San Sebastian Blues. Roman - Ingvar Ambjørnsen - E-Book

San Sebastian Blues. Roman E-Book

Ingvar Ambjörnsen

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Beschreibung

Alex, ein ehemaliger Journalist, der sich als Schriftsteller beweisen möchte, wird in eine mysteriöse Affäre hineingezogen. Er trifft seinen Jugendfreund Skeie, der in dunkle Geschäfte verwickelt ist und sich auf der Flucht befindet. Alex inspiriert die Figur seines Freundes zu einer Verbrecherbiographie. Als an der norwegisch-schwedischen Grenze eine Leiche gefunden wird, kommen einige Dinge ins Rollen und der Schauplatz der Geschichte wechselt nach San Sebastian. In diesem wie ein Thriller geschriebenen Roman beleuchtet Ingvar Ambjørnsen die Rolle des Schriftstellers als „Voyeur“, als einen der in das Leben anderer eingreift, es auf- und aussaugt und selber als Unbeteiligter im Hintergrund bleibt. Diese parasitäre Haltung beginnt Alex im Laufe seiner Nachforschungen zu begreifen. Und so wird die Reise mehr und mehr auch zu einer Begegnung mit sich selbst. Eine Begegnung, bei der ein plötzlicher Tod weder wahrscheinlicher noch unwahrscheinlicher ist als ein Erwachen zum Leben. Leicht und unaufdringlich trifft Ambjørnsen den Jargon der Szene und mit schlafwandlerischer Sicherheit diesen »I've got the Blues«-Ton. Hamburger Abendblatt Ingvar Ambjørnsen inszeniert eine Unterweltverstrickung zwischen Oslo und San Sebastian als einen packenden Trip aus Alkohol, Flucht, Mord, Heroin, einer Liquidierung und dem großen Geld.

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Seitenzahl: 282

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Über das Buch

In seinem Roman geht es Ingvar Ambjørnsen um eine Unterweltverwicklung zwischen Oslo und San Sebastian: Ein verwirrendes Geflecht aus Alkohol, Flucht, Mord, Heroin, einer Liquidierung und dem großen Geld.

Alex, ein ehemaliger Journalist, der sich als Schriftsteller beweisen möchte, wird in eine mysteriöse Affäre hineingezogen. Er trifft seinen Jugendfreund Skeie, der in dunkle Geschäfte verwickelt ist und sich auf der Flucht befindet. Alex inspiriert die Figur seines Freundes zu einer Verbrecherbiografie. Als an der norwegisch-schwedischen Grenze eine Leiche gefunden wird, kommen einige Dinge ins Rollen, und der Schauplatz der Geschichte wechselt nach San Sebastian.

In diesem wie ein Thriller geschriebenen Roman beleuchtet Ingvar Ambjørnsen die Rolle des Schriftstellers als »Voyeur«, als einen, der in das Leben anderer eingreift, es auf- und aussaugt und selbst als Unbeteiligter im Hintergrund bleibt. Diese parasitäre Haltung beginnt Alex im Laufe seiner Nachforschungen zu begreifen. Und so wird die Reise mehr und mehr auch zu einer Begegnung mit sich selbst.

»Leicht und unaufdringlich trifft Ambjørnsen den Jargon der Szene und mit schlafwandlerischer Sicherheit diesen »I’ve got the Blues«-Ton.« Hamburger Abendblatt

Über den Autor

Ingvar Ambjørnsen, geb. 1956 in Tønsberg, Norwegens kneipenreichster Stadt, aufgewachsen in Larvik. Nicht vollendete Gärtnerlehre und mancherlei Jobs in Industrie und Psychiatrie. Erste Buchveröffentlichung 1981: »23-salen«, seitdem zahlreiche Romane, Welterfolg mit den »Elling«-Romanen. Lebt seit 1985 in Hamburg. Bei CulturBooks erscheinen seine frühen Kriminalromane »Stalins Augen« (1989) und »Die mechanische Frau« (1991) und der Roman »San Sebastian Blues« (1990) als digitale Neuauflagen. Ingvar Ambjørnsen wurde 2012 mit dem Willy-Brandt-Preis ausgezeichnet.

Ingvar Ambjørnsen

SAN SEBASTIAN BLUES

Roman

Impressum

Digitale Neuausgabe: © CulturBooks Verlag 2016

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, [email protected]

www.culturbooks.de

Alle Rechte vorbehalten

Deutsche Erstausgabe, Printfassung: © Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, 1989

Umschlaggestaltung: Magdalena Gadaj

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: 15.2.2016

ISBN 978-3-95988-007-7

1

Mit der Kleinen lief wieder alles daneben. Sie konnte nicht eine einzige Anekdote aus dem Kindergarten erzählen und sie wollte auch nicht wissen, warum der Himmel blau war, und das Wasser nass. Ihr Blick sagte mir, dass sie schon halbwegs in ihrem geistigen Teddybärenreservat war, zu dem Jedes-dritte-Wochenende-Väter keinen Zutritt haben.

»Ich freu mich auf den Sommer«, sagte ich. »Dann können wir draußen sitzen und gar nichts tun. Wie findest du das?« Ich gab der Fernschaltung einen Klaps und die blöde Visage von Bugs Bunny tauchte auf der Mattscheibe auf.

»Meinste vielleicht, das wär witzig?«, fragte sie, den Mund voller Salzlakritz.

»Nein«, sagte ich. »Das ist nicht witzig.«

Ich stand auf und ging in die Küche, um mir ein Bier zu holen.

»Ich glaub, das hat keinen Zweck, Alex«, sagte Toril, als ich dem Halben den Hut abschlug. Sie sah beim Reden Thor an und Thor tat so, als passierte draußen vor dem Fenster etwas Spannendes.

