Sämtliche Erzählungen - Juan Carlos Onetti - E-Book

Sämtliche Erzählungen E-Book

Juan Carlos Onetti

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Beschreibung

Der große Romanautor Juan Carlos Onetti hat ein Leben lang auch Geschichten geschrieben, ja sein Schreiben ist aus dem Bedürfnis entstanden, Geschichten zu erzählen. Von den frühen, mutwillig gegen die Konventionen flacher Einfühlung gerichteten Stücken über die großen, romanhaft komplexen Erzählungen bis hin zu den eigenwillig skizzierten Erzählkernen seiner späten Jahre enthält der vorliegende Band sämtliche Erzählungen. Und sosehr jede davon ihre eigene Form besitzt, so deutlich zeichnet sich die innere Zusammengehörigkeit des erzählerischen Werks ab. Nicht nur, dass Gestalten aus seinen Romanen auftauchen, vielmehr tritt nach und nach hervor, wie Onettis Erzählen aus dem ebenso vitalen wie skeptischen Bedürfnis stammt, sich erzählend ein Anderes vorzustellen. Dies aber in einer unerhörten Konkretion der sichtbaren, gelebten Welt.

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Seitenzahl: 793

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Juan Carlos Onetti

Sämtliche Erzählungen

Aus dem Spanischen

von Svenja Becker,Anneliese Botond,

Jürgen Dormagen,Wilhelm Muster,

Gerhard Poppenberg und René Strien

Herausgegeben

von Svenja Becker und

Jürgen Dormagen

Suhrkamp

Alle Angaben zu Originaltiteln, Erscheinungsdaten, Textvorlagen, deutschen Erstveröffentlichungen in der Editorischen Notiz.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 5047.

© Heirs of Juan Carlos Onetti

© 2023, dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt.

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Umschlaggestaltung nach Entwürfen von hißmann, heilmann, hamburg

eISBN 978-3-518-77357-4

www.suhrkamp.de

Inhalt

Sämtliche Erzählungen

Avenida de Mayo – Diagonal – Avenida de Mayo

Das Hindernis

Der mögliche Baldi

Genesung

Ein verwirklichter Traum

Maskerade

Ausflug

Willkommen, Bob

Die lange Geschichte

Neunter Juli

Zurück in den Süden

Esbjerg, an der Küste

Das Haus in den Dünen

Das Album

Die Geschichte vom Rosenkavalier und der schwangeren Jungfrau, die aus Liliput kam

Die so gefürchtete Hölle

Das Gesicht des Unglücks

Jacob und der andere

So traurig wie sie

Ausgerechnet am Einunddreißigsten

Die geraubte Braut

Matías der Funker

Die Zwillingsschwestern

Auch für den Hund kommt der Tag

Dasein

Die Freunde

Seife

Der Kater

Der Markt

Das Schweinchen

Vollmond

Morgen ist auch ein Tag

Der Baum

Montaigne

Ki no Tsurayuki

Die Flinte

Sie

Die Araukarie

Drei Uhr morgens

Der Hochstapler

Die Küsse

Die Hand

Hin und zurück

Tu me dai la cosa me, io te do la cosa te

Verfluchter Frühling

Bichicome

Der Besuch

Heiliger Josef

Fragmente

Die Kinder im Wald

Der letzte Freitag

Anhang

Editorische Notiz

Anmerkungen

Literaturhinweise

Zeittafel

Sämtliche Erzählungen

Avenida de Mayo – Diagonal – Avenida de Mayo

Er überquerte die Avenida, als der Verkehr aussetzte, und ging jetzt durch die Florida. Ein Kälteschauer rüttelte an seinen Schultern, und sofort zog ihm der Entschluss, stärker als der reisende Wind zu sein, die Hände aus der Obhut der Taschen, wölbte ihm die Brust und hob seinen Kopf auf der Suche nach einem Gott in den eintönigen Himmel. Er könnte jeder Temperatur trotzen; er könnte noch weiter dort unten leben, jenseits von Ushuaia.

Die Lippen wurden in derselben Absicht schmaler, die auch die Augen verkleinerte und den Kiefer kantig werden ließ.

Als erstes trat ihm ein übertrieben polares Bild vor Augen, ohne Hütten und Pinguine; unten weiß mit zwei gelben Flecken und oben der Himmel, ein Himmel wie fünfzehn Minuten vor dem Regen.

Dann: Alaska, Jack London; die schweren Pelze raubten den bärtigen Männern die Anatomie – durch die hohen Stiefel wurden sie Puppen, die trotz des blauen Rauchs aus den langen Revolvern des Hauptmanns der Berittenen Polizei nicht umfallen konnten –, und als sie sich instinktiv wegduckten, fälschte der Dampf ihres Atems einen Heiligenschein für die borstigen Mützen und schmutzigen braunen Bärte. Tangas’s stellte an den Ufern des Yukon sein Gebiss zur Schau; sein Blick streckte sich aus wie ein starker Arm, um die Baumstämme auf ihrer Reise stromabwärts zu stützen – die Gischt wisperte: Tangas’s ist aus Sitka – Sitka, schön wie der Name einer Kurtisane.

An der Rivadavia wollte ein Auto ihn aufhalten; doch durch ein energisches Manöver blieb es zusammen mit einem radfahrenden Komplizen zurück. Als Trophäen des leichten Sieges nahm er zwei Scheinwerfer des Wagens mit an den einsamen Horizont von Alaska. Und konnte so in der Mitte des Straßenzugs ohne große Mühe das schwüle Flair umgehen, das Clark Gables breite Schultern und die Hüften der Crawford auf dem Filmplakat verbreiteten; nur kurz verspürte er den Impuls, dem Filmstar mit den großen Augen die Rosen, die sie zwischen den Brüsten hielt, an die Brauen zu heben. Drei Nächte oder drei Monate zuvor hatte er von der Frau geträumt, die weiße Rosen anstelle der Augen besaß. Aber die Erinnerung an den Traum war nur ein Aufblitzen in seinem Bewusstsein; die Erinnerung glitt rasch weiter, ein Segel andeutend wie das eben von der Rotationsmaschine geborene Blatt, und legte sich still unter die anderen Bilder, die hinterherfielen.

Er befestigte die geraubten Scheinwerfer am Himmel, der sich im Yukon verdoppelte, und die englische Automarke hallte in der trockenen Luft der nordischen Nacht mit energischen Whats wider, die nicht im Auspufftopf eingeschlossen blieben, sondern wie Schüsse im kalten Blau zwischen den hohen Fichten barsten, um dann wie Feuerwerkskörper zum Sternenweiß der Rockies aufzusteigen.

Als Brughtton sich duckte und sein Leib das riesige Lagerfeuer verdeckte und er, Victor Suaid, sich mit schussbereitem Coroner aufrichtete, ließ eine Frau ihre Augen und ein Kruzifix zwischen den Haaren ihres Pelzmantels aufblitzen, so dicht an seinem, dass ihre Ellbogen einander nah kamen.

Verborgen im Rücken zog Suaids Weste zwei tiefe Aquatorlinien, getrieben von seinem Atem, mit dem er den Duft der Frau und die Frau selbst, die sich unter die schneidende Kälte der Straße mischte, in sein Gehirn einfügen wollte.

Inmitten der beiden Passantenströme war die Frau bald ein Fleck, der sich auf und ab bewegte, hinaus aus dem Dunkel ins Licht der Geschäfte und erneut ins Dunkel. Aber ihr Duft blieb in Suaid und verwehte sanft und endgültig die Landschaft und die Männer; und von den Ufern des Yukon blieb nichts als der Schnee, ein Streifen Schnee von der Breite der Fahrbahn.

»Nordamerika kaufte Alaska für sieben Millionen Dollar von Russland.«

Jahre zuvor hätte dieses Wissen den Füllfederhalter von Major Astin im Geographieunterricht besänftigt. Aber jetzt war es nichts als ein Vorwand für einen neuen Tagtraum.

Er ließ zu beiden Seiten des Schneestreifens zwei Reihen berittener Soldaten wachsen. Er, Alexander Iwan, Großfürst, schritt neben Nikolaus II. durch das Spalier der Soldaten und wischte sich bei jedem Schritt mit dem Saum eines Ulsters aus Pelz den Schnee von den Stiefeln.

Der Kaiser hatte einen schwankenden Gang wie dieser Engländer, der Vizechef für Verkehr bei der Central. Die kleinen Stiefel blitzten zum martialischen Schritt, der schon einzig möglicher Ausdruck seiner Beweglichkeit war.

»Stalin hat die Dürre an der Wolga abgeschafft.«

»Zur hellen Freude der Schiffer, Majestät!«

Der goldene Eckzahn des Zaren gab ihm Kraft. Nichts war im geringsten von Bedeutung – Energie, Energie –, der Brustkorb gespannt unter dem Gehänge der Kordelschnüre und dem großen Kreuz, der Zottelbart von Verchenko dem Verschwörer.

An der Diagonal blieb er stehen, wo das Boston Building unter dem grauen Himmel schlief, vor dem Parkplatz mit den Autos.

Natürlich schob sich María Eugenia mit dem Schwung ihrer weißen Röcke in den Vordergrund.

Nur einmal hatte er sie in Weiß gesehen; vor Jahren. So gut als Schulmädchen verkleidet, dass die beiden gleichzeitigen Faustschläge ihrer Brüste gegen den Stoff, als sie auf die Reinheit der großen schwarzen Schleife prallten, aus dem Kind eine skeptische und müde reife Frau machten.

