Ruf der Nymphen - Janette Altinsoy - E-Book

Ruf der Nymphen E-Book

Janette Altinsoy

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Beschreibung

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Das E-Book Ruf der Nymphen wird angeboten von tredition und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Zeit, Tag, Augen, Kopf, Hand, Welt, Wissen, Mann, Sagen, Blick, Gedanken, Ende, Gesicht, Recht, Angst, Liebe, Tür, Moment, Herz, Körper, Tisch, Antwort, Licht, Sofort, Deinen, Himmel, Weitere, Meines, Gefühle, Voller

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Seitenzahl: 332

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© 2022 Janette Altinsoy

Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer

ISBN Hardcover: 978-3-347-60056-0

ISBN E-Book: 978-3-347-60057-7

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

„Du hast mich mit Leib

und Seele verzaubert,

und ich liebe, ich liebe, ich liebe dich.

Und wünsche mir von diesem Tag an,

niemals von dir getrennt zu sein.“

— Jane Austen

Prolog

Es war bereits ein ganzes Jahr verstrichen, seitdem ich mit Trevor im Reich der Nymphen war. Ich saß an meinem Schreibtisch und starrte aus dem offenen Fenster. Ich dachte oft an die Zeit bei den Nymphen zurück und auch Rongo hatte seinen festen Platz in meinem Herzen nie verloren. Ich dachte oft daran, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich bei Rongo geblieben wäre, aber das Schicksal entschied sich gegen uns. Fast täglich dachte ich an seine smaragdgrünen Augen und die Zeit mit ihm, in der Welt der Nymphen. Noch immer starrte ich gedankenverloren aus dem Fenster und beobachtete die Blätter der Bäume, die vom Wind getragen wurden. Plötzlich sah ich eine schwarze Krähe und dachte, so wie jedes Mal, an Livara. Doch dieses Mal war irgendetwas anders. Der Vogel flog direkt zu mir und landete auf dem Fensterbrett. Ich verharrte wie eine Statue und wollte ihn keinesfalls erschrecken. Die Krähe öffnete jedoch gleich darauf ihren Schnabel und ein kleiner zusammengefalteter Zettel kam zum Vorschein. Ich erschauderte und griff ganz langsam nach dem kleinen Stück Papier. Vorsichtig faltete ich den Zettel auf und konnte nicht glauben was darauf stand…

1

***

Hallo Liebes!

Wir benötigen deine Hilfe!

Nimm bitte deinen Umhang

und folge mir zum See…

Livara

***

Ich hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn Livara machte einen ziemlich entschlossenen Eindruck. Die Fähigkeit, im Gedanken mit ihr zu kommunizieren, hatte ich schon längst verloren und somit musste ich nach meinem Gefühl entscheiden. Ich hatte mir so oft gewünscht, Livara wiederzusehen, aber bis zum heutigen Tag, hatte ich jede Hoffnung verloren. Mein Blick wechselte zwischen dem kleinen Stück Papier und dem wunderschönen schwarzen Vogel, hin und her.

Was hat das alles zu bedeuten? Und warum ich? Was hat der Umhang damit zu tun? Wen genau meint sie mit „Wir“? – die Welt der Nymphen?

Mir brannten unzählige Fragen im Kopf und Livara konnte mir im Moment keine einzige davon beantworten. Ich war in dem vergangenen Jahr, so oft unten am See und hoffte immer wieder, jemanden aus der Welt der Nymphen wiederzusehen. Doch jedes Mal, stellte es sich als eine erneute Enttäuschung heraus. Aber jetzt war sie tatsächlich hier. Livara war hier und brauchte meine Hilfe. Ich faltete den Zettel und legte ihn in die Schublade meines Schreibtisches. Livara sah mich erwartungsvoll an und ich wusste, dass die Sache ernst sein musste, sonst wäre sie nicht in meine Welt gekommen.

>> Was ist mit Trevor? <<

Die Krähe blieb stumm, doch ihr Kopf machte eine leichte Bewegung, die auf ein „Nein“ schließen ließ. Ich schloss für einen Moment die Augen und bereitete mich auf das Schlimmste vor. Mein Herz sagte mir, dass es selbstverständlich war, Livara zu begleiten, doch mein Kopf protestierte. Livara krähte laut auf und sah mich fordernd an.

>> Also gut! << stimmte ich zu und holte meinen Umhang aus dem Kleiderschrank.

