Ruined - Verbotenes Verlangen - Tracy Wolff - E-Book
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Ruined - Verbotenes Verlangen E-Book

Tracy Wolff

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Beschreibung

Er ist der letzte Mann, den sie lieben sollte ... aber der erste, den sie jemals lieben konnte

»Mit jedem Satz und jedem Wort, das wir wechseln, bewegen wir uns unaufhaltsam aufeinander zu. Wie Magneten, die von einer natürlichen Kraft angezogen werden, über die sie keine Kontrolle haben. Und wieder habe ich das Gefühl, eigentlich Angst haben zu müssen - aber es reicht nicht, um mich aufzuhalten.«

Ethan Frost ist Visionär und Genie - und zugleich die dunkelste Fantasie einer jeden Frau. Auch meine. Und aus unerklärlichen Gründen bin ich seine.

Er knallte in mein Leben wie ein Komet. Stellte meine Realität auf den Kopf und ließ all meine Sehnsüchte wahr werden - sogar die, von denen ich vorher nichts ahnte. Er forderte alles von mir und gab mir im Gegenzug jedes Stück seiner selbst.

Aber Träume sind vergänglich - und unserer ist keine Ausnahme. Denn meine Geheimnisse sind dunkler, meine Wunden tiefer als ich jemals offenbaren könnte. Und so sehr Ethan mich auch beschützen möchte, werden unsere Geheimnisse uns letztendlich auseinanderreißen.

Emotional, leidenschaftlich, fesselnd: Eine Billionaire-Romance von der Autorin der Katmere-Academy-Chroniken.

Weitere Bücher der SPIEGEL Bestseller-Autorin Tracy Wolff bei beHEARTBEAT:

Addicted - Brennende Sehnsucht
Dark Royal - Unwiderstehlich
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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Danksagungen

Über dieses Buch

Ethan Frost ist zugleich Visionär, Genie und die dunkelste Fantasie einer jeden Frau. Auch meine. Und aus unerklärlichen Gründen bin ich seine.

Er kam in mein Leben wie ein Traum. Stellte meine Realität auf den Kopf und ließ all meine Sehnsüchte wahr werden – sogar die, von denen ich vorher nichts ahnte. Er forderte alles von mir und gab mir im Gegenzug jedes Stück seiner selbst.

Aber Träume sind vergänglich – und unserer ist keine Ausnahme. Denn meine Geheimnisse sind dunkler, meine Wunden tiefer als ich jemals offenbaren könnte. Und so sehr Ethan mich auch beschützen möchte, werden unsere Geheimnisse uns letztendlich auseinanderreißen.

Über die Autorin

New York Times und USA Today Bestsellerautorin Tracy Wolff lebt in Texas und unterrichtet Schreiben an der örtlichen Volkshochschule. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Söhnen.

Tracy Wolff

RUINED

VERBOTENES VERLANGEN

Aus dem amerikanischen Englischvon Nina Behrmann

beHEARTBEAT

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei EntertainmentBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

A Loveswept eBook Original

Copyright © 2014 by Tracy Deebs-Elkenaney

All Rights Reserved.

Published in the United States of America by Loveswept, an imprint ofThe Random House Publishing Group, a division of Random House LLC,a Penguin Random House Company, New York.

This translation is published by arrangement with Ballantine Books, an imprint of

Random House, a division of Penguin Random House LLC.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Ausgabe: Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Übersetzung: Nina Behrmann

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven von © Viorel Sima/shutterstock | nikkytok/thinkstock

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-3636-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Sue und Gina,

Kapitel 1

Niemand hatte mir gesagt, dass meine neuen Christian Louboutins »Killer« genannt werden, weil sie einen umbringen würden, noch bevor der Tag vorbei war.

Oh, ich weiß, was du jetzt denkst. Was sonst hätte ich von einem Paar rubinroter Stilettos mit dreizehn Zentimeter hohen Absätzen erwarten sollen? Selbst von solchen, die als besonders bequem angepriesen wurden. Jede Frau weiß, dass selbst die bequemsten hochhackigen Schuhe nach ein paar Stunden und Kilometern zu Folterwerkzeugen werden.

Selbst ich weiß das, und das, obwohl ich meistens alte Jeans und noch ältere T-Shirts anhabe. Und Ballerinas. Ich bin ein großer Fan von Ballerinas. Im Moment würde ich meine Seele für ein Paar Ballerinas verkaufen.

Eigentlich hatte ich heute Morgen aus genau diesem Grund geplant, ein besonders bequemes Paar Schuhe anzuziehen. Peep-toe-Pumps in Marineblau mit Fünf-Zentimeter-Absätzen, die perfekt zu dem fünfhundert Dollar teuren Hosenanzug passen, den ich trage. Es ist der Anzug, für den ich fast das ganze letzte Semester jeden Cent zusammengekratzt und gespart habe, und es ist der Anzug, der mir geholfen hat, die Stelle zu bekommen, die ich heute Morgen antrete. Meinen Traumjob. Genau genommen ist es eigentlich gar kein richtiger Job, denn ich werde nicht dafür bezahlt – es ist ein Praktikum. In der Abteilung für geistiges Eigentum des innovativsten und am schnellsten wachsenden biomedizinischen Unternehmens des Landes. Wahrscheinlich sogar der Welt. Wenn das kein Job und noch dazu ein verdammt guter ist, dann weiß ich auch nicht.

Aber als ich das gesamte Outfit gestern Abend auf meinem Bett bereitgelegt hatte und die einzelnen Kleidungsstücke auf Flecken oder Risse, Falten oder abgewetzte Stellen untersuchte – irgendetwas, das verraten würde, dass ich eine arme Studentin war und nicht eine ambitionierte und hart arbeitende angehende Anwältin –, zeigte sich meine beste Freundin und Mitbewohnerin geschockt, als sie sah, welche Schuhe ich ausgewählt hatte. Sie bestand darauf, dass ein Wahnsinnsanzug wie meiner mindestens ebensolche Wahnsinnsschuhe verdiente. Das war der Moment, in dem sie mit einem Trommelwirbel und lautem Tusch die Loubies hervorzog. Ein Geschenk für mich zum ersten Tag des Rests meines Lebens.

Ich konnte einfach nicht Nein sagen, nicht, nachdem Tori sich solche Mühe gegeben hatte, damit dieser Tag etwas Besonderes für mich würde. Vor allem nicht, nachdem sie darauf bestanden hatte, dass ich den Sommer über in ihrem Gästezimmer unterkam, mietfrei, damit ich es mir leisten konnte, das Praktikum anzutreten. Alles nur, damit ich die Reise beginnen konnte, die meine Träume wahr werden lassen sollte.

Und jetzt bin ich hier, stakse auf Absätzen zwischen den Wolkenkratzern herum und versuche krampfhaft, mir die Blasen an meinen Füßen nicht anmerken zu lassen. Und es ist erst Mittag. Noch fünf Stunden, bis diese Folter ein Ende hat.

Wahrscheinlich wäre das alles gar nicht so schlimm, wenn ich an meinem Schreibtisch geblieben wäre oder wenigstens auf den beiden Stockwerken, die zur Abteilung für geistiges Eigentum von Frost Industries gehören. Aber weil es mein erster Tag war, dachte mein Mentor – eine andere Praktikantin, die ziemlich nett wirkte und schon eine Weile hier war –, es wäre eine gute Idee, mir die Firma zu zeigen. Ein Gelände mit fünf Hauptgebäuden und einigen kleineren Laboren sowie mehreren Metern schönstem Strand hier im sonnigen La Jolla, Kalifornien. Es war eine tolle Führung durch eine großartige Firma, und ich hätte mich wahrscheinlich selbst kneifen müssen, um sicherzugehen, dass ich nicht träumte, aber meine Schuhe übernahmen den Job für mich.

Jetzt ist das Rumgerenne vorbei, sage ich mir selbst, und gehe in die riesige Kantine, von der aus man die schönsten Strände in San Diego sehen kann. Für diesen Nachmittag steht nichts mehr auf dem Plan außer meinem Mittagessen und einem vierstündigen Meeting mit den anderen Praktikanten, von denen jeder einzelne schon länger hier ist als ich. Sie sollen mich auf den neusten Stand bringen, was die verschiedenen Patente und Verträge angeht, für die wir den Sommer über recherchieren sollen. Ich weiß, das klingt für die meisten Leute wahrscheinlich zum Gähnen langweilig, aber ich kann es kaum erwarten. Das war mein größtes Ziel, zumindest seit ich herausgefunden hatte, dass die Stelle des rosafarbenen Power Rangers kein realistisches Karriereziel ist.

Ich versuche, nicht zu humpeln und gleichzeitig nicht so überwältigt auszusehen, wie ich mich fühle, als ich den riesigen, höhlenähnlichen Raum mit seinen 842 Sitzplätzen betrete (die Zahl weiß ich von meiner Mentorin, die mindestens ebenso stolz auf diese Firma ist wie Ethan Frost selbst).

