Ruhe in dir - Jay Shetty - E-Book
SONDERANGEBOT

Ruhe in dir E-Book

Jay Shetty

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

«Das Think like a Monk-Prinzip» jetzt in neuer Ausstattung und mit neuem Titel («Ruhe in dir») im Taschenbuch. Der SPIEGEL-Bestsellerautor und internationale Influencer-Star Jay Shetty bringt zwei anscheinend nicht zu vereinende Welten aufs Interessanteste zusammen: Mönchstradition und modernen Alltag, Aufrichtigkeit und Beschleunigung, Akzeptanz  und Ambitionen – und findet dabei genau den richtigen Ton für alle, die sich mit Selbstfindungsthemen auseinandersetzen und dabei dem Irdischen zugewandt bleiben wollen. Mit großem Erfolg: Heute folgen dem ehemaligen hinduistischen Mönch über 40 Millionen Menschen in den sozialen Medien. Jay Shetty führt uns vor Augen, wie wir unser Leben bewusster und sinnerfüllter gestalten, und zeigt uns: Das Mönchsein ist eine Geisteshaltung, die sich jeder zulegen kann.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 518

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jay Shetty

Das Think Like a Monk-Prinzip

Finde innere Ruhe und Kraft für ein erfülltes und sinnvolles Leben

 

 

Aus dem Englischen von Viola Krauß und Sabine Schulte

 

Über dieses Buch

Als er gerade frisch von der Wirtschaftshochschule kommt, wendet sich der gebürtige Londoner Jay Shetty von der Welt der Anzüge und Büros ab, rasiert seinen Kopf und wird Mönch. Nach drei Jahren in Indien folgt er seinem Gefühl nach der eigenen Berufung und kehrt zurück, um das, was er gelernt hat, auf überzeugende Weise – aktiv, dynamisch, unterhaltsam, zugänglich – mit der Welt, aus der er gekommen war, zu teilen. Es gelingt: Heute folgen ihm über 32 Millionen Menschen in den sozialen Medien.

Jay Shetty bringt zwei scheinbar nicht zu vereinende Welten aufs interessanteste zusammen: Mönch und Medien, Aufrichtigkeit und Beschleunigung, Akzeptanz und Ambitionen – und findet dabei genau den richtigen Ton für alle, die sich mit Selbstfindungsthemen auseinandersetzen und dabei dem Irdischen zugewandt bleiben wollen.

Vita

Jay Shetty, geboren 1987, ist ein hinduistischer Mönch und preisgekrönter Digitalstratege, der als Social-Media-Influencer bekannt wurde. Seit dem Start seines Videokanals im Jahr 2016 haben Jays virale Weisheitsvideos mehr als 4 Milliarden Aufrufe erzielt und weltweit über 32 Millionen Follower gewonnen. Dies macht ihn zu einem der international meistgesehenen Menschen im Internet. Jay Shetty lebt in London.

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel «Think Like a Monk» bei HarperCollins, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2020

Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Think Like A Monk» Copyright © 2020 by 108 Productions

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich,

nach dem Original von Simon & Schuster US

Coverabbildung Steve Erle

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01713-9

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Inhaltsübersicht

Widmung

Einleitung

Erster Teil Loslassen

Kapitel 1 Identität

Kapitel 2 Negativität

Kapitel 3 Angst

Kapitel 4 Intention

Meditation Atmen

Zweiter Teil Wachsen

Kapitel 5 Bestimmung

Kapitel 6 Routinen

Kapitel 7 Der Verstand

Kapitel 8 Ego

Meditation Visualisieren

Dritter Teil Geben

Kapitel 9 Dankbarkeit

Kapitel 10 Beziehungen

Kapitel 11 Dienen

Meditation Mantrasingen

Zum Schluss

Die Methode der Mönche

Woher weißt du, ob es funktioniert?

Jetzt und in Ewigkeit

Anhang

Der vedische Persönlichkeitstest

Dank

Anmerkungen

Für meine Frau, die mehr Mönch ist, als ich es jemals sein werde

Einleitung

Brauchst du eine neue Idee? Lies ein altes Buch!

u.a. Iwan Pawlow zugeschrieben

In meinem ersten Studienjahr an der Cass Business School in London – damals war ich achtzehn Jahre alt – fragte mich einer meiner Freunde, ob ich ihn zum Vortrag eines Mönchs begleiten wolle.

Ich lehnte ab. «Wieso sollte ich mir das anhören wollen?»

Zu den Uni-Vorträgen von Firmenchefs, Prominenten und anderen Erfolgsmenschen ging ich regelmäßig, aber was ein Mönch zu sagen hatte, interessierte mich null. Ich bevorzugte Menschen, die etwas erreicht hatten in ihrem Leben.

Mein Freund ließ allerdings nicht locker, und schließlich meinte ich: «Meinetwegen, wenn wir danach noch in die Kneipe gehen, bin ich dabei.»

Den Ausdruck «sich verlieben» verwenden wir fast ausschließlich im Kontext von Romanzen, doch als ich an jenem Abend den Mönch erzählen hörte, verliebte ich mich. Bei dem Mann auf der Bühne handelte es sich um einen Inder Anfang dreißig. Sein Kopf war kahlgeschoren, und er trug ein safrangelbes Gewand. Er war intelligent, wortgewandt und charismatisch. Er sprach vom Prinzip der «selbstlosen Aufopferung». Und als er meinte, wir sollen Bäumen pflanzen, in deren Schatten wir nicht sitzen werden[1], machte sich in meinem Körper ein ungewohntes Kribbeln breit.

Besonders beeindruckend fand ich die Tatsache, dass er am IIT Bombay studiert hatte, dem MIT von Indien, an dem kein Normalsterblicher aufgenommen wird. Die Möglichkeiten, die so ein Abschluss bietet, hatte er also sausenlassen, um Mönch zu werden, hatte allem den Rücken gekehrt, wonach meine Freunde und ich strebten. Entweder er hatte einen Knall, oder er hatte irgendetwas ganz Besonderes entdeckt.

Mein Leben lang war ich fasziniert gewesen von Menschen, die sich von ganz unten nach ganz oben hochgearbeitet hatten, die vom Tellerwäscher zum Millionär geworden sind. Nun stand zum allerersten Mal jemand vor mir, der absichtlich genau das Gegenteil getan hatte. Dieser Mann hatte das Leben hinter sich gelassen, von dem alle Welt behauptet, es sei das erstrebenswerteste. Und doch wirkte er überhaupt nicht wie ein verbitterter Versager, sondern fröhlich, selbstbewusst und mit sich und der Welt im Reinen. Genau genommen kam er mir glücklicher und zufriedener vor als irgendjemand sonst. Mit meinen achtzehn Jahren hatte ich bereits eine Menge reiche Leute kennengelernt. Ich hatte mir eine Menge Leute angehört, die stark, schön oder berühmt oder alles drei auf einmal waren. Aber ein wirklich glücklicher und zufriedener Mensch war mir bislang noch nicht untergekommen.

Nach dem Vortrag drängelte ich mich durch den Pulk, um ihm mitzuteilen, wie toll ich ihn fand und wie sehr er mich inspiriert hatte. «Kann ich irgendwie noch mehr Zeit mit Ihnen verbringen?», hörte ich mich sagen. Ich verspürte den inneren Drang, mich mit Menschen zu umgeben, die die von mir ersehnten Werte besaßen, nicht die von mir ersehnten Dinge.

Der Mönch meinte zu mir, er sei noch die ganze restliche Woche im Vereinigten Königreich unterwegs, und ich könne ihn gern auf die Veranstaltungen begleiten. Und das tat ich dann auch.

Mein erster Eindruck von diesem Mönch, dessen Name Gauranga Das lautete, war, dass er irgendetwas richtig machte, und wie sich später herausstellte, stimmt die Wissenschaft dem zu. 2002 begab sich ein tibetischer Mönch namens Yongey Mingyur Rinpoche aus dem Randgebiet des nepalesischen Kathmandu zur Universität von Wisconsin-Madison, damit Forscher seine Gehirnaktivitäten während des Meditierens beobachten konnten. Man setzte ihm eine Badekappen-ähnliche Vorrichtung auf den Kopf (einen Elektroenzephalographen, kurz EEG), aus der über 250 winzige Drähte herausragten, deren Sensoren an seiner Kopfhaut befestigt wurden. Zum Zeitpunkt dieser Studie hatte der Mönch zweiundsechzigtausend Stunden Meditationspraxis auf dem Buckel.

Während ihm das Team von Wissenschaftlern, einige von ihnen selbst auch erfahren im Meditieren, vom Kontrollraum aus zusah, begann der Mönch zu tun, wie ihm geheißen wurde: eine Minute Meditation über Mitgefühl und dreißig Sekunden Pause im Wechsel. Auf das Zeichen einer Übersetzerin hin machte er das in rascher Folge insgesamt vier Mal; die Forscher schauten ihm voller Ehrfurcht dabei zu. Wenn der Mönch mit dem Meditieren begann, verzeichnete der EEG fast zeitgleich einen enormen Anstieg, weshalb die Wissenschaftler vermuteten, er habe seine Position geändert oder sich sonst wie bewegt. Doch er war regungslos sitzen geblieben.

