Schanzen-Slam - Victoria B. Robinson - E-Book

Schanzen-Slam E-Book

Victoria B. Robinson

4,5
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Drei gute Freundinnen zwischen Ende zwanzig und Ende dreißig - Lea, Tine und Paula - treffen sich bei einem Poetry-Slam. Sie leben und lieben im schillernden Schanzenviertel in Hamburg, dem Zentrum der alternativen Popkultur, einer Welt der ständig wechselnden Möglichkeiten. Aber genau dieses Gefühl, dass nichts stillsteht, stimmt sie gelegentlich nachdenklich. Müssten sie nicht auf dem Höhepunkt ihres Glücks angekommen sein? Warum fühlt es sich nicht so an? Sind ihre Ansprüche etwa zu hoch? Lea, eine Studentin, ist zwischen Kevin, ihrem Freund, und Dave, einem charmanten Fotografen, hin und her gerissen. Tine arbeitet in einem Sonnenstudio und hat die Nase gestrichen voll von der Eintönigkeit ihres Alltags und auch von ihrem Freund Max, einem Langweiler. Paula drückt sich vor der Liebe, sie hat wahllos Sex und fühlt sich eigentlich ganz wohl damit - wenn da nicht ein ganz kleiner Zweifel bliebe, dass es noch mehr geben könnte. Alle drei haben sich für ein Leben entschieden, in dem ihre Freundschaft, ihre Gespräche, ihr gemeinsames Träumen die einzigen Konstanten sind. Werden sie diesen Weg weitergehen und irgendwann ihr großes Glück finden? Oder werden sie es wagen, ganz auszubrechen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 251

Bewertungen
4,5 (16 Bewertungen)
9
6
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Victoria B. Robinson

Schanzen-Slam

Roman

INHALT

Widmung

Für alle, die die Schanze geliebt haben, für alle, die lieben, und ganz besonders für alle, die sich trauen.

Kapitel 1

Aller guten Dinge sind drei

Der letzte richtige Mädelsabend war schon viel zu lange her. Wahrscheinlich schon Monate. Normalerweise, also früher, haben sich Lea, Paula und Tine mehrmals in der Woche getroffen und dauernd Zeit miteinander verbracht. Geredet, gelacht, gefeiert oder auch mal geflucht und geheult. Mit kleineren Höhen und Tiefen lief das über Jahre so und sie dachten eigentlich, es würde für immer so weitergehen. Aber irgendwie, irgendwann, schleichend und unbemerkt, kam das Leben dazwischen.

Mittlerweile verabredeten sie sich meist nur mal spontan für dreißig Minuten, um einen Kaffee zu trinken. Wenn überhaupt. Manchmal gab es auch nur eine schnelle Textnachricht. Die Versuche, Pärchendates aus ihren Treffen zu machen, waren leider auch noch nie so recht geglückt.

Zum einen gab es nie einen besonders guten Draht zwischen den männlichen Anhängen. Zum anderen war der ganze Spaß dann auch weg. Männer waren ja viel zu empfindlich für offene Gespräche. Und das war das eine, das sich in ihrer Freundschaft nicht veränderte, egal, wie selten sie sich sahen: Wenn sie zusammensaßen, kamen alle Themen auf den Tisch. Da war Rücksicht auf Männer und ihre Befindlichkeiten nur ganz schwer aufzubringen. Und konnte jeden Spaß verderben. Abgesehen davon, dass nie alle drei gleichzeitig Beziehungen hatten. Im Grunde war das jetzt schon der Rekord: Zwei von dreien – Lea und Tine – waren einigermaßen ernsthaft liiert. Ob sie das auch tatsächlich sein und bleiben wollten, war ihnen allerdings selbst nicht immer klar. Denn manchmal schien es einfach verlockender, sich frei zu fühlen und das Leben in all seinen Facetten auszukosten.

Sie alle sehnten sich nach gemeinsamen Gesprächen und so hatten Lea, Paula und Tine seit Ewigkeiten versucht, einen Termin zu vereinbaren, um endlich einmal wieder unter sich zu sein. Aber über die Planung ging es leider nie hinaus. Meistens hatte Paula doch noch einen Job bekommen oder Lea musste schnell in der Bar einspringen oder einer der Boyfriends brauchte Unterstützung. Doch diesmal wollte Lea keine Ausreden gelten lassen. Tine und Paula mussten einfach mit ihr zu dem heute stattfindenden Poetry-Slam direkt neben der Bar, in der sie arbeitete. Lea liebte Lyrik, hatte es aber noch nie geschafft, die anderen beiden davon zu überzeugen, dass es Spaß macht, sich einen Abend lang selbstgeschriebene Gedichte und Geschichten anzuhören. Die dachten nämlich, dass so etwas höchstens für verstaubte Intellektuelle interessant sein könnte, aber nicht für Frauen, die sich gerne amüsieren. Doch Lea wollte sich nicht damit abfinden, dass ihre langjährigen Freundschaften sich mehr und mehr in Luft auflösten, weil sich ihre Ziele und Interessen auseinanderbewegten. Telefonieren reichte ihr nicht mehr. Sie wollte ihre Mädels sehen. Deshalb hörte sie auf, für ihre Ausreden Verständnis zu heucheln, und bestand ganz energisch darauf, dass heute der Tag war, an dem wieder andere Zeiten anbrechen mussten.