»Nein, sieht nicht so aus«, antwortete ich. »Hoffentlich habt ihr für dieses Wochenende nicht die große Supersause vor.«

»Wir haben überhaupt nichts vor«, sagte sie. »Wie sollten wir auch?«

Thor meinte: »Vielleicht hatte die Psychologin recht. Vielleicht ist das für sie wirklich zu viel Hin und Her.«

Toril stöhnte und machte ein ziemliches Theater wegen ihres wunden Rückens, als sie zum Küchenschrank hinüberging, um die Thermoskanne zu holen. »Warum hast du bei der Zeitung aufgehört?« fragte sie. »Hast du mit deinem Schmöker so massenhaft Flocken abgezockt, dass du deine Einkünfte begrenzen musstest? Oder hattest du Angst, die Druckerschwärze der Tagespresse könnte deinen guten Namen als Schriftsteller versauen?«

Ich nahm noch einen Schluck. »Diese Psychofrau hat nicht recht. Heute haben alle Kinder zwei Väter und drei Paar Großeltern, das weißt du verdammt nochmal genau. Das Problem ist, dass ich den ganzen Mist nicht in den Griff kriege.« Ich leerte die Flasche und stellte sie auf den Tisch. »Und das macht mir Sorgen.«

Nun hatte ich einen Giftspritzer ins Auge erwartet, aber der kam nicht Stattdessen folgte ein langes und böses Schweigen, das Toril schließlich zerstörte, wahrscheinlich aus purer Nächstenliebe.

»Ich weiß nicht, was mit dir los ist. Aber du kommst mir genauso verwickelt vor wie ein Seemannsknoten. Und Kinder sind keine Idioten.«

»Vielleicht sollte ich mal bei Kåre vorbeischauen«, sagte Thor.

»Bleib ruhig hier«, erwiderte ich. »Keine Panik. Toril hat recht und deshalb gibt’s auch keinen Knatsch.«

Ich nahm mir ein neues Bier aus dem Kühlschrank. »Wir legen mal ein Päuschen ein. Bis sie nach mir fragt.«

Sie sahen verlegen aus.

»Und die Zeitung?«, fragte Toril und betrachtete forschend den Kaffeesatz in ihrer Tasse.

»Da war ich doch nicht fest angestellt, zum Henker«, sagte ich entnervt.

»Nein, aber es war doch zumindest ein fester Aufenthaltsort.«

»Das war diese Bude hier auch mal«, sagte ich. »Du hast dir nicht solche Sorgen gemacht, als mir dieser Aufenthaltsort durch die Lappen gegangen ist.«

»Ich gehe runter zu Kåre«, sagte Thor.

»Du bleibst!« befahl Toril.

Ich gab Thor eine seiner Bierflaschen aus meinem Kühlschrank. »Alles klar. Diese LP brauchen wir nicht nochmal aufzulegen.«

»Du bist 35«, sagte Toril. »Und du wuselst wie ein von zu Hause durchgebrannter Teenie durch die Gegend. Willst du nach dem Bohème-Image leben, das einige Rezensenten dir angehängt haben?«

»Ja«, antwortete ich. »Im Herbst gebe ich all die schweinischen Briefe heraus, die du mir damals aus Lesbos geschickt hast. ›Siecher Sex‹.«

»Fein«, sagte sie. »Das Geld zahlst du dann direkt auf das Konto der Kleinen ein. Schließlich habe ich ja das Copyright, meine ich.«

»Ach ja?«, fragte ich. »Die Alimente spuken also wieder? Mach dir keine Sorgen. Oder hab ich damit vielleicht rumgetrödelt?«

»Nein, hast du nicht. Gott weiß, wie du das geschafft hast.«

»Ja«, sagte ich und trank abermals ex. »Du kannst sicher sein, er weiß das.«

Wir legten noch zwei oder drei Runden verbales Pingpong hin, um nicht ganz aus dem Training zu kommen. In der Luft lagen weder alte Liebe noch alter Hass, es war nur ein Spiel, nur ein verdammt plattes Spiel. Wir vertrieben Thor ins Wohnzimmer zu Bugs Bunny und unserer Erbin und sowie wir zuschauerlos waren, saßen wir einfach nur noch da und betrachteten die Tropfen, die vom Wasserhahn herunterfielen und im Spülbecken landeten.

»Das war wirklich nett«, sagte ich. »Aber alles hat ein Ende.«

Ich erhob mich. »Gib ein Signal, wenn du meinst, ich kann noch etwas anders tun als Postanweisungen zu unterschreiben.«

Sie stand auf und streichelte meine Wange.

»Warum ist es zehnmal schlimmer, von einer fünf Jahre alten Frau abgewiesen als von einer dreißigjährigen vor die Tür gesetzt zu werden?«, fragte ich.

Nun war sie es, die den Kühlschrank aufsuchte. »Ich ruf dich nächste Woche an, wenn du noch dieselbe Nummer hast Hau jetzt ab und schreib dein großes Abenteuer!«

Ich ging ins Wohnzimmer, sagte »Mach’s gut« zu Thor und zwang der Kleinen einen Kuss auf. Wir waren alle drei verlegen und unbeholfen, ich musste dem allen einfach ein Ende machen und wegkommen, ehe die Verzweiflung zur Aggression wurde, ehe Decke und Wände kamen. Ich musste einen trinken, ich musste zwei trinken und ich dachte an den verdammten Frühling draußen und an das Wochenende, das überlegt werden wollte.

