Rulebreaker - Sophia Chase - E-Book

Rulebreaker E-Book

Sophia Chase

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Beschreibung

In meinem Leben geht es nur darum, mich an Regeln zu halten, um zu überleben. Aber um diese Frau zu bekommen, muss ich meine Regeln brechen. Und für Grace bin ich sogar bereit, alles aufs Spiel zu setzen … Matt Price liebt das Risiko. Als erfolgreicher CEO hat er das Spiel von Einsatz und Gewinn perfektioniert, um das zu bekommen, was er haben möchte. Doch er weiß, dass er sich von Grace fernhalten sollte, um sie nicht mit in seine Abgründe zu reißen. Denn diese sind tief und könnten für die Menschen, die ihm etwas bedeuten, äußerst gefährlich werden. Aber was zum Teufel macht Grace beim Familiendinner im Haus seines Stiefvaters? Wer ist sie?

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Inhaltsverzeichnis

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

Rulebreaker

Sophia Chase

RULE

BREAKER

Deutschsprachige Erstausgabe März 2019

Copyright © 2019 Sophia Chase

Alle Rechte vorbehalten

Impressum: J. Schumann

Bergstr. 4

A-4282 Pierbach

Nachdruck, auch auszugsweise, nicht gestattet.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Covergestaltung: Catrin Sommer www.rausch-gold.com

Autorenfoto: Melanie Eichenauer, www.studio-eichenauer.at

Lektorat: Dr. Antonia Barboric

Alles, worauf die Liebe wartet, ist die Gelegenheit.

(Miguel de Cervantes)

KAPITEL 1

Grace

Die Wohnung meines Vaters liegt in einer ruhigen Seitenstraße. Bäume säumen die Gehwege, doch nicht nur, dass ich mich in der Flora zu wenig auskenne, um ihre Gattung genauer identifizieren zu können – ich finde diese grünen Monster im Moment schlicht unnötig.

Da – wieder ein vermeintlicher Parkplatz, verschwendet für einen Baum, der aussieht, als ob er vom Blitz getroffen worden wäre.

Meine Scheibenwischer laufen auf Hochtouren, und weil sich meine dunkelroten High Heels vorhin, als ich zu meinem Auto lief, mit Wasser gefüllt haben, rutsche ich ständig vom Gaspedal, was mein Audi jedes Mal mit einem grässlichen Stottern quittiert. Erneut ruckelt mein Wagen, und ich stoße einen leisen Wutschrei aus.

Ich drehe bestimmt schon die vierte Runde um das Gebäude, in dem mein Vater wohnt. Mit jedem Meter mehr, den ich unnötig zurücklege und keinen Parkplatz finde, steigert sich meine Wut. Ich habe längst Dads Zehn-Minuten-Verspätungstoleranz überschritten. Doch diesmal ist einzig und allein das ungeplante Meeting an meiner Unpünktlichkeit schuld … aber vielleicht auch meine Idee, heute zur Abwechslung einmal selbst zu fahren. Hätte ich ein Taxi genommen, wäre die Parkplatzfrage jetzt natürlich hinfällig. So kurve ich jedoch bereits zum fünften Mal entnervt um die Ecke, als – dem Himmel und allen Göttern dieses Universums sei Dank – irgendein Typ doch endlich mit seinem Wagen wegfährt und einen Parkplatz freigibt.

Ich lauere hinter ihm und beobachte seine Ausparkkünste geschlagene zwei Minuten, ehe mir der Geduldsfaden reißt und ich mit der Faust auf die Hupe donnere.

„Willst du dein Scheißauto rausheben?! Fahr endlich weg!“, brülle ich gegen die Windschutzscheibe und verspüre das dringende Bedürfnis auszusteigen und den Typen zur Rede zu stellen.

Irgendwie schafft es der Penner dann doch endlich, seinen unsexy Smart auszuparken. Ich brettere in die Parklücke, bin zum Glück gleich drin und schnappe mir meine Handtasche. Während ich die Tür öffne, denke ich kurz an meinen Regenschirm, der wohlbehütet und ungebraucht in meiner Wohnung liegt. Mit meiner Handtasche als behelfsmäßigem Regenschutzschild flitze ich los, um ein Parkticket zu lösen. Meine dunkelblonden, sonst leicht gelockten Haare, kleben mir bereits nass in Strähnen auf dem Kopf. Von ihren Spitzen breiten sich winzige Rinnsale über meinen Rücken aus und durchnässen vollständig mein dunkelrotes Satinkleid. Doch darüber will ich mir jetzt gar keine Gedanken machen.

Während ich die dreihundert Meter, die mein Auto von Dads Wohnung trennen, mehr stolpere als renne, stelle ich mit einiger Bitterkeit fest, dass ich in den vergangenen Monaten vergessen habe, wie man außerhalb der Arbeit lebt. Selbst solch informelle Termine wie das heutige Essen bei meinem Vater und seiner Freundin stellen meinen Zeitplan komplett auf den Kopf, da ich für die Leute in der Arbeit praktisch ständig abrufbereit stehe.

Hobbys, Reisen, dazu ein Freund – für mich neben der Arbeit zeitlich nicht denkbar.

Ich existiere praktisch nur noch, um zu arbeiten. Was ja einerseits gut ist, weil ich in meiner Arbeit völlig aufgehe. Meinem nicht existenten Sozialleben ist es wohl auch zu verdanken, dass ich mit 28 Jahren bereits künstlerische Leiterin unserer Galerie bin – die jüngste in deren Geschichte.

Mit meiner Beförderung in diesem Jahr kam aber natürlich noch sehr viel mehr Arbeit in mein Leben. Doch ich will ehrlich sein: Um diesen Job zu bekommen, bin ich über Leichen gegangen.

Praktisch jeder Mensch in meinem Umfeld weiß, dass ich ständig zu spät dran bin, leicht Verabredungen mit Freunden vergesse oder sogar von einem Sonntagsbrunch flüchte, um mögliche Katastrophen in der Galerie abzuwenden.

Ausgerechnet an meinem 28. Geburtstag erachtete es meine Mutter als notwendig, mich nicht nur auf meine sichtbar werdenden Krähenfüße hinzuweisen. Sie verdeutlichte mir auch abermals die Tatsache, dass sie in meinem Alter bereits ein Kind – nämlich meine Wenigkeit – geboren hatte. Irgendetwas läuft in unserer Gesellschaft deutlich schief, wenn die Menschen glauben, mit Ende 20 würde plötzlich jede Frau ihre biologische Uhr ticken hören.

Bei mir ist da nämlich gar nichts. Kein Ticken. Kein Stress. Nichts.

Das Einzige, was im Augenblick stetig in meinen Ohren klingt, sind meine Absätze, in denen ich im Slalom die unzähligen Gullideckel und Zwischenräume der Pflastersteine umrunde.

Als ich nun endlich das Wohnhaus meines Vaters erreicht habe und klingele, beträgt meine Verspätung exakt 25 Minuten.

Kurzum: Ich bin am Arsch.

Ich sehe meinen Vater, seine Freundin und deren Kinder, die ich heute kennenlernen werde, vor meinem inneren Auge stumm im Esszimmer sitzen, während Dads riesige Wanduhr laut und langsam tickt und meine Verspätung deutlich anzeigt.

Ein Summen ertönt an der Tür, mein Vater gewährt mir Einlass. Ich eile die Treppe in den vierten Stock hinauf, weil ich dem Lift nicht traue und wohl hoffe, durch etwas Zugluft könne sich der nasse Knoten auf meinem Kopf wieder in eine tadellose Frisur verwandeln. Das Erklimmen des vierten Stockwerks bringt frisurtechnisch keine Verbesserung, hat dafür aber zur Folge, dass ich völlig aus der Puste bin, meine Körpertemperatur gefühlt 3000 Grad Celsius beträgt und ich endgültig ein erbärmliches Bild biete.

Mein Dad steht in der offenen Tür zu seiner Wohnung. Ich zucke entschuldigend die Schultern, während ich gebeugt auf ihn zugehe. Vermutlich ist dieses Schulterzucken bereits zu meinem Markenzeichen geworden, so häufig ich es benutzen muss.