Erstaunlich war dabei nicht nur, wie beständig sich die Hirnaktivität «an-» und «ausschaltete», wenn der Mönch zwischen Meditieren und Pausieren wechselte. Verblüffend war auch die Tatsache, dass er keinerlei «Aufwärmzeit» benötigte. Jeder, der schon mal meditiert oder wenigstens versucht hat, innerlich zur Ruhe zu kommen, weiß, dass es normalerweise einige Zeit dauert, bis die Gedanken nicht mehr andauernd auf Wanderschaft gehen. Rinpoche aber schien sich tatsächlich auf Knopfdruck in einen meditativen Zustand versetzen zu können. Als man zehn Jahre nach dieser Anfangsstudie das Gehirn des Einundvierzigjährigen scannte, waren weit weniger Alterspuren als bei seinen Altersgenossen zu erkennen. Die Wissenschaftler meinten, sein Gehirn sei das eines zehn Jahre jüngeren Mannes.[2]

Die Forscher, die Hirnscans des buddhistischen Mönchs Matthieu Ricard anfertigten, nannten diesen später «den glücklichsten Menschen der Welt». Sie hatten entdeckt, dass er die höchste Anzahl Gammawellen – die mit Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen, Lernen und Glücksgefühlen in Verbindung gebracht werden – produzierte, die jemals gemessen wurde.[3] Und Ricard ist bei weitem keine Ausnahmeerscheinung. Bei einundzwanzig weiteren Mönchen, deren Gehirn während verschiedener Meditationsübungen gescannt wurde, stiegen die Gammawellen ebenfalls stärker an und waren länger präsent (sogar im Schlaf[4]) als bei den Probanden ohne Meditationspraxis.[5]

 

Warum sollten wir denken wie ein Mönch? Wenn man wissen möchte, wie man ein Basketballfeld beherrscht, wendet man sich am besten an Michael Jordan; wenn man anstrebt, ein visionärer Unternehmer zu werden, beschäftigt man sich mit jemandem wie Elon Musk; und von Beyoncé kann man sich abschauen, wie man die Bühne erobert. Was, wenn man Seelenfrieden, innere Ruhe erreichen und seine Bestimmung finden möchte? Die Spezialisten dafür sind die Mönche. Bruder David Steindl-Rast, der Benediktinermönch, der das Centre for Spiritual Studies in Kalifornien mitbegründet hat, das so unterschiedliche Religionen wie Judentum, Hinduismus, Christentum und Islam zusammenführt, schreibt: «Ein Laie, der sich ständig bewusst darin übt, im Jetzt zu leben, ist ein Mönch.»[6]

Mönche können Versuchungen widerstehen, vom Kritisieren Abstand nehmen, mit Schmerz und Angstgefühlen umgehen, das Ego besänftigen und ein Leben führen, das erfüllt ist von Sinn und Bedeutung. Warum also nicht von den ruhigsten, glücklichsten und zielbewusstesten Menschen der Welt lernen? Ihr mögt denken, für Mönche sei es einfach, ruhig, gelassen und entspannt zu sein. Schließlich leben sie zurückgezogen an beschaulichen Orten, wo sie sich nicht mit der Arbeit, der Beziehung und, na ja, der Rushhour herumplagen müssen. Vielleicht fragst du dich: Warum sollte es mir in der modernen Welt helfen, wie ein Mönch zu denken?

Zuallererst: Mönche kommen nicht als Mönche auf die Welt. Jeder von ihnen hat einen anderen Hintergrund, aber alle haben sie irgendwann beschlossen, sich zu verändern. Matthieu Ricard, der «glücklichste Mensch der Welt», war in seinem früheren Leben Biologe; Andy Puddicombe, Mitbegründer der Meditations-App Headspace, hatte eine Zirkusausbildung absolviert; ich kenne Mönche, die in der Finanzwirtschaft gearbeitet oder in einer Rockband gespielt haben. Sie wachsen in Städten und Gemeinden und in Schulen auf wie du. Du brauchst daheim keine Kerzen anzünden, musst nicht den ganzen Tag barfuß herumlaufen und auch keine Fotos davon posten, wie du auf einem Berggipfel die Baum-Yogapose machst. Das Mönchsein ist eine Geisteshaltung, die sich jeder zulegen kann.

Wie die meisten Mönche heutzutage bin auch ich nicht in einem Aschram aufgewachsen. Den Großteil meiner Kindheit habe ich mit Mönch-untypischen Dingen verbracht. Bis zum Alter von vierzehn Jahren war ich ein folgsames Kind. Ich bin in Nordlondon groß geworden, zusammen mit meinen Eltern und meiner jüngeren Schwester. Ich stamme aus der Mittelschicht. Wie in vielen anderen Familien auch, legten meine Eltern Wert auf meine Schulbildung, die mir eine rosige Zukunft ermöglichen sollte. Ich war anständig, hatte gute Noten und gab mein Bestes, es allen recht zu machen.

Doch als ich auf die weiterführende Schule kam, schlug ich die andere Richtung ein. Als Kind war ich dick gewesen und bin dafür gehänselt worden, nun aber war der Speck weg, und ich fing mit Fußball und Rugby an. Ich wendete mich Themen zu, die traditionellen indischen Familien nicht unbedingt behagen, so wie Kunst, Design und Philosophie. Das wäre an sich nicht schlimm gewesen, hätte ich nicht auch noch begonnen, mich mit den falschen Leuten anzufreunden. Ich habe eine Menge üble Sachen getan. Habe mit Drogen herumexperimentiert. Mich geprügelt. Zu viel getrunken. Das ging nicht gut. Auf der Highschool bin ich dreimal vom Unterricht ausgeschlossen worden. Irgendwann wurde ich gebeten, die Schule zu verlassen.

«Ich werde mich bessern», versprach ich. «Wenn ich bleiben darf, werde ich mich bessern.» Ich durfte bleiben und brachte mein Leben wieder auf die Reihe.

Als ich schließlich auf die Uni ging, wurde mir bewusst, dass harte Arbeit, Aufopferung, Disziplin und Durchhaltevermögen für das Erreichen der persönlichen Ziele durchaus wertvolle Eigenschaften darstellen. Das Problem war nur, dass ich damals noch keine Ziele hatte, bis auf das Übliche – ein guter Job, irgendwann mal heiraten und vielleicht auch Kinder kriegen. Ich hatte zwar eine vage Ahnung, dass es da noch etwas anderes geben musste, aber keinen blassen Schimmer, was das sein sollte.

Als Gauranga Das seinen Vortrag an meiner Uni hielt, beschäftigte ich mich gerade mit neuen Ideen, neuen Lebensmodellen, mit Wegen abseits der ausgelatschten Pfade, die für mich vorherbestimmt zu sein schienen. Ich wollte mich weiterentwickeln. Demut oder Mitgefühl und Empathie sollten nicht bloß abstrakte Konzepte für mich sein, Disziplin, Charakter und Integrität nicht allein Dinge, über die ich las. Ich wollte sie leben.

In den darauffolgenden vier Jahren versuchte ich, zwei Welten unter einen Hut zu bringen, pendelte zwischen Kneipen und Restaurants auf der einen und Meditieren und auf dem Boden schlafen auf der anderen Seite. In London studierte ich Management mit Schwerpunkt Verhaltenswissenschaften, absolvierte ein Praktikum in einer großen Consultingfirma und verbrachte Zeit mit Familie und Freunden. Den Großteil meiner Weihnachts- und Sommerferien hingegen beschäftigte ich mich in einem Aschram in Mumbai mit uralten Schriften und blieb unter Mönchen. Stück für Stück verlagerten sich meine Wertvorstellungen. Ich stellte fest, dass ich umgeben sein wollte von Mönchen. Genau genommen wollte ich in die geistige Welt der Mönche eintauchen. Meine Arbeit in der Businesswelt kam mir immer bedeutungsloser vor. Was sollte das alles, wenn es niemandem etwas wirklich Positives brachte?

Als ich meinen Uniabschluss in der Tasche hatte, tauschte ich meine Anzüge gegen Gewänder und ging in den Aschram, wo unsere gesamten Habseligkeiten in einen Kleiderspind passten. Ich reiste und lebte in Indien, dem Vereinigten Königreich und Europa. Ich meditierte jeden Tag mehrere Stunden lang und vertiefte mein Studium uralter heiliger Schriften. Ich durfte gemeinsam mit den anderen Mönchen dienen, bei den laufenden Arbeiten zur Umgestaltung des Aschrams in ein Öko-Dorf am Rande von Mumbai mitwirken (das Govardhan Ecovillage) und ehrenamtlich in einer gemeinnützigen Organisation aktiv sein, die über eine Million Mahlzeiten pro Tag an unterprivilegierte Schüler ausgibt (Annamrita).

Wenn ich lernen kann, wie ein Mönch zu denken, dann kannst du das auch.

 

Die hinduistischen Mönche, mit denen ich lernte, betrachten die Veden als Grundlagentexte ihres Glaubens. (Veda ist Sanskrit und bedeutet Wissen. Sanskrit ist die altindische Sprache, aus der die meisten heutigen Sprachen Südasiens hervorgingen.) Es lässt sich durchaus behaupten, dass die Philosophie ihren Ursprung in dieser Sammlung von Schriften hat, die vor mindestens dreitausend Jahren in Teilen von Pakistan und Nordwest-Indien entstanden sind; sie bilden die Basis der hinduistischen Religionen.

Wie die Heldenepen von Homer sind die Veden zunächst mündlich überliefert und erst viel später niedergeschrieben worden. Da die Materialien aber alles andere als robust waren (Palmenblätter und Birkenrinde!), sind die meisten Schriftstücke nicht älter als ein paar hundert Jahre. Die Veden beinhalten Hymnen, Geschichten mit historischem Hintergrund, Gedichte, Gebete, Gesänge, zeremonielle Rituale und Ratschläge für den Alltag.