Einen Moment blieb ich vor dem Block stehen, drehte mir eine Zigarette und betrachtete einen Heini, der sein Auto polierte. Mir war schlecht. Das ist bloß der Frühling, sagte ich mir. Der macht dich dieses Jahr so fertig wie letztes Jahr und alle anderen Jahre auch.

Es war dieses Gefühl, nackt in die langen Nachmittage geworfen zu werden. Das gelbe Licht. Der Streusand in den Augenwinkeln, Hundescheiße unter den Schuhsohlen. Der Anblick von vor Neujahr benutzten Kondomen, sie wuchsen aus den immer weiter schrumpfenden Schneewehen heraus wie Maden aus halb aufgelösten Leichen. Die Kippen, die fallenden Eiszapfen, das steigende Dreckwasser und die verdammten Autofahrer, die alle Zweibeinigen mit klebrigem Schmutz bespritzten. Seit die Sommerzeit in Kraft getreten war, waren die Tage lang wie Lichtjahre und ich hatte nichts, womit ich sie füllen konnte. Ich lief durch Oslo im April und zerbrach mir den Kopf, ob ich irgendeinen hergelaufenen Trottel umbringen oder ob ich meine Hoffnungslosigkeit gegen mich selber wenden und kurzen Prozess machen sollte. Der Frühling hatte mich immer schon zu neuen Abgründen gelockt, zu offenen Fenstern und schwindelnd hohen Brücken, schlecht gesicherten Zugübergängen und Medizinschränkchen voller Barbiturate.

Ich fuhr stattdessen mit der Bahn in die Innenstadt und ging ins Alkoholmonopol. Der halbherzige Versuch des feigen Selbstmörders, sich selber ohne zu viel Blut und Unbehagen aus dem Weg zu räumen. Ich kaufte zwei Flaschen Whiskey und drei Flaschen trockenen Weißwein und bei Andvord erstand ich 400 weiße Blätter für den Fall, dass ich noch zukunftsgeil würde.

Dann fuhr ich nach Majorstua, wo jemand gesagt hatte, ich könnte mich bis auf weiteres wie zu Hause fühlen. Spitze. Ich habe mich noch nie irgendwo länger als bis auf Weiteres zu Hause gefühlt.

Nach einigen Gläsern am Küchentisch ging ich mit der Flasche in Gerts Arbeitszimmer, wo ich die 400 Blätter anglotzte, die sorgfältig in stramme Plastikfolie eingeschweißt auf dem Schreibtisch lagen. Je weiter ich mich dem Boden der Whiskeyflasche entgegenarbeitete, um so weißer wurden sie, immer jungfräulicher und unnahbarer. Schließlich trank ich aus und gab auf.

Und wo ich nun schon mal aufgegeben hatte, war es im Grunde das natürlichste von der Welt, mit einem Taxi ins P 17 zu fahren.

Da war das übliche alte Gewusel. Nachdem ich mich an den lebensgefährlichen serbischen Rausschmeißern (oder wo zum Henker die nun herkommen mochten) vorbeigequetscht hatte, stürzte ich mich kopfüber in das zugeräucherte Lokal. Der Geruch von verschwitzten und frustrierten Geschlechtsorganen mischte sich mit dem Dunst der viel zu teuren Getränke und ein Schauspieler, der in den letzten 15 Jahren ein bisschen Pech gehabt hatte, hing in den Armen eines joblosen Journalisten und rief, er wolle sterben, am liebsten hier und jetzt. Die Rausschmeißer eilten herbei und taten ihr Bestes. Es war so voll wie in einer versiegelten Heringsdose und es gab fast genauso wenig Luft. P 17 war ein Lokal für versoffene, erfolglose Menschen, ohne jede Zukunft, aber mit massiven Alkoholvisionen von Sommerhäusern und Värmland, frisch erschienenen Bestsellern, Durchbruch in der Filmbranche, überhaupt ganz allgemein GLÜCK. Und nun tranken und tranken und tranken sie, während sie darauf warteten, dass die große Liebe einen Blick in ihre Wirklichkeit warf und »Hallo!« sagte.

Hier konnte ich mich sicher auch wie zu Hause fühlen, bis auf Weiteres.

König Knut tauchte gegen ein Uhr auf. Mit Hof. Ich versuchte, mich in eine andere Richtung zu drehen, als ich seine breite Gestalt in der Tür sah, aber es war zu spät, er hatte mich schon auf der Netzhaut. Er schickte zwei von seinen Boys vor sich her durchs Gewimmel, damit er keine Zigarettenasche auf sein teures Jackett bekam, dann zog er einen Kamm durch die Reste seiner Behaarung und folgte den Knaben zusammen mit drei, vier jungen Tussis, die blöd genug gewesen waren, sich ins tiefe Wasser locken zu lassen. Sie waren 18, 19 Jahre alt und sahen absolut nicht so aus, als ob sie schwimmen könnten.

»Alex!« Seine Stimme war genau einschmeichelnd genug, um mich darauf vorzubereiten, dass er mich gleich mit einem rostigen Messer zerlegen würde. »Das muss doch Jahre her sein, was? Trinkst du Wein? Bestell noch eine Flasche, auf meine Rechnung.«

Ich entfernte seine Rechte von meiner Schulter. Sie war bleischwer von Ringen und dem obligatorischen Goldarmband. Er stank nach Rasierwasser und Campari.

Sein Gefolge presste sich an mich, um am Tresen Platz zu finden, aber es macht mich nicht sonderlich geil, wenn mir ein 18 Jahre alter Frauenoberschenkel in den Hintern gedrückt wird.

