Schafwolle verarbeiten - Margit Röhm - E-Book

Schafwolle verarbeiten E-Book

Margit Röhm

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Beschreibung

Entdecken Sie die Handwerkskunst der Wollverarbeitung und spinnen Sie Ihr eigenes Garn oder filzen Sie Ihre eigenen Kunstwerke. Wenn Sie wollen, direkt vom frisch geschorenen Vlies ihrer Lieblingsschafrasse. Worauf ist bei der Vliesauswahl zu achten? Welche Schafrassen eigenen sich für welche Werkstücke? Wie muss ich die Rohwolle waschen, kardieren oder kämmen? Spinne ich lieber mit Handspindel oder Spinnrad? Was ist Artyarn? Worauf muss ich beim Handfilzen achten und was ist der Unterschied zum Trockenfilzen oder Nadelfilzen? Von 46 detaillierten Schafrasseporträts bis hin zum eigenen Werkstück finden Wollhanderwerkerinnen in diesem Buch alles benötigte Wissen und zahlreiche Beispielprojekte.

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Seitenzahl: 983

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INHALT

Einführung oder: „Gibt es jetzt kein Garn mehr zu kaufen?“

WOLLKUNDE

Feinbau von Schafhaut und -haar

Die Entwicklung des Haares

Vom Haar zum Vlies

Vom Strähnchen zum Stapel

Der Stapel

Chemische Eigenschaften der Wollfaser

Qualitäts- und wertbestimmende Eigenschaften des Vlieses

Beurteilung von Wollqualitäten

Die wichtigsten Eigenschaften der Einzelfasern und Fasern im Verbund

Der Wollwachsschweiß in der Rohwolle

Bekleidungsphysiologische Eigenschaften der Wolle

Einwirkung äußerer Faktoren auf Wachstum und Qualität der Wolle

Wollfehler

Krankheiten der Wolle

Wollschädlinge bekämpfen

Gewinnung der Wolle

Schafwolle: Abfall oder begehrenswerter Rohstoff?

Tierschutz in der Schafhaltung

SCHAFRASSEN

Geschichte der Schafrassen

Das Mufflon

Merinoschafe

• Merinolandschaf

• Merinofleischschaf

• Merinolangwollschaf

Steinschafe

• Alpines Steinschaf

• Krainer Steinschaf

Bergschafe

• Braunes Bergschaf

• Geschecktes Bergschaf

• Schwarzes Bergschaf

• Weißes Bergschaf

• Brillenschaf

Juraschaf, Elbschaf

Nordische Kurzschwanzschafe

• Ostpreußische Skudde

• Schnucken

– Graue gehörnte Heidschnucke

– Weiße gehörnte Heidschnucke

– Weiße hornlose Heidschnucke

• Gotländisches Pelzschaf

• Gehörntes Gotlandschaf, Guteschaf

• Norsk Spælsau

• Islandschaf

• Finnschaf, Finnisches Landschaf

• Romanovschaf

• Ouessantschaf

• Soayschaf

Sonstige Landschafrassen, Schlichtwoller

• Bentheimer Landschaf

• Coburger Fuchsschaf

• Jakobschaf

• Leineschaf

• Rauwolliges Pommersches Landschaf

• Rhönschaf

• Walliser Landschaf

• Walliser Schwarznasenschaf

• Ungarisches Zackelschaf

• Walachenschaf

• Deutsches Karakulschaf

• Waldschaf

• Drenthe Heideschaf

Fleischschafe

• Schwarzköpfiges Fleischschaf

• Texel

• Zwartbles-Schaf

• Charollais

Milchschafe

• Ostfriesisches Milchschaf

Englische Schafrassen

• Wensleydale

• Devon Longwool, Cornwall Longwool

• Bluefaced Leicester

• Herdwick

• Shropshire

ROHWOLLE VERARBEITEN

Woher und wie bekommt man Rohwolle?

Gedanken vor der Bearbeitung von Rohwolle

Die Vorbereitung der Wolle

Rohwolle waschen und trocknen

Wolle aufbereiten

Das Kämmen

Kardieren und Pickern

FILZEN

Filz und filzähnliche Textilien

Geschichte des Filzens

Entstehung von Filz

Der Filzprozess

Eigenschaften von Filz

Die Praxis der Filzherstellung

Handfilz: die Grundformen

Fehler und Mängel im Filz

Pflege von Filz

Trockenfilzen oder Nadelfilzen

Andere wollspezifische, filzähnliche Textilien

SPINNEN

Die Ursprünge des Spinnens

Grundlagen der Spinntechnik und Vorübungen

Handspindeln

Spinnradtypen und die Grundtechniken des Spinnens

Gezielt spinnen und zwirnen

Nach dem Spinnen

Effektgarne oder Artyarns

FÄRBEN

Geschichte

Methoden und Anforderungen

Färben mit synthetischen Farben

Färben mit Naturfarben

SERVICE

Zum Weiterlesen

Alles für Wollhandwerkerinnen

Die Autorinnen

Danksagung

EINFÜHRUNG ODER: „GIBT ES JETZT KEIN GARN MEHR ZU KAUFEN?“

Von Martina Fischer, 1. Vorsitzende der Handspinngilde e. V.

Handarbeiten begleiten mich schon mein ganzes Leben lang. In einer meiner frühesten Kindheitserinnerungen sitze ich bei meiner Oma am Schoß und „helfe“ ihr bei Nähen – damals noch an einer stromlosen Tretnähmaschine. Meine Oma lehrte mich auch Stricken, Häkeln und Sticken, noch bevor ich eingeschult wurde. Damals stand Handarbeiten als Fach noch selbstverständlich auf dem Stundenplan für Mädchen.

Woher das Garn kam, das wir da verstrickten? Darüber machte ich mir noch keine Gedanken. Obwohl man in Tirol, wo ich aufgewachsen bin, bei Wanderungen in den verschiedensten alpinen Gebieten auf Schafe stößt, die frei im Gelände unterwegs sind und scheinbar niemandem gehören und hinkönnen, wo sie wollen. Erst später, Anfang der Achtzigerjahre, begann ich, mich mit der Frage zu beschäftigen, wo Wolle eigentlich herkommt. Es war die Zeit der Aussteiger nach dem Motto: „Wir ziehen auf einen Bauernhof und züchten Schafe.“

Nein, ich zog nicht auf einen Bauernhof. Aber ich kaufte mir ein Spinnrad und begann, mein erstes eigenes Garn zu spinnen. Das Spinnrad habe ich immer noch. Aber inzwischen ist mein Wissen über Schafe und Wolle ungleich größer geworden.

MENSCH UND SCHAF – EINE LANGE BEZIEHUNG

Wie kam es dazu, dass das Schaf eines der wichtigsten Haustiere des Menschen wurde und auch heute noch ganze Gesellschaften und Industrien von seinen Produkten leben?

Unsere heutigen Schafrassen stammen vom wild lebenden Mufflon ab. Irgendwann vor 9 000 bis 10 000 Jahren entdeckten Menschen in Vorderasien, dass es einfacher war, die Tiere an den Menschen zu gewöhnen und in der Nähe der Behausungen zu halten, als ihnen mühsam auf der Jagd nachzustellen. Vermutlich zogen am Anfang die Menschen den wild lebenden Herden hinterher, bis sie auf die Idee kamen, die Tiere einzupferchen, um eine bessere Kontrolle über sie zu haben. Ursprünglich dienten Schafe mit großer Wahrscheinlichkeit als Fleisch- und Felllieferanten. Die Verwendung der Wolle begann erst später. Die Schafhaltung breitete sich über Jahrtausende hinweg von Vorderasien über ganz Europa aus. In der Alpenregion ist sie durch Funde seit etwa 6 000 Jahren nachgewiesen. Die Viehzucht und der Beginn des Ackerbaus wandelten die frühen Gesellschaften grundlegend um. Aus Jägern und Sammlern wurden nach und nach sesshafte Bauern und Hirten.

Aus verschiedenen Funden kann man ersehen, dass bis etwa zum Ende der Jungsteinzeit nur wenige Tiere gehalten wurden. Die Gesellschaften lebten teilweise noch von der Jagd, erst ab der Eisenzeit überwog dann die Viehhaltung. Als frühe Form der Haustierhaltung entwickelte sich die Wander-Weidehaltung. In der Mongolei wird das teilweise heute noch praktiziert. Die Familien ziehen mit all ihrem Hab und Gut den Herden hinterher.

Mit der Zeit wurde die Jagd durch Ackerbau und Viehzucht verdrängt und war nicht mehr so wichtig für die Versorgung mit Fleisch, Leder und Fellen.

Die ältesten Funde

Ab wann die Wolle der Schafe genutzt wurde, kann man nur vermuten. Wollfasern haben leider die Jahrtausende nur schlecht oder gar nicht überstanden. Sie wurden größtenteils vollständig zersetzt. Pflanzenfasern sind da robuster, sie überstehen den Zersetzungsprozess im Boden besser. Daher gibt es sehr viel mehr ältere interessante Funde von Pflanzentextilien. Die Archäologen sind sich sicher, dass Pflanzenfasern schon in der Steinzeit genutzt wurden, um Bekleidung herzustellen. Die Funde von Spinnwirteln belegen große handwerkliche Fähigkeiten unserer Vorfahren. In der Frühbronzezeit überwiegt noch das Leinen. Ab dem 16. Jahrhundert v. Chr. wurden aber vermehrt Wolltextilien verwendet.

Auch wenn man davon nichts gefunden hat: In sumerischen Schriften aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. werden Wolle und Milch schon als wichtige Erzeugnisse der Schafhaltung erwähnt. Zu den ältesten gefundenen Wolltextilien gehört ein Stück verkohltes Wollgewebe aus der Schweiz, datiert auf etwa 2 900 v. Chr. Ungefähr 4 000 Jahre alt ist ein wollenes Gewebe aus einem Baumsarg in Dänemark. In China wurde bei einer Ausgrabung ein Stück einer wollenen Hose eines Reiternomaden aus dem 10. bis 13. Jahrhundert v. Chr. gefunden.

Etwa 500 v. Chr. waren Schafzucht und Wollverarbeitung im antiken Griechenland und Rom bereits so verbreitet, dass auch Schriftsteller in ihren Werken darüber berichteten. Vergil und Varro schrieben über Schafzucht und erwähnten Schaffarmen mit bis zu 10 000 Tieren.

Veränderungen durch die Zucht

Die Domestizierung löste eine bis heute andauernde Veränderung der Schafe aus. Durch ökologische Anpassung, natürliche Selektion und Zucht entstanden im Lauf der Zeit zahlreiche verschiedene Schafrassen. Durch züchterische Auslese veränderte sich auch das Fell der Schafe. Das kürzere Fell der Haarschafe entwickelte sich zum dichten Vlies der Wollschafe. Auch der natürliche Fellwechsel wurde weggezüchtet. Man wollte die kostbare Wolle ja nicht von den Büschen sammeln, sondern geplant „ernten“. Eine Folge davon ist, dass heute fast alle Schafrassen geschoren werden müssen. Die Tiere wären allein in der Wildnis nicht mehr überlebensfähig. Bei vielen Rassen setzte sich im Lauf der Zeit die Farbe Weiß durch. Helle Wolle kann besser gefärbt werden.

