Rudi - Ausflüge in den Alltag - Joachim Thiel - E-Book

Rudi - Ausflüge in den Alltag E-Book

Joachim Thiel

4,9

Beschreibung

Vom ersten Wecker-Klingeln an kämpft Rudi, der Protagonist dieser satirischen Episoden mit den Widrigkeiten des Alltags. Allein der Versuch, seine Arbeitsstelle zu erreichen, entwickelt sich zum Spießrutenlauf. Der simple Versuch, einfach nur eine Tür zu öffnen oder auch einen Fliegenfänger aufzuhängen, wächst sich unaufhaltsam zu einem Desaster aus. Dabei offenbart sich Rudi durchaus als pfiffiges Kerlchen und sein ungewöhnlicher Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen ist beachtenswert. Ob er im Urlaub eine Wanderung unternimmt oder unbeabsichtigt einem Bullen zu nahe tritt - das Chaos ist nie weit entfernt! Selbst seine bestgemeinten Aktionen münden scheinbar zwangsläufig in Katastrophen. Doch Rudi ist fast immer auf Höhe des Geschehens! Wer herzhaft lachen möchte, ist mit diesem Buch wirklich bestens bedient. Der mit "Murphys Law" vertraute Leser wird an diesem Buch seine wahre Freude haben und sich in diesen vergnüglich zu lesenden Episoden des Öfteren selbst wiedererkennen. Er kann sich auch purer Schadenfreude hingeben oder sich etwas Erleichterung vom eigenen Alltagsfrust verschaffen - denn so knüppeldick wie Rudi kriegt es keiner!

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Seitenzahl: 139

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhalt:

Ein Wort auf den Weg ...

Morgen-Grau(s)en

Lauf-Duell

Techno-Frust

Stau-Vergnügen

Kunst-Objekt

Schwimm-Schuh

Blind-Date

Outback-Ralley

Küchen-Fee

Rodeo-Stuhl

Psycho-Schach

Kontakt-Grill

Drachen-Kampf

Spenden-Fluch(t)

Rechnungs-Roulette

Fliegen-Krieg

Pausen-Pirsch

Stunden-Poker

Wander-Wahn

Licht-Ringen

Explosions-Gefahr

Eimer-Ballett

Kuschel-Monster

Papier-Reigen

Raubtier-Jagd

Sabotage-Sauger

Ein Wort auf den Weg zu Rudis Alltagsgeschichten:

„Wer ist denn Rudi?", mag der geneigte Leser sich am Kopf kratzend fragen, „muss man den Typ kennen?" Ein schlichtes „Nein“ als Antwort böte sich an und damit hätten wir es alle einfacher. Ein kurz entschlossenes Umblättern zur Seite → und schon stünden wir als unsichtbare Beobachter in Rudis Leben - genauer gesagt, in seinem Schlafzimmer!

Allein, die Angelegenheit erscheint, bei näherer Betrachtung, doch ein wenig verwickelter. Rudi besitzt bisher keine individuellen Züge, er ist gewissermaßen noch ein unbeschriebenes Blatt.

Der geneigte Leser wird ihn anhand des Gelesenen ganz unvermeidlich erschaffen. Er kann ihm ein Gesicht schenken, sein Alter zuteilen und ihm die Schuhe aussuchen. Jeder Leser wird seinen ureigenen Rudi ins Leben rufen. Darin liegt die Magie dieser und aller beschreibenden Worte.

Aus eben diesem Grund ist es auch nicht gänzlich ohne Bedeutung, wie intensiv der Leser sich auf das Buch einlässt. Der eben mal schnell Querlesende wird manches verpassen und es empfiehlt sich wohl auch, die Episoden nur in Portionen zu genießen.

Wir, als Schöpfer Rudis, kennen wir ihn? Wen kennen wir überhaupt? Natürlich uns selbst … oder nicht einmal das? Doch ich bin auf dem besten Weg, mich im philosophischen Unterholz zu verheddern und lotse den Leser auf ein falsches Gleis. Darum stopfe ich nun, kurzerhand und ungehemmt, unseren Rudi in die Schublade mit der Aufschrift Durchschnitts-Mensch und denke mir dabei:

„Vielleicht sind wir ja alle ein bisschen Rudi!"

