Schattennummer - Thomas Pynchon - E-Book

Schattennummer E-Book

Thomas Pynchon

0,0
22,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Milwaukee, 1932: Amerika steckt in der Großen Depression, die Aufhebung der Prohibition steht kurz bevor, Al Capone sitzt im Knast. Hicks McTaggart, Privatdetektiv, nimmt einen Routinejob an: Er soll die ausgebüxte Erbin eines Käse-Fabrikanten ausfindig machen und nach Hause bringen. Doch unversehens findet er sich auf einem Ozeandampfer wieder und landet schließlich fern jedem Seehafen in Ungarn, wo eine Sprache wie von einem anderen Stern gesprochen wird und es genug Backwaren gibt, um einen Detektiv bis ans Lebensende zu versorgen, aber jede Spur von der flüchtigen Erbin fehlt. Als Hicks sie endlich gefunden hat, steckt er bis zum Hals in Verwicklungen mit Nazis, sowjetischen Agenten, britischen Gegenspionen, Swing-Musikern und Liebhabern paranormaler Praktiken. Der einzige Hoffnungsschimmer am Horizont: Es kündigt sich die große Zeit der Big Bands an, und zufällig ist Hicks ein ziemlich guter Tänzer. Ob das ausreicht, um im Lindy-Hop-Schritt nach Milwaukee und in die normale Welt zurückzukehren, die es vielleicht gar nicht mehr gibt, steht auf einem anderen Blatt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 474

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thomas Pynchon

Schattennummer

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl und Dirk van Gunsteren

 

Über dieses Buch

Milwaukee, 1932: Amerika steckt in der Großen Depression, die Aufhebung der Prohibition steht kurz bevor, Al Capone sitzt im Knast. Hicks McTaggart, Privatdetektiv, nimmt einen Routinejob an: Er soll die ausgebüxte Erbin eines Käse-Fabrikanten ausfindig machen und zurück nach Hause bringen. Doch unversehens findet er sich auf einem Ozeandampfer wieder und landet schließlich fern jedem Seehafen in Ungarn, wo eine Sprache wie von einem anderen Stern gesprochen wird und es genug Backwaren gibt, um einen Detektiv bis ans Lebensende zu versorgen, aber jede Spur von der flüchtigen Erbin fehlt. Als Hicks sie endlich gefunden hat, steckt er bis zum Hals in Verwicklungen mit Nazis, sowjetischen Agenten, britischen Gegenspionen, Swing-Musikern und Liebhabern paranormaler Praktiken. Der einzige Hoffnungsschimmer am Horizont: Es kündigt sich die große Zeit der Big Bands an, und zufällig ist Hicks ein ziemlich guter Tänzer. Ob das ausreicht, um im Lindy-Hop-Schritt nach Milwaukee und in die normale Welt zurückzukehren, die es vielleicht gar nicht mehr gibt, steht auf einem anderen Blatt.

Vita

Thomas Pynchon wurde 1937 in Long Island geboren. Er gilt als einer der bedeutendsten englischsprachigen Schriftsteller der Gegenwart. Seine Romane V., Die Versteigerung von No. 49, Die Enden der Parabel, Spätzünder, Vineland, Mason & Dixon, Gegen den Tag, Natürliche Mängel und Bleeding Edge sowie seine Erzählungen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Thomas Pynchon lebt in New York.

 

Nikolaus Stingl wurde für seine Übersetzungen aus dem Englischen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis, dem Paul-Celan-Preis und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW.

 

Dirk van Gunsteren übersetzte u. a. Jonathan Safran Foer, Colum McCann, Philip Roth und T.C. Boyle. 2007 erhielt er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2025 unter dem Titel «Shadow Ticket» bei Penguin Press, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Shadow Ticket» Copyright © 2025 by Thomas Pynchon

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München, nach dem Original von Penguin Random House LLC

Coverabbildung Gyökhegyi Bánk/Ilyen is volt Budapest

ISBN 978-3-644-02576-9

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

Hinweise des Verlags

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

Im Text enthaltene externe Links begründen keine inhaltliche Verantwortung des Verlages, sondern sind allein von dem jeweiligen Dienstanbieter zu verantworten. Der Verlag hat die verlinkten externen Seiten zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung sorgfältig überprüft, mögliche Rechtsverstöße waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Auf spätere Veränderungen besteht keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

 

 

www.rowohlt.de

«Übernatürlich, vielleicht. Unsinn … vielleicht nicht.»