Sie war aufgeregt, als erst Tine und dann auch Paula in der Bar »Raum 3« auftauchten, in der Lea ihre Schicht als Kellnerin abwickelte. Der Laden war früher mal eine Metzgerei gewesen. Davon zeugten die alten Kacheln, die noch immer an den Wänden hingen und zum Teil in matten Farben bemalt waren. Gerade Paula war froh darüber, dass an einem Ort, an dem früher Körper zersäbelt worden waren, heute Bioprodukte über die Theke gingen. »Viel bessere Energie!«, meinte sie, »da hat sicherlich mal jemand ein Reinigungsritual durchgeführt, sonst würde sich das hier nicht so positiv anfühlen. Du würdest es sonst gar nicht aushalten, hier zu arbeiten, Lea, dafür bist du viel zu feinfühlig.« Paula unterstrich ihre Aussage, indem sie mit geschlossenen Augen ihre Hände in Brusthöhe durch die Luft gleiten ließ, um Schwingungen zu spüren. Anscheinend war sie mit dem Ergebnis zufrieden und konzentrierte sich wieder auf die sichtbare Welt.

»Keine Ahnung, Paula, aber wir müssen auf jeden Fall die Zeit nutzen, solange ich hier noch arbeite! Wenn das vorbei ist, müssen wir ja unsere Drinks selbst bezahlen!«, gluckste sie, während sie ihren Freundinnen jeweils ein Astra in die Hand drückte.

»Wie? Tut sich da was bei dir?«, wollte Paula wissen.

»Also, es sind ja nur noch ein paar Monate, bis meine Abschlussprüfungen vorbei sind. Deswegen muss ich mich langsam mal darum kümmern, wie es danach weitergeht. Und ich habe ja noch die Bewerbung bei dieser Filmproduktion laufen. Wenn alles klappt, kann ich da schon ab nächster Woche arbeiten. So ein paar Tage die Woche. Zum Kennenlernen.«

»Wie cool, herzlichen Glückwunsch!«, freute sich Paula.

»Ja, danke, ist aber leider unbezahlt. Das heißt also, dass ich noch ein bisschen mehr hier arbeiten und gleichzeitig lernen muss. Aber was soll’s? Sind ja nur ein paar Monate.«

»Ach, das freut mich für dich, Lea. Ich wünschte, ich hätte auch was in Aussicht. Aber da tut sich gar nichts. Überhaupt nichts, keine Chance«, beschwerte sich Tine.

»Ja, von alleine tut sich da auch nichts, Tine. Da kannste lange warten«, sagte Paula in einem Ton, der bei Tine sofort zu einer patzigen Gegenreaktion führte: »Genau, Paula, danke für die Info. Am besten ich mach’s wie du und werde Promoterin. Es gibt ja immer irgendeinen Schwachsinn, den man den Leuten andrehen kann!«

»Hey, Leute«, unterbrach sie Lea. »Können wir uns heute nicht mal ganz entspannt über meine Zusage freuen? Oder einfach versuchen, einen schönen Abend miteinander zu verbringen? Lasst uns erst mal einen Tequila trinken! Ist brauner in Ordnung?« Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte Lea sich um und begann mit den Vorbereitungen. Sie war nicht bereit, sich die Laune verderben zu lassen, stellte eilig drei Schnapsgläser auf die Theke und füllte sie bis zum Rand. Sie schnappte sich eine Orange aus dem Obstkorb und schnitt ein paar Scheiben ab, die sie auf den Gläsern ablegte. Da sie den Zimt nicht finden konnte, sprach sie ihren Barkollegen Ken an, der lässig am anderen Ende der Theke stand: »Hey Sweety, hast du schon wieder das braune Pulver weggeschnupft?«

Der drehte sich nur langsam in ihre Richtung und nickte Lea ironisch lächelnd zu. Sein Gesicht sagte »ganz bestimmt«. Ansonsten ignorierte er sie und blätterte weiter stehend in seiner Zeitschrift.

»Seht ihr? Auf die Männer ist doch nie Verlass! Alles muss man alleine machen!«, wetterte Lea laut, während sie sich weiter nach dem Zimtstreuer umsah, als sie plötzlich Kens starren Blick wahrnahm. Sie folgte diesem Blick, der auf den Zimtstreuer fiel – direkt vor ihr auf der Theke. »Hilfe zur Selbsthilfe, sage ich da nur«, meinte er und lachte vergnügt.