Er bekam Angst. Ruckartig begann die Furcht in seiner Brust aufzusteigen, bis sie fast seine Kehle erreichte. Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich gegen die Wand.

Seine Beine waren von Teilnahmslosigkeit angekettet, und seine Aufmerksamkeit wurde gerefft wie die Segel des Schiffs, das den Anker geworfen hat.

Mit der Lautlosigkeit der Filmtheater seiner Kindheit schipperten die Leuchtbuchstaben durch die Fahrrinne der Anzeigetafel: GESTERN IN BASEL – ZAHL DER OPFER WIRD AUF ÜBER ZWEITAUSEND GESCHÄTZT.

Zornig wandte er den Kopf ab.

»Sollen sie doch alle verrecken!«

Er wusste, dass María Eugenia nahte. Er wusste, er würde etwas unternehmen müssen, und sein Herz geriet blödsinnig aus dem Takt. Es verdross ihn, dass er sich diesem Gedanken zuwenden musste; zu wissen, dass er sein Gehirn in sämtliche Irrgärten treiben konnte und dennoch, lange bevor er sich zur Ruhe legte, auf María Eugenia treffen würde an einer Kreuzung.

Trotzdem unternahm er automatisch einen Fluchtversuch.

»Für eine Zigarette ... ginge ich bis ans Ende der Welt ...«

Zwanzigtausend Plakate plagiierten sich lautstark selbst in der Stadt. Der Mann mit der makellosen Frisur und Zahnreihe streckte den Leuten seine rote Hand hin und darin das Päckchen, aus dem – zu ¼ und ¾ – zwei Zigaretten ragten, wie die Kanonen eines Zerstörers, die auf die Langeweile der Passanten zielten.

»... bis ans Ende der Welt.«

María Eugenia nahte in ihrem weißen Kleid. Ehe die Flächen des Gesichts zwischen den Strömen aus schwarzem Haar zu einem Erscheinungsbild wurden, wollte er den Angriff parieren. Seine Furcht rasselte schon auf der Höhe der Rachenmandeln:

»Weibsstück!«

Verzweifelt kletterte er hinauf zu den Leuchtbuchstaben, die einer nach dem anderen sanft wie Blasen aus der schwarzen Wand traten:

RENNFAHRER MC CORMICK STELLT NEUEN GESCHWINDIGKEIT SWELTREKORD IM AUTOMOBIL AUF

Durch Hoffnung gestärkt konnte er den Rauch auf einen Schlag ausstoßen, das O seines Mundes dabei mit der Umgebung verbinden.

ORD IM AUTOMOBIL AUF – HEUTE IN MIAMI

Der Rauchschwall verbarg als willkommene Camouflage das Profil, das sich auszuprägen begann. Ein Dreieck mit dem rauhen Teint der Wand und dem schachbrettgemusterten Boden bildend, stand der Körper dort. Die Zigarette zwischen den Fingern kündigte mit einem langsamen Rauchfaden den Selbstmord an.

HEUTE IN MIAMI MIT EINER DURCHSCHNITTSGESCHWINDIGKEIT VON

Auf dem goldenen Sand polierte Jack Ligett, der Manager, unterbrochen von energischen Rufen wieder und wieder die glänzenden Teile des Motors. Der Wagen mit dem Namen eines Jagdfalken glich einer riesigen schwarzen Languste, die mit zwei zusätzlichen nimmermüden Beinchen den rasiermesserscharfen Bug stützte.

Die gekrümmten Orgelpfeifen an Backbord und Steuerbord gaben gleichzeitig hier zwanzig und da zwanzig Detonationen ab, die als langsame Wölkchen davonzogen. Mit der Reifenkante auf der Höhe der Ohren begann das Rennen. Jeder Knall fand ein frohlockendes Echo in seinem Schädel, und die Geschwindigkeit war der Streifen zwischen den Fahrrillen, der als kleine Viper in seinem Bauch tanzte.

Er betrachtete Mc Cormicks Gesicht, dunkle Haut, die sich über feine Knochen spannte. Unter dem ledernen Helm, hinter den grotesken Brillenscheiben, blickten die Augen hart vor Entschlossenheit, und durch das nach Kilometern dürstende Lächeln, das seinen Mund kaum spannte, drang der kurze, zu einem Verb im Infinitiv kondensierte Befehl.

Suaid beugte sich über das Geschoss und peitschte den Wagen voran. Er peitschte, bis der Fahrtwind zum Brüllen wurde, und unterwegs berührten die Reifen sanft den Boden, der sie schnell von sich wies wie das Roulette die Kugel aus Elfenbein. Er peitschte, bis er spürte, dass ihn die Viper im Bauch, dünn und starr wie eine Nadel, schmerzte.

Aber das Bild war bemüht, und die Sinnlosigkeit dieser Mühe kam ans Licht, unbestreitbar, ohne mögliche Ausflüchte.

Die Flucht erlosch wie unter einem Schwall Wasser, und Suaid blieb mit halb im Boden vergrabenem Gesicht liegen, die Arme in präzisen Stopp-Signalen betätigend.

»Mich verstecken ...«

Aber er legte sich unter sich selbst, als wäre der Boden ein Spiegel und sein letztes Ich das zurückgeworfene Bild.

Er betrachtete die verschleierten Augen und die feuchte Erde in der Höhle des linken. Die etwas plattgedrückte Nasenspitze, wie die von Kindern vor einem Schaufenster, und die Kieferknochen, die harte und glatte Folie der Furcht malmend. Das schüttere blonde Haar schraffierte die Stirn, und der Bartfleck am Hals färbte sich violett.

Er schloss fest die Augen und versuchte zu versinken; doch die Nägel glitten am Spiegel ab. Besiegt ließ er locker und ergab sich, allein, an der Ecke der Diagonal.

Er war der Mittelpunkt eines Kreises aus Gelassenheit, der sich weitete und dabei die Gebäude und die Menschen tilgte.

Da sah er sich, klein und allein, mitten in dieser grenzenlosen Ruhe, die sich immer weiter ausdehnte. Zärtlich dachte er an Franck, den letzten der Spielzeugsoldaten, der kaputtgegangen war; in seiner Erinnerung hatte die Figur nur ein Bein, und das tiefschwarze U des Schnurrbarts stach unter dem in die Ferne gerichteten Blick hervor.

Er sah aus vielen Metern Höhe auf sich hinab, betrachtete mit Zuneigung den vertrauten Umriss der Schultern, die Kuhle des Nackens und das vom Hut gedrückte linke Ohr.

Langsam knöpfte er sein Sakko auf, zog die Zipfel der Weste glatt und ließ die Knöpfe zurück in die Scharten der Knopflöcher gleiten. Als er die bedächtige Operation beendet hatte, war er traurig und heiter, mit María Eugenia in der Brust.

Jetzt blätterten die Krusten der Teilnahmslosigkeit, die seine Unruhe abgeschirmt hatten, von ihm ab, und die Außenwelt drang zu ihm vor.

Ohne darüber nachdenken zu müssen, machte er sich auf den Rückweg durch die Florida. Die Straße hatte, aller Tagträume bar, Tangas’s’ Zahnreihe und den blonden Bart Seiner kaiserlichen Majestät verloren.

Das Licht der Schaufenster und die großen, an den Ecken hängenden Lampen gaben der schmalen Fahrbahn ein intimes Flair. Ihm stand der Sinn nach einem Salon aus dem vergangenen Jahrhundert, so erlesen, dass die Männer den Hut nicht abzunehmen brauchten.

Er beschleunigte den Schritt und wollte ein aufkommendes unbestimmtes Gefühl abschütteln, an dem etwas von Schwäche und Zärtlichkeit war.

Mit einem Maschinengewehr an jeder Straßenmündung ließe sich das ganze Pack wegfegen.

Es war die Stunde der Abenddämmerung überall auf der Welt.

An der Puerta del Sol, in der Regent Street, auf dem Boulevard Montmartre, am Broadway, Unter den Linden, an alien belebtesten Orten in allen Städten drängten sich die Massen, die gleichen wie gestern und wie morgen. Morgen! Suaid lächelte, hintergründig.

Die Maschinengewehre verbargen sich auf den Caféterrassen, in den Zeitungsständen, den Körben mit Blumen, auf den Dächern. Es gab sie in allen Größen, und alle waren blitzblank mit einem Streifen aus kaltem und fröhlichem Licht auf den polierten Läufen.

Owen lehnte rauchend im Sessel. Das Fenster ließ unter seinen angewinkelten Beinen das Flackern der ersten Leuchtreklamen herein, die gedämpften Geräusche der zur Ruhe kommenden Stadt und die Blässe des Himmels.

Neben dem Fernschreiber lauerte Suaid mit einem gehässigen Lächeln auf das Verstreichen der Sekunden. Mehr als auf das Rattern der Maschinengewehre wartete er darauf, dass der entscheidende Moment Owens Gesichtsmuskeln in Aufruhr versetzte und durch die Hornhaut der hellen Augen Empfindungen zutage träten.

Der Engländer rauchte weiter, bis ein Klacken der Uhr ankündigte, dass sich der kleine Hammer zum ersten jener sieben aufeinanderfolgenden Schläge hob, die sich unerwartet und millionenfach vervielfältigen sollten unter allen Himmelsglocken des Westens.