 

BELA LUGOSI

Die schwarze Katze (1934)

1

Wenn Ärger in die Stadt kommt, nimmt er meist die North-Shore-Linie. Weiter südlich am See, in Chicago, sind die Zeiten hart, der Wind hat gedreht, die Aufhebung der Prohibition steht kurz bevor, Big Al sitzt im Bundesknast in Atlanta, das Syndikat ist sprunghaft und unberechenbar geworden, und wer einen Vorwand braucht, schleunigst zu verschwinden, fährt rauf nach Milwaukee, wo selten was Schlimmeres passiert, als dass einem jemand einen Fisch klaut.

Hicks McTaggart läuft schon den ganzen Tag im Third Ward herum und behält zwei Touristen mit Borsalinos und schwarzen Kamelhaarmänteln im Auge, die vom Hauptquartier an der 22nd, Ecke Wabash raufgeschickt worden sind, denn wenn’s in Milwaukee was zu regeln gibt, kümmern sich die Chicagoer Jungs darum, und zwar seit Vito Guardalabene vor zehn Jahren den Löffel abgegeben hat, auch wenn Vitos Nachfolger Pete Guardalabene nach wie vor als Chef des Ward gilt und sein Foto in den Klatschspalten auftaucht, lächelnd, auf Hochzeiten und so.

Hicks drückt sich in der Gasse hinter Pasquales Bella Palermo herum, hört nudelwickelnde Geselligkeit, riecht Spaghettisauce, bratenden Knoblauch und Sfincione bagherese auf einem Feuer aus Olivenholz, und das macht ihn hungrig, doch so kurz vor dem Zahltag besteht sein Mittagessen aus Thermosflaschenkaffee und einem Buttermilchkrapfen, den er in irgendeine Tasche gestopft hat.

Das Geräusch der Explosion scheint von jenseits des Flusses und irgendwo näher am See zu kommen. Gabeln und Gläser halten auf dem Weg vom Tisch zum Mund kurz inne, als würden alle eine Sekunde stillen Gedenkens einlegen. Niemand wirkt überrascht.

Als man etwas später auf die Straße tritt, ist die Sache noch immer Thema.

«Da kommt man her, um ein bisschen Ruhe und Frieden zu finden, und dann …»

«Diese Stadt klingt langsam wie Chicago.»

Die zwei sehen einander an, als wüssten sie was. Hinter der Vertraulichkeit oder Gleichgültigkeit ist eine tiefe Bosheit am Werk.

In den Stunden, die vergehen, bis die beiden Glücksnasen wieder im Zug sitzen, hört Hicks diverse Geschichten von Ehekrächen im Gangstermilieu oder beschlagnahmten Spritlieferungen, wie sie jeder kennt, und das ist nicht besonders hilfreich, nicht hilfreicher als das, was er jetzt im Oriental Drugs erfährt, einer Kombination aus Drugstore, Werkzeugladen und Imbiss, Herz und Seele der East Side, wo er gewöhnlich verlässliche Informationen über das kriegt, was in Milwaukee so läuft, und sich manchmal, sofern es nicht allzu kurz vor dem Zahltag ist, ein Mittagessen leistet, während er andernfalls lieber zu Otto’s Oasis geht, einem als Nachbarschaftsimbiss getarnten Speakeasy mit einem Angebot, das von erst vor Stunden aus einer Badewanne gepumptem Fusel bis hin zu per Schnellboot geschmuggeltem Eins-a-Sprit reicht, und wo er heute durch pures Glück genau in dem Moment neben der Küchentür steht, in dem Ottos Frau Hildegard ein Tablett voll Knabbereien zur Theke bringen will, und während die anderen Hildegard begrapschen, gelingt es Hicks, dem das sizilianische Essen bei Pasquale nicht aus dem Kopf geht, sich so viel von diesem Zeug zu sichern, dass er wenigstens die nächsten paar Stunden überstehen wird.

 

Später, in der Detektivagentur Unamalgamated Ops, erwartet ihn sein Boss Boynt Crosstown an der Tür, so nervös, dass seine Füße einen schnellen Viervierteltakt auf die Schwelle klopfen.

«Blitzmitteilung» – er packt Hicks’ Krawatte und tut, als würde er ihn quer durchs Büro in sein Zimmer zerren –, «dauert bloß eine Minute.»