Die Verarbeitung von Wolle ist ein traditionsreiches Handwerk.

Im Mittelalter florierte in Europa der Handel mit Schafwolle. Die wichtigsten Produzenten feiner Wolle waren Spanien und England. Diese war ein wichtiges Handelsgut für die Länder und begehrt bei den Tuchmanufakturen in Flandern und Italien. Gezielte Zucht veränderte auch den Feinheitsgrad der Wolle. Besonders begehrt war die feine Wolle der spanischen Merinoschafe. Spanien wollte seine Monopolstellung aber nicht so ohne Weiteres aufgeben, und so blieb die Ausfuhr von Merinoschafen bis zum 18. Jahrhundert bei Todesstrafe verboten. Erst als das Ausfuhrverbot fiel, traten die Merinos ihren Siegeszug um die ganze Welt an. In Deutschland ist das Merinolandschaf mit einem Anteil von etwa 30 Prozent heute die am meisten gehaltene Rasse.

Die Blütezeit der Schafzucht in Deutschland war das 19. Jahrhundert. Schafe wurden hauptsächlich der Wolle wegen gehalten. Es gab damals ungefähr 30 Millionen Tiere in Deutschland. Das Aufkommen der Dampfschifffahrt begünstigte jedoch den vermehrten Import feiner Schafwolle aus Übersee. Zudem brachte die Intensivierung der Landwirtschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen Verlust von Weideflächen mit sich. Damit war die einheimische Wolle bald nicht mehr konkurrenzfähig. Die zunehmende Verwendung von Baumwolle, das Aufkommen billiger chemischer Fasern und der Import günstiger Wolle – all das und der damit verbundene Preisverfall führte zu einem drastischen Rückgang der Schafhaltung.

Die größten Wollproduzenten weltweit sind heute Australien, Neuseeland und zunehmend auch China. Da die Haltungsbedingungen auf den großen Schaffarmen in Australien vermehrt unter Kritik gerieten, sind deutsche Wollhändler teilweise auf mulesingfreie Wolle aus Südamerika umgestiegen. Als Mulesing wird das Entfernen der Haut rund um den Schwanz von Schafen bezeichnet. Es ist ein in Australien gebräuchliches Verfahren, um einen Befall mit Fliegenmaden zu verhindern, der für die Tiere tödlich enden kann. Leider wird das Mulesing zu einem großen Teil ohne Betäubung durchgeführt.

SCHAFE: WOLLLIEFERANTEN UND LANDSCHAFTSPFLEGER

Schafe sind die weltweit am häufigsten genutzten Haus- und Wirtschaftstiere. Es gibt sie in nahezu allen Klimazonen – nur zu feucht und heiß bekommt ihnen nicht. Vom Schaf kann alles verwendet werden. Lebend spendet es Milch als Nahrung und Wolle für Bekleidung. Nach dem Schlachten erhält man Fleisch, Leder und Felle. Sogar Knochen und Sehnen konnten früher verwendet werden, absolut nichts wurde verschwendet.

In Europa werden Schafe heute hauptsächlich zur Fleischerzeugung gehalten. Großbritannien bildet da eine Ausnahme. Dort ist die Wertschätzung für die Wolle nie ganz verloren gegangen. In Großbritannien leben etwa 35 Millionen Schafe. Zum Vergleich: in Australien sind es ca. 125 Millionen, in Deutschland nur noch etwa 1,2 Millionen. Weltweit gibt es etwa 1 Milliarde Schafe. Sie produzieren ungefähr 2,2 Millionen Tonnen Wolle jährlich.

Natürliche Lebensbedingungen

Schafe sind die letzten Nutztiere, die unter annähernd natürlichen Bedingungen leben dürfen. Im Lauf der Jahrtausende haben sich verschiedene Haltungsformen herausgebildet. Neben vielen Mischformen sind es hauptsächlich die Wanderschäferei, die Koppelhaltung und die Weidehaltung.

Die Wanderschäferei hat ihren Ursprung im 14./15. Jahrhundert. Die wachsende Wollindustrie benötigte mehr Rohstoff, die Schafherden wurden größer. Hirten zogen mit ihnen umher, um Flächen abzuweiden, die als Ackerland ungeeignet waren. Dabei entstand ein ausgedehntes Triebnetz, das noch jahrhundertelang benutzt wurde. Bei der Wanderschäferei zieht der Schäfer mit seiner Herde und seinen Hunden umher. Abends werden die Schafe eingepfercht, um so die Nacht zu verbringen.

Ich kann mich noch gut an die Herden erinnern, die später, als ich auf die Schwäbische Alb gezogen war, zweimal jährlich vorbeikamen, auf ihrem Weg von den Winterweiden im Rheintal zu den Sommerweiden im Alpenvorland und zurück. Solche langen Wanderwege sind heute eher selten.

Auf der Transhumanz überqueren die Schafe einen Gletscher und eine Staatsgrenze.

Es wird für die Wanderschäfer immer schwieriger, geeignete Wege und Wiesen zum Grasen für ihre Herden zu finden. Wachsende Siedlungen und Industriegebiete, ein dichtes Netz an Straßen und immer mehr Ackerflächen, die mit Energiepflanzen für Biogasanlagen bepflanzt sind, haben die Bedingungen in den letzten Jahren stark verschlechtert. Viele Wanderschäfer bleiben heute im weiteren Umkreis (ca. 50 km) ihrer Heimatbetriebe. Teilweise verbringen die Tiere den Winter auch in Ställen. Zumindest die trächtigen Tiere werden zum Lammen in Ställen untergebracht.

Eine besondere Form der Schafwanderung ist die Transhumanz. Bei ihr gibt es Sommer- und Winterweiden. Die Herden weiden zum Beispiel im Winter nahe der Mittelmeerküste. Im Frühling ziehen sie Richtung Alpen. In Süddeutschland wandern Schäfer mit ihren Herden vom klimatisch milden Rheintal über die Alb hinunter ins Donautal. Am bekanntesten ist die Transhumanz zwischen dem Südtiroler Schnalstal und dem Nordtiroler Ötztal. Das Wort Transhumanz bedeutet „auf die Gebirgsweide führen“ und geht auf das französische Wort „transhumer“ (Wandern mit Herden) zurück. Die Transhumanz zwischen Nord- und Südtirol wird seit Jahrhunderten durchgeführt und ist Teil des immateriellen Kulturerbes. Als einziger Schaftrieb der Welt führt er über einen Gletscher und eine Staatsgrenze. Den Sommer verbringen die Schafe auf den Hochweiden im hinteren Ötztal, bevor es im Herbst wieder zurückgeht nach Südtirol.

Eine andere Form der Schafhaltung, die vor allem von den zahlreichen Hobbyschäfern und Nebenerwerbslandwirten praktiziert wird, ist die Koppelhaltung. Die Schafe grasen auf eingezäunten Weiden, die regelmäßig gewechselt werden. Der Schäfer kontrolliert die Tiere ein- bis zweimal täglich.

Besonders in den Alpen ist die Weidehaltung gebräuchlich. Die Tiere leben den ganzen Sommer auf den hochgelegenen Almen und können sich dort in einem relativ großen Gebiet frei bewegen. Hirten kontrollieren die freilebenden Tiere regelmäßig.

Schafhaltung als Beruf

In Deutschland gibt es nicht einmal mehr tausend Berufsschäfer, und ihre Zahl geht weiterhin stetig zurück. Mit der Wolle lässt sich kein ausreichendes Einkommen erzielen. Auch der Fleischabsatz ist schwierig. Leider findet man in den Supermärkten oft nur tiefgefrorenes Lamm aus Neuseeland und nicht das regionale Fleisch.

Eine immer wichtigere Einnahmequelle für Schäfer ist allerdings die Landschaftspflege. Schafe weiden hauptsächlich auf Flächen, die für den Ackerbau nicht geeignet sind. Sie sind wesentlich leichter als zum Beispiel Rinder und belasten darum den Boden nicht so stark. Der Tourismus auf der Schwäbischen Alb zum Beispiel lebt von so besonderen Landschaften wie der Wacholderheide. Diese Kulturlandschaft ist nur durch die regelmäßige Beweidung durch Schafherden entstanden. Die Beweidung verhindert die Verbuschung und damit den Verlust dieser einzigartigen Biotope. Die Wacholderheide ist eine heideartige Biotopform, in der die Wacholderstauden das Landschaftsbild prägen. Niedrige Pflanzen bekommen Licht zum Wachsen, Insekten und allerlei Kleingetier wird durch die Schafe nicht gestört. So erhöht sich ganz allgemein die Biodiversität. Diese wichtige Landschaftspflegearbeit, die zur Erhaltung ganz spezieller Ökosysteme beiträgt, sollte meiner Meinung nach besser honoriert werden, sowohl finanziell als auch durch mehr gesellschaftliche Anerkennung.

SCHAFRASSEN – VOM AUSSTERBEN BEDROHT

Weltweit gibt es rund sechshundert Schafrassen. Nur wenige werden intensiv wirtschaftlich genutzt; viele sind gefährdet, weil ihr Bestand zu klein ist. Eine Rasse gilt als gefährdet, wenn es davon weniger als 1 500 Tiere gibt. In mehreren Ländern haben sich Initiativen gebildet, die gezielt solche Rassen züchten. Das ergibt auch deshalb Sinn, weil die regionalen Schafrassen bestens an die jeweiligen Verhältnisse angepasst sind. Moderne Rassen haben zwar einen höheren Milch-, Woll- oder Fleischertrag, sie sind dafür aber auch anfälliger für Krankheiten. Der Nachteil: Viele der alten Schafrassen sind nicht weiß, sondern braun, fast schwarz oder scheckig. Die Industrie kann mit diesen „bunten“ Wollen nicht viel anfangen. Sie lassen sich nicht einheitlich färben, die Wollqualitäten sind zu unterschiedlich und auch nicht fein genug.

In Deutschland hat sich die GEH – die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen – das Ziel gesetzt, dass keine weitere Haustierrasse mehr aussterben darf. Die Vielfalt soll erhalten bleiben.

Für jede Wolle gibt es einen idealen Verwendungszweck. Manche sind für weiche Schals und Babykleidung, andere besser für robuste Teppiche geeignet. Die einen Wollen filzen, andere nicht, und deshalb können zum Beispiel Socken aus solch einer Wolle in der Waschmaschine gewaschen werden.