Meine Wohnung war nicht weit vom See entfernt und als ich das Haus verließ, wartete Livara bereits draußen vor der Eingangstür auf mich. Ich trug meinen Umhang im Arm und hatte noch nicht vor, ihn mir jetzt schon umzulegen. Ich wollte es vermeiden, wie eine Schneekönigin durch den Ort zu laufen und folgte Livara Richtung See. Sie flog nicht sehr hoch und ich hatte sie die gesamte Zeit über, gut im Blick. Livara beschleunigte ihr Tempo und ich bemühte mich, sie nicht zu verlieren. Ich hastete ihr immer weiter hinterher und konnte von weitem bereits das Seeufer erkennen. Es war nicht mehr weit und langsam fragte ich mich, was sie eigentlich vorhatte. Ich schob meine unsicheren Gedanken beiseite und folgte ihr dennoch. Kleine Kieselsteine knirschten unter meinen Schuhsohlen, als wir immer näher ans Ufer kamen. Sie führte mich genau an die Stelle, an der der See an den Wald angrenzte und mit einem Mal war Livara plötzlich verschwunden. Ich suchte den Himmel nach ihr ab, aber es war keine Spur mehr von ihr zu sehen. Ich hoffte, dass mir meine Fantasie keinen Streich gespielt hatte, und dass Livara tatsächlich bei mir war. Allein und verwirrt stand ich nun am Ufer und schaute auf das weite Wasser. Ich wünschte mir so sehr, dass das alles kein Tagtraum war und rief immer wieder nach Livara. Es kam keine Antwort. Nicht einmal ein Krähen war zu hören. Ich zweifelte an meiner Entscheidung und spürte, wie sich meine Zähne unwillkürlich in meine Lippen bissen. Ich unterdrückte meine Tränen und kämpfte mit meinen Gefühlen. Ich wusste nicht, was gerade mit mir los war und warum sich mein Körper so sehr nach einer Verbindung zu den Nymphen sehnte. Eine Träne entwich mir und tropfte auf den weißen Stoff des Umhangs. Ich überlegte mir, ob es tatsächlich alles einen Sinn ergeben konnte und streichelte über die weichen Federn. Eigentlich hatte ich nichts zu verlieren und der Umhang war das Einzige, das mir von der Welt der Nymphen geblieben war. Vorsichtig faltete ich ihn auf und glaubte fest an mein früheres Ich. Ich öffnete ihn in seiner vollen Größe und legte ihn mir mit einem Schwung um meine Schultern. Mein Kopf war gesenkt und ich hoffte so sehr, dass das alles irgendetwas zu bedeuten hatte. Noch bevor ich meinen Blick aufrichtete, legte sich plötzlich von hinten eine Hand auf meine Schulter. Ich erschrak und gab einen undefinierbaren luftschnappenden Laut von mir.

>> Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken… tut mir leid. <<

>> Rongo? <<

Ich konnte nicht glauben, dass ich seine Stimme hörte und drehte mich, ohne eine Sekunde zu zögern, zu ihm um. Er war es tatsächlich. Rongo war hier und stand mir nun genau gegenüber. Mein Herz machte einen Luftsprung und ich war überwältigt ihn zu sehn. So lange hatte ich es mir gewünscht und jetzt stand er wirklich vor mir.

>> Es ist so schön, dich wiederzusehen! << sagte er und umarmte mich ohne Vorwarnung.

Meine Hände wanderten wie von selbst um seinen Oberkörper und drückten ihn noch fester an mich. Es tat so unendlich gut, ihn zu spüren und ihm nach so langer Zeit, wieder so nah sein zu können. Sein Kopf war genau neben meinem und sein Gesicht drehte sich zu meinem Ohr. Rongo gab mir einen Kuss auf den Hals und sein Griff wurde noch ein Stück fester. Seine Brust war angespannt und presste sich gegen sein weißes Hemd. Ich spürte seinen Herzschlag an meiner Brust und es schien ihm gleich zu gehen wie mir. Er war aufgeregt und voller Freude. Ich roch den Duft seiner Haare und unterdrückte ein Seufzen. Alle Erinnerungen prasselten nur so auf mich ein und die Nähe zu ihm hatte mir so sehr gefehlt. Meine Hand glitt zu seinem Hinterkopf und krallte sich förmlich in seine schwarzen Haare. Ich drückte ihn noch fester an mich und wollte, dass der Moment nicht aufhörte.

>> Ich vermisse dich! Jeden Tag! Ich schwöre es! Jeden verdammten Tag… << flüsterte er und küsste mich auf die Schläfe.

Langsam lösten wir uns wieder voneinander und ich schaute in seine vertrauten smaragdgrünen Augen. Sie funkelten wie Edelsteine und ein Lächeln zierte sich auf seinen Lippen.

>> Warum bist du nicht eher gekommen? << flüsterte ich unsicher.

>> Ich war jeden Tag hier! Ich habe dich oft gesehen und beobachtet, wie du einfach nur am Ufer gestanden bist und auf das weite Wasser geschaut hast. <<

>> Aber… <<

>> Du konntest mich nie sehen. Ich weiß! Du hattest nie den Umhang mit und ohne diesen Umhang bleiben wir für alle Menschen unsichtbar. <<

>> Den Umhang? <<

>> Ja! Livara hätte es dir erzählen müssen. << betonte Rongo.

Ich war wütend, dass ich nicht schon viel früher davon wusste und dennoch war ich überglücklich, Rongo vor mir zu haben. Er sehnte sich ebenfalls nach mir und hatte mich nicht vergessen.

>> Warum hat mir Livara diesen Zettel gebracht? Was weißt du darüber? << fragte ich vorsichtig und hoffte auf eine Erklärung.

>> Ich weiß nicht genau, wie ich es dir sagen soll, Kaira… <<

Rongo machte eine kurze Pause und suchte nach den passenden Worten.

>> Wir brauchen deine Hilfe. Die Nymphenwelt ist in Gefahr und du bist die Einzige, die uns helfen kann. <<

>> Ich verstehe das alles nicht. Wieso bin ich die Einzige? <<

>> Hava hat deinen Platz eingenommen und ist nun eine Älteste. Sie hat die gesamte Welt mit ihren Illusionen getäuscht und versucht die Herrschaft über das gesamte Reich zu bekommen. <<

>> Und ich soll das verhindern können? << fragte ich ungläubig.

>> Es war dein Platz, Kaira! Du musst deinen Platz als Älteste zurückfordern, nur so können wir verhindern, dass Hava unsere Welt zerstört. <<

Rongo griff nach meinen Händen und ich sah in seinen Augen, wie ernst ihm das Ganze war.

>> Soll das etwa bedeuten, ich soll wieder zurück in die Welt der Nymphen? <<

>> Ja. Nur so kannst du den Nymphen helfen. <<

Mein Kopf versuchte, die neuen Informationen zu sortieren und ich hatte kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, wieder in diese Welt zu gehen.

>> Rongo, ich… Ich weiß nicht… <<

Sein Griff um meine Hände wurde noch flehender und ich wusste nicht, was ich darauf sagen konnte. Ich dachte über seine Worte nach und blieb einen Moment lang still.