»In manchen Ländern ist es ganz normal, die ganze Familie mitzuschleifen, wenn man einen trinken geht«, sagte ich. »Hier bei uns sieht das bloß beknackt aus.«

Er lachte sein widerwärtiges Lachen und wieder legte sich seine väterliche Hand auf meine Schulter. »Immer noch der gute alte Alex. Noch immer dieselbe große Klappe wie eh und je. Ja, ja, davon lebst du ja schließlich, wie ich höre.«

Ich war klug genug, nicht laut herauszubrüllen, wovon er lebte.

»Wo treibst du dich denn zurzeit herum? Dichterklause auf dem Lande?«

Seine Boys und seine Tussis unterhielten sich miteinander und ich hatte das unangenehme Gefühl, dass im Grunde nur Knut und ich hier anwesend waren.

Und die Barmänner, natürlich. Aber auch wenn diese Knaben sicher ein gewisses Training in Lebensrettung hatten, wagte ich es doch nicht, mich voll darauf zu verlassen.

Ich kippte mein Weinglas, das er großzügig für mich gefüllt hatte, in mich hinein. »Mal hier, mal da.«

Ich hatte nicht vor, ihm Adressen zu verraten.

»Noch immer nichts Festes?«

»Nein.«

Er schüttelte den Kopf und sah bekümmert aus. »Du bist zu alt für dieses Leben, Alex. Du musst deinen Kram ein bisschen in Ordnung bringen.«

»Wie war’s im Knast?« fragte ich. »War der Kram da ein bisschen in Ordnung?«

»Ach, Himmel, sicher doch.« Er zwängte einen dicken Zeigefinger hinter seinen Schlipsknoten und machte dadurch die Schlinge etwas weniger tödlich. »Aber da draußen war wirklich das totale Chaos, bis ich gekommen bin.«

»Ich muss jetzt gehen. Ich bin blau.«

»Aber doch jetzt noch nicht, Alex! Blau? Bock auf eine Nummer mit der kleinen Anita hier?« Seine Hand verschwand von meiner Schulter und ich hörte, wie er ihrer Arschbacke applaudierte. »Die Frau ist wirklich ein heißer Ofen!«

»Was willst du eigentlich?« Ich füllte mein Glas noch einmal.

»Was ich will? Will ich denn etwas?«

»Aus dem Weg!«, sagte ich. »Sonst muss ich dir in die Tasche pissen!« Ich hatte meine Stimme ein paar Takte lauter gedreht und einer seiner Handlanger drehte sich erwartungsvoll um. König Knut winkte ab und setzte mir seinen Zeigefinger auf den Solar Plexus.

»Na gut, Alex, ich sag dir, was ich will! Ich will den ganzen Vidar Skeie auf einem silbernen Tablett!«

Das war immerhin eine gute Nachricht. Ich hätte König Knut dieses Gericht auch nicht servieren können, wenn ich es noch so gern gewollte hätte.

»Ich hab den Knaben seit Monaten nicht mehr gesehen«, sagte ich und entfernte seinen Zeigefinger.

»Das weiß ich. Das heißt, ich glaube es, wenn du es sagst. Aber wenn er kommt, Alex – und früher oder später kommt er zu dir – dann will ich ihn haben. Habe ich so langsam und deutlich gesprochen, dass du alles verinnerlicht hast?« Er fischte einen Parker aus der Tasche und kritzelte eine Telefonnummer auf eine Serviette. »Hier. Tag und Nacht.«

Ich nahm die Serviette und wischte mir damit die Oberlippe ab, ehe ich sie in der Jackentasche verschwinden ließ. »Was hat er denn angestellt? Hat er schon wieder deine VISA-Karte gemopst?«

Er steckte sich an der alten eine neue Prince an. »Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, dass dich das so besonders interessiert, oder?«

Damit hatte er im Grunde recht, wenn ich mir das so überlegte. Es war mir ganz einfach schnurz, was diese beiden Ärsche miteinander trieben und wie sie es machten. Das einzige, was mich wirklich interessierte, war mein eigenes Wohlergehen. Und deshalb musste ich meine Nase möglichst weit aus den Arschlöchern von Vidar Skeie und König Knut heraushalten.

»Und der Finderlohn?«, fragte ich, vor allem, um etwas zu sagen.

»Tja. Zwei ganze Kniescheiben und zwei Flaschen Wein, was hältst du davon? Soll ich noch eine bestellen?«

»Ich glaube, es reicht«, sagte ich.

2

Trotz aller Depressionen – so schlecht ging es mir nicht. Ja, wohnungsmäßig war ich sogar ganz oben. Zwar brachte ich nichts zu Papier und mein Privatleben bestand nur aus Zank und Streit – aber ich wohnte gut. 200 Quadratmeter Parkett und Perserteppiche in Majorstua, die zwei Freunde mir überlassen hatten, als sie ihre Rotznasen in Richtung Sri Lanka gedreht hatten. Sie würden für unbestimmte Zeit wegbleiben, und das bedeutete, dass ich genauso lange den deprimierten Grafen spielen könnte.

Als ich an diesem Abend nach Hause kam, verirrte ich mich fast zwischen den Stilmöbeln und Blumenständern, ehe ich das Doppelbett fand, und das Bewusstsein verlor.

Oslos Unterwelt und ihren diversen Vertretern schenkte ich nicht eine einzige Traumszene.

Ich hatte den Klapperschluck aufgegeben. Ich hatte mich dazu gezwungen. Das war die reine Hölle, aber es war notwendig. Immer, wenn ich mich einem Morgenbier näherte, dann sah ich vor mir das aufgeregte Gesicht von Dr. Myrvang und seinen roten Zeigefinger, den er auf meine Leber gerichtet hatte. Ich wagte es einfach nicht mehr.