Wichtig ist, für jede Wolle den richtigen Verwendungszweck zu finden.

Zum Glück gibt es immer mehr Projekte, in denen regionale Wolle verarbeitet wird. Einige Beispiele sind die „Kollektion der Vielfalt“ mit Produkten aus Wolle vom Aussterben bedrohter Schafrassen, das „Goldene Vlies“ mit seinen Produkten aus Coburger Fuchs, die Albmerinowolle von Schoppel aus einer Wanderschäferei auf der Schwäbischen Alb oder die Schafpatenwolle von Opal, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Sie alle tragen dazu bei, den Wert und die Schönheit der einheimischen Wolle besser zu schätzen und das Bewusstsein der Kunden für nachhaltige regionale Produkte zu wecken.

Schönheiten wie diese Weiße gehörnte Heidschnucke gehören zu den gefährdeten Haustierrassen.

WOLLE – WUNDERFASER UND WERTVOLLES NATURPRODUKT

Trotzdem müssen wir feststellen, dass die Wolle in Deutschland heute nur mehr ein Nebenprodukt ist. Oft wird sie als lästig empfunden, weil man sich um die Schur kümmern muss und dann nicht weiß, wohin mit den Wollbergen. Dabei ist Wolle ein wertvolles Naturprodukt. Sie ist ein nachwachsender Rohstoff, für den keine extra Ackerbauflächen benötigt werden.

In ihrem Buch Wolle vom Schaf schreiben Martin Novak und Gislinde Forkel: „Würde eines Tages berichtet, dass eine Textilfaser entdeckt worden sei, die unter freiem Himmel oder in einfachen Gebäuden mit geringem Energieverbrauch und ohne gefährliche Abfallprodukte erzeugt werden kann, dazu noch in verschiedenen Feinheiten und Längen, unser Interesse wäre geweckt. Würde weiters bekannt, die Faser sei leicht zu veredeln, zu färben und mit anderen Fasern zu mischen, sei giftfrei und hautfreundlich, elastisch, lärmdämpfend, wärme- und feuchtigkeitsausgleichend, schmutz- und wasserabstoßend, schwer entflammbar, leicht zu reinigen und fast knitterfrei, wiederverwendbar und hundertprozentig biologisch abbaubar, welchen Namen würden wir dieser Faser geben? Wahrscheinlich würde man von einer Wunderfaser sprechen.“

Wolle ist tatsächlich eine Wunderfaser. Wer sich einmal angewöhnt hat, Wollenes zu tragen, wird dies das ganze Jahr über tun.

•Wolle wirkt temperaturausgleichend. Es muss im Sommer natürlich kein dicker Wollpulli sein. Aber ein dünnes Wollshirt ist auch bei höheren Temperaturen angenehm zu tragen.

•Wolle ist feuchtigkeitsausgleichend und geruchshemmend. Wollfasern können bis zu 30 Prozent ihres Gewichtes an Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen. Durch die Aufnahme von Feuchtigkeit reduziert Wolle die Menge an Schweiß am Körper. Dadurch entsteht auch weniger unangenehmer Schweißgeruch. Das haben inzwischen auch die Hersteller von Sporttextilien erkannt. Von allen bekannten Marken gibt es inzwischen Sportshirts aus Wolle.

•Wolle ist schmutzabweisend. Ein Restgehalt an Wollfett macht Wolle unempfindlich gegen äußere Einflüsse. Wolltextilien müssen nicht so oft gewaschen werden. Das spart Waschmittel, Energie und Wasser. Wollkleidung kann aufgefrischt werden, indem man sie einfach an die Luft hängt, an einem nebligen Tag draußen oder in der dampfigen Luft des Badezimmers.

•Wolle wirkt lärmdämpfend und wärmeregulierend. Dies wird durch den Einschluss von Luft zwischen den Wollfasern bewirkt.

•Wolle ist schwer entflammbar, auch ohne chemische Ausrüstung. Selbst bei Temperaturen über 570 °C schmilzt Wolle nicht auf der Haut. Das ist der Grund, warum Feuerwehrleute und Formel-1-Piloten weltweit Unterwäsche aus Wolle tragen.

•Wolle ist antistatisch. Den Unterschied zwischen synthetischen Fasern, die sich beim Tragen auf- und beim Ausziehen entladen, und einem Pullover aus reiner Wolle haben sicher die meisten schon bemerkt.

•Wolle ist knitterfrei. Die Kräuselung der Wollfasern bewirkt, dass sie nach dem Tragen, spätestens beim Waschen wieder in ihren Ausgangszustand zurück wollen. Im Gegensatz zu Textilien aus Baumwolle und Leinen müssen Wollstoffe deshalb seltener gebügelt werden.

•Wolle hat einen natürlichen UV-Schutz bis zum Faktor 30+.

•Wolle ist biologisch abbaubar. Sie wird auf natürliche Weise an Land und im Wasser abgebaut. Versuche in Neuseeland haben ergeben, dass Wollfasern nach 90 Tagen im Salzwasser schon zu 20 Prozent abgebaut waren. Und, besonders wichtig, Wolle trägt nicht zur Umweltverschmutzung durch die Abgabe von Mikroplastikpartikeln bei, wie die meisten sogenannten Funktionsstoffe und synthetischen Textilien.

•Wolle wirkt heilend. Rohwolle kann dank des enthaltenen Lanolins positiv bei Rheuma, Gelenk- und Nervenentzündungen, Verstauchungen, Zerrungen, Muskel- und Nervenschmerzen, Bronchitis und Halsweh wirken. Vielen ist auch die Verwendung von Heilwolle zur Linderung des wunden Pos von Babys bekannt. All diese wunderbaren Eigenschaften machen Wolle zu einem idealen Rohstoff für viele Anwendungsgebiete. Am bekanntesten ist die Verwendung für Textilien. Aber auch technische Bereiche schätzen die antistatische Wirkung und die schwere Entflammbarkeit. Wolle wird von der Bauindustrie zur Dämmung verwendet, und neuerdings kann man seinen Garten mit Wollpellets düngen.

Die Feinheit der Wollfasern beeinflusst stark den Verwendungszweck. Die Feinheit wird in Micron angegeben. Das ist der Faserdurchmesser in Tausendstelmillimeter. Besonders feine Merinowolle hat zum Beispiel 16 Micron, grobe Teppichwolle auch mal mehr als 40 Micron.

WOLLVERARBEITUNG: VOM HANDWERK ZUM HOBBY

Es gibt also viele Gründe, Wolle zu tragen. Aber muss man sich deswegen so viel Arbeit machen? Ohne Zweifel ist die Verarbeitung der Fasern von der Schur bis zum fertigen Kleidungsstück eine sehr aufwendige Angelegenheit. Auf die einzelnen Schritte der Verarbeitung wird in den weiteren Kapiteln dieses Buches im Detail eingegangen. Wolle kann gefilzt oder gesponnen und das Garn anschließend verwoben oder verstrickt werden. Filzen ist wahrscheinlich die älteste Form der Wollverarbeitung. Schon die Griechen und Römer der Antike beherrschten die Kunst des Filzens. Durch Ausgrabungen belegt ist ebenso, dass die Kelten, wie auch Griechen und Römer, Lodenstoffe verwendeten. Loden ist gewobenes und dann gewalktes Tuch. Durch das Walken verfilzen die Wollfasern, und das Tuch wird dichter und wasserundurchlässiger. Die Kunst der Textilverarbeitung war also auch vor 2 000 bis 3 000 Jahren schon sehr weit fortgeschritten. In Keltengräbern fand man zum Beispiel Textilien, die aus so dünnen Fäden hergestellt wurden, dass man selbst mit modernen Mitteln bei der Rekonstruktion an Grenzen stößt. Diese Textilien müssen zu ihrer Zeit von unschätzbarem Wert gewesen sein. So berichtet Rosemarie Stadler in ihrem Buch Die Tracht der frühkeltischen Frau, dass sie bei der Rekonstruktion eines Frauengewandes allein 400 Stunden zum Spinnen des Garns gebraucht hat – mit dem Spinnrad, nicht wie die Kelten mit der Handspindel.

Problematische Entwicklungen und neue Chancen

Jahrtausende lang stellten die Menschen die Produkte, die sie für das tägliche Leben brauchten, selber her. Allmählich fand aber eine Spezialisierung statt. Der steigende Wohlstand der städtischen Bürger und die Führungsstellung des Adels machten es ihnen möglich, handwerkliche Arbeiten in Auftrag zu geben. Nur die bäuerlichen Haushalte waren bis Ende des 19. Jahrhunderts Selbstversorger auf fast allen Gebieten des täglichen Bedarfs, oft allerdings mehr der Not gehorchend.

Bereits die Kelten spannen sehr feines Garn mit Hilfe von Handspindeln.

Durch die industrielle Revolution verloren das handwerkliche Spinnen und Weben an Bedeutung. Die Industrie konnte Textilien billiger und schneller herstellen. Dadurch litt aber auch die Qualität. Wohin das im Endeffekt führt, kann man heute gut am Phänomen der problematischen Fast Fashion sehen. Die Mode muss so schnell wie möglich vom Laufsteg in die Regale der großen Textil-Discounter und zu den Kundinnen. Ein T-Shirt für 2 Euro erfährt aber auch keine Wertschätzung und wird gedankenlos durch ein genauso billiges ersetzt.

Aus Kostengründen wurden die einzelnen Produktionsschritte großteils ins Ausland verlagert und sind somit nicht mehr sichtbar. Dazwischen legen die Kleidungsstücke unglaubliche Strecken zurück. Die Produktion oder der Anbau der Faser passiert in einem Land, gefärbt wird woanders. Wieder in einem anderen Land wird gesponnen, gewoben und genäht. Die traditionell am Rande der Schwäbischen Alb beheimateten Textilverarbeitungsbetriebe konnten bei diesem internationalen Wettrennen um den niedrigsten Preis nicht mithalten und sind leider zum großen Teil verschwunden.

Zum Glück ändert sich in diesem Bereich aber gerade sehr viel. Immer mehr Menschen legen beim Kauf von Textilien inzwischen wieder Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität. Hier liegen große Chancen für die regionale Textilwirtschaft. Das Land Baden-Württemberg fördert beispielsweise ein Reallabor der Universität Ulm und der Hochschule Reutlingen zur nachhaltigen Transformation der Textilwirtschaft in der schwäbischen Stadt Dietenheim. Zudem gibt es eine immer größer werdende Zahl von Menschen, die viel Zeit in die Verarbeitung und die Herstellung von hochwertigen Kleidungsstücken investieren.

Eine Zeitlang war Stricken aus der Mode. Es war eine Domäne der Socken strickenden Omas. Kratzige Socken wollte aber eigentlich niemand mehr anziehen. Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre – mit dem Beginn der Ökobewegung – fand dann ein Umdenken statt. Viele jüngere Frauen begannen wieder zu stricken. Demonstrativ und überall – in der Vorlesung, im Gemeinderat, in der Öffentlichkeit. Die Strickstücke, meist schlabbrige Pullis in Naturfarben aus oft kratziger Wolle, waren außerhalb der eingeschworenen Gemeinschaft aber nicht sehr begehrt.