In meinem Leben und in diesem Buch beziehe ich mich häufig auf die Bhagavad Gita («der Gesang des Erhabenen»). Sie entstammt den Upanishaden, Schriften aus den Jahren 800 bis 400 vor Christus. Die Bhagavad Gita gilt als eine Art universeller und zeitloser Lebensratgeber. Weder handelt sie von einem Mönch, noch ist sie für einen spirituellen Kontext gedacht. Sie wird einem verheirateten Mann erzählt, der zufällig ein begnadeter Bogenschütze ist. Auch richtet sie sich nicht an eine bestimmte Religion oder Region – sie richtet sich an die gesamte Menschheit. Der spirituelle Autor und Literaturprofessor Eknath Easwaran, der viele von Indiens heiligen Schriften ins Englische übersetzt hat, darunter auch die Bhagavad Gita, nennt diese «Indiens bedeutsamstes Geschenk an die Welt»[7]. Ralph Waldo Emerson schrieb in seinem Tagebuch von 1948: «Ich verdanke […] der Bhagavad Gita einen großartigen Tag. Es war das Urbuch, es ist, als spräche ein Imperium zu uns, nichts Kleines oder Unwertes, nur Größe, Gelassenheit, Beständigkeit, die Stimme einer alten Intelligenz, welche in einem anderen Zeitalter und Klima ihren Gedanken nachhing und sich dabei derselben Fragen entsorgte, welche uns bewegen.»[8] Es heißt, über keine andere heilige Schrift seien so viele Kommentare verfasst worden wie über die Gita.

Eins meiner Ziele ist es, euch mit diesen zeitlosen Weisheiten vertraut zu machen, neben anderen Lehren, die die Grundlagen meiner Ausbildung zum Mönch darstellten – und uns bei den Herausforderungen, mit denen wir heutzutage konfrontiert sind, ganz besonders weiterhelfen können.

Was mich bei meinem Studium der Mönch-Philosophie am meisten verblüffte, war die Tatsache, dass sich die Menschheit in den vergangenen dreitausend Jahren kaum verändert hat. Klar sind wir heute größer und leben meistens länger, aber es überraschte und beeindruckte mich zutiefst, dass diese Lehren von Vergebung, Energie, Intention, einem sinnerfüllten Leben und anderen Themen handelten, die heute noch genauso relevant sind wie zu der Zeit, als sie geschrieben wurden.

Noch erstaunlicher ist allerdings die Tatsache, dass sich die Weisheiten der Mönche größtenteils wissenschaftlich belegen lassen, wie du im Laufe dieses Buchs noch sehen wirst. Seit Jahrtausenden glauben Mönche daran, dass Meditation und Achtsamkeit heilsam sind, dass uns Dankbarkeit guttut, dass uns der Dienst am Nächsten zufriedener macht und vieles mehr, was du in diesem Buch erfahren wirst. Lange bevor die Wissenschaft sie abbilden oder belegen konnte, haben die Mönche Wege gefunden, wie sich diese Ideen in die Praxis umsetzen lassen.

 

Es heißt: «Wenn man etwas nicht einfach erklären kann, hat man es nicht verstanden.» Als mir klarwurde, wie wichtig diese Lehren für unser Zeitalter sind, wollte ich noch tiefer in sie eintauchen, damit ich sie auch anderen würde vermitteln können.

Nach drei Jahren in Mumbai meinte mein Lehrmeister Gauranga Das zu mir, ich würde den Menschen einen größeren Dienst erweisen, wenn ich den Aschram verließe und mein Wissen in die Welt hinaustrüge. Meine drei Jahre als Mönch waren eine Schule des Lebens gewesen. Ein Mönch zu werden, hatte mich viel Überwindung gekostet, doch das Gehen fiel mir noch schwerer. Dieser letzte Teil, die Weisheiten der Mönche auf das Leben außerhalb des Aschrams zu übertragen, fühlte sich an wie meine Abschlussprüfung. Tag für Tag stelle ich aufs Neue fest, dass diese geistige Haltung funktioniert – dass diese uralten Lehren hochaktuell sind. Genau deshalb teile ich sie mit dir.

Als Mönch betrachte ich mich eigentlich noch immer, auch wenn ich mich meistens als «ehemaliger» Mönch beschreibe, weil ich verheiratet bin, was Mönche nicht sein dürfen. Ich lebe in Los Angeles, einer Stadt, von der man sagt, sie sei eine der materiellsten, oberflächlichsten, illusionistischsten und generell zwielichtigsten Städte der Welt. Aber warum sollte ich in einer Stadt leben, die sowieso schon erhellt ist? Hier in diesem Buch möchte ich jetzt also teilen, was ich aus dem Leben im Aschram mitgenommen habe. Und das ist absolut nicht konfessionsgebunden. Es soll dich nicht heimlich zu irgendetwas bekehren, ich schwöre! Außerdem kann ich guten Gewissens versprechen, dass du echte Sinnhaftigkeit und Begeisterung für dein Leben entdecken wirst, wenn du dich auf die Inhalte einlässt und sie in die Praxis umsetzt.

Nie zuvor sind so viele Menschen unzufrieden gewesen – beziehungsweise so sehr damit beschäftigt, dem «Glück» hinterherzujagen. Von Medien und Kultur werden wir mit Bildern und Vorstellungen davon bombardiert, wie und was wir sein sollen, während sie uns vor der Nase herumwedeln mit Vorbildern in Sachen Errungenschaften und Erfolge. Ruhm, Geld, Glamour, Sex – letzten Endes macht uns das nicht wirklich zufrieden. Wir wollen einfach nur ständig mehr davon und enden irgendwann in einem Teufelskreis, der zu Frust, Ernüchterung, Unzufriedenheit, Unglücklichsein und Erschöpfung führt.

Ich möchte dir an dieser Stelle gerne den Unterschied zwischen der Geisteshaltung eines Mönchs und etwas, das gerne «Affengeist» genannt wird, aufzeigen. Unser Geist kann uns entweder aufbauen oder herunterziehen. Heutzutage geben wir uns alle viel zu sehr dem Affengeist hin und haben demzufolge mit Grübelzwang, Aufschieberitis und ängstlicher Besorgnis zu kämpfen. Der Affengeist hüpft wahllos von Gedanke zu Gedanke, Problem zu Problem, ohne irgendwelche Lösungen zu finden. Dabei können wir uns zum Geist des Mönchs erheben, indem wir bis zur Wurzel unserer Wünsche graben und machbare Schritte für unser persönliches Wachstum entwerfen. Die Geisteshaltung des Mönchs führt uns aus Verwirrung und Zerfahrenheit hin zu Klarheit, Sinn und Orientiertheit.

Affengeist

Mönchsgeist

überfordert mit mannigfaltigen Themenzweigen

fokussiert auf die Wurzel einer Angelegenheit

lebt im Leerlauf auf dem Beifahrersitz

lebt zielgerichtet und bewusst

beschwert sich, vergleicht sich, krittelt ständig herum

mitfühlend, fürsorglich, gemeinschaftlich

denkt zu viel nach und schiebt alles auf die lange Bank

analysiert die Dinge und artikuliert sie

lässt sich von Kleinigkeiten ablenken

diszipliniert

ist auf kurzzeitige Genugtuung aus

strebt langfristigen Ertrag an

fordernd und anmaßend

begeisterungsfähig, entschlossen, geduldig

ändert die Meinung in Sekundenschnelle

legt sich auf eine Mission, Vision oder ein Ziel fest

verstärkt alle Ängste und alles Negative

arbeitet daran, die Ängste und das Negative aufzuschlüsseln

Egozentrik und Besessenheit

Selbstfürsorge im Dienste anderer

macht mehrere Dinge gleichzeitig

macht eins nach dem anderen

von Wut, Sorge und Angst beherrscht

beherrscht die eigene Energie und macht klugen Gebrauch von ihr

macht, was sich gut anfühlt

strebt Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung an

hat Vergnügen im Sinn

hat Bedeutsamkeit im Sinn

sucht nach provisorischem Behelf

sucht nach echter Lösung

Das «Think Like a Monk»-Prinzip fordert einen anderen Blickwinkel und eine neue Herangehensweise an das Leben. Eine Art Rebellion, Loslösung, Neuentdeckung, Sinnhaftigkeit, Fokussierung, Disziplin – und Dienst am Nächsten. Ziel dieser Art des Denkens ist ein von Ego, Neid, Begierde, Angst und Sorge, Wut, Verbitterung und Ballast befreites Leben. In meinen Augen ist das Annehmen des Mönchsgeists nicht einfach nur möglich – es ist unabdingbar. Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen zu Ruhe, Stille und Frieden finden.

 

Der erste Tag meiner Ausbildung zum Mönch ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Ich hatte gerade erst meinen Kopf geschoren, trug aber noch kein Gewand und sah noch immer aus wie ein Londoner. Da bemerkte ich, wie ein Kindermönch – er wird nicht älter als zehn gewesen sein – eine Gruppe Fünfjähriger unterrichtete. Er besaß eine tolle Ausstrahlung, das Auftreten und Selbstbewusstsein eines Erwachsenen.

«Was machst du da?», fragte ich ihn.

«Ich habe ihnen gerade ihre allererste Unterrichtsstunde erteilt», sagte er und wollte dann wissen: «Was hast du an deinem ersten Schultag gelernt?»

«Ich habe mit dem Buchstaben- und Zahlenlernen angefangen. Was haben diese Kinder gelernt?»

«Das Erste, was wir ihnen beibringen, ist das Atmen.»

«Warum?», fragte ich.

«Weil das Einzige, das vom Augenblick deiner Geburt bis zum Augenblick deines Todes bei dir bleibt, dein Atem ist. Deine Freunde, deine Familie, dein Wohnort, das alles kann sich ändern. Das Einzige, das immer bei dir bleibt, ist dein Atem.»