„Tut mir aufrichtig leid, Dad. Wir mussten noch ein spontanes Meeting einberufen. Im Übrigen lass dir gesagt sein, dass ein Großteil meiner Verspätung diesem Parkplatzchaos vor deinem Haus geschuldet ist.“

Mein Vater lächelt versöhnlich, doch ich spüre, dass er ziemlich enttäuscht ist. „Du bist selbst gefahren?“

Ich folge ihm in den Flur und ziehe die Flasche Wein, die ich von meiner Assistentin Mary noch schnell besorgen ließ, aus meiner Handtasche, um sie im Eingangsbereich abzustellen. „Ja, ich dachte, ich bin dann schneller. Egal. Habt ihr schon gegessen?“

Erstaunt zieht er seine Augenbrauen hoch. „Natürlich nicht. Caitlyn hatte zwar schon Angst, dass ihr Braten verkohlt, aber sie hat offensichtlich eine Lösung gefunden, um das Essen an deine tatsächliche Ankunftszeit anzupassen.“

Zufällig erblicke ich mich selbst im Wandspiegel und bin starr vor Schreck. „Ich schaue ja schrecklich aus!“, jammere ich und versuche, meinen Bob mit den Fingerspitzen zu ordnen.

„Unsinn, Liebes. Du siehst wie immer großartig aus“, hält mein Vater – ziemlich voreingenommen, da ich ja schließlich sein Kind bin und Eltern ihre Kinder in jeder Lebenslage wunderbar finden – dagegen. „Du ahnst gar nicht, wie sehr ich mich freue, dass dieser Tag nun endlich gekommen ist.“

Autsch. Ich wusste zwar, dass mein Vater mit Caitlyn die Liebe seines Lebens gefunden hat. Doch wie wichtig ihm mein Kennenlernen seiner neuen Familien ist, war mir bis jetzt nicht klar.

Und ich komme mit einer derartigen Verspätung und in so einem Aufzug an.

Gelungener Einstieg, Grace. Echt toll.

„Ich freue mich auch“, erwidere ich – vielleicht nicht ganz so aufrecht – und schlinge meine Arme um ihn.

„Ach, Mimi, nach all der Zeit habe ich das Gefühl, endlich angekommen zu sein.“

Ich weiß, dass die Ehe mit meiner Mutter für ihn ganz und gar nicht erfüllend war – um es halbwegs höflich auszudrücken. Von ihr habe ich eindeutig meine harte Seite geerbt. Meine Mum ist Film- und Fernsehproduzentin, eine Karrierefrau wie aus dem Bilderbuch. Sie war stets beruflich unterwegs, während mein Vater bei mir zu Hause blieb und mich praktisch allein großzog. Ich habe aber zu beiden ein gutes Verhältnis und war, als sie sich vor zehn Jahren endlich scheiden ließen, ehrlich und aufrichtig erleichtert. Ich freute mich für beide. Dann trieb mein Vater jedoch lange wie eine einsame Insel vor sich hin, schien etwas verloren, und hatte bestimmt ein paar Liebschaften. Doch schließlich traf er auf Caitlyn – und bei ihr scheint es augenblicklich gefunkt zu haben.

„Lass uns reingehen“, unterbreche ich diesen sentimentalen Moment, weil ich damit schlichtweg überfordert bin.

Bewaffnet mit einer Flasche von Caitlyns liebster Weinsorte betreten wir die Küche, in der mich ein herrlicher Duft empfängt. Caitlyn steht mit dem Rücken zu mir und verteilt gerade etwas Salat in fünf weiße Schüsseln. Sie dreht sich um, als sie unser Eintreten bemerkt, und schenkt mir ein freundliches Lächeln. Diese Leute sind viel zu gut zu mir. Ich selbst würde jemanden, der 25 Minuten zu einem Essen, das ich selbst zubereitet habe, zu spät kommt, den Eintritt verwehren, anstatt dieser Person auch noch eine warme Begrüßung anzubieten. Doch Caitlyn scheint ein wahrer Engel zu sein. Sollten ihre Kinder nur halb so liebenswürdig sein wie sie, dann kann ja nichts mehr schiefgehen.

„Freut mich, dass du da bist!“, verkündet sie, nimmt mir mit dankbarem Lächeln die Flasche ab und drückt mir ohne Umschweife zwei Schüsseln in die Hand. Damit schiebt sie mich in Richtung Esszimmer.

„Ihr hättet aber ruhig mit dem Essen anfangen können, Caitlyn. Wegen mir dürft ihr nicht hungern! Diesen ersten schlechten Eindruck von mir kann ich durch nichts mehr toppen.“

Na ja, vielleicht nur dadurch, dass ich plötzlich mitten im Torbogen, der von der Küche zum Esszimmer führt, zur Salzsäule erstarre und beide Schüsseln fallen lasse. Das Klirren, das ertönt, als die Schüsseln zerbrechen, nehme ich kaum noch wahr. Vielmehr fühle ich mich, als würde ich jeden Moment in Ohnmacht fallen.

Ich habe schon einmal in diese intensiven blauen Augen geblickt, die mich eindringlich von der anderen Seite des Tisches anstarren, und erinnere mich nur zu gut daran, welche Empfindungen sie in mir ausgelöst haben. Sie gehören einem Mann, der ein perfekter Gentleman ist, aber auch ein riesiges Arschloch sein kann.

Gut und böse.

Zärtlich und hart.

Plötzlich bereue ich es nicht mehr, zu spät gekommen zu sein. Ich bereue es dafür, dass ich nicht zufällig von einem Bus überfahren wurde.

KAPITEL 2

Fünf Wochen zuvor

Grace

Heute findet die Eröffnungsfeier unserer alljährlichen Parkausstellung statt. Seit Wochen arbeite ich auf diesen wichtigen Tag in meiner jungen Karriere hin, und erst als ein Feuerwerk den krönenden Abschluss der gelungenen Feierlichkeiten verkündet, lehne ich mich zum ersten Mal seit der ganzen Zeit entspannt zurück.

Speziell in der vergangenen Woche habe ich kaum geschlafen, mein Telefon war praktisch an mein Ohr angeklebt, und im Grunde wartete ich die ganze Zeit nur noch auf die große, alle Bemühungen zunichtemachende Katastrophe. Doch zum Glück kam es nie zu einer solchen. Stattdessen blicke ich nun in die durchwegs erfreuten und zugleich erleichterten Gesichter der Menschen, die maßgeblich an der Planung und Ausrichtung der Ausstellung beteiligt waren.

Archibald Louis, der Architekt, der diesmal für die Gestaltung des Pavillons verantwortlich war, fühlt sich jetzt sicher genauso befreit wie ich. Seine Umarmung ist herzlich, jedoch viel zu lang, um noch als professionell durchzugehen.

Entweder steht der Kerl auf mich – oder sein Höflichkeitsempfinden geht gegen null.

Nachdem es mir gelungen ist, mich von Archibald loszureißen, arbeite ich mich durch die Masse an Gästen. Ich lasse mir ein wenig Honig ums Maul schmieren, zu meiner Beförderung zur künstlerischen Leiterin der Serpentine Gallery gratulieren und versuche gleichzeitig meine beste Freundin und zugleich Kollegin Liz zu finden. Beim Überqueren der Terrasse nehme ich einen Schluck Champagner, der sich kribbelnd in meinem Magen einnistet und mich daran erinnert, dass ich heute noch kaum etwas gegessen habe. Von dem Sandwich, das Liz mir heute Mittag mehr oder weniger aufgedrängt hat, mal abgesehen.

Ich schlängele mich zwischen den vielen Stehtischen hindurch, die, mit weißen Tischdecken versehen, unter einem Meer aus Lichtern platziert wurden. Kellner und Gäste drängen sich an mir vorbei, einzelne Gesprächsfetzen dringen an mein Ohr. Ich entdecke Liz in eine Unterhaltung mit einem jungen, großen Mann vertieft. In seinen Händen hält er ein Glas mit einem dunkelbraunen Getränk, das erstaunlich gut mit seinen Haaren harmoniert, wie ich ganz nebenbei feststelle. Ich nähere mich den beiden, als Liz ihren Gesprächspartner mit einem Kopfnicken in meine Richtung auf mich aufmerksam macht. In dem Augenblick, als ich bei ihnen ankomme, dreht er sich zu mir um.