Die Geschichten sind schlicht und einfach gehaltenund sie können uns dahin führen, auch die komischen Seiten unseres Alltags zu sehen. Rudi zeigt uns, dass sich auch in dem banalsten Geschehen noch ein Lachen versteckt halten kann. Ebenso mögen auch die alltäglichen kleinen Widrigkeiten etwas Spaßiges in sich tragen. Es kommt oft nur auf den Blickwinkel an.

Im Kern basieren die Geschehnisse auf echtem Erleben, wie verschoben die Wahrnehmung oder wie grotesk manche Schilderung auch erscheinen mag. Ein Ähnliches gilt für die handelnden Personen. Auch diese sind der Wirklichkeit entlehnt. Allerdings habe ich sie verändert, überzeichnet und mit frei erfundenen Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften ausgestattet. Es ist mir sehr wichtig, darauf hinzuweisen und ich hoffe, niemand fühlt sich durch die Rudi-Geschichten verunglimpft.

Dass hier nur der Leser und nicht die Leserin angesprochen wird, liegt übrigens keineswegs an einer mangelnden Wertschätzung der weiblichen Leserschaft. Vielmehr liegt es ausschließlich an der sonst kaum zumutbaren Lesbarkeit derartiger Texte. Auch die gewählte Form gemischter Episoden soll zur Entspannung des Lesers beitragen.

Darüber hinaus trägt dieses Buch kein Verfallsdatum, ist durchaus wiederverwendbar und nicht einmal verschreibungspflichtig. Sollten während des Lesens Symptome, wie ausgiebiges Gähnen, häufiges Augenzufallen und wiederholtes Einnicken auftreten, muss dies sich nicht zwangsläufig auf die Lektüre beziehen. Vielleicht sollten Betroffene zunächst Ihren Lebenswandel oder Ihre Schlafgewohnheiten überdenken.

Alternativ können Sie dieses Buch natürlich auch bedenkenlos als Einschlafhilfe verwenden.

Andererseits hoffe und wünsche ich jedem Leser, sich von Rudi zum Lachen verführen zu lassen - ist doch echtes Lachen nachweislich gesundheitsfördernd.

In diesem Sinne

Joachim Thiel

Morgen-Grau(s)en

Die Nacht hat sich durch das Ablegen ihres dunkelgrauen Mantels längst schon in den Tag gerettet. Auch das gefiederte Orchester gab sein allmorgendliches Begrüßungsständchen an das wieder erwachende Licht bereits zum Besten. Und während die frühen Musikanten munter und emsig ihren täglichen Verrichtungen nachflattern, enthüllt milder Sonnenschein das frühherbstlich warm gefärbte Laub der Bäume und Sträucher.

Die roten Leuchtziffern in Rudis abgedunkeltem Schlafzimmer haben sich auf 6:45 Uhr vorgearbeitet. Der Wecker gibt ein dezentes Piepen von sich. Rudi erwacht mit dem Gedanken an seine betriebliche Arbeitszeitregelung. Für ihn gilt nämlich Gleitzeit und daher braucht er erst um 8:30 Uhr im Büro zu sein.

Also wälzt er sich schlaftrunken auf die andere Seite, um dort sofort wieder einzudösen. Seine Schläfrigkeit ist wenig verwunderlich, hat er doch wieder die halbe Nacht vor dem Computer gehockt und Schlafen im Sitzen geübt.

Nach einer kurzen Schonzeit meldet sich der Wecker erneut, nur deutlich lauter als zuvor.

Rudi hatte sich zwar vorgenommen, heute pünktlich aufzustehen, aber er findet es einfach zu gemütlich im Bett. Außerdem war da doch gerade noch so ein angenehmer Traum. Worum ging es nur gleich noch? Den schwindenden Spuren seines Traums nachspürend dämmert er bereits wieder davon.

Der Wecker wird jetzt allmählich aufdringlich. Sein Schrillen hat etwas unterschwellig Aggressives an sich.

Rudi befindet sich in einem merkwürdigen Zustand. Er streift durch dieses Niemandsland, das irgendwo zwischen Schlaf und Wachsein angesiedelt ist. Ihm scheint dies eine sehr angenehme Befindlichkeit, die er auch gar nicht verändern möchte.