>> Kaira! Du bist die beste Älteste der Erde. Die beste Nymphe in diesem Reich. Und… du bist das Beste für mich. <<

Ich schluckte, als ich den letzten Satz aus seinem Mund hörte und ein kalter Schauder lief mir über den Rücken. Ich musterte sein wunderschönes Gesicht und sah das Flehen in seinen Augen.

>> Wenn ich das Beste für dich bin, warum hast du mich dann mit Trevor gehen lassen? <<

Meine Stimme klang anders. Ein Hauch von Verzweiflung und Sehnsucht klirrte in meinen Worten mit und dennoch konnte ich mir diese Frage nicht zurückhalten.

>> …weil ich nicht das Beste für dich bin. << antwortete er leise und kaum hörbar.

Rongo ließ meine Hände wieder los und sank seinen Kopf. Einzelne Haarsträhnen hingen ihm in die Stirn und er sah hilflos vor mir aus.

>> Wie willst du das denn wissen? <<

>> Ich bin ein Drache, Kaira! Drachen müssen ihren Bestimmungen folgen… <<

>> Denkst du denn, das weiß ich nicht? Das rechtfertigt aber nicht deine Handlungen! <<

>> Was hätte ich denn machen sollen? Hätte es etwas geändert, dich zu überreden, bei mir zu bleiben? Du warst dir so sicher, dass du mit Trevor zurück in dein altes Leben gehen willst. Du hattest es nicht einmal in Erwägung gezogen, bei mir zu bleiben. <<

>> Rongo… <<

>> Ich weiß, dass du ihn liebst! Und ich wünsche mir nichts mehr, als dass du glücklich bist. << unterbrach er mich.

>> Wie kannst du wissen, was mich glücklich macht? Ich war jeden verdammten Tag hier und habe gehofft, ich würde dich sehen. Du hast keine Ahnung davon, wie es mir in dem letzten Jahr gegangen ist. Du hast mir so sehr gefehlt… <<

Meine Stimmfarbe färbte sich in Wut und ich fühlte mich missverstanden. Ich hatte nicht vor, Rongo anzugreifen, aber meine Gefühle waren nicht mehr zu bändigen.

>> Warum warst du nicht bei mir? Warum hast du mich gehen lassen? Warum Rongo? Warum? << schrie ich und Tränen liefen über meine Wangen, als ich mit meinen Fäusten gegen seine Brust schlug.

Das Leben mit Trevor war nicht so, wie ich es mir erhofft hatte.

Rongo wich nicht zurück und bewegte sich nicht. Er ließ meinen Gefühlsausbruch zu und anstatt mich abzuwehren, schloss er mich in seinen Armen ein. Meine Tränen wurden immer mehr und mischten sich aus Liebe und Wut. Rongo sagte kein einziges Wort und hörte sich alles an, was ich ihm vorzuwerfen hatte. Nach einer Weile beruhigte ich mich wieder und atmete schwer.

>> Ich ließ dich gehen und… das war der größte Fehler meines Lebens. << flüsterte Rongo gegen mein Ohr und atmete ebenfalls schwer durch.

Ich versuchte, nicht erneut in Tränen auszubrechen und löste mich aus der Umarmung. Rongos Hand näherte sich meinem Gesicht und ganz vorsichtig, wischte er mir die letzten Tränen mit seinen Fingern ab. Anschließend wanderte auch seine andere Hand zu meinem Gesicht und legte sich auf meine Wange. Er hielt meinen Kopf in seinen Händen und zwang mich, ihn anzusehen.

>> Bitte weine nicht. << sagte er leise und legte seine Stirn gegen meine.

Unsere Nasenspitzen berührten sich und ich schloss die Augen. Es fühlte sich an, als wäre die Welt für einen Augenblick stehen geblieben und es gab nichts, außer Rongo und mich. Seine Hände strichen von meinen Wangen hinter meine Ohren und seine Fingerspitzen berührten meinen Nacken. Seine Berührung war elektrisierend und ich fühlte mich schwerelos. Versunken öffnete ich langsam wieder meine Augen und blickte direkt in seine. Rongo musste kein einziges Wort sagen, denn seine Augen sprachen für ihn. Ich spürte einen kaum wahrnehmbaren Druck in meinem Nacken, als sich seine Finger dagegen drückten. Meine Lippen näherten sich seinen und im nächsten Moment berührten sie sich. Ganz zart küsste er mich und gab mir das Gefühl, dass es nur uns beide gab. Sein Mund öffnete sich etwas und vorsichtig spürte ich seine Zungenspitze, die meine Lippen streifte. Ich erwiderte die Aufforderung und unsere Zungen berührten sich. Erst ganz langsam und dann fordernder. Er nahm mich ganz für sich ein und sein Kuss raubte mir die Besinnung. Es war so leidenschaftlich und voller Gefühle, wie noch nie zuvor. Seine Zunge eroberte meinen Mund immer wieder und ich genoss es. Sachte biss er mir auf die Unterlippe und küsste mich erneut. Der Kuss war so schön und endete viel zu früh. Ich schluckte, als er sich wieder von mir löste und atmete tief durch. Meine Sinne waren benebelt und gleich darauf bekam ich unendliche Schuldgefühle.

>> Alles in Ordnung Kaira? << fragte Rongo besorgt, als er sah, dass meine Gedanken gerade wo anders waren.

>> Es ist nur… <<

>> Trevor? << unterbrach er mich.

>> Ja. << antwortete ich nach einem kurzen Zögern.

>> Verstehe… Ich wollte nicht… <<

>> Es ist nicht deine Schuld. Ich denke, meine Gefühle für dich waren nie verschwunden. Trevor war nur der einfachere Weg. <<

Wir standen uns anschließend einige Zeit wortlos gegenüber und sahen uns einfach nur an. Nach einer Weile ergriff Rongo das Wort.