Hicks versucht, eine gewisse Professionalität zu wahren. «Du hast zur Mittagszeit nichts gehört, nehme ich an …»

«Bomben kommen, Bomben gehen, die Handelskammer von Santa Flavia ist nicht mehr so wichtig, schreib mir einen kurzen Bericht, aber das sind bloß Kinkerlitzchen, ich hab uns was Fabelhaftes an Land gezogen, und ich sage dir, damit sind wir alle gemachte Männer …» Und so weiter.

«Ich wollte, du würdest nicht zur Arbeit kommen, wenn du so bist, Boynt.»

«Klar, klar, aber es ist zur Abwechslung mal nicht bloß der Tagtraum zur Wirtschaftskrise, sondern da ist Geld drin, großes Geld, ich hab’s gesehen!»

Bei Boynt erweist sich so was gewöhnlich als unleserlicher, mit Bleistift auf eine feuchte Papierserviette geschriebener Schuldschein. Hicks ist bemüht, sich seine Skepsis nicht anmerken zu lassen.

«Diesmal ist es wirklich da, auf dem Tisch und so grün, wie Wisconsin war, bevor sie alles abgeholzt haben.»

«Zu dumm, dass meine Matratze voller ist, als die Polizei erlaubt, die Scheine hängen schon raus, du verstehst …»

«Du warst immer zu billig», sagt Boynt und wackelt mit dem Kopf. «Hast auch vor dem Crash für Kleingeld gearbeitet.» Er drückt auf eine Taste der Gegensprechanlage. «Thessalie, würden Sie uns bitte die Akte bringen?»

«Ihr habt einen ganz anderen Steuersatz da oben in Shorewood, stimmt’s?» Boynt kriegt hier den größten Teil der klassenkämpferischen Sticheleien ab, die in Industrienähmaschinentempo und praktisch pausenlos kommen, seit sich eine bestimmte Seite aus seiner vertraulichen Personalakte eines Tages zu einem Papierflugzeug gefaltet hat und in den Raum mit dem Vervielfältigungsapparat gesegelt ist, von wo Kopien im Handumdrehen zu jedem Mitarbeiter gefunden und verkündet haben, dass Boynt pro Jahr etwas über zehntausend verdient und außerdem an einigen Nebengeschäften beteiligt ist, über die man vielleicht irgendwann, aber bestimmt nicht sehr bald Näheres erfahren wird.

Thessalie Wayward kommt mit einem einigermaßen umfangreichen Aktenordner herein, den Boynt sogleich dramatisch aufklappt. Hicks sieht einen vertrauten Ausschnitt aus einer Boulevardzeitung.

«Was ist das? Ist der gute alte Bruno wieder im Spiel?» Damit ist der örtliche Multimillionär Bruno Airmont gemeint, in der Milchindustrie bekannt als Al Capone des Käses, der sich im Exil befindet, seit er vor nicht allzu vielen Jahren einen Schrankkoffer mit Geld gefüllt hat und mitten in der Nacht abgehauen ist. «Angeblich liegt er in einer Hängematte und lässt sich’s gutgehen», gibt Hicks vor, sich zu erinnern, «auf irgendeiner fernen tropischen Insel, von der keiner weiß, wie sie heißt, und wo er Singapore Slings aus dem Feuerwehrschlauch trinkt. Was ist los – macht ihn der Ruhestand ein bisschen unruhig?»

«Eigentlich geht’s eher um seine Tochter Daphne, mit der du, wenn ich nicht ganz falsch informiert bin, mal was hattest.»

«Lange her.» Hicks zieht ein Päckchen Zigaretten aus der Hemdtasche, klebt sich eine an die Lippe, zündet sie an. «Was macht die jetzt so?»

«Wie’s aussieht, ist deine alte Flamme mit dem Klarinettisten einer Swingband durchgebrannt.»

«Immer in Bewegung. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie angeblich mit einem North-Shore-Pinkel verlobt.»

«Mit dem Glücklichen hatte ich gerade ein Telefonat, G. Rodney Flaunch von den Glencoe-Flaunches. Er fungiert als Sprecher für eine Reihe von Personen, die uns engagiert haben, und ich kann nur sagen, dass der Honorarrahmen für diese Leute keine große Rolle zu spielen scheint.»

«Und unser Job wäre …»

«Wir sollen Miss Airmont aufspüren, sie mit schönen Worten von diesem Klarinettisten loseisen und nach Hause bringen. Also einfach abholen und abliefern.»

