Sanft berührte Narben - Lara Greystone - E-Book

Sanft berührte Narben E-Book

Lara Greystone

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Beschreibung

Wenn er doch nur ihre Narben hätte berühren dürfen! Wenn Jasmin doch nur zulassen würde, dass er die Schmerzen ihrer Vergangenheit mit ihr teilt! Doch seine übernatürlichen Kräfte und Attraktivität als Vampir sind bei der wunderschönen Frau aus Tausendundeiner Nacht leider völlig nutzlos. In ihrer Seele tief verletzt, versteckt sie sich hinter Wänden aus schwarzem Stoff und stürzt schon bei der bloßen Andeutung einer Berührung in einen tiefen Abgrund aus innerem Schmerz und Panik. Eine Woche lang ist es Bens Aufgabe, die orientalische Schönheit aus dem Harem des Königs zu begleiten und zu beschützen. Eine Woche, die das Leben und die Herzen der beiden völlig auf den Kopf stellt. Eine Woche, in der Ben versucht, Jasmin zu befreien und ins Leben zurückzuholen. Sie suchen verzweifelt Auswege – und ahnen nicht, dass manche davon fatal enden werden … Abgeschlossener Roman der Reihe "Unsterblich geliebt" (überarbeitete Auflage der Erstveröffentlichung von 2015) (Buchtrailer, auch meiner anderen Romane, und Playlist mit den Klavierstücken zu diesem Roman auf Youtube, Suchbegriff: Sanft berührte Narben) Mehr über meine Bücher finden Sie auf meiner Homepage: LaraGreystone.de oder auf Facebook: facebook.com/lara.greystone.2

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EPUB

Seitenzahl: 626

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Lara Greystone

Sanft berührte Narben

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Epilog

Leseprobe aus „Voller Misstrauen geliebt“

Bisher erschienen

Über den Autor

Über die Lektorin

Covergestaltung

Über den Korrektor

Danksagung

Rechtliches

Impressum neobooks

Titel

Lara Greystone

SANFT BERÜHRTE

NARBEN

Sanft berührte Narben

von Lara Greystone

Eine Playlist zu den Klavierstücken in diesem Roman finden Sie auf Youtube: tinyurl.com/Playlist-Sanftberuehrtenarben

Prolog

Vor Kurzem hat mir John mit seinem Vampirblut das Leben gerettet, das ich mit dem Sprung von einer Brücke hatte beenden wollen.

Nachdem seine Feinde uns mehrmals fast umbrachten, haben wir geheiratet. Und wie es auf Vampirhochzeiten Tradition ist, wurden dort die Legenden der Vampire erzählt.

Ich konnte einfach nicht widerstehen und habe zuerst unsere eigene Geschichte und dann die jüngste Legende, die von Ben und Jasmin, aufgeschrieben – denn Schreiben ist meine Leidenschaft …

Lady Lara – Schriftstellerin und Gefährtin

von Johannes Ritter der weißen Lilie

Kapitel 1

Ben roch das Blut schon von Weitem.

Das konnte nichts Gutes bedeuten.

Deshalb rannte er so schnell, dass er mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen war, dem Blutgeruch durch die menschenleeren, dunklen Straßen entgegen.

Aus der Ferne hörten seine übernatürlich scharfen Ohren hysterische Frauenstimmen und schmatzende Geräusche. Im Laufen entsicherte er seine Neunmillimeter und zog sein Wurfmesser aus der Scheide, dessen rasiermesserscharfe Stahlklinge er eigenhändig mit filigranen Rankenmustern überzogen hatte.

Mit unglaublichem Tempo bog er schließlich in eine abgelegene Sackgasse ein, die von hohen Mauern umgeben war und damit jede Flucht unmöglich machte. Dort bot sich ihm ein gleichermaßen dramatisches wie faszinierendes Bild.

Am Ende der Gasse stand eine komplett schwarz verschleierte Frau mit einem nicht gerade kleinen Damaszenerdolch in der Hand. Trotzig und kampfbereit stellte sie sich dem Angriff eines Vampirs entgegen, von dessen Fangzähnen bereits das Blut eines anderen Menschen tropfte.

Eine wahrhaft tapfere Frau!

Hinter ihr hatten drei hysterisch kreischende Frauen Deckung gesucht. Eine weitere Frau lag blutend und bewusstlos an der Steinmauer schräg links hinter ihr.

Wenige Meter entfernt, neben einer Stretchlimousine, sah er zwei muskulöse Männer in schwarzem Anzug, vermutlich Bodyguards. Sie befanden sich bereits in der tödlichen Umarmung zweier Vampire. An ihrer zerfetzten Kehle und dem augenscheinlich fast blutleeren Körper erkannte er, dass ihr Todesurteil bereits gefällt war.

Dabei musste kein Mensch sterben, wenn ein Vampir auf die Jagd ging, um sich zu ernähren. Man nahm, was vertretbar war, und ließ die Menschen ohne Erinnerung und sichtbare Spuren wieder gehen. Nur so war es möglich, dass Vampire unerkannt in der Gesellschaft lebten und nicht selbst zu Gejagten wurden. Dafür gab es eiserne Gesetze, doch die drei hier scherten sich einen Dreck darum.

Solche sogenannten Gesetzlosen gaben sich der Gier nach Blut völlig hin, entweder bewusst oder weil sie in eine Art Sucht verfallen waren. Statt sich mit dem Nötigen zufriedenzugeben, ließen sie erst von ihren grausam zugerichteten Opfern ab, wenn auch der letzte Tropfen des kostbaren Lebenssafts ihre Kehle hinuntergeflossen war. Nicht wenige dieser Vampire weideten sich dabei an den Todesqualen ihrer Beute oder vergewaltigten die weiblichen Opfer, während sie starben.

Der blutgierige Vampir vor der verschleierten Frau setzte gerade zum Sprung auf sie an.

Auf ihn zu schießen, war für Ben leider keine Option. Sein Schuss hätte den Körper des Vampirs durchschlagen und die Frau dahinter tödlich verwunden können. Er steckte die Pistole zurück ins Holster, und begleitet von einem wütenden, markerschütternden Knurren, beschleunigte er zum schnellsten Sprung seines Lebens.

Nur Zentimeter bevor der Vampir die Frau erreichte, fing er den Blutsauger im Flug ab und riss ihn mit sich zu Boden.

Das Überraschungsmoment ermöglichte ihm, dem Mörder mit seiner Klinge die Kehle zu durchtrennen, ehe der zu irgendeiner Gegenwehr fähig war. Aber noch während er dem Vampir sofort darauf den Todesstoß ins Herz versetzte, nahte bereits neue Gefahr für die mutige Frau in Schwarz.

Die anderen beiden Vampire hatten ihr blutiges Mahl an den nun toten Männern beendet und dürsteten nach mehr.

In ihren Augen stand pure Gier, als die zwei sich blutbesudelt und mit voll ausgefahrenen Fangzähnen der Gruppe von Frauen näherten.

Ohne zu zögern, zog Ben seine ebenso kunstvolle wie tödliche Klinge aus dem Mann unter ihm und warf sie zielsicher nach einem der Gesetzlosen. Seine Position machte es ihm unmöglich, das Herz zu treffen, doch sein Messer schnitt wie beabsichtigt den Hals des Angreifers bis zur Hauptschlagader auf. Der presste verzweifelt seine Hand auf die Wunde und flüchtete, um sich mit der lebensgefährlichen Verletzung in Sicherheit zu bringen.

Leider warf sich der zweite Vampir mit gefletschten Zähnen auf Ben, bevor er seine Pistole ziehen konnte. In wilder Raserei versuchte der Vampir, seine mörderischen Fänge in Bens Hals zu schlagen. Ben gelang es gerade noch, seinen Nacken außer Reichweite zu bringen, er erntete jedoch zwei tiefe, schmerzhafte Furchen in der Schulter. Um die Frau nicht zu gefährden, setzte er alles daran, sich mit dem Angreifer so weit wie möglich von ihr wegzurollen, während er gleichzeitig den Attacken der Reißzähne zu entgehen versuchte.

Inzwischen öffnete sich die Fahrertür der verdunkelten Limousine und Ben registrierte, dass noch ein weiterer Vampir mit von der Partie war. Der leblose, blutüberströmte Chauffeur kippte halb aus dem Wagen, als der skrupellose Mörder über ihn hinweg nach draußen stieg.

Im Zweikampf gefangen hatte Ben keine Chance einzugreifen, als dieser Vampir zielstrebig auf die Frau mit dem Dolch zuging. Nur einen Moment später holte der Typ aus und schlug sie mit einem Hieb so heftig zur Seite, dass ihr Körper ein Stück durch die Luft flog, bevor er etwas abseits auf den Boden krachte.

Ben roch ihr frisches Blut und brüllte vor Wut auf, doch sein Gegner hatte ihn dermaßen fest im Griff, dass er nicht an seine Pistole herankam.

Die Frau in Schwarz rappelte sich sofort wieder auf. Allerdings war ihr der Schleier über die Augen gerutscht.

Glücklicherweise lenkte der Blutgeruch der Bewusstlosen die Aufmerksamkeit des gierigen Vampirs von der tapferen Orientalin ab, während die drei anderen Frauen kreischend auseinanderstoben.

Mit einem zornigen Aufschrei und einer ruckartigen Bewegung riss die mutige Frau sich die schwarzen Stoffteile vom Kopf. Der Inbegriff einer arabischen Schönheit, faszinierend und zugleich geheimnisvoll, kam zum Vorschein.

Trotz der Situation musste Ben lächeln. Das verging ihm jedoch im nächsten Moment, denn wegen der atemberaubenden Ablenkung kassierte er einen brutalen Kinnhaken.