Das Image des Strickens, ganz allgemein des Handarbeitens hat sich in den letzten Jahren aber sehr verändert. Seit DIY (Do it yourself) in vielen Bereichen ein Trend ist, wird damit beinahe jede alte Handarbeitstechnik aufgepeppt und mit neuem Namen unters Volk gebracht. In den meisten Schulen steht Handarbeit leider nicht mehr auf dem Lehrplan. Dafür findet man im Internet jede Menge Anleitungen. Filmstars und Sportlerinnen stricken, und ihre Fans eifern ihnen nach. Es gibt wieder mehr Wollläden, und nach einer Phase der Synthetikgarne kann man inzwischen aus einer großen Palette von Garnen aus Naturmaterialien auswählen.

Spinnt ihr?

Und doch gibt es eine stetig wachsende Zahl von Menschen, hauptsächlich Frauen, die schon beim Garn über Farbe, Zusammensetzung und Gestaltung bestimmen wollen und selber spinnen.

„Mama, gibt es jetzt gar kein Garn mehr zu kaufen?“, war die Frage meines fassungslosen Sohnes, als er mir dabei zusah, wie ich das Spinnen mit der Handspindel übte. Wohlweislich über einem dicken Teppich, denn die Spindel stürzte am Anfang ziemlich oft ab. Natürlich gab es genug Garn zu kaufen. Ich wollte aber unbedingt mein eigenes herstellen.

Warum tut man sich das an und macht sich die ganze Arbeit?

Viele haben eigene Schafe und möchten die Wolle ihrer Tiere selber verarbeiten. Es ist ja schon etwas Besonders, wenn man sagen kann: „Dieser Pulli ist aus der Wolle von Paula, und das ist ein Foto von ihr.“ Bei anderen steht mehr der Gedanke im Vordergrund, mit den eigenen Händen etwas zu schaffen.

Und für viele ist Spinnen einfach ein schönes Hobby. Ich finde, es wirkt sehr beruhigend. Nach einem stressigen Arbeitstag helfen schon zehn Minuten am Spinnrad, um die Hektik des Tages abzustreifen. Ich finde es auch sehr befriedigend, jeden Arbeitsschritt vom Schaf zum Kleidungsstück zu kennen und selber ausführen zu können. Oft wird gefragt: „Wie lang spinnt man für einen Pulli?“ Oder: „Verkaufst du auch selbst gesponnenes Garn?“ Die erste Frage ist schwer zu beantworten. In ihrem Buch Von Schafen, Hirten und warmer Wolle schreibt Waltraud Holzner, dass man für das Verspinnen der Wolle eines einzigen Bergschafes (ca. 1,5 kg) 130 Stunden braucht. Da gibt es aber keine Aussage, wie dick oder dünn das Garn ist oder wie es verzwirnt ist. Die Dauer des Spinnens hängt von zahlreichen Faktoren ab und kann sehr unterschiedlich sein. Die Spanne reicht von einer halben Stunde für ein dickes Teppichgarn bis zu 8 Stunden für das Garn für ein Paar Socken und noch viel mehr Zeit für ein dünnes Lacegarn.

Vom Schaf zum Kleidungsstück: die Wollverarbeitung ist ein sehr befriedigendes und nachhaltiges Hobby.

Die zweite Frage ist einfach beantwortet. Nein, ich verkaufe mein selbst gesponnenes Garn nur in Ausnahmefällen und dann völlig unter Wert, weil den tatsächlichen Zeitaufwand niemand bezahlen würde. Zumindest habe ich noch niemanden gefunden. Lieber fertige ich daraus Dinge für mich und meine Familie.

Von der Spinnstube …

In den bäuerlichen Lebensgemeinschaften war das Spinnen von Flachs und Wolle eine Beschäftigung für die langen Winterabende. Im Sommer gab es auf den Feldern und mit dem Vieh genug zu tun. Im Winter hatte man Zeit zur Herstellung von allerlei benötigten Gegenständen. Die Männer reparierten Werkzeuge, drechselten und schnitzten. Die Frauen widmeten sich der Herstellung von Textilien für alle Angehörigen des Hausstandes fürs ganze Jahr.

Um nicht alleine zu Hause zu sitzen und vor allem auch, um Licht und Heizung besser auszunutzen, traf man sich reihum in den Bauernhäusern und arbeitete gemeinsam.

Spinnstuben gab es schon im Mittelalter, als noch mit Rocken und Handspindel gesponnen wurde. Üblicherweise begann man mit den Treffen um Martini (11. November). Je nach Region wurden die Spinnabende bis Lichtmess (2. Februar) oder Maria Verkündigung (25. März) abgehalten. Hauptteilnehmerinnen waren die noch nicht verheirateten Mädchen.

Man kann sich gut vorstellen, dass die Spinnstuben auch gesellige Treffpunkte waren. Die Abende endeten oft mit Musik und Tanz. In einer Zeit, in der man sonst keine Nachrichtenquellen hatte, waren sie wichtige soziale Treffpunkte, Nachrichtenbörsen und Heiratsmärkte. Die Teilnahme von jungen Männern an Treffen wurde von der Obrigkeit argwöhnisch beobachtet. In katholischen Ländern klagte man zwar auch über Spinnstuben als Stätten des Lasters. Es gab aber kaum Verbote. In den reformierten Ländern wurde dagegen Männern zeitweise der Zutritt zu den Spinnstuben komplett untersagt.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als das Handspinnen von Maschinen abgelöst worden war, wurde das Spinnen durch andere Arbeiten wie Häkeln, Stricken oder Nähen ersetzt.

Gemeinsam ist spinnen noch schöner: Spinnräder eines Spinntreffs.

… zum Spinntreffen

Auch heute noch ist Spinnen eine gesellige Angelegenheit. Es macht einfach Spaß, gemeinsam zu spinnen. Beim Surren der Rädchen kann man sich wunderbar unterhalten. Viele Spinngruppen gibt es schon sehr lange. Schön ist, dass vermehrt auch junge Frauen – und ein paar wenige Männer – mit dem Spinnen anfangen. Die Spinngruppen tragen dazu bei, dass das Wissen über die Jahrtausende alte Technik nicht verloren geht. Nicht zuletzt sind die Spinnerinnen ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Man kann moderne Spinnräder in den unterschiedlichsten Preisklassen kaufen, dazu wunderschöne Spindeln und überhaupt allerlei Zubehör und Geräte zur Wollverarbeitung. Damit Frau nicht nur naturfarbene Schafwolle verarbeiten muss, gibt es ein unglaubliches Angebot an bunten Kammzügen und Mischungen mit anderen Fasern.

Allein auf der Homepage der Handspinngilde sind 79 Spinngruppen quer durch Deutschland aufgelistet. In sehr vielen Bauernhofmuseen gibt es Gruppen, die sich dort regelmäßig zum Spinnen treffen.

Außerdem hat die Spinnerei schon längst das Internet und die sozialen Medien erobert. In Gruppen in Ravelry (www.ravelry.com) und auf Facebook kann man mit Teilnehmerinnen aus dem In- und Ausland über die verschiedensten textilen Themen diskutieren und eigene Werke zeigen. Auf YouTube gibt es zahlreiche Lehrvideos.

Die Handspinngilde

Eine gute Gelegenheit, Mitspinnerinnen zu finden und seine Kenntnisse zu erweitern bietet die Handspinngilde. Ziel dieses bundesweiten Vereins mit inzwischen über tausend Mitgliedern, auch aus dem benachbarten Ausland, ist die Förderung des Handspinnens als zentrale Kulturtechnik der Menschheit. Um dieses Ziel zu erreichen, werden zum Beispiel Kurse und Workshops angeboten. Ein wichtiger Teil des Vereinslebens sind das jährlich stattfindende große Spinntreffen und die zweimal jährlich erscheinende Vereinszeitung. Außerdem präsentiert sich die Handspinngilde auf zahlreichen Veranstaltungen im ganzen Land und bringt so diese alte Kulturtechnik ins Bewusstsein der Besucher zurück.

Die Handspinngilde setzt sich dafür ein, dass das Spinnen als immaterielles Kulturerbe von der UNESCO anerkannt wird. Leider wurde dieser Antrag aber schon einmal abgelehnt.

Spinnen war nie als eigenes Handwerk anerkannt und auch nie ein Ausbildungsberuf. Deshalb ist es auch kein eigenständiger Teil der seit 2011 existierenden Ausbildung zum Textilgestalter im Handwerk. Diese Ausbildung vereinigt in sich die alten Berufe des Stickers, Strickers und Handwebers. Dazu kommt noch Klöppeln, Posamentieren und Filzen. Handspinnen ist dabei nur ein kleiner Unterpunkt und beim Weben untergebracht. Spinnen mit Spinnrad oder Handspindel wurde immer schon quer durch alle gesellschaftlichen Schichten ausgeübt. Daher stammt auch der Spruch:

„Spinnen am Abend erquickend und labend. Spinnen am Morgen bringt Kummer und Sorgen.“

Dieser Spruch hat nichts mit den achtbeinigen Krabbeltieren zu tun. Er bedeutet, dass es jedem gut geht, der am Abend als Ausgleich und Freizeitbeschäftigung spinnen kann. Diejenigen, die schon morgens spinnen müssen, um ein kärgliches Einkommen zu haben, sind dagegen zu bedauern. Ich bin sehr froh, dass wir modernen Spinnerinnen zur ersten Sorte gehören. Für mich ist Spinnen ein wunderschönes Hobby, das ich hoffentlich noch lange ausüben kann.

Herzlich, Ihre

Martina Fischer

WOLLKUNDE

In diesem Kapitel geht es um den Aufbau, das Wachstum und den Charakter der Wolle. Daraus leiten sich die vielfältigen Eigenschaften der Wolle ab.

FEINBAU VON SCHAFHAUT UND -HAAR

Die Schafhaut ist die Grundlage, aus der, je nach Rasse, die schönsten Wollfasern in großer Vielfalt wachsen. Dieses Kapitel nimmt Sie mit auf eine wollige Entdeckungsreise, die Sie zu den elementaren Grundlagen und der Entstehung der Wolle in der Haut führen wird.

Das Erste was bei einem Schaf auffällt, ist sein Fell. Bei der Wollverarbeitung ist der Fachbegriff dafür „das Vlies“. Es gibt unter anderem Auskunft darüber, welche Rasse und Vliesart wir vor uns haben.