«Da wird jemand aber viel Spaß haben. Schade, dass ich, wie du dich erinnerst, keine Untreue-Ermittlungen mache.»

Eins der ersten Dinge, die Hicks damals, als er neu in der Branche war, auffielen: Wie viele Scheidungskandidatinnen allein in Milwaukee und Waukesha geneigt schienen, sich über verbotene Flüssigkeiten zu verbreiten und in die intimsten Details zu gehen, als würden sie ihn mit einem billigen Anwalt verwechseln, bei dem es Muskelkraft gratis dazugab. Das führte zu romantischen Verwicklungen, die man sich – bis auf jene, die Hicks gar nicht kommen sah – leicht vorstellen kann, und nachdem er das oft genug erlebt hatte, war er nur zu bereit, Untreue fortan tatkräftigen jungen Kollegen wie Zbig Dubinsky zu überlassen, der die Erfindung des Reißverschlusses für den Hosenschlitz als bedeutenden zivilisatorischen Fortschritt betrachtet und sich gern auf jede noch so lange, traurige Geschichte einlässt, solange nur die geringste Chance besteht, dass er dabei ein bisschen Dampf ablassen kann.

Was Boynt aber wie üblich ignoriert.

«Nur dass du in diesem Fall eine persönliche Beziehung zu der fraglichen Dame hast – entschuldige, aber was ist das für ein Ausdruck auf deinem Gesicht?»

«Das? Ungeteilte Aufmerksamkeit, glaube ich.»

«Nein, wenn überhaupt, ist es ‹Armer alter Boynt›, und das auch noch geheuchelt. Seit wann bist du so tugendhaft? Du bist hier doch derjenige mit der glamourösen, man könnte auch sagen, schmutzigen Vergangenheit.»

«Weshalb ich noch weniger qualifiziert bin.»

Plötzlich Unruhe im Vorzimmer, und schon kommt ohne Termin Skeet Wheeler reingerannt, ein junges Fliegengewicht mit einem Porkpie-Hut, dicht gefolgt von Thessalie, deren Versuchen, ihn zurückzuhalten, er sich nicht besonders entschlossen zu entziehen scheint.

«Hicksie! Du musst was unternehmen! Du hast es doch auch gehört, oder?»

«Klar, jeder in der Stadt muss es gehört haben, aber was war es?» Wenn irgendwer was weiß, dann Skeet.

«Stuffy Keegans Schmugglerkarre. Jemand hat ’ne Ananas druntergerollt und sie in Arsch gemacht.»

«Sagt man nicht», murmelt Boynt.

«Hat Stuffy was abgekriegt?»

«Keiner sagt was, alle schweigen wie die Gräber. Wenn er sich nicht verpisst hat und noch lebt, hängt er’s an keine Glocke.»

Hicks kennt Stuffy Keegan oder führt jedenfalls seit dem Beginn von dessen Karriere als Kleinkrimineller und Polizeispitzel der billigen, wenn nicht spottbilligen Sorte eine mentale Akte über ihn. In diesen Zeiten und dieser Gegend ist Stuffys Vorstrafenregister, obgleich streng genommen kriminell, nichts Besonderes, abgesehen von der Anzahl paranoider Fehleinschätzungen wie der, durch die er überhaupt hier gelandet ist: Bei einer Routinefahrt ohne sonstige besondere Vorkommnisse sah er, vermutlich infolge von Schlafmangel, im Rückspiegel immer mehr Polizisten, die, wenn es denn wirklich welche waren, vielleicht gar nicht vorhatten, ihn anzuhalten, ja ihn möglicherweise nicht mal bemerkten. In Waukesha gingen dann die Nerven mit ihm durch: Er fand ein Telefon, rief bei der Polizei an und bat sie zu kommen, damit sie die Sache hinter sich bringen konnten.

«Die waren von der Highway Patrol, ich sag’s euch, eine ganze Schwadron mit Blinklichtern und Sirenen und –»

«Klar, Mr. Keegan, wir haben verstanden. Keine Sorge, wir kümmern uns darum.»