Lea tat so, als sei sie beleidigt und ging mit energischem Schritt auf ihre Freundinnen zu. »Also, auf uns!«

Die Freundinnen stießen miteinander an. Die kleine Zickerei war mittlerweile komplett vergessen, die nächsten zwei Tequila-Runden gingen schnell vorbei. Es war kurz vor acht, also hatten sie ganze drei Stunden, bis Tine gegen 23 Uhr mit ihrem Freund Max verabredet war.

Lea sah auf die Uhr und entschied, dass der Locationwechsel anstand: »Wir sollten jetzt losgehen, bevor wir hier versacken.«

»Stimmt! Und ich freu mich. Endlich mal wieder tanzen«, sagte Paula, die normalerweise nicht für ihren Hüftschwung berühmt war und wohl auch nicht wusste, dass Tanzen bei einem Poetry-Slam nicht wirklich auf dem Programm stand. Vielleicht war sie schon betrunken genug, um da ein paar Dinge zu verwechseln.

Lea und Tine grinsten sich an und entschieden wortlos, Paula jetzt nicht darüber aufzuklären. Paula würde schon sehen, worum es sich bei einem Slam drehte: um Texte, Humor, Performances und vielleicht ein bisschen Musik als Lückenfüller.

»Au ja – und das mal ganz ohne Männer!«, meinte Tine, die von ihrer Beziehung ziemlich genervt war und sich permanent darüber beschwerte.

»Ich hab sowieso das Gefühl, dass es für mich mal an der Zeit ist, ein paar neue Dinge kennenzulernen. Wie cool, dass du die Idee hattest, Lea!« Sie würde sich noch für einige Stunden austoben können, bevor Max sie abholen und mit zu sich nach Hause nehmen würde. Sie sah sich gerne andere Männer an und suchte nach deren Fehlern. Der Vergleich half ihr dabei zu erkennen, dass sie es mit Max eigentlich doch ganz gut getroffen hatte. Obwohl es sich so unspektakulär anfühlte. Aber vielleicht waren Beziehungen ja so. In jedem Fall war er ein wahnsinnig netter Typ. Total bodenständig. Und zuverlässig. Also genau das, was ihr selbst an Eigenschaften fehlte. Gegensätze, die sie allerdings nur manchmal anziehend fand.

Obwohl es nicht ausgesprochen wurde, war allen bewusst, um was es an diesem Abend eigentlich ging: Lea würde auf Dave treffen, der diese Slamveranstaltung moderierte, und Tine und Paula waren ihre Verstärkung. Dave war der Mann, der Lea so sehr verwirrt hatte, dass er plötzlich ihre Beziehung und ihre bereits sehr weit fortgeschrittenen Nestbaupläne in Frage gestellt hatte. Lea hatte vorher immer lautstark verkündet, dass es eine reine Willensentscheidung sei, eine Beziehung durchzuziehen. Man müsste sich nur richtig darauf einlassen; dann könnte man mit jeder Person etwas Langfristiges aufbauen. Das hatte sie ihren Freundinnen immer wieder vorgebetet und die beiden dafür kritisiert, dass sie ständig etwas noch Besseres finden wollten, statt es endlich einmal wirklich mit jemandem zu versuchen.

Sie selbst glaubte, in ihrer Beziehung zu Kevin mit gutem Beispiel voranzugehen. Doch dann war ihr Dave über den Weg gelaufen. Und plötzlich war alles anders.

Die Geschichten über das Kennenlernen, die intensiven Blicke, den heftigen Flirt und die Nacht, die Dave und Lea schließlich zusammen verbracht hatten, kannten Paula und Tine bis ins kleinste Detail. Lea hatte immer und immer wieder ausführlich davon erzählt, dass sie das Gefühl hatte, das Schicksal hätte ihr nun endlich den Mann geschickt, der für sie bestimmt war. Die Begegnung der beiden war für sie wie eine Explosion.

Er sah exakt so aus, wie Lea sich ihren Traummann immer vorgestellt hatte. Wie die Inkarnation ihrer geheimsten Wünsche. Deswegen konnte sie sich auch nicht dagegen wehren. Sie musste ihn spüren. Wollte ihn haben. Sofort. Sie dachte, dass die Zeit der Zweifel nun endlich vorbei sei, da sie zum ersten Mal fühlte, dass einfach nur alles richtig war. Er war der Mann für sie. Ohne dass sie sich mit irgendetwas abfinden musste. Er war nämlich schon perfekt. Oder hatte das Potenzial dazu.

Lea hatte das seltene Talent, immer die Seite eines Menschen zu sehen, die im besten Fall und mit dem besten Willen in ihm oder ihr steckte: Sie befasste sich also mit der bestmöglichen Version und nicht mit der Realität. Dies half ihr dabei, Menschen zu mögen, führte aber zu hohen Erwartungen und herben Enttäuschungen, wenn sich dann doch die nicht perfekte Seite unter dem durch Leas Blick verliehenen Glanz zeigte.