>> Wirst du mitkommen… mit mir? <<

Ich überlegte und entschloss, einmal in meinem Leben, mit dem Herzen zu entscheiden, anstatt mit dem Kopf. Ich sagte nichts und nickte stattdessen. Ein Lächeln breitete sich auf Rongos Gesicht aus und ich sah, wie glücklich er über meine Entscheidung war.

>> Dann lass uns gehen! <<

>> Was? Jetzt gleich? Wie? <<

>> Ja. Wir sollten keine Zeit verlieren! Alles was du brauchst, findest du im Dorf. Livara hat bestimmt schon das Portal geöffnet. <<

Das alles ging mir fast zu schnell, aber ich musste mich jetzt entscheiden. Ich biss auf meine Unterlippe und ging alle Möglichkeiten durch. Rongo wollte mich zu nichts drängen und ließ mir die Zeit, die ich brauchte.

>> Gehen wir! << sagte ich anschließend entschlossener als ich eigentlich war, und folgte Rongo in den Wald.

Wir gingen an einigen Bäumen vorbei, bis wir plötzlich vor einem Höhleneingang stehenblieben.

>> Hier ist es! << erklärte Rongo und meinte damit das Portal.

Ich nickte und gab ihm somit meine endgültige Zustimmung. Rongo ließ meine Hand nicht los und führte mich voller Freude ins Innere der Höhle.

2

Der Durchgang war nicht allzu lang und man sah bereits ein Licht am Ende. Die Wände waren erdig und der Boden matschig. Man hörte jeden unserer Schritte und ich wusste, jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich hatte eine Entscheidung getroffen und bereitete mich innerlich darauf vor, meinen Platz als Älteste zurückzufordern. Und nach der Schlacht bei Atesch, war ich es den Nymphen schuldig. Rongo fasste nach meiner Hand und wich mir nicht von der Seite. Es war ein seltsames Gefühl nach so langer Zeit, aber dennoch gefiel es mir besser als es sollte. Es gab eine Tatsache, und die war meine Beziehung zu Trevor. Ich durfte mich nicht zu sehr an all das gewöhnen, denn das konnte ich Trevor nicht antun. Rongo bemerkte sofort, dass meine Gedanken wieder wo anders waren und lächelte mich fragend an. Ich reagierte mit einem Seufzen und ging weiter. Die Luft wurde immer kälter und ich war froh, dass ich den Umhang trug. Umso weiter wir uns Richtung Ausgang näherten, umso kälter wurde es. Weiße Luft drang aus meiner Kehle und bei jedem weiteren Atemzug schien es noch kälter zu werden als davor. Ich wickelte meinen Umhang fest um mich und hielt ihn an der Vorderseite mit einer Hand zusammen. Es fröstelte mich und ich war davon überzeugt, dass uns das Portal direkt in Havas Gebiet führen würde. Einige Schritte später erreichten wir den Ausgang der Höhle. Schnee. Das gesamte Gebiet war eingeschneit und eine eisige Kälte lag in der Luft. Ein kleiner Windstoß fuhr durch mein Haar und hinterließ ein schauderndes Gefühl in meinem Nacken. Rongo hielt noch immer meine Hand fest in seiner und stand direkt neben mir. Ich schaute in die Ferne und konnte nicht gleich glauben, wo wir uns befanden. Wir waren nicht in Havas Gebiet. Wir waren im Dorf der Amphibiennymphen. Fragend blickte ich in Rongos Gesicht und stand mit offenem Mund da. Langsam wagten wir unsere ersten Schritte in den unberührten Schnee und beobachteten, wie sich das Portal hinter uns wieder schloss.

>> Winter? << fragte ich erstaunt.

>> Ich sagte doch… Hava hat das gesamte Land mit ihrer Illusion getäuscht. Normalerweise herrscht hier andauerndes Herbstwetter. <<

>> Verstehe. <<

Eigentlich verstand ich gar nichts, aber für ausführlichere Erklärungen war später noch genug Zeit. Der Schnee hatte die Umgebung verändert, aber es war immer noch dasselbe Dorf, das mir so am Herzen lag. Ich vermisste alle. Sogar an Lexara dachte ich oft. Bei dem Gedanken an die erste Begegnung mit ihr, musste ich auch jetzt noch schmunzeln. Sie war eigentlich eine ganz angenehme Person, aber man musste wissen, wie man mit ihr umgehen musste. Der Ausgang des Portals hatte uns direkt zur Feuerstelle geführt, aber davon war fast nichts mehr zu sehen. Die Baumstämme, die rund um die Feuerstelle lagen, waren alle mit Schnee bedeckt und einige kleine verschneite Holzstücke lagen in der Mitte.

>> Was ist mit meinen Fähigkeiten? << fragte ich prompt, als mir plötzlich meine ersten Versuche an der Feuerstelle wieder eingefallen waren.

>> Im Reich der Nymphen, wirst du deine Fähigkeiten immer einsetzen können. << erklärte Rongo und sah mich eindringlich dabei an.

>> Willst du es versuchen? << fragte er gleich im Anschluss.

>> Vielleicht später. <<

Ich musste mich erst einmal mit der neuen alten Umgebung anfreunden und hatte nicht vor, meine Fähigkeiten jetzt gleich zu testen. Aber es war schön, dass ich nun wusste, dass ich sie immer noch hatte. Ich ließ meinen Blick von einem Haus zum nächsten schweifen und überlegte mir, wen ich wohl als erstes begrüßen sollte. Meine Entscheidung wurde mir genommen, als sich plötzlich die Tür beim Haus der Ältesten öffnete. Abwartend stand ich da und erblickte Livara. Sie war so schön wie immer und trug einen schweren schwarzen Pelzmantel. Ihre Arme nahmen eine einladende Haltung an und ihr Gesicht strahlte pure Freude aus. Freude, mich zu sehen. Zeitgleich gingen wir uns entgegen und Rongo folgte mir. Mein Herz füllte sich mit purer Liebe, als ich Livara endlich wieder in die Arme nehmen konnte. Es tat so unendlich gut, sie wiederzusehen.