Überzeugt, dass mit dem Rückspiegel, in dem er jetzt anfing, Dinge zu sehen, die er nicht sehen wollte, irgendwas nicht stimmte, tauschte Stuffy den Lastwagen gegen einen REO Speed Wagon mit normalem Rückspiegel ein und war bald ein vertrauter Anblick in den ramponierten Konvois, die sich zwischen hier, Detroit und Toledo durch den Wind kämpften und normalerweise Halbliterflaschen transportierten – mit quadratischem Querschnitt, um den begrenzten Frachtraum besser auszunutzen –, in Kanada für zwei Dollar gekauft, hier für sieben Dollar an Zwischenhändler vertickt und von diesen auf das Doppelte und manchmal Dreifache verdünnt. Auf dem Rückweg von Toledo nach Milwaukee brachte Stuffy oft eine eisgekühlte Ladung Erie-Barsche mit, die auf den Speisekarten der örtlichen Fischlokale als Michigan-Barsche auftauchten, weil die Bestände dieser Tiere seit Jahren ziemlich überfischt waren.

«Mit der Karre» – Skeet macht ein unglückliches Gesicht – «ist er aus so vielen haarigen Situationen rausgekommen … ‹Mein kleiner Trampdampfer› hat er das Ding genannt, und jetzt ist es bloß noch ein Haufen Schrott ohne Restwert.»

«Pass auf, Kleiner – du wirst sentimental.»

Boynt, nachdem er Skeet auf seine übliche abschätzige Art von oben bis unten gemustert hat: «Wenn ich mich recht entsinne, haben wir gerade eine Wirtschaftskrise und können uns keine Gratisarbeit mehr leisten, es gab dazu ein Memo, ich hab’s dir persönlich überreicht.» Er nimmt die Akte über die durchgebrannte Käseerbin, klopft Hicks damit sanft auf den Kopf, drückt sie ihm in die Hand und steuert wieder auf sein Büro zu. «Sieh dir das mal an und sag mir, was du davon hältst, Hicks.» Er knallt die Tür nicht zu, aber die Art, wie er sie schließt, ist irgendwie nachdrücklich.

«War das Dampf, was da aus seinen Ohren gekommen ist? Bin ich mal wieder in irgendwas reingeplatzt?»

«Nichts, das nicht warten kann. Neue Uhr, wie ich sehe.»

«Hamilton, leuchtet im Dunkeln.»

«Ganz schön schick, Skeet.»

«Ich kann nichts dafür, sie findet mich eben süß, und das ist ihre Art, es zu zeigen.»

«Aha.» Oder, ebenso wahrscheinlich, er hat sie einem abgenommen, der aus einem Speak getaumelt ist. Aber bei Skeet kann man nie wissen, und so beschränkt Hicks sich auf onkelhaftes Wohlwollen. Skeet gehört zur jungen, modernen Generation von Taschendieben, die sich nicht mehr für die Taschenuhren der Alten, Unaufmerksamen interessieren, sondern die Herausforderung suchen, am helllichten Tag eine Armbanduhr zu klauen, wo einen jede Spezialschnalle, jede zusätzliche Sicherung einen fatalen Sekundenbruchteil kosten kann.

Skeet zündet sich eine erloschene Zigarre an, die nie merklich kürzer zu werden scheint, der schwärzeste aller schwarzen italienischen Bolzen. Sie ist steinhart und erlischt, wenn man nicht ständig daran zieht, also lässt man sie nach einer Weile ausgehen, behält sie aber im Mund.

«Okay, wie gehen wir das an?» Er holt von irgendwo einen .32er mit kurzem Lauf hervor und tut, als würde er überprüfen, ob er geladen ist.

«Herrgott, Skeet.»

«Ein sogenannter Kids’ Special.»

«Ballerst du viel damit herum?»

«Bis jetzt nur draußen auf der Müllkippe. Aber wart’s nur ab, eines Tages wirst du auf der Titelseite des Journal davon lesen.»

Als Hicks auf der Highschool war, hat er auch so geredet. Anderthalb Minuten lang reist er zurück durch die Zeit und sieht sich selbst als Jungen.

«Okay, okay, Skeet. Jetzt mal zu dieser Bombe: Auf wen tippst du?»

«Einige sagen, das muss einer aus dem Third Ward gewesen sein.»

«M-hm.» Mahnender Finger. «Wenn du mal Detektiv werden willst, musst du vor allem lernen, unvoreingenommen zu denken. Für die vom Milwaukee Police Department sind Bombenleger, ganz gleich, wie die Umstände sind, immer Italiener, aber im wirklichen Leben gibt’s in jedem Viertel Bombenbastler, sogar bei den Deutschen und den Polen. Was ist mit Geld, was ist mit Stuffys Kumpels, mit wie viel steht er bei wem in der Kreide, und macht er vielleicht mit der Braut von irgendeinem hohen Tier rum?»