Dann fuhr der junge Mönch fort: «Wenn du gestresst bist, was ändert sich? Dein Atem. Wenn du wütend wirst, was ändert sich? Dein Atem. Jedes unserer Gefühle erfahren wir auch anhand des veränderten Atems. Wenn wir lernen, den Atem zu kontrollieren, können wir jede Situation im Leben meistern.»

Damit hatte man mir schon das Allerwichtigste beigebracht: Man muss sich auf die Ursache des Problems konzentrieren, nicht auf die Symptome. Und durch unmittelbare Beobachtung hatte ich außerdem gelernt, dass wirklich jeder ein Mönch werden kann, sogar kleine Kinder.

Das Erste, was wir tun müssen, wenn wir auf die Welt kommen, ist atmen. Doch so wie alles immer komplizierter wird für das Neugeborene, kann auch still sitzen und atmen eine echte Herausforderung sein. Mach es wie die Mönche, geh den Dingen auf den Grund, versenke dich in die Selbstbetrachtung. Denn nur durch diese Neugier, dieses Nachdenken und Bemühen, diese Offenbarung finden wir den Weg zu Frieden, Ruhe und Bestimmung. Das möchte ich dir mit Hilfe der Weisheiten, die mir meine Lehrer im Aschram übermittelt haben, zeigen.

Damit du dir die Geisteshaltung eines Mönchs aneignen kannst, werde ich dich auf den nachfolgenden Seiten durch drei Etappen führen. Als Erstes lassen wir los, legen die äußeren Einflüsse, inneren Widerstände und uns hemmenden Ängste ab. Das könnt ihr euch als eine Art Reinigungsprozess vorstellen, der Raum schafft für persönliches Wachstum. Als Zweites gehen wir dieses Wachstum direkt an. Ich werde dir helfen, dein Leben so umzugestalten, dass du bewusste, sinnhafte und überzeugte Entscheidungen treffen kannst. Als Letztes üben wir uns im Geben, schauen auf das, was jenseits von uns selbst liegt, erweitern und teilen unser Gefühl von Dankbarkeit und vertiefen unsere Beziehungen. Wir teilen unsere Gaben und unsere Liebe mit anderen und entdecken die echte Freude und überraschende Wohltat des Dienens.

Nebenbei werde ich dir drei sehr unterschiedliche Meditationen näherbringen, die ich dir für deine Praxis ans Herz lege: Atemarbeit, Visualisierung und Mantrasingen. Alle drei sind von großem Nutzen, doch unterscheiden lassen sie sich am leichtesten folgendermaßen: Die Atemarbeit ist förderlich für den Körper – wir finden zur Ruhe und kommen ins Gleichgewicht; Visualisierung ist förderlich für den Geist – wir heilen die Vergangenheit und bereiten uns auf die Zukunft vor; und das Mantrasingen tut unserer Seele gut – wir verbinden uns mit unserem innersten Selbst und dem Universum, um echte Reinigung zu erfahren.

Du musst nicht unbedingt meditieren, um etwas von diesem Buch zu haben. Die Werkzeuge, die ich dir an die Hand gebe, werden dadurch allerdings schärfer. Ich würde sogar behaupten, dass das gesamte Buch eine Meditation darstellt – eine Reflexion über unsere Glaubens- und Wertvorstellungen, unsere Intentionen, darüber, wie wir uns sehen, wie wir Entscheidungen fällen und Auswahlen treffen, wie wir unseren Geist trainieren sollten und wie wir mit anderen Menschen interagieren. Eine solch tiefgehende Selbsterkenntnis ist Sinn und Lohn der Meditation.

Was würde ein Mönch tun? Diese Frage brennt dir vielleicht im Augenblick nicht auf der Seele – wohl nicht mal ansatzweise –, doch das wird sich bald ändern.

Erster TeilLoslassen

Kapitel 1Identität

Ich bin, was ich denke zu sein

Es ist besser, die eigene Tätigkeit zu verrichten – selbst wenn sie unvollkommen ausgeführt wird –, als die Aufgabe eines anderen zu übernehmen und sie vollendet auszuführen.

Bhagavad Gita 3.35

1902 schrieb der Soziologe Charles Horton Cooley: «Ich bin nicht, was ich denke zu sein, und nicht, was du denkst, ich sei. Ich bin, was ich denke, du denkst, ich sei.»[1]

Lass dir das auf der Zunge zergehen.

Unsere Identität ist verstrickt mit dem, was die anderen von uns denken – genauer gesagt mit dem, was wir denken, das die anderen von uns denken.

Nicht nur unser Selbstbild ist eng verwoben mit dieser vermeintlichen Sichtweise der anderen. Auch bei den meisten unserer Bemühungen, uns weiterzuentwickeln, geht es im Grunde nur darum, diesem eingebildeten Idealbild näherzukommen. Wenn wir meinen, eine Person, die wir bewundern, sieht Reichtum als Erfolg an, jagen wir dem Reichtum hinterher, um diese Person zu beeindrucken. Glauben wir, einem Freund missfällt unser Äußeres, passen wir es dementsprechend an. In dem Musical West Side Story lernt Maria einen jungen Mann kennen, der sich augenblicklich in sie verliebt. Wie heißt das Lied, das gleich darauf folgt? I feel pretty («Ich fühle mich hübsch»).

Zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe, hat der einzige Mensch der Welt, der jemals drei Oscars für die beste Schauspielleistung gewonnen hat, nämlich Daniel Day-Lewis, seit 1998 in gerade mal sechs Filmen mitgewirkt.[2] Er bereitet sich auf jede Rolle ausgiebig vor und taucht völlig in die Welt seiner Figur ein. Für die Rolle des «Metzgers» in Martin Scorseses Gangs of New York machte er eine kleine Metzger-Ausbildung, sprach nicht nur am Filmset, sondern auch abseits davon in breitem irischen Dialekt und engagierte Zirkuskünstler, die ihm das Messerwerfen beibringen sollten. Und das ist nur der Anfang. Er trug ausschließlich echte Kleidung aus dem neunzehnten Jahrhundert, spazierte in Rom als seine Filmfigur herum und zettelte mit wildfremden Menschen Streits und Prügeleien an. Dass er sich eine üble Lungenentzündung zuzog, ist womöglich genau dieser Kleidung zuzuschreiben.

Day-Lewis wandte eine Technik an, die häufig mit dem «Method Acting» assoziiert wird und bei der es darum geht, dass der Schauspieler so lange wie seine Figur lebt, bis er sich irgendwann tatsächlich in seine Figur verwandelt. Das ist eine große Kunst, doch häufig werden diese Schauspieler dann derart eins mit ihrer Rolle, dass sie sie auch abseits der Bühne nicht mehr ablegen können. «Ich gebe zu, dass ich durchgedreht bin, total durchgedreht», erzählte Day-Lewis der britischen Zeitung Independent Jahre später und räumte ein, dass die Rolle «nicht so gut für [seine] körperliche und geistige Verfassung war».[3]

Unbewusst gehen wir in gewissem Maße alle dieser Schauspieltechnik nach. Wir spielen unterschiedliche Rollen im Internet, auf der Arbeit, bei Freunden und zu Hause. Diese Rollen haben ihre Vorteile. Sie ermöglichen es uns, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, sie lassen uns an einem Arbeitsplatz funktionieren, wo wir uns nicht immer wohlfühlen, sie befähigen uns zu einer Beziehung mit Menschen, die wir nicht wirklich mögen, mit denen wir aber Umgang haben müssen. Nur besteht unsere Identität oft aus so vielen Schichten, dass wir unser echtes Ich aus den Augen verlieren – falls wir überhaupt jemals wussten, wie es ausgesehen hat. Wir nehmen unsere Arbeitsrolle mit nach Hause und jene, die wir bei unseren Freunden spielen, mit in unsere Liebesbeziehung, ohne Absicht, ohne uns dessen bewusst zu sein. So erfolgreich wir unsere Rollen auch spielen, am Ende sind wir doch stets unzufrieden und niedergeschlagen, fühlen uns wertlos und unglücklich. Unser anfangs noch so kleines und verletzliches Ich ist völlig verzerrt worden.

Wir bemühen uns, dem gerecht zu werden, was die anderen von uns denken, sogar auf Kosten unserer Wertvorstellungen.

Eigene Wertvorstellungen bringen wir so gut wie nie bewusst hervor. Wichtige Entscheidungen treffen wir anhand dieses mehrfach gespiegelten Bildes davon, wer wir sein könnten, ohne sie wirklich zu durchdenken. Cooley nannte dieses Phänomen das Looking-Glass Self (das «Spiegel-Ich»).

Wir leben in der Wahrnehmung einer Wahrnehmung von uns selbst und haben deshalb unser echtes Selbst verloren. Wie sollen wir erkennen, wer wir sind und was uns glücklich macht, wenn wir dem verzerrten Spiegelbild dessen hinterherjagen, was andere Menschen sich erträumen?

Du denkst vielleicht, das Schwierigste daran, ein Mönch zu werden, war das Abschwören von allem, was Spaß macht: Feiern, Sex, Fernsehen, Besitz, das Schlafen in einem richtigen Bett (okay, das mit dem Bett war wirklich ganz schön hart). Doch bevor ich diesen Schritt überhaupt gehen konnte, musste ich erst noch ein viel größeres Hindernis nehmen: meine «Karrierepläne» meinen Eltern eröffnen.

Gegen Ende meines letzten Jahres an der Uni war ich mir sicher, welchen Weg ich einschlagen wollte. Ich teilte meinen Eltern mit, dass ich die Jobangebote, die ich erhalten hatte, ausschlagen würde. Ein alter Witz von mir lautet: Was meine Eltern anbelangt, so hatte ich drei Berufe zur Auswahl – Arzt, Anwalt oder Versager. Wenn du deinen Eltern zeigen möchtest, dass alle ihre Mühen die reinste Zeitverschwendung waren, wirst du am besten Mönch.