>> Kaira! Es ist so schön, dich wieder hier zu haben. << begrüßte sie mich und ließ mich erst nach einer gefühlten Ewigkeit wieder los.

>> Ich habe euch alle wahnsinnig vermisst. << gestand ich und wechselte meine Blicke zwischen ihr und Rongo.

Sie wusste genau, worauf ich hinauswollte, und stellte keine zusätzlichen Fragen. Sie wusste, was mir Rongo bedeutete und dass das alles nicht gerade einfach war für mich.

>> Ich danke dir von tiefsten Herzen, dass du hier bist. Ohne dich würden wir es vermutlich nicht schaffen. << sagte Livara leise und hielt meine Hände in ihren.

>> Warum konnte ich dich sehen? Am Fenster meine ich. <<

Diese Frage musste ich einfach stellen, denn es war mir unbegreiflich. Rongo erzählte mir von dem Umhang, aber Livara konnte ich in meiner Welt auch ohne ihn sehen.

>> Mein Element ist der Geist. <<

>> Das ist alles? Darum konnte ich dich sehen? << bohrte ich nach.

>> Es ist das mächtigste Element und das Einzige, das die Verbindung zwischen dieser Welt und eurer Welt aufrechterhalten kann. << erklärte sie weiter.

Ich nickte und sah sie einfach nur an. Es war tatsächlich wieder schön hier zu sein und ein Blick in Livaras Augen bestätigte mein Gefühl noch mehr.

>> Lass uns ins Haus gehen. Hier draußen ist es viel zu kalt. << schlug Livara kurz darauf vor und deutete zum Haus der Ältesten.

>> Ist gut. << stimmte ich zu und folgte ihr gemeinsam mit Rongo.

Der Fußboden knarrte als wir das Haus der Ältesten betraten und bekannte Gesichter saßen an einem runden Tisch. Ich ging vom Schlimmsten aus und bekam plötzlich ein seltsames Gefühl in der Magengegend.

>> Alles in Ordnung, Kaira? << flüsterte Rongo.

Er hatte bemerkt, dass ich mich plötzlich unwohl fühlte. Rongo kannte mich anscheinend besser als ich dachte und das rechnete ich ihm hoch an.

>> Es geht schon. << flüsterte ich zurück und ging einen Schritt weiter.

Livara blieb kurz vor dem Tisch stehen, ließ ihren Blick durch die Runde schweifen und dann wieder zu mir und Rongo. Rongo wich mir nicht von der Seite und das gab mir ein Gefühl von Stärke. Lexara – Element Feuer, Anesch – Element Wasser und Aria – Element Luft saßen am Tisch und musterten mich von oben bis unten. Zaghaft begrüßte ich sie, doch ihre Freude mich zu sehen, hielt sich in Grenzen. Anesch schenkte mir nur wenig Aufmerksamkeit und Lexara gar keine. Aria lächelte und wandte anschließend ebenfalls ihren Blick von mir ab.

>> Was ist los? << fragte ich Livara verwirrt und mein schlechtes Gefühl bestätigte sich immer mehr.

Livara atmete einmal tief durch, griff nach meinem Arm und zog mich einige Schritte beiseite.

>> Das ist gerade alles nicht so einfach zu erklären. <<

>> Versuche es wenigstens! Ich will wissen, was hier los ist. <<

>> Die Ältesten haben bis jetzt keine Lösung für die Illusion von Hava gefunden. Du bist der einzige Ausweg, den sie noch sehen. Sie sind enttäuscht von dir, dass du deinen Platz an Hava abgegeben hast. <<

>> Aber ich konnte doch nicht wissen… <<

>> Ich weiß! << unterbrach sie mich.

>> Dann fordere ich jetzt meinen Platz zurück und alles wird wieder wie früher. <<

>> So einfach ist das aber nicht! Hava müsste dir ihren Platz freiwillig geben und das wird sie bestimmt nicht tun. <<

>> Welche Möglichkeiten gibt es denn sonst noch? << fragte ich verwirrt.

>> Es wird nicht einfach werden. Die Ältesten haben sich gemeinsam einen Plan überlegt, wie es vermutlich am besten funktionieren könnte. Das werden sie dir aber selbst sagen. <<

>> Einen Plan? Bedeutet das, dass ich länger hierbleiben muss? << fragte ich verwirrt nach.

>> Vermutlich mehrere Wochen! <<

>> Wie bitte? << fragte ich fassungslos und dachte ich hätte mich verhört.

>> Was hast du gedacht? Dass du herkommst, deinen Platz als Älteste einforderst und wieder gehst? So einfach ist das leider nicht. Aber du hast jetzt immer noch die Möglichkeit zu gehen. <<

Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Schließlich war ich diejenige, die eigentlich schuld an dem Ganzen war. Ich war es, die den Platz abgegeben hatte und ich war es, die ihn wieder zurückfordern musste.

>> Ich werde alles dafür tun, um die Welt der Nymphen aus den Fängen von Hava zu befreien. << sagte ich nach einigen Augenblicken und war mir meiner Verantwortung bewusst.

>> Das freut mich zu hören. Das ist meine Tochter! << sagte Livara stolz und lächelte mich an.