«Wenn’s um das Liebesleben von Erwachsenen geht, solltest du lieber einen von den Zeitungsfritzen fragen, die kennen sich da wirklich aus.»

Obwohl Skeet nur selten Zeitung liest, schafft er es, die Bandenkriege zu verfolgen, wie ein Junge die Basketballliga verfolgt. In der Brieftasche hat er ein aus dem Journal ausgeschnittenes Foto von Al Capone, auf das Skeet – oder jemand anders – geschrieben hat: «Für meinen alten Kumpel Skeet, der mir alles beigebracht hat – Grüße und tanti auguri, immer Dein Al.»

Das meiste über das, was läuft, erfährt er aus dem Radio und durch seine tagtäglichen Kontakte zur Kinderunterwelt: Schulschwänzer, Herumtreiber, Straßenjungen, Zeitungsverkäufer an jeder Ecke und Haltestelle, und die haben ihrerseits die Antennen ausgefahren. «Es ist wie bei Mussolini», erklärt Skeet, «die kleinen Kinder melden es den größeren Kindern, die melden es mir, ich melde es dir, und so geht es immer weiter die Pyramide rauf.»

«Und … der Mussolini dabei ist wer? Pete Guardalabene?»

«Du weißt doch, dass Pete bloß mittleres Management ist, und für Joe Vallone gilt dasselbe – beide werden, wie jeder andere in dieser Stadt, aus Chicago ferngesteuert.»

Hicks und Skeet kennen sich seit ein paar Jahren, seit einer dieser Handgranaten- und Bankraubwellen, die hin und wieder durch die Stadt schwappen und die Nerven der Bürger strapazieren. Hicks hatte sich damals in einer kürzlich überfallenen Bank umgesehen, im Auftrag eines Klienten, dessen Guthaben entweder in den Säcken der Bankräuber oder in der Handtasche seiner künftigen Exfrau verschwunden war.

Bevor er jemand findet, mit dem er reden kann, gibt es einen lauten Knall, und sofort rennen die Leute in alle Richtungen und schreien: «Da sind sie wieder», «Rette sich, wer kann» und so weiter. Hicks stellt sich in einen Winkel, in dem es vermutlich nicht so überlaufen sein wird, und wartet. Keine Sizilianer mit abgesägten Flinten, kein Pulverdampf, keine Feuerwehr, keine blutenden Opfer. Er sperrt Augen und Ohren auf und wartet. Schon bald kommt hinter einer künstlichen Palme ein kleiner, aber energiegeladener Bursche mit einer Tasche voll Luftballons und ein paar Nadeln hervor. Er bläst verstohlen einen Ballon auf, verknotet die Öffnung, hält nach möglichen Opfern Ausschau und merkt, dass Hicks ihn beobachtet.

«O-oh.»

«Sind dir die Leute noch nicht schreckhaft genug?»

«Bitte, Mister, lassen Sie mich laufen, ich bin doch noch ein Kind.»

«Stimmt, und du gehst mir auf die Nerven, also hau ab, verschwinde.»

«Sie haben mich», sagt das Kerlchen, «gerade vor dem Erziehungsheim, dem Jugendknast oder vielleicht Schlimmerem bewahrt.»

«Bist du noch da? Na los, hau ab!»

«Sie zahlen vielleicht nicht alle Schulden zurück, aber andere schon.»

Seitdem ist Skeet immer wieder still und unangemeldet aus dem Getriebe der Stadt aufgetaucht und hat sich im Lauf der Zeit als hoffnungsvoller Lehrling erwiesen, der den Wunsch und vielleicht sogar schon einige der nötigen Fertigkeiten, aber noch immer keine Ahnung hat, was ihn jenseits der nächsten Türschwelle erwarten könnte, und der glaubt, dass er – Gott sei ihm gnädig – später Detektiv werden will, aber nicht, wie er betont, ein Feld-Wald-und-Wiesen-Schnüffler wie Hicks, sondern «stilvoller, wie Sherlock Holmes und so».

«Nur zu.»

«Wenn das mit Stuffys Wagen kein Profi war», denkt Skeet jetzt laut, «dann also ein Amateur?»