„Wir haben gerade von dir gesprochen“, meint Liz geheimnisvoll und legt ihre Hand leicht auf die Schulter des Mannes. „Grace, das ist Ryan Morgan. Er hat die diesjährige exklusive Berichterstattung zur Ausstellung geleitet.“

Warum auch immer, aber ich habe die ganze Zeit geglaubt, der Mann, der die Artikel über unsere Vorbereitungen zur Ausstellung verfasst, wäre ein etwas betagteres Modell. Nicht so … jung und attraktiv wie dieser hier.

Ich ergreife seine ausgestreckte Hand und lächele. „Mr Morgan, es freut mich wirklich, Sie kennenlernen zu dürfen.“

„Und ich freue mich, eine Einladung erhalten zu haben. Vielen Dank! Außerdem gratuliere ich Ihnen zur erfolgreichen Umsetzung, Ms Carter. Sie haben sehr gute Arbeit geleistet.“

Ich spüre, dass ich rot werde, und kann nur hoffen, dass dieser Mr Morgan mich für kein unsicheres Püppchen hält. „Danke“, entgegne ich. „Sie glauben gar nicht, wie geehrt ich mich fühle, nun Teil dieser traditionellen Ausstellung im Herzen des Hyde Parks sein zu dürfen. Schon als Kind bin ich in den Ferien extra gekommen, um die Pavillons der Serpentine Gallery zu bewundern. Mein größter Traum ist nun in Erfüllung gegangen.“

Mr Morgan nickt anerkennend und winkt einem Kellner zu. „Darauf sollten wir anstoßen. Was wollen Sie trinken, meine Damen?“

Liz und ich wechseln einen kurzen Blick, um dann fast synchron mit „Champagner“ zu antworten.

„Dann bringen Sie uns bitte eine Flasche Champagner“, bittet er den Kellner, der davoneilt und kurz darauf mit einem silbernen Tablett, auf dem er eine dunkelgrüne Flasche und drei Gläser balanciert, zu uns zurückkehrt.

Mr. Morgan schenkt ein, und alle drei heben wir die Gläser, ehe wir miteinander anstoßen und trinken.

„Liz hat mir erzählt, dass Sie in einer Wohnung zusammenleben“, greift Mr Morgan die Unterhaltung wieder auf. Ich bemerke, dass er mit der Erwähnung von Liz’ Namens deren Augen zum Leuchten bringt.

Ich schlucke und spüre, dass mir warm geworden ist. Normalerweise trinke ich kaum Alkohol, aber heute habe ich eine Menge davon intus – für meine Verhältnisse. „Wir wohnten schon als Studentinnen zusammen, und irgendwie haben wir an der Situation nie etwas geändert.“

„Grace hat mir beigebracht, wie man Ordnung hält. In Sachen ‚Strukturierung des Alltags’ ist sie echt super“, zieht mich Liz auf.

„Vermutlich benötigt jemand wie Sie, die in Ihrem Alter eine solche Stelle belegt, neben Disziplin und Durchsetzungsvermögen auch ein gutes Gespür für Ordnung.“ So charmant hat das ja noch nie jemand ausgedrückt.

Ich nehme einen Schluck und hoffe, Liz breitet mein krankhaftes Arbeitsverhalten nun nicht detailliert vor diesem Kerl aus.

Doch als sie den Mund öffnet und dabei die Stirn runzelt, weiß ich, dass sie mir diesen Gefallen nicht tun wird. „Das wahre Geheimnis, wieso sie diesen Job hat, ist, dass sie ein notorischer Workaholic ist, Ryan. Ihr ganzes Leben dreht sich ausschließlich um diese Galerie. Heute hat sie das Haus auch nur deshalb verlassen, weil sie sich verpflichtet fühlt, bei dieser Veranstaltung anwesend zu sein; in etwa einer Stunde wird Grace wieder in unserer Wohnung sein. Ich lege meine Hand ins Feuer, dass sie sogar morgen Früh ins Büro fahren wird, um die Mails zu checken.“

Oh, Mann, ich habe tatsächlich vorgehabt, das morgen in der Früh zu machen.

Ertappt zucke ich mit den Schultern, während beide zu mir blicken. „So ist das eben.“

„Gehen Sie nie abends aus?“

„Doch. Natürlich.“

„Wann denn, Grace?“, nagelt mich Liz fest. „Und nur fürs Protokoll: Ein Abendessen mit Geschäftspartnern zählt nicht.“

Verdammt. Dann sieht es echt mies aus.

„Ich bin mir sicher, dass mir ein gutes Beispiel einfällt, wenn ich genauer nachdenke“, erwidere ich und finde zu meinem Erstaunen immer mehr Gefallen am Champagner. Der hält nicht nur die Klappe, er mustert mich auch nicht so ungläubig wie die beiden.

„Alleine die Tatsache, dass Sie darüber nachdenken müssen, ist … verzeihen Sie mir meine Direktheit … erbärmlich.“

„Wie bitte?“, frage ich entrüstet und fasse es nicht, dass Liz bei dieser unerhörten Aussage des überheblichen Kerls lachen muss.

Mr Morgan hebt eine Hand zur Abwehr. Gerade, als ich glaube, er würde sich entschuldigen, setzt er dieser Unterhaltung die verbale Krone auf. „Ein Date hatten Sie doch aber bestimmt schon einmal?!“

Ich recke das Kinn und frage mich, wie ich in diese erniedrigende Unterhaltung geraten konnte. „Das ist jetzt eindeutig eine Spur zu persönlich.“

„Keine Dates, keine Kinoabende, keine Clubbesuche – nada. Sagen Sie ihr doch bitte als Außenstehender, dass ihre Lebensweise nicht gesund ist.“ Liz scheint in diesem Ryan immer mehr einen Verbündeten zu sehen, während es für mich so wirkt, als würde seine Bewunderung für mich Wort für Wort einer sehr großen Verwunderung weichen.

Können wir bitte wieder zu der Stelle zurückspülen, an der er mich für meine großartige Arbeit lobte? Geht das?

Doch Mr Morgan beugt sich stattdessen näher und setzt den väterlichsten Blick auf, den sein markantes Gesicht wohl zu bieten hat. „Grace, vergessen Sie doch einmal Ihre ewigen Pflichten, und lassen Sie so richtig die Sau raus. Seien Sie spontan und jung.“ Mit der Art kann er jeder alten Frau zehn Staubsauger verkaufen.

Und mir meine innere Schlampe schmackhaft machen?

„Ich bin jung – über meine Form der Spontanität lässt sich streiten“, murmele ich in mein Glas und trinke es in einem Zug leer.

Mr Morgan füllt es erneut und wirkt nur wenig überzeugt von meiner Ansage. Liz, diese blöde Kuh – ich liebe sie –, strahlt ihn an, als wäre sie die Gründerin einer Sekte und hätte soeben ihren Sektenführer gefunden.

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag“, beginnt er und blickt mich verschwörerisch an, dann stellt er die Flasche zurück auf den Tisch. „In einer halben Stunde werde ich zu einer Art Aftershowparty fahren. Und ich lade Sie beide herzlich ein, mich zu begleiten.“

Mein Blick schwenkt auf seine Armbanduhr. „In einer halben Stunde ist es elf. Um die Zeit fahre ich nirgends mehr hin.“

Liz streckt den Arm nach mir aus und legt ihren Kopf schräg. „Sehen Sie: So erklärt man das Problem in einem einzigen Satz.“

Ich bin ... kein … Problem, Leute!

„Ihre Freundin hat recht, Grace. Sie sind ja überhaupt nicht spontan – und lassen sich damit sehr viel entgehen.“

Der Typ ist doch durchgeknallt.

Aber vielleicht finde ich ihn plötzlich nur so unerträglich, weil ich weiß, dass er recht hat. Dieses innere Zugeständnis ist noch schlimmer, als sich einen fiesen Magen-Darm-Virus einzufangen.

Ich kenne mein Arbeitsproblem sehr gut. Während all meine Freundinnen auf die Pauke hauen, Typen daten und ihr Leben genießen, habe ich mich in den vergangenen Jahren lediglich auf meine Arbeit konzentriert. Ich wollte diese Stelle einfach haben und wusste, dass sie, sobald Jacob Murphy in Rente ginge, nachbesetzt würde. Diese Chance durfte ich mir unter keinen Umständen entgehen lassen. Und deswegen habe ich mein bis dahin schon bescheidenes soziales Leben völlig vernachlässigt.