Leas Freund Kevin hatte sich in der Zwischenzeit schon als Mensch entlarvt, Dave dagegen war noch unbefleckt. Ein Diamant, der noch zurechtgeschliffen werden konnte. Mit viel Liebe, Unterstützung und Zuspruch. Und er würde das Gleiche für sie tun, sie zu ihrem Licht führen, da war sie sich ganz sicher.

»Hast du Dave in der Zwischenzeit eigentlich noch mal gesehen?«, fragte Paula dann doch betont nonchalant.

Lea seufzte, bevor sie antwortete: »Nein, irgendwie ist es nie dazu gekommen. Wir wollen uns eigentlich schon seit Ewigkeiten verabreden, aber irgendwas kommt immer dazwischen.«

Dass es immer an ihm gelegen hatte und dass sie deswegen sehr traurig war, musste Lea an dieser Stelle nicht erwähnen, denn das konnten Paula und Tine in ihrem Gesicht lesen. Und sie alle kannten ein solches Abwehrverhalten nur zu gut und hatten darüber in verschiedenen Situationen endlose Telefonate geführt.

Trotz ihrer Enttäuschung jagte bei der bloßen Erwähnung von Daves Namen jedes Mal ein Zucken durch Leas Körper. Sie begann sofort, sich wieder zu erinnern. Und es noch einmal zu empfinden, das Gefühl, das sie hatte, als er sie in seinen Armen hielt. Als sie neben ihm schlief, bis seine zärtlichen Hände sie wieder aufweckten. Plötzlich war er ganz nah und berührte sie so, dass sie ihn sofort noch viel näher haben wollte. Tief in sich. Mit ihm verbunden. Und morgens ging es dann gleich weiter. Sie dachte an seine Stimme: »Du fühlst dich so gut an!«, hatte er immer wieder in ihr Ohr geflüstert. Es war unglaublich und sie kriegte die Gedanken nicht aus ihrem Kopf. Warum war sie nur so besessen von ihm? Warum hörte das nicht auf, egal, wie viel Zeit vergangen war? Und warum machte er immer diese Rückzieher, wenn sie sich treffen wollten?

Lea setzte große Hoffnungen auf die nächste Begegnung mit ihm und hatte sich den Moment schon unendlich oft bis ins kleinste Detail vorgestellt. Wie er sie ansehen und sie schließlich anfassen würde. Sie würde noch mal sein wohliges Brummen hören, wenn er ihren Körper berührte. Sie freute sich darauf, endlich wieder seine Lippen zu spüren. Die warmen, weichen Lippen. Und dann würde sie ihn nicht wieder loslassen.

Heute würde Dave sie endlich in ihrer »verbesserten« Version zu sehen bekommen. Sie hatte in den letzten Monaten ziemlich viel trainiert, um sich von all ihren wirren Gedanken abzulenken. Das war mittlerweile deutlich sichtbar. Sie war stark und fit und bereit, die Welt im Sturm zu erobern. Wenn er sie damals schon heiß fand, würde er jetzt umso mehr auf sie stehen.

Sie wollte sich ihm zeigen, ihm ihren neuen Körper präsentieren, ihm eine Möglichkeit eröffnen, wieder auf sie zuzugehen. Oder ihn auch nur aus der Nähe beobachten, um zu bemerken, dass er in ihr nichts mehr auslöste. Lea war überzeugt, dass nur eine einzige weitere Begegnung nötig war, um alle Weichen zu stellen, jede Frage zu beantworten und ein für alle Mal alles zu klären. Die zermürbende Situation von schlechtem Gewissen, Zweifeln und unerträglicher Sehnsucht sollte endlich beendet werden. Sie wollte noch einmal das Kribbeln spüren, die haarige Brust, die starken Hände und sie hoffte gleichzeitig, dass diese unbezwingbare Lust sie einfach wieder verlassen würde.

»Hey, jetzt lasst uns aber wirklich mal losgehen!«, riss Paula sie aus ihren Gedanken.

»Ja, genau, wir wollen ja nicht die ersten Texte verpassen. Auf geht’s, Ladys!«

»Ja, ja, jetzt bloß kein Stress«, entgegnete Lea ihren Freundinnen. »Die fangen sowieso nicht pünktlich an.«

Lea legte noch einen Seeed-Song ein und bemühte sich, ihre Hochstimmung wiederherzustellen, denn offiziell ging es in dieser Nacht ja ausschließlich um die drei Freundinnen. Und die wollten richtig Spaß haben. Lea überpuderte ihr Gesicht schnell auf der Personaltoilette, dann zogen die Ladys ihre Jacken an und gingen nach draußen.