Der Kaffee schmeckte grimmig und der Frühlingstag vor den blankgeputzten Fensterscheiben war gerade so schön, dass sich mein Panikgefühl pünktlich einstellte. Einige verzweifelte Goldammern hackten mit ihren Schnäbeln am Vogelhäuschen auf dem Balkon herum, und das Licht fiel klar und hart in die große altmodische Küche. Das Geräusch der Autos unten auf der Straße erreichte mich wie ferner Kriegslärm, das Lachen von zufällig Vorübergehenden war von einer bedrohlichen Unruhe erfüllt. Eine heilige, normale Hölle in einem sozialdemokratischen Land hoch im Norden und was zum Henker lauerte in König Knuts Kleinhirn? Das tägliche Brot konnte ich nicht hinunterwürgen, aber die Zigaretten benahmen sich ganz tadellos.

Vidar Skeie auf einem silbernen Tablett?

Außer Toril wusste niemand, dass ich hier in der Jacob Aallsgate hauste. Ob sich das große Unbekannte draußen im Gedränge der Nachtclubs bewegte, kümmerte mich nicht. Ich würde in diesem Prachtbunker eine Belagerung durch die Wirklichkeit lange aushalten können.

Nein, außer Toril wusste niemand, dass ich hier war.

Ich hatte total vergessen, wie mitteilsam sie im Laufe einer Flasche werden konnte.

Tags darauf schellte das Telefon. Aus irgendeinem Grunde nahm ich ab, obwohl ich beschlossen hatte, mir diese Gewohnheit abzuschminken.

Stimmengesurr und Lärm am anderen Ende. »Hallo?«

»Ja, hier bei Åse und Gert.«

»Alex? Rist du das, Alex?«

Plötzlich war ich nicht so ganz sicher. Ich hielt die Fresse.

»Das hat keinen Zweck, Alex. Ich kann deine Tabakslunge hören, weißt du.«

»Ach verdammt«, rutschte es mir heraus. »Bist du das, Vidar?«

»Sitz im Gamle Major. Kuckst du mal vorbei?«

»Kommt nicht in die Tüte.«

»Okay. Dann komm ich zu dir. Sind Gert und Åse da oder haben die sich schon davongemacht?«

»Ja, du, hier findet gerade ein kleines Familienfest statt. Die Eltern von Gert und Åse, plus ein Dutzend Onkel und Tanten und zwei nette Vettern aus der Shipping-Branche. Es fragt sich ja doch, ob irgendwer besondere Lust hat, über deinen letzten Coup zu hören. Und außerdem ...«

Ich wollte jetzt eigentlich zum Ernst übergehen und ihn fragen, wie er auf König Knuts schwarze Liste geraten war, aber er legte auf. Ich überlegte mir fieberhaft, dass ich mich jetzt

entscheiden müsste, aber tief in meinem schwachen Herzen wusste ich ja, dass Vidar bereits für mich gewählt hatte. Ich goss ein solides Milchglas voll Whiskey, um meine Nerven zu schmieren.

Während ich wartete, lief ich über das Bohnerwachs hin und her und betrachtete mein Heim. Es war ein ordentliches Heim. Es gab keinen Staub, dafür hatten die beiden Allergiker gesorgt und die Luft wirkte gereinigt und sauber, obwohl ich im Laufe des Nachmittags etliche Zigaretten gepafft hatte. An den perlgrauen Wänden hing Originalgraphik für ein oder zwei anständige Jahresgehälter und die Bücher in den gutbestückten Regalen waren allesamt genau einen halben Zentimeter von der Kante fortgeschoben. Die Topfblumen waren patinagrün und strotzten vor Säften, die Töpfe glänzend weiß, die Erde frisch braunschwarz und ohne einen Flecken Pilzbefall. Der Raum war wunderbar frei von Nippes. Es war ein »reines« Zimmer und normalerweise wurde es von reinen Menschen bewohnt, die klare Gedanken dachten und die richtigen Schlüsse zogen. Wenn ich in das andere Zimmer ging, dann würde ich mich einem fast identischen Anblick gegenübersehen; reine Linien, wenige, aber solide Gegenstände, kein Jux. Die beiden Schlafzimmer waren auch nicht anders: Sie waren Räume für Schlaf und Ruhe, zur Not noch für einen beherrschten Fick, aber sie waren nicht als Sammelstelle für unwesentliche Dinge gedacht.

Im Grunde hatte ich hier nichts zu suchen – und das tat ich ja schließlich auch nicht. Aber so sehr ich hier auch fehl am Platz sein mochte, so lag darin doch keine Bedrohung für Gerts und Åses bürgerliches Glück. Ich war vorsichtig mit offenem Feuer und wenn ich ein seltenes Mal kotzen musste, dann kniete ich fromm vor dem Porzellan. Den größten Gauner meiner Bekanntschaft in diese Gemächer zu bitten, war deshalb ein Verstoß gegen meine guten Vorsätze. Das meiste von dem, was sich in dieser Wohnung befand, hatte wesentlich mehr gekostet als 14,75.

Naja. Was ich am Telefon gesagt hatte, ließ sich im Grunde wohl kaum als Einladung auslegen.

Damit beruhigte ich mich erst einmal.