„Gib dir einen Ruck, Grace. Ich würde heute gerne noch etwas machen, um diesen erfolgreichen Tag angenehm ausklingen zu lassen.“

Ich betrachte Liz und Ryan Morgan, und da keimt tatsächlich so etwas wie der Wunsch nach Spaß in mir auf. Er ist zwar noch ein kleines Pflänzchen, aber ich beschließe, dass ich diesem zumindest eine Chance geben sollte.

„Okay. Von mir aus. Aber nur ganz kurz.“

Liz fällt mir jubelnd um den Hals, und Mr Morgan grinst verschlagen. „Sehen Sie: So einfach geht Spontansein. Auf Ihren Befreiungsschlag, Grace“, posaunt er heraus, hebt sein Glas und tut fast so, als hätte ich eine weltbewegende Entscheidung getroffen.

Die Wahrheit ist: Wenn mir der Typ oder die Party, auf die er uns bringen wird, suspekt wird, werde ich Liz schnappen und mit ihr heimfahren.

Okay, okay, okay – denk nicht so viel nach, Grace. Zum Beispiel darüber, dass du diesen Mann erst 20 Minuten kennst.

„Ich glaube, ich brauche noch ein Glas, bevor ich es mir anders überlege.“

KAPITEL 3

Grace

Eine Stunde später liege ich nicht wie von Liz prophezeit in meinem Bett, sondern befinde mich mitten auf einer Party in einem noblen Penthouse.

Ryan erklärte uns während der Taxifahrt, dass einer seiner Kumpels Geburtstag feiere und wir bei der Masse an Gästen, die er jedes Jahr einlädt, nicht auffallen würden. Mittlerweile haben wir in die lockerere Du-Form gewechselt, und solange Ryan nicht mehr darauf herumhackt, wie langweilig ich doch bin, ist er ein ganz cooler Typ.

Wir quetschen uns durch das großzügige Wohnzimmer vorbei an unzähligen Menschen, untermalt von lauter Musik. Mein knielanges schwarzes Kleid wirkt im Vergleich zu den kurzen Kleidchen der anderen Frauen definitiv bieder. Doch ich würde eher sterben, als so einen Fummel anzuziehen.

Ryan reicht jeder von uns ein Glas mit Schnaps. Wir sind in den vergangenen zwei Stunden regelrechte Saufkumpanen geworden. Doch weder Liz noch Ryan kommt mir besonders betrunken vor. Ich hingegen fühle mich unglaublich gelöst und locker. Noch ein Tequila, und ich tanze wohl auf einem der Tische.

„Lass ja nicht zu, dass er mich abfüllt“, brülle ich Liz ins Ohr, während Ryan uns auf die Terrasse führt.

„Ich passe auf“, versichert mir Liz lächelnd und nimmt meine Hand.

Vorbei an weiteren Massen an Menschen gelangen wir zu einer Sitzgruppe. Zu jeder Seite der u-förmigen Rattancouch wurde ein Heizpilz aufgestellt, dessen Wärme eine wohlige Atmosphäre schafft. Am linken Ende der Couch sitzt ein blonder Mann, der, als Ryan sich ihm nähert, grinsend aufsteht. Die beiden umarmen sich kurz und blicken dann zu Liz und mir. Ich grinse dämlich, während Ryan dem Kerl etwas ins Ohr spricht. Ich vermute mal, dass es sich bei ihm um das Geburtstagskind und somit den Veranstalter der Party handelt. Wie Ryan wirkt er sympathisch und überhaupt nicht bedrohlich.

Wieder ein Punkt weniger, der mir Sorgen machen muss.

Ryan winkt uns heran; ich lasse Liz den Vortritt. Ich bin ja echt eine tolle Freundin. Werfe Liz den Löwen zum Fraß vor, damit ich abchecken kann, ob sie überhaupt hungrig sind.

Man möge mir das bitte, bitte verzeihen.

„Hi, ich bin Josh“, richtet der Löwe das Wort an mich und zieht mich in eine unerwartete Umarmung. „Freut mich, dass du dich hast zum Kommen überreden lassen, Grace.“

Okay, jetzt wird es doch gruselig.

„Mal sehen, ob ich mich später auch noch freue. Aber danke, dass du uns nicht gleich hochkant rauswirfst. Und ach ja … Happy Birthday!“

Er lächelt noch immer, als wir uns voneinander lösen, und bietet uns an, Platz zu nehmen.

Ich wende mich der Couch zu und blicke durch die Runde. Von links nach rechts. Ein Augenpaar – blau wie ein tiefer, kalter See – fällt mir dabei besonders auf. Dieses Blau ist dunkel und durchdringend. Es fesselt mich, zieht mich an und weckt meine ganze Neugierde. Der Besitzer dieser Augen mustert mich mit einer Intensität, die mir spürbar unter die Haut geht. Instinktiv strecke ich meinen Rücken durch.

Die Augen des Mannes sind auf mein Gesicht geheftet, bleiben ungefähr drei Sekunden an meinem Mund hängen, und schließlich fixiert er mich mit einem Blick, den ich mir spätestens dann, wenn ich heute Nacht in meinem Bett liege, in Erinnerung rufen werde.

Doch auch der Rest dieses Mannes ist einfach nur … wow.

Sein dunkles Haar ist auf eine verwegene Art zurückgestrichen. Lediglich eine Strähne hängt ihm in die Stirn. Er trägt einen Dreitagebart, der irgendwie unordentlich, aber verdammt sexy aussieht. Ich meine, ich kenne Typen, deren Bart in einer perfekt geraden Linie endet. Sein Bart ist gröber. Wilder. Sein weißes Hemd und das schwarze Jackett wirken, als wären sie nur für ihn gemacht worden. Vielleicht sind sie das ja auch.

Keine Ahnung.

Im Ernst, ich kenne diesen Mann ja nicht.

Auf jeden Fall glaube ich an seiner Haltung zu erkennen, dass er einen starken Charakter und etwas zu sagen hat. Dieser Mann strahlt das Selbstbewusstsein eines Menschen aus, der es zu etwas gebracht hat.

Als er die Stirn auf abschätzige Weise runzelt, wird mir bewusst, dass ich ihn viel zu lange angestarrt habe. Schnell wende ich mich ab und streiche mir die Haare hinter die Ohren.

Josh nimmt neben mir Platz, und recht flott entwickelt sich zwischen uns eine nette Unterhaltung. Ich erfahre, dass Josh heute seinen 31. Geburtstag feiert, ihm diese Wahnsinnswohnung gehört und er eine eigene Firma hat. An Geld mangelt es ihm wohl also nicht, wenn ich mich hier so umsehe.

Doch Josh wirkt bescheiden und freundlich. Jedoch gleitet mein Blick immer wieder zur anderen Seite der Couch, wo dieser unglaublich attraktive Mann sitzt. Ich kann mich an ihm gar nicht sattsehen. Das Erstaunliche ist, dass auch er mich immer wieder abscannt. Ich kann nicht nur spüren, wie er seine Aufmerksamkeit auf mich richtet, unsere Blicke treffen sich sogar mehrmals.

Aber was soll ich machen?

Der Wein, den mir Josh gebracht hat, feuert mein Selbstvertrauen zwar an, doch trotzdem habe ich nicht den Mut, aufzustehen, zu diesem Mann rüberzugehen und mit ihm zu sprechen. Außerdem sitzt direkt neben ihm eine schwarzhaarige Frau, mit der er schon die ganze Zeit spricht. Sie hat volle, rote Lippen, Haare, die ihr über den Rücken fallen, und sieht im Allgemeinen so aus, als wäre sie gerade einer Werbung entstiegen. Dagegen erscheine ich richtig blass und öd, mit meinen schulterlangen, dunkelblonden Haaren. Von voluminösen Locken, wie die Frau sie hat, kann ich nur träumen. Mein Gesicht ist zwar hübsch, aber nichtssagend. Ich weiß, dass ich ein nettes Lächeln habe, schöne grüne Augen und ich mir zum Glück über mein Gewicht nie Sorgen machen muss. Aber niemals könnte ich es mit einem Supermodel wie ihr aufnehmen.

Gerade als ich innerlich seufze, treffen mich erneut diese Augen, und ich gebe mir Mühe, diesmal nicht verlegen wegzusehen. Ich halte seinem durchdringenden Blick stand, übe mich sogar in einem kleinen Lächeln. Das erwidert er zwar nicht, doch immerhin konzentriert er sich eine kleine Ewigkeit auf meine Lippen, ehe er sich zurücklehnt, die visuelle Berührung beendet und einen Schluck aus seinem Glas nimmt.