Sie deutete zum Tisch, an dem die Ältesten saßen und ging zu ihnen. Ich folgte ihr und blieb ebenfalls direkt vor dem Tisch stehen. Lexara forderte mich auf, mich zu setzen und ich tat es ohne Wiederrede. Livara setzte sich ebenfalls und wich mir nicht von der Seite. Rongo blieb hinter mir stehen und setzte sich nicht. Verwirrt suchte ich kurz seinen Blickkontakt. Er beugte sich zu mir und flüsterte mir über die Schulter ins Ohr >> Drachen ist es nicht gestattet, am Tisch der Ältesten zu sitzen. <<. Ich schluckte und hatte jetzt wenigstens eine Antwort auf die Frage in meinem Kopf. Die Elemente der Ältesten waren nun am Tisch vereint. Feuer, Wasser, Erde, Luft und Geist. Doch mein Element war bloß noch ein Element. Es war nicht mehr das Element einer Ältesten. Wo Primara war kümmerte mich nicht, aber die Abwesenheit von Hava, bereitete mir Sorge. Es würde schwerer werden, als ich dachte.

>> Kaira! Du hast deinen Weg also wieder zu uns zurückgefunden. << eröffnete Lexara das Gespräch und klopfte mit ihren Fingernägeln im Takt auf die Tischplatte.

Dass die Nymphen im Moment nicht allzu freundlich zu mir sein würden, war mir jetzt ohnehin bewusst.

>> So ist es! << antwortete ich mit starker Stimme.

>> Schön! Dann weißt du ja auch bestimmt, was du jetzt zu tun hast! << sprach sie im scharfen Ton weiter.

>> Wie sieht euer Plan aus? << entgegnete ich stattdessen.

Kurz herrschte Schweigen am Tisch und plötzlich ergriff Aria das Wort.

>> Wie du dir bestimmt denken kannst, ist das im Moment alles nicht so einfach für uns. Es wäre leicht, wenn dir Hava ihren Platz einfach so zurückgeben würde, aber das wird mit ziemlicher Sicherheit nicht geschehen. Sie ist so besessen davon, das gesamte Gebiet an sich zu reißen, dass sie alles andere rund um sie herum ausblendet. <<

>> Du musst deinen Platz anders zurückfordern! << unterbrach Lexara.

Ich starrte sie mit großen Augen an und wartete auf das was kommen würde.

>> Was Lexara damit meint ist, dass du zum Gebieter der Ältesten musst! << erklärte Aria weiter.

>> Zum Gebieter der Ältesten und der Elemente? << wiederholte ich ungläubig.

Ich hatte noch nie von so einem „Gebieter“ gehört und jetzt musste ich zu ihm gehen?!

>> Der Gebieter der Ältesten lebt in einer Parallelwelt zu unseren. Nur er kann es schaffen, dass du deinen Platz ohne Havas Zustimmung wiederbekommst. <<

Jetzt war der Moment gekommen, wo ich gar nichts mehr verstand. Parallelwelt? Gebieter der Ältesten? Wie soll ich das schaffen?

Aber ich war es den Nymphen schuldig. Es war meine Schuld, dass sie überhaupt in so eine Lage gekommen waren und ich war die Einzige, die sie wieder aus dieser Lage befreien konnte.

>> Wie komme ich dort hin? << fragte ich entschlossen in die Runde.

>> Du musst fliegen! << antwortete Livara mit zarter Stimme und ich wusste sofort, was sie damit meinte.

Ich antwortete nicht gleich.

>> …mit Rongo! << ergänzte sie gleich darauf und lächelte.

Ich atmete tief durch und drehte mich gleich darauf zu Rongo um. Rongo hob unwissend seine Hände in die Luft und schien davon genauso überrascht gewesen zu sein, wie ich. Die Tage in der Nymphenwelt waren anders als in meiner gewohnten Welt und ein kurzer Blick aus dem Fenster, bestätigte meine Vermutung. Es war Abend. Vereinzelnde Sonnenstrahlen ließen den Schnee nur noch schwach schimmern und in kürzester Zeit, würde es Nacht werden.

>> Kaira? <<

Aria riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte meinen Kopf zu ihr und sah ihr in ihre koboldblauen Augen.

>> Ja? <<

>> Alles Weitere besprechen wir dann morgen! <<

>> Ist gut! << bestätigte ich und war froh, dass dieses Gespräch endlich zu Ende war.

Wir standen auf und Lexara verließ als Erste das Haus. Anesch und Aria gingen in ein Nebenzimmer und Livara und Rongo standen noch bei mir.

>> Ich werde dich in das Haus der Heiler begleiten, wenn du möchtest! << sagte Livara fürsorglich und innerlich bereitete ich mich auf eine schlaflose Nacht vor.

>> Sie wird bei mir schlafen! << mischte sich Rongo plötzlich ein.

Ich sagte nichts dagegen und schluckte stattdessen. Livara schmunzelte und nickte.

>> Ich wünsche euch eine gute Nacht! << sagte sie anschließend und öffnete uns die Tür.

3

Ich trug einen innerlichen Kampf mit mir aus. Natürlich war alles besser als in dem Haus der Heiler zu schlafen, aber bei Rongo? Ich hatte ein schlechtes Gefühl dabei. Ich wusste, dass er nichts machen würde, was ich nicht auch wollen würde, aber was wollte ich? Meine Gefühle für ihn konnte ich nie leugnen und jetzt, wo er mir so nah war, waren sie stärker als erwartet.

Wird Trevor überhaupt bemerken, dass ich weg bin? Wird die Zeit in meiner Welt wieder stehenbleiben, bis ich wieder zurückkomme?