Vidar Skeie sah salonfähig aus. Er hätte zweifelsohne mitten in die Gesellschaft platzen können, die ich mir zusammengelogen hatte. Ja, er hätte die Konversation sicher ebenfalls gut durchgestanden. Hätte mit den Tanten geplauscht, bis sie schmucklos dasaßen, hätte die Onkel während eines sachlichen Gesprächs über den derzeitigen Verfall bestohlen und vielleicht den Vettern aus der Shipping-Branche für billiges Geld zwei nichtexistierende Tanker angedreht. Er trug einen modernen grauen Frühlingsanzug von der leicht lässigen Sorte, die in Mode gekommen war, seitdem junge Menschen plötzlich reich wurden, ohne auch nur »einen Finger gerührt zu haben« und. ihre Jeans über hatten.

Hellblaues Hemd und einen schmalen burgunderroten Schlips. Er sah aus wie ein konservativer junger Mann. Seine blonden Haare waren zur Feier des Tages schwarz, aber seine Augen hatten noch immer die alte blaugraue Färbung. Sie waren überall zugleich, als ich ihn hereinließ.

»Tja. Nicht schlecht. Weißt du noch, wie du oben in Sinsen gewohnt hast? Das war etwas ganz Anderes!«

Er erinnerte mich unangenehm an einen Heini aus der Pfändungsbranche, der mich einmal besucht hatte, als ich meine eigene Bude auf Tøyen hatte. Seine lange Nase zeigte schräg nach oben, sein Lächeln war professionell aufgeklebt.

»Anderthalb Millionen«, sagte ich. »Und dabei hatten sie noch Schwein.«

»Aha. Und jetzt sonnen sie ihre Hintern auf Sri Lanka?«

»Irgendwo liegt eine Karriere als Schnüffelreporter und wartet auf dich«, sagte ich. »Willst du einen Whiskey?«

»Ja, warum nicht? Aber bloß einen hauchdünnen. Ich hab noch viel zu tun.«

Ich mixte die Drinks und wir setzten uns zusammen auf blaues Leder, um das ich bisher einen weiten Bogen gemacht hatte.

Er klopfte anerkennend auf das Sofa und nahm das Glas. »Glaubst du an Gott oder glaubst du an das Schicksal, Alex?« Er blickte mich aufrichtig fragend an. »Oder gibt es ein Land mitten dazwischen? Hast du einen Spiegel im Haus?«

Ich holte einen Handspiegel aus dem Bad und er begann, das Pulver langsam auf die glänzende glatte Fläche zu streuen. Die Rasierklinge hatte er unter dem Revers und seine Hand war so ruhig, dass die vier weißen Striche vollkommen identisch ausfielen.

»Ich glaube, du solltest dir ganz schnell einen zuverlässigen Gott zulegen«, sagte ich. »Dein Leben steht gegen ein unverstümmeltes Leben und zwei Flaschen Weißwein. Und von Chablis ist dabei nicht die Rede.«

Darauf ging er nicht ein. Mit energischen Handbewegungen rollte er den Geldschein zu einer harten Rolle und ebenso energisch zog er die Striche ein, ehe er Spiegel und Rohr zu mir herüberschob.

»Ich glaub ans Glück«, sagte er. »Ich hab immer ans Glück geglaubt. Es war mein Gott, solange ich zurückdenken kann. Was ist deine Glückszahl?«

»Zahlen haben mich schon immer verwirrt«, antwortet ich. »Deshalb habe ich mich auch auf die Buchstaben verlegt.«

»5. Die 5 verfolgt mich mein Leben lang schon als geheimnisvolle Glücksbringerin.«

»Wir werden ja sehen, was deine 5 ausrichten kann«, sagte ich und zog ein. Fast sofort verschwand die Oberlippe. »Bald ist Mai. Der 5. Monat des Jahres. Und ich habe das bestimmte Gefühl, dass du verdammt viele Fünfen brauchen wirst, um den mit heiler Haut zu überleben.«

Er wollte auch diesen heißen Brei nicht essen.

»Hast du Toril meine Telefonnummer aus der Nase ziehen müssen oder war sie blöd genug, sofort damit rauszurücken?«, fragte ich weiter. »Aus verschiedenen Gründen ist es wichtig für mich, das zu wissen.«

»Du brauchst keine Panik zu kriegen. Ich musste der Kleinen fast eine semmeln, um die Nummer zu kriegen. Wo in aller Welt hat sie übrigens den Trottel aufgelesen, der die Fernsteuerung in der Hand hatte?«

»Thor ist in Ordnung. Er tut bloß so, als ob er gar nichts rafft. Und dazu hatte ich keinen Bock.«

»Nein, dir liegt es wohl eher, so zu tun, als ob du etwas raffst. Apropos, was macht deine Schreiberei? Dein Buch hat mich ein bisschen verwirrt, wenn ich ganz ehrlich sein soll.«

»Schlecht«, antwortete ich. »Und du warst nicht der einzige, der davon verwirrt war.«

Er lachte. »Arbeitest du im Moment für die Presse?«

»Ab und zu. Wenn ich Bock habe. Ich habe nicht allzu oft Bock.«

»Aber du hast noch deine alten Kontakte?«

»Was zum Teufel willst du von denen?«

»Erinnerst du dich an Eliasen? Den Typ von VG, der damals durch halb Europa Tobben an den Eiern gehangen hat?«

»Egal, wo du gerade drinhängst«, sagte ich, »ich glaube, du solltest um Journalisten einen riesengroßen Bogen machen.« Ich steckte mir eine Fluppe an und fügte hinzu: »Mich inbegriffen.«

Er ging in die Diele und holte das Telefonbuch. Blätterte rasch vor und zurück, ehe er die Suche mit dem Zeigefinger begann.