„Möchtest du noch etwas Wein?“ Ich brauche ein wenig Zeit, um zu begreifen, dass Josh mit mir redet.

Während ich nicke, ärgere ich mich gleichzeitig über meine plötzliche, einfältige Schwärmerei für diesen unbekannten Mann. Bestimmt ist der Alkohol schuld daran.

„Ich hoffe, du nimmst es Ryan nicht übel, dass er Liz und mich angeschleppt hat. Er erwähnte mit keinem Wort, dass es sich bei der Party um eine private Geburtstagsfeier handelt.“

Josh kraust seine Stirn und schüttelt sachte den Kopf. „Ich nehme es ihm kein bisschen übel. Ganz im Gegenteil: Ich freue mich. Du bist das beste Geschenk, das er mir machen konnte.“

Mein Gehirn säuft nun völlig ab. Ich blinzele einige Male und streiche mit der Handfläche verlegen über meinen Unterarm. Von einem Mann – einem attraktiven, wohlgemerkt – angebaggert zu werden ist vollkommen neu für mich.

Ich schenke Josh ein liebliches Lächeln und stelle mein Glas ab. „Wenn du mich ganz kurz entschuldigst“, bitte ich, stehe auf und mache Liz mit einer Berührung ihrer Schulter auf meinen kurzen Toilettenbesuch aufmerksam.

Sie blickt auf, nickt und widmet sich dann wieder Ryan.

Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und begebe mich von dort aus auf die Suche nach der Toilette. Während ich mich abermals an den vielen Gästen vorbeidränge, frage ich mich, ob Josh jeden von ihnen kennt. Ich meine, das sind ganz schön viele Menschen. In der Küche entdecke ich ein Buffet. Ich nehme mir fix vor, diesem später noch einen Besuch abzustatten. Aber zuvor brauche ich eine Toilette – wenn ich eine solche hier jemals finde.

Die Küche stellt sich als Sackgasse heraus. Daher mache ich in dem Wissen, mich nun wieder durch denselben Pulk arbeiten zu müssen, kehrt. Nach einigen Schritten verstellt mir eine breite Männerbrust den Weg. Noch bevor ich den Blick von dem weißen Hemd, dessen oberer Knopf offen ist, heben kann, weiß ich, was mich erwartet: die volle Dröhnung der blauen Augen.

„Kommen Sie mit!“, spricht er nah an meinem Ohr, und beim tiefen, sauberen Klang seiner Stimme beginnt etwas in meinem Bauch zu vibrieren.

Doch sein selbstsicherer Blick gefällt mir gar nicht. Keine Frage: Dieser Mann weiß, dass er absolut göttlich aussieht und ihm die Frauen praktisch zu Füßen liegen. Ich mag von seinem Aussehen, seinem Charme und seinen Blicken fasziniert sein – das gibt diesem Kerl aber nicht das Recht, mir Befehle zu geben.

„Nein, danke. Ich komme allein klar.“

Sein Blick wird eindringlicher, doch das kleine Lächeln um seine Mundwinkel nimmt ihm die Strenge. „Sie lassen sich von Ryan bedenkenlos in eine fremde Wohnung bringen. Jetzt aber haben Sie plötzlich Hemmungen, sich von mir helfen zu lassen? Das ist ganz schön seltsam.“

„Darum geht es nicht“, erwidere ich. „Ich hätte mir mehr Höflichkeit erwartet.“

Er lacht ungläubig. „Okay. Soll ich Ihnen also auf ganz höfliche Art die Toiletten zeigen?“

Vermutlich hält er mich jetzt für eine eingebildete Zicke. „Das wäre sehr nett von Ihnen“, gestehe ich und hoffe, mit einem zarten Lächeln doch noch ein paar Sympathiepunkte bei ihm zu sammeln.

Doch der Typ zieht bloß eine Braue hoch und deutet mir, ihm zu folgen. Hintereinander bahnen wir uns den Weg zurück ins Wohnzimmer. Von dort führt er mich zu einer breiten, geschwungenen Holztreppe, auf deren Absatz eine Barrikade aus Stühlen steht.

Eine deutliche Botschaft an die Gäste, dass es nur bis hierher- und nicht weitergeht. Diese Grenze scheint für den Kerl nicht offensichtlich oder wichtig genug zu sein, da er einen Stuhl zur Seite zieht und mich an der Hüfte vorbeischiebt. Bevor er mir nach oben folgt, rückt er alles wieder so zurecht, wie es vor unserem Durchgehen ausgesehen hat. Dann steigt er die Treppe hinauf, und ich schließe mich ihm mit einem etwas unguten Gefühl an.

„Diese Stühle sind sicher nicht umsonst dort gestanden“, klinge ich wie eine Oberlehrerin, während wir einen nur spärlich beleuchteten Flur entlanggehen.

„Da liegen Sie vollkommen richtig. Josh und ich haben sie vorhin extra hingestellt, damit niemand raufgehen und in seinem Schlafzimmer vögeln kann. Unten gibt es noch eine Toilette, aber die ist sicher überfüllt.“

Bei seiner Erklärung werde ich tatsächlich rot, und mir wird am ganzen Körper fürchterlich heiß. Ausgerechnet jetzt bleibt er stehen, und der fremde Mann erkennt lächelnd meine geröteten Wangen.

„Das … ähm … klingt logisch.“

Ich beobachte, wie er aus seiner Hosentasche einen Schlüsselbund zieht und einen Schlüssel nach dem anderen inspiziert. „Bitte schön. Ich warte hier draußen auf Sie. Beeilen Sie sich“, sagt er, nachdem er die Tür aufgeschlossen hat.

Irgendetwas in der Art, wie dieser Typ mit mir spricht, macht mich völlig unbeholfen. Mein Gehirn schaltet in seiner Nähe vollständig aus, und die selbstbewusste, kluge und disziplinierte Frau, die ich normalerweise bin, verwandelt sich in ein jämmerlich schmachtendes Würstchen.

Als ich zögere, streckt er die Hand ins Dunkel des Raumes vor uns und betätigt den Lichtschalter für mich. Ich betrete das geräumige Badezimmer und blicke ihm selbstsicher in die Augen, bevor ich die Tür schließe.

Super, keinen Schlüssel!

Den hat dieser Mann. Wenn er mich hier einsperrt, findet mich Liz niemals.

Ich stütze mich seufzend mit den Händen aufs Waschbecken und betrachte mein Spiegelbild.

Wie besoffen kann ich bloß sein, um auf diesen Trick, den man in jedem noch so billigen Fernsehthriller beobachten kann, reinzufallen?

Ich werfe meinem Spiegelbild einen prüfend-vernichtenden Blick zu, drehe den Wasserhahn auf und halte mein rechtes Handgelenk unter den Strahl. Hier in der Stille, fernab der Gäste und des Gedränges, merke ich erst so richtig, wie mein Kreislauf am Boden ist. Mein Blick ist trübe, meine Augenlider sind schwer – ich bin betrunkener, als ich dachte.

Mein Gott.

Nachdem ich mir mit den Fingerspitzen etwas verschmierte Schminke aus den Augenwinkeln gewischt und das Wasser wieder abgestellt habe, atme ich tief durch. Gleichzeitig bete ich, dass ich die Tür noch aufbringe. Innerhalb dieser wenigen Millisekunden male ich mir aus, dass ich hier bis zum Ende der Party eingesperrt bin, damit der oder ein anderer Mann über mich herfallen kann. Es schüttelt mich automatisch. Doch viel stärker als das schale Gefühl, das dieser Gedanke in mir auslöst, ist die Erleichterung, als sich die Tür ganz leicht öffnen lässt.

Siehst du, Grace, nicht alle Männer sind verbrecherische Schweine.

An der gegenüberliegenden Seite des Flurs lehnt der Mann und sieht mit seinem eindringlichen Blick auf. Noch immer habe ich nicht herausgefunden, ob der Ausdruck auf seinem Gesicht von seiner Faszination oder seiner Gleichgültigkeit mir gegenüber herrührt.

„Ich bin fertig“, verkünde ich sinnloserweise und schließe die Tür hinter mir.

„Wie heißen Sie?“, fragt er und stößt sich von der Wand ab.