So wie alle Eltern, hatten auch meine ihre eigenen Träume für mich. Doch zumindest hatte ich sie schon an den Gedanken gewöhnt, dass aus mir vielleicht einmal ein Mönch würde: Seit meinem achtzehnten Lebensjahr hatte ich einen Teil meiner Sommerferien als Praktikant in einem Finanzunternehmen gearbeitet und einen Teil meiner gesamten Ferien in einem Aschram in Mumbai verbracht. Als ich schließlich meine Entscheidung gefällt hatte, sorgte sich meine Mutter, wie alle Mütter dieser Welt, zuerst um eines: mein Wohlergehen. Wäre ich dort krankenversichert? War die «Suche nach Erleuchtung» nur eine Beschönigung für «Herumsitzen und nichts tun»?

Noch schwieriger für meine Mutter war die Tatsache, dass wir umgeben von Freunden und Familie waren, die oben genannte Arzt-Anwalt-Versager-Definition von Erfolg teilten. Als sich herumgesprochen hatte, dass ich diesen radikalen Schritt wagte, fingen ihre Freunde an mit «Aber du hast doch so viel in seine Ausbildung investiert» und «Den haben sie indoktriniert» und «Der wirft sein Leben einfach weg». Auch meine Freunde dachten, das sei der Anfang vom Ende. «Du wirst nie wieder einen Job kriegen», bekam ich zu hören, und «Wie willst du dann jemals deinen Lebensunterhalt verdienen? Das kannst du vergessen».

Wenn du versuchst, so authentisch wie möglich zu leben, gefährdest du damit womöglich deine Beziehung zu einigen Menschen – dieses Risiko lohnt sich aber auf jeden Fall. Nimm die Herausforderung an, diese Beziehungen aufrechtzuerhalten.

Mein aufkommender Mönchsgeist orientierte sich zum Glück nicht allzu sehr an den Stimmen meiner Eltern und ihrer wie meiner Freunde. Ich verließ mich stattdessen auf meine eigenen Erfahrungen. Seit ich achtzehn war, hatte ich beide Lebensstile ausprobiert. Wenn ich im Sommer von meinen Finanzjobs nach Hause kam, schaffte es auch das Abendessen nicht, mich satt und zufrieden zu machen. Kehrte ich aber aus dem Aschram zurück, dachte ich jedes Mal: «Das war genial. Die beste Zeit meines Lebens.» Eine Zeitlang mit diesen meilenweit voneinander entfernten Erfahrungen, Wertvorstellungen und Weltanschauungen experimentiert zu haben, hatte mich näher an meine eigenen herangeführt.

Die Reaktionen auf meine Entscheidung, Mönch zu werden, veranschaulichen, welchem Druck von außen wir unser ganzes Leben lang ausgesetzt sind. Unsere Verwandten, unsere Freunde, die Gesellschaft, die Medien – wir sind umzingelt von Bildern und Stimmen, die uns sagen, wer wir sein und was wir tun sollen.

Sie zerren mit ihren Meinungen und Erwartungen und Verpflichtungen an dir. Geh direkt nach der Schule an der besten Uni studieren, suche dir einen gutbezahlten Job, heirate, kaufe dir ein Eigenheim, sorge dafür, dass du befördert wirst. Kulturelle Normen haben ihre Berechtigung – sie zeigen uns im Idealfall, wie ein erfülltes Leben aussehen könnte. Wenn wir diese Ziele aber übernehmen, ohne großartig darüber nachzudenken, werden wir niemals begreifen, warum wir nicht glücklich damit sind, wo wir wohnen, warum unser Job sich bedeutungslos anfühlt, ob die Ehe oder unsere ganzen restlichen Ziele überhaupt das sind, was wir wollen.

Meine Entscheidung, in den Aschram zu gehen, ließ die Meinungen und Bedenken meines Umfelds lauter werden, aber praktischerweise hatte mir meine bisherige Erfahrung im Aschram schon die Werkzeuge an die Hand gegeben, mit denen ich diese Störgeräusche herausfiltern konnte. Die Ursache und die Lösung waren ein und dasselbe. Ich war weniger anfällig für die Störgeräusche um mich herum, die mir vorhielten, was normal, sicher, praktisch und am besten für mich sei. Ich schottete mich gegenüber den Menschen, die mich liebten, nicht ab – sie lagen mir am Herzen, und ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machten –, ließ aber auch nicht zu, dass ihre Definitionen von Glück und Erfolg meine Pläne beeinflussten. Zum damaligen Zeitpunkt war diese Entscheidung die schwerste meines Lebens, und sie war goldrichtig.

Die Stimmen von Eltern, Freunden, dem Bildungswesen und den Medien bevölkern den Kopf eines jungen Menschen, säen Werte und Überzeugungen. Die gesellschaftliche Definition eines glücklichen Lebens gilt für alle und keinen. Die einzige Möglichkeit, ein für sich persönlich sinnvolles Leben aufzubauen, besteht darin, die Störgeräusche auszublenden und nach innen zu schauen. Das ist der erste Schritt hin zur Geisteshaltung der Mönche.

Beginnen wir diese Reise so wie die Mönche und beseitigen wir sämtliche Ablenkungen. Dazu nehmen wir zuerst die äußeren Einflüsse ins Visier, die uns formen und uns von unseren persönlichen Wertvorstellungen wegführen. Danach machen wir eine Bestandsaufnahme der Wertvorstellungen, die momentan unser Leben prägen, und überlegen, ob diese damit übereinstimmen, wer wir sein und wie wir leben wollen.

Ist das Staub, oder bin das ich?

Gauranga Das hat mir eine wunderschöne Metapher an die Hand gegeben, mit der er die äußeren Einflüsse veranschaulicht, die unser wahres Selbst verschleiern.

Wir befinden uns in einem Lagerraum, der beladen ist mit ungenutzten Büchern und Kisten voller Gegenstände. Im Gegensatz zum restlichen Aschram, der stets aufgeräumt und sauber ist, befinden sich in diesem Raum große Mengen Staub und Spinnweben. Der Mönchsälteste führt mich vor einen Spiegel und fragt: «Was siehst du?»

Durch die dicke Staubschicht kann ich nicht einmal mein eigenes Spiegelbild erkennen. Dies teile ich ihm mit, und er nickt. Dann wischt er mit dem Ärmel seines Gewands über das Glas. Mir weht eine Staubwolke ins Gesicht, die mir in den Augen brennt und meine Kehle reizt.

Er sagt: «Deine Identität ist ein von Staub bedeckter Spiegel. Bei deinem ersten Blick in den Spiegel ist die Wahrheit dessen, wer du bist und was du wertschätzt, verschleiert. Das Säubern mag nicht besonders angenehm sein, doch erst, wenn dieser Staub verschwunden ist, kannst du dein Spiegelbild erkennen.»

Dies war eine praktische Veranschaulichung der Worte von Chaitanya, einem hinduistischen Heiligen aus Bengalen, der im fünfzehnten Jahrhundert gelebt hat. Chaitanya nennt diese Lage der Dinge ceto-darpana-marjanam oder das Reinigen des unreinen Spiegels des Herzens.[4]

Das Beseitigen der Ablenkungen, die uns daran hindern, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren – unseren Sinn des Lebens zu entdecken, indem wir die körperlichen und geistigen Begierden überwinden –, bildet die Basis nahezu aller Mönchstraditionen.[5] In manchen Traditionen gibt man das Sprechen auf, in anderen den Sex, in manchen jegliche irdischen Besitztümer und in wieder anderen alle drei auf einmal. Bei uns im Aschram haben wir nur das besessen, was wir wirklich unbedingt zum Leben brauchten, sonst nichts. Ich habe am eigenen Leib erfahren, welche Offenbarung das Loslassen mit sich bringt. Wenn wir begraben sind unter nicht lebensnotwendigen Dingen, verlieren wir aus den Augen, was tatsächlich von Bedeutung ist.

Ich verlange nicht von dir, dass du irgendetwas in der Art aufgibst. Ich möchte nur, dass du die Störgeräusche der äußeren Einflüsse erkennst und herausfilterst. Auf diese Weise befreist du dich vom Staub und siehst, ob diese Werte dir auch wirklich entsprechen.

Leitwerte sind die Prinzipien, die uns am meisten am Herzen liegen und uns unserer Meinung nach leiten sollten: wer wir sein wollen, wie wir mit uns selbst und anderen Menschen umgehen. Bei Werten handelt es sich meistens um Konzepte, die aus einem einzigen Wort bestehen, so wie Freiheit, Gleichheit, Mitgefühl oder Ehrlichkeit. Das klingt vielleicht ziemlich abstrakt und idealistisch, doch Werte sind etwas sehr Praktisches. Man kann sie sich als eine Art ethisches Navi vorstellen, von dem wir uns lenken lassen können. Wenn du deine Werte kennst, wirst du automatisch zu den Menschen und Taten und Gewohnheiten geführt, die am besten für dich sind. Ohne Werte ist es so, als ob wir uns ohne Navi in einer fremden Gegend bewegten; wir streifen ziellos umher, nehmen die falschen Abzweigungen, verirren uns, fühlen uns wie gelähmt vor lauter Unentschiedenheit. Mit Hilfe von Werten fällt es uns viel leichter, uns mit den richtigen Leuten zu umgeben, schwere berufliche Entscheidungen zu treffen, klug mit unserer Zeit umzugehen und die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu richten. Ohne sie werden wir von den Ablenkungen umhergetrieben.