„Lauf! Los, lauf weg!“, brüllte Ben der Frau zu. Der Geruch ihres Blutes alarmierte ihn, denn er wurde intensiver.

Die Orientalin tat jedoch genau das Gegenteil und griff erneut nach ihrem Dolch, während das Grüppchen der drei Frauen wieder hinter ihr Schutz suchte.

Mitsamt seinem Gegner, der ihn immer noch im Griff hatte, versuchte Ben, zu seinem Messer zu rollen, das einsam in der Gasse lag, nachdem der am Hals Getroffene geflüchtet war. Mittlerweile ging es um Sekunden, denn die Frau in Schwarz hatte dem Vampir, der sich über die Bewusstlose hermachen wollte, mit einem zornigen Schrei eine herumliegende Schnapsflasche an den Kopf geworfen und die Hand, mit der sie ihre Waffe hielt, war blutüberströmt.

Doch obwohl diese Furcht einflößende Bestie mit den blutigen, rasiermesserscharfen Fangzähnen nun auf sie zukam und sie wie ein Riese überragte, wich die orientalische Schönheit keinen Zentimeter zurück. Ihre hinreißend grünen Augen funkelnden vor Zorn.

„Lauf weg! Du hast keine Chance!“

Doch sie folgte seinem Rat nicht, duckte sich nur in Erwartung eines Angriffs.

Ben war tief beeindruckt. Sie hatte wirklich Mut, das musste er ihr lassen.

Aber ebendas wäre ihr Todesurteil.

Der Geruch ihres Blutes war mittlerweile zu intensiv und nach ihrer vorherigen Attacke würde der Vampir sie dieses Mal nicht zur Seite schleudern, sondern ihr direkt das Genick brechen oder ihre Kehle herausreißen und sich sofort an ihrem Blut ergötzen.

Ben war fast in Reichweite seines Messers.

Er streckte seinen Arm weit aus, um es mit den Fingerspitzen zu erreichen. Das machte ihn für einen Augenblick wehrlos und sofort traf ihn ein brachialer Schlag in die Rippen – er hörte das Knacken. Ein scharfer Schmerz jagte durch seinen Brustkorb, doch er biss die Zähne zusammen und bekam endlich sein Messer zu fassen.

Anstatt damit seinen eigenen Gegner zu töten, schleuderte er die lange Klinge zum Angreifer der Orientalin. Ben zielte auf den linken, oberen Rücken des Vampirs und legte all seine Kraft hinein – jetzt schickte er ein Stoßgebet zum Himmel.

Nur knapp vor der schwarz gekleideten Frau brach der Vampir wie ein nasser Sack zusammen. Er musste wie erhofft das Herz durchbohrt haben – ein kleines Wunder unter diesen Umständen.

Erst jetzt gelang es ihm, sich voll auf seinen eigenen Kampf zu konzentrieren. Mit einem geschickten Manöver zwang er den blutrünstigen Feind schließlich unter sich. Das verschaffte ihm den nötigen Spielraum, um seine Neunmillimeter mit dem aufgeschraubten Schalldämpfer aus dem Holster zu ziehen. Drei Schüsse ins Herz bereiteten dem Gesetzlosen ein jähes Ende.

Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang Ben auf und blickte, auf der Suche nach weiteren Angreifern, prüfend nach allen Seiten.

Ihm war bewusst, dass er nach diesem Kampf einen ebenso schlimmen Anblick bot wie zuvor die mörderischen Vampire. Aus diesem Grund bemühte er sich, ruhig und unbedrohlich auf die Orientalin zuzugehen, die immer noch abwehrbereit mit dem Dolch dastand.

Ihr Atem kam stoßweise und er spürte förmlich, wie das Adrenalin durch ihren Körper rauschte. Während des Kampfes hatte er den Eindruck gewonnen, dass sie ihre Angst in Wut umwandelte und diese Wut dann nutzte, um daraus Kraft zu schöpfen.

Vor ihm stand die mutigste Frau, der er je begegnet war – und sie sah umwerfend aus.

Wie ein heller geschliffener Smaragd strahlten die Grüntöne ihrer Augen, eingerahmt von wunderbar geschwungenen, tiefschwarzen Wimpern und formvollendeten Augenbrauen. Ihre sinnlichen Lippen wirkten auf ihn wie die reinste Verführung inmitten eines anmutigen Gesichts mit makellosen Zügen. Am liebsten wäre er mit seinen Fingern durch ihr welliges Haar gefahren, das die Farbe von dunklem Ebenholz hatte und ihr bis zur Hälfte des Rückens reichte.

Schönheit in jeder Form übte von jeher einen besonderen Reiz auf ihn aus. Durch sein Hobby, das Bodypainting, war er vielen Frauen begegnet, die dem allgemeinen Schönheitsideal entsprachen. Doch diese tapfere und zugleich wunderschöne Orientalin war die erste, die ihn ganz und gar überwältigte. Er bedauerte zutiefst, dass er noch nicht einmal die Umrisse ihrer sicherlich ebenso verlockenden, weiblichen Figur unter dem weiten arabischen Gewand erkennen konnte.

Obwohl seine feine Nase ihre Todesangst deutlich roch, blieb sie tapfer zwischen ihm und den drei Frauen stehen, die dicht aneinandergedrängt hinter ihr Schutz suchten.

Als sie ihn mit ihren umwerfenden Augen fixierte, fühlte er sich gefesselt und in den Bann gezogen wie vom Gesang einer Sirene. Ohne ihn auch nur für einen Wimpernschlag freizugeben, befahl sie etwas mit fester Stimme den völlig verängstigen Frauen in einer kehlig klingenden Sprache. Während ihre Begleiterinnen daraufhin zur Limousine flüchteten und sich dort in verständlicher Panik einschlossen, hob sie drohend den Dolch in ihrer Hand. Dabei spannten sich ihre Muskeln an und sie duckte sich kaum merklich, wohl um sich auf seinen Angriff vorzubereiten.

Langsam und sichtbar steckte er seine Pistole weg und hob beschwichtigend die Hände.

„Hey, ganz ruhig. Der Kampf ist vorbei. Ich werde dir nichts tun.“

Um seine Absicht zu unterstreichen, zog er sich einen Schritt zurück. Um die Situation weiter zu entschärfen, zog er sein Handy heraus und rief erst mal im Hauptquartier an.

„Hallo, Elia, ich brauche Unterstützung. Hier gab es eine ziemliche Sauerei, die wir beseitigen müssen. Insgesamt sechs Tote: drei Vampire, drei Männer und eine vermutlich schwer verletzte Frau. Alles in allem haben wir fünf Augenzeugen, aber um die kümmere ich mich gleich.“

„Und keiner wollte ein Autogramm von dir, Bran?“

Bran – ein wiederkehrender Scherz, denn seine Freunde mixten die Vornamen Ben und Brad, um ihn damit aufzuziehen, dass er Brad Pitt zum Verwechseln ähnlich sah. Gewöhnlich gab er dann humorvoll zurück, dass das Problem in fünfzig Jahren ohnehin auf natürlichem Weg gelöst sei, weil seine Vampirnatur ihn dann immer noch jung aussehen lassen würde. Jetzt war er dazu jedoch nicht in der Stimmung und gab dem stets gut gelaunten Elia nur seine Position durch.

„Du hast Glück, Ben. Agnus wollte sich mit einem alten Bekannten treffen und ist gerade ganz in deiner Nähe. Ich sage ihm Bescheid.“

Ben beendete das Gespräch und schaute sich noch einmal aufmerksam um. Nebenbei zog er sein langes Messer aus dem Herz des letzten Gegners. Die filigranen Ranken, die er mit viel Liebe eingearbeitet hatte, waren blutrot – nicht seine Art von Kunst. Notgedrungen wischte er die Klinge an der Kleidung des Toten ab. Notgedrungen hatte er damals auch das Töten dieser blutgierigen Mörder erlernen müssen. Nur so hatte er seine – von Vampiren verfolgte – menschliche Schwester beschützen und ihr das sicherste Zuhause der Welt bieten können: das Hauptquartier der Wächter.

Beim Anblick seines Messers wich die Frau in Schwarz zurück, bis die Mauer in ihrem Rücken jede weitere Flucht verhinderte.

„Schon gut“, versuchte er, sie zu beruhigen, „Ich wollte es nur wegstecken. Siehst du?“

Er schob seine Klinge in die Scheide und ging langsam auf sie zu.

„Komm nicht näher!“

Froh, dass die Orientalin seiner Sprache mächtig war, wies er auf ihre Hand, an der Blut heruntertropfte, und entgegnete mit ruhiger Stimme: „Du blutest stark. Lass mich das mal ansehen. Außerdem hältst du dein Messer falsch, falls du wirklich vorhast, mich anzugreifen.“

Für einen Moment schaute sie mit einem Stirnrunzeln auf ihren Dolch, senkte ihn aber nicht und warf dann einen besorgten Blick zu der bewusstlosen Frau schräg hinter ihr.

Er seufzte und trat auf sie zu.

„Lass mich dir helfen. Du hast mein Wort: Ich werde dir nichts tun und du wirst all das hier in ein paar Minuten vergessen haben.“

Wie fast alle Vampire hatte er in seiner Jugend gelernt, Erinnerungen zu löschen, die kurz zurücklagen. Nur so war es ihm und seinen Artgenossen möglich, trotz des unvermeidlichen Bluttrinkens unentdeckt unter den Menschen zu leben.