Owen richtete sich auf und warf die Zigarette weg.

»Ja.«

Von nervöser Freude gepackt, schritt Suaid aus. Niemand in der Florida wusste um das sonderbar Literarische seiner Empfindung. Weder die hochgewachsenen Frauen noch der Portier vor dem Grand Hotel ahnten, wie sich Owens »Ja« in seinem Gehirn auffächerte. Denn »Ja« konnte spanisch oder deutsch sein; und daraus erwuchsen unverhoffte Wege, Wege, auf denen die unbegreifliche Figur Owen in tausenderlei Formen zerfiel, von denen etliche einander ausschlossen.

Angesichts des Verkehrs auf der Avenida wünschte er, die Maschinengewehre würden schleunigst zwischen Rauchbällchen ihren Rosenkranz aus länglichen Perlen absingen.

Doch es gelang ihm nicht, und er schaute noch einmal zurück in die Florida.

Er war erschöpft und ruhig, als hätte er lange geweint. Fügsam, mit einem dankbaren Lächeln für María Eugenia, ging er auf die Fensterscheiben und die bunten Lichter zu, die mit ihrem rhythmischen Pulsen die Straße überspannten.

1933

Das Hindernis

Langsam blieb er stehen, darauf bedacht, das Zusammenspiel der unter die Stille gemischten Geräusche nicht durch ein brüskes Innehalten der Schritte gewaltsam aus dem Lot zu bringen. Stille und Dunkelheit in einem Streifen, der sich vom dumpfen Grollen der erleuchteten Werkshalle bis zu den vier Fenstern des Klubs erstreckte, die gegen das Gelächter und das Klirren der Gläser schlecht schlossen. Auch zuweilen das Klacken der Queues am Billardtisch. Stille und Dunkelheit, durchsiebt vom Vibrieren der Grillen am Boden und dem der Sterne am hohen und schwarzen Himmel.

Bestimmt war es schon zehn, es bestand keine Gefahr. Er bog nach rechts ab, hinein ins Gestrüpp, ging vorsichtig über das raschelnde Laub, zog, die Arme vor der Brust verschränkt, das Sakko eng um den Rücken. Dunkel und kalt. Aber er kannte den Weg im Schlaf, und sein halb geöffneter Mund schickte lange laue Striemen unter das graugestreifte Hemd und wärmte ihm die Brust.

Neben dem gekalkten Gatter blieb er noch einmal stehen. Hier begann der weiß gewürfelte Ziegelweg, der unter einem gefährlichen Laternenlicht bis zur Direktion führte. Wenn sie mich sehen, sage ich, dass ich nicht schlafen konnte. Es wird keiner was sagen. Dass ich rausgegangen bin frische Luft schnappen. Er schwang ein Bein über den Maschendraht, aber ein Gedanke hielt ihn, rittlings auf dem Zaun, zurück. Wie verändert alles war! Vor zehn Jahren ... Mehr dachte er nicht. Aber in schneller Folge kamen die Erinnerungen, deutlich und vertraut, schließlich waren es immer dieselben ... Der Sommermorgen, als man ihn in die Schule brachte ... Das Büro des Direktors, des dicken Mannes, der ihn durch die Brille gutmütig ansieht und ihn tätschelt:

»Scheinst ein guter Junge, Negrito.« Und das Lachen, weil er so klein und schmächtig war: »Du haust uns doch nicht ab, was?«

Er schwang das andere Bein hinüber und saß da. Und ich bin halt nicht abgehauen. Aber als der in Rente geschickt wurde und der Deutsche kam ... Er lächelte ... Als sie den Deutschen herholten ... Er schaukelte auf dem Zaun, sah die Flucht in der Abenddämmerung, den Unterschlupf im Schilf, die Männer, die sich über ihn beugten, abwechselnd auf ihn eindroschen.

Diese ...

Er bebte zum Klang der Stimme und ging rasch zwischen den Bäumen weiter. Diese Dreckschweine. Und alle waren sie gleich. Er stieß gegen einen Stamm und blickte sich mit großen Augen um. Das Bachbett, der Eukalyptusstamm, der Lanzenpfosten des alten Tors ... Nein, noch ein Stück. Er ging weiter. Er musste sich bloß erinnern, seit wann es den Ziegelweg und die Laternen und den Zaun gab. Es war doch alles zusammen mit dem neuen Gebäude der Direktion entstanden – aber jetzt war ihm, als sähe er den Turnlehrer, wie er die Arbeiten am Weg begutachtete. Und der Lehrer war gekommen, als das neue Gebäude längst eingeweiht war ... Er roch die Zigarette und verharrte mit dem Rücken an einen Baum geschmiegt ... Doch, dort waren sie. Er sah, wie die Gesichter hinter den Zigaretten sanft erröteten. Bedächtig pfiff er zweimal kurz und einmal lang. Sie antworteten ihm, und er ging geradewegs auf die am Boden Wartenden zu.

»Hallo, Negro.«

»Salü.«

»Jetzt erst hier?«

Barreiro saß mit vor den Knien verflochtenen Händen da. Der Flaco lag rauchend im Gras, schaute in den Himmel, die Zigarette ragte zwischen den Lippen auf. Geistesabwesend sah er die beiden an und dann zu den Fenstern des Klubs. Unmöglich zu sagen, wann die dort vom Spielen genug hätten. Er saß schon auf dem Boden, da dachte er noch immer mit Behagen an den Salon des Klubs, wo die Unterhaltungen inmitten der bläulichen Schwaden anschwollen, an die weichen Ledersessel und das gewaltige Porträt über dem Kamin. Und der Ziegelweg und die Lampenreihe über der Straße waren nicht dagewesen, als das Haus des Direktors gebaut wurde. Bestimmt; aber trotzdem sah er weiter den Turnlehrer vor sich mit seiner weißen Stoffkappe und den Händen in den Taschen, wie er irgendwas zu den Männern sagte, die den Weg anlegten. Er zuckte die Schultern und schob sich die Mütze über die Augen.

»Gib mir eine Zigarette.«

Umständlich vergrub der Flaco eine Hand in der Hosentasche, hielt ihm das Päckchen hin und legte sich wieder zurück wie zuvor, die Fluppe im Mundwinkel, die halbgeschlossenen Augen in den Himmel gerichtet. Barreiro reichte ihm Feuer:

»Und? Heute nacht dann?«

Er riss das Streichholz an und nahm einen kräftigen Zug, wärmte sich an dem kratzigen Rauch.

»Ja; sobald im Klub die Lichter ausgehen, verschwinden wir.«

»Und wir gehen nicht besser über die Felder direkt zum Bahndamm?«

»Nein, wir nehmen das Bachbett.«

Der andere verschränkte wieder die Hände vor den Knien. Vorsichtig nahm der Flaco die Zigarette aus dem Mund und warf sie von sich. Er drehte den Kopf, um zu sehen, wie die Glut erlosch. Dann spuckte er aus, verschränkte die Hände hinterm Nacken und lachte sanft.

»Stell dir vor, Negro ... Wenn dem Direktor heute abend einfällt, dich zum Kapo vom Werk zu machen. Und du dort draußen, ohne was zu beißen ...«

Er lachte wieder und schlug die Beine übereinander.

»Keine Sorge ... Der Schleimscheißer Fernandez wird Kapo. Hab ich heute mittag vom Ingenieur gehört.«

Barreiro sah ihn mit einem mitfühlenden Lächeln an:

»Dann ... kommst du mit?«

»Und ob ... Mich haben sie lange genug verarscht.«

Der Flaco lachte wieder, und unwillkürlich war dem Negro danach, ihm ins Gesicht zu treten; aber er sagte nichts und rauchte weiter und betrachtete durch den Dunst die gelben Vierecke in der Fassade des Klubs. Wie schön es wäre, dort drin zu sein, sich in einen der Sessel zu setzen, die Füße auf den Tisch zu legen und einen harten Drink zu bestellen. Eine Karambolage nach der anderen zu spielen, nicht ein einziges Mal zu patzen, bis er es leid wäre. Karten zu spielen, er und der Direktor gegen den Arzt und den Ingenieur. Eine Partie Truco, bei der er die Hände voll hätte mit den fettesten Drillingen. Aber wie schön wäre es erst, auf die Angestellten einzuschlagen, auf die Lampen und die Flaschen. Dreckschweine ...

Wie es da in seinen jähen Hass drang, hatte Flacos Auflachen etwas von einer persönlichen Beleidigung. Er wartete mit zusammengebissenen Zähnen.

»Weißt du, dass es Forchela schlechtgeht?«

Sein Kopf fuhr herum, er sah in das bleiche und gehässige Gesicht des anderen:

»Soll er krepieren!«

Wieder lachte der Flaco, diesmal lange, und ruckartig bebte seine Brust. Raunend:

»Wie redest du denn über deinen ...«

Der Negro sprang auf, starrte in das Gesicht, das er unter den klobigen Schuhen zermalmen würde.

»Uber meinen was hast du gesagt?«

Es kümmerte ihn nicht, dass sie es sagten; es kümmerte ihn nicht, es selbst zu sagen. Aber er wusste, dass der Flaco hinter seinem Rücken höhnte, und spürte eine bittere Enttäuschung darin.