Woher stammen unsere Werte?

Unsere Werte kommen uns nicht im Schlaf. Wir grübeln nicht bewusst über sie nach. Wir fassen sie sogar nur in den seltensten Fällen in Worte. Dennoch existieren sie. Jeder wird in bestimmte Verhältnisse hineingeboren, und unsere Erfahrungen bestimmen unsere Werte. Sind wir in ein beschwerliches Leben oder in ein Leben voller Luxus geboren worden? Wofür wurden wir gelobt? Eltern und Betreuungspersonen sind dabei oft diejenigen, die uns am lautesten loben oder kritisieren. Sogar als rebellischer Teenager sehen wir uns meist gezwungen, es diesen Autoritätspersonen recht zu machen und sie nachzuahmen. Versuche dich einmal zurückzuerinnern, wie die gemeinsame Zeit mit deinen Eltern ausgesehen hat. Habt ihr miteinander gespielt, euch Geschichten erzählt, zusammen gebastelt oder gebaut? Was haben sie als das Wichtigste im Leben hochgehalten, und hat das mit dem übereingestimmt, was ihnen am meisten am Herzen lag? Welche Art Mensch solltest du werden? Was solltest du im Leben erreichen? Wie solltest du dich verhalten? Hast du diese Ideale in dir aufgesogen, und haben sie sich bei dir bewährt?

Auch unsere Schulbildung übt von Anfang an einen großen Einfluss auf uns aus. Welche Fächer unterrichtet werden. Von welcher kulturellen Perspektive aus. Auf welche Art und Weise das Lernen erfolgt. Ein sehr faktenbezogener Stundenplan ermutigt nicht zu Kreativität, ein enggefasster kulturspezifischer Ansatz fördert nicht die Toleranz gegenüber Menschen anderer Herkunft, und grundsätzlich gibt es nicht viel Gelegenheit, sich mit seinen Hobbys und Vorlieben zu beschäftigen, selbst wenn man sie von Kindesbeinen an kennt. Damit meine ich nicht, dass die Schule uns nicht auf das Leben vorbereitet, außerdem sind von der riesigen Menge unterschiedlicher Schulmodelle manche weniger restriktiv. Ich meine, dass sich ein Blick in die Vergangenheit lohnt, um herauszufinden, ob sich die Werte, die dir in der Schule vermittelt wurden, richtig anfühlen.

Die Gedankenmanipulation durch die Medien

Als Mönch habe ich schon früh gelernt, dass unsere Werte von dem beeinflusst werden, womit wir unseren Verstand füttern. Wir sind nicht unser Verstand, aber der Verstand ist das Vehikel, mit Hilfe dessen wir entscheiden, was uns am Herzen liegt. Die Filme, die wir uns anschauen, die Musik, die wir hören, die Bücher, die wir lesen, die Serienmarathons, die wir veranstalten, die Leute, denen wir online und offline folgen. Der Newsfeed nährt buchstäblich deinen Geist. Je mehr Promi-Klatsch, Bilder von Erfolg, brutale Videospiele und beunruhigende Nachrichten wir uns einverleiben, desto stärker werden unsere Werte mit Neid, vorschnellen Urteilen, Rivalität und Unzufriedenheit behaftet sein.

AUFGABE: Woher stammen deine Werte?

Es ist nicht immer leicht, den Einfluss dieser beiläufigen Informationen wahrzunehmen. Werte sind abstrakt, schwer fassbar, und es prasseln ständig sowohl schrille als auch unterschwellige Botschaften auf uns ein – was wir zu wollen haben, wie wir zu leben haben und wie wir die Gedanken über uns selbst zu formen haben.

Schreibe ein paar der Werte auf, die dein Leben prägen. Daneben notierst du dir, woher sie stammen. Anschließend setzt du neben den Werten ein Häkchen, hinter denen du zu hundert Prozent stehst.

 

Beispiel:

Wert

Ursprung

Stehe ich dahinter?

Güte

Eltern

Aussehen

Medien

Nicht auf diese Art

Wohlstand

Eltern

Nein

Gute Noten

Schule

Hat echtes Lernen beeinträchtigt

Wissen

Schule

Familie

Tradition

Familie ja, aber nicht auf die traditionelle Art

Das Beobachten und Abwägen sind Schlüsselelemente mönchischen Denkens. Ihren Anfang nehmen sie mit Raum und Stille. Um die Störgeräusche der äußeren Einflüsse herauszufiltern, lassen Mönche als ersten Schritt jeden materiellen Besitz los. Nach einer zweimonatigen Ausbildung im Bhaktivedanta Manor, einem ländlichen Tempel nördlich von London, ging ich Anfang September 2010 nach Indien in den Aschram. Meine eher stylishen Klamotten tauschte ich gegen zwei Gewänder (eins zum Wechseln, wenn das andere in der Wäsche war). Ich gab meinen ziemlich schicken Haarschnitt für … gar kein Haar auf; unsere Köpfe wurden geschoren. Und ich wurde jeder Möglichkeit beraubt, mein Aussehen zu überprüfen – im Aschram gibt es keine Spiegel bis auf den einen, der mir später im Lagerraum gezeigt wurde. Wir Mönche wurden also davon abgehalten, uns zwanghaft mit unserem Äußeren zu beschäftigen, bekamen schlichte Mahlzeiten serviert, die kaum variierten, schliefen auf dünnen Matten auf dem Boden, und unsere einzige Musik waren die Mantragesänge und die Glocken, die unsere Meditationen und Rituale takteten. Wir schauten uns keine Filme und Fernsehsendungen an und hatten nur beschränkten Zugriff auf Nachrichten und E-Mails an Tischcomputern im Gemeinschaftsraum.

An die Stelle dieser Ablenkungen trat nichts außer Raum, Stille und Ruhe. Wenn wir die Meinungen, Erwartungen und Verpflichtungen der äußeren Welt ignorieren, fangen wir an, uns selbst zu hören. In jener Stille begann ich, den Unterschied zwischen den Geräuschen von außen und meiner eigenen Stimme wahrzunehmen. Ich konnte den Staub der anderen beseitigen und so meine ganz eigenen, innersten Ansichten erkennen.

Ich habe dir versprochen, dass du nicht deinen Kopf kahl scheren und Gewänder anlegen musst – aber wie sollen wir uns in der modernen Welt den Raum, die Stille und die Ruhe nehmen, um unser Bewusstsein zu erweitern? Wir setzen uns nicht einfach hin und denken über unsere Werte nach. Wir sind nicht gern allein mit unseren Gedanken. Wir neigen dazu, die Stille zu meiden, die Köpfe zu füllen und weiterzumachen statt innezuhalten. Im Rahmen einer Versuchsreihe der University of Virginia und Harvard sollten die Teilnehmer gerade mal sechs bis fünfzehn Minuten allein in einem Raum sitzen, ohne Smartphone und ohne etwas zu schreiben oder zu lesen – wohl aber mit der Möglichkeit, sich per Knopfdruck einen elektrischen Schock zu versetzen. In Anschluss an einen Probeschock vor Beginn des eigentlichen Experiments hatten sie allesamt ausgesagt, sie würden Geld zahlen, wenn ihnen das einen erneuten Schock erspare. Nach Ablauf der Zeit durften sie wieder Musik hören oder ihr Handy benutzen. Ergebnis war: Die Teilnehmer beschäftigten sich nicht nur lieber mit Handy und Musik, sondern viele von ihnen zogen es sogar vor, sich einen zuvor bereits als schmerzhaft erfahrenen elektrischen Schock zu geben, als nur ihren Gedanken ausgesetzt zu sein.[6] Wenn wir jeden Tag Veranstaltungen zum Networken besuchen und den Leuten erzählen, was wir beruflich machen, ist es schwer, diese verkürzte Sicht auf uns selbst abzulegen. Wenn wir jeden Abend Real Housewives im Fernsehen schauen, denken wir irgendwann, dass es ganz normal ist, seinen Freunden Rotwein ins Gesicht zu kippen. Wenn wir unser Leben bis oben voll packen und keinen Raum zum Reflektieren lassen, werden diese Ablenkungen automatisch zu unseren Werten.

Wir können uns unmöglich mit unseren Gedanken befassen und unseren Geist erforschen, wenn wir derart beschäftigt sind. Und auch das zu Hause Herumsitzen lehrt uns nicht wirklich etwas. Hier möchte ich dir nun drei Vorschläge machen, wie du ganz aktiv Raum zum Nachdenken schaffst. Nummer eins: Setze dich abends hin und überlege, wie dein Tag gelaufen ist und wie du dich fühlst. Nummer zwei: Versuche, dich einmal im Monat dem Wandel anzunähern, den ich im Aschram erfahren habe, indem du irgendwo hingehst, wo du noch nie warst. So kannst du dich selbst in einer fremden Umgebung erforschen. Besuche einen dir unbekannten Park oder eine dir unbekannte Bücherei, unternimm einen Ausflug oder einen Kurztrip. Nummer drei: Engagiere dich – hilf bei einer gemeinnützigen Einrichtung mit, werde politisch aktiv, fange ein Hobby an, das dir etwas bedeutet.

Raum schaffen kannst du außerdem, indem du kritisch abschätzt, wie du den bereits vorhandenen Raum nutzt und ob das deinen wahren Werten entspricht.

Ziehe Bilanz

Über die eigenen Werte kann man sich vieles vormachen – nur unsere Taten sprechen die Wahrheit. Was wir mit unserer Freizeit anfangen, zeigt, was wir wirklich wertschätzen. Steht bei dir zum Beispiel die Familie ganz oben auf der Liste, aber du spielst in jeder freien Minute Golf, dann stimmen deine Taten nicht mit deinen Werten überein. In diesem Fall solltest du besser einmal in dich gehen.