Mit langsamen Schritten nähert er sich mir, und ich kann unter dem Stoff meines Kleides spüren, wie sich auf meinem gesamten Rücken eine Gänsehaut ausbreitet. „Grace.“

„Grace“, wiederholt er meinen Namen, und ich schwöre hoch und heilig, dass dieser niemals zuvor so verführerisch und anziehend klang wie aus dem Mund dieses Mannes. „Sie sind wunderschön, Grace.“

Ich schlucke. Nun bin ich diejenige, die sich an der Wand abstützen muss. „Danke“, presse ich leise hervor.

Die Spannung zwischen uns steigert sich, als er noch einen Schritt auf mich zu macht – bis sein Körper beinahe den meinen berührt. Er riecht gut. Männlich-herb. Ein wenig nach Alkohol und Zigarettenrauch. In mir wächst der dringliche Wunsch, meine Lippen an seinen Hals zu drücken. Oder mit meinen Fingern über seine Brust zu streichen, dort seine Muskeln zu spüren. Zu fühlen, wie fest er ist.

Dieser Mann hatte von dem Moment an, als ich ihn unten auf der Terrasse sah, einen enormen Reiz auf mich ausgeübt. Doch jetzt – hier, ganz allein mit ihm –, unter dem Einfluss einer beträchtlichen Menge Alkohol, weiß ich nur noch, dass ich mehr von ihm möchte als ein paar heiße Blicke.

„Was haben Sie sich gedanklich ausgemalt, als Sie mich vorhin so lange angesehen haben?“, fragt er ganz ruhig und mustert mein Gesicht erneut auf diese irritierende Weise.

Ich atme stoßweise aus und ein. Mein Mund öffnet und schließt sich wieder. Diese Aktion vollführe ich einige Male, bis der Typ mir ein warmes Lächeln schenkt und vorsichtig eine Strähne aus meinem Gesicht streicht.

„Soll ich Ihnen sagen, was ich mir vorgestellt habe?“

Ich nicke eilig, weil ich es kaum erwarten kann zu hören, was dieser wunderschöne Mann von mir hält.

Doch bevor er mir eine Antwort gibt, senkt er beinahe schon verlegen den Kopf und schüttelt diesen einige Male, während er schmunzelt. Ich kann auf einmal nicht mehr anders, als mir vorzustellen, wie er nackt in seinem Bett liegt. Den durchdringenden Blick zur Decke gerichtet. Seinen riesigen, steifen Penis – ich wette einfach, dass dieser Mann einen großen Schwanz hat – in der Hand. Ich höre ihn praktisch meinen Namen stöhnen, während er sich selbst befriedigt.

Ich muss schlucken.

„Alles, woran ich denken konnte, war, wie sich Ihre Lippen anfühlen. Ob Sie genauso rot werden würden, wenn ich Sie küsse. Und ich wollte austesten, wie weit Sie mich gehen lassen würden.“ Er vergräbt seine vorderen Schneidezähne in seiner Unterlippe und sieht lächelnd zu mir. „Verunsichert Sie das, Grace?“

„Ähm … also … ja. Um ehrlich zu sein.“

Sein Lächeln wird breiter, und als er mit seinem Daumen ganz vorsichtig über meine Unterlippe streicht, meldet sich meine Klitoris mit einem dringlichen Ziehen zu Wort. „Fühlen Sie sich unwohl?“

„Nein. Ich bin nur über ihre Offenheit überrascht … das ist alles.“

Ich begreife nicht, wie er angesichts der Frau, die dort unten neben ihm saß, so von mir fasziniert sein konnte. Sie ist eine 13 auf einer Skala von 1 bis 10. Und ich … ich bin höchstens eine 7 – an guten Tagen. Keine Ahnung, ob dieser heute dazuzählt.

„Ich finde Ihre Unsicherheit unglaublich attraktiv. Sie sind absolut bezaubernd.“

Pack schon mal den Defibrillator aus – den wird er gleich brauchen, weil mein Herz das nicht mehr lange mitmacht.

Lächelnd sehe ich zu ihm. „Sie werden mir wohl nicht glauben, wenn ich Ihnen verrate, dass einzig Ihre Gesellschaft zu meiner Verunsicherung beiträgt. Normalerweise bin ich sehr viel wortgewandter als heute.“

„Das glaube ich Ihnen tatsächlich. Sie sehen verdammt zäh aus.“

Und Sie sehen verdammt heiß aus.

Abermals scannt er meine Lippen, während ich den Hinterkopf gegen die Wand lehne und ihn stumm anflehe, mich zu küssen.

„Ich merke schon, dass Sie mich herausfordern wollen“, flüstert er, legt seine Hand um mein Kinn und presst seine Lippen auf meine.

Ich war eigentlich immer der festen Überzeugung, dass ich, um mit einem Mann intim zu werden, mehr brauche als ein anzügliches Lächeln. Sonst befolgte ich stets die klassische Date-Regel: ein Abendessen, im Anschluss ein Kuss; und wenn die Chemie wirklich stimmt, gibt es vielleicht ein weiteres Essen, gefolgt von Sex. Doch bei diesem Mann habe ich augenblicklich all meine Prinzipien über Bord geworfen.

Ich kenne diesen Kerl nicht, habe gerade mal ein paar Sätze mit ihm gesprochen. Doch bei allen Männern, die ich zuvor kennengelernt habe, gab es diese intensive Form der Anziehung auch nicht.

Er hat mich in Kürze total um den Finger gewickelt. Vermutlich ist er geübt im Umgang mit Frauen, da er genau weiß, wie etwas ankommt.

Dieser Kuss ist ein Versprechen auf sehr viel mehr. Eine Menge, die meinen Körper, der sich schon seit Längerem auf einer sexuellen Durststrecke befindet, ein wenig überfordert. Ich explodiere beinahe, als ich seine Zunge an meiner fühle. Die ganze Zeit küsst er mich mit einer Coolness, die ich richtig bewundernswert finde. Er fordert jedoch nicht mehr oder beginnt meinen Arsch zu kneten.

Diese Lippen sind eine Waffe, um Frauen in die Knie zu zwingen. Sein Lächeln ist bereits absolut einnehmend, doch seine Küsse machen sofort süchtig.

Ein Kuss, und du kommst nicht mehr von ihm los.

„Mein Gott“, seufze ich, nachdem er sich ein kleines Stück zurückgelehnt hat.

Ein Lächeln umspielt seine Lippen, während er mit dem Daumen über mein Kinn streicht. „Ja, mein Gott. Was machst du da nur mit mir?“

Meine Beine zittern heftig, und am liebsten würde ich ihn sofort wieder küssen. Ach was … scheiß drauf. Ich lege meine linke Handfläche auf seinen Nacken, ziehe ihn so ein Stück näher, und wir wiederholen diesen heißen Kuss noch einmal. Und noch einmal.

Das geht so lange, bis er mich schwer atmend gegen die Wand presst.

„Okay, ein Vorschlag: Ich spendiere dir da unten noch einen Drink – was immer du haben möchtest –, und danach hauen wir von hier ab.“

Wenn ich diesem dämlichen Vorschlag zustimme, lande ich gewiss in der Hölle – oder zumindest in irgendeiner Gosse, wo mich jemand später mit heraushängenden Eingeweiden findet. Beide Aussichten erscheinen mir nicht unbedingt einladend.

Doch da steht immer noch dieser Mann vor mir, der unglaublich gut küsst, verdammt attraktiv ist – und mich will. Er begehrt mich, weswegen auch immer.

Vermutlich weil er nicht weiß, was für ein spaßbefreiter Workaholic ich bin oder wie bieder ich sein kann. Aber darum geht es ja auch nicht. Der Kerl will mich ja nicht heiraten, um bis ans Ende unserer Tage mit mir glücklich zu sein, sondern er will einfach Sex.

Und ja, ich will es auch.

Ich will ihn.

Ich will endlich wieder einmal etwas machen, das ich nicht von vorne bis hinten geplant habe. Ich möchte frei sein – um es für meinen überkorrekten Verstand so deutlich wie möglich auszudrücken.

„Das ist total verrückt“, erwidere ich erst einmal.

Der Typ lächelt. „Ja? Findest du?“

Ja. Aber wahrscheinlich sieht für ihn jedes Wochenende so aus: Er treibt es mit den Ladys zuerst mit seinen Blicken, dann wirft er ihnen ein paar Komplimente um die Ohren und legt sie im Anschluss flach.