Paula kam der Gedanke, dass sie ja Ole anrufen könnte, um ihn mit einzuladen, ließ sich dann aber von ihren Freundinnen ohne großen Widerstand davon überzeugen, dass er sich melden müsste und sie ihm nicht – schon wieder – hinterherlaufen sollte. Klar, sahen das Lea und Tine so. Die waren ja auch nie dabei, wenn er ihr sein Herz ausschüttete und ihre Nähe suchte. Außerdem hatten die mit ihren Beziehungen gut reden. Als Single musste sie natürlich zusehen, dass sie sich das eine oder andere Date organisierte.

Paula tat so, als würde sie den beiden recht geben. Insgeheim beschloss sie aber, ihm eine total unverbindliche Textnachricht zu schicken, sobald sie aus dem Blickfeld ihrer Freundinnen verschwunden war. Sie hatte keine Lust darauf, tatenlos neben dem Telefon zu warten, bis sich ein Mann bei ihr meldete. Dafür hatte sie schon zu viel erlebt. Sie wollte nur zu gerne, dass Lea und Tine ihren Ole mal kennenlernten, damit sie sich ein Bild von ihm machen und ihre Zuneigung ihm gegenüber verstehen konnten. Sie wollte ein bisschen mit ihm angeben, aber sie brauchte vor allem auch die Unterstützung ihrer Freundinnen beim Analysieren. Sie würde ihn einladen. Wenn er nicht wollte, war er eben selbst schuld.

*

Wie drei Superstars vor der Oscar-Verleihung durchschritten die Freundinnen die gläsernen Türen des Haus 48, eines Veranstaltungshauses auf dem Schulterblatt, der pulsierenden Lebensader des Schanzenviertels, das seit seiner Aufhübschung und Kommerzialisierung von den Hamburgern abfällig »Galaostrich« genannt wird, weil dort die schicken neuen Bewohner wie auf dem Laufsteg vor den portugiesischen Cafés auf und ab gehen.

Die drei Frauen waren mittlerweile leicht betrunken. Sie hatten sich so lange gegenseitig an ihrer Kleidung herumgezupft, dass sie sich nun wie die It-Girls des Schanzenviertels fühlten. Ganz wie in alten Zeiten, nur mit etwas schickeren Klamotten. Sie waren viel zu aufgetakelt für die Location, in der altersschwache Sessel, Sofas und Stühle kreuz und quer im Raum standen. Aber genau dieses Gefühl, aus der entspannten Menge herauszustechen, spornte sie nur noch mehr dazu an, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Heute waren sie die Stars und das konnte ruhig jeder mitkriegen.

Der Poetry-Slam im Haus 48 war mittlerweile anders als jene, die in anderen Locations stattfanden, und das lag hauptsächlich an Dave, dem Moderator, der nicht nur das traditionelle Slampublikum anzog, sondern den Radius auf Reggaefans und politische Wortartisten erweiterte. Hinzu kamen einige Frauen aus den unterschiedlichsten Szenen, die Dave einfach umwerfend fanden.

Er war kein dürrer, blasser Spaßvogel, sondern ein ausgesprochen attraktives und sehr männliches Sexsymbol. Dave war fast zwei Meter groß, hatte eine tief-sonore Stimme, einen massiven, muskulösen Körper und einen dicken Zopf von dünnen, glänzenden Dreadlocks, der fast bis zu seinem ausgeprägt harten Hintern reichte. Und dann hatte er auch noch ein wunderschönes Gesicht und einen unfehlbaren Geschmack, was seine Kleidung anging. Er wirkte lässig, aber nicht schludrig. Schick, aber nicht schleimig. Doch es machte nie den Eindruck, als würde er sich über sein Äußeres überhaupt Gedanken machen. Er war einfach schön. Und dazu dann auch noch nett.

Menschen mochten ihn. Und weibliche Menschen ganz besonders. Würde es Stadtteilführungen in der Schanze geben, wäre er sicherlich eine der vorgestellten Attraktionen. Er war sexy, begabt und ein gekonnter Networker, der sich als Fotograf in der Musikszene etabliert und beste Kontakte hatte. Wenn er an einer Veranstaltung beteiligt war, kamen meist ganz besondere Performer, die er zu seinen Freunden zählte. So reiste diesmal der eingefleischte Reggaekünstler Mystic Dan aus Braunschweig an. Den konnte man in Hamburg ansonsten meist nur einmal im Jahr zum Black History Month live hören. Doch hier trat der Entertainer bereitwillig auf und brachte die Girls mit seinem deutsch-englischen Wortwitz zum Lachen.

Lea lachte wohl am lautesten und das nicht nur, weil sie Mystic Dans Performance so lustig fand. Sie war eingeschüchtert von Daves Anwesenheit und hatte keine Ahnung, wie sie auf ihn reagieren sollte. Ihre Finger waren permanent ineinander verhakt. Außer, wenn sie mit ihren Haaren herumspielte oder ihre Kleidung zurechtrückte. Sie musste daran denken, wie sich sein Körper angefühlt hatte. Alles schien doch so richtig. Er mit ihr bei ihr zu Hause. Sie beide zusammen. Sein Geruch war schon viel zu lange aus ihrem Bett verschwunden. Sie konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wie er gerochen hatte, aber sie wusste noch, dass sie sich damit auf ewig umgeben wollte.