Wie auch Google ist Frost Industries für seine hochmoderne Kantine bekannt. In ihr findet man zwei Gourmetköche und zwölf verschiedene Essensstationen, die ihr Angebot wöchentlich wechseln, ganz zu schweigen von den Salaten, Säften und den Nachspeisen – für jeden ist etwas dabei. Und ich meine wirklich für jeden. Egal ob man Hausmeister oder exklusiver VIP ist – solange man einen Mitarbeiterausweis hat, kann man kostenlos dort essen. Frühstück, Mittagessen, Abendessen, Nachmittagssnack. Angestellte von Frost Industries essen auf Kosten des Hauses – noch ein Grund, warum ich das Praktikum antreten konnte. Ohne Miete und ohne große Ausgaben für Essen kann ich mit meinen mickrigen Ersparnissen durchhalten, bis mein Stipendium und Studiendarlehen auf meinem Konto sind, und die Kosten für mein Abschlusssemester ausgleichen.

Ich bin noch nicht besonders hungrig, auch wenn es schon ein Uhr ist – die übrig gebliebene Nervosität von meinem ersten Arbeitstag bringt meinen Magen immer noch ein bisschen durcheinander –, also gehe ich zur Saftbar. Ein Smoothie zum Mittag klingt heute gut. Der ist nicht zu schwer, aber sollte ausreichen, um mich bis zum Abendessen satt zu machen. Außerdem stehe ich schon fast an der Saftbar, und in meinem Zustand zählt jeder Schritt.

Ich bin die Einzige an der Saftbar – alle scheinen an der Pizzastation und der Ausgabe für indisches Essen zu warten. Hinter dem Tresen stehen zwei Typen, und keiner von ihnen scheint es besonders eilig zu haben, meine Bestellung aufzunehmen. Mir soll es recht sein, ich weiß ohnehin noch nicht, was ich will.

Die Auswahl ist nicht riesig – acht verschiedene Smoothies, sechs verschiedene Säfte, inklusive Weizengras und Rote Beete, aber nichts davon weckt meine Neugierde, es mal auszuprobieren –, also dauert es nicht lange, bis ich mich entschieden habe. Und noch immer macht keiner der beiden Typen Anstalten, meine Bestellung aufzunehmen. Als ich feststelle, dass ich offenbar nicht die Einzige bin, deren erster Tag heute ist, bin ich aber eher interessiert als verärgert. Einer der beiden erklärt dem anderen gerade die hohe Kunst des Smoothiemachens, und er macht das sehr ausführlich, redet von dem richtigen Verhältnis zwischen Saft und Frucht und wie wichtig es ist, dass der Frozen Yoghurt genau die richtige Temperatur hat. Er geht sogar so weit, ihm zu erklären, wie viele Blaubeeren genau in den Smoothie kommen, den er gerade macht. 38 ist offensichtlich die richtige Anzahl. Nicht 37. Nicht 39. Genau 38.

Der ganze Monolog hätte bei jedem anderen wahrscheinlich bescheuert geklungen. Aber dieser Typ spricht so leidenschaftlich über das Smoothiemachen, ist so erpicht darauf, dass es genau richtig gemacht wird, dass es überhaupt nicht bescheuert klingt. Stattdessen wirkt er wie der Dalai Lama der gemischten Säfte. Geduldig, weise, allwissend.

Und der Typ, dem er das alles erzählt, hängt an seinen Lippen und lauscht jeder Silbe, als wären die Worte, die aus seinem Mund kommen, eine genaue Beschreibung für den Weg ins Nirwana. Mich amüsiert das Ganze, und ich bedauere es fast, als die Lektion beendet ist und der Smoothie schließlich in zwei Becher gegossen wird. Aber nur fast, denn die Minuten meiner Mittagspause verstreichen unaufhaltsam.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich, denn es scheint, als würden die beiden am liebsten immer weiter auf den rötlich blauen Smoothie vor sich starren. Wenn man sie ließe, vermutlich für die nächsten Monate. Das Getränk hat sie offenbar völlig in seinen Bann gezogen, und mir schießt der Gedanke durch den Kopf, dass Frost Industries seinen »Keine illegalen Substanzen«-Grundsatz nicht allzu ernst nimmt. Denn diese beiden Typen müssen doch irgendetwas eingeworfen haben, oder? Ein einfacher Smoothie kann doch unmöglich so interessant sein. »Ich störe Sie ja nur ungern, aber ich würde gerne bestellen.«

Der Ausbilder blickt auf, als er meine Stimme hört, und seine dunklen blauen Augen finden sofort die meinen. Da bemerke ich erst, dass er meine Anwesenheit, entgegen meiner Vermutung, sehr wohl bemerkt hat. Er hat mich mit Sicherheit testen wollen, so wie er den anderen Mitarbeiter testen wollte, um zu sehen, wie wir mit der Situation umgehen würden.

Durch diese Einsicht richte ich mich auf. Es ist nur ein dummes Getränk, nur ein kleines, dummes Machtspiel, aber ich mag es nicht, wenn mich jemand manipulieren will. Selbst wenn es um so etwas Lächerliches wie ein Getränk geht.

»Sie müssen nicht bestellen«, sagt er, drückt einen Deckel auf einen der Becher und schiebt ihn über den Tresen zu mir. »Sie können den hier haben. Es ist ein Ethan Special.«

»Nein, vielen Dank.« Ich sehe den Becher nicht einmal an. »Ich hätte lieber einen Hawaiian Sunrise.«

»Woher wollen Sie wissen, dass sie den lieber möchten? Sie wissen nicht einmal, was im Ethan Special drin ist.«

So wie er sich verhält, befürchte ich, dass Gras eine der Zutaten ist, und damit meine ich nicht Weizengras. Außerdem ist heute mein erster Tag, und daher bin ich nicht bereit, das Risiko einzugehen, egal wie heiß er auch sein mag. »Ich muss nicht wissen, was da drin ist, um zu wissen, dass ich Lust auf …«, ich werfe einen Blick auf die Karte, »eine erfrischende Mischung aus Erdbeeren, Bananen, Ananassaft und Orangensorbet habe. Nichts davon ist in dem Smoothie drin, den Sie gerade gemacht haben.«

»Es sind Erdbeeren drin. Sieben Stück, um genau zu sein.«

38 Blaubeeren und 7 Erdbeeren. Meint er das ernst? Ein Teil von mir ist fasziniert von ihm, aber das zeige ich ihm nicht. Also sehe ich ihn hochmütig an und antworte: »Wenn nur eine von vier Zutaten passt, reicht mir das noch lange nicht.«

»Ist Ihnen das so wichtig?«, fragt er und hebt eine seiner dunklen Augenbrauen. »Dass Dinge genau zusammenpassen?«

Absolut. Ich bin davon besessen, wirklich, bei mir muss alles genau zusammenpassen. Bei mir hat jedes I seinen I-Punkt und jedes T seinen Querstrich. Ich halte mich an alle Regeln. Tori hält mich für zwangsgestört, aber das stimmt nicht. Mir geht es nicht darum, etwas immer genau gleich zu machen. Mir geht es um das ordentliche Ergebnis, das ich am Ende erziele, um das Wissen, dass die Dinge genauso sind, wie sie sein sollen.

Und auch wenn ich weiß, dass sich das ein bisschen verrückt anhört, hat mir genau das in den letzten sechs Jahren dabei geholfen, nicht verrückt zu werden. Seit Brandon –

Ich schlage diese Tür zu, bevor die Erinnerungen aus dem Loch kriechen können, in dem ich sie begraben habe. Ich werde auf keinen Fall jemals wieder an ihn denken, vor allem nicht an dem Tag, der der beste seit sehr langer Zeit ist. Nein, ich werde mich einfach darauf konzentrieren, alles schön einfach zu halten. Ordentlich. Einfach. Es ist nicht meine Art, für Wirbel zu sorgen, nur um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Natürlich erzähle ich dem Typ nichts davon. Stattdessen hebe ich die Braue und sage: »Sie sind derjenige, der die Blaubeeren im Smoothie abzählt. Ich will einfach nur das bekommen, was ich bestellt habe, am besten noch bevor sich alle fürs Abendessen anstellen. Was zufälligerweise in …«, ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr, »ungefähr vier Stunden der Fall sein wird.«

»Dann haben wir ja noch eine Menge Zeit. Warum nehmen Sie sich nicht einen Barhocker, und wir lernen uns ein wenig kennen? Ich muss gerade nirgendwo hin.«

Der Typ neben ihm – der Neuling – schnaubt leise. Aber er sagt nichts, nimmt sich einfach den zweiten Becher Ethan Special, und ich mache mir nicht die Mühe, zu ihm hinüberzusehen. Vor allem, da jeder meiner Sinne mich davor warnt, diesen Mann vor mir aus den Augen zu lassen. Den Blick abzuwenden würde bedeuten, meine Niederlage einzugestehen, und ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit das nicht geschieht.