Zeit

Schau dir zunächst einmal an, was du tust, wenn du nicht gerade schläfst oder arbeitest. Forschungen haben ergeben, dass wir bis zu unserem Lebensende im Durchschnitt dreiunddreißig Jahre im Bett verbracht haben (wovon sieben Jahre auf den Versuch entfallen einzuschlafen), ein Jahr und sieben Monate mit Sport und über drei Jahre mit Urlaub. Frauen haben sich hundertsechsunddreißig Tage lang zurechtgemacht, Männer nur sechsundvierzig.[7] Das sind natürlich nur grobe Schätzungen, doch sie zeigen, dass unsere täglichen kleinen Entscheidungen sich summieren.

AUFGABE: Erstelle eine Zeitbilanz

Halte eine Woche lang fest, wie viel Zeit du auf folgende Dinge verwendest: Familie, Freunde, Gesundheit, dich selbst. (Schlafen und Arbeiten werden also nicht mitgezählt. Arbeit, in all ihren Formen, kann ganz schön ausufern. Wenn das bei dir der Fall ist, definiere für dich selbst, wann du «offiziell» arbeitest, und füge als Kategorie noch «Extra-Arbeit» hinzu.) Die Bereiche, in denen du die meiste Zeit verbringst, sollten deinen wichtigsten Werten entsprechen. Nehmen wir an, die Zeit, die dein Job in Anspruch nimmt, übersteigt die Bedeutung, die er für dich hat. Das ist ein Zeichen dafür, dass du diesen Entschluss überprüfen musst. Du entschließt dich, Zeit mit etwas zu verbringen, das dir nicht viel bedeutet. Welche Werte verbergen sich hinter diesem Entschluss? Dient dein Einkommen am Ende deinen Werten?

Medien

Bei deiner Zeitbilanz ist garantiert herausgekommen, dass du dich einen beträchtlichen Teil des Tages mit den sozialen Medien und Fernsehen beschäftigst. Studien haben gezeigt, dass wir im Durchschnitt schätzungsweise mehr als elf Lebensjahre damit verbringen![8] Diese Entscheidungen fühlen sich vielleicht beiläufig und zufällig an, aber die dafür aufgebrachte Zeit spiegelt unsere Wertschätzung wider.

Die meisten von uns übertreiben es nicht mit Film, Fernsehen und Zeitschriften, sondern mit den digitalen Geräten. Praktischerweise verrät dir dein Smartphone genau, wie du es nutzt. Beim iPhone erhältst du, wenn du unter Einstellungen die Bildschirmzeit aktivierst, einen wöchentlichen Bericht darüber, wie viel Zeit du mit sozialen Medien, Spielen, Mailen und Surfen im Internet verbracht hast. Wenn dir das Ergebnis nicht gefällt, kannst du sogar Zugriffszeiten für deine Apps festlegen. Bei Android wählst du unter Einstellungen «Vollständige Gerätenutzung anzeigen», um zu sehen, was dein Akku strapaziert. Und auch dort kannst du deine Nutzungsdauer festlegen. Oder du lädst eine App wie «Quality Time» oder «Moment» herunter.

Geld

Auch dein Geld solltest du dir anschauen, wenn du wissen willst, nach welchen Werten du lebst. Haushalt, Unterhaltszahlungen, Auto, Nebenkosten, Lebensmittel und Schulden kannst du außer Acht lassen. Wie sieht es mit dem Geld aus, das dir jetzt noch zur freien Verfügung steht? Wofür hast du diesen Monat das meiste Geld ausgegeben? Stimmen deine Ausgaben mit dem überein, was dir am wichtigsten ist? Was sich unserer Meinung nach «lohnt», ist bei einem Blick auf das große Ganze oft kompletter Unsinn. Ich habe einmal eine Frau beraten, die sich darüber beschwerte, dass in ihrer Familie zu viel Geld in die Hobbys der Kinder floss … bis ihr klarwurde, dass sie mehr für ihre Schuhe ausgab als für den Musikunterricht.

Hier ein paar Beispiele dafür, wie Zeit und Geld unsere Werte widerspiegeln, wenn wir sie miteinander vergleichen.

60-minütige Fernsehsendung («Verging wie im Flug!»)

60-minütiges Mittagessen mit den Eltern («Eine Ewigkeit!»)

Jeden Tag Coffee to go (3 € am Tag/1100 € im Jahr) («Kann nicht ohne!»)

Frisches, gesundes Essen (1,50 € extra pro Tag/550 € im Jahr) («Lohnt sich nicht!»)

120 Minuten Game of Thrones («Zeit für mich!»)

15 Minuten Meditieren («Mehr Zeit hab ich nicht!»)

Es ist alles eine Frage der Perspektive. Überlege dir, ob die Ausgaben des vergangenen Monats lang- oder kurzfristige Investitionen waren – ein tolles Abendessen im Restaurant oder ein Tanzkurs? Dienten sie der Unterhaltung oder der Erleuchtung – deiner eigenen oder die einer anderen Person? Wenn du Mitglied in einem Fitnessstudio bist, aber letzten Monat nur ein einziges Mal dort warst, solltest du das wohl besser überdenken.

Überprüfe deine Werte

Nun, da du Bilanz gezogen hast, weißt du, welche Werte sich heimlich in dein Leben geschlichen haben. Als nächsten Schritt entscheidest du, welches deine tatsächlichen Werte sind und ob deine Entscheidungen damit übereinstimmen. Lass mich an dieser Stelle ein paar Worte zu den Wertvorstellungen der Mönche sagen, das hilft dir vielleicht, deine eigenen zu finden. Im Aschram wurde uns gelehrt, dass es göttliche und dämonische Eigenschaften gibt. Göttliche Eigenschaften erheben uns zu Glück, Erfüllung und Bedeutung. Dämonische Eigenschaften ziehen uns zu Angst und Sorgen, Niedergeschlagenheit und Leid hinunter. Der Gita zufolge sind dies die göttlichen Werte und Eigenschaften: Furchtlosigkeit, Reinheit des Geistes, Dankbarkeit, Wohltätigkeit, Selbstbeherrschung, Aufopferung, tiefgehendes Studium, Entsagung, Einfachheit und Geradlinigkeit, Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Freisein von Zorn, Ausgeglichenheit, Nachsicht, Abneigung gegen Fehlersuchen, Mitgefühl für sämtliche Lebewesen, Zufriedenheit, Freundlichkeit/Sanftmut, Integrität und Entschlossenheit.[9] (Wie du merkst, stehen Glück und Erfolg nicht auf dieser Liste. Das sind nämlich keine Werte, sondern Belohnungen – das Endspiel –, und darum wird es in Kapitel 4 gehen.)

Die sechs dämonischen Eigenschaften sind Gier, Wollust, Zorn, Ego, Unwissenheit und Neid. Der Nachteil an ihnen ist, dass sie uns ganz leicht überkommen, wenn wir ihnen Raum dazu geben. Ein Vorteil ist, dass es viel weniger dämonische als göttliche Eigenschaften gibt. Oder, wie es mein Lehrmeister Gauranga Das formuliert hat: Es gibt viel mehr Möglichkeiten, sich hochzuziehen, als sich herunterzuziehen.

Ein neues Wertesystem können wir uns nicht einfach aus den Fingern saugen, und tiefgreifende Veränderungen passieren nicht einfach über Nacht. Was wir aber sehr wohl tun können, ist, die falschen Werte loszulassen, mit denen unser Leben zugekleistert ist. Im Aschram hatten wir die Möglichkeit, die Natur zu beobachten, und unsere Lehrer machten uns auf die Kreisläufe allen Lebens aufmerksam. Blätter sprießen, verwandeln sich und fallen schließlich von den Bäumen. Reptilien, Vögel und Säugetiere werfen Haut, Federn, Fell ab. Das Loslassen stellt einen wichtigen Teil des Lebensrhythmus dar, genau wie die Wiedergeburt. Wir Menschen klammern gerne – wir klammern uns an andere Menschen, an Vorstellungen, materielle Besitztümer, Bücher von Marie Kondo und denken, es sei unnatürlich, sich davon zu befreien. Dabei führt das Loslassen auf direktem Weg zu innerem (und äußerem) Raum und innerer Ruhe. Trennen wir uns also emotional (und körperlich) von den Menschen und Vorstellungen, die unser Leben vereinnahmen, und beobachten wir anschließend in aller Ruhe, welche natürlichen Neigungen in uns hochkommen.

Fang damit an, in deine tagtäglichen Entscheidungen Werte einfließen zu lassen. Jede einzelne Entscheidung wird von Werten gesteuert, von hohen wie niedrigen, sei es eine große Entscheidung wie das Heiraten oder eine kleine wie das Streiten mit einer Freundin. Erweisen sich unsere Entscheidungen als gut für uns, stehen unsere Werte im Einklang mit unseren Taten. Gehen sie nicht so gut für uns aus, lohnt sich ein Blick zurück.

AUFGABE: Frühere Werte

Mach dir Gedanken über die drei besten und die drei schlechtesten Entscheidungen, die du jemals getroffen hast. Warum hast du sie getroffen? Was hast du daraus gelernt? Was hättest du anders machen können?

Schau dir deine Antworten auf die Fragen der obenstehenden Aufgabe genau an, denn darin liegen deine Wertvorstellungen verborgen. Warum hast du dich damals so entschieden? Mit dem richtigen oder dem falschen Menschen an deiner Seite bist du vielleicht aus ein und demselben Grund zusammen gewesen: weil Liebe für dich von Bedeutung ist. Oder du bist weit weg gezogen, weil du eine Veränderung nötig hattest. Dahinter könnte sich die Wertschätzung von Abenteuern verbergen. Mach nun das Gleiche mit Blick auf die Zukunft. Knöpf dir deine größten Ziele vor und schau, ob diese von anderen Menschen, einem Traditionsbewusstsein oder den Medien beeinflusst sind.