DIE HAUT: DECKE DES KÖRPERS

Das Vlies steht für Wollverarbeiterinnen im Vordergrund. Umgangssprachlich als „Haut“ bezeichnet, hat die Körperdecke verschiedene Aufgaben. Sie schützt den Körper vor Einflüssen aus der Umwelt, grenzt ihn zu dieser ab. Auch die Wahrnehmung der Umwelt und die chemische Kommunikation mit Artgenossen erfolgt über die Körperdecke. Aus der Haut entwickeln sich außer den Haararten auch alle Hautanhangsgebilde (Hautadnexen) wie Hörner, Klauen und die Euter mit Milchdrüsen. Beim Schaf ist die Haut nur durchschnittlich 2 bis 3 mm dick.

DIE AUFGABEN DER KÖRPERDECKE

Die Körperdecke hat viele wichtige Aufgaben:

››Schutz: Die Körperdecke schützt den Körper vor Flüssigkeitsverlust sowie dem Eindringen von Mikroorganismen wie Bakterien, Pilzen, Viren und Parasiten. Außerdem dient sie der Temperaturregulation.

››Wahrnehmung: Dafür verfügt die Haut über ein ausgedehntes Hautnervensystem, das Berührungen und Temperaturen wahrnimmt und diese Informationen weiterleitet.

››Kommunikation über Duftstoffe: Die Haut enthält zahlreiche Drüsen, die Duftstoffe absondern können. Sie ermöglichen es dem Schaf Markierungen zum Beispiel an Sträuchern zu setzen oder durch den spezifischen Eigengeruch von Artgenossen erkannt zu werden.

Aufbau der Haut mit verschiedenen Haaranlagen (nach Gorter)

››Speicherung und Ausscheidung: Fett, Wasser und Salze können in der Unterhaut gespeichert werden. Zur Ausscheidung finden sich in der Körperdecke zahlreiche Drüsen. Dazu gehören Talg- und Schweißdrüsen, aber auch spezialisierte Drüsen wie die Milchdrüse.

Die Hautschichten

Von innen nach außen findet man folgende Hautschichten:

››Unterhaut (Subcutis): Ein lockeres Bindegewebe, das den Übergang zwischen Haut und Körper bildet. Der lockere Aufbau macht die Haut an manchen Körperstellen verschiebbar.

››Lederhaut (Dermis): Aus dieser Hautschicht wird das Leder hergestellt. In ihr befinden sich die Blutgefäße und die Haarfollikel mit ihren Schweiß- und Talgdrüsen sowie, je nach Follikelart, einem Haarbalgmuskel. Aufgrund ihres netzartigen Aufbaus weist die Lederhaut eine hohe Zugfestigkeit auf.

››Oberhaut (Epidermis): Die abschließende dichte Hautschicht der Oberhaut bildet eine dünne Hornschicht die von Keratinozyten gebildet wird. In der Epidermis finden sich noch andere Zelltypen:

•Melanozyten zur Pigmentbildung in Haut

•Langerhans-Zellen und Lymphozyten zur Abwehr von Krankheitserregern

•Merkel-Zellen, die die Wahrnehmung von Druck ermöglichen.

„Viele Haare – dünne Haut“

Eine Haut mit dichter, langer Behaarung (Ratte, Katze, Schaf) ist dünner als eine spärlich oder dünn behaarte Haut (Schwein, Mensch, Pferd).

Ein Flechtwerk aus elastischen Fasern, den Hautbrücken, bietet den Haararten in der Vliesstruktur in der dünnen Oberhaut eine stabile, aber elastische Verankerung. Die Anordnung der Hautbrücken auf dem Körper bildet die Spaltlinien (siehe Foto unten). Sie sind die Bewegungsfalten am Schaf, die wir manchmal in der Struktur der Vliese oder auch bei Lämmern einiger Rassen erkennen können.

Das Gefäßsystem der Haut

In der Haut finden sich zwei Blutgefäßnetze und ein ausgedehntes Lymphgefäßsystem. Die Oberhaut wird über feinste Kapillaren, die im oberen Bereich der Lederhaut liegen, versorgt. Darunter, am Übergang von Leder- zu Unterhaut, findet sich ein Blutgefäßnetz, das für die Druck- und Wärmeregulierung zuständig ist.

Coburger Fuchsschaf mit sichtbaren Spaltlinien/Hautbrücken auf der Haut

DIE ENTWICKLUNG DES HAARES

Von der Haut geht es nun weiter mit einer wirklich haarigen Sache, nämlich mit dem Feinbau des Haares. Durch eine feine Haarspalterei können wir sogar ins Innere der Wollfasern blicken. Um das begehrte Hautanhangsgebilde, nämlich die wunderbare Wolle der Schafe, geht es im folgenden Kapitel. Haare sind zugfeste, elastische, dünne Fäden aus Horn, die sich aus den Follikeln in der Lederhaut entwickeln. In der Wollfaser sind Prinzipien einer biologischen Verbundfaser verwirklicht.

Die Aufgabe der Haare ist es, den Organismus vor Verletzungen, Auskühlung oder Überhitzung zu schützen oder Reize aus der Umwelt wahrzunehmen. Je nach Tierart gibt es unterschiedliche Haararten: Tasthaare dienen beispielsweise der Orientierung, Deckhaare (D) sind feste Haare, die die charakteristische Farbe des Tieres festlegen und es vor Witterungseinflüssen schützen. Die Wollfaser (W), die vor allem im Winter sehr dicht wird, ist die Haarart, die das Schaf durch seine spezielle Struktur warmhält.

Bei Wildschafen, den wilden Vorfahren der domestizierten Schafe, werden durch den periodischen Haarwechsel bestimmte Haararten erneuert. Über die Jahrtausende hat sich das durch die Domestikation und gezielte Zuchtauswahl zum überwiegenden Teil geändert. Die Wollfasern sind die dünnsten und feinsten Haare. Sie erreichen je nach Tierart die höchste Dichte von bis zu 20 000 Haaren pro Quadratzentimeter.

Was ist eine Wollfaser?

Im biologischen Sinn ist „Wolle“ auch als „Haar“ zu bezeichnen. Die Wollfaser des Schafes ist eine spezielle Haarart, das „Wollhaar“. Beim Schaf werden in der Umgangssprache aber oft nur glatte, wenig gewellte und gröbere Haararten als „Haare“ bezeichnet. Um die einzelnen Haararten sprachlich genauer zu bezeichnen, werden die echten, feinen Wollhaare des Schafes als „Wollfaser“ bezeichnet.

DIE FOLLIKEL: HAARE ENTSTEHEN

Während der vorgeburtlichen Entwicklung kommt es an einigen Stellen zu vermehrtem Wachstum der Oberhautzellen. Das führt zur Ausbildung eines schmalen Trichters. Die gesamte trichterförmige Einbuchtung, die bis tief in die Lederhaut reicht und in der das Haar gebildet wird, heißt Haarfollikel. Innerhalb des Haarfollikels finden sich verschiedene Keimschichten und die Haarpapille, die für eine Reihe von haarbildenden und -abbauenden Prozessen verantwortlich sind. Außerdem verankern die Follikel die Haare in der Haut.

Der Aufbau des Haarfollikels und das Haarwachstum

Der Follikel ist im Wesentlichen aus folgenden Strukturen aufgebaut:

Haarzwiebel: Sie ist der untere Bereich des Haarfollikels, der wie eine Zwiebel verdickt ist. Die Haarzwiebel besteht aus dem unteren Teil der Wurzelscheide sowie der Haarpapille. Diese ragt von unten in die Haarzwiebel hinein. Dieser Bereich wird von einem dichten Kapillarnetz versorgt, das von einem Gefäß ausgeht. In der Haarzwiebel beginnt an der Papille in verschiedenen komplexen Schritten das aktive Haarwachstum: Keratinfilamente werden gebildet und in die haarbildenenden Zellen, die Keratinozyten eingelagert. Die Kerationozyten wandern nach oben, differenzieren sich, reifen und schrumpfen. Dabei vernetzen sich die Keratine und verhornen (keratinisieren), sodass eine feste Haarstruktur entsteht.

Je nachdem in welcher Form und Verteilung die in der Keimschicht vorhandenen Melanozyten Luftbläschen (Erscheinungsbild der grauen Haare) oder Pigmentgranula (Melanosomen) in das wachsende Haar einlagern, ergibt sich die Färbung der Haare.

Wurzelscheide: Sie umgibt die Haarwurzel und gliedert sich in drei Schichten: Die bindegewebige Wurzelscheide umgibt die äußere und die innere epitheliale Wurzelscheide. Die innere epitheliale Wurzelscheide liegt eng um die geschuppte Haarrinde (Haarkutikula). Die geschuppte Oberfläche ist Richtung Haarspitze orientiert. Ein Negativ dieser Schüppchenstruktur, orientiert in Richtung Haarwurzel, findet sich an der inneren epithelialen Wurzelscheide. Haar und Haarwurzelscheide sind so ineinander verzahnt, dass das Haar trotz der Wachstumsverschiebungen innerhalb der Haarwurzelscheide fest verankert ist. Die Zellen der inneren Haarwurzelscheide lösen sich im im oberen Bereich der Wurzelscheide vom Haar ab und werden abgebaut.

Ein einzelner Primärfollikel mit Haaranlage (Haarwachstumszonen vereinfacht nach Zahn et al. 2012)

Haarbalgtrichter: Aus dieser Epidermispore tritt das Haar aus der Haut heraus. Im Bereich des Haarbalgtrichters finden sich die Austrittsöffnungen der Talg- und Schweißdrüsen.

Streckmuskel, Schweiß- und Talgdrüse

Ob sich an einem Follikel eine Talg-, eine Schweißdrüse und/oder ein Streckmuskel befindet, hängt davon ab, ob es sich um einen primären oder sekundären Follikel handelt. Mit dem glatten Streckmuskel können Haare aufgerichtet werden (Gänsehaut beim Menschen). Beim Schaf dient dieser Mechanismus dazu, bei einem Kältereiz im Vlies mehr Raum für warme Luft zu schaffen. Es gibt beim Schaf Haare, die aus primären Follikeln entstehen (sie haben einen Streckmuskel, eine Schweiß- und eine Talgdrüse), und Haare, die aus sekundären Follikeln entstehen (sie haben nur eine Talgdrüse, die auch fehlen kann). Zu letzterem Haartyp gehören die Wollfasern. Die Talgdrüse endet beim Schaf im Haarbalgtrichter. Von der Seite gesehen, mündet zuerst die Talgdrüse in den Haarbalgtrichter. Darüber, direkt unter der Hornschicht der Haut, mündet die Öffnung der Schweißdrüse. Bei diesen Schweißdrüsen handelt es sich um innen liegende (apokrine) Schweißdrüsen, da das Sekret in den Haarbalgtrichter entleert wird. Die primäre Haaranlage, bestehend aus einem Haar, der Talg- und der Schweißdrüse, wird als „Epidermistrias“ bezeichnet.