Doch da klingelt es mit erheblich gesteigerter Lautstärke erneut und zerrt ihn erbarmungslos über die Grenze ins Wachsein zurück.

Rudi erwägt nun, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, bevor diese „Nerven-Dehn-Maschine“ ihm womöglich noch, mit dem Signalton eines durch das Zimmer rasenden Intercity, das Trommelfell wegpustet. Im Halbschlaf tastet er mit einer Hand auf der Suche nach dem Folterinstrument die Umgebung ab.

Der Wecker seinerseits schafft es erstaunlicherweise nicht nur den suchenden Fingern immer wieder geschickt auszuweichen, sondern er ist anscheinend auch entschlossen, jetzt alles zu geben. Er kräht mit gefühlten hundert Dezibel los, schüttelt sich dabei ekstatisch und tanzt von einem Bein aufs andere. Dabei schafft er es tatsächlich, im Kreis über den Nachttisch zu wandern. In vorbildlicher Erfüllung seiner weckereigenen Pflicht piept, scheppert und rasselt er nun derartig, dass Rudi hektisch herumfuhrwerkt, um diesen Störenfried endlich zu erwischen.

Ohne bewusste Absicht fegt er dabei mit der Handkante etwas vom Nachtkasten und es folgt ein hässlich splitterndes Geräusch! Danach breitet sich eine wundervoll tiefe Stille aus und Rudi sinkt erleichtert in seine Federn und, nicht viel später, in seine Träume zurück.

Bis der Wecker schrillt – unbeeindruckt, zäh und gnadenlos!

Rudi fährt erschreckt hoch und schaut auf die Digitalanzeige, die 7:00 Uhr anzeigt. „Moment!“ Rudi versucht, seine Neuronen zu ordnen und die Verwirrung abzuschütteln. „Wie kann der Wecker denn …?“ Sein suchender Blick wandert über den Nachtschrank. Durch konzentriertes Nachdenken erlangt er schließlich Klarheit. Es fehlt seine innig geliebte Tischleuchte. Ein zweiter Blick, dieses Mal über die Bettkante, offenbart ihm das ganze Ausmaß der Tragödie. Da liegt seine Lampe, in Einzelteilen und Scherben-Stücken über den gefliesten Boden verstreut.

Dieser Anblick erfüllt Rudi zwar mit Wehmut, aber eingedenk des Ratschlags einer guten Freundin, sucht er auch hierin noch das Positive zu entdecken.

Na schön, er wollte dieses Hobby schon lange einmal ausprobiert haben, und nun ist die Gelegenheit gegeben. "Okay, dann wird es jetzt halt eine Tiffanylampe", denkt er sich.

Mittlerweile befindet sich Rudi in einem Zustand, den man mit etwas gutem Willen als wach-ähnlich definieren könnte. Und da es nun auch schon spät geworden ist, schwingt er sich behände wie ein Koala aus dem Bett - wobei Koalas wohl eher nicht ächzen und schnaufen.

Während seine Füße vorsichtig zwischen den Lampenresten nach den Hausschuhen tasten, versucht sein noch schlaftrunkener Kopf sich zu erinnern, wo er die Dusche zuletzt gesehen hat. Dabei bräuchte er doch nur dem anhaltenden Gekicher und dem Föhn übertönenden Gelächter seiner beiden weiblichen Familienmitglieder, die inzwischen das Badezimmer bevölkern, zu folgen. Doch das Bad zu benutzen liegt im Augenblick ohnehin völlig außerhalb des Möglichen!

Einige Zeit später steht er dann doch, selbstredend bei Weich-Ei-Temperatur, leise summend unter der Dusche. Da fliegt plötzlich die Tür auf und seine Tochter Lissy stürzt, Rudis klingelndes Diensthandy in der Hand, herein! Bevor er überhaupt eine bewusste Reaktion zeigen kann, hat sie ihm das Telefon zugeworfen und ist schon wieder auf und davon.

