich bin sicher, dass auch alle anderen Anwesenden begeistert davon waren, aber ich würde jetzt gern schließen. Es ist schon recht spät.«

»O Gott, es tut mir leid. Wie selbstsüchtig von mir. Bitte verzeihen Sie mir. Und nochmals vielen Dank.«

»Nicht der Rede wert. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Miss …«

»Harvey. Pandora Harvey.«

Er war die Nacht in Oxford geblieben und am nächsten Tag wie von einer unwiderstehlichen Macht getrieben zur Bibliothek zurückgekehrt. Sie kam genau zu dieser Zeit heraus, um sich etwas zum Mittagessen zu besorgen. Anschließend wollte sie eine Woche bei ihrer Mutter verbringen. Er lächelte sie an und sagte ihr, wie sehr er sich freue, sie wiederzusehen, und dass er sie gern auf einen Tee einladen würde, um sich für ihre Freundlichkeit am Abend zuvor zu bedanken. Sie lachte und erwiderte, eine Tasse Tee wäre wundervoll, vielleicht mit einem Sandwich, denn sie habe Hunger.

Er fuhr mit ihr in seinem Wagen aufs Land zum Trout Pub, wo sie ihn überraschte, indem sie sich ein kleines Bier bestellte. Sie beobachteten die Pfaue und entdeckten unter anderem eine gemeinsame Leidenschaft für die Gemälde von Modigliani, die Musik von George Gershwin und die literarischen Werke von A. A. Milne. »Ich hoffe, Sie finden es nicht beleidigend, dass ich einen Konkurrenten von Ihnen so sehr schätze«, fügte Pandora besorgt hinzu.

Sebastian versicherte ihr, dass ihm das nichts ausmache. Und dann erklärte sie sich damit einverstanden, ihre Mutter anzurufen und den Besuch bei ihr auf den nächsten Tag zu verschieben. Er lud sie zum Abendessen bei Randolph ein, und sie unterhielten sich so lange in dem Restaurant, bis sie fast ganz allein waren und die Kellner beinahe einschliefen. Sebastian sagte ihr, dass sie das jetzt wahrscheinlich nicht ernst nehmen würde, aber dass er sich in sie verliebt habe. Und sie erwiderte, erfreulicherweise ganz ohne weibliche Tücke, dass sie das sehr gern ernst nehmen würde.

Eine Woche später rief sie ihn aus ihrem kleinen Haus in Oxford an und lud ihn für den folgenden Samstag zum Abendessen ein. Sebastian brachte eine Flasche edlen Rotwein, einen großen Strauß weißer Rosen und ein signiertes Exemplar der Erstausgabe von The House at Pooh Corner mit. Zu seiner Enttäuschung waren noch ein paar andere Freunde eingeladen, aber als sie alle nach einem wunderbaren Abend und einem großartigen Essen gegangen waren, sagte sie ihm, dass auch sie sich in ihn verliebt habe und sehr glücklich wäre, wenn er immer noch so für sie empfinden würde. Am nächsten Morgen wachte Sebastian in ihrem Bett auf, und ihr zarter Körper, der auf eine beinahe erschreckende Weise Vergnügen spenden und empfangen konnte, war an seinen geschmiegt. Noch am gleichen Tag bat er sie, ihn zu heiraten, und sie willigte ein.

So einfach und unkompliziert war das alles gewesen.

Natürlich hatte er gewusst, dass Celia sich aufregen würde. Er hatte mit allem gerechnet: mit der eiskalten Verachtung, dem Zorn, der Kränkung. Deshalb hatte er es wochenlang hinausgeschoben und schließlich beschlossen, ihr die Neuigkeiten am Geburtstag der Zwillinge zu sagen, an dem sie sich ganz bewusst in Familienstimmung versetzen würde. Oliver mit seiner immer freundlichen Art würde da sein, und mit ein wenig Glück auch LM, die stets ruhig und zuvorkommend war. Er hatte nicht erwartet, dass die Party schon vorbei sein und es im Haus keine Zerstreuung mehr geben würde. Wie auch immer – er hatte es hinter sich gebracht. Bedauerlicherweise hatte Oliver darauf bestanden, mit einem Glas Champagner anzustoßen, aber das hatte zumindest von dem verschütteten Wein und Celias Ärger darüber abgelenkt. Irgendwie hatten sie es geschafft, eine Stunde hinter sich zu bringen, bis er sich, ohne unhöflich zu erscheinen, wieder verabschieden und erschöpft nach Hause zurückfahren konnte.

»Also, mein kleines Genie, was hast du jetzt vor?« Sebastian schenkte Barty nach. »Eine wohlverdiente Pause einlegen?«

»Du lieber Himmel, nein. Ich muss immer etwas zu tun haben.«

»Ich weiß, aber ein paar Wochen Freizeit wären keine schlechte Idee. Fährst du mit zu dieser Villa?««

»Wahrscheinlich.« Barty seufzte. »Eigentlich habe ich keine Lust dazu, aber mir fällt keine Entschuldigung ein, und …«

»Könnte Spaß machen.«

»Spaß? Nein, sicher nicht«, entgegnete Barty.

»Was meinst du damit?« Kit hatte sich eine Limonade geholt.

»O nichts«, antwortete Barty rasch. »Ich habe nur davon gesprochen, dass ich jetzt Oxford verlassen und mir einen Job suchen muss.«

»Aber Barty, du musst dir keinen Job suchen«, wandte Kit ein. »Du hast doch schon einen.«

»Ach ja?«

»Natürlich.«

»Und welcher Job wäre das?«, fragte Barty neugierig.

»Nun, du arbeitest bei Lyttons. Alle in der Familie tun das.«

»Aber ich bin keine …« Barty hielt inne.

»Die Terror-Zwillinge arbeiten nicht dort«, warf Sebastian ruhig ein.

»Wahrscheinlich erst, wenn sie ein bisschen älter sind. Ich habe gehört, wie Mummy mit Vater darüber gesprochen hat. Und sie hat gesagt, dass Barty natürlich auch dort arbeiten wird. Sobald sie aus Oxford zurückkommt. Sie hat gesagt, dass du eine wunderbare Lektorin werden wirst. Besser als Giles«, fügte Kit grinsend hinzu. »Mutter sagt, er verstehe nicht viel davon.«

»Aber …« Barty unterbrach sich wieder.

»Er könnte ein guter Lektor werden«, sagte Sebastian rasch, »aber Oliver sieht ihn eher im betriebswirtschaftlichen Bereich. LM sagt, er könne sehr gut mit Zahlen umgehen.«

»Na bitte«, erwiderte Barty. »Viel wichtiger als ein Lektor.«

»Auf jeden Fall will sie, dass du Lektorin wirst«, erklärte Kit. »Also gehe ich davon aus, dass das auch so sein wird.« Er schenkte ihr sein engelsgleiches Lächeln.

Nach dem Mittagessen gingen Sebastian und Barty am Fluss spazieren; sie war sehr still und wirkte abwesend.

»Was ist los?«, erkundigte er sich.

»Oh … na ja, ich … ich will eigentlich gar nicht bei Lyttons arbeiten.«

»Weil es zu einfach wäre? Und weil die Leute darüber reden würden?«

»Ja. Und weil …«