Die Schweiß- und Talgdrüsen bilden den Wollschweiß (engl. suint) sowie das Wollwachs (engl. wool grease). Beides sind Erzeugnisse des tierischen Stoffwechsels. Die Emulsion der beiden Sekrete wird Wachsschweiß (engl. yolk) genannt. Der Wachsschweiß zieht, unter Freigabe von Wärme, teilweise in die Faser ein und erwärmt das Schaf zu einem gewissen Grad.

DAS HAAR

Ein Haar lässt sich von unten nach oben folgende Bereiche unterteilen: Die Haarwurzel ist der Bereich, der in der Haut verborgen ist, dazu gehört auch die Haarzwiebel. Der Haarschaft ist der sichtbare Teil des Haares, dessen oberster Abschnitt die Haarspitze ist (siehe Seite 23). Schneidet man ein Haar quer durch und betrachtet es unter dem Mikroskop entdeckt man folgende Schichten: Die Haarkutikula, den Haarkortex und bei manchen Haaren findet man in der Mitte das Haarmark.

Haarkutikula, Schuppendecke (Cuticula)

Die Haarkutikula, auch Schuppendecke genannt, besteht aus verhornten Zellen. Die Kutikulazellen bestehen (von außen nach innen) aus:

››Epicuticula: Diese setzt sich von außen nach innen zusammen aus:

•F-Lage (engl. F-Layer), bestehend aus Lipiden. Lipide sind wasserunlöslich. Das erklärt die schlechte Benetztbarkeit der Wolle mit Wasser.

•A-Lage (engl. A-Layer), bestehend aus Proteinen. Deren besondere Zusammensetzung erklärt die mechanische Zähigkeit und chemische Beständigkeit der Wolle (Zahn et al. 1997).

Die schuppenförmigen Kutikulazellen (oben) und Kortexzellen im schematischen Querschnitt

››Exocuticula

››Endocuticula

Die Matrix, ein interzellulärer Zement, schafft die Verbindung zwischen den Schuppenzellen und der Faserschicht im Inneren.

Die gesamte Schuppendecke hält die innere Faserschicht (Kortex, lat. cortex) zusammen und verhindert das Auseinanderreißen bei mechanischer Beanspruchung der Faser. Wasserdampf gelangt bevorzugt von der Schuppenzellkante über die weiche, innere Endocuticula ins Faserinnere. Kutikulazellen sind schuppenförmig und stehen einzeln für sich. Zur inneren Seite hin sind sie wie ein Tragflächenprofil etwas dicker geformt. Nur bei Merinowolle sind die Schuppen an der dem Inneren zugewandten Seite sehr dünn und an der freiliegenden Schuppenkante dicker. Bei gröberen Haaren (Lang- und Kurzhaar) liegen die Schuppen mehrseitig (polygonal) plattenförmig aneinander und überlappen sich nicht. Bei feinen Wollen sind sie wie Dachziegel übereinander gelagert, bei noch feineren Fasern stecken sie tütenförmig ineinander. Desweiteren können sie in mehreren Lagen übereinandergestapelt sein, je nachdem, ob sie an der im Inneren liegenden Faserschicht des Ortho- oder Paracortex anliegen. Es gibt viele verschiedene Formen und Anordnungen von Schuppen, die oft charakteristisch für einen bestimmten Fasertyp sind. Die englischen Rassen mit glänzenden Locken weisen einen unregelmäßigen Mosaiktyp auf. Wird eine Wollfaser gedehnt oder zieht sie sich wieder zusammen, passen sich die Schuppen der Bewegung an. Sie gleiten auseinander und schieben sich wieder zusammen.

Die Haarspitze

Die Spitze hat in der Vliesstruktur die Aufgabe, Wasser vom Vlies nach außen abzuleiten. Als äußerstes Ende des Haares sind die Spitzen nur bei einem Lamm und bei selbst abwollenden Schafen in ihrer natürlichen Form vorhanden. Nach der ersten Schur ist die Spitze immer abgeschnitten und etwas „scharfkantig“. Auch durch ihre exponierte, der Witterung ausgesetzte Lage ist die Haarspitze meist beschädigt. Dadurch ist sie mit weniger Wollwachs behaftet. Beschädigungen an der Spitze können von leichten, kaum zu merkenden Veränderungen bis zum völligen Verlust durch Brüchigkeit gehen. Besonders die Spitzen der Lammwolle sowie der Erstschuren sind sehr empfindlich.

Eine leichte, sehr häufige, aber nicht als solche wahrgenommene Beschädigung ist das Ausbleichen der Vliesfarbe. Dadurch ist der erste Eindruck von der Vliesfarbe eines Schafes sehr ungenau. Will man die Vliesfarbe im Wollwachsschweiß feststellen, kommt man um eine Scheitelprobe am Schaf nicht herum.

Haarquerschnitt mit Haarkutikula und Haarkortex, der in Ortho- und Paracortex unterteilt ist

Haarmark, Markkanal (Medulla)

Aus der Keimschicht, die an der Spitze der Haarpapille anliegt, bilden sich bei einer entsprechenden rassenspezifischen Veranlagung und bei gröberen primären Follikeln Haarmarkzellen. Diese Zellen teilen sich ständig, verlieren durch degenerative Veränderungen meist ihre Pigmentierung und nehmen Luftbläschen in die Zellen auf. Manchmal lösen sich die Markzellen vollständig auf, und es entsteht in der Faser eine mit Luft gefüllte Röhre. In anderen Fällen bilden die keratinisierten Zellwände ein röhrenförmiges Netzwerk, das ebenfalls Luft enthält. Solche Haararten, meistens Kurzhaare, auch tote Haare oder engl. kemp genannt, zeigen einen Fettglanz mit kalkweißem Aussehen.

Nur primäre Haare und heterotype Haararten besitzen im Inneren einen Markkanal, der auch unterbrochen sein kann. Die echten Wollhaare (Wollfasern) der Schafe haben keinen Markkanal.

Haarkortex, Faserschicht (Cortex)

Die Faserschicht setzt sich aus spindelförmigen Para- und Orthokortexzellen zusammen. Die Zwischenräume zwischen den Spindelzellen sind mit einem interzellulären Zement aus ungerichtetem Keratin gefüllt. Dieses Keratin ist hydrophil, was bedeutet, dass seine Moleküle fähig sind, an Wassermoleküle zu binden. Deshalb kann Wolle so viel Feuchtigkeit aufnehmen. Die Faserschicht schließt neben unpigmentierten Zellen auch Pigmentzellen mit Melaningranula ein. Die Dichte der Melaningranula bestimmt die Farbe des Haares.

Verschiedene Markkanäle und Faserdurchmesser (nach Wildman 1954) – Durchgehende Typen:1 Gittermark2 normaler Markkanal, einfach Unterbrochene Typen:3 Markkanal noch deutlich, aber schon unterbrochen4 nur noch kleine unterbrochene Abschnitte5 Wollfaser, ohne Mark

Der Mikroaufbau einer Wollfaser:

1 Kutikulazelle

2 Orthocortex

3 Paracortex

4 Zellkernrest

5 Paracortexzelle

6 Makrofibrille (besteht aus hunderten Mikrofibrillen)

7 Interfilamentmaterial

8 Mikrofibrille (besteht aus vier Protofibrillen)

9 Protofibrille (besteht aus zwei Protofilamenten)

10 Protofilament

11 Keratinmolekül

Mikroaufbau der Faserschicht (Cortex)

Die Spindelzellen sind ein Verbund aus länglichen Makrofibrillen und einer Matrix. Die Makrofibrille ist für die wichtigen mechanischen Eigenschaften der Wollfaser Dehnbarkeit und Elastizität verantwortlich. Die Makrofibrille setzt sich aus Hunderten von Mikrofibrillen und eingebetteten Strukturkomponenten zusammen.

Eine Mikrofibrille besteht aus vier Protofibrillen und diese aus zwei Protofilamenten. Ein Protofilament besteht aus Heterodimeren. Ein einzelnes Heterodimer schließlich ist aus zwei Proteinuntereinheiten aufgebaut und hat in seinem Mittelteil eine Superhelix-Grundstruktur, welche aus zwei unterschiedlichen Keratinmolekülen besteht (Zahn et al. 1997).

Ortho- und Paracortex – das Gummibandmodell

Orthocortex (B- Cortex): Basenfreundlich, befindet sich immer auf der Außenseite der Wollfaser, seine Spindelzellen (in der Abb. blau), sind nicht so dicht gepackt und größer. Der Orthokortex wächst etwas schneller, ist weniger stabil, hat weniger Spannung. Er nimmt mehr Feuchtigkeit auf und quillt dadurch stärker. Die Schuppenschicht auf der Außenseite besteht nur aus einer Schuppe.

Paracortex (A- Cortex): Säurefreundlich, befindet sich immer auf der Innenseite der Wollfaser, seine Spindelzellen sind kleiner und kürzer, dabei dichter sowie kompakter gepackt. Der Paracortex wächst etwas langsamer, ist sehr stabil und hat mehr Spannung. Die Schuppenschicht, die auf der Außenseite an der Parakortexseite anliegt, ist durch Mehrlagigkeit dicker.

Verständlich wird der Effekt der unterschiedlichen Spannungen mit dem „Gummiband-Versuch“. R. Ritter und K. Tomopulos haben nachgewiesen, wie sich die unterschiedlichen Kortexarten bei zweiseitiger Anordnung in der Faserschicht auf die Kräuselung der ganzen Wollfaser auswirken. Dazu wurden zwei kantige Gummibänder längsseits mit unterschiedlicher Spannung, eines im gespannten, das andere im entspannten Zustand, aufeinandergeklebt. Wird das Band losgelassen, nimmt es zum Ausgleich der Spannung eine Spiralform ein.

Krümmung der Wollfaser durch verschieden lange Spindelzellen von Ortho- und Paracortex

Der Verbund der unterschiedlichen Kortexarten hat, je nach Stärke der Kräuselung, verschiedene Strukturen. Die Faserschicht kann zweiseitig angeordnet aus Ortho- und Paracortex bestehen, aber auch konzentrisch angeordnet sein.

Die Wollsorten, deren Faserschichten konzentrisch angeordnet sind, weisen nur eine grobwellige Kräuselung auf. Hier ist der Orthokortex zentral angeordnet und von einer röhrenförmigen Schicht aus Paracortex umgeben.

Eine zweiseitige Struktur der Spindelzellen des Faserstammes bewirken den deutlichen Kräuseleffekt der Wollfaser, wie zum Beispiel bei sehr feinen Merinowollen. Neben der zweiseitigen Kräuselung können sich in den Haararten auch gemischte Kräuselungsarten finden. Das bedeutet, das auf die Länge des Haares gesehen die Gewichtung von Ortho- und Paracortex unterschiedlich sein kann. Auch können sie nur aus einer Kortexart bestehen.