So läuft das, Baby. Nicht jeder kann so verklemmt sein wie du!

„Ich weiß nicht einmal, wie du heißt.“

„Ich bin Matt“, sagt er und legt dabei seine Hand auf seine Brust. „Was möchtest du trinken?“ Und als dieses entwaffnende Lächeln wieder erscheint, wird mir klar, dass ich verloren bin.

KAPITEL 4

Grace

Aus einem Getränk werden drei Tequilas und ein Glas Whiskey. Ich kaue ihm durch mein vom Alkohol erwachtes Bedürfnis nach etwas Plauderei regelrecht ein Ohr ab. Doch er hört zu, lacht, wenn ihm der Sinn danach steht, und ich finde ihn von Minute zu Minute einfach hinreißender. Irgendwann knutsche ich mit ihm vor den Augen der anderen Gäste.

Gut, niemand nimmt wirklich davon Notiz. Doch für mich ist dieses wilde Knutschen ein total aufregendes Erlebnis. Ich fühle mich schon seit Ewigkeiten nicht mehr so unbeschwert wie an diesem Abend.

Nachdem ich den letzten Schluck von meinem Whiskey getrunken habe, legt Matt den Arm um mich. Er zieht mich näher, presst seine Lippen auf meine, und ich stoße ein tiefes Seufzen aus.

„Ich muss dich von hier wegbringen“, säuselt er und streicht mir eine zerzauste Strähne aus dem Gesicht.

„Ich brauche noch meine Tasche. Außerdem muss ich Liz Bescheid sagen.“

Wir drängeln uns erneut durch die Masse auf der Terrasse, und da erst merke ich, dass ich einen, vielleicht sogar zwei Tequila zu viel hatte. Mein Gehirn arbeitet langsamer, meine Beine werden träger, und es ist einzig und allein Matts stützender Hand zu verdanken, dass ich den Weg nach draußen unbeschadet zurücklege. Von Liz finde ich dort zwar keine Spur, aber ich entdecke Josh. Matt beugt sich zu ihm hinab, ich kann nicht hören, was sie zueinander sagen. Doch nachdem Matt sich aufgerichtet und zu mir umgedreht hat, habe ich wenigstens meine Clutch wieder.

„Deine Freundin ist irgendwo drinnen unterwegs. Josh gibt ihr Bescheid. Okay?“

„Okay“, erwidere ich und lächele, als Matt seine Finger mit meinen verschlingt.

Während wir hineingehen, die Wohnung verlassen und mit dem Fahrstuhl nach unten fahren, kann ich die ganze Zeit nur denken: Das ist verrückt. Das ist so verrückt. So etwas Verrücktes habe ich noch nie, nie, niemals gemacht.

Kann ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, mit einem wildfremden Mann mitzugehen, um einfach so mit ihm Sex zu haben? Scheiße, ja. Ja, das kann ich.

Unten angekommen, müssen wir beide feststellen, dass es weit und breit kein Taxi gibt. Wir gehen ein Stück die Straße entlang, doch nicht nur meine Füße fangen langsam zu schmerzen an, mir ist auch arschkalt. Ich fühle mich plötzlich total albern, dass ich all diese Strapazen in Kauf nehme, nur um Sex haben zu können.

„Wo ist deine Wohnung überhaupt?“, frage ich, als wir die Straße überqueren.

„Wir gehen nicht zu mir“, erwidert er, bleibt stehen und zieht sich sein Jackett aus. „Ich nehme nie Frauen zu mir mit nach Hause.“

„Okay“, presse ich hervor, weil mich diese Aussage irritiert, bin aber etwas abgelenkt durch die Wärme seines Jacketts, als er es mir um die Schultern legt. „Dann …“ Ich möchte aber auch nicht, dass er zu mir kommt und Liz ihn am nächsten Morgen sieht. Würde ich allein wohnen, müsste ich ganz allein damit klarkommen, mit einem fremden Mann geschlafen zu haben. Doch wenn ich mir vorstelle, wie wir morgen Früh aufwachen und zusammen mit Liz nicht nur das Bad, sondern auch den Frühstückstisch teilen zu müssen, bekomme ich Magenschmerzen.

Ich ziehe die losen Enden seines Jacketts enger zusammen und blicke unschlüssig nach links und rechts. „Wie wäre es dann damit?“, frage ich und deute mit dem Kinn ein Stück die Straße hinauf zu dem Hotel, dessen Eingangsbereich hell erleuchtet ist.

„Wenn du das möchtest, dann ja.“ Er runzelt zwar die Stirn, aber mein Vorschlag scheint ihm zuzusagen.

Ich atme tief durch und nicke. Als wir wenig später vor der goldenen Drehtür des Hotels stehen, wird mir doch etwas flau im Magen. Bestimmt denken die Leute da drinnen, dass ich eine Nutte bin. Oder er seine Ehefrau mit irgendeiner Partybekanntschaft betrügt.

Vielleicht hat er ja sogar wirklich eine Frau, weswegen er ablehnte, zu ihm nach Hause zu fahren.

Mein Gott, was für ein Arschloch!

Doch noch ist nichts erwiesen – also Ruhe, Grace!

„Kümmere du dich ums Zimmer, ich laufe schnell da rüber und besorge, was wir brauchen“, reißt er mich aus meinen Gedanken. „Oder hast du zufällig Kondome eingesteckt?“

Ich schlucke, und plötzlich ist jegliche Kälte verflogen. „Ähm, eher nicht.“

„Dann hole ich welche, und du besorgst uns ein Zimmer. Wir treffen uns gleich in der Lobby“, ruft er, als er die Straße überquert, um zu dem Supermarkt dort hinten zu eilen.

Niemals hätte ich an Kondome gedacht.

Dieser Mann schleppt bestimmt nicht zum ersten Mal eine Frau auf diese Weise ab.

Okay, aber jetzt muss ich meinen Teil der Abmachung erfüllen.

Als ich die Lobby des Hotels betrete und meine Schuhe lautstark über den weißen Marmorboden klacken, wünsche ich mir sehnlich, ich hätte noch mindestens einen Tequila mehr getrunken. Während ich die Rezeption ansteuere, frage ich mich, wie oft andere Menschen so etwas tun mögen.

Zum Vögeln in ein Hotel gehen – das passt so gar nicht zu der Person, die ich nüchtern und am helllichten Tagen bin.

Meine Hände sind schweißnass, und selbst wenn der Blick des Mannes hinter dem Tresen nett und freundlich wirkt, habe ich das Gefühl, mich jeden Augenblick übergeben zu müssen.

„Guten Abend, Miss. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Impfen sie mir etwas Vernunft ein! Bitte!

„Ich … wollte fragen, ob Sie noch ein Zimmer frei haben“, presse ich hervor und beobachte die Reaktion des dunkelhaarigen Mannes genau. „Mein Mann und ich waren auf einer Party hier in der Nähe. Eigentlich wollten wir bald nach Hause fahren, aber es war so lustig dort und blieben länger, und jetzt möchten wir das Risiko, angeheitert einen Unfall zu verursachen, nicht eingehen.“

Meine Lüge scheint er zu schlucken. Und ich finde es fast direkt bewundernswert für meinen besoffenen Verstand, wie er diese so schnell aus dem Hut zaubern konnte.

„Das ist natürlich verständlich“, meint er und tippt etwas in den PC ein. „Ein Doppelzimmer?“

„Ja.“

„Mit Frühstück?“

„Ähm … ich denke nicht. Nein.“ Ich habe ehrlich nicht vor, morgen mit Matt zu frühstücken.

„Gut. Wenn Sie mir das hier ausfüllen.“ Er reicht mir ein Formular, in das ich meinen Namen, meine Anschrift und die Daten meines vermeintlichen Ehemannes eintragen soll. Spätestens jetzt bin ich am Arsch.

Ich kenne weder Matts Nachnamen noch seinen Geburtstag oder seine Adresse.

Aber wie genau kann so ein Zettel schon sein?

Deshalb kritzele ich zuerst meine Daten hin, verpasse Matt meinen Nachnamen, ein fiktives Geburtsdatum, und schon ist die Sache geritzt.

Der Angestellte des Hotels wirft einen kurzen Blick auf das Blatt, reicht mir die Zimmerkarten und wünscht mir einen guten Aufenthalt, als Matt neben mir auftaucht.