Ich wusste noch immer nicht, ob das wirklich alles eine so gute Idee war. In meinem ganzen Leben hatte ich immer mit dem Kopf entschieden. War jetzt die Zeit gekommen, um mit dem Herzen zu entscheiden? Draußen war es eisigkalt und die Lichter der Häuser tauchten den Schnee in eine goldglänzende Farbe. Ich stand einfach nur da. Bis vor wenigen Minuten prasselten unzählige Informationen in mich ein und dennoch war mein Kopf leer. Ich wusste nicht mehr was richtig oder falsch war. Das Einzige, das ich wusste, war, dass ich mich Zuhause fühlte. War es falsch? War es falsch, mich in einer Welt Zuhause zu fühlen, in die ich eigentlich nicht gehörte? Zog es meine Seele so sehr in diese Welt, oder waren es die Nymphen und Drachen, nach denen sich mein Herz sehnte? Rongo vergrub seine Hände in den Taschen seines Mantels und stand schweigsam neben mir. Er wusste immer, wann es das Beste war, einfach nichts zu sagen. Jetzt war so ein Moment. Ich lauschte den Stimmen meines Herzens und hatte nicht vor, länger davor zu fliehen. Ich wusste, worauf ich mich einlassen würde, aber niemals hätte ich geahnt, dass es so schwer sein könnte. Noch immer standen wir vor dem Haus der Ältesten. Ich schaute nach oben und betrachtete für einen Moment den Sternenhimmel. Die Sterne funkelten und leuchteten wie kleine Diamanten. Mir fiel ein, was mir Trevor über das Sternenbild des Drachen erzählt hatte. Hatte er es geahnt? Wusste er vielleicht sogar über Rongo besser Bescheid, als ich ahnte? Kleine Schneeflocken fielen vom Himmel und landeten weich im Schnee. Sie waren so winzig und zart und eine bloße Berührung konnte sie zerstören. War es auch mit der Liebe so? Konnte man die Liebe vielleicht mit Schneeflocken vergleichen? Einzelne Flocken wurden zu einem Ganzen. Sie bildeten schweren Schnee. Viele Gefühle und Emotionen waren im Einzelnen nicht viel, aber vereint, konnten sie eine starke Liebe werden. War Rongo meine Schneeflocke? Gedankenversunken schaute ich wieder zu Rongo. Sein Blick war ebenfalls in den Himmel gerichtet und es dauerte einen Moment, bis er bemerkte, dass ich ihn ansah. Er drehte sein Gesicht zu mir und seine Augen funkelten mich an. So vertraut und echt. Rongo war eine dieser Schneeflocken. Mein Herz musste sich nur noch klar darüber werden, ob er meine Schneeflocke sein würde.

>> Gehen wir? << fragte Rongo leise und brach somit das Schweigen.

>> Ja. Lass uns gehen. <<

Es war mühsam, durch den hohen Schnee zu waten, aber Rongos Haus war zum Glück nicht allzu weit entfernt. Wir gingen die gesamte Zeit nebeneinander her und irgendwie wusste ich nicht so recht, was ich mit ihm reden hätte können. Es war nicht so, dass er mir fremd geworden war, aber die Zeit, in der wir uns nicht sahen, hatte uns verändert. Meine Gefühle waren dieselben, aber ich war mir auch im Klaren darüber, dass ich mich für ein Leben mit Trevor entschieden hatte. Das alles hier war seltsam, aber Rongo versuchte das Beste daraus zu machen.

>> Ich weiß, dass du es im Haus der Heiler nicht aushältst. << sagte er plötzlich als wir den Wald erreichten.

Es klang wie eine Rechtfertigung für seine Aussage.

Hat er ein schlechtes Gewissen, weil er einfach so für mich entschieden hat?

>> Danke. <<

>> Also du musst nicht, wenn du nicht willst… << stotterte er verlegen weiter.

Ich lachte. Irgendwie fand ich es schon fast süß, wie er sich zu retten versuchte.

>> Ich bin dir dankbar dafür. << beruhigte ich ihn.

Von Weitem konnte man bereits Rongos Haus sehen. Das vertraute Haus mitten im Wald. Wir gingen an den letzten Bäumen vorbei und wateten immer weiter durch den hohen Schnee. Ein Ast streifte mich an der Schulter und eine winzige weiße Feder meines Umhangs blieb daran hängen. Vorsichtig löste ich den Mantel vom Holz und hoffte, dass kein Loch dadurch entstanden war. Alles gut. Der Mantel hatte keinen Schaden davongetragen. Es waren nur noch wenige Schritte bis zum Haus und das kleine Licht oberhalb der Eingangstür leuchtete uns die letzten Meter bis zum Eingang. Rongo stampfte mit seinen Füßen auf und klopfte den festgeklebten Schnee von seiner Hose. Ich beobachtete ihn wortlos und tat es ihm gleich. Gleich darauf wuschelte er sich mit der Hand durch seine schwarzen Haare, die schon ganz nass vom Schnee waren. Ich schmunzelte. Rongo öffnete die Tür und wir traten ein. Drinnen war es kuschelig warm und im Kamin knisterte das Feuer leise vor sich her. Ich war tatsächlich wieder hier. Hier bei Rongo, in Rongos Haus. Nicht einmal im Traum hatte ich daran gedacht, dass das noch einmal Wirklichkeit werden würde. Ich freute mich regelrecht wieder hier zu sein. Rongo nahm mir den weißen Mantel ab und platzierte ihn am Haken neben der Tür. Anschließend zog er auch seinen Mantel aus und hing ihn daneben.

>> Du solltest dich etwas aufwärmen. << schlug Rongo vor und deutete zum Kamin.

Ich nickte und folgte ihm zum Sofa. Er hatte recht. Aufwärmen konnte jetzt wirklich nicht schaden. Wir saßen nun nebeneinander vor dem Kamin, aber zwischen uns hätte locker noch eine weitere Person Platz gehabt. Die Situation war tatsächlich etwas befremdlich, aber ich durfte Trevor nicht einfach so aus meinen Gedanken verdrängen. Der Abstand zwischen uns war gut und ich fand es bemerkenswert, dass Rongo meine Beziehung zu Trevor nach wie vor akzeptierte.