Rudi versucht das Display des schnell weit von sich gestreckten Handys zu entziffern, aber wer geht schon mit Brille unter die Dusche? Da bleibt nur eins, das Gespräch annehmen und hoffen, dass es nicht allzu schlimm wird.

Doch genau das wird es, nur schlimmer!

“Rudi, Sie müssen sofort in mein Büro kommen, hier läuft das Wasser aus der Decke!“, schrillt es aus dem Hörer. „Was kann ich dagegen unternehmen? Rudi, beeilen Sie sich bloß"! Die Stimme transportiert eindeutig Panik.

In dieser Situation kommen Rudis langjährige Erfahrung und Abgeklärtheit als Haustechniker zum Zuge. Er lässt sich von der Panik keineswegs anstecken, sondern handelt zielgerichtet und weitgehend gelassen.

Er erklärt dem Telefon in Kürze vor Ort zu sein und gibt noch ein paar nützliche Hinweise wie: „Stellt doch einen Eimer drunter." Oder: „Dreht die Wasserabsperrung zu."

Trotzdem gilt es jetzt, schnellstmöglich im Büro aufzutauchen. Schließlich birgt so ein Rohrbruch nicht nur ein hohes Schadenspotenzial, er verunsichert auch die Arbeitskollegen in erheblichem Maß. Allein die Anwesenheit Rudis trägt da - psychotherapeutisch betrachtet - zur Entspannung bei. Hauptsache, es ist jemand vor Ort, der Verantwortung übernimmt.

Nach dem hastigen Abrubbeln steht Rudi nun, mit den Gedanken schon bei seinem Rohrbruch, vor dem Spiegelschrank. Er drückt beinahe gelassen Rasiergel auf seine Zahnbürste und gibt dann ordentlich Gas, bis ihm reichlich Schaumblasen aus dem Mund quellen. Jetzt schnell noch etwas Haarwasser in die Achselhöhlen verteilt, einen Streifen Zahnpasta in Haar und Kopfhaut einmassiert und schon sitzt die Frisur. Damit ist er dann auch im Bad bereits fertig und eilt an der offenen Wohnzimmertür vorüber zum Kleiderschrank. Ein spitzes „Ooh“ erklingt, und als er erneut um die Ecke zum Wohnzimmer biegt – dieses Mal sogar bekleidet – sitzt dort Ellas Freundin Petra.

Ein kurzes „Hallo“ muss ihr heute reichen, denkt sich Rudi und ruft ihr im vorbei Flitzen nur einen knappen Gruß zu. Nebenher rafft er schnell noch die wichtigsten Utensilien für seinen Arbeitstag zusammen: das Frühstücksbrot seiner Tochter, das Handy seiner Frau und den Schlüsselbund von Petra!

Er investiert noch ein kurzes „Bin dann mal weg“, das er jedoch eher ungerichtet in die Wohnung hinein ruft, da er Ellas momentanen Aufenthaltsort nur vermuten kann. Aber heute bleibt für Höflichkeiten wahrhaftig keine Zeit. Er zieht die Wohnungstür klappend hinter sich ins Schloss und hastet, die Stufen im Doppelpack nehmend, die Treppe hinunter.

Und schon ist er auf dem Weg zur Arbeit!

Allerdings taucht er kaum 3 Minuten später - Sturm klingelnd - wieder vor der Haustür auf. Bereits das Durchwaten der ersten Regenpfütze ließ in Rudi nämlich begründete Zweifel an der Out Door - Eignung seiner Hausschlappen aufkeimen. Außerdem stellten sich Petras Schlüssel als echte Fehlbesetzung für Rudis Haustürzylinder heraus.

Zurück im heimischen Flur müht er sich hastig, seine feuchten Füße in ein Paar trockene Schuhe hinein zu zwängen. Plötzlich hört er sein Handy klingeln. Erstaunlicherweise dringt das Geräusch aus dem Badezimmer. Rudi erkennt sein Mobil-Telefon direkt an dem Klingelton, denn er hat sich "Paint It Black" von den Rolling Stones selber aufgespielt und eingerichtet. Ebenso wie weitere individuelle Klingelzeichen für unterschiedliche Anrufer.