Sie hatte tatsächlich darüber nachgedacht, am nächsten Tag nicht zu duschen, weil sie von ihm eingehüllt bleiben wollte, auch, wenn er nicht mehr bei ihr war. Bis er wieder mit ihr zusammen sein würde. Aber da hatte sie ja auch noch gedacht, dass es auf jeden Fall weitergehen würde. Doch dann kam alles ganz anders.

Lea wusste nicht genau, was sie an diesem Abend erwartete, wie Dave auf sie reagieren würde. Schließlich hätte Dave sie ja sogar kurzfristig auf die Bühne holen oder einen bösen Scherz mit ihr machen können. Der Angstschweiß wartete nur Millimeterbruchteile unterhalb ihrer Hautoberfläche auf seinen Einsatz.

Slamveranstaltungen waren spontan und interaktiv und die Moderatoren versuchten meist, mindestens so unterhaltsam zu sein wie die Teilnehmer an dem Performance-Wettbewerb. Oft geschah das dann auf Kosten von Menschen aus dem Publikum, die sich nicht wirklich wehren konnten. Schließlich hatten die kein Mikrofon und waren den Witzen über ihr Dicksein oder ihr Outfit komplett ausgeliefert.

Doch Dave blieb friedlich, begrüßte das Publikum freundlich und mit einem umwerfenden Lächeln und schäkerte mit den Teilnehmern. Und dann sah er Lea an, ganz direkt. Sie war elektrisiert. Er zwinkerte kurz, machte dann aber weiter, als wäre nichts gewesen. Lea konnte kaum noch ruhig sitzen. Dave stellte die Teilnehmer vor. Die betraten nach und nach die kleine Bühne. Mal total souverän, mal arrogant, mal furchtbar nervös. Sie nutzten mit vollem Einsatz ihre fünf Minuten, um die Zuschauer von sich und ihren Texten zu begeistern. Fünf vom Moderator zufällig ausgewählte Zuschauer wurden zu Juroren und durften jedem Wortkünstler 1 bis 10 Punkte geben. Am Ende gewann der oder die Teilnehmerin mit den meisten Punkten. So einfach und so undemokratisch waren die Regeln eines Slams.

Lea fand es schade, dass oft die Performer mit den hohlsten Texten, die auf eine sehr banale und massenkompatible Art witzig waren, auf dem Siegertreppchen landeten. So kam es dann auch an diesem Abend. Die seichte Story einer Blondine über die Tupperwareparty ihrer Mutter schlug nur knapp einen pseudoradikalen Text, der sich gegen den gemeinen Konsum wandte. Gegen dieses teuflische Monstrum wetterte man in aufwändig zusammengefilzten Dreads und teuer gekauften alternativ aussehenden Klamotten. Viel Aufwand, um zu zeigen, dass man total weit vom Mainstream entfernt war, fand Lea: »Ich kann das echt nicht ertragen, diese Leute sind schuld an dem schlechten Ruf von Dreadlocks, echt, wegen diesen Leuten denken hier so viele, dass Dreadlocks stinken!« Lea war wegen Dave so angespannt, dass sie sich permanent in Rage redete. »Wenn die ’ne Ahnung davon hätten, dass normale Menschen nicht ein Jahr lang mit ungewaschenen Haaren durch die Gegend stinken müssen, um ihre Haare so zu tragen, wären sie wohl nicht so peinlich. Oder würden sich wenigstens dafür schämen!«

Lea redete gern von »normalen Menschen«, wenn sie Afros meinte und wenn sie sich gerade darüber aufregte, dass irgendwelche weißen Menschen zusammenhanglos kulturelle Symbole »klauten«, die sie gar nicht verstanden. Wie die ach-so-heiligen Dreadlocks. Paula und Tine trauten sich nie, Lea zu fragen, was es mit diesen Frisuren eigentlich auf sich habe, welche beeindruckende Geschichte in der Haarpracht stecke, weil sie von Lea nicht für ignorant gehalten werden wollten. Während Paula davon genervt war, dass Lea aus allem immer so eine große Sache machen musste, schrieb sich Tine eine mentale Notiz: »Geschichte von Dreadlocks googeln«, bevor sie die Verkündung der Slamgewinner weiterverfolgte. Sie legte den Arm um Lea, weil sie deutlich merkte, dass die sich nicht besonders wohlfühlte. »Alles in Ordnung?«, fragte sie flüsternd. Lea nickte langsam: »Schon okay. Danke.«

Der gefühlvolle, bewegend offene Text von einem jungen Typ, der in gerappten Reimen über den Tod eines Freundes sprach, landete auf Platz 6. Auch das machte Lea traurig. Sie hatte bei der Performance Gänsehaut und feuchte Augen bekommen und war tief berührt. Der Text erinnerte sie an den Tod eines Freundes. Das war das erste Mal gewesen, dass ein Mensch in ihrem Freundeskreis gestorben war. Ein junger Mensch. Jemand, der – wie sie – ein Rebell sein wollte, jemand, der sich für etwas einsetzte und gegen Dinge kämpfte, die nicht in Ordnung waren. Es hatte ihr Angst gemacht, dass gerade jemand, der einen Sinn in seinem Leben sah, aufgegeben hatte. Er hatte es selbst beendet.