Am Herzschlag der wunderschönen Frau hörte Ben, dass sie sich leider kein bisschen beruhigte. Im Gegenteil, ihr Puls wurde sogar noch schneller und dazu auch flacher, während ihr Gesicht deutlich an Farbe verlor. Er fürchtete, dass sie gleich einen Schock bekommen oder wegen des Blutverlusts ohnmächtig werden würde, also handelte er.

Im Bruchteil einer Sekunde überwand er die restliche Distanz und nahm sie zwischen seinem Körper und der Mauer gefangen. Sanft, aber unnachgiebig, hielt er ihre Hand samt dem Dolch fest und streifte den langen Ärmel ihres schwarzen Gewandes zurück. Auf der Innenseite ihres Unterarms war ein langer Schnitt. Vermutlich war sie bei ihrem Sturz in eine der Glasflaschen am Boden gefallen.

Er beugte sich zu ihrem Arm herunter und strich mit seiner Zunge langsam über die Schnittwunde. Die heilende Wirkung seines Speichels verschloss die hässliche Wunde innerhalb von Sekunden. Normalerweise wendete seine Spezies diese Methode an, um die kleinen, aber unumgänglichen Bisswunden verschwinden zu lassen, und so würde auch keine Narbe bei ihr zurückbleiben.

Wer würde auch Narben auf so einer vollkommenen Schönheit zurücklassen wollen?

Leider begann die arabisch aussehende Frau nun am ganzen Körper zu zittern, reine Panik stand in ihren Augen. Genau die gleiche abgrundtiefe Angst hatte Ben auch in ihrem Blut wahrgenommen, als er ihre Wunde mit seiner Zunge geheilt hatte. Aber warum hatte sie vor ihm, der ihr doch offensichtlich half, mehr Angst als vor den blutrünstigen Mördern, die sie hatten angreifen wollen?

„Sch!“, versuchte er, sie zu beruhigen.

Er wollte sie in eine leichte Trance versetzen, um ihr die Angst zu nehmen, bevor er dieses furchtbare Geschehen gleich für immer aus ihrer Erinnerung löschen würde.

Die Existenz von Vampiren musste unter allen Umständen geheim bleiben, dafür gab es eiserne Gesetze. Gesetze, an die sich die allermeisten Vampire hielten, andernfalls bekamen sie es auch mit den Wächtern zu tun und landeten vor dem Tribunal – falls sie dann noch lebten.

Um den Angriff aus ihrem Gedächtnis zu löschen, benötigte Ben Hautkontakt und strich deshalb sanft mit seinem Handrücken über ihre Wange.

Ihre Haut fühlte sich so weich und unwiderstehlich an, als verströmte sie eine Droge, die ein unstillbares Verlangen nach Berührung auslöste. Etwas in dieser Art hatte er noch niemals empfunden – und das obwohl er sehr oft die Haut von Frauen berührte, wenn er sie mittels Bodypainting in lebende Kunstwerke verwandelte. Aber diese Orientalin schien sowieso alles, was er bisher mit Frauen erlebt hatte, in den Schatten zu stellen. Auch sein Versuch, sie in Trance zu versetzen und vergessen zu lassen, blieb bei ihr völlig wirkungslos. So etwas hatte er ebenfalls noch nie erlebt.

Stattdessen versteifte sich der weiche weibliche Körper – den er durch den blickdichten, aber sehr dünnen Stoff nur allzu deutlich spürte – jetzt auch noch völlig.

„Ich kenne deine Art! Du kannst mich nichts vergessen lassen! Deine Kräfte sind bei mir wirkungslos“, keuchte sie und ihre Stimme zeugte von abgrundtiefer Furcht.

Auch sein nächster Versuch scheiterte und ihre Worte, die ein Geheimnis preisgaben, von dem die Welt nichts wissen durfte, stellten ihn vor ein noch größeres Problem.

Was sollte er jetzt nur mit dieser wunderschönen, aber völlig verängstigten Frau anstellen?

Bis auf das heftige Zittern war ihr Körper mittlerweile komplett erstarrt. Vermutlich stand sie kurz vor einem Schock oder einer extremen Panikattacke.

Diese hinreißende Orientalin musste ihn für ein wahres Monster halten und aus irgendeinem Grund frustrierte ihn das über die Maßen.

Bemüht, alles zu tun, um sie zu beruhigen, strich er sanft über ihr ebenholzfarbenes Haar und ihre leichenblasse Wange.

„Sch! Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten. Bei mir bist du in Sicherheit.“

Die Frau sah ihm dermaßen verblüfft in die Augen, als hätte er verkündet, er wäre ein Tiger, der Gras frisst.

Vermutlich hatte sie seine ausgefahrenen Fangzähne gesehen.

„Glaub mir, ich bin nicht wie diese gewalttätigen, blutgierigen Bestien. Alles wird gut. Sieh dich doch um. Die Gefahr ist vorbei. Jeden eurer Angreifer, bis auf den einen der geflüchtet ist, habe ich unschädlich gemacht.“

Keine Reaktion.

Ohne ihre zitternden Arme loszulassen, trat er einen Schritt zurück und musterte sie von oben bis unten. Durch das schwarze Gewand erkannte er aber rein gar nichts.

„Hast du noch andere Verletzungen?“

Zumindest schüttelte sie jetzt den Kopf zur Antwort.

„Du fühlst dich kalt an und du zitterst. Das liegt vermutlich am Blutverlust und am Adrenalin. Ich gebe dir meine Jacke.“

Während er seine Lederjacke auszog und um ihre Schultern legte, glitt ihr Blick wieder besorgt zu der bewusstlosen Frau.

„Lass uns zu deiner verletzten Freundin gehen und nach ihr sehen, ja?“

Als Antwort schenkte sie ihm nur ein steifes Nicken. Er wandte sich ab und ging in Richtung der Verletzten. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass die Orientalin Anstalten machte, ihm zu folgen. Als sie jedoch mit dem ersten Schritt die stützende Mauer in ihrem Rücken verlor, gaben ihre Beine nach.

Dank seiner übermenschlichen Geschwindigkeit fing er sie gerade noch ab, bevor sie auf dem harten Asphalt aufschlug. Mühelos hob er sie auf seine starken Arme.

„Das wird schon wieder. Ich kümmer mich um dich.“

In diesem Moment hatte er das Gefühl, als würde in seinem Inneren etwas Fundamentales geschehen, doch er konnte nicht definieren, was es war.

Für einen langen Augenblick verschwand die ganze Welt um ihn herum und er sah und fühlte nur noch diese eine Frau in seinen Armen. Mit einem Schlag war er übersensibel und spürte jedes Detail: nicht nur die Konturen ihres durch und durch weiblichen Körpers, der leider mit dem schwarzen, edlen Tuch verhüllt war – nein, auch ihren Duft nach Jasminblüten und Sandelholz, mit einer Spur Vanille und Bergamotte, ihren Herzschlag, ihr Aus- und Einatmen.

Natürlich hatte er in den letzten hundert Jahren ab und zu einen Frauenkörper gehalten, aber das hier war etwas ganz anderes.

Eine seltsame, aber angenehme Wärme durchströmte ihn, die nichts mit ihrer Körpertemperatur zu tun hatte, und ein überwältigendes Glücksgefühl erfasste ihn, als hätte er den wertvollsten Schatz aller Zeiten gefunden.

Ihn überkam das dringende Bedürfnis, diese Frau in seinen Armen zu wärmen und zu beschützen. Hätte ihm in dieser Sekunde jemand erklärt, das wäre seine Bestimmung für den Rest seines Lebens – er hätte einfach genickt.

Überwältigt von den Eindrücken zog er sie unwillkürlich näher an sich.

Vermutlich waren nur ein paar Sekunden verstrichen, doch nun wurde er wieder brutal in das Hier und Jetzt gerissen. Die wunderschöne Orientalin verkrampfte sich nämlich in seinen Armen und wurde zu einem steinharten Bündel.

„Nein – bitte nicht …“, bettelte sie und blanker Horror spiegelte sich in ihren Augen.

Ein paar Minuten zuvor hatte sich diese Frau noch tapfer dem mörderischen Angriff eines Vampirs entgegengestellt, aber vor ihm fing sie an zu betteln, als drohte ihr von ihm ein weitaus schlimmeres Schicksal.

Warum hatte sie ausgerechnet vor ihm solche Angst?

Was machte er nur falsch?

Dieser abgrundtiefe Horror, der in ihrem Blick lag, bohrte sich wie ein glühender Dolch in seine Seele.

Bevor er jedoch die Gelegenheit bekam, etwas zu sagen, flatterten ihre Lider und sie wurde ohnmächtig.

„Ich bin kein Monster“, murmelte er zutiefst enttäuscht, „und das würde ich dir gern beweisen.“

Ein leises, gekränktes Knurren drang aus seiner Kehle.

Die Ohnmacht ließ ihren weiblichen Körper in seinen Armen wieder weich und anschmiegsam werden und er saugte diese Wahrnehmung förmlich in sich auf. Ihm kam es auch so vor, als schmeckte er ihr Blut noch immer auf seiner Zunge und diese Erinnerung würde er für immer bewahren.

Was um alles in der Welt war bloß mit ihm los?

Warum fühlte und verhielt er sich so merkwürdig?

Er schüttelte den Kopf in dem Versuch, die viel zu intensiven Eindrücke wieder loszuwerden – ohne Erfolg.

Eine flüchtige Ahnung streifte sein Bewusstsein, während er die Arme der Orientalin auf ihren Bauch legte und dabei etwas Entscheidendes entdeckte: Auf der Innenseite ihres linken Handgelenkes zeichnete sich ein kleines, sehr filigranes Branding ab. So hätten es zumindest die Menschen bezeichnet. Vampire nannten die beiden Blättchen die Blüte der Ewigkeit. Diese Frau war also die eine unter Abertausenden, der eine tiefe Verbindung, eine Symbiose, zu einem Vampir möglich war.