»Na, na ... Jetzt kriegt euch wieder ein«, meldete sich Barreiro, der fürchtete, die Auseinandersetzung werde die Flucht vereiteln. »Ich war zum Spätdienst auf der Krankenstation. Forchela liegt im Delirium.«

Wütend presste er die Zigarette zwischen die Lippen und starrte auf die Fenster. Vor zwölf würden sie nicht gehen. Wenn der Pfleger ihn reinließe ...

Barreiro reckte gähnend die Arme. Dann legte er sich hin.

»Warum drehst du nicht noch eine Runde und gehst kurz bei der Krankenstation vorbei?«

Der Flaco bestätigte heiser:

»Klar. Freunden muss man Auf Wiedersehen sagen.«

Der Negro tat unschlüssig ein paar Schritte und versuchte die Gedanken der anderen zu erraten. Heftig sagte er:

»Ich? Und was kümmert mich ...« Und während er sein Sakko überzog, zischte er zwischen den Zähnen: »Aber ich drehe tatsächlich noch eine Runde. Schließlich, vor zwölf...«

Noch wartete er auf etwas; auf eine Bewegung, eine Äußerung von Widerspruch und Misstrauen, die ihm hätte helfen können, sich seiner selbst zu vergewissern. Zu begreifen, warum er jetzt schwach und besorgt war. Aber sie kamen ihm nicht zu Hilfe, und ihm blieb nichts übrig, als wieder zwischen den Bäumen zu verschwinden und mit zusammengezogenen Brauen auf das reglose Laub zu sehen, das in Abständen vom Laternenlicht zwischen den Ästen mild erleuchtet wurde.

Zehn Jahre war das her. Alles war anders gewesen, und der Turnlehrer hatte seelenruhig den strahlenden Morgen im Gespräch mit den Bauarbeitern vertan. Hinter den Brillengläsern leuchten gutmütig die Augen des Direktors, als er ihm auf die Schulter klopft. »Du haust uns nicht ab ...«

Er schüttelte den Kopf, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. In zwei Stunden würden sie über die feuchte Erde rennen, sich durch das pelzige Schilfrohr schlängeln. Buenos Aires. Beim Gedanken an die Stadt blieb er unschlüssig stehen, kratzte über die rauhe Oberfläche des Gatters.

Denn hinter dem Namen verbargen sich das Flores-Viertel, die auf dem Platz verkauften Zeitungen, die Kreuzung vor der Banco Español, die erste Zigarette und der erste kleine Klau im Laden. Dort war die Kindheit, nicht traurig, nicht heiter, doch unverkennbar anders geartet, ein fremdes Leben, heute nicht mehr restlos zu verstehen. Aber dort war auch das Buenos Aires, das die Schilderungen der Jungs und der Angestellten geschaffen hatten und die Fotografien in den gewichtigen Zeitungen vom Sonntag. Die Fußballplätze, die Musik an den Schießbuden entlang der Leandro Alem.

Nachdenklich kickte er gegen den Zaun, und ein Vibrieren verlor sich rasch im Dunkel. Er brachte die Bilder nicht zusammen, verstand nicht, dass die Stadt beides enthielt. Manchmal war Buenos Aires das Gewimmel rings um das rote Zelt, das am Samstagnachmittag vor der San José de Flores aufgebaut wurde; dann wieder eine von grellbunten Plakaten und wandernden Lichtern gesäumte Straße, durch die lachend und laut redend die Leute flanierten. Und immer stand neben der einladenden Tür zu einer Schießbude ein blonder betrunkener Seemann mit einer Rose zwischen den Zähnen.

Ein Geräusch von Schritten rüttelte ihn auf, und Barreiro war schon bei ihm, ehe er sich erschrecken konnte.

»Hör zu, Negro.«

Er sprach hastig, die Zigarette im Mund, die Fäuste in die Hüfte gestemmt, etwas dunkel Entschlossenes und Herausforderndes vermittelnd.

»Ich sag dir eins, auch wenn du bleibst, wir gehen auf jeden Fall.«

»Natürlich gehen wir. Alle drei. Was soll das?«

Barreiro wiegte den Kopf und wandte den Blick ab.

»Nichts, nur so. Nur dass du’s weißt. Dass wir auf jeden Fall gehen.«

Der Negro zuckte die Achseln. Er würgte an einem Haufen Wörtern und einem wilden, unbegreiflichen Hass. Während Barreiro sich über das Gatter lehnte, um den Klub zu betrachten, rang er nach Luft, schlug die Augen nieder.

»Wann verschwinden die bloß ...«

Barreiro rückte seinen Gürtel zurecht und entfernte sich lautlos, verschwand langsam im Dunkel.

Der Negro sah dem weißen Streifen des Kragens, der unter den Bäumen dahinglitt, bis zum Ende nach. Er schwang die Beine über den Zaun und ging weiter in die Nacht.

Unschlüssig blieb er stehen, einen Hauch von Desinfektionsmittel in der Nase. Wie ein Skelett im Museum: der Laubengang von Pavillon A. Er dachte daran, dass er den großen Saal durchqueren musste und die Jungs, die noch nicht schliefen, ihn sehen würden. Die Scham, wenn sie mitkriegten, dass er um diese Zeit gekommen war, um nach Forchela zu sehen. Die spöttischen Blicke und Gemeinheiten würden ihm die Beine verheddern. Er lehnte sich gegen das Holzgerüst, an dem die Rosen emporrankten. Eine Blüte, die letzte, schmiegte ihre fahlgelben Blätter gegen die weiße Latte. Wenn sie sich sowieso lustig machten, würde er der erste sein. Er würde zynisch lächelnd den Saal durchqueren, die Rose hocherhoben in der Hand.

Er riss sie ab und stieg die drei Stufen hoch. Im Vorraum saß der Pfleger auf einer Bank, las und schlürfte Mate.

»Hallo, Negro. Was treibst du so spät noch hier?«

»Nichts ... Ich sollte nachsehen, ob das Werkzeug verstaut ist, und da dachte ich ...«

Der Pfleger nahm die Brille ab und betrachtete ihn einen Moment, blieb an der Hand, die Mütze und Blume hielt, hängen. Aber obwohl das Gesicht des Jungen offen dazu einlud, lachte er nicht. Vielleicht wusste er es nicht. Er legte die Zeitung beiseite und stand müde auf.

»Hast du von Forchela gehört? Falls du ihn sehen willst ... Unwahrscheinlich, dass er die Nacht übersteht.«

Er folgte dem Pfleger zwischen den Betten hindurch, ohne etwas zu sehen, setzte jetzt eine dümmliche Miene auf und schob die Rose mechanisch in die Hosentasche. Aus den grauen Decken der Betten sprangen Wörter auf ihn zu; aber alle fielen zu Boden, ohne ihn zu berühren, wie im Flug einem Mangel an Gewicht erlegen.

Erst im kleinen Saal, am Fuß des Bettes, machte er Anstalten, die Benommenheit abzuschütteln. Er stützte sich auf das Eisengitter und lächelte den Kopf auf dem Kissen an. Sein Begleiter zog die Decken zurecht, fühlte den Puls des Kranken und richtete sich auf mit den Worten:

»Wenn du nichts Besseres zu tun hast, bleib ein bisschen hier. Ich bin in der Apotheke eine Arznei mischen.«

Der Negro nickte; aber er verstand nichts, sah entgeistert auf das hagere und gerötete Gesicht, das Forchela im Takt bewegte, um leichter zu atmen. In dem hellen Haar und den Zähnen, auf die das Licht einen Streifen warf, war etwas von dem Jungen übrig, vielleicht auch in der runden Stirn. Aber der Rest des Gesichts gehörte einem alten Mann, einem in widerlicher Weise abgelebten Greis.

Er schaute unverwandt, hypnotisiert von einer fremdartigen Angst, wagte nicht, zu sprechen oder sich zu bewegen, entsetzt bei der Vorstellung, der andere werde erwachen, ihm mit seinem schwärenden und welken Mund zulächeln, ihn auch ansehen aus seinen glasigen Augen.

Er gab sich einen Ruck und schaffte es mit einigen lautlosen Schritten über den gefliesten Boden weg vom Bett. Vergeblich suchte er an der blank gekachelten Wand nach einer Ablenkung. Am angelehnten Fenster half ihm die Nachtluft, sich an den Gedanken der Flucht zu klammern. Ehe der Morgen graute, würden sie an den Pferdeställen entlanglaufen, ein paar hundert Meter vom Weg entfernt. Wenn die Sonne aufging, am Laden an der Ecke ... Aber sofort fuhr er ängstlich herum, weil der Sterbende gewiss, wenn er nicht auf der Hut war, hinter seinem Rücken grinste, den Kopf hob, die Lider, die dünnen, klauengleichen Hände. Was kalt und schauderhaft wäre, denn der Tod war schon in diesem Körper und konnte sich durch die kleinste Bewegung in den Raum ergießen.

Er trat ans Bett und hängte das Pappschild ab. Name: Pedro Panón. Argentinier. Diagnose. Er verstand die sonderbaren, in runden Buchstaben gemalten Wörter nicht, nicht die schwarze Zickzacklinie, die den Fieberverlauf zeigte. Da atmete er tief ein, runzelte die Brauen, beruhigt durch die feige Möglichkeit, so zu tun, als nähme ihn die unschlüssige, gebrochene Linie völlig in Anspruch, als analysierte er sorgfältig den Zustand des Kranken. Nur für einen Augenblick; denn sofort ahnte er eine neue und beängstigende Bedeutung in dem Namen auf dem Schild. Dem Namen, der diesen reglosen Körper im Bett bezeichnete, der doch längst nicht mehr Pedro Panón oder sonst jemand war. Er hängte die Pappe wieder hin, spürte eine erbarmungslose innere Unruhe, bewegte die Augen wie ein Tier in Gefahr. Er atmete tief ein und näherte sich dem Kopf.