»Sieht so aus, als wären Sie da der Einzige. Ich muss in fünfzehn Minuten zu einem Meeting, bei dem ich nicht zu spät kommen darf.«

»Hmm. Das bedeutet, Sie sind im Nachteil, nicht wahr?«

»Wieso? Weil ich einen Job habe, bei dem ich das mache, wofür ich eingestellt wurde?«

Diesmal klingt das Geräusch, das der Neuling macht, wie eine Mischung aus einer Katze, die einen Fellklumpen hochwürgt, und einer Hyäne, die mit dem Tode ringt. »Alles in Ordnung?«, frage ich schließlich, ohne seinen Ausbilder aus dem Blick zu lassen. »Denn, ehrlich gesagt, ich fange an, mir Sorgen zu machen.«

Er macht wieder dieses Geräusch, klopft sich fest auf die Brust und nimmt einen weiteren großen Schluck aus dem Becher. »Mir geht es gut, danke.«

»Freut mich, das zu hören. Ich dachte schon, er hätte Sie vergiftet.«

»Ich vergifte niemanden an seinem ersten Tag. Was den zweiten Tag angeht – das ist eine andere Geschichte.«

»Ich würde nicht herumlaufen und das jedem erzählen. Damit machen Sie sich selbst – und Frost Industries – strafbar, auch wenn jemand nur eine leichte Lebensmittelvergiftung davonträgt.«

Er macht einen Schritt zurück und mustert mich von Kopf bis Fuß. »Oh Gott! Sie sind eine von den Anwälten, oder?«

Unter anderen Umständen hätte es mich gefreut, dass es so offensichtlich ist, aber bei ihm klingt es nicht nach einem Kompliment. Was mich, wie ich zugeben muss, weiter anstachelt. »Ist das ein Problem?«

Bevor er antworten kann, tritt jemand hinter mir an den Tresen und bestellt einen Hawaiian Sunrise. Der Ausbilder plaudert mit ihm und füllt die Zutaten in den Mixer. Weniger als neunzig Sekunden später stellt er einen wunderschönen, orange-rosafarbenen Smoothie auf den Tresen. Der Mann zieht seinen Ausweis durch den Scanner, nimmt sein Getränk und verschwindet mit einem Winken.

Ich betrachte das Ganze und sehe ihn dann fassungslos an. »Ist das Ihr Ernst? Ist. Das. Ihr. Ernst?«

Er sieht niedlich aus, wenn er verwirrt ist. »Stimmt etwas nicht?«

»Sie haben ihm mein Getränk gegeben!«

»Nein, ich habe ihm sein Getränk gegeben.« Er tippt den Becher vor mir an. »Das ist Ihr Getränk.«

In diesem Moment weiß ich nicht mehr, was ich fühle. Ärger, sicher. Wahrscheinlich bin ich auch schockiert. Belustigung? Seltsamerweise auch das, ein bisschen. Dieser Typ ist so dreist, so frech, so unverschämt, dass ich nicht anders kann, als beeindruckt zu sein. Auch wenn ich entschlossen bin, ihn in seine Schranken zu weisen.

»Sind Sie immer so unausstehlich?«, will ich wissen.

»Nur wenn ich recht habe.«

»Ich dachte, der Kunde hat immer recht?«

Er legt den Kopf zur Seite und tut so, als würde er einen Moment nachdenken. Dann sagt er: »Nein. Nicht immer. Aber hey, wie wäre es damit? Ich mache Ihnen Ihr Getränk, wenn Sie den Ethan Special wenigstens probieren.« Er schiebt den Smoothie ein wenig näher zu mir hin. »Kommen Sie schon. Nur einen Schluck.«

»Ich wusste nicht, dass wir mitten in einer Verhandlung stecken.«

»Das Leben ist eine Verhandlung.«

»Nein. Es ist eine Schachtel Pralinen.« Ich beäuge den Smoothie. »Was, wenn er mir nicht schmeckt?«

»Was, wenn er Ihnen schmeckt?«

»Das ist ein unnötiges Risiko.«

»Fast alles ist ein unnötiges Risiko. Manchmal ist es die Belohnung wert, das Risiko einzugehen.« Jetzt lächelt er, aber der Blick in seinen Augen sagt mehr. Er wirkt interessiert. Es berührt etwas tief in mir, macht mich neugierig, auch wenn ich nie neugierig bin. Lässt mich etwas wollen, was ich sonst nie will.

Als ich das begreife, trete ich einen Schritt zurück und ich sehe ihn an, zum ersten Mal sehe ich ihn wirklich an. Er ist der typische kalifornische Surferidiot, abgesehen von seinem dunklen Haar. Das typische blaue Hurley-T-Shirt. Quiksilver-Shorts gestreift in Rot, Orange, Gelb und Blau. Ausgeblichene lederne Flip-Flops. Hübsches Gesicht. Dunkle Stoppeln auf dem Kinn. Zu lange Haare, die ihm in die Augen fallen. Und unter dem aufgerollten Ärmel seines Shirts blitzt ein Tattoo hervor. Absolut nicht die Art von Mann, die mir normalerweise gefällt.

Aber etwas an ihm wirkt vertraut. Und es fasziniert mich. Es bringt mich dazu, ihm nachgeben zu wollen, auch wenn ich sonst niemals nachgebe. Einen Moment lang, nur einen Moment lang denke ich darüber nach, diesen dummen violetten Shake zu nehmen und ihn zu trinken. Immerhin läuft mir die Zeit davon, und wenn ich nichts esse, wird das ein ziemlich langer Nachmittag.

Ich könnte auch einfach gehen, mir ein Sandwich und ein paar Früchte aus einem der Kühlregale nehmen und auf dem Weg zurück zu Gebäude drei essen. Aber das fühlt sich zu sehr nach einem Rückzug an. Und, das erkenne ich jetzt, es würde uns beide enttäuschen.

Das bedeutet, wir stecken in einer Sackgasse. Er, der darauf besteht, dass ich etwas Neues ausprobiere. Ich, die mit dem Altbewährten zufrieden ist. Es ist eine dumme Auseinandersetzung, vor allem mit einem Fremden, aber ich kann der Herausforderung in seinen Augen nicht widerstehen. Wir wissen beide, dass es um etwas anderes geht als nur einen blöden Smoothie.

Ich kann nicht glauben, dass ich es tun werde, kann nicht glauben, dass ich nach all diesem Gerede einen Schluck aus diesem verdammten Becher nehme, aber genau das mache ich. Ich nehme ihn, werde durch seinen Blick und die Anspannung in seinem Körper regelrecht genötigt, ihn zu nehmen. Aber gerade als sich meine Hand um den Becher legt, knurrt mein Magen. Laut.

Der Zauber ist augenblicklich vorbei, und ich werde rot vor Scham. So viel zu meiner Nervosität am ersten Tag. Es braucht nur eine Diskussion mit dem Typen von der Saftbar, und mein Appetit meldet sich auf einmal mit aller Macht zurück.

»Sie sind hungrig«, sagt er. In seiner Stimme liegt ein Bedauern, das ich nicht einordnen kann.

»Es ist Mittag. Das ist mein Mittagessen.«

Und schon steht er wieder am Mixer, füllt ihn mit geschnittenen Bananen und einer extra großen Portion Erdbeeren – das sind eindeutig mehr als sieben. Er fügt noch einen großen Löffel Proteinpulver hinzu, dann kommen das Sorbet und der Saft.

Kurz darauf steht ein extra großer Hawaiian Sunrise Smoothie vor mir.

Ich bin verwirrt. Und mit einem Mal auch unsicher, auch wenn ich nicht so genau weiß warum. Ich gewinne gerne. Davon bin ich ein bisschen besessen, also sollte ich froh sein, dass er so plötzlich aufgegeben hat. Aber ich bin es nicht, denn diesmal fühlt sich der Gewinn seltsamerweise an, als hätte ich verloren.

Unter seinem wachsamen Blick greife ich nach meinem Smoothie. Aber dann, in letzter Sekunde – fragt nicht warum, ich weiß es selbst nicht –, nehme ich seinen Smoothie, trinke einen großen Schluck, dann stelle ich den Becher zurück auf den Tresen.

Ich nehme meinen Smoothie und wende mich ab, ohne ihn noch einmal anzusehen. Ich kann es einfach nicht. Ich bin zu durcheinander von dem, was gerade passiert ist. Von dem, was ich getan habe und warum.