>> Bereust du es, Kaira? <<

>> Was meinst du? << fragte ich nach und wollte auf Nummer sicher gehen.

>> Dass du hier bist. <<

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Mein erster Gedanke war, er könnte meine Beziehung mit Trevor gemeint haben.

>> Nein. <<

Rongo lächelte.

>> Das freut mich. <<

Jedes Gespräch war seltsam mit ihm und ich spürte, dass irgendetwas zwischen uns stand. Wir wussten nicht so recht, wie wir miteinander umgehen sollten und ich vermutete, dass sich das in nächster Zeit auch nicht so schnell ändern würde. Es gab einen wichtigen Punkt zwischen uns und dieser Punkt hieß Trevor. Rongo bemühte sich so sehr er nur konnte, aber ich sah das Bedauern in seinen Augen. Ich wusste, dass er mich am liebsten küssen würde und in den Arm nehmen würde, aber es ging einfach nicht. Sein gutes Benehmen hätte es nicht zugelassen.

>> Es tut mir leid. << flüsterte er plötzlich kaum hörbar.

>> Was meinst du? <<

>> Ich hätte dich nicht küssen dürfen beim See, aber… << seine Stimme brach ab.

Ich hatte recht. Er hatte ebenfalls Schuldgefühle und wusste selbst nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte.

>> Das muss es nicht. << antwortete ich leise.

>> Doch, das muss es. <<

Kurz sagte niemand etwas und die Situation war auch ohne Worte schon schwierig genug.

>> Es tut mir noch mehr leid, dass ich dich gehen ließ. Ich hätte um dich kämpfen müssen, habe es aber nicht getan. Ich bereue es jeden verdammten Tag. << redete er weiter.

Rongo legte seine Hand über seine Augen und schnaufte kurz durch. Es war emotional. Ich wusste nicht so recht, was ich sagen konnte und rückte stattdessen ein Stück näher an ihn heran. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Oberschenkel und versuchte ihm somit zu zeigen, dass es nicht seine Schuld war. Rongo nahm die Hand von seinen Augen und ließ sie auf meinen Handrücken ruhen.

>> Du hast mir so sehr gefehlt. << seufzte er und legte seinen Kopf auf meine Schulter.

Seine Haare waren noch immer nass vom Schnee und kitzelten auf meiner Haut. Zaghaft küsste er mich auf den Hals und richtete sich wieder auf. Unsere Blicke trafen sich und wir wussten genau, was der andere gerade dachte. Es könnte so einfach sein und war dennoch so schwer.

>> Du kannst das Schlafzimmer haben. << sagte er mit leiser rauer Stimme und rückte wieder ein Stück weiter von mir weg.

Ich wusste was das zu bedeuten hatte. Er wollte mich ganz oder gar nicht.

>> Danke. << antwortete ich und log mich dabei selbst an.

Mein Herz schrie förmlich nach Rongos Zuneigung, aber die Umstände waren die falschen. Am liebsten hätte ich die ganze Nacht neben Rongo verbracht, aber es ging nicht. Nicht, solange Trevor eine Rolle in meinem Leben spielte. Wir saßen noch einige Zeit vor dem Kamin und anschließend verabschiedete ich mich nach oben ins Schlafzimmer.

4

In der Nacht fand ich nur wenig Schlaf. Viel zu viele Dinge schwirrten mir im Kopf herum. Ich wachte am nächsten Morgen auf und wäre am liebsten gleich wieder eingeschlafen. Ich schaute zum Fenster. Es hatte aufgehört zu schneien und zarte Sonnenstrahlen blitzten durch die Vorhänge. Verschlafen streckte ich mich durch und stand anschließend auf. Ich ging ans Fenster und riskierte einen Blick nach draußen. Die Landschaft glich einem Gemälde und der Schnee funkelte und glänzte im Licht der Sonne. Der Anblick, der sich mir bot, war zauberhaft und wunderschön. Von unten hörte ich Geräusche und das war das Zeichen, dass Rongo bereits ebenfalls wach war. Ich ging zurück zum Bett, zog meine Sachen an und verließ anschließend das Zimmer. Für einen Moment verharrte ich auf der Treppe und beobachtete Rongo. Er trug seinen schwarzen Mantel, in dem er wie ein Fürst aussah und hatte einen roten Schal um seinen Hals gewickelt. So wie es aussah, kam er gerade aus dem Dorf und hatte Frühstück für uns geholt. Langsam ging ich weiter und blieb am unteren Ende der Treppe stehen. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er mich erblickte. Er ging gerade zur Tür und hing seinen Mantel und Schal an den Haken.

>> Guten Morgen! << begrüßte er mich und lächelte mich an.

>> Guten Morgen, Rongo! <<

Verlegen strich ich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr und kam mir ertappt vor. Rongo hatte sicher bemerkt, dass ich ihn beobachtet hatte.

>> Hast du gut geschlafen? <<

>> Es ging so. << sagte ich leise und ging weiter in seine Richtung.

Rongo deckte gerade den Tisch und bat mich, mich zu setzen. Es war kein Traum und ich war wirklich hier bei ihm. Nichts hatte sich verändert und alles ging genau dort weiter, wo es vor einem Jahr aufgehört hatte. Wir setzten uns und begannen eine Kleinigkeit zu essen. Mein Appetit hielt sich in Grenzen, aber das konnte man mir auch nur schwer übelnehmen nach dem gestrigen Tag.

>> Wie wird unser Tag heute aussehen? << fragte ich Rongo, als ich den letzten Schluck Tee ausgetrunken hatte.