Ohne viel Aufhebens hat Rudi inzwischen den Schlüssel- und Telefonaustausch vollzogen. Nebenbei hat er die Handy-Botschaft, der sechste Eimer sei bereits gefüllt, entgegengenommen. Er startet zum zweiten Mal durch.

„Jetzt aber hurtig", motiviert er sich selbst und hüpft die Treppe abwärts. Um Zeit zu sparen, nimmt er erneut immer zwei Stufen gleichzeitig.

Genau in diesem Augenblick meint das Handy, es sei sicherer, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen. Dazu sondert es diesmal ein lautes Schrillen ab. Der Erfolg ist schlicht umwerfend. Zusammenzuckend verliert Rudi nämlich seinen Rhythmus, rutscht mit dem Fuß über eine Trittkante und nimmt nun nicht mehr zwei Stufen auf einmal, sondern irgendwie zweieinhalb, dann dreieinviertel und den Rest der Treppe - unter ziemlichem Getöse – abwärts kugelnd an einem Stück!

Einige Zeit später hat er sich soweit erholt, dass er seine Aktentasche mit den im Treppenhaus verstreuten Notizzetteln und einigen herumliegenden Butterbroten neu befüllen kann.

Der Notarzt ist inzwischen auch wieder gegangen!

„Nun aber schnell“, motiviert Rudi sich erneut und startet den dritten Versuch, sich auf den Weg zur Arbeit zu begeben.

Lauf-Duell

Rudi hat es tatsächlich geschafft. Allen Widerständen zum Trotz ist er unterwegs zu seiner Arbeitsstelle. Der Weg ist in zehn Minuten zu bewältigen und heute hat er es besonders eilig! Aber liegt es nun an dem Druck, mit einer daraus resultierenden Muskel-Verspannung, oder gibt es noch andere Gründe? Was Rudi zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt, ist die, noch einige Monate in der Zukunft auf ihn lauernde Diagnose einer üblen Erkrankung, die sich hinter dem harmlos klingenden Namen "Parkinson" verbirgt. Er bemerkt einfach nur, nicht wie gewohnt voranzukommen.

Soeben überholt ihn, in halsbrecherischem Tempo und mit quietschenden Reifen, ein Rollstuhlfahrer.

„Nun gut", sinniert Rudi weiter, „meine jüngste Treppenbenutzung entsprach nicht gerade der schonendsten Methode, dazu kommt dieses oft schmerzende Arthrosegelenk sowie ein zerbröselter Meniskus - oder waren es zwei?"

Aber diese Erkenntnis hilft ihm momentan auch nicht weiter. Verbissen bemüht er sich seine Geschwindigkeit zu steigern, doch nun zieht auch noch ein Kinderwagen, mit daran hängender Mutter, an ihm vorbei.

Um wenigstens den Anschluss an den Kinderwagen nicht abreißen zu lassen, legt er nochmals nach.

Der Kinderwagen-Inhalt applaudiert begeistert und winkt dem allmählich zurückfallenden Rudi mit fröhlichem Krähen zu.

Der kämpft inzwischen mit ersten Seitenstichen, aber er versucht trotzdem das Tempo mitzugehen und holt darüber hinaus jetzt sogar ein wenig auf.

Das vergnügte Kleinkind reagiert sportlich und unterstützt seine Mutter, indem es einigen Ballast an Kissen und Decken abwirft. Als Nächstes kommt es auf die spontane Idee, Rudis Reflexe zu testen, indem es ihm seinen Schnuller zu wirft. Doch leider besteht Rudi den Test nicht. Er greift daneben und der Schnuller landet auf dem Boden. Aber anstatt dort liegen zu bleiben, rutscht er, vermutlich aufgrund der guten Einspeichelung, weiter über die Gehwegplatten, kippt gemächlich über die Bordsteinkante und verabschiedet sich zielgenau in den Gully.

Ein älterer Herr steppt, vor sich hin pfeifend, auf seinen Rollator gestützt, vorüber.

Das Kind schreit verständlicherweise los, und die Mutter schimpft in einer Rudi unbekannten aber irgendwie bedrohlich klingenden Sprache lauthals auf es ein.