Ehe er Zeit hatte, über die Tragweite dieser Entdeckung nachzudenken, alarmierten ihn plötzlich seine Instinkte.

Ein Raubtier, mächtiger und viel älter als alle, die er je besiegt hatte, näherte sich in tödlicher Absicht.

Kapitel 2

Rasch legte Ben die Frau in seinen Armen vorsichtig auf den Boden neben die Bewusstlose. Hinter sich hörte er ein dunkles, mörderisches Knurren.

Niemand wird dieser Frau auch nur ein Haar krümmen!, schwor er sich im Geiste.

Seine tödlich scharfen Fangzähne waren bereits von ganz allein zur vollen Länge ausgefahren und im Bruchteil einer Sekunde drehte er sich um. Gerade noch rechtzeitig, denn wie ein plötzlicher Windstoß fiel der Angreifer über ihn her.

Sein Gegner entpuppte sich nicht nur als schnell und stark, sondern auch als erfahrener Kämpfer. Merkwürdigerweise glich sein Angreifer damit in keiner Weise den Gesetzlosen, mit denen er es sonst zu tun hatte und die in der Regel durch ihren Blutrausch zu unbeherrschten Bestien wurden. Mit denen hatte er reichlich Erfahrung, seit er den Wächtern beigetreten war, die die Menschen schützen, indem sie diese mörderischen Vampire zur Strecke brachten.

Innerhalb eines Wimpernschlags zog Ben erst sein Messer und danach seine Pistole, aber sein Gegenüber schlug ihm beides ebenso schnell wieder aus der Hand. Ein harter Kampf, Vampir gegen Vampir, mit bloßen Händen, entbrannte. Ben musste an die Grenzen seiner Schnelligkeit und Kraft gehen, um die tödlichen Attacken abzuwehren.

Immer wieder versuchte der Angreifer, zu den beiden Frauen vorzudringen. Ben gelang es nur unter Aufbietung all seines Kampfgeschickes, ihn daran zu hindern, doch er würde nicht ewig gegen diesen Gegner bestehen.

Endlich entdeckte er Agnus aus den Augenwinkeln und schöpfte Hoffnung. Mit seinen 120 Kilo nahezu reiner Muskelmasse und den wilden, rotbraunen Locken glich der fast zwei Meter große Anführer der Wächter einem Wikinger. Das hatte er von seiner Mutter, denn sein Vater war ein adliger Engländer gewesen. Die Ankunft von Agnus kostete Ben für einen Sekundenbruchteil die volle Aufmerksamkeit und schon schmetterte ihn sein Gegner flach auf den Rücken.

Warum, um Gottes willen, griff sein Anführer nicht ein?!

Der Vampir über ihm öffnete die Kiefer und in Ermangelung einer Waffe würde sein Feind ihm wohl mit den Fangzähnen die Kehle samt Halsschlagader herausreißen.

Er war geliefert. Das zu überleben, war selbst für einen Vampir kaum möglich.

„Halte ein, Abadin Said! Das ist einer meiner Männer!“

Sobald der kräftige und athletische Mann mit den schwarzen Haaren von ihm abließ, sprang Ben auf und stellte sich schützend zwischen ihn und die beiden Frauen am Boden.

Beinahe Nase an Nase standen sie da und knurrten wie zwei wütende Panther.

„Agnus!“, warnte der Fremde.

Agnus kam näher und befahl Ben mit fester Stimme: „Lass ihn durch.“

Ohne sich auch nur einen Millimeter zu rühren, knurrte Ben: „Warum?“

Sein Anführer hob erstaunt eine Augenbraue, denn er war von seinen Wächtern keine Widerworte gewohnt. Doch das war Ben egal.

„Abadin, sieh es ihm nach. Er ist ein Wächter. Seine Aufgabe ist es, die Unschuldigen zu schützen. Woher sollte er es wissen?“

„Was sollte ich wissen?“, knurrte Ben.

Agnus legte eine seiner riesigen Hände auf Bens Schulter.

„Von Abadin droht ihnen keine Gefahr. Das sind seine Frauen. Sie gehören zu seinem Harem.“

Ben erstarrte.

Seine Frauen, hallte es dröhnend in seinem Kopf wider, während er die Hände zu Fäusten ballte.

Alles in ihm sträubte sich, als er zuließ, dass der Mann, mit dem unbestreitbaren Auftreten eines Herrschers, um ihn herum zu den beiden Frauen ging.

Am Rand bekam Ben mit, dass Agnus brummte: „So hatte ich mir unser Treffen eigentlich nicht vorgestellt, Abadin.“

Unbewusst richtete Ben seine volle Aufmerksamkeit auf den Herzschlag der wunderschönen Frau in Schwarz. Nur die unmissverständliche Hand von Agnus hinderte ihn daran, wieder zu ihr zu gehen.

„Wie ist die Lage, Ben?

Ben! Wie viele Opfer gab es?“

Erst der energische Ton seines Anführers brachte ihn dazu, den Blick von der Orientalin abzuwenden und sich auf die Frage zu konzentrieren.

„Zwei tote Bodyguards, ein toter Fahrer. Die Frau im schwarzen Gewand sagte, sie ist nicht verletzt, doch das bezweifle ich. Sie hat durch einen langen Schnitt Blut verloren und ist später ohnmächtig geworden. Die andere dort an der Mauer ist schon vor meinem Eintreffen bewusstlos gewesen und wahrscheinlich schwer verletzt.“

Während er das Geschehen zusammenfasste, lauschte er permanent ihrem Herzschlag, um sich zu versichern, dass sie wieder aufwachen würde.

„… und die drei Frauen in der Limousine haben die Horrorshow hautnah miterlebt. Ihr Gedächtnis muss gelöscht werden.“

„Das werde ich selbst tun“, schaltete sich dieser Abadin ein, der sich über die schwer verletzte Frau beugte.

Erst jetzt registrierte Ben dessen eindeutig arabisches Aussehen und das landestypische, weiße Gewand, das dazu noch goldene Bordüren besaß. Er wunderte sich, dass sein Instinkt so mit ihm durchgegangen war und er zu Beginn des Kampfes gar nicht in Erwägung gezogen hatte, dass der Mann vielleicht zur Gruppe der Frauen gehörte.

„Drei Angreifer?“, fragte Abadin – vermutlich hatte er die Vampirleichen gezählt.

„Es waren vier. Einer ist schwer verletzt geflüchtet.“

Abadin nickte ihm anerkennend zu. „Gute Arbeit, Krieger.“

An Agnus gewandt ergänzte Ben: „Ich konnte nicht riskieren, den Flüchtigen zu verfolgen. Vielleicht hätte jemand dieses kleine Massaker entdeckt, außerdem wollte ich die Frauen nicht allein und schutzlos zurücklassen.“ Ganz besonders eine davon nicht.

Sein Fokus lag mit einem Mal wieder auf der Frau, die er in seine Jacke gehüllt hatte. Sie war immer noch ohnmächtig.

Ohne auf weitere Nachfragen von Agnus zu warten, wandte er sich von ihm ab und ging vor der tapferen Orientalin in die Hocke. Selbst ohnmächtig brachte sie es fertig, dass alle seine Sinne sich auf sie konzentrierten.

Sie war ziemlich blass und schien trotz seiner Jacke weiter auszukühlen. Der Drang, sie an einen warmen, sicheren Ort zu bringen, wurde immer größer. Er streckte seine Hand nach einer Haarsträhne aus, um sie ihr aus dem Gesicht zu streichen. Unvermittelt spürte er den eisernen Griff des Arabers um sein Handgelenk.

Das sind seine Frauen, hallte es wie ein Peitschenschlag in Bens Kopf wider. Mit einem Knurren riss er den Kopf hoch und rechnete damit, in das wütende Gesicht des Fremden zu sehen, der dachte, diese Frau wäre sein Besitz. Doch in der Miene des Arabers stand stattdessen ernste Sorge.

Noch ehe die Konfrontation ihren Lauf nehmen konnte, rief Agnus: „Abadin, deine Frau wird wach!“

Sofort war Abadin bei der Schwerverletzten und redete mit ihr in einer Sprache, die Ben als Arabisch einordnete. Ärgerlicherweise verstand er kein Wort davon.

Mit einer Vorsicht, die er dem eiskalten Kämpfer gar nicht zugetraut hätte, tastete Abadin unter dem Gewand ihren Rücken ab. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, war sie blutig.

„Sie kann ihre Beine nicht bewegen, ihre Wirbelsäule scheint verletzt zu sein.“ Mit unverhohlenem Schmerz in den Augen blickte der Araber zu Agnus. „Sie ist meine Lieblingsfrau, alter Freund. Ich werde ihr jetzt mein Blut geben.“

Blut normalen Menschen zu schenken, war nach dem uralten Gesetz der Vampire streng verboten. Nur bei den äußerst seltenen Frauen, die die Blüte der Ewigkeit trugen, wie die tapfere Orientalin, war dies erlaubt.

Wenn ein Vampir so einer Frau sein Blut schenkte, erneuerten sich ihre Zellen – und zwar alle Zellen – vorübergehend, doch sie blieb immer ein Mensch. So war es möglich, dass die menschliche Gefährtin eines Vampirs ebenfalls ewig lebte und gesund blieb, wenn er ihr regelmäßig sein Blut schenkte.

„Du weißt, das ist gegen das Gesetz …“, begann Agnus, doch Abadin richtete sich ruckartig auf.