Ja; er musste den Mut haben, einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis der Kopf genau unter ihm wäre, und ihn aufmerksam ansehen, mit kühler Neugierde. Weil ihn das Gesicht nämlich, in seiner Rätselhaftigkeit, durch eine unsichtbare Grimasse in dem stillen Raum dazu aufforderte. Er musste hingehen und sehen.

Er schöpfte Vertrauen, als er ihn deutlicher wiedererkannte; die Stirn und auch die Augen. Es gelang ihm sogar, zu lächeln, mit der Hand ein Streicheln anzudeuten. Aber unvermittelt spürte er, dass es besser war, nichts vom Gesicht des Jungen in dem zu sehen, dessen Kinn vom Laken beschnitten war. Es war monströs, festzustellen, dass die Züge, die der Krankheit noch widerstanden und weiterhin die seines Freundes waren, dass diese Züge auf dem Gesicht mit fremden und abstoßenden vereint waren. Und beide waren schon nie mehr voneinander zu trennen, für immer verschmolzen in der Hitze des Fiebers. Er trat zurück und wollte gehen; da schwang das Greisengesicht auf dem Kissen kaum merklich hin und her und lähmte ihn. Er hörte es leichter durch die zitternde Nase atmen, während sich zwei Speichelfäden in den Mundwinkeln spannten. Jetzt konnte er nicht mehr fort. Er ging in die Knie, bis er den Metallstuhl unter sich spürte, legte die Hände vor dem Bauch ineinander und blickte so, den geschorenen Kopf nach vorn gereckt, stumm auf das hagere Profil.

»Und? Ist er noch ruhig? Ich bin sofort wieder da.«

Der weiße Kittel des Pflegers verschwand aus der Tür. Wieder allein mit dem kantigen Gesicht auf dem Kissen, rutschte er auf dem Stuhl zurecht und begriff mit einem Mal, dass es sinnlos war, weiter zu kämpfen, dass er in dem Zimmerchen des Sterbenden gefangen war, dass er weder in dieser Nacht noch sonst irgendwann fortgehen würde. Barreiro und der Flaco würden in der Nacht zum Schilfgürtel am Fluss huschen, würden die Pferdekoppeln erreichen, ehe es tagte, und die Sonne würde sie fern finden, schnellen Schritts unterwegs auf der Landstraße. Und am Abend würden sie in der Stadt des betrunkenen Seemanns sein, durch die Straße der tanzenden Lichter gehen. Er konnte nicht fort; er musste dem rätselhaften Ritus des Sterbens bis zum Ende beiwohnen.

Er richtete sich auf, blickte unverwandt auf die gerötete Nase des Kranken, den Speichel an seinem verzerrten Mund. Langsam malmte sein Kiefer das schmutzigste Schimpfwort, und ein Gedanke fegte über sein Gesicht wie der Schatten eines Lächelns. Das Bild der anderen beiden, die, frei, als geduckte Gestalten über die nachtschwarzen Felder rannten, brannte beharrlich in seiner Brust.

»Mich werden sie nicht ...«

Im Vorraum traf er den Pfleger. Er nuschelte etwas und sprang die Stufen hinunter. Auf dem unbefestigten Weg fiel er in Trab, blickte unverwandt auf die Fenster des Klubs, die noch gelb erleuchtet waren.

Er betrachtete noch immer den Kopf, als das Morgenlicht schon bläuliche Tücher vor die Fenster spannte. Der Kopf war bleicher, und die Luft bewegte sich gemessen, mit einem dünnen Pfeifen, in ihn hinein und aus ihm heraus, ohne ihn zu behelligen. Er war auch schwerer geworden und versank jetzt fast bis zu den Ohren in der Stoffkuhle, als hätte der Nacken die Nacht mit beharrlicher Schürfarbeit zugebracht. Und unter der sich zurückziehenden Krankheit kam erneut das vertraute Gesicht des Jungen zum Vorschein, von dem das helle Morgenlicht die letzten Fieberflecken wischte.

»Guten Morgen. Wie geht es dem Kranken?«

Der graue Anzug und die Goldrandbrille des Direktors. Merkwürdig, dass er den Wagen nicht gehört hatte. Dahinter eine Schar Gesichter von Angestellten. Jemand schaltete die schon nutzlose Lampe aus. Der Pfleger, für einen Moment in der Tür. Durch die Schwaden der schon fast unerträglichen Schläfrigkeit sah er, wie sie das Bett umringten und sich darüber beugten, hörte sie leise miteinander reden. Vom Fenster kam ein Luftzug, der die Pappe mit der gebrochenen schwarzen Linie erzittern ließ, und das Geräusch schneller Schritte. Der Arzt trat ein, sich den Kittel zuknöpfend, dicke schimmernde Wassertropfen im Haar. Eine Weile hielt er das schmale, auf die Bettdecke gefallene Handgelenk zwischen den Fingern. Dann hob er eins der Lider des Kopfes an, der immer noch bleicher wurde. Er konnte sich nicht erinnern, ob der Arzt zum Direktor, der das Kinn auf die Brust gesenkt hatte und sich mit den Fingern über den Mund strich, »es ist ein Elend« oder »er ist erledigt« gesagt hatte. Der Direktor hob den Kopf, und wandte sich an ihn, legte ihm die Hand auf die Schulter:

»Ich möchte mich bei dir bedanken; du hast gehandelt wie ein Mann. Vor einer Stunde haben wir sie gefunden, im Schilf am Fluss.«

Er machte eine Pause. Der Negro nutzte sie dazu, den Gedanken an die Prügel auszukosten, die die anderen bezogen hatten und die sie noch an etlichen Abenden in der Zelle im Besserungstrakt erwartete.

»Außerdem war es sehr anständig, dass du dich nicht hinlegen, sondern am Bett deines armen Kameraden wachen wolltest. Ich habe hier eiserne Disziplin eingeführt, das war unerlässlich. Aber ich weiß auch diejenigen zu belohnen, die es verdienen. Ich habe eben mit dem Ingenieur gesprochen. Der Vorarbeiterposten im Werk gehört dir. Am Montag fängst du an. Und jetzt Abmarsch ins Bett, du brauchst dringend Schlaf.«

Der Negro sagte »danke« und lächelte verwirrt. Die Angestellten wussten nicht, ob sie ihre in Wichtigkeit versteinerten Mienen dem Leichnam im Bett, der von ihnen vereitelten Flucht oder der Großmut des Direktors widmen sollten. Er ging und dachte dabei, dass der redete wie der Pfarrer, und, schon in der Tür, begrüßte er den Tag mit einem zornigen:

»So ein Dreckschwein!«

»So ein Dreckschwein!« flüsterte er, ohne zu wissen, wen er meinte, als er sich aufrichtete und die Hände auf die schmerzenden Nieren presste. Die anderen gingen weiter vorn und ver schwammen für Augenblicke mit der rasch hereinbrechenden Nacht. Vor dem dunkelnden Himmel ergaben ihre von den Arbeitsgeräten verlängerten Umrisse merkwürdige kohlschwarze Gebilde. Der Aufseher überwachte zu Pferd die Reihe der Rückkehrer und schwang die grobe Peitsche, die an seinem Handgelenk hing.

Der Negro kroch erneut zwischen die Räder und suchte weiter nach dem Schaden am Traktor. Die ölverschmierten Finger betasteten das kühle Eisen. Ich glaube ... Es ist schon dunkel, und wir haben keine Laterne. Wieder sah er sich auf dem Weg zum Friedhof, der Oberkörper hart vom Gewicht des Sarges. Und mit Blei war der nun nicht gefüllt gewesen. Den ganzen Tag nicht geschlafen. Mit der Erinnerung spürte er wieder den Stich in den Nieren. Er bewegte die Hüften, und lockerte mühsam mit der Zange eine Mutter. Und dann diese Reden, stehend in der Kälte, elend vor Erschöpfung, blöde vor Müdigkeit. Der Arm streckte sich aus und kam mit dem Meißel zurück. Er setzte ihn als Hebel an, stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Zwecklos. Da schloss er verzweifelt die Augen, kauerte unbewegt auf allen vieren neben dem Eisenpflug des Traktors. Und das Schlimmste war nicht die Erschöpfung oder die Müdigkeit, sondern diese dumpfe Furcht, die sich seit gestern langsam in seinem Innern regte. Dieses Etwas, das ihn erstickte und nicht losließ und das er unmöglich erkennen konnte.

Der warme Atem des Pferdes streichelte seinen Nacken, und die kräftige Stimme ergoss sich wie ein Schwall Wasser über ihn:

»Und was ist mit dir? Hast du das noch nicht hingekriegt?«

Er antwortete, ohne sich zu rühren:

»Ich weiß nicht. Ohne Licht ...«

Er hörte den anderen absteigen. Da erst öffnete er die Augen und kam hoch.