»Spiel dich nicht auf, Alex. Ich weiß, wen ich besuchen gehe.«

»Schön. Eliasen ist übrigens nicht mehr bei VG. Vor über einem Jahr schon rausgekegelt worden.«

»Und jetzt?« Er setzte seine Suche fort. »Er hieß doch Lars, oder nicht?«

»Lars Magnus. Er sitzt zu Hause und säuft, soviel ich weiß. Ab und zu taucht er mal irgendwo als Freelancer auf.«

»Da siehst du’s. In dieser Welt geht es auf und ab. Irgendwann wird er in Kriminaljournalen aufkreuzen, nehm ich an, in dem Jungen steckt guter Stoff. Hier haben wir ihn!« Vidar zauberte einen Filzstift hervor und notierte die Nummer an den Rand des Telefonbuchs. »Könntest du dir vorstellen, morgen mit ihm mittagzutrinken?«

»Natürlich nicht. Das könnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Hör mal, Vidar – ich bin draußen, bin total raus aus der Soße. Ich spiel nicht mehr in deinem Sandkasten, vor allem nicht mit verbundenen Augen und Coke in der Nase!«

»Ich spiel auch nicht mehr!«, sagte er und haute vor mir ein Bündel Tausender auf den Tisch. »Das sind fünfzig Riesen. Geh jetzt, zum Teufel und ruf den alten Wichser an!«

Ich blieb sitzen und rauchte, während die kostbaren Minuten, die mein Leben ausmachten, rasch verstrichen und in der großen Illusion verschwanden, aus der sie gekommen waren. Ich füllte mein Glas neu, zündete mir immer weitere Zigaretten an und wartete.

Dann sagte er: »Ich brauch bloß eine Adresse, Alex. Das ist alles.«

»Und die ist 50 Mille wert?«

»Nein. Vielleicht die Hälfte. Und ich könnte sie auch selber ausbuddeln, wenn ich genug Zeit hätte, aber die habe ich nicht. Aber die 50.000 gehören dir – minus der Summe, die du gegen Schnaps eintauschen musst, um den alten Trottel zum Reden zu bringen, der gibt ja keinem was umsonst, hab ich gehört.«

Er sah mich mit dem Blick eines regennassen Pastors an und ich nahm das Geld und dachte, wenn fünfzig Riesen als Tropfen betrachtet werden könnten, dann musste Vidar wirklich in ein irres Unwetter geraten sein. »Und warum redest du nicht selber mit ihm?«

»Weil ich mich sorgfältig an deinen Rat halte, Alex. Ich mach einen Bogen um die Journalisten. Wenn Eliasen jetzt ein Interview mit mir an Land ziehen könnte, dann könnte ich mir vorstellen, dass er seinen Job bei VG auf der Stelle wiederkriegen würde, und das gönne ich weder ihm noch dem Chefredakteur von diesem Käseblatt.«

»Na gut. Um welche Adresse soll ich ihn bitten?«

»Mach erst einmal eine Verabredung mit ihm.«

Eliasen musste sich natürlich wichtigmachen, aber ich wusste, dass er allein und bei weitem nicht so blau war, wie er vorgab. Und dass ich an beidem einiges ändern könnte. Nach zehn Minuten Gelaber hatte ich eine Verabredung mit ihm, warf den Hörer auf die Gabel, ging ins Wohnzimmer und setzte mich wieder aufs Sofa.

»Na?«, fragte ich, nach zwei neuen Strichen und einem weiteren goldenen Trunk. »Wenn du die Adresse von Abu Nidals Landhaus willst, dann glaube ich, wird sogar Eliasen passen müssen.«. »Lisa Monradsen«, sagte Vidar und schnappte sich eine von meinen Zigaretten.

»Witziger Zufall.«

Er kippte seinen Drink. »Wie meinst du das?«

»Ich hab mich mit Eliasen in der Bar vom SAS-Hotel verabredet.«

Er bekam den Whiskey in den falschen Hals und er hustete immer noch, als ich ihn in die Nacht hinausschickte.

3

Wenn man der Bar des SAS-Hotels unbedingt etwas Positives nachsagen will, dann kann man anfuhren, dass die Aussicht bei schönem Wetter gut ist. Man kann einen trinken und gleichzeitig Blicke und Gedanken über den Fjord nach Hovedøya und Grasholmen schweifen lassen.

An diesem Tag ging das allerdings nicht. Der Nebel klebte an den hohen Fenstern und erinnerte mich an Haferschleim und saure Milch.

Eliasen kehrte dem Wetter den Rücken und mir die Front zu und er war seit dem letzten Mal nicht schöner geworden. Aber er war trotz allem ein alter Malocher, der sich kaputtgemacht hatte und dann darf man wohl auch so aussehen. Außerdem war er tadellos sauber, wenn man von den Schneeflocken auf Schultern und Revers absehen wollte und sein aufgedunsenes Gesicht hatte bessere Tage und zahllose Pressekonferenzen mit Lachs und Rührei und steifen Drinks gesehen. Ich bestellte ohne zu fragen zwei Whiskey, dann gab ich Pfote und versuchte ein Lächeln.

»Männer in Fahrt«, sagte er. »Schon von gehört? Neue Zeitschrift. Jonas Krøger sitzt am Ruder, wenn du dich an den erinnerst. Solide Kiste ohne Fisimatenten. Was dagegen, dass ich da was über dich mache? Ich könnte mir ein kleines Hinterhofportrait oder sowas auf der Schiene vorstellen.«

»Teufel auch«, antwortete ich. »Jetzt vergisst du die Reihenfolge. Ich habe dich angerufen, oder?«

Er hielt die Handflächen nach oben und verlegte sich auf ein beleidigtes Lächeln. »Alles klar. Und bezahlst du hier auch?«

»Nein. Du aber auch nicht. Bestellt was zum Kranich du willst, aber versuch, die Fasson zu bewahren, bis wir miteinander fertig sind.«

»Schieß los!« Er kippte seinen Drink. »Fasson? Seit wann arbeitest du als Slumschwester?«

»Lisa Monradsen«, sagte ich. »Oder ihre Adresse.«

Er grinste und jetzt war sein Lächeln sowohl vollkommen echt als auch vollkommen widerwärtig. Seine belegte Zunge spielte auf karamellgelben Zähnen und er zwinkerte mir von Mann zu Mann zu. »Ist das alles?«

»Nein«, sagte ich. Wenn ich zugäbe, dass ich nicht mehr wollte, dann würde er Lunte riechen und zum Tier werden.