„Wenn du mich daran hindern willst, mach dich auf einen Kampf auf Leben und Tod bereit.“

Ben registrierte, dass alle Muskeln des Arabers sich anspannten – bereit zum Angriff. Abadins Gesicht wurde zur harten Maske eines gnadenlosen Kämpfers und Agnus hatte seine Fußstellung instinktiv verändert, um einen besseren Stand zu haben.

Auch wenn Abadin ein alter Freund war: Agnus musste als Anführer der Wächter dafür sorgen, dass die Gesetze eingehalten wurden. Er konnte das nicht zulassen.

Unwillkürlich legte Ben die Hand auf den Griff seiner Pistole. Nur das angedeutete Kopfschütteln von Agnus hielt ihn davon ab zu schießen, zumindest vorläufig.

Die Spannung zwischen den beiden war beinahe greifbar.

Ein Kampf schien unausweichlich und Ben würde nicht tatenlos zusehen.

In einem letzten Versuch, das Desaster zu verhindern, rief Ben: „Du könntest die Sache noch schlimmer machen, wenn du ihr jetzt dein Blut gibst!“

„Was weißt du schon!“, brüllte der Araber ebenso wütend wie verzweifelt, doch Ben gab nicht so schnell auf: „Durch dein Blut würden die Wirbel zusammenwachsen, auch wenn sie nicht die richtige Lage haben und Nervenbahnen dabei eingequetscht werden. Verbliebene Wirbelsplitter würden einwachsen und beides könnte der Frau höllische Schmerzen für den Rest ihres Lebens bereiten.“

Skeptisch sah Abadin zu Agnus.

„Benjamin hat recht, Abadin, und er kennt sich aus. Er hat eine Zeit lang in der Notaufnahme gearbeitet.“

„Ich werde aber nicht tatenlos zusehen wie …“

„Das musst du auch nicht, alter Freund. Meine Frau ist Ärztin und Heilerin. Sie ist schon auf dem Weg hierher.“

Ein Ausdruck von Hoffnung flackerte über das Gesicht des Arabers.

Ben wusste natürlich, dass Agnus’ Frau Alva in Teilbereichen, wie Knochen, Knorpel und Sehnen, die Gabe der Heilung hatte. Ob sie jedoch in der Lage war, auch einen komplizierten Wirbelbruch zu heilen, und ob sich die Nervenbahnen anschließend wieder erholen würden, war alles andere als sicher. Aber allein die Möglichkeit würde hoffentlich für den Moment die explosive Situation entschärfen.

„Wir bringen deine Frau zu uns ins Hauptquartier“, schlug Agnus vor. „Dort haben wir medizinische Geräte, um sie zu untersuchen, und meine Frau wird sich um sie kümmern, in Ordnung?“

Vielleicht war es das leise Weinen seiner Frau, das dafür sorgte, dass Abadin nickte und seine Angriffshaltung aufgab, um sich wieder vor sie hinzuknien.

„Beweg sie so wenig wie möglich“, mahnte Ben, „und versetz sie in Tiefschlaf. Um sie für den Transport zu fixieren, werden wir eine Vakuummatratze verwenden müssen.“

Abadin sah fragend zu Agnus.

„Tu, was er sagt, alter Freund, und lösch das Gedächtnis deiner anderen Frauen. Ich werde mich um den Rest kümmern.“

Der arabische Mann murmelte seiner weinenden Lieblingsfrau offensichtlich tröstende Worte zu und legte dann die Hand auf ihre Stirn. Ihre Lider senkten sich und ihr Körper fiel in einen tiefen Schlaf. Sobald Abadin sich erhob, um zur Limousine zu gehen, in der sich seine anderen Frauen eingeschlossen hatten, wurde seine Haltung wieder erhaben, seine Züge hart und kompromisslos.

Ben fragte sich, wer dieser Kerl eigentlich war.

Doch ein Blick zu seiner tapferen Schönheit – die immer noch bewusstlos auf dem schmutzigen Asphalt lag – genügte, damit alles andere unwichtig wurde. Das Geschehen um ihn herum trat völlig in den Hintergrund. Er brachte es nicht übers Herz, sie noch eine Sekunde länger dort liegen zu lassen, und hob sie behutsam auf seine Arme.

Am Rande registrierte er, dass Agnus mit dem Hauptquartier und seiner Frau Alva telefonierte.

Als er das Gesicht der Orientalin in seinen Armen betrachtete, verlor er jedes Zeitgefühl – sie war eine echte Schönheit und Schönheit hatte ihn von jeher fasziniert. Unbemerkt von den anderen konnte er nicht widerstehen, mit seinen Fingerspitzen über ihre zarte Haut und durch ihre seidigen Haare zu streichen.

„Ich kenne noch nicht einmal deinen Namen“, murmelte er und nahm sich fest vor, ihn in Erfahrung zu bringen.

Irgendwann fuhren der Krankenwagen, den die Ärztin extra für die Belange der Wächter angeschafft hatte, und drei SUVs in die Sackgasse.

Aus einem der Wagen stieg Ambrosius, der stets einen witzigen Spruch auf Lager hatte und jederzeit für eine Wette zu begeistern war. Der bot auch sofort an, die unverletzten Haremsdamen zurück ins Hotel zu fahren. Und wie Ben ihn kannte, würde er daraus noch eine amüsante kleine Stadtrundfahrt mit ein paar Umwegen machen.

Raven und Walter, die die anderen Wagen gefahren hatten, fingen sofort an, alle Spuren des Blutbads verschwinden zu lassen.

Agnus’ Frau Alva war bereits aus dem Krankenwagen gestiegen und überprüfte die Vitalwerte der Lieblingsfrau dieses Abadin. Kurz darauf bestätigte sie den Verdacht der Wirbelbrüche. Nachdem die Ärztin die Frau noch auf weitere Verletzungen untersucht hatte, leitete sie den Abtransport mit der Spezialliege in die Wege.

Als Alva einfach in den Krankenwagen stieg, ohne nach der Frau in Bens Armen gesehen zu haben, und dieser Abadin geradewegs auf ihn zukam, wohl um sie ihm abzunehmen, kochte Wut in ihm hoch.

Sie gehören ihm, hallte es in seinem Kopf und erneut bohrte sich ein glühender Dolch in sein Inneres. Grimmig presste er die Kiefer aufeinander und marschierte zu Agnus.

„Agnus! Wir müssen diese Frau auch mit auf unsere Krankenstation nehmen. Sie hatte eine stark blutende Wunde am Arm und ist dann einfach zusammengeklappt. Vielleicht hat sie einen Schock oder eine Gehirnerschütterung und gebrochene Rippen. Einer der Mistkerle hat ihr einen harten Schlag versetzt und sie durch die Luft geschleudert. Ich will ganz sichergehen, dass mit ihr alles in Ordnung ist.“

Ben bohrte seinen fordernden Blick in Agnus. Natürlich wusste er, dass sein Anführer kaum einen Außenstehenden ins Hauptquartier ließ, von Menschen ganz zu schweigen, denn ihr Standort in dem uralten, ehemaligen Kloster war ein gut gehütetes Geheimnis.

Abadin stand inzwischen bei ihnen. Anstatt Ben eine Standpauke über die Gefährdung der Sicherheit zu halten, sah Agnus nur diesen Abadin fragend an, woraufhin der nickte.

„In Ordnung, Ben, du kannst sie mitnehmen. Alva soll nach ihr sehen.“

Es wurmte ihn, dass Agnus erst die Erlaubnis des anderen abgewartet hatte und dass das anscheinend alles war, was zählte. Grimmig nahm er den Fremden ins Visier.

„Ich will endlich wissen, wie sie heißt.“

In Anbetracht seines rüden Tonfalls, hob Agnus eine Augenbraue und legte dann eine Hand auf die Schulter des Arabers.

„Ich glaube, ich sollte dir zuerst meinen alten Freund vorstellen.“ Damit du deinen Ton mäßigst, lautete die unterschwellige Botschaft. „Das ist König Abadin Said der Zweite. Unsere Väter waren Freunde und im Mittelalter kämpfte er eine Zeit lang an der Seite meiner Wächter.“

Der König ließ sich nur zum Ansatz eines würdevollen Nickens herab und betrachtete mit einer Mischung aus Interesse und Argwohn die schöne Orientalin, die Ben in seinen Armen hielt.

„Abadin, das ist Benjamin Sandberg, Sohn des Gustav, einer meiner ehrenwerten Wächter.“

Der König trat mit zwei Schritten direkt vor ihn. Unwillkürlich zog er die Frau noch enger an seinen Körper.

Der Blick des Königs wanderte zu seiner Hand und nahm einen misstrauischen Ausdruck an. Erst jetzt bemerkte Ben, dass er mit dem Daumen sanft über die Wange der Orientalin strich, und er registrierte aus den Augenwinkeln, dass Agnus ihn alarmiert anschaute.

Unvermittelt streckte der Herrscher seine kräftige Hand nach Bens Nacken aus, eine verwundbare Stelle selbst für die gefährlichsten Raubtiere. Im gleichen Moment umschloss Agnus den Griff seiner Desert Eagle, Kaliber .50, eine der größten Handfeuerwaffen überhaupt. Sein Anführer ließ den Araber nicht mehr aus den Augen und erklärte mit Nachdruck: „Abadin, für diesen Wächter lege ich meine Hand ins Feuer.“

Ben hatte wortwörtlich beide Hände voll und alles an ihm spannte sich an, als der König die Hand auf seinen Nacken legte.

Er hielt den Atem an und machte sich auf alles gefasst, während ihn der Blick des Herrschers mit stählerner Härte durchdrang.