„Alles unter Dach und Fach?“, fragt er, und ich bete, dass er jetzt nicht mit der Kondompackung in der Luft herumwedelt.

„Alles erledigt.“

„Gut gemacht. Dann los.“

Ich werfe dem Kerl hinter dem Tresen einen kurzen Blick zu, den er mit einem freundlichen Lächeln erwidert. „Einen schönen Abend, Mr und Mrs Carter.“

„Danke, gleichfalls“, erwidere ich und greife nach Matts Hand, um ihn aus der Gefahrenzone zu verbannen. Immerhin runzelt er kurz die Stirn.

Beim Fahrstuhl angekommen, blickt er lächelnd zu mir. „Was hast du dem denn erzählt?“

„Ich war total unsicher und wusste nicht, wie ich die Geschichte verkaufen sollte, deshalb habe ich ihm erzählt, dass du mein Mann bist und wir auf einer Party waren. Was anderes fiel mir nicht ein“, erkläre ich, als die Lifttüren aufgehen und wir einsteigen.

Ich reiche die Karte an Matt weiter, der sie in den vorgesehenen Schlitz steckt und die Nummer für unser Stockwerk drückt. „Deine Geschichte ist ja süß, aber diesem Kerl kann es doch egal sein, was wir hier machen.“

Der Fahrstuhl hält, und Matt lässt mir höflicherweise den Vortritt.

„Aber ich mag, wie du schon bei diesen Kleinigkeiten rot wirst. Daher kann ich es kaum erwarten, richtig wilde Dinge mit dir zu machen.“ Seine Stimme ist rau und verführerisch.

Und obwohl ich bisher nicht wusste, dass ich auf dreckige Dinge stehe, macht mich der Gedanke daran plötzlich an. Bis jetzt habe ich immer nur romantischen, gefühlvollen Sex erlebt. Niemals habe ich etwas Mutiges oder Außergewöhnliches probiert. Mit Matt scheint das alles nicht nur möglich, sondern auch verdammt reizvoll zu sein.

Dieser Mann weiß genau, was seine Worte bei mir auslösen. Grinsend öffnet er die Tür zu unserer Fickhöhle, schaltet das Licht an und betritt nach mir das Zimmer.

Wir blicken uns an, während ich meine Clutch aufs Bett lege und Matt die zweite Schlüsselkarte auf den Schreibtisch wirft. Sein Jackett drapiere ich auf dem Stuhl in der Ecke. Ich bin fürchterlich nervös, auch wenn mein Körper von einem freudigen Ziehen beherrscht wird. Das alles hier ist so neu und einzigartig für mich. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, deshalb warte ich einfach darauf, was Matt tut.

Da mir auf einmal ein wenig schwindelig ist, setze ich mich auf die Bettkante und beobachte gespannt, wie Matt auf mich zukommt. Dicht vor mir bleibt er stehen und streckt seine Hand nach meinem Kinn aus.

Er hebt mein Gesicht an, sodass ich zu ihm hochsehe. „Dann werde ich mal versuchen, meine Ehefrau glücklich zu machen.“

Ich stoße ein lautes, betrunkenes Lachen aus, in das Matt einstimmt, als er sich hinabbeugt und mich schließlich mit seinen Lippen zum Schweigen bringt. Das Bett stößt ein schreckliches Quietschen aus, als ich Matt an seinem Hemdkragen zu mir ziehe.

Erneut breche ich in schallendes Gelächter aus und lege den Kopf zurück. „Dieses Bett scheint schon deutlich überbeansprucht worden zu sein.“

Matt legt sich neben mich und betrachtet mich grinsend. „Von einer ganzen Menge betrunkener Ehepaare.“

„Ich kann gar nicht glauben, dass dieser Tag nun so enden wird“, überlege ich laut und streiche wie selbstverständlich über Matts feste Brust.

Er schiebt mir eine Strähne hinters Ohr und blickt mir fest in die Augen. „Auf eine hoffentlich gute Weise?“

„Ja“, erwidere ich und vergrabe meine Hand in Matts Haaren, als er sich abermals hinunterbeugt, um mich zu küssen.

Ganz langsam fährt er mit seiner Hand an meiner Seite hinab, während er seine Zunge in meinen Mund schiebt und mich bis an den äußeren Rand meiner Beherrschung treibt. Seine Finger streifen ganz kurz meine Brust, dann wandern sie weiter abwärts. Er drängt sein linkes Bein zwischen meine Knie, öffnet dadurch meine Schenkel, und ich kann seinen Penis, hart und bereit, an meiner Hüfte spüren.

Er unterbricht unseren wilden Kuss kurz, um an mir hinunterzublicken, während er den Saum meines Kleides hinaufschiebt. Ich stöhne leise, als seine Fingerspitzen über die nackte Innenseite meines Oberschenkels gleiten.

„So weich und sexy“, raunt er und beißt kurz in seine Unterlippe, ehe er mich erneut küsst.

Als er über den Stoff meines Höschens streicht, habe ich das Gefühl, jeden Augenblick zu verbrennen. Ich kann es kaum erwarten, ihn genau dort zu spüren.

Mutig taste ich mich an ihm nach unten. Sein praller Penis ist nicht zu verfehlen. Sanft schließe ich meine Finger über dem Stoff seiner Hose darum und bekomme als Antwort ein tiefes, männliches Knurren zu hören.

„Oh … ja“, flüstert er gegen mein Ohrläppchen. Ich wusste ebenfalls bis heute nicht, dass ich dort so extrem sensibel sein kann.

Er reibt ein paar Mal über meinen Kitzler und schiebt seine Hand ein Stück unter meinen Slip. „So feucht, Grace. Ich kann kaum erwarten, dich endlich zu ficken.“

Stöhnend drücke ich mein Becken seinen Fingern entgegen, und jedes Mal, wenn er den zuvor sanften Druck auf meine Klitoris verstärkt, geht mein Atem schneller. Ich halte die Augen geschlossen und seinen Schwanz fest in der Hand.

Doch schlagartig ertönt in meinem Kopf ein dumpfes Surren. Wie ein Schwarm Hornissen, der sich von einem Ohr zum anderen ausbreitet. Ich öffne die Augen, blinzele und kämpfe gegen die rasant in mir aufsteigende Übelkeit an.

„Oh, Gott … warte … Matt“, presse ich hervor, greife nach seiner Hand und setze mich auf.

Mit einer Hand fächere ich mir Luft zu, während Matt mich besorgt mustert. „Alles okay?“, fragt er.

Die Übelkeit wird stärker, doch meine Beine zittern so sehr, dass ich es nicht schaffe, sie aus dem Bett zu heben. „Mir ist so schlecht. Ich kann nicht … aufstehen.“

Er reibt sich mit der Handfläche übers Gesicht, wirkt verwirrt und, ja, etwas sauer. Doch schließlich steht er auf, greift nach meinem Arm und zieht mich hoch. Der Schweiß läuft mir über den Rücken, meine Oberlippe kribbelt, meine Hände zittern. Matt muss mich regelrecht ins Bad schleifen. Dort lässt er mich langsam zu Boden gleiten, öffnet den Deckel der Toilette und geht neben mir in die Hocke.

Meine Würde ist endgültig dahin, als ich mich neben einem wildfremden Mann, der mit mir hierhergekommen ist, um Sex zu haben, übergebe. Kotzen hört sich nie unbedingt angenehm an, doch verstärkt durch die absolute Stille und die Akustik des Bades, kommt es mir vor, als würde mein Würgegeräusch locker die Sprengung eines Hauses übertönen.

Seufzend wische ich mir den Mund ab und betätige die Spülung. Ich wage es aber nicht, Matt anzusehen, der meine Kotzeinlage wie ein echter Mann ertragen hat.

Schließlich setze ich mich mit aufgestellten Beinen wie ein jämmerliches Häufchen Elend auf den kalten Fliesenboden. „Es tut mir so leid. Gott, das ist der peinlichste Moment meines Lebens.“

Vorsichtig riskiere ich einen Blick zu ihm. Er wirkt frustriert, und ich wage zu bezweifeln, dass ich sein Mitleid errege.

„Das war heute so ein wichtiger Tag, und ich bin nicht zum Essen gekommen, weil ich keine Zeit hatte. Dazu der ganze Alkohol und wenig Schlaf.

---ENDE DER LESEPROBE---