»Ich glaube, es liegt nicht an der Mutter. Der Pflug muss ab.«

Der andere ging in die Hocke, legte den Kopf schräg, um besser zu sehen. Der Negro richtete den schläfrigen Blick in die Tiefe der Landschaft, wo die Kameraden nur noch eine langgestreckte schwarze Wolke waren. Dann sah er nach unten. Und da legte sich mit einem Mal die hartnäckige Furcht in seinem Innern, und eine unermessliche Ruhe brach mit Macht in seine Seele. Jetzt war alles offenkundig und einfach; und auch wenn er sich den Grund für sein plötzliches Glück selbst nicht erklären konnte, wusste er endlich, was zu tun war. Als hätte ihm jemand, der in der stillen, frostigen Abenddämmerung nicht zu sehen war, die Wahrheit ins Ohr geträufelt.

Der Mann zwischen den schwarzen Radspeichen murrte. Er streckte ihm die Hand entgegen, an der wie ein Schaustück die silbergekrönte Peitsche baumelte.

»Hast du ein Streichholz?«

Es war eine schlichte Freude, die ihm sicheren Stand verlieh, die Muskeln seiner Arme spannte.

»Ja. Hier.«

Der Meißel blitzte auf seiner schnellen, bogenförmigen Reise und traf den schräggelegten Kopf des Mannes neben der dunklen Kurve des Backenbarts. Mehr brauchte es nicht, denn der Körper kam unter der Maschine zu liegen, zusammengekrümmt, als geizte er mit der Wärme, die nur langsam aus ihm entweichen sollte. Er öffnete die Faust, und das Werkzeug verschwand auf dem Boden. Langsam wischte er den Handrücken, den eben etwas benetzt hatte, am Stoff seiner Hose ab. Er hob den Kopf zum geweiteten Himmel, und da ergoss sich die Nacht unaufhaltsam über die Landschaft, flirrte geheimnisvoll in den Gestirnen, im fernen Hundegebell und dem Krickgeräusch von den Tümpeln.

Die Nacht kam. Rasch löste er sich vom Traktor und ging ihr entgegen. Er rannte geradeaus, leichtfüßig und heiter, sicher, dass die Furcht dort auf der schwarzen, umgepflügten Erde Zurückbleiben und erkalten würde. Die große unbegreifliche und geheime Nacht kam schnell näher, um ihn abzuholen, und schob sich unter seinen Körper, der niemals müde wurde. Er tauchte zwischen den Drähten des Zauns hindurch und rannte weiter. Er sprang über den Graben mit einem zersplitterten Spiegel am Grund und wurde nicht langsamer. Jetzt trommelten seine Füße wie toll geworden über das feuchte Gras, brachte den Ombúbaum neben dem Brunnen schwindelerregend schnell näher. Er rannte einige Meter im Bogen und hielt sich dann rechts, zog den langen Mondlichtschatten hinter sich her, der ihm eben gewachsen war. Die Erschöpfung riss wild in seiner Brust, trieb ihm die Lippen über den zusammengebissenen Zähnen auseinander; aber er rannte weiter, rannte, häufte Minuten an und Meter, als zerteilte dieses unbändige Glück, das ihm so unvermittelt erschienen war, die frostige Nacht und zöge ihn rasch an der Hand hinter sich her. Er rannte hinein in ein Maisfeld; dann taumelte er und verlor sich kopfüber im Dunkel.

Mit gekreuzten Armen drehte er sich um. Ein brennender Schmerz an der Wange weckte ihn, und er öffnete die Augen hin zu einem kleinen runden Mond, der bereits hoch am Himmel stand. Vorsichtig setzte er sich auf und lauschte. Nichts. Auf Knien steckte der den Kopf nach draußen und sah sich um. Niemand. Er rappelte sich hoch und ging, ein bisschen kreuzlahm, weiter, hinter sich, zitternd, den kleinen runden Schatten. Zwischen den Zäunen, die den Weg säumten, traf ihn ein Hahnenschrei, der sich abgehackt in der Nacht erhob. Schließlich stieß er sich frohgemut am Zaun ab und schwang sich über den Graben. Im Mondlicht erstreckte sich der Weg wie eine bleiche Zunge in die Nacht. Er zog die Hand mit der trockenen und kratzigen Rose aus der Tasche; er warf sie weg, weit von sich, und rieb dann die Finger aneinander, damit die Blütenreste abfielen. Schließlich beschleunigte er den Schritt und folgte dem Weg auf der Suche nach dem nahen Abend, den zehn Jahre Warten für ihn in einer von Lichtern funkelnden Straße verwahrt hatten, im Schauer der Explosionen in der Schießbude, dem großen Gelächter der dortigen Frauen, dem blonden und taumelnden Seemann.

1935

Der mögliche Baldi

Baldi blieb auf der betonierten Insel stehen, der die Fahrzeuge rasch auswichen, und wartete auf den letzten Pfiff des Schutzmanns, der als schwarzer Fleck auf dem hohen weißen Podest stand. Er lächeltebeim Gedanken an sich selbst, bärtig, den Hut zurückgeschoben, die Hände in den Hosentaschen, die Finger der einen um das Honorar aus der Sache »Antonio Vergara gegen Samuel Freider« geschlossen. Er bescheinigte sich eine heitere und ruhige Ausstrahlung, wie er da breitbeinig vor und zurück schwang, gelassen den Himmel betrachtete, die Bäume vor dem Kongress, die Farben der Busse. Selbstgewiss angesichts der Schwierigkeit des Abends, die schon gemeistert war durch den Gang zum Friseur, das Essen, den Besuch im Lichtspieltheater mit Nené. Und voller Vertrauen in seine Macht – die Hand die Scheine knetend –, weil eine blonde und sonderbare Frau, die neben ihm stand, ihn zuweilen mit ihrem hellen Blick streifte. Und wenn er gewollt hätte ...

Die Autos hielten, und er überquerte die Straße zum Platz hin. Er ging weiter, unverändert souverän. Ein Korb voller Blumen brachte ihm das schmiedeeiserne Gitter in Palermo in Erinnerung, den Kuss zwischen Jasminbüschen letzte Nacht. Der wirre Schopf der Frau sank in seinen Arm. Dann der rasche Kuss an der Ecke, die Zärtlichkeit auf den Lippen, der nicht endende strahlende Blick. Und heute nacht, heute nacht wieder. Unversehens spürte er, dass er glücklich war; so deutlich, er hätte fast innegehalten, als ginge sein Glück an ihm vorbei und er könnte zuschauen, wie es, geschmeidig und elegant, schnellen Schrittes den Platz überquerte.

Er lächelte dem zitternden Wasser des Springbrunnens zu. Neben der großen in Stein schlafenden Kleinen reichte er dem zerlumpten Mann eine Münze, noch ehe der ihn darum bat. Jetzt hätte er sich den Kopf eines Kindes gewünscht, um im Vorbeigehen darüberzustreichen. Aber die Kinder spielten weiter drüben, rannten durch das Karree mit dem rötlichen Kies. Er konnte sich nur losreißen, indem er den Brustkorb aufblies und fest auf den Rost trat, der die heißen Schwaden aus der Untergrundbahn siebte.

Im Weitergehen dachte er daran, wie Nenés Finger dankbar über seinen Arm streichen würden, wenn er ihr dieses unverhoffte, von ihr hervorgerufene Glücksgefühl schilderte, und dass es einer gewissen Ausbildung bedurfte, um sein Glück einfahren zu können. Sie waren eben im Begriff, die Akademie des Glücks zu gründen – ein Vorhaben, dem er eine großartige Zukunft prophezeite, in einem kühnen Gebäude aus Glas, das inmitten einer Gartenstadt aus der Erde schießt, einer Stadt voller Bars, vernickelter Säulen, Orchester an goldenen Stränden und mit Tausenden rosaroter Plakate, von denen Frauen mit berauschten Augen herablächeln –, als er merkte, dass die sonderbare und blonde Frau von eben an seiner Seite ging, nur wenige Meter weiter rechts. Er wandte den Kopf und sah sie an.

Klein, in einem langen olivgrünen Regenmantel, der um ihre Taille geschnürt war, als sollte sie dort zerbrechen, die Hände in den Taschen, der Kragen eines Tennishemds, der rote Knoten des Halstuchs über ihrer Brust. Sie ging langsam, schlug mit dem leisen Klatschen eines vom Wind bewegten Sonnensegels die Knie in den Mantelstoff. Zwei Handvoll rotblonder Haare quollen unter dem krempenlosen Hut hervor. Das Profil feingeschnitten, und alle Lichter spiegelten sich in den Augen. Doch das Geheimnis der kleinen Gestalt waren die zu hohen Absätze, durch die sie genötigt wurde, in majestätischer Gemächlichkeit auszuschreiten, den Boden im unveränderlichen Rhythmus eines Uhrwerks anzuschlagen. Und als schüttelte sie trübe Gedanken ab, wandte sie rasch den Kopf nach links, ergoss einen Blick über Baldi und schaute dann wieder nach vorn. Zwei-, vier-, sechsmal dieses flüchtige Hinsehen.

Plötzlich ein Mann, klein und beleibt, langer dunkelbrauner Schnurrbart. Mit dem schiefen Mund am halbverdeckten Ohr der Frau festgemacht, folgte er stur und wispernd den Haken, die sie schlug, um ihn loszuwerden.