Nach einem langen Moment sagte der König: „Du möchtest also ihren Namen wissen. Sie wird ihn dir aber nicht freiwillig nennen.“

Ein Knurren schlich sich aus Bens Kehle. „Haben Sie ihr das verboten?“

„Ben“, rief Agnus warnend. „es reicht!“

Der Araber bedachte ihn allerdings nur mit einem amüsierten Lächeln, das seine rasiermesserscharfen Reißzähne zum Vorschein brachte, und meinte: „Sie heißt Jasmin.“

Als würde ihr Name aus dem Mund des Königs sie selbst aus den tiefsten Tiefen herbeibefehlen, flatterten Jasmins wunderschöne Wimpern. Es kostete sie sichtliche Anstrengung, die Augen zu öffnen.

„Ich kann Euch dienen, mein König.“

Das sagte sie halb benommen, zudem war sie noch immer sehr blass. In Ben kochte Zorn hoch und er gab sich wenig Mühe, das Knurren aus seiner Kehle zu unterdrücken.

„Ich benötige deine Dienste im Moment nicht. Du bist außer Gefahr und ich schätze, dieser Krieger hier“, jetzt wurde das amüsierte Grinsen des Arabers sogar noch breiter, „wird dafür sorgen, dass nichts und niemand dich ihm entreißt. Und falls er dich verletzt, werde ich ihm die Eingeweide herausreißen und ihn damit füttern.“

Das klang nicht nach einer Metapher.

Endlich nahm der König die Hand aus Bens Nacken, legte sie nun aber auf Jasmins Hand. Das zu sehen, ärgerte Ben noch mehr, denn er registrierte, dass Jasmins Körper sich sofort versteifte und anfing zu zittern.

Der Araber merkte das anscheinend auch und zog seine Hand mit einem Seufzen wieder zurück.

„Werde wieder heil.“

Diese Worte des Herrschers wirkten irgendwie seltsam, doch Ben vermutete, dass das an der Sprachbarriere lag.

Jasmins Augen fielen wieder zu.

Nun fixierte der König Ben mit einem durchdringenden Blick, der dafür sorgte, dass seine Nackenhaare sich aufstellten.

„Kann ich dir diese Frau anvertrauen?“

Dabei musterte ihn der Herrscher allerdings eher so, als wollte er seinen Wert einschätzen.

Ohne es bewusst zu steuern, zog er Jasmin abermals enger an sich. Der König schien das zu registrieren.

„Wenn sie auch nur einen blauen Fleck deinetwegen bekommt, werde ich dich eigenhändig auspeitschen.“

Das klang wie ein heiliges Versprechen, doch das war Ben völlig egal. Er blickte allerdings besorgt zu Jasmin herab.

Hatte er sie etwa zu fest gehalten?

Auf der Stelle lockerte er seinen Griff.

Mit einem amüsierten Grinsen wandte sich der Herrscher von Ben ab und meinte nur lapidar: „Wir sehen uns im Hauptquartier.“

Damit ließ der König ihn einfach stehen und stieg in den Krankenwagen zu seiner Lieblingsfrau.

Kapitel 3

Wie in einem Traum spürte Jasmin etwas Starkes, das ihr Halt gab. Eine fremdartige, aber angenehme Wärme umschloss sie, durchdrang ihr Inneres und badete sie in einem Gefühl der Geborgenheit, das sie zuletzt auf dem Schoß ihrer Mutter gehabt hatte.

Irgendwann glitt sie benommen in einen halb wachen Zustand. Eine unfassbar sanfte Hand berührte ihre Wange. Sie bemühte sich, ihre bleischweren Lider wenigstens kurz zu öffnen.

Als es ihr gelang, blickte sie direkt in strahlend türkisblaue Augen – Augen, so wunderschön und verlockend wie ein tiefes Meer, in dem man gewillt war, für immer zu ertrinken. Sie lagen inmitten eines Gesichtes, das Sanftmut ausstrahlte und von schulterlangen Haaren in der Farbe von hellem Sandelholz eingerahmt wurde. Etwas Unbekanntes, Neues, keimte in ihr auf, ebenso neu wie das angenehme Ziehen und heiße Prickeln tief unten.

Beides verwirrte sie, vor allem weil sie dabei in das Gesicht eines Mannes sah, und das war nah, gefährlich nah.

Dieser Mann hatte für sie gekämpft, sie gerettet – was sie ebenfalls verwirrte.

Während des Kampfes hatte der Mann ausgesehen wie ein Monster.

Sie kannte nur Monster, die aussahen wie Männer.

Ihr König sagte, sie sei bei diesem Mann in Sicherheit.

Er wusste es nicht besser.

Für eine Frau wie sie gab es keine Sicherheit in der Gegenwart eines Mannes.

Dennoch hatte ihr Retter das schönste Gesicht, in das sie je geblickt hatte.

Aber der schöne Schein täuschte eben über die grausame Wahrheit hinweg. Daran wurde sie wieder schmerzlich erinnert, als eine kräftige Männerhand nach ihrer griff.

Das plötzliche und überwältigende Gefühl von Panik ließ jede ihrer Empfindungen innerhalb eines Wimpernschlags zu Eis gefrieren.

Sie begann zu zittern und fühlte sich wie in einem Block aus Eis: kalt, steif und unter Druck, so als würde sie vom Eis langsam zusammengequetscht.

Aber es war besser, das zu empfinden, als noch einmal all das, was hinter ihr lag – lieber würde sie sterben.

Im Moment hatte sie jedoch nicht die Wahl – genau wie damals.

Gnädigerweise erfasste sie Schwindel und eine erneute Ohnmacht befreite sie von jeder Wahrnehmung.

***

Ben hatte es völlig widerstrebt, Jasmin loszulassen, deshalb saß er nun – mit ihr auf dem Schoß – auf der Rückbank des SUV. Sie war immer noch ohnmächtig, deshalb lauschte er ihrem Herzschlag. Der Rhythmus des sanften Schlagens war für ihn mittlerweile unverwechselbar. Ihren weichen, weiblichen Körper in den Armen zu halten, verschaffte ihm eine innere Ruhe und Befriedigung, die wohl keiner verstehen würde, er selbst eingeschlossen.

Agnus hatte sich hinters Steuer gesetzt und schob gerade die schwarze Verbindungsscheibe zurück, die den hinteren Teil des Wagens abtrennte, der vor Sonnenlicht geschützt war. Sein Anführer schenkte ihm einen nachdenklichen Blick und schüttelte den Kopf.

„Ich habe meine Hand für dich ins Feuer gelegt, Benjamin – und was machst du? Du spielst mit dem Feuer – ich hoffe nur, das ist dir bewusst. Was Frauen angeht, kann Abadin mörderischen Ehrgeiz an den Tag legen, das haben Sarah und Elia schon am eigenen Leib erfahren müssen.“

Die Warnungen berührten ihn kaum, doch Ben wiederholte mit unverhohlenem Zorn: „Seine Frauen – was denkt sich dieser Bastard eigentlich?“

„Ich werde mir also die Hand verbrennen“, brummte Agnus und startete den Motor.

„Weißt du, Benjamin, Abadin lebt schon sehr lange und früher hatten auch wir Leibeigene und in der neuen Welt gab es sogar Sklaven.“

„Mir ist egal, wie alt dieser Kerl ist! Und selbst wenn er Sklavenhändler im alten Byzanz gewesen wäre! Die Zeiten haben sich Gott sei Dank geändert!“

„Noch nicht überall“, seufzte Agnus halblaut und schob die Trennscheibe wieder zu.

Kurz nach der Abfahrt spürte Ben, dass Jasmin aus ihrer Ohnmacht erwachte. Als sie ihre strahlend hellgrünen Augen öffnete, machte sein Herz einen kleinen Freudensprung.

Doch die Freude währte nicht lange.

Ihr ganzer Körper begann sofort wieder zu zittern. Er hörte, wie ihr Puls in die Höhe schnellte, und in ihren Augen stand blanker Horror.

Schon wieder sah sie ihn an wie ein Monster!

Da er sie nicht gewaltsam festhalten wollte, musste er miterleben, wie die arabische Schönheit sich in Panik förmlich aus seinen Armen kämpfte, ans andere Ende der gegenüberliegenden Sitzbank flüchtete und sich dort zusammenkauerte.

Seltsamerweise fühlten sich jetzt nicht nur seine Arme leer an, sondern auch sein Inneres und es schmerzte, so als hätte ihm jemand ein Stück daraus entrissen.

Er blickte Jasmin an, die sich voller Furcht klein machte, und sein Instinkt bäumte sich auf, wollte den Feind mit den Reißzähnen zerfleischen, vor dem sie sich so fürchtete – doch da war niemand außer ihm. Trotzdem spürte er, wie sein Körper Adrenalin ausschüttete, und unbändige Wut erfasste ihn.

Was, um alles in der Welt, war nur mit ihm los?

Er war schließlich kein Choleriker, der ständig von Wutattacken heimgesucht wurde!

Jeder, der ihn kannte, beschrieb sein Wesen als sanft und ausgeglichen. Mit seinen gut 120 Jahren war er einer der jüngsten Wächter. Und obwohl er aufgrund seines erlernten, exzellenten Kampfgeschickes einstimmig als Wächter bestätigt worden war, sagten seine Mitstreiter oft scherzhaft: „Er ist unser Fachmann in künstlerischen Fragen“, wenn nach seinen speziellen Fähigkeiten gefragt wurde.

Ja, in seiner Seele war er ein Künstler wie sein Vater und kein Krieger, aber der Wunsch, die zu beschützen, die er liebte, hatte schon immer ungeahnten Kampfgeist in ihm geweckt.