Rudi befürchtet internationale Verwicklungen und versucht sich schleunigst davon zu machen. Während die Mutter angestrengt in den Gully starrt, brüllt das Kleinkind anklagend hinter Rudi her.

Eine gebeugt am Stock gehende ältere Dame stakst unter missbilligendem Kopfschütteln mühelos an ihm vorbei.

Glücklicherweise ist das Geschäfts- und Bürohaus in dem Rudi arbeitet jetzt bereits in Sicht und er aktiviert die letzten Reserven für den Endspurt.

[Dass zwei Weinbergschnecken angeregt plaudernd neben ihm her kriechen, obwohl er sich mit Höchstgeschwindigkeit bewegt, während sich auf seiner anderen Seite eine griechische Landschildkröte vorbei schiebt, ist nun aber wirklich nur Rudis Einbildungskraft geschuldet.]

Techno-Frust

Endlich betritt Rudi mit einem leicht flauen Gefühl im Magen das Gebäude. Diese Rohrbrüche sind eine echte Stress-Quelle. Anscheinend wurde für die Hauswasserleitungen eine „Kupfer-Schweizer-Käse-Legierung“ verbaut – eine sehr löchrige Angelegenheit eben.

In diesem Augenblick hört er das typisch schleifende Geräusch der sich schließenden Aufzugtür. Um zu verhindern, dass ihm die Lift-Kabine direkt vor der Nase davon fährt, sprintet er über den Flur und schiebt blitzschnell seine Hand in den kaum noch vorhandenen Spalt. Auf diese Weise lässt sich die Schiebetür zum Auffahren zwingen.

Selbstverständlich weiß er, dass dabei gar nichts passieren kann, da es eine umlaufende Lichtschranke gibt, die ein Einklemmen nicht zulässt. Schließlich hat er selbst den Einbau dieser Sicherheitseinrichtung veranlasst und die Installation durch die angesehene Aufzugs-Fach-Firma Klaus Trofoby eigenen Auges überwacht. Zusätzlich wird die Kabinentür dahin gehend gesteuert, dass sie bei einem Einklemmen von Personen oder Gegenständen direkt wieder auffährt.

Überhaupt besitzt so eine Aufzugsanlage eine bemerkenswerte Ansammlung von Sicherheitseinrichtungen. Da ist ein Unfall so gut wie ausgeschlossen!

Möglicherweise macht die Lichtschranke allerdings gerade Frühstückspause oder die Kabinentür hat eine wichtige Verabredung und es daher heute besonders eilig? Jedenfalls hat Rudi die größten Schwierigkeiten, seine gequetschte Hand aus der geschlossenen Schiebetür zu zerren, bevor der Aufzug abfährt und womöglich …

„Quatsch!", denkt er, „Es kann ja gar nichts passieren, denn technisch gesehen ist alles mehrfach abgesichert - theoretisch zumindest."

Rudi mustert seine bereits violett anlaufenden Finger und verzichtet lieber auf den Aufzug. Er flitzt die Treppe hinauf in die 2. Etage. Dort angekommen eilt er in sein Büro, stopft das Butterbrot in die Schreibtischschublade und drapiert eine Banane malerisch daneben. Jetzt wird noch schnell der PC eingeschaltet und auf geht es zum Katastrophenherd.

Unterwegs registriert er die ungewöhnliche Zurückhaltung seines Handys. Er bemüht sich, es aus der an sich groß genug dimensionierten Tasche seiner Worker-Hose zu klauben. Schließlich gelingt es ihm, obwohl der Klettverschluss den größtmöglichen Widerstand leistet, das sich festklammernde Telefon aus der Tasche zu zerren.

Tatsächlich, das Mobilheim der Rolling Stones hat sich ausgeschaltet. Das macht Rudis Handy manchmal selbsttätig. Ebenso, wie es hin und wieder eine Nachricht erst Tage später bekannt gibt – mit Vorliebe dann aber nachts um 3:00 Uhr!

Glücklicherweise fällt ihm ausnahmsweise die Pin-Nummer auf Anhieb ein, und der Apparat erwacht zu neuem Leben. Er beweist dies auch unverzüglich durch fortgesetztes schrilles Piepsen, und das Display meldet sechzehn im Speicher versammelte Anrufe!