Baldi lächelte und hob den Blick hinauf zum Gebäude. Schon Viertel nach acht. Der seidige Pinsel im Frisiersalon, der blaue Anzug auf dem Bett, der Speisesaal des Restaurants. Auf alle Fälle könnte er um halb zehn in Palermo sein. Er knöpfte sich rasch das Sakko zu und schritt aus, bis er mit dem Paar auf einer Höhe war. Sein Gesicht war von Bartstoppeln schwarz und seine Brust voller Luft, leicht nach vor geneigt, wie vom Gewicht der Fäuste aus dem Lot gebracht. Der Mann mit dem langen Schnauzbart ließ den Blick in einer schnellen Musterung kreisen; dann richtete er ihn mit dem Ausdruck tiefen Interesses auf die gegenüberliegende Ecke des Platzes. Er rückte wortlos ab, in kurzen Schritten auf eine Steinbank zu und ließ sich mit einem über die Rast erfreuten Schnauben nieder. Baldi hörte, wie er heiter und geistesabwesend ein Kinderliedchen pfiff.

Aber schon war da die Frau, hing mit ihren großen blauen Augen an seinem Gesicht, mit dem nervösen und fahrigen Lächeln, dem vagen Danke, danke, mein Herr ... Etwas Unterjochtes und Betörtes, das sich in ihr verriet, brachte ihn dazu, den Hut nicht zu lüften, die Lippen aufeinanderzupressen, während seine Hand über die Krempe strich.

»Keine Ursache«, und er zuckte die Achseln, als sei er es gewohnt, lästige und schnauzbärtige Männer in die Flucht zu schlagen.

»Wieso haben Sie das getan? Schon als ich Sie sah ...«

Sie unterbrach sich bestürzt; aber sie gingen bereits zusammen. Nur über den Platz, sagte sich Baldi.

»Nennen Sie mich nicht mein Herr. Wie wollten Sie sagen? Als Sie mich sahen ...«

Er bemerkte, dass die Hände, mit denen die Frau in der Luft gestikulierte, als presste sie Zitronen aus, weiß waren und zart. Die Hände einerDame, und dann diese Aufmachung, dieser Regenmantel an einem sternklaren Abend.

»Oh! Sie werden lachen.«

Aber sie war es, die stockend, mit wackelndem Kopf lachte. Wegen der weichen r und der summenden s begriff er, dass die Frau Ausländerin war. Deutsche vielleicht. Ohne zu wissen weshalb, erschien ihm das ärgerlich, und er wollte die Sache beenden.

»Es war mir ein Vergnügen, Ihnen ...«

»Ja, lachen Sie ruhig. Schon als ich Sie an der Straße warten sah, dachte ich, Sie sind kein Mann wie alle anderen. An Ihnen ist etwas Eigenartiges, soviel Kraft, etwas Loderndes ... Und dieser Bartschatten, mit dem Sie so stolz wirken ...«

Hysterisch und Literatin, seufzte Baldi. Ich hätte mich heute mittag rasieren sollen. Aber er spürte lebhaft die Bewunderung der Frau; er betrachtet sie von der Seite, mit kühlem, prüfendem Blick.

»Wieso denken Sie das? Kennen Sie mich etwa?«

»Ich weiß nicht, so etwas spürt man. Ihre Schultern, die Art, wie Sie den Hut tragen ... ich weiß nicht. Etwas. Ich habe gebetet, dass Sie mich ansprechen.«

Sie gingen schweigend weiter, und Baldi dachte an die vielen Etappen, die es noch zu bewältigen galt, um pünktlich in Palermo zu sein. Autos und Passanten waren rar geworden. Die Geräusche der Avenida drangen zu ihnen, die vereinzelten und schon nicht mehr überzeugten Rufe der Zeitungsverkäufer.

An der Ecke blieben sie stehen. Baldi suchte auf den Schildern, in den Autoscheinwerfern und am Neumondhimmel nach dem Satz zum Abschied. Sie brach das Schweigen mit kurzen, durch die Nase gestoßenen Lachlauten. Gerührtes, fast weinerliches Lachen, als schmiegte sie sich an ein Kind. Dann sah sie furchtsam auf.

»So anders als die anderen ... Angestellte, Chefs, Büroleiter ...« Die Hände pressten hastig, als sie hinzufügte: »Wenn Sie so gut wären und ein paar Minuten hierblieben. Wenn Sie mir von Ihrem Leben erzählten ... Ich weiß, es ist alles so außergewöhnlich!«

Baldi streichelte wieder die Scheine von Antonio Vergara gegen Samuel Freider. Ohne zu wissen, ob aus Eitelkeit oder aus Mitleid, entschloss er sich. Er nahm den Arm der Frau, und mürrisch, ohne sie anzusehen, die staunenden und dankbaren blauen Augen unbeirrt auf seinem Gesicht spürend, führte er sie bis zur Ecke Victoria, an der die Nacht kräftiger war.

Einige rote Laternen, in die Dunkelheit genagelt. An der Straße wurde gebaut. Ein Bretterzaun um Maschinen, Backsteine, gestapelte Säcke. Er stützte die Ellbogen auf die Palisade. Die Frau blieb unschlüssig stehen, tat einige kleine Schritte, die Hände in den Taschen des Trenchcoats, der Blick aufmerksam auf Baldis harte, dem aufgerissenen Pflaster zugewandte Miene gerichtet. Dann trat sie heran, lehnte sich an ihn, sah übertrieben gebannt auf die verlassenen Gerätschaften unter der Zeltplane.

Nicht zu übersehen, dass die Palisade Fort Colonel Rich umschloss, oben am Colorado, x Meilen vor der Grenze zu Nevada. Aber er? War er Wenonga mit der einsamen Feder über dem geölten Schädel oder Blutige Hand oder Weißes Pferd, Häuptling der Sioux? Denn würde er auf der anderen Seite der lilienförmig angespitzten Latten stehen – wie würde die Frau wohl dreinschauen, spränge er über den Zaun? –, würde der Wall ihn umschließen, wäre er ein weißer Verteidiger des Forts, Buffalo Bill in hohen Stiefeln, mit Musketierhandschuhen und kühnem Knebelbart. Natürlich taugte das nicht, dachte er nicht daran, die Frau mit Kindergeschichten zu erschrecken. Aber jetzt war er angespornt, und selbstgewiss und kraftvoll presste er die Lippen aufeinander.

Brüsk trat er von ihr weg. Wieder ohne sie anzusehen, den Blick eisern die Straße hinunter gerichtet wie ans andere Ende der Welt:

»Gehen wir.«

Und sobald er gewahr wurde, dass die Frau ihm beflissen und erwartungsvoll gehorchte:

»Kennen Sie Südafrika?«

»Afrika ...?«

»Ja. Das südliche Afrika. Die Kapkolonie. Transvaal.«

»Nein. Das ist ... sehr weit weg, nicht?«

»Weit ...! O ja, ein paar Tage von hier!«

»Engländer dort?«

»Ja, hauptsächlich Engländer. Aber man findet alles.«

»Und Sie waren dort?«

»Und ob!« Seine Miene schwankte, wog die Erinnerungen ab. »Im Transvaal ... Ja, fast zwei Jahre.«

»Then, do you know English?«

»Very little and very bad. Man kann sagen, ich habe alles vergessen.«

»Und was haben Sie dort getan?«

»Eine eigentümliche Arbeit. Ehrlich gesagt, brauchte ich keine Sprachen, um klarzukommen.«

Im Gehen bewegte sie den Kopf auf Baldi zu und nach vorn wie jemand, der zaudernd zu sprechen ansetzt; sie blieb jedoch stumm und zuckte nur nervös mit den olivgrünen Schultern. Baldi sah sie von der Seite an, schmunzelte über seine südafrikanische Arbeit. Bestimmt war es schon halb neun. Er spürte so deutlich das Drängen der Zeit, dass ihm war, als liege er bereits, den Parfümduft in der Nase, ausgestreckt und mit geschlossenen Augen im Frisierstuhl, während der laue Schaum in seinem Gesicht quoll. Aber die Lösung war schon gefunden; jetzt würde die Frau gehen müssen. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen eilig weg von ihm, ohne ein Wort. Von wegen außergewöhnliche Männer ...!

Er blieb vor ihr stehen und beugte sich vor, um sein Gesicht nah an ihres heranzuschieben.

»Ich brauchte kein Englisch, weil Kugeln eine universelle Sprache sprechen. Im Transvaal, in Südafrika, habe ich Neger gejagt.«

Sie hatte nicht begriffen, denn sie lächelte wimpernschlagend:

»Neger gejagt? Schwarze Menschen?«

Er spürte, dass der Stiefel auf dem Weg ins Transvaal in Lächerlichkeit versank. Aber die geweiteten blauen Augen bettelten nach wie vor in solch sehnlicher Unterwürfigkeit, dass er wie halsbrecherisch weitermachen wollte.

»Doch, ein verantwortungsvoller Posten. Aufseher in den Diamantminen. An einem einsamen Ort. Alle sechs Monate schicken sie die Ablösung. Aber ein annehmbarer Posten; man wird in Pfund bezahlt. Und, obwohl einsam, nicht immer langweilig. Manchmal will ein Neger mit Diamanten abhauen, mit schmutzigen Steinen, Säckchen voll Staub. Es gab Elektrozäune. Aber mich gab es auch noch, und ich war scharf darauf, schwarze Diebe abzuknallen. Höchst amüsant, das dürfen Sie mir glauben. Pam, pam, und der Neger beendet seinen Lebenslauf mit einem Luftsprung.«

Jetzt runzelte die Frau die Brauen und ließ ihren Blick dabei an Baldis Brust vorbeigleiten, ohne sie zu streifen.