Während er für einen Moment seinen Gedanken nachhing, sah sich Jasmin inzwischen hektisch um wie ein scheues Wildtier, das man in die Ecke gedrängt hatte. Er traute seinen Augen kaum, als sie Anstalten machte, bei voller Fahrt die Autotür aufzureißen.

„Was machst du da?!“, brüllte er unwillkürlich und wollte nach ihrer Hand greifen. Jasmin zog ihre Hand so schnell weg, als hätte sie sich verbrannt – kein Wunder, so wie er sich aufführte.

Er hatte schon wieder wütend reagiert!

Entnervt stieß er die Luft aus, denn das Schema wiederholte sich: Sie behandelte ihn wie ein Monster und er kochte vor Wut und Frustration.

Ihm fiel auf, dass Jasmin etwas desorientiert wirkte, was nachvollziehbar war. Anstatt jedoch in seiner üblich sanften Art darauf zu reagieren, sagte er mit unverhohlener Verachtung: „Dein König hat in seiner unendlichen Güte erlaubt, dass ich dich zu unserem Hauptquartier begleite.“

Er merkte, wie blöd er sich verhielt, und versuchte, bei seinen nächsten Worten verständnisvoller zu klingen.

„Vermutlich hast du das nicht mehr mitbekommen, oder?“

Sie schüttelte den Kopf, schien sich aber etwas zu beruhigen, denn ihr Puls normalisierte sich und ihr Zittern verschwand. Dafür fing die Orientalin jetzt aber an, nach etwas Ausschau zu halten – vermutlich nach ihrem Schleier. Da konnte sie lange suchen, den hatte er nämlich absichtlich in der Gasse liegen lassen.

Er liebte Schönheit in jeder Form – und so eine Schönheit wie sie hinter schwarzen Tüchern zu verstecken, war für ihn ebenso unverständlich wie unerträglich.

Eigentlich hätte er auch gern noch viel mehr von ihr gesehen, aber sie war dermaßen verhüllt, dass er noch nicht mal Konturen wahrnehmen konnte.

Ihm fiel ein, dass Jasmin wegen des Blutverlusts unbedingt etwas trinken sollte. Da die Frauen der Vampire allesamt Menschen waren, wenn auch besondere, befanden sich in jedem Fahrzeug Getränke. Zudem war jeder Vampir, der in Symbiose mit seiner Gefährtin lebte, in der Lage, normale Nahrung zu verdauen.

Er streckte seinen Arm weit aus, um die versteckte Minibar gegenüber, direkt neben Jasmin, zu öffnen. Im selben Moment rollte sie sich abrupt zusammen und hielt schützend die Arme über ihren Kopf.

„Mein König wird dich töten, wenn du mich schlägst!“

Instinktiv drang ein ärgerliches Knurren aus seiner Kehle.

Aus Spaß hatten seine Schwester und er zwar früher öfters harmlose Balgereien veranstaltet, aber dabei hatte sie noch nicht mal einen Kratzer abbekommen – geschweige denn, dass er jemals eine Frau geschlagen hätte!

„Ich hatte überhaupt nicht vor, dich zu schlagen! Aber du hast stark geblutet und brauchst dringend Flüssigkeit!“

Wie zuvor beabsichtigt streckte er seine Hand – an ihr vorbei – zur verborgenen Minibar aus, öffnete sie und hielt ihr ein isotonisches Getränk hin.

Zögernd griff sie nach der Flasche und sah ihn dabei für einen langen Moment verwirrt an. Danach senkte sie ihren Blick wieder abrupt zu Boden.

Ben hatte das Gefühl, gleich zu explodieren.

Mit Absicht schneller, als dass sie hätte ausweichen können, nahm er ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und zwang sie, ihn anzusehen.

„Schlägt Abadin dich?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Bitte, lass mich los.“

Schon wieder bettelte diese mutige Frau, ihre Stimme zitterte sogar hörbar.

Er stieß frustriert die Luft aus und ließ ihr Kinn los.

Sogar einem raubeinigen Wikinger wäre aufgefallen, dass mit Jasmin etwas nicht stimmte.

„Du bist die mutigste Frau, die mir je begegnet ist.“ Und er begriff einfach nicht, warum sie gegenüber blutrünstigen Bestien tapfer und ihm gegenüber, noch dazu in dieser gefahrlosen Situation, völlig verängstigt war.

Unerwartet fixierte Jasmin ihn mit ihren Augen und antwortete auf sein Kompliment in einem bitteren Ton: „Mut hilft dir gar nichts, wenn du am Ende doch verlierst!“

Was hatte Jasmin nur erlebt?

Er wünschte, er könnte seine gerade wieder aufsteigende Wut – die sich auch in seinem unüberhörbaren Knurren äußerte – an denjenigen auslassen, die daran schuld waren, dass diese ansonsten so tapfere Frau ängstlich bettelte. In diesem Fall würde er das Blut in den Ranken seiner Klinge hinterher wohlwollend betrachten.

„Verzeih, wenn ich dich beleidigt habe“, stammelte Jasmin unvermittelt, mit eindeutig schuldbewusster Stimme und wandte ihren Blick wieder zu Boden.

„Womit?“

„Ich – habe einen fremden Mann angestarrt und – angesprochen.“

„Und?“

„Und?!“, wiederholte sie empört. „Das ist gelinde gesagt unhöflich! Außerdem beschmutzt so ein Verhalten die Ehre meines Vormundes.“

Er musterte Jasmin, die aber nun kein einziges Wort mehr mit ihm sprach. Ihre wundervollen, smaragdgrünen Augen würdigten ihn keines Blickes mehr und offenbar fühlte sie sich unwohl in seiner Gegenwart. Dabei rissen sich andere Frauen darum, in seiner Nähe zu sein, gerieten völlig aus dem Häuschen, wenn er ihnen ein Lächeln oder ein Augenzwinkern schenkte. Die Dreisteren betatschten ihn, wenn sie nahe genug herankamen, oder steckten ihm ihre Telefonnummer oder ihren Hotelschlüssel zu. Aber diese eine hier, die ihm gefiel …

„Und ich finde es sehr unhöflich, ja geradezu beleidigend, wenn du nicht mit mir sprichst und mich nicht ansiehst.“ Kindisch oder nicht, aber seine Stimme klang dabei genauso beleidigt, wie er sich fühlte.

Leider zeigte sein Argument keinerlei Wirkung.

Jasmin schwieg beharrlich.

Verärgert presste er die Kiefer aufeinander, bis ihm einfiel, dass noch etwas von ihr in seinem Besitz war …

Mit dem Ansatz eines Lächelns zog er – bewusst langsam – ihren Dolch hinten aus seinem Gürtel und betrachtete in aller Seelenruhe die ästhetische Klinge mit der typischen Maserung.

„Damaszenerstahl mit einem außergewöhnlich schönen Wellenmuster“, murmelte er.

Ben verkniff sich ein Schmunzeln, als er aus den Augenwinkeln sah, dass sie unruhig auf ihrem Sitz hin und her rutschte. Es war nicht zu übersehen, dass sie ihren Dolch zurückhaben wollte. Wie beabsichtigt besaß er endlich ihre volle Aufmerksamkeit.

Jasmin hielt nur noch eine kleine Weile durch, dann streckte sie die Hand nach ihrer Waffe aus, ohne ihm dabei jedoch in die Augen zu schauen oder ein Sterbenswörtchen zu sagen.

Nein, so billig würde sie nicht davonkommen!

„Du bist schon wieder so unhöflich, weder mit mir zu sprechen noch mich anzusehen.“

Jasmin riss den Kopf hoch und funkelte ihn aus ihren smaragdgrünen Augen zornig an.

„Unhöflich?!“

Jetzt wirkte sie, als würde sie gleich explodieren.

„Die Männer in unserem Land würden denken, ich biete mich dir in eindeutig unanständiger Weise an, wenn ich das tue! Und dementsprechend würden sie mich auch behandeln!“

Ben versuchte, die Tragweite dieser Aussage zu erfassen.

„Diese Männer – sie würden also allein deshalb mit dir so umgehen, als wärst du eine Hure, die sich ungefragt anbiedert?“

Sie nickte.

Fassungslos schüttelte er den Kopf.

„Ich begreife nicht, wie Menschen so denken können. Und ich hatte ganz sicher nicht vor, dich zum Verhalten einer Hure zu zwingen, und noch weniger, dich so zu behandeln. Ich bitte dich deshalb um Entschuldigung.“

„Wie bitte?“, fragte Jasmin leise.

„Ich entschuldige mich. Ist das so schwer zu verstehen?“

Zögernd schüttelte sie den Kopf, doch es schien, als könnte sie es kaum glauben. Waren denn alle Männer in ihrem Land machohafte, mittelalterliche …

„Ich kenne noch nicht einmal deinen Namen“, unterbrach Jasmin murmelnd seine Gedanken und überraschte ihn damit. Nicht, dass sie ihn dabei angesehen hätte.

Anscheinend benahm er sich heute wie ein Arschloch. Ständig kochte er vor Wut, knurrte unaufhörlich eine fremde Frau an, die ihm gar nichts getan hatte, und besaß noch nicht einmal die Manieren, sich vorzustellen.

Ihre Frage entlockte ihm dennoch ein Lächeln und seine Wut war auf einmal wie weggeblasen.

„Ich heiße Benjamin.“

„Ben-Yamin“, wiederholte sie mit eindeutig arabischer Betonung.

Jasmins Stimme hatte zum ersten Mal einen angenehm weichen Klang und er liebte, wie sie seinen Namen aussprach.

„Das bedeutet Sohn der Freude“, fuhr sie fort.