Ich bin gerade einmal ein paar Schritte gegangen, als er hinter mir herruft: »Hey!«

Ich drehe mich um, auch wenn ich mir selbst sage, dass ich das besser lassen sollte. »Ja?«

»Was halten sie davon? Vom Ethan Special, meine ich.«

»Genau das, was ich erwartet hatte. Er ist widerlich.«

Überrascht zuckt er zurück. »Widerlich? Wirklich?«

»Wirklich. Ich hasse Blaubeeren.«

Er sagt nichts mehr, und auch ich bleibe stumm. Aber zwischen uns steht eine Frage im Raum: Wenn ich Blaubeeren wirklich so sehr hasse, wieso habe ich seinen Smoothie probiert, auch wenn er mir meine Bestellung schon längst zubereitet hatte?

Ich weiß nicht, wie ich diese Frage beantworten soll, aber als ich weggehe, spüre ich seine Blicke auf mir. Und aus irgendeinem Grund bin ich mir sicher, dass nichts mehr so sein wird, wie es war, bis ich das Warum verstehe. Bis ich die Antwort auf diese Frage kenne.

Kapitel 2

»Hey, Chloe.« Meine Mitbewohnerin begrüßt mich, ohne von ihren Zehen aufzusehen, die sie in dem hässlichsten Giftgrün anmalt, das ich jemals gesehen habe. »Vor einer Stunde ist ein Paket für dich angekommen. Ich habe es dir aufs Bett gelegt.«

»Ein Paket?« Ich schließe die Appartementtür hinter mir, und das Erste, was ich mache, ist, die rubinroten Folterwerkzeuge, die ich den ganzen Tag an den Füßen mit mir herumgetragen habe, abzustreifen und durch die halbe Wohnung zu schleudern. Ich sehe ihnen mit einem gehässigen Gefühl von Zufriedenheit dabei zu, wie sie gegen die Seite des Esstisches prallen. So sollte man ein Paar Christian Louboutins, das tausend Dollar wert ist, zwar nicht behandeln, aber um ehrlich zu sein, ist es mir mittlerweile völlig egal. Diese Dinger werde ich nie wieder zur Arbeit tragen. Nie. Wieder. »Ich habe nichts bestellt.«

»Der Absender ist Frost Industries. Es ist ziemlich schwer, wahrscheinlich nur Papierkram. Du weißt schon, Vorschriften für Mitarbeiter oder etwas in der Art.«

»Möglich. Aber sie haben mir all das schon letzte Woche geschickt. Ich musste eine Verschwiegenheitserklärung und noch ein paar andere Dinge unterschreiben, bevor sie mich überhaupt aus der Personalabteilung rausgelassen haben.«

Ich lege meine Handtasche auf den Tisch neben der Tür und schäle mich elegant aus meinem Jackett. Ich liebe diesen Anzug, wirklich. Aber im Augenblick will ich nichts weiter, als ihn auszuziehen. Heute Abend wird definitiv ein Jogginghosenabend. »Ich bezweifle auch, dass sie mir das alles als Ausdruck schicken. Und sie versenden es bestimmt nicht mit UPS oder FedEx. Nicht, wenn sie mir das alles auch einfach heute auf der Arbeit hätten geben können.«

»Wie war die Arbeit denn? Hast du die Welt des biomedizinischen Ingenieurwesens an deinem ersten Tag im Sturm erobert?«

»Nicht wirklich. Aber ich habe es geschafft, mich nicht zu blamieren, das ist doch auch schon mal was.«

»In meinen Augen ist das ein absoluter Erfolg. Und du weißt, was das bedeutet – Champagner als Abendessen!«

Amüsiert werfe ich ihr einen Blick zu. »Meintest du nicht zum Abendessen?«

»Nur wenn du eine Spaßbremse sein willst.«

Man hätte meine Beziehung zu Tori nicht besser zusammenfassen können als in diesen sieben Worten. Sie ist sechs Monate älter als ich, und seit man uns in unserem ersten Jahr an der UCSD zusammen in ein Zimmer gesteckt hat, ist sie davon überzeugt, es sei ihre Bestimmung, mich zu verderben. Seit sie vor einigen Monaten einundzwanzig geworden ist, ist sie davon sogar mehr denn je überzeugt.

Um unserer Freundschaft Willen spiele ich mit und lasse sie in dem Glauben, es würde funktionieren.

Das seltsame und unerwartete Paket macht mich neugierig, also gehe ich den Flur hinunter in mein Zimmer. Tori hat ihre Pediküre mittlerweile beendet und steht auf, um mir zu folgen. Weil sie aber Angst hat, ihren frischen Nagellack zu verschmieren, watschelt sie auf ihren Fersen hinter mir her, die Zehen in die Luft gereckt. Ihr kurzes, zu spitzen Stacheln gegeltes Haar hat sie quietschgelb gefärbt. Die Frisur lässt sie aussehen wie eine Ente mit zu schwerem Kopf. Eine, die mit dem Flügel in einer Steckdose hängen geblieben ist.

Eigentlich ist sie ein wirklich hübsches Mädchen, mit wunderschönen, zarten Gesichtszügen und den eindringlichsten grünen Augen, die ich je gesehen habe. Aber ihr Aussehen ist ihr enorm wichtig, also doktert sie ständig daran herum, wechselt andauernd ihre Haarfarbe, ihr Make-up, ihre Klamotten. Sie hat mehrere Piercings, ein paar Tattoos, und einige Male hat sie es auch mit Ziernarben und Branding versucht. Sie sagt, sie koste ihre Jugend aus und versuche dabei herauszufinden, wer sie wirklich sei. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das Gegenteil der Fall ist. Seit ich sie kenne, versucht sie zu vergessen, wer sie ist. Sie will das traurige, reiche kleine Mädchen tief in sich drin loswerden, das ihr jedes Mal entgegensieht, wenn sie in den Spiegel schaut.

Ich habe mehrfach versucht, mit ihr darüber zu sprechen – dafür sind beste Freundinnen schließlich da –, aber jedes Mal, wenn ich das Thema anschneide, bringt sie mich abrupt zum Schweigen. Vielleicht sollte ich es vehementer versuchen, aber sie ist zerbrechlich – zerbrechlicher, als sie es jemals zugeben würde –, und ich habe Angst, sie geht daran kaputt, wenn ich etwas Falsches sage oder sie zu sehr bedränge. Meistens halte ich also einfach die Klappe. Was aber nicht bedeutet, dass ich mir keine Sorgen mache.

»Na los, mach es auf«, ermuntert sie mich von der Zimmertür aus, während ich einfach nur davorstehe und dieses wirklich große Paket betrachte. Es nimmt ungefähr ein Viertel meines Doppelbettes ein, und als ich es hochnehme, merke ich, dass Tori nicht übertrieben hat. Es ist wirklich schwer. Darauf steht auch Zerbrechlich, und ein paar Pfeile deuten auf die Aufschrift Diese Seite nach oben.

Jetzt bin ich genauso neugierig wie sie. Ich greife in meine Nachttischschublade und ziehe eine Nagelschere heraus. Damit bearbeite ich das Klebeband auf dem Karton. Das dauert zwar einige Minuten länger, als wenn ich in die Küche gegangen wäre, um ein Messer zu holen, aber schlussendlich ist der Karton offen. Nachdem ich ihn geöffnet habe, bin ich aber ebenso ratlos wie zuvor. In dem Paket sind keine Unterlagen aus meiner Abteilung. Keine Informationen für neue Mitarbeiter. Nur ein vierhundert Dollar teurer Gourmetmixer und mehrere Kilo Erdbeeren.

Ich muss sofort an ihn denken. Den Saft-Typ. Er ist derjenige, der mir das geschickt hat, das weiß ich sofort, nur das würde Sinn machen. Aber wie ist er an meine Adresse gekommen? Und wie kann sich ein Typ, der an einer Saftbar arbeitet, leisten, so viel Geld rauszuwerfen? Und selbst wenn er es sich leisten kann, wieso wirft er damit nach mir?

Mein Herz schlägt ein bisschen zu schnell, und während ich noch versuche, mir einzureden, dass das nur daran liegt, dass ich die Überraschung gruselig finde – wer so schnell an eine fremde Adresse kommt, muss ein Onlinestalker sein –, weiß ich doch, dass mehr dahintersteckt.

Er ist mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen, ebenso wenig wie meine seltsame Reaktion auf ihn. Egal wie er das angestellt hat, es ist schön, dass auch er an mich gedacht hat. Natürlich nur, wenn er kein Serienkiller ist, der meinen Kopf in einem Karton aufbewahren will. Damit hätte ich wirklich ein Problem.

Mit Erdbeeren und einem Mixer kann ich, trotz des hohen Preises, gut leben. Mit meinem Kopf in einem Karton eher nicht.

Während ich einfach nur dastehe, meine Geschenke betrachte und herauszufinden versuche, was das alles zu bedeuten hat, schleicht sich Tori hinter mich. Sie wirft einen Blick über meine Schulter. »Erdbeeren? Wer schickt dir denn Erdbeeren?«

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, und schließlich sage ich gar nichts. Starre einfach nur weiter auf die perfekten roten Beeren. Auf den rosafarbenen Körbchen, in denen sie liegen, ist der Name eines Bio-Bauernhofs aufgedruckt, der etwa fünfundzwanzig Meilen von hier entfernt ist, was bedeutet, er hat sich wirklich Mühe gegeben, damit das Paket so schnell hier war.