AUFGABE: Wertbasierte Entscheidungen

Achte in der folgenden Woche darauf, für welche nicht lebensnotwendigen Güter du Geld ausgeben willst und wie du deine Freizeit planst. Halte kurz inne und frage dich: Welche Wertvorstellung steckt hinter dieser Entscheidung? Das dauert nur eine Sekunde. Im Idealfall wird dieses Innehalten irgendwann zur Gewohnheit, und du triffst nur noch ganz bewusste Entscheidungen, die im Einklang mit deinen Werten stehen.

Filtere die Störgeräusche heraus, blocke sie nicht ab

Sobald du anfängst, den Lärm von Meinungen, Erwartungen und Verpflichtungen herauszufiltern, wirst du die Welt mit anderen Augen sehen. Dabei geht es allerdings nicht darum, sämtliche äußeren Einflüsse komplett auszublenden. Dein Mönchsgeist kann und muss von anderen Menschen lernen. Die Herausforderung besteht darin, das ganz bewusst zu tun, indem du dir ein paar einfache Fragen stellst: Welche Eigenschaften suche oder bewundere ich bei Freunden, Verwandten und Kollegen? Handelt es sich dabei um so etwas wie Vertrauen, Selbstbewusstsein, Aufrichtigkeit? Was es auch sein mag, diese Eigenschaften stellen in Wahrheit unsere eigenen Wertvorstellungen dar – die Meilensteine, die uns zur Orientierung in unserem eigenen Leben dienen.

Wenn du nicht allein sein willst, umgib dich mit Menschen, die in dein Wertesystem passen. Es hilft dir, eine Gemeinschaft zu finden, die widerspiegelt, wer du bist und wie du leben möchtest. Erinnerst du dich noch daran, wie schwer es mir fiel, mich in meinem letzten Studienjahr für ein Leben als Mönch zu entscheiden? Mittlerweile fällt es mir schwer, in London zu leben. Umgeben von den Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, und deren Lebensstil, komme ich in Versuchung, bis mittags im Bett zu bleiben, zu tratschen und zu verurteilen. Eine neue Kultur hat mir geholfen, mich neu zu definieren, und eine weitere neue Kultur hat mir geholfen, auf meinem Weg zu bleiben.

Jedes Mal, wenn du umziehst, wenn du einen neuen Job oder eine neue Beziehung anfängst, ist das eine hervorragende Gelegenheit, dich neu zu erfinden. Mehrere Untersuchungen haben ganz klar gezeigt, dass unser Umfeld auf uns abfärbt. Eine Langzeitstudie über zwanzig Jahre mit Einwohnern einer Stadt in Massachusetts hat ergeben, dass sich sowohl Glück als auch Niedergeschlagenheit innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Kreise ausgebreitet hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand glücklich fühlt, erhöht sich um 25 Prozent, wenn sich eine befreundete Person, die weniger als zwei Kilometer entfernt wohnt, glücklich fühlt. Wohnt die befreundete Person in unmittelbarer Nachbarschaft, ist die Wahrscheinlichkeit sogar noch größer.[10]

Umgeben von den richtigen Menschen fällt es dir leichter, an deinen Werten festzuhalten und deine Ziele zu erreichen. Ihr wachst gemeinsam. Wenn du den Marathon in zweidreiviertel Stunden laufen willst, tust du dich ja auch nicht mit jemandem zusammen, der vorhat, ihn in vierdreiviertel Stunden zu laufen. Wenn du ein größeres spirituelles Bewusstsein entwickeln willst, erweitere deine Praxis mit anderen spirituellen Menschen. Wenn dein Unternehmen wachsen soll, tritt der Industrie- und Handelskammer oder einem Online-Netzwerk von Unternehmern bei, die nach einer ähnlichen Art von Erfolg streben. Bist du überarbeitet und willst deinen Kindern einen höheren Stellenwert einräumen, baue Kontakte zu anderen Eltern auf, deren Kinder an erster Stelle kommen, damit ihr euch gegenseitig unterstützen und euch Tipps geben könnt. Noch besser, du suchst Überschneidungen: Baue Kontakte zu familienorientierten, spirituellen Unternehmern auf, die Marathon laufen. Okay, das war ein Scherz. Aber in einer Welt, in der es so viele Möglichkeiten zum Kontakteknüpfen gibt, machen es uns Plattformen wie LinkedIn und MeetUp oder Facebook-Gruppen so leicht wie nie zuvor, Leute vom gleichen Schlag kennenzulernen. Wünschst du dir, die große Liebe zu finden, solltest du sie bei wertorientierten Aktivitäten suchen wie Ehrenamt, Gesundheit und Sport oder dem Besuch von Vorträgen zu einem Thema, das dich interessiert.

Falls du nicht sicher bist, wo die anderen in Bezug auf deine Werte stehen, stelle dir die folgende Frage: Komme ich dem Menschen, der ich gerne sein möchte, näher, wenn ich mit dieser Person oder dieser Gruppe zusammen bin, oder entferne ich mich von ihm? Die Antwort kann auf der Hand liegen; bei vier Stunden lang Fußball auf der Playstation (nicht, dass ich das noch nie getan hätte), verglichen mit sinnvoller menschlicher Interaktion, die deine Lebensqualität verbessert, ist die Sache klar. Es kann aber auch kniffliger und subtiler sein – dass du dich irgendwie gereizt oder benebelt fühlst, nachdem du mit dieser Person oder dieser Gruppe von Leuten zusammen warst. Bei den Menschen, die uns guttun, fühlen wir uns gut; bei den Menschen, die uns nicht unterstützen oder unsere schlechten Seiten zum Vorschein bringen, fühlen wir uns nicht gut.

AUFGABE: Bilanziere, mit wem du dich umgibst

Schreibe eine Woche lang auf, mit wem du die meiste Zeit verbringst. Notiere hinter jeder Person, welche Werte du mit ihr teilst. Widmest du den Menschen am meisten Zeit, deren Werte sich am meisten mit deinen eigenen Werten decken?

Mit wem du redest, was du dir anschaust, wie du deine Zeit verbringst – all das zerrt an deinem Werte- und Glaubenssystem. Wenn deine Tage vergehen, ohne dass du jemals deine Werte hinterfragst, lässt du dich davon beeinflussen, was alle anderen – von deinen Nächsten bis zu den Horden von Marketingexperten – dir glauben machen wollen. Ich selbst rufe mir ständig den Moment im Lagerraum des Aschrams ins Gedächtnis. Schießt mir ein Gedanke in den Kopf, frage ich mich: Passt das zu den Werten, die ich mir ausgesucht habe, oder eher zu den Werten, die andere für mich ausgesucht haben? Ist das Staub, oder bin das ich? Wenn du dir genügend Raum und Ruhe gibst, kannst du den Staub beseitigen und dich selbst sehen, nicht durch die Augen der anderen, sondern von innen heraus. Bist du dir im Klaren über deine Werte und lässt dich von ihnen lenken, kannst du die äußeren Einflüsse besser herausfiltern. Im nächsten Kapitel geht es um das Herausfiltern von unerwünschten Geisteshaltungen und Gefühlen.

Kapitel 2Negativität

Der böse König geht leer aus

Es ist unmöglich, sein eigenes Glück auf dem Unglück anderer Menschen aufzubauen.

Daisaku Ikeda

Es ist der Sommer nach meinem dritten Jahr an der Uni. Ich bin gerade aus dem Aschram zurückgekehrt, wo ich einen Monat verbracht habe, und arbeite als Praktikant in einem Finanzunternehmen. Ich mache mit ein paar Kollegen Mittagspause – wir haben uns Sandwiches gekauft und setzen uns in den asphaltierten Innenhof vor dem Bürogebäude. Auf den niedrigen Mauern hocken junge Anzugträger, die ihr Mittagessen hinunterschlingen und sich von der Sommersonne auftauen lassen, bevor sie in ihre hyperklimatisierten Büros zurückgehen. Ich fühle mich wie im falschen Film.

«Habt ihr schon das mit Gabe gehört?», tuschelt einer meiner Kollegen laut daher. «Die Teilhaber haben seine Präsentation total zerrissen.»

«Mann», sagt ein anderer Kollege kopfschüttelnd. «Der geht aber echt schnell unter.»

Ich denke an einen Kurs bei Gauranga Das, den er «Krebsgeschwüre des Geistes: sich mit anderen vergleichen, klagen, kritisieren» nannte. Dort haben wir über negative Denkmuster gesprochen, darunter auch das Lästern. Eine unserer Übungen bestand darin, über jede Kritik, die wir äußerten oder dachten, Buch zu führen. Für jede Kritik sollten wir zehn gute Eigenschaften der betreffenden Person aufschreiben.

Es war schwer für uns. Wir wohnten zusammen, sehr beengt. Probleme tauchten auf, die meisten davon belanglos. Fürs Duschen hatten wir im Schnitt vier Minuten Zeit. Wenn wir dafür anstehen mussten, schlossen wir Wetten ab, wer länger brauchen würde. (Das waren unsere einzigen Wetten. Weil: Mönche.) Und die Schnarcher wurden zwar in ihr eigenes Zimmer verbannt, aber wenn neue Leute dazukamen, bewerteten wir ihr Geschnarche anhand von Motorrädern: Dieser Mönch ist eine Vespa, der da eine Harley-Davidson.