«Amateure», sagt Hicks schulterzuckend, «machen ehrlich gesagt nicht annähernd so viel Spaß: wenig Geld, zweifelhafte Schnuckenqualität, viel Arbeit, zu wenig Ertrag –»

«Ja, aber abgesehen davon …»

«Gib dich nie mit Kleckerkram ab, Kleiner, nie, hast du gehört? Glamour! Hoher Einsatz, hohe Sprengkraft, hohes Risiko –»

«Du bist wirklich ein toller Führer durch die Minenfelder der Jugend, Hicks.»

Soviel er weiß, war Skeet eins dieser Weihnachtsbabys, die in den Unterständen der Polizei abgelegt wurden. Überall in Milwaukee gab es diese Hütten, wo ein Streifenpolizist für ein paar Minuten Zuflucht vor der Kälte finden konnte – ein paar Minuten und nicht länger, denn sonst wurde man von einem Typen in der Zentrale aufgeschreckt, der es witzig fand, sich mitten in der Nacht in die Köpfe anderer Leute zu schleichen und einen Heidenlärm zu veranstalten. Auf dem Boden dieser Hütten lag Stroh, damit die Plattfüße warm genug blieben, um jederzeit Türen eintreten zu können, und weil das die Leute so sehr an den Stall zu Bethlehem erinnerte, entwickelte sich, als die Wirtschaftskrise richtig in Schwung kam, ein regelrechter Weihnachtsbrauch. Verzweifelte Eltern legten ihre Babys nicht nur vor Kirchentüren, sondern auch in diesen Polizeihütten ab: eine Weihnachtskrippe, bei der Ochs und Esel durch Streifenpolizisten ersetzt worden waren.

Skeet lernte die Lichter der Stadt kennen und erfuhr, wie viel oder wenig Trost er von ihnen erwarten konnte. Sein Spiegelbild in Schaufensterscheiben brachte ihm nach und nach bei, wann und wie sehr er sichtbar zu sein hatte und wie er sich unsichtbar machen konnte, er lernte die Halbschatten der Laternenpfähle an den Endstationen der Trolleybusse am Rand von Vororten kennen, die noch gar keinen amtlichen Namen hatten, suchte bestimmte Bürgersteigabschnitte heim, wenn die Geschäfte geschlossen wurden und die jungen Frauen verträumt und plaudernd herauskamen, umhüllt von Zigarettenrauch und Parfümdüften im langsam intensiver werdenden Licht der abendlichen Straße, zu tief eingetaucht in ein Leben, an dem teilzuhaben Skeet nie eine plausible Möglichkeit sah … Ein Milwaukee-Bildungsroman, wie man hier sagt.

Skeet stolperte durch eine ganze Reihe häuslicher Arrangements, eingefädelt von seiner Pflegemutter, die zwar mütterliche Instinkte, aber wenig bis gar kein Urteilsvermögen hinsichtlich des Partnermaterials besaß, und mit unbeabsichtigten Folgen meist unangenehmer Art, obgleich es auch Ausnahmen gab.

«Was riecht denn da so? Wie brennendes Gummi. Und wieso steht der Ofen auf zweihundert Grad?»

«Ich hab gesehen, dass deine Haken die Tasche nicht so gut getroffen haben, Knuckles –»

«Sag, dass das nicht wahr ist.»

«Und ich wollte ihn ganz sauber machen», versuchte Skeet zu erklären, während Knuckles die Ofentür aufriss und aus den Rauchwolken ein stinkender und nicht mehr runder ehemaliger Bowlingball auftauchte. «O nein, was hab ich getan?»

An diesem Punkt hätte jeder normale Milwaukeeaner einen handlichen Revolver hervorgeholt und die Sache an Ort und Stelle geregelt, im Vertrauen darauf, dass kein örtliches Geschworenengericht auf irgendetwas anderes als gerechtfertigten Totschlag erkennen würde. Knuckles dagegen sah eine Gelegenheit zur Wissensvermittlung.

«Das Erste, was einer in dieser Stadt lernt, ist, dass man einen Bowlingball niemals in einen Ofen tun darf, der wärmer ist als siebenunddreißig Grad – was für eine Kinderstube hast du eigentlich gehabt?» Er zeigte mit dem Kinn dramatisch auf den nun unrollbaren Mineralitklumpen. «Das war mal eine Sonderanfertigung, Kleiner, hat mich zwanzig Scheine gekostet – dafür darfst du für die Hälfte vom Rest deiner Kindheit Pins aufstellen, für einen Nickel pro Spiel, und sei froh, dass wir nicht in Cleveland sind, denn da würdest du bloß vier Cent kriegen.»