Die einzige Frage ist warum?

Tori interpretiert mein Schweigen als Unwissenheit und durchsucht den Karton. »Liegt keine Karte bei?«

»Ich sehe keine.«

Aber als ich eines der Erdbeerkörbchen hochhebe, entdecke ich eine elfenbeinfarbene Visitenkarte, die zwischen die Erdbeeren gerutscht ist. Darauf ist das Logo von Frost Industries geprägt, ebenso wie der Firmenname. Aber der Name unter dem Logo ist nicht richtig. Nicht dass ich den Namen des Saft-Typs kennen würde, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Surfertrottel von heute Mittag nicht Ethan Frost ist. Aber als ich die Karte umdrehe, ist auf die Rückseite in schwarzer, schwungvoller Handschrift eine Telefonnummer gekritzelt.

»Ethan-verdammt-noch-mal-Frost schickt dir Erdbeeren?«, fragt Tori ungläubig. »Wie ist das möglich? Er ist eine Legende. Ganz zu schweigen davon, dass er der begehrteste Junggeselle unter dreißig an der Westküste ist.«

»Die sind nicht von ihm. Natürlich sind die nicht von ihm. Die kommen von …«

»Wem?« Sie mustert mich misstrauisch.

»Einem Typ, den ich heute kennengelernt habe. Nicht Ethan Frost.«

»Bist du dir da sicher?« Sie schnappt sich das Körbchen und flitzt aus dem Zimmer. »Für mich sieht es nämlich so aus, als hätte er dir diese Schätzchen geschickt.«

»Hey!« Ich folge ihr, noch immer verwirrt. »Wo willst du damit hin?«

»Hast du noch nie Pretty Woman gesehen? Erdbeeren passen perfekt zu Champagner.«

»Wir können sie nicht essen!«

Sie sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Wieso nicht?«

»Weil wir nicht wissen, wo die herkommen!«

Tori schnappt mir die Karte aus den Fingern und wedelt damit in meinem Gesicht herum. »Sie kommen von Ethan-verdammt-noch-eins-Frost. Mir reicht das als Angabe.«

»Meinetwegen, aber mir reicht das nicht. Selbst wenn sie von ihm sind.«

»Oh, sie sind von ihm. Siehst du das Wasserzeichen auf der Visitenkarte? Und die Prägung? Das wäre ziemlich viel Geld, nur um eine falsche Karte herzustellen.«

»Aber warum?«, frage ich abermals und bin erschrocken über den weinerlichen Ton in meiner Stimme, der sich über meine sonst übliche Coolness legt. »Es ergibt keinen Sinn.«

Es ergibt absolut Sinn, flüstert eine leise Stimme in mir. Wenn ich die Puzzleteile zusammensetze, wenn ich es zulasse, darüber nachzudenken, weiß ich genau, was das alles zu bedeuten hat.

»Na ja, der Kerl ist dafür bekannt, verrückt zu sein. Brillant? Ja. Ein bisschen anders? Manchmal. Aber so richtig irre? Nicht einmal ansatzweise. Und das kann nur zwei Dinge bedeuten.« Sie hält einen Finger in die Höhe für den ersten Grund. »Entweder ist das das Begrüßungsgeschenk der Firma an alle Neuzugänge, die mit ihm arbeiten werden …«

Für einen Moment scheint sich meine Welt wieder zu normalisieren, während ich darüber nachdenke, wie wahrscheinlich diese Möglichkeit ist. Er ist ein großzügiger Mann, also vielleicht …

Aber bevor ich diesen Gedanken weiter ausführen kann, fährt Tori fort: »Aber ich bin mir sicher, und wir beide wissen das, das ist nur ein Haufen Mist. Die andere Möglichkeit, und die halte ich für wahrscheinlicher …«, sie beugt sich zu mir und wirft mir einen Blick zu, den sie wohl für verschwörerisch hält, »ist, dass heute auf der Arbeit sehr viel mehr passiert ist, als du mir erzählt hast. Und ich lasse mich nur dazu herab, dir zu verzeihen, wenn wir uns jetzt sofort zusammensetzen, diese köstlichen Erdbeeren essen und du mir dann alles erzählst.«

Mir bleibt keine andere Wahl, nicht, wenn sie mich so ansieht. Also beginne ich zu erzählen. Ich fange mit dem Augenblick an, als ich den Saft-Typ zum ersten Mal gesehen habe und höre nicht auf, bis ich zu der Stelle komme, an der er meinen Smoothie gemacht hat. Den Rest lasse ich – wie die Tatsache, dass ich seine widerliche Blaubeerenplörre getrunken habe – aus, weil ich selbst noch nicht weiß, warum ich es getan habe. Außerdem weiß ich auch noch nicht, wie ich mich deswegen fühle.

Tori ist von jedem meiner Worte gefesselt – aber sie stammt aus einem der elitärsten Kreise, die die Westküste zu bieten hat, und sie weiß daher von Insiderklatsch, von dem ich nicht einmal die leiseste Ahnung habe. Meine Familie hat erst spät, sehr spät, die Welt der Reichen und Berühmten betreten, noch dazu in Boston, wo die Dinge etwas anders laufen. Und da ich, außer mit meinem Bruder, mit keinem anderen Familienmitglied mehr rede, weiß ich auch nicht besonders viel über den Klatsch der Ostküstenelite. Und genauso mag ich es auch.

»Du weißt, dass er es war, oder?«, fragt Tori und schenkt sich selbst das dritte Glas Champagner ein. Ich bekomme ebenfalls etwas ab, auch wenn ich immer noch bei meinem ersten Glas bin. Ihr missbilligender Blick sagt mir, dass sie das bemerkt hat. »Er muss es einfach gewesen sein.«

Ich hoffe nicht. Gott, ich hoffe wirklich nicht. Denn wenn der Saft-Typ wirklich Ethan Frost ist … Wenn er es wirklich ist, habe ich meinen ersten Tag damit verbracht, mich mit dem Boss von meinem Boss von meinem Boss von meinem Boss anzulegen. Und das ist nicht besonders höflich. Die Vorstellung ist völlig verrückt – und doch ergibt es Sinn. Ich hatte das Gefühl, dass er mir bekannt vorkam, aber ich hatte es darauf geschoben, dass die Hälfte der Surfer in Kalifornien aussieht wie er. Mir war nie der Gedanke gekommen, dass er mir bekannt vorkam, weil ich ihn vor ein paar Monaten gegoogelt und einige Bilder von ihm gesehen hatte, nachdem ich mich für das Praktikum beworben habe.

Außerdem sah der Saft-Typ überhaupt nicht aus wie der Ethan Frost auf den Fotos. Ich meine, ja, er hat blaue Augen und dunkles Haar, aber … Oh Scheiße. Er könnte es wirklich sein.

»Es gibt nur einen Weg, um sicherzugehen.« Tori will wohl sichergehen, dass ich meinen Verstand verliere. Sie nimmt ihr Tablet vom Esstisch, wo sie es vorher abgestellt hat.

Zwei Minuten später starre ich auf eine Menge Bilder auf Google. Fast alles sind Paparazzi-Schnappschüsse von Ethan Frost. Der ziemlich sicher auch der Saft-Typ ist. Auf den meisten Bildern trägt er einen teuren Anzug oder einen Frack. Sein schwarzes Haar ist ordentlich zurückgekämmt und sein Tattoo vollständig bedeckt. Auf einigen anderen Bildern ist er legerer gekleidet – Anzughose und ein Hemd mit aufgeknöpftem Kragen oder Designerjeans und ein Pullover zu abgewetzten, teuren Stiefeln.

Aber er ist es eindeutig. Die gleichen indigofarbenen Augen. Die gleichen, wie aus Stein gemeißelten Wangenknochen und der kantige Kiefer. Die gleichen breiten Schultern und schmalen Hüften. Selbst die unglaublich langen Wimpern erkenne ich wieder.

Aber noch immer will ich es nicht glauben. Denn wenn er es ist, bin ich völlig und endgültig im Arsch.