»Sie hat doch keine Adresse«, sagte er. »Das weißt du ganz genau.«

»Ich weiß überhaupt nichts ganz genau«, erwiderte ich in einem schwachen Versuch, die Illusion zu verstärken, dass er in diesem Spiel der Fachmann war.

»Lisa, ja ...« Er hielt Ausschau nach dem Kellner. »Hast du sie gevögelt?« Er bekam Kontakt und hielt zwei Finger in den Zigarettenrauch. »Das ist eine Frau, die den Propeller in Fahrt bringt.«

»Ich wollte eigentlich an Männer in Fahrt keine Infos über mein Sexualleben verkaufen«, sagte ich. »Aber das wär mir trotz allem lieber, als etwas über die Reste von deinem anhören zu müssen.«

Das war ein dummer Zug. Er zog sich blitzschnell in seinen Panzer zurück und kam erst nach zwei weiteren Drinks und einer Unmenge Gelaber wieder zum Vorschein.

»Bitte«, sagte ich, um ihm eine Freude zu machen. »Ich brauche diese Adresse.«

Auch das war ein dummer Zug. Denn jetzt hatte er sich drei doppelte hinter seine bekleckerte Weste gegossen und war nun sowohl Wichtigtuer als auch Weltmeister in Journalismus und Ficken.

»Ich hab dich was gefragt.«

»Nein«, sagte ich resigniert. »Ich habe nicht mit Lisa gefickt.«

»Nicht ganz deine Klasse, nehme ich an?«

»Nicht ganz.«

Er nickte und tat so, als ob er sich etwas gründlich überlegte.

»Ich weiß ja nicht, was du da am Laufen hast, Alex, aber könnten wir die Kiste nicht zusammen machen? Wenn ich nur einen guten Grund hab, dann hab ich bei der Redaktion so ziemlich freie Hände.«

Nun hätte ich fast endgültig die Geduld verloren. Ich musste mich dazu zwingen, in meinem Sessel sitzenzubleiben, statt mich über den Tisch zu beugen und ihn mit seinem Schlips zu erwürgen.

»Du bist ein guter Journalist«, log ich, »aber in meinen Buchmanuskripten hast du nichts zu suchen.«

Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Oi, oi, oi. Dichter Alex will wieder in den tausend Heimen den Geruch von warmer Möse verbreiten.«

Ich klammerte mich an meine Armlehne. Nur das Gewicht von 49 Tausendern konnte mich jetzt noch im Sessel halten.

Ich legte einen davon auf den Tisch. »Reicht das?« Ich sah die Ablehnung in seinem Blick, noch ehe er die Fresse aufklappen konnte und ich legte noch einen Tausender dazu. »Mehr hab ich nicht. Außer ein paar Hundertern, mit denen ich diese Rechnung bezahlen wollte. Den zweiten«, ich zog Schein Nr. 2 zurück, »bekommst du, wenn ich die Adresse von hier aus per Telefon überprüft habe.«

Jetzt hatte ich ihn. Ich sah eine Rechenmaschine in seinem grauen Blick aufblitzen, ahnte, wie 2000 Eier durch 200 geteilt wurden, was eine Flasche billiger Whiskey im Königreich Norwegen so ungefähr kostet. Dann, endlich, nach einigen lahmen Rückzugsgefechten, zog er sein umfangreiches Notizbuch hervor.

»Hier. Von ihrer Wohnung hab ich wirklich keinen Schimmer, aber ich glaube, um diese Zeit kannst du sie bei der Arbeit erreichen. Wenn sie nicht schon wieder über alle Berge ist. Die Telefonnummer kannst du auch gleich kriegen.« Er riss den Tausender an sich und schaute mich fragend an.

»Im Grunde und im tiefsten Herzen bist du ein lieber Junge«, sagte ich und warf einen Blick auf die Nummer. »Kopenhagen?«

»Ja. Sie ist zum Film gegangen. Hab sie vor ein paar Monaten zufällig in einem Sumpfloch in Soho auf der Leinwand gesehen. Du kannst dir vorstellen, sie machte was her in Nonnentracht und Unterhose mit französischer Öffnung.«

Ja, ja, dachte ich. Ist sicher auch nicht schlimmer, als in öden Bars wie dieser hier Stinktiere wie dich anzugraben.

Es war schwer durchzukommen, aber schließlich bekam ich einen vergrätzten Dänen an die Strippe, der behauptete, Lisa heiße Mona und der sich widerwillig bereit erklärte, sein Bestes zu tun, um sie an den Apparat zu holen. Und nachdem er über eine Viertelstunde lang sein Bestes getan hatte, schaffte er es sogar.

»Mona.«

»Mona Lisa«, sagte ich. »Falls das erste dein Künsterlinnenname ist.« Ich lächelte das Telefon geheimnisvoll an. »Hier ist Alex.«

Sie lachte. Sie hatte ihr Studiolachen mitgebracht, das konnte ich hören.

»Bist du in der Stadt?«