Ortho- und Paracortex im Gummibandmodell (nach Horio 1960)

VOM HAAR ZUM VLIES

Das Vlies auf einem Schaf kann mit einem Wald verglichen werden, bei dem verschiedene Bäume sowie große und kleine Sträucher ein auf bestimmte Art und Weise geformtes Ganzes bilden. Das Vlies von Schafen setzt sich je nach Rasse aus verschiedenen Haararten und deren Anordnungen zusammen. So wird ein rassetypisches Vlies mit seinen speziellen Eigenschaften gebildet.

Von einem Vlies im engeren Sinne wird dann gesprochen, wenn das Haarkleid eines Schafes nach der Schur ein zusammenhängendes Ganzes bildet und nicht in Einzelteile zerfällt. Im weiteren Sinn und um die Bezeichnung zu vereinfachen, gelten auch ein auseinanderfallendes Vlies und die Wollbedeckung auf dem Schaf (also vor dem Scheren) als Vlies. Die einzelnen Haare wachsen in der Haut und entstehen in sogenannten Follikeln (siehe Abb. Seite 23).

ZWEI FOLLIKELTYPEN

Bei allen Schafen werden zwei verschiedene Follikeltypen unterschieden:

•Primäre- oder Leithaarfollikel (P)

•Sekundäre- oder Gruppenhaarfollikel (S)

Die beiden Follikeltypen unterscheiden sich durch ihre Anatomie: Der primäre Follikel (P) ist mit einer Schweißdrüse, einem glatten Streckmuskel und einer Talgdrüse ausgestattet. Haararten, die aus einem primären Follikel wachsen, weisen einen durchgehenden oder wenigstens einen durchbrochenen Markkanal auf und haben einen haarigen Charakter. Die einzige Ausnahme bilden die schweren Vliese der Langwoller, deren primäre Langhaare keinen Markkanal haben. Die sekundären Follikel (S) haben dagegen nur eine Talgdrüse; manchmal fehlt auch diese. Die aus ihr wachsenden Wollfasern haben keinen Markkanal. Beim Schaf findet man folgende Haararten (sortiert nach Follikeltypen): Die groben, kurzen und farbgebenden Deckhaare, die beim Wildschaf den ganzen Körper und beim domestizierten Schaf die unbewollten Körperstellen bedecken, werden ebenso von primären Follikeln erzeugt wie die Lang-, Kurz- (Stichelhaare) und die kurzhaarähnlichen (heterotypen) Langhaare (kLH).

Merinolangwollschafe sind das Ergebnis einer langen Zuchtgeschichte. Ihre feinen Wollfasern entspringen sekundären Follikeln.

Aus den sekundären Follikeln wächst die winterliche Flaumwolle der wilden Schafe und die echten Wollhaare (Wollfasern) der domestizierten Schafe. Je nach genetischer Veranlagung des Schafes ordnen sich die zwei Grundtypen zu Follikelgruppen an. Darauf können alle bedeutenden Eigenschaften der Vliese quantitativer und qualitativer Art zurückgeführt werden.

Vom Einzelfollikel zur Gruppe

Durch die Zusammenfassung von Einzelfollikeln zu verschiedenen Gruppen bilden sich je nach Schafrasse unterschiedliche Vliestypen aus. Bei Wildschafen besteht eine Follikelgruppe aus einer Basisgruppe von drei in Reihe angeordneten primären Follikeln und einer unterschiedlichen Anzahl sekundärer Follikel, die sich um die primären gruppieren. Während der Domestikation vom Urschaf über die verschiedenen Schafrassen bis zum Merino veränderte sich diese Anordnung, und sie verändert sich weiterhin. Die Reihenbildung und andere Eigenschaften – zum Beispiel periodisch-jahreszeitlicher Haarwechsel – werden verwischt und verändert, je mehr sich die Rassen dem Merino annähern, bis sie im Vlies nicht mehr zu erkennen sind.

Follikelgruppen bei Mufflon (oben) und Merino (unten) (nach Carter 1955)

Das Geburtsvlies lässt Schlüsse auf das Vlies der älteren Tiere zu

Die Primärfollikel entwickeln sich zwischen dem 35. und 40. Tag der Trächtigkeit, also ziemlich früh im Leben des Fötus. Die Sekundärfollikel entwickeln sich am Ende der Tragzeit, manchmal sogar erst nach der Geburt. Diese beiden Arten von Follikeln werden nicht nur daran unterschieden, wann sie sich entwickeln, sondern auch nach den Arten von Fasern, die sie produzieren. Die aus den Primärfollikeln gewachsenen Kurzhaare oder Heterotype finden sich in den Geburtsvliesen der Lämmer und in den ausgewachsenen Vliesen aller Schafrassen. Mit einer Ausnahme: Im ausgewachsenen Vlies der Merinos finden sich diese Haararten nicht mehr, sie werden abgeworfen, wenn das Lamm heranwächst. Es hängt von der Rasse ab, welchen Fasertyp die Primärfollikel anschließend bilden. Detaillierte Kenntnisse über die verschiedenen Follikelarten, ihre Entstehung und Identifikation sind bei der Beurteilung des Geburtsvlieses von Vorteil. Dadurch können bei Lämmern, die ein gut entwickeltes Vlies haben, Rückschlüsse auf das künftige Vlies des älteren Schafes gezogen werden. Bei älteren Tieren finden sich keine so präzisen Unterscheidungsmöglichkeiten mehr.

EINTEILUNG DER SCHAFRASSEN NACH PRIMÄREN UND SEKUNDÄREN HAARARTEN

Die zahlreichen Schafrassen werden nach dem Vorkommen der verschiedenen Woll- und Haararten eingeteilt. Aus dieser Aufstellung wird ersichtlich, dass auch Wild- und Haarschafe primäre und sekundäre Follikel haben, aus denen entsprechend primäre und sekundäre Haararten entspringen. Schon bei den schlichtwolligen Schafen sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Haararten sowohl in der Länge als auch in der Feinheit sehr verwischt. Bei den Feinwollern sind sie überhaupt nicht mehr vorhanden.

•Wildschafe: Die Unterschiede zwischen primären Haararten und sekundären Haararten sind sehr groß. Die Haare stehen dicht und in deutlichen Reihen. Der Haarwechsel erfolgt periodisch nach Jahreszeit. Die Follikel liegen schräg in der Haut und wachsen nahezu gerade.

•Haarschafe: Die Unterschiede zwischen primären und sekundären Haararten sind noch ziemlich groß. Beide stehen noch in deutlichen Reihen. Die Dichte der Haare ist mittel, mit einem jahreszeitlich bedingten Wechsel der Haare.

Stapelformen vom ursprünglichen Schaf zum Merino: 1 Soayschaf; 2 Krainer Steinschaf; 3 Alpines Steinschaf; 4 Rauwolliges Pommersches Landschaf, Lamm; 5 Coburger Fuchsschaf; 6 Blaues Texel; 7 Shropshire; 8 Merinofleischschaf

•Mischwollschafe: Im Vergleich zu Wild- und Haarschafen ist der Unterschied in Dicke und Länge zwischen den primären- und sekundären Haararten schon verringert. Sie bilden aber noch deutliche Reihen. Die Dichte der Haare ist gering. Der Haarwechsel ist jahreszeitlich bedingt, aber fließender und nur die Unterwolle wird gewechselt.

•Schlichtwollschafe: Die Unterschiede zwischen primären und sekundären Haararten in Dicke und Länge sind undeutlicher. Besonders die sekundären Haararten neigen dazu, sich in der Dicke und Länge den primären anzugleichen, die Wolle vergröbert. Die Dichte der Haare ist unregelmäßig, mit einem fortlaufenden, gedrosselten Haarwechsel.

•Feinwollschafe: Die Unterschiede zwischen primären und sekundären Haararten in Dicke und Länge sowie die Bildung von Reihen sind nicht mehr sichtbar. Die Haardichte ist sehr groß und Binderhaare machen die Reihen oft vollständig unkenntlich. Der Haarwechsel ist sehr gedrosselt, andauernd oder findet gar nicht mehr statt.

EINTEILUNG DER SCHAFRASSEN IN WOLLTYPEN

Die Schafrassen lassen sich zusätzlich aufgrund ihrer Vlieszusammensetzung in sechs Wolltypen einteilen. Für die Erzeugung von Wolle sind vor allem die feinwollige, ausgeglichene Merinogruppe (Wolltyp 6) und die Langwollgruppe (Wolltyp 4) mit schweren, glänzenden Vliesen von einer gewissen Faserdicke und Länge von Bedeutung. Wo immer ein hoher Reinwollgehalt in Verbindung mit bester Qualität verlangt wird, ist mindestens einer dieser beiden Typen zur Einkreuzung verwendet worden.

Verschiedene Vliesstrukturen: 1 Jakobschaf, Aue; 2 Rauwolliges Pommersches Landschaf, Aue; 3 Juraschaf, Aue; 4 Moorschnucke, Aue; 5 Braunes Bergschaf, Aue; 6 Texel, weiß; 7 Gotland Pelzschaf, Aue; 8 Ungarisches Zackelschaf; 9 Soayschaf, Aue; 10 Coburger Fuchsschaf, Lamm

Graue gehörnte Heidschnucken haben ausgeprägt mischwollige Vliese.

•Wolltyp 1 – haarig: Erzeugung von Fleisch. Z. B. Kameruner, Wiltshire Horn, Nolana.

•Wolltyp 2 – mischwollig: Erzeugung von Milch, Käse und Pelzen sowie Wolle für die Herstellung von Teppichen und Wolldecken. Z. B. Schottisches Schwarzkopfschaf, Herdwick, Karakul, Zackelschaf, Heidschnucken, Skudde.

•Wolltyp 3 – schlichtwollig: Landschaftspflege, Wolle für Tuche, Fleisch. Z. B. Coburger Fuchs, Rauwolliges Pommersches Landschaf, Leineschaf, Bentheimer, Jakobschaf.

•Wolltyp 4 – langwollig: Grundwolltyp zur Erzeugung von schweren Vliesen und größeren Schlachtkörpern, zur Wollverbesserung bei schlicht- und mischwolligen Schafrassen. Erzeugt weiche, lange, zum Teil glänzende Vliese. Z. B. Devon Longwool, Wensleydale.

•Wolltyp 5 – kurzwollig: frühreife Fleischrassen. Z. B. Schwarzköpfiges Fleischschaf, Suffolk, Charollais.

•Wolltyp 6 – feinwollig: Grundwolltyp zur Erzeugung von Faserfeinheit und -Ausgeglichenheit. Z. B. Merinofleischschaf, Merinolandschaf, Merinolangwollschaf.

HAAR- UND WOLLFORMEN IM VLIES

In jedem Vlies existieren verschiedene Haar- und Wollformen nebeneinander. Hier eine Übersicht über die verschiedenen Haararten im Schafvlies (Reumuth & Doehner 1964; Kun 1995).