»Und Sie haben Neger umgebracht? Einfach so mit einer Flinte?«

»Mit einer Flinte? Oh, nein. Negerdiebe jagt man mit Maschinenpistolen. Marke Schneider. Zweihundertfünfzig Schuss pro Minute.«

»Und Sie ...?«

»Wer sonst! Und mit dem größten Vergnügen.«

Jetzt aber. Die Frau hatte sich von ihm gelöst, atmete aufgeregt durch den leicht geöffneten Mund und sah um sich. Amüsant, wenn sie einen Schutzmann riefe. Doch voll Scheu wandte sie sich erneut an den Jäger der Schwarzen und bat:

»Wenn Sie ... Wir könnten uns einen Moment auf den kleinen Platz dort setzen.«

»Gut.«

Als sie die Straße überquerten, unternahm er einen letzten Versuch:

»Empfinden Sie nicht ein wenig Abscheu? Vor mir, vor dem, was ich Ihnen erzählt habe?« In einem spöttischen Ton, den er für unausstehlich hielt.

Sie schüttelte energisch den Kopf:

»Oh, nein. Ich denke, Sie müssen sehr gelitten haben.«

»Sie kennen mich nicht. Ich? Gelitten wegen der Neger?«

»Vorher, meine ich. Dass Sie dazu fähig waren, dass Sie diese Arbeit angenommen haben.«

Sie war noch immer fähig, ihm eine Hand über den Kopf zu halten und die Absolution zu murmeln. Mal sehen, was man der Empfindsamkeit einer deutschen Gouvernante zumuten kann.

»In der Hütte gab es ein Funkgerät, um zu melden, wenn ein Neger aus Leichtsinn ums Leben gekommen war. Aber manchmal langweilte ich mich so, dass ich es nicht meldete. Ich nahm den Apparat auseinander, um die Verzögerung erklären zu können, falls die Kontrolle kam, und holte mir den toten Neger als Gesellschaft ins Haus. Zwei oder drei Tage sah ich ihm zu, wie er verfaulte, grau wurde, aufquoll. Ich setzte mich mit einem Buch zu ihm, rauchte Pfeife und las; manchmal, wenn eine Stelle besonders fesselte, las ich ihm vor. Bis mein Gefährte ungehörig zu riechen begann. Dann setzte ich das Funkgerät wieder zusammen, meldete den Unfall und zog in den anderen Teil der Hütte.«

Sie litt nicht schwer atmend wegen des armen, in der Sonne verwesenden Negers. Sie schüttelte den traurig gesenkten Kopf und sagte:

»Mein armer Freund. Was für ein Leben! Immer so allein ...«

Bis er, nun auf einer Bank an dem kleinen Platz, den Abend Abend sein ließ und Gefallen an dem Spiel fand. Schnell, in einem nervösen und eindringlichen Stil, erschuf er den Baldi der tausend grausigen Gesichter, den die Bewunderung der Frau möglich machte. Aus ihrem stillen, anschmiegsamen Zuhören förderte er den Baldi zutage, der in einer Hafenspelunke mit Matrosen in dicken Pullovern – Marseille oder Le Havre – das Geld magerer und angemalter Liebchen verzechte. Aus der Brandung, die ihm die Wolken am grauen Himmel vorspielten, den Baldi, der sich eines schönen Mittags mit zehn Dollar und einem Revolver auf der Santa Cecilia eingeschifft hatte. Aus der Bö, die den Staub aus einem Rohbau tanzen ließ, den großen sandigen Wind der Wüste, den Baldi bei der Fremdenlegion, auf dessen Bajonett der tragische Kopf eines Berbers prangt, wenn er in bewohntes Gebiet zurückkehrt.

Und so fort, bis der andere Baldi lebendig genug war, dass er an ihn denken konnte wie an einen Bekannten. Und da, plötzlich, bohrte sich hartnäckig eine Idee in seinen Kopf Ein Gedanke ließ ihn neben dem Trenchcoat der längst vergessenen Frau in Trübsinn erschlaffen.

Er verglich den gelogenen Baldi mit sich selbst, dem ruhigen und harmlosen Mann, der den Bovarys vom Kongressplatz Geschichten erzählte. Mit dem Baldi, der eine Verlobte hatte, eine Anwaltskanzlei, das respektvolle Lächeln des Portiers, die Rolle Scheine von Antonio Vergara gegen Samuel Freider, Einnahmen in Peso. Ein gemächliches Idiotenleben, wie alle anderen. Er rauchte hastig, erbittert, starrte unverwandt auf das Rechteck einer Rabatte. Taub gegen die zögerlichen Worte der Frau, die schließlich den Mund hielt, sich nach vorn beugte, um sich kleiner zu machen.

Weil Dr. Baldi nicht fähig war, eines Tages an Bord eines schwer mit Säcken oder Stämmen beladenen Kahns zu springen. Weil er nicht den Mumm gehabt hatte, sich einzugestehen, dass Leben etwas anderes ist, etwas, das sich nicht in Gesellschaft treuer Frauen und vernünftiger Männer führen lässt. Weil er die Augen geschlossen und die Waffen gestreckt hatte wie alle. Angestellte, Chefs, Büroleiter.

Er warf die Zigarette weg und stand auf. Er zog das Geld aus der Tasche und schob der Frau einen Schein auf die Knie.

»Nimm. Willst du mehr?«

Er legte einen größeren Schein dazu, mit dem Gefühl, dass er sie hasste, dass er alles darum gegeben hätte, ihr nicht begegnet zu sein. Sie legte die Hand auf die Scheine, damit sie nicht fortgeweht wurden.

»Aber. Ich habe nicht gesagt ... Ich weiß nicht ...« Und zu ihm geneigt, die großen Augen blauer denn je, der Mund enttäuscht: »Sie gehen?«

»Ja, ich habe zu tun. Ciao.«

Er hob noch einmal die Hand zu einem knappen Gruß, wie der mögliche Baldi ihn benutzt hätte, und ging. Aber nach wenigen Schritten drehte er sich um und streckte dem hoffnungsvollen Gebärdenspiel der Frau, die mit kreisendem Handgelenk die beiden Scheine in die Höhe hielt, sein bärtiges Gesicht entgegen. Mit düsterer Miene sprach er die Wörter aus wie Beschimpfungen:

»Das Geld, das ich dir gegeben habe, verdiene ich mit Kokainschmuggel. Im Norden.«

1936

Genesung

Wenn es fast Mittag war, berieselte der Mann mich mit Sand, den er mit dem nackten Fuß zu mir hinschob. Verschlafen drehte ich mich um, streckte mich im Schatten des herabblickenden und lächelnden Gesichts. Der Mann wechselte häufig seine Strandsachen oder variierte sie ein wenig. Aber das spitze Gesicht, das mich anlächelte, blieb gleich und unbegreiflich. Es erinnerte stark an ein unbekanntes Tier. Und zur selben Zeit sprach daraus, folgte man leichthin den Gesichtszügen, eine Intelligenz, die menschlich war und gehässig.

Erst Ende April, fern, in einem wechselhaften Herbst, konnte ich begreifen, wie sehr dieses Gesicht dem eines kleinen und aufgeräumten Fauns ähnelte.

Im Liegen waren aus meiner grasbewachsenen Mulde die Ausläufer des Hotels und die Klippen nicht zu sehen. Der Strand beschränkte sich auf ein Dreieck, dessen Eckpunkte sich fest in den Horizont bohrten.

Einmal war das Meer am Morgen blau, gravitätisch, warf jähe Wellen auf den Sand. Die drei Mädchen spazierten, gemächlich, am Saum entlang. Zu mir drang nur ihr Lachen, ohne Zusammenhang, kleines flüssiges Lachen nach derselben Melodie, die das Wasser bei Tagesanbruch an der fernen, steinigen Landzunge spielte.

Nur zu einer bestimmten Stunde bei Sonnenaufgang konnte man diese Melodie hören. Einerlei wo ich mich hinlegte, ich hörte sie schräg, nervös auf mich zukommen, im selben seitlich ausweichenden Gang, in dem die Rassepferde bei Tagesanbruch über den Sand tänzelten.

Die Farben der Badeanzüge der drei Mädchen wirkten im grimmigen Sonnenlicht kalt und fremd. Dunkelblau die beiden an den Seiten, eine blaue Hose und ein weißes Oberteil trug die größte, die mit langen Schritten zwischen den Freundinnen ging, sich ein Stück von ihnen losmachte, sofort eingeholt wurde.

Ich hätte die Mädchen gern in Orange und Gelb gekleidet, in grelle Rottöne. Aber dann entdeckte ich, dass sich das gravitätische Blau der Badeanzüge und das Weiß des Oberteils auf das Meer bezogen in einer freundschaftlichen Erwiderung, wie nur Mädchen am Morgen sie zu geben vermochten. Ich sah sie auf dem Rückweg, begleitet vom Klang des Lachens, über den Saum der winzigkleinen und sanften Wellen spazieren, auf den nackten Füßen Sprenkel aus Wasser und Licht, die sie vor sich herschoben und mit den Farben ihrer Strandsachen immer neu erschufen.

Vom nahen und nicht sichtbaren Zelt des Deutschen Clubs kam eine Männerstimme. Es gurrte, fröhlich und rätselhaft, das Lachen einer Frau. Und gleich darauf unter Gelächter:

»Nicht ansehen, was die Sonne nie sah ...!«