Die nächste Stunde verbringe ich damit, mich durch Dutzende von Seiten und Tausende von Bildern zu klicken. Einige Bilder zeigen ihn mit wunderschönen Models und Hollywoodsternchen, andere, wie er Reden hält oder Auszeichnungen überreicht bekommt. Dann finde ich aber endlich, was ich suche. Ein Foto von ihm am Strand, mit Surfershorts und einem Surfbrett unter dem Arm. Sein Oberkörper ist nackt, von seinen harten Bauchmuskeln – gibt es so etwas wie ein Eightpack? – tropft Meerwasser, und auf seiner Schulter sehe ich sein blauschwarzes Tattoo in voller Größe, von dem ich zuvor nur Andeutungen gesehen habe. Es sind Wellen im Tribal-Stil. Seine Haare sind zerzaust, zu lange Strähnen bedecken seine Stirn und Teile seines Gesichts – und er lächelt. Ein echtes Lächeln, nicht das, welches er auf den ganzen Promi-Bildern aufgesetzt hat. Das gleiche Lächeln habe ich heute bei ihm gesehen, als er mich aufgezogen hat. Ein breites, fröhliches Lächeln, bei dem er Lachfalten in den Augenwinkeln bekommt, und es bestärkt mich darin, dass ich mit meinen Vermutungen richtigliege.

Dieser Saft-Typ, dieser Surfertrottel und der visionäre Geschäftsführer von Frost Industries sind ein und dieselbe Person. Der Boss von meinem Boss von meinem Boss. Großartig. Kein Wunder, dass der andere Typ an der Saftbar seine Zunge verschluckt hatte. Es tut mir leid, dass ich ihn an den Rand eines Herzinfarkts getrieben habe, aber er hätte ja auch so freundlich sein können, einen Ton zu sagen. Eine Andeutung wäre genug gewesen. Er hätte ihn einfach beim Namen nennen können, ich hätte den Hinweis verstanden, anstatt mich weiter selbst zu blamieren.

»Stimmt etwas nicht?«, fragt Tori, nachdem sie endlich vom Tablet auf- und in mein Gesicht gesehen hat.

»Ob etwas nicht stimmt? Machst du Witze? Es ist ein Wunder, dass er mich heute Nachmittag nicht gefeuert hat!«

»Dich feuern? Weswegen?«

»Oh, ich weiß nicht. Möglicherweise wegen Aufmüpfigkeit.« Ich stehe kurz davor zu hyperventilieren – oder zumindest davor auszuflippen. Ich lege meinen Kopf auf meinem Arm ab, der auf dem Sofa liegt, und versuche mir zu überlegen, was ich machen soll. Soll ich um einen Termin bei ihm bitten, um mich dafür zu entschuldigen, dass ich so eine Zicke gewesen bin? Oder tue ich einfach so, als wäre nichts passiert? Möglicherweise könnte ich ihm auch einen Entschuldigungsbrief schreiben. Oder …

Meine Gedanken werden vom Schnauben meiner Mitbewohnerin unterbrochen. »Du übertreibst. Es war keine Aufmüpfigkeit, wenn du nicht wusstest, wer er war. Und das wusstest du eindeutig nicht. Außerdem ist er ziemlich sicher nicht wütend auf dich, denn sonst hättest du einen Brief bekommen, mit dem er dein Praktikum vorzeitig beendet, anstatt dieses großartigen Mixers. Und die Erdbeeren.« Sie schiebt sich noch eine in den Mund und kaut enthusiastisch darauf herum.

Allein die Vorstellung, mein Praktikum vorzeitig beenden zu müssen, bringt mich noch mehr zum Ausflippen. Ich brauche dieses Praktikum. Ich muss es haben. Nur damit komme ich an die juristische Fakultät. Ich brauche es für ein Stipendium, ich brauche die Referenzen, damit ich die nächste Phase im Plan für mein Leben in Angriff nehmen kann.

Und – das ist das Allerwichtigste – mit diesem Praktikum bin ich nicht auf meine Eltern angewiesen. Sie bieten mir über meinen Bruder immer wieder Hilfe an, in E-Mails, die ich nicht beantworte, und durch Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, die ich nicht mehr abhöre – ich will ihr Geld nicht. Ich will nichts von ihnen. Und dieses Praktikum ist eine der Stufen auf dem Weg dahin, dass ich nie wieder etwas von ihnen annehmen muss.

Gott, ich fange wirklich an zu hyperventilieren. Ich beuge mich vor und presse die Stirn auf meine Knie. Der Raum um mich herum wird dunkler, aber ich konzentriere mich darauf, tief durchzuatmen. »Himmel, Chloe.« Tori beugt sich zu mir und klapst mir auf den Hinterkopf. »Lass das. Nichts davon ist deine Schuld.«

Es fühlt sich aber an, als wäre es meine Schuld. Warum habe ich mir nicht mehr Fotos von Ethan Frost angesehen anstatt nur Zeitungsartikel über seine Vorgehensweisen, das, was er erreicht hat, und seinen genialen Geist zu lesen?! Dann hätte ich ihn erkannt, und nichts von dem hier wäre passiert. Ich hätte dann zwar auch nicht mehr als einen Schluck von diesem blöden Smoothie genommen, aber ich wäre auf jeden Fall sehr viel eleganter aus dieser Sache herausgekommen. »Ernsthaft, Chloe, entspann dich!« Tori packt meine Schultern und schüttelt mich ein wenig. »Das macht kein Mann, der wütend ist. Er ist von dir fasziniert, nicht genervt.«

Ich will ihr widersprechen, aber für einen Moment – nur einen Moment – erinnere ich mich an den Ausdruck auf seinem Gesicht, als er bemerkte, dass ich hungrig war. Seinen Blick, als er den Hawaiian Sunrise Smoothie vor mich hingestellt hat. Die Art, wie angespannt er war, als ich einen Schluck von seinem Ethan Special genommen habe. Der Name ergibt jetzt auch auf einmal Sinn. Und ich frage mich, ob Tori nicht doch recht hat.

»Er hat dir seine Nummer gegeben«, fährt sie fort. »Er will mit dir ausgehen, nicht dich feuern.« Sie klatscht in die Hände. »Das ist großartig! Ethan Frost ist dein Verehrer!«

Sie ist so begeistert, dass sie meinen fehlenden Enthusiasmus gar nicht bemerkt. Ich will sie nicht aus ihrem Traum aufwecken, aber wenn das stimmt, ist es sogar noch schlimmer für mich, als wenn er wütend auf mich wäre. Denn ich will kein Date mit Ethan Frost. Ich will für ihn arbeiten.

Nicht dass ich per se etwas gegen ihn hätte. Ich will nur einfach mit niemandem ausgehen.

Oh, Tori liegt mir schon seit Jahren in den Ohren damit, dass ich mehr ausgehen soll. Ein paar nette Jungs treffen und mit ihnen »zusammen rumhängen«. Sie hat auch schon diverse Blind Dates für mich organisiert – ohne meine Erlaubnis – und mir nichts davon gesagt, bis es für mich zu spät war, um da wieder rauszukommen. Aber sie kapiert es einfach nicht. Sie versteht nicht, dass ich nicht mit einem Mann ausgehen will. Ich will kein zwangloses Date. Und ganz sicher will ich keine Beziehung.

Allein der Gedanke daran lässt mich schaudern. Die Beziehung meiner Eltern ist eine wandelnde Reklametafel dafür, was man alles falsch machen kann, und meine eigene Vergangenheit – der Teil davon, von dem Tori kaum etwas weiß – lässt es einfach nicht zu.

Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist ein Mann wie Ethan Frost, der sich für mich interessiert. All das Geld, all diese Macht, all diese Privilegien … Allein beim Gedanken daran dreht sich mir der Magen um.

Sie greift nach der Karte, die seit einer Stunde unbeachtet auf dem Tisch liegt. »Du solltest ihn unbedingt anrufen.«

Ich sehe sie an, als hätte sie den Verstand verloren. So langsam bin ich mir sicher, dass ich damit auch recht habe. »Ich werde ihn nicht anrufen.«

»Aber du musst. Du solltest dich zumindest für das großzügige Geschenk bedanken.«

Das sollte ich, aber ich will nicht. Um ehrlich zu sein, will ich nichts weiter von ihm als das Praktikum, das mir seine Firma angeboten hat. Ich brauche den Mixer nicht. Auch nicht die Erdbeeren, obwohl ich zugeben muss, dass sie ein charmantes Geschenk sind. Ich brauche auch seine Aufmerksamkeit nicht. Und ganz eindeutig und absolut sicher brauche ich dieses nervöse Gefühl nicht, das mich heute überkommen hat, als ich in seiner Nähe war. Diese Schmetterlinge, die irgendwie schlimmer und gleichzeitig besser waren als normale Nervosität, weil sie ein Zeichen dafür sind, dass ich mir seiner Nähe bewusst bin. Und das raubt mir den letzten Nerv.