Sie wünschte sich, auch eine Ausdrucksform für solche Gefühle zu haben. Sie liebte es, wenn andere ihre Gefühle in Worten beschreiben konnten. Sie blieb aber Konsumentin und konnte sich höchstens fremde Worte ausleihen, um deutlich zu machen, was sie meinte. Wenn sie versuchte, eigenständig etwas zu schreiben, blieb es hölzern und wirkte konstruiert und so ließ sie es lieber bleiben. Sie war froh darüber, dass sich hier an ihrer Stelle und an diesem Ort jemand an einen verlorenen Menschen erinnerte. Das half. Auch wenn ihr verstorbener Freund mehr mit der Roten Flora nebenan verbunden war als mit dem vergleichsweise neuen und im Viertel stark kritisierten Haus 48.

Es hatte eine Weile gedauert, bis sich kaum mehr jemand fragte, ob das Veranstaltungshaus in diesem Viertel überhaupt richtig war oder nicht doch nur verwerfliche, also kommerzielle, Ziele verfolgte. Das Programm war dann allerdings so vielschichtig und spannend, dass es irgendwann dazugehörte, als wäre es schon immer hier gewesen. Genau wie bei einem ehemaligen Fixertreffpunkt, der zwischen Leas Bar und dem Veranstaltungshaus lag. Der wurde dichtgemacht und durch ein schickes Café ersetzt. Anfangs waren viele sich nicht sicher, ob sie das durch ihren Besuch unterstützen sollten. Doch irgendwann entschied sich die Masse, dass die Betreiber nichts für die Politik des Senats konnten und das Café doch ganz nett war. Also wurde es Teil der Schanzenkultur, die sich immer mehr veränderte. Von einem verschrienen Stadtteil für die, die nicht Teil des Mainstreams sein wollten oder konnten, wurde es nach und nach zu einem hippen In-Viertel, was aber auch vielen Anwohnern deutlich missfiel.

Tine hingegen war in Bewunderung versunken und starrte lächelnd auf nur einen Mann. Der Special Act Mystic Dans hatte sie restlos begeistert. Bei seiner Performance hatte der Saal gekocht und sie fand es schade, dass sein Auftritt nicht Teil des Wettbewerbs war: »Wäre Mystic Dan mit im Rennen gewesen, hätte er ganz locker alle anderen in den Schatten gestellt, das ist schon mal klar. Eine Geschichte über ’ne Tupperparty? Wen interessiert denn so was?«

Tine wollte auch auf dieser Bühne stehen und so tolle Sachen sagen wie Mystic Dan, zu dem sie sich augenblicklich hingezogen fühlte. »Wow, der hat so eine Ausstrahlung und so viel Talent! Warum kennt man den denn nicht? Der müsste doch viel bekannter sein.«

Lea, die vor ihrem Studium mal bei einem Musiklabel gearbeitet und in dieser Zeit frustriert ihre musikalischen Ambitionen aufgegeben hatte, entgegnete: »Das ist doch immer so! Es gibt so geile Leute mit wahnsinnig viel Talent. Bei manchen denkst du, die würden alles Nötige mitbringen. Und letztlich werden dann nur irgendwelche mittelmäßigen Langweiler gesignt und promotet. Denk doch mal an die Brothers Keepers, die haben noch nicht mal mehr ein Label, weil sie weiter politische Sachen sagen wollen.«

»Ja, stimmt, aber es hat doch wohl nicht alles was mit Politik zu tun! Mystic Dan ist ganz offensichtlich ein wirkliches Ausnahmetalent, da muss man doch was machen können. So was hab ich noch nie gesehen! Ich frag ihn gleich mal, ob er ’ne CD hat.« Und schon war sie aus dem Blickfeld ihrer Freundinnen verschwunden und versuchte, den Künstler anzusprechen.

Tine war von der Präsenz des Musikers angetörnt. Sie stellte sich vor, wie die Arme, die auf der Bühne so energiegeladen seine kunstvoll kombinierten Worte unterstrichen hatten, ihren Körper mit festem Griff packten. Wie Mystic Dan sie fingerte, während er sie mit seinem durchdringenden Blick grinsend ansah, um genau zu beobachten, wie ihr Gesichtsausdruck sich durch ihre Erregung veränderte.