››Lang- oder Grannenhaare (LH): Langhaare wachsen aus primären Follikeln. Sie sind je nach Vliesart lang, relativ steif und kräftig oder kaum von den Wollhaaren zu unterscheiden. Ihre Follikel wurzeln in der Unterhaut. Sie können dick, leicht gewellt bis stark gekräuselt, vollständig oder unterbrochen markhaltig sein. Bei langwolligen Rassen kann das Mark auch fehlen. Sie unterliegen nicht dem Haarwechsel. Die Kutikulaschuppen sind sechseckig, fast glatt bis glänzend und liegen wie Platten aneinander. Die Form der Schuppen könnte eine Erklärung sein, weshalb die Wollen mancher Rassen nicht oder schwer filzen.

››Kurz- oder Stichelhaare (KH, engl. kemp): Kurz- oder Stichelhaare kommen in unterschiedlichen Längen von etwa 3–7 cm vor. Sie sind im Vergleich zu allen anderen Haaren stets kürzer, wachsen aus primären Follikeln, sind unregelmäßig, grob gewellt und starr. Deshalb sind sie schlecht verspinn- oder filzbar und färben nur ungenügend an. Durch ihr ausgeprägtes Mark sind sie oft kalkweiß und brechen leicht. Sie unterliegen dem Haarwechsel und sind als tote Haare u. a. für Verfilzungen im Vlies verantwortlich. Sie können farbig sein und kommen im ganzen Vlies oder vermehrt dort vor, wo Haut am Knochen anliegt. Es gibt sie im Stapel in folgenden Formen:

•Kurzhaare 1 (KH1): Bereits abgestoßene und hochgewachsene Kurzhaare (tote Haare, falsche Binder).

•Kurzhaare 2 (KH2): nachgewachsene Kurzhaare. KH1 und KH2 bilden in den Stapeln oft farbige, horizontale Streifen von kürzeren Kurzhaarstücken.

Haararten lassen sich nicht immer bestimmen

Abschließend kann gesagt werden, dass die Haar- und Wollarten oft nicht sicher bestimmt werden können. Das liegt an variierenden Faserlängen durch unregelmäßige Haarwechsel, der großen Spannweite der Faserdurchmesser und der Vielfalt der Kräuselung.

Mischwolliger Stapel: Kreuzung von Grauer gehörnter Heidschnucke und Coburger Fuchsschaf. Der rote Streifen: KH1. Der schwarzgraue Streifen: KH2.

Heterotype Haare im mischwolligen Stapel

Binderhaare im Vlies

››Heterotype Haararten: Ein Sonderfall sind die heterotypen Haare. Das sind Haare, die Strukturen von Wollfasern sowie Lang- und Kurzhaaren aufweisen. So kann ein Haar von seiner Struktur her mehr einem Langhaar oder einer Wollfaser zugeneigt sein. Zum Beispiel kann das äußere Ende einen Markkanal aufweisen und dem Langhaar gleichen, während der innere Stapel der Wollfaser ähnlich ist. Diese Haare finden sich in ausgeprägt mischwolligen Vliesen, zum Beispiel bei der Grauen gehörnten Heidschnucke, dem Islandschaf und anderen Rassen mit ähnlicher Vliesstruktur. Sie werden beim Sortieren durch Trennen meistens übersehen und verbleiben in der Fraktion der weichen Wollfasern, was zu kratzigen Garnen führt.

Die heterotypen Mischformen sind:

•Wollige Langhaare (wLH): Heterotype, mehr wollig.

•Kurzhaarähnliche Langhaare (kLH): Heterotype, kurzhaarähnlicher.

››Echte Wollfasern (W): Die echten Wollhaare der Schafe werden zur besseren Unterscheidung zu den übrigen Haararten als „Wollfasern“ bezeichnet, biologisch gesehen, handelt es sich aber um eine Haarart. Sie wachsen aus einer Gruppe sekundärer Follikel. Echte Wollfasern sind fein bis sehr fein, unterschiedlich stark gekräuselt und stets markfrei. Je nach Rasse wachsen die Follikel mehr oder weniger spiralig gedreht in Gruppen aus der Mitte der Lederhaut. Echte Wollfasern sind, je nach Rasse, vom Haarwechsel betroffen. Ob die folgenden Fasertypen eigene Haararten oder den Wollfasern zuzuordnen sind, ist in der Literatur noch nicht abschließend geklärt:

››Flaum (F): Flaumfasern sind fein, weich, sehr kurz, markfrei. Sie entspringen aus sekundären Follikeln in der Mitte der Lederhaut. Beim Wildschaf bilden sie die Unterwolle. Bei Schafen zeigt das reine Flaumhaar die stärkste Vliesbildung, zum Beispiel bei der Heidschnucke. Manchmal kommt es auch als kurze, flockenartige Faseransammlung bei Mischwolligen vor. Flaum ist vom Haarwechsel betroffen.

››Binderhaare (B): Binderhaare sind etwas dicker als die Wollfasern. Sie halten das Vlies netzartig zusammen. Aus den in der Haut je nach Rasse gruppenweise angeordneten sekundären Follikeln entstehen Strähnchen. Zwischen ihnen finden sich schräg in den Hautnähten wurzelnde stärkere Haare, die sogenannten Binder. Ihre Aufgabe ist es, die Strähnchen zu Stäpelchen und wiederum zu Stapeln zu vereinen. Daraus bilden sich Stapel, die durch die Kräuselung und den Fettschweiß zu einem Vlies zusammengehalten werden.

Haararten im Stapel erkennen

Beim Trennen von mischwolligen Vliesen ist es von Vorteil, wenn die Haararten auseinandergehalten werden können. Verbleiben zum Beispiel die Heterotypen oder Kurzhaare in der Unterwolle, wird das Garn bei der folgenden Verarbeitung kratzig. Auf das Trennen von mischwolligen Vliesen zur Fasergewinnung wird ab Seite 257 eingegangen.

VOM STRÄHNCHEN ZUM STAPEL

Bisher war von Entwicklung und Wachstum des Haares die Rede. Im Folgenden werden aus den Haarfollikelgruppen Strähnchen, Stäpelchen und Stapel, aus denen sich das Vlies des Schafes zusammensetzt.

VLIESBILDUNG

Die Anordnung der Haararten in der Haut ist genetisch bedingt und für die Bildung des Vlieses von großer Bedeutung. Jedes Strähnchen wird in der Haut von Hautbrücken umschlossen, eine Gruppe Strähnchen wiederum auch, genauso wie der Stapel. Bei jeder folgenden Gruppierung wird die Hautbrücke etwas breiter.

Wann sprechen wir von einem Vlies?

Als „Vlies“ wird das abgeschorene, aber zusammenhängende Fell eines Schafes bezeichnet. Im weiteren Sinn sind damit auch ein auseinanderfallendes Vlies sowie die Wollbedeckung auf einem Schaf gemeint.

Das Strähnchen, die kleinste Einheit im Stapel

Im Idealfall wachsen die Haare eines Schafes aufgrund der aneinandergeschmiegten Anordnung der Follikel, dicht und geordnet aus der Hautoberfläche. In Vliesen kommen gekräuselte Haare in allen Wellungsformen, aber auch ungekräuselte Haare vor. Die Bildung der Strähnchen lässt sich auf die gruppenförmige Anordnung der Haarfollikel in der Haut, die Feinheit der Haare sowie maßgeblich deren Kräuselung zurückführen.

Stapelaufbau: vom Strähnchen übers Stäpelchen zum Stapel

Durch den Wachsschweiß wird die Vereinigung erleichtert.

Die Form der Kräuselungsbögen hat Einfluss auf die Bildung der Strähnchen: Je feiner die Wolle ist, desto regelmäßiger legen sie sich aneinander. Bei überbogigen Fasern (siehe Seite 51) sind die Strähnchen deutlich sichtbar. Es sind aber wenige Fasern in den Strähnchen.

Bei Fasern mit schlichten Kräuselungsbögen kön- nen sich die Fasern nicht miteinander verbinden und die Spitzen streben auseinander. So entstehen offene Vliese.

Das Stäpelchen

Die Strähnchen vereinigen sich zu den etwas größeren Wolleinheiten, den Stäpelchen. Diese schließen sich wieder zu Stapeln zusammen. Die Ausbildung der Stapel, der Stäpelchen und der Strähnchen ist sehr variabel. Bei mischwol- ligen Landschafen finden sich noch Stapel, aber Strähnchen und Stäpelchen sind unsichtbar. Bei schlichtwolligen Schafen und gröberen Merinos ist die Strähnchenbildung zum Teil sehr stark verringert, es finden sich nur noch Stäpelchen in den Stapeln. Beim Wollfehler Zwirn (siehe Seite 75) besteht der Stapel nur noch aus aufgelösten Strähnchen.

Binder- und Schleierhaare

Die Strähnchen-, Stäpelchen- und Stapelstrukturen lassen sich oft an der Vliesoberfläche erkennen: sie ist durch verschieden breite Hautbrücken unterteilt. Ihren Zusammenhalt bekommen die Strähnchen und Stäpelchen durch außerhalb in den Hautbrücken wachsende Schleierhärchen. Die Strähnchen und Stäpelchen haben einen größeren Zusammenhalt als die nächstgrößeren Stapel untereinander. Die Stapel bilden sich mit Hilfe der Binderhaare, die aus etwas breiteren Hautbrücken schräg in die Stapel wachsen. Diesen natürlichen Aufbau erkennt man deutlich, wenn ein abgeschorenes Vlies ausgespannt wird. Es wirkt wie ein Netz, bei dem die Stapel die Knoten sind.

Hautquerschnitt: Mehrere Strähnchen, die durch Bindegewebsstreifen getrennt sind, schließen sich zu einem größeren Stäpelchen zusammen.1 Talgdrüse2 Schweißdrüsenausmündung3 Primärer Follikel4 Gruppe sekundärer Follikel5 Muskel6 Längs verlaufende Bindegewebestränge

Leichtteiliges Vlies

Schwerteiliges Vlies

Schleierhärchen und Binder im Vlies

Bei zu vielen Schleierhärchen sind die Strähnchen kaum noch erkennbar. Solche Stapel werden „verschleiert“ genannt. Bei einer verminderten Anzahl von Binderhaaren haben die Stapel weniger Zusammenhalt untereinander und stehen eher einzeln, das Vlies ist offen. Diese Stapelstruktur ist in allen Abstufungen bei Misch- und Schlichtwolligen zu finden. Solche Vliese fallen beim Scheren oft auseinander. Sind beide Haararten ausgewogen ausgebildet, lässt sich das Vlies auf dem Schaf leicht bis zur Haut scheiteln. Das Vlies wird „leichtteilig“ genannt.

Leichtteilige Vliese