»Ich schreibe ihm eine E-Mail.«

»Aber auf der Karte steht keine Mail-Adresse.«

»Dann schreibe ich ihm einen Brief. Immerhin weiß ich ja, wo er arbeitet.«

»Einen Brief?« Sie sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

»Ja. Einen Brief.« Die Idee beginnt mir zu gefallen. »Dann kann ich auch gleich den Mixer zurückgeben. Einfach und schnell.«

»Einfach und schnell? Wie alt bist du? Neunzig?« Tori sieht wirklich verärgert aus. »Versteh das nicht falsch, aber einfach und schnell ist nicht der richtige Weg, damit Ethan Frost dich beachtet. Seine Geschenke zurückzugeben auch nicht.«

Genau. Mein Plan klingt mit jeder Sekunde besser. »Ich will nicht, dass Ethan Frost mich beachtet. Er interessiert mich nicht.«

Meine Mitbewohnerin seufzt übertrieben und räkelt sich träge auf der Couch. »Dir ist schon klar, dass du die einzige Frau in der Geschichte bist, die diese Worte gesagt hat. Jemals.«

»Bestimmt nicht. Denk nur an all die Lesben da draußen.«

Sie verdreht die Augen. »Okay. Die einzige heterosexuelle Frau.«

»Und trotzdem fühle ich mich gut damit.«

»Schon gut, schon gut.« Sie greift nach ihrem Champagnerglas und wedelt damit vor meiner Nase herum. »Wenn ich dir schon dabei zusehen muss, wie du eine einmalige Chance wie diese verstreichen lässt, kann ich dabei wenigstens auch ordentlich beschickert sein. Füll mal nach.«

Ich lache, weil sie das von mir erwartet. Ich schenke ihr sogar Champagner nach, auch wenn ein Teil von mir glaubt, dass sie bereits genug hatte. Aber in Gedanken formuliere ich bereits den Brief an den Saft-Typ. Ethan. Mr Frost.

Ja. »Mr Frost« ist genau richtig.

Kapitel 3

Sehr geehrter Mr Frost,

auch wenn ich gerührt bin von ihrem aufmerksamen Geschenk, sehe ich mich doch außerstande, es anzunehmen. Solch ein kostbarer Mixer –

Sehr geehrter Mr Frost,

auch wenn ich mich geehrt fühle angesichts ihres aufmerksamen und schönen Willkommensgeschenks, wäre es doch unangemessen, es anzunehmen. Als Praktikantin steht es mir nicht zu, irgendeine Art der Bezahlung –

Sehr geehrter Mr Frost,

vielen Dank für ihr aufmerksames Geschenk. Dennoch denke ich, dass es unangemessen wäre, es anzunehmen. Die dadurch entstandenen Unannehmlichkeiten bitte ich zu entschuldigen und danke Ihnen für Ihr Verständnis.

Es war schön, Sie gestern kennengelernt zu haben. Ich danke Ihnen für die Mühe, die Sie sich gemacht haben, damit ich mich willkommen fühle.

Hochachtungsvoll

Chloe Girard

Es klingt verrückt, aber ich habe die halbe Nacht gebraucht, um diesen dämlichen Brief an den Saft-Typ zu schreiben. Ethan. Mr Frost. Wer zur Hölle er auch sein mag. Mir ist es auch egal, wie er genannt werden will, denn ich habe nur noch zweieinhalb Stunden, um etwas schlafen zu können. Und ich fühle mich jetzt schon wie ein Schauspieler aus The Walking Dead.

Siebenundzwanzig Entwürfe. So viele Versionen dieses blöden Briefes habe ich geschrieben. Bei Version Nummer sechzehn war ich kurz davor aufzugeben. Ich habe die ganze Sache verflucht. An diesem Punkt gab sogar Tori auf und ging ins Bett, und fast hätte ich es ihr nachgemacht. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, morgen den Mixer in seinem Büro abzugeben ohne auch nur eine kurze Notiz dabei, also blieb ich dran. Fünf Sätze in sechs Stunden. Das ist bestimmt irgendein Weltrekord – einer von der bekloppten Sorte.

Unnötig zu erwähnen, dass das morgendliche Work-out ausfallen muss. So müde wie ich bin, würde ich wahrscheinlich auf dem blöden Laufband einschlafen und mich damit am Ende noch umbringen.

Ich will dreißig Minuten früher auf der Arbeit sein. Das muss reichen, um zu Gebäude Nummer eins zu kommen, in dem sich das Büro des Geschäftsführers befindet. Dort kann ich das Paket abliefern und werde rechtzeitig im zweiten Stock von Gebäude Nummer drei sein, wo sich mein Büro befindet, und ich werde wahrscheinlich sogar noch Zeit übrig haben. Aber diese zusätzliche halbe Stunde verliere ich wieder im Verkehr. Als ich endlich ankomme, habe ich nur noch zehn Minuten, um das Paket abzuliefern.

Ich könnte natürlich auch bis zur Mittagspause warten, aber ich will es endlich aus meinem Auto und aus meinem Kopf haben. Nur dann kann ich mit meinem Tag weitermachen und muss nicht mehr an den Saft-Typ – Mr Frost – denken. Sein Büro befindet sich im obersten Stockwerk, was bedeutet, ich muss ewig auf den Fahrstuhl warten, weil ich nie die Treppen nehme. Niemals. Normalerweise habe ich kein Problem mit Fahrstühlen, aber ich habe nur noch acht Minuten, und das Warten auf den Fahrstuhl kostet mich Zeit.

Also versuche ich es mit der Treppe, öffne die Tür zum Treppenhaus und wage einen Schritt hinein. Aber das reicht schon, damit mir der Schweiß ausbricht und die furchtbaren Erinnerungen über mich hereinbrechen. Nein, auf keinen Fall. Also doch den Fahrstuhl.

Als ich endlich den fünften Stock erreicht habe, laufe ich direkt in das üppig – sagen wir lieber opulent – ausgestattete Wartezimmer. Ich muss gar nicht erst auf das Schild sehen, um zu wissen, dass ich das Büro des Geschäftsführers gefunden habe. Überfüllte Sofas, dicke Teppiche, teure Kunst – alles in kräftigen Herbstfarben gehalten, in Gold-, Rot- und Brauntönen. Selbst die Kaffee- und Beistelltische sind aus dunklem schwerem Holz und nicht aus Glas und Chrom, wie man es heutzutage in jedem Büro sieht. Ich muss zugeben, es ist interessant, dass einer der technikaffinsten Männer der Welt das Vorzimmer seines Büros vollgestellt hat mit antiken Möbeln.

Nicht dass es wichtig wäre, aber das ist ein weiterer Widerspruch an ihm. Surftrottel vs. Technikgenie. Saft-Typ vs. Firmenchef. Antiquitätensammler vs. Visionär. Ich bin, ohne es wirklich zu wollen, fasziniert. Der Teil von mir, der entschlossen ist herauszufinden, wie die Dinge zusammenhängen, will all diese Facetten von ihm vor sich ausbreiten und dabei zusehen, wie ich sie zusammensetze, um zu sehen – wirklich zu sehen – was für ein Bild sie ergeben. Wie sie alle zusammenhängen.

Dazu werde ich aber niemals eine Chance bekommen. Ich bin hier, um den Mixer zurückzugeben. Alles andere steht völlig außer Frage.

Am Empfang sitzt eine attraktive ältere Frau, und ihr Blick sagt: »Ich könnte es mit dem Teufel aufnehmen und würde gewinnen«, und wahrscheinlich hat sie das bereits getan. Ich nähere mich ihr, und sie mustert mich von oben herab, was eine Leistung ist, denn sie sitzt und ich bin fast eins fünfundsiebzig groß. Der Blick, mit dem sie mich ansieht, ist ziemlich gut, und ich schwöre mir, ihn täglich zu üben, bis ich ihn selbst beherrsche. Irgendwann in meiner Karriere als Patentanwältin wird dieser Blick bestimmt mal nützlich sein.

»Haben Sie einen Termin?«, fragt sie, als ich vor ihrem Schreibtisch stehen bleibe. Sie sieht kein einziges Mal auf den riesigen Karton in meinem Arm, was für ihre hervorragende Selbstbeherrschung spricht, denn es kommen wahrscheinlich nicht jeden Tag Leute mit riesigen Mixern unter dem Arm ins Büro des Firmenchefs. Aber was weiß ich schon? Vielleicht schickt Ethan Frost wirklich all seinen Mitarbeitern Vitamixe – was bedeuten würde, ich stünde noch dümmer da als bisher schon, wenn ich ihn zurückgebe.

»Ich habe keinen Termin. Aber –«

»Mr Frost empfängt niemanden ohne Termin.«

»Das verstehe ich. Ich will nur –«

»Sie können ihm gerne eine Nachricht mit Ihrem Namen, Ihrer Nummer und Ihrem Anliegen hinterlassen. Ich werde die Nachricht weitergeben. Wenn er Sie empfangen will, werden Sie in den nächsten vierundzwanzig beziehungsweise achtundvierzig Stunden angerufen, um einen Termin zu vereinbaren.«

Während der ganzen Ansprache bewahrt sie einen absolut höflichen Ton, schafft es aber trotzdem, mich wütend zu machen. Vielleicht wegen der Art und Weise, wie sie mich ansieht – als wäre ich nur ein Insekt, das um den hochverehrten Mr Frost herumschwirrt. Vielleicht aber auch, weil sie zu wissen glaubt, was ich sagen werde, bevor ich es überhaupt gesagt habe. Ich weiß, sie ist die erste Verteidigungslinie zwischen der Öffentlichkeit und einem der beliebtesten Firmenchefs des Planeten, aber mal im Ernst: So toll ist er auch wieder nicht.