Als ihr auffiel, dass sie Schweißtropfen von ihrer Stirn wischte, schüttelte sie verdutzt den Kopf und sah sich eilig nach Paula und Lea um, um zu überprüfen, ob sie beim Fantasieren erwischt worden war. Nein, die waren in ihren eigenen Gedanken versunken. Also machte Tine sich schnell klar, dass sie sich eben nur auf eine seltsame kleine Fantasie eingelassen hatte, die nichts weiter bedeutete.

Lea konnte sie das nicht erzählen, das war klar. Die regte sich immer über die Sexualisierung von Schwarzen Menschen auf. Was genau sie damit meinte, wusste Tine aber nicht wirklich. Und auch hier traute sie sich nicht so richtig nachzufragen, weil sie nicht unreflektiert wirken wollte. Manchmal war Lea auch gar nicht offen für solche Nachfragen und forderte Tine auf, sich gefälligst selbst zu informieren oder einfach noch einmal darüber nachzudenken. Tine beruhigte sich. Sie hatte sich nur von ihrer Bewunderung hinreißen lassen und rief sich ins Gedächtnis, dass sie im Grunde ganz glücklich und zufrieden in ihrer Beziehung zu Max war. Sie konnte Mystic Dan nirgends sehen, also blieb sie einfach stehen und verschaffte sich einen Überblick über den düsteren Raum.

Tine war anfällig für Groupiemechanismen, das war sie schon immer gewesen. Sie konnte sich so sehr für Personen begeistern, gerade, wenn die irgendwo auf der Bühne standen und etwas Schöpferisches taten, dass sie sich vorstellte, sich ihnen komplett zu unterwerfen. Ihren Freund Max bewunderte sie dagegen nicht besonders. In ihrer Beziehung hatte sie die Hosen an.

Sie checkte die Uhrzeit auf ihrem Handy, um zu sehen, wie lange es noch dauern würde, bis Max sie abholte. Sie würde ihm später einen ordentlichen Drink verpassen und ihn dann, sobald sie ihn ein bisschen angeheizt hatte, dazu verdonnern, ganz leise zu sein. So könnte sie sich die Stakkatostimme von Mystic Dan vorstellen, während sie mit Max schlief. Ja, das klang nach einem guten Kompromiss. Mystic Dan war sowieso nirgends zu sehen.

*

Dave verabschiedete sich mit einem letzten Scherz vom Publikum, ein Song der Hamburger Reggaecombo I-Fire begleitete seinen Abgang von der Bühne. »Ich mach das, was ich will und tu niemandem weh«, kam aus den Speakern, während Dave sich am Bühnenrand mit einigen Frauen unterhielt. Doch die Szene hatte einen Fehler. Der Songtext passte nämlich nicht so richtig zu Dave, auch wenn er sich gerne als total anständig und fair darstellte. Als richtigen Saubermann. Ob er es nun wollte oder nicht, er verursachte Schmerz. Zumindest bei Lea.

Dave zog Frauen an wie das Licht die Mücken. Sie belauerten ihn, beobachteten ihn und machten ihm eindeutige Angebote. Er reagierte darauf immer freundlich und unverbindlich. Und dadurch fanden sie ihn noch umso toller. Sie bewunderten die Treue zu seiner Freundin und versuchten gleichzeitig, sie zu brechen. Es war ein wahres Schauspiel, die Mädels bei ihrem Balzritual zu beobachten.

Lea wollte eigentlich bei ihren Freundinnen bleiben, bis der Bienenschwarm sich verzogen hatte, bevor sie sich mit Dave unterhielt, aber das schien sich alles ewig hinzuziehen. Sie konnte und wollte nicht mehr warten. Nicht nach all den Wochen und Monaten, in denen sie darauf gehofft hatte, ihn zu treffen. Sie wollte ihn sprechen. Sofort. Also stellte sie sich einfach an dem Pulk an. Und sie hasste das Gefühl.

Als Dave Lea bemerkte, lächelte er sie an, charmant wie immer, und streckte ihr seine Arme hin: »Hi, wie geht’s dir?«, fragte er während der Bussi-Bussi-Zeremonie.

»Sehr gut. Und dir?«

»Auch gut, es ist ziemlich viel los bei mir, ich zieh ja auch noch in ein neues Studio. Solltest es dir mal ansehen, wenn es fertig ist.«

»Ja, gern, wann ist es denn so weit?«

»Ich sag dir Bescheid. Echt cool, dass du gekommen bist, ich hab dich vorhin schon gesehen.«

Sie starrte in sein Gesicht und wartete auf ein Gefühl, auf eine Antwort, ein Zeichen. Sie wartete darauf, dass er die Veränderungen an ihr bemerkte. Dass er ihr sagte, wie toll sie aussah. Doch nichts geschah. Gar nichts. Weder in ihr noch zwischen den beiden.

Lea wartete vergeblich auf etwas, von dem sie nicht einmal wusste, was es war, bis eine weitere durchgestylte Frau mit einem fransigen Haarschnitt anrückte und Dave sich von Lea verabschiedete: »Wir reden später weiter, okay?«