Versuchte sie etwa, mit ihm ins Gespräch zu kommen?

Albern – aber er fühlte sich, als hätte sie ihm gerade ein Geschenk gemacht.

„Hier, bitte.“

Er reichte ihr den Dolch mit dem Griff voran. Sie nahm ihn so vorsichtig aus seiner Hand, als hätte sie Angst, er würde sie dabei beißen – ein verlockender Gedanke, bei dem er sofort Hunger bekam. Leider vermied sie bei der Übergabe auch jede Berührung – was schade war.

„Du bist mich bald los“, meinte er frustriert. „Die Fahrt wird nicht ewig dauern.“

Er zwang sich, aus dem Fenster zu schauen, anstatt sich an ihr sattzusehen – oder satt zu trinken. Wobei er auf Letzteres sowieso verzichtet hätte, da sie bereits genug Blut verloren hatte. Ihr Herzschlag ging ihm trotzdem nicht mehr aus dem Ohr und auch nicht mehr aus dem Sinn.

„Du hast gesagt, ich halte ihn falsch“, sagte Jasmin unvermittelt, aber so leise, als würde ein unsichtbarer Feind mithören, und überraschte ihn damit erneut.

Sie sagte zwar nicht: „Zeig es mir“, doch er spürte, wie schwer ihr allein dieser Satz gefallen war.

Als er sich ihr zuwandte, kam sie sogar ein Stück aus ihrer Ecke heraus, wobei ihre bezaubernden Augen dennoch seinen direkten Blick mieden.

Er nahm den Dolch von ihr entgegen und gab ihn ihr anders in die Hand zurück. Um ihre Haltung zu korrigieren, legte er seine Hand auf ihre.

Doch bei seiner – für sie wohl überraschenden Berührung – zuckte sie in einer augenscheinlich unbewussten, aber definitiv ängstlichen Reaktion abrupt zurück. Er zischte, als die scharfe Klinge tief in seine Handfläche schnitt. Sofort lief Blut aus der Wunde und ebenso schnell flüchtete Jasmin wieder in die äußerste Ecke der gegenüberliegenden Sitzbank. Dort kauerte sie sich zusammen, als hätte er vor, sie deswegen zu verprügeln.

Völlig genervt stieß er die Luft aus.

Seine Geduld war am Ende.

Er hatte es ein für alle Mal satt, dass sie ihn behandelte wie ein aggressives Monster, das beim kleinsten Anlass über sie herfiel!

Um die Lederpolster nicht zu versauen, fuhr er noch rasch mit seiner Zunge über den Schnitt, der Rest darunter würde sowieso gleich heilen. Dann rückte er mit der Geschmeidigkeit eines jagenden Raubtiers in ihre Ecke vor.

Kapitel 4

„Sieh mich an, Jasmin!“

Seine Worte kamen erheblich schärfer heraus als beabsichtigt, was sicher keine gute Grundlage für ein vertrauensbildendes Gespräch war. Es bewirkte aber zumindest, dass sich ihre Angst in Wut verwandelte, denn nun fauchte sie ihn mit zusammengekniffenen Augen an: „Wer hat dir meinen Namen genannt?“

„Dein König.“

Benjamin registrierte die Veränderung in ihrem Gesichtsausdruck: Verrat – Jasmin wirkte, als hätte ihr König sie verraten. Da er nichts daran ändern konnte und Jasmin ihm endlich mal in die Augen sah, fuhr er wie geplant fort: „Du hast gesehen, was ich bin, und auch, zu was ich fähig bin. Aber nur weil ich dazu fähig bin, mörderische Vampire zu töten, heißt das noch lange nicht, dass ich gegenüber einer Unschuldigen gewalttätig werde! Ich habe dir mein Wort gegeben, dass ich dir nichts tun werde, und ich halte mein Wort. Außerdem wärst auch du in der Lage, mit einem gezielten Stich deines Dolches einen Mann zu töten.“

Ohne den Kopf zu bewegen, blickte er mit hochgezogener Augenbraue nach unten, wo die Spitze ihrer Klinge auf seinen Brustkorb zeigte.

„Aber nicht dort, wo die Klinge gerade hinzielt.“

Er zog sich wieder auf seine Sitzbank zurück.

An Jasmins erschrockener Reaktion erkannte er, dass sie ihre Waffe unterbewusst auf ihn gerichtet hatte.

Er starrte einige Augenblicke aus dem Fenster und versuchte, seine widersprüchlichen Gefühle in den Griff zu bekommen.

Auf der einen Seite wollte er sich von ihr distanzieren, denn er hatte die Nase gestrichen voll davon, dass sie ihn wie ein Monster behandelte. Auf der anderen Seite zog es ihn geradezu magisch zu ihr hin. Das Bedürfnis, erneut ihre verführerisch samtige Haut zu streicheln oder seine Finger durch ihre seidigen, ebenholzfarbenen Wellen gleiten zu lassen, quälte ihn regelrecht. Darüber hinaus wollte er mehr über sie wissen, aus dem Rätsel schlau werden, das ihr Verhalten ihm aufgab.

Wegen Agnus’ früherer Reaktion ahnte er jedoch, dass ihn das in Teufels Küche bringen würde, und zudem erweckte Jasmin nicht gerade den Eindruck, als würde sie gerne etwas über sich preisgeben. Allerdings hatte sie es bei ihm mit einem Vampir zu tun – einem Raubtier, in dessen Natur es lag, Beute mit tödlicher Geduld zu verfolgen und auf eine passende Gelegenheit zu warten.

Nach einer kurzen Stille schien seine Rechnung vorerst aufzugehen, denn Jasmin fragte: „Würdest du mir die Stelle zeigen, an der ich einen Mann töten kann?“

Es ärgerte ihn nur, dass sie den Blick ihrer strahlend smaragdgrünen Augen dabei für den Boden verschwendete.

Mit dem Scharfsinn eines lauernden Raubtiers hatte er sehr wohl registriert, dass sie „Mann“ und nicht „Mensch“ gesagt hatte. Alles wies in die gleiche Richtung und er wollte mehr wissen – unbedingt.

Ihm kam der Einfall, aus ihrer Bitte einen Handel zu schlagen.

„Ich werde dir die Stelle zeigen, wenn du mir erzählst, warum du einen Dolch unter deinem Gewand trägst.“

Jasmin betrachtete ihre Klinge und strich dabei liebevoll über das kunstvolle, graubraune Wellenmuster des Damaszenerstahls. Er beneidete den kalten Stahl.

Wie armselig war das denn?

„Mein König hat mir diesen wertvollen Dolch geschenkt, damit ich jeden töten kann, der mich gegen meinen Willen berührt.“

Bis auf ihren Besitzer selbst, mutmaßte er zynisch.

Sie gehören ihm. Es sind seine Frauen, hallte es erneut wie ein Peitschenschlag in seinem Kopf und dieser Gedanke ließ seinen Zorn sofort wieder hochkochen.

„Du hast ihn also von diesem Tyrannen, der dich als seinen Besitz betrachtet und dich dazu zwingt, deinen ganzen Körper, dein Gesicht und sogar deine Augen hinter schwarzem Stoff zu verbannen?“

„Du verstehst überhaupt nichts!“, fauchte ihn Jasmin mit geballter Wut an.

„Dass sich ein Mann Frauen in einem Harem hält und sie als sein Eigentum betrachtet, will ich sowieso nicht verstehen!“

„Ich lebe sehr gern im Harem meines Königs!“

Fassungslos starrte er sie an.

„Dass er Frauen als seinen Besitz ansieht, dass er denkt, sie gehören ihm, das stört dich also überhaupt nicht?! – Ach was, vergiss es.“

Er schüttelte den Kopf und nahm sich vor, für den Rest der Fahrt zu schweigen und aus dem Fenster zu sehen.

Er musste endlich wieder zur Vernunft kommen!

Es war, als wecke Jasmin die schlimmsten Seiten an ihm, Seiten, die er selbst noch gar nicht gekannt hatte.

Gut, dass diese Fahrt nicht ewig dauerte. Je früher er diese Frau los war, desto besser.

Jasmin tat es ihm gleich und starrte ebenfalls aus dem Seitenfenster. Nach ein paar Momenten der Stille meinte sie aber noch: „In unserem Land gehört eine Frau nie sich selbst. Erst gehört sie ihrem Vater, der sie verheiratet, dann ihrem Ehemann. Ihr Schicksal wird das ganze Leben lang von Männern bestimmt.“

Ben versuchte, sich zusammenzureißen und seinem Verstand wieder die Zügel zu überlassen.

„Du bist seine Frau. Das alles hat mich nichts anzugehen.“

„Ich bin …“ Sie brach den Satz ab.

Er verbot sich nachzufragen, biss beinahe schmerzhaft die Zähne zusammen und blickte stur nach draußen, ohne jedoch etwas wahrzunehmen. Das sanfte Schlagen ihres Herzens ließ sich allerdings nicht ausblenden und streichelte seine Sinne wie ein warmer Sommerwind.

Nein, ich sollte mir das Leben nicht unnötig schwer machen!

Diese Frau und ihr Schicksal gehen mich nichts an!

Seine Zähne knirschten.

Einem Impuls folgend zog er seine Brieftasche heraus, öffnete sie und fuhr mit dem Daumen über das Foto seiner Schwester Lissi. Seine Anspannung legte sich.

Lissis Schicksal hätte Agnus damals auch egal sein können. Doch Agnus hatte ihn – der die feinen Hände eines Klavierspielers und Künstlers hatte – zur Ausbildung als Wächter aufgenommen, natürlich mitsamt seiner Schwester, die in höchster Gefahr schwebte, entführt zu werden.