Lügnerin. Diese leise Stimme in mir ist wieder da, aber diesmal weigere ich mich einfach, ihr zuzuhören. Vor allem, nachdem sie es war, die mir das letzte Mal diesen ganzen Schlamassel eingebrockt hat. Also warte ich einfach ab, bis die Sekretärin ihren Stift und Notizblock genommen hat, und sage: »Ich brauche keinen Termin mit Mr Frost.«

Sie seufzt schwer. »Jeder braucht einen Termin, wenn man –«

Mir reicht es jetzt, vor allem, weil mir die Zeit davonläuft, also unterbreche ich sie, indem ich den Mixer mit lautem Knall auf ihren Schreibtisch fallen lasse. »Ich will ihm nur das hier zurückgeben. Es lag kein Zettel bei, aber ich bin mir sicher, er weiß, von wem er kam. Danke.«

Ich drehe mich um und gehe, bevor sie etwas sagen kann. Während ich auf den Fahrstuhl warte, spüre ich ihren Blick im Rücken und versuche, nicht herumzuzappeln, während mir die kostbaren Sekunden und Minuten durch die Finger rinnen.

Als es acht Uhr ist und ich offiziell zu spät zur Arbeit bin, reicht es mir mit der Warterei. Auch wenn es mir bei dem Gedanken an das Treppenhaus den Magen umdreht, habe ich doch mehr Angst davor, zu spät zur Arbeit zu kommen. Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, auf diese Weise bei meinem neuen Boss aufzufallen.

Die Angst, mich zu blamieren und aus irgendeinem Grund das Praktikum zu verlieren, bringt mich dazu, auf die Treppe zuzugehen. Es ist helllichter Tag in einer der angesehensten Firmen des Landes. Es gibt keinen sichereren Ort für mich, um eine Treppe hinunterzugehen, also sollte ich aufhören, mich wie ein Baby zu benehmen, und es einfach tun.

Ich habe die ersten Stufen hinter mich gebracht – was mir Gott sei Dank heute in meinen marineblauen Pumps leichtfällt, wenn ich heute diese lächerlichen Louboutins anhätte, würde es ganz anders aussehen –, als ich über mir eine Tür zuschlagen höre. Auch wenn ich weiß, dass es lächerlich ist und dass ich vollkommen sicher bin, läuft mir ein eiskalter Schauder über den Rücken. Wie erstarrt bleibe ich für endlos lange Sekunden stehen.

Panik verkrampft mein Innerstes, ich atme hastig, und mein Herz rast. Das habe ich gebraucht – ich kann mich wieder bewegen und renne die Stufen gerade schnell genug hinunter, um nicht auszusehen wie eine Irre.

Aber wer auch immer hinter mir herläuft, ist schneller als ich. Ich höre die Schuhe auf den Betonstufen und weiß, er holt auf. Er kommt näher und näher, und ich weiß, ich habe nur noch die Option, zu kämpfen oder zu fliehen. Bilder aus der Vergangenheit überkommen mich, und meine Instinkte schreien mir zu, dass ich weglaufen soll, meine Würde zur Hölle jagen und einfach laufen soll, so schnell, wie ich nur kann.

Ich höre auf sie, beginne in Richtung Erdgeschoss zu rennen, und meine Tasche baumelt nur noch an meinen tauben Fingerspitzen. Es wäre wahrscheinlich besser, das Treppenhaus im zweiten Stock zu verlassen, aber es ist noch immer früh, und auf den oberen Fluren ist kaum jemand. In der Lobby stehen meine Chancen besser. Wenn ich sie nur erreiche –

Mein Absatz bleibt an der Kante einer Stufe hängen, ich strauchle und falle. Bis zum Fußende der Treppe sind es noch etwa sechs oder sieben Stufen, und ich weiß, ein Sturz wird wehtun. Außerdem bekäme mein Verfolger dadurch die Chance zu bekommen, was er will.

Verzweifelt versuche ich, den Fall zu stoppen, kralle mich ans Geländer und versuche, mich wieder zu fangen. Es funktioniert nicht. Das kühle Geländer rutscht mir durch die Finger. Ich fühle einen Schlag, gefolgt von einem scharfen Schmerz in meiner Hüfte. Aber ich schenke dem Schmerz nicht viel Beachtung; ich bin zu sehr damit beschäftigt, mich nicht zu verletzen. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass der Aufprall unvermeidlich ist, also mache ich mich dafür bereit. Ich ziehe den Kopf zwischen die Schultern und versuche, mich zu einem Ball zusammenzurollen, wie es mir mein Selbstverteidigungslehrer beigebracht hat.

Aber bevor ich aufschlage, greift eine starke Hand nach meinem Arm, und ich werde mitten im Fall aufgefangen. Es ist der Mann, der mich verfolgt hat. Ich weiß es. Und während meine Logik darauf besteht, dass ich vor jemandem, der meinen Sturz abgewehrt hat, keine Angst haben muss, hat mich der Geist aus der Vergangenheit eingeholt. Krallt sich in mich. Würgt mich. Zerstört meinen Seelenfrieden, für den ich so hart gekämpft habe.

Ich bin außer mir vor Angst, getrieben allein durch meine Instinkte. Ich schlage um mich und versuche, nach ihm zu treten, auch wenn ich noch halb in der Luft hänge.

Er wehrt meine Tritte ab und zieht mich mit der anderen Hand zu sich heran. Er zieht weiter, bis meine Füße wieder auf der Stufe stehen – und zieht mich in seine Arme, mein Rücken ihm zugewandt.

Er umgibt mich von allen Seiten, ich spüre die Härte seiner Brust, sein Bauch und seine Schenkel pressen sich an mich, und sein Duft steigt mir in die Nase. Er riecht wie der Ozean an einem wilden, stürmischen Tag. Wie Mondlicht auf offenem Wasser. Wie Regen, der auf Blätter fällt. Und unter all dem liegt, kaum wahrnehmbar, der Geruch nach Blaubeeren.

Mit einem Mal weiß ich, wer mich festhält, sogar noch bevor er knurrt: »Verdammt, Chloe. Hör auf, dich zu wehren. Ich habe dich doch.«

Der Saft-Typ. Mr Frost. Ethan.

Plötzlich bin ich wütend, so voller Wut, dass sie sogar stärker ist als die Angst davor, von ihm auf so intime Weise gehalten zu werden. Natürlich ist er es. Warum auch nicht? Das Universum scheint sichergehen zu wollen, dass er dabei ist, wenn ich mich zum Trottel mache.

Andererseits: Wenn er nicht gewesen wäre, wären mir diese ganzen blöden Sachen gar nicht passiert. Ich wäre verdammt sicher gerade nicht in diesem verdammten Treppenhaus und wäre auch nicht beinahe hingefallen. Ich würde auch nicht hier stehen, auf so vertraute Weise an einen eigentlich völlig fremden Mann gepresst, während meine Nerven bis zum Zerreißen gespannt sind und mir das Herz fast aus der Brust springt.

»Können Sie mich bitte loslassen?« Ich winde mich in seinen Armen und versuche, meinen Ellenbogen aus seinem Griff zu befreien. Nicht die klügste Entscheidung, aber er muss mich loslassen. Seine Berührungen lösen so einiges in mir aus, aber ich kann mit nichts davon etwas anfangen.

Aber Ethan interessiert das nicht. Er hält mich sanft, ohne mir wehzutun, und führt mich die letzten sechs Stufen hinunter, bis wir den Treppenabsatz erreichen, der in die Lobby führt. Erst dann lässt er mich los und macht einen Schritt zurück.

Lange Zeit sagt keiner von uns beiden etwas. Ich weiß, er wartet darauf, dass ich ihn ansehe, und ich weiß, er wird den ganzen Tag darauf warten, wenn es sein muss. Aber ich kann mir diesen Luxus nicht leisten, also drehe ich mich schlussendlich widerwillig zu ihm um. »Danke, dass Sie mich aufgefangen haben«, sage ich.

Eigentlich will ich ihm sagen, dass es seine Schuld ist und ich ohne ihn gar nicht erst gefallen wäre, aber in den letzten vierundzwanzig Stunden habe ich ihn genug verärgert. Ich muss ihn nicht auch noch darum anbetteln, mich zu feuern. Und nachdem ich jetzt weiß, wer mich die Treppe hinuntergejagt hat, wirke ich nach meinem Sturz ein bisschen so, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank – selbst ohne zu erklären, woher meine Angst kommt.