So begann Skeets Karriere als Kegeljunge, die schon bald in der ganzen Stadt als «glanzvoll» bezeichnet wurde. Er war ein zähes Bürschchen, das jedes Tempo gehen konnte und schnell lernte, sich in einem Bowlingmilieu zurechtzufinden, das so unbarmherzig war wie nur irgendeins. Inzwischen hatte Knuckles sich verabschiedet und war sogleich durch einen anderen ersetzt worden, der, wie sich zeigte, noch weniger väterliche Neigungen hatte. Das frisch verliebte Paar zog nach Shorewood, und Skeet musste sehen, wie er allein zurechtkam – viel Glück dabei.

Seine Fertigkeit sprach sich herum, und bald wurde er für ganznächtliche Privatturniere engagiert. Bowlingbahnbesitzer vertrauten darauf, dass er Ordnung hielt und abschloss, und gestanden ihm sogar ein paar Assistenten zu. Die Trinkgelder rollten, im wahrsten Sinn des Wortes: Man steckte Dollarscheine in die Grifflöcher und rollte den Ball sanft, ja respektvoll zum Kegeljungen zurück. Nach einer Weile begann Skeet auf den Ausgang von Turnieren in Milwaukee und außerhalb zu setzen und brachte in Kürze ein ordentliches Sümmchen zusammen, das er vernünftigerweise nicht in Aktien investierte, sondern in einem Schließfach bei der Northern Trust bunkerte.

 

Gerade als Hicks ein Blatt in die Underwood spannt, kommt Boynt zurück und sieht enttäuscht aus.

«Wusste ich’s doch – du legst einen Vorgang an.»

«Da ist Geld drin» – nonchalant –, «das rieche ich geradezu.»

«M-hm.» Boynt hat seinen «Du armes Würstchen»-Blick aufgesetzt, den er für motivierend hält, was er aber nicht ist. «Du weißt doch, was passiert, wenn unsere Produktivitätskurve auch nur in Erwägung zieht, runter in Richtung Illinois zu gehen. Dann schickt uns die Zentrale nur noch mehr von diesen Effektivitätsheinis auf den Hals. Willst du das? Bifokalbrillen, wo du gehst und stehst?»

«Reg dich ab, Boynt. Das kommt gar nicht erst bis zur Buchhaltung.»

«Hicks, ich bin ein harter Bursche, Erbarmen fällt mir nicht leicht, aber das ist wirklich erbärmlich. Diese Klienten von dir leben am Rand der Verzweiflung und schaffen es doch immer, dich zu finden, und du weißt natürlich, woran das liegt, Hicks, oder?»

«An der Prohibition?» Das ist geraten. Für Boynt ist die Prohibition an allem schuld.

«Weil du ein Trottel bist! Ein vom Idiotenamt beglaubigter Trottel! Hab ich das schon mal erwähnt? Ich erinnere mich nicht.»

«Du meinst, mit diesen Worten?»

«Du fällst auf jede billige Heulsuse rein, die jammernd und klagend unter der Tür durchgekrochen kommt und natürlich nicht vorhat, pünktlich zu zahlen – wenn überhaupt –, denn warum sollte man sich den Kopf über Mahnungen zerbrechen, die von einem Trottel kommen?»

«Heißt das, ich kriege wieder keinen Jahresbonus?»

«Ach, und übrigens, bevor du deinen Vorgang anlegst: Was diesen in die Luft gejagten Lastwagen betrifft, hatte ich gerade Anrufe sowohl von der Badger All-Risk Fiduciary Life als auch vom örtlichen Kapitel der Teutonia Society, und stell dir vor, beide haben uns beauftragt, diesen Vorfall zu untersuchen, und denken, der jeweils andere steckt dahinter, und das ist schon ziemlich eigenartig, oder?»

«Siehst du, Boss? Was hab ich gesagt?»

«Wann war das? Da hab ich wahrscheinlich nicht zugehört.» Boynt kehrt an seinen Schreibtisch zurück, öffnet die Schublade, in der, wenn er in Chicago wäre, eine Halbliterflasche Old Log Cabin liegen würde, aber weil dies Milwaukee ist, handelt es sich um Korbel Brandy, den Boynt jetzt hervorholt und eine Zeitlang nachdenklich betrachtet … «Hrm, noch zu früh», knurrt er und verstaut die Flasche wieder in der Schublade.

2

Wie sich zeigt, liegt der Tatort in District 2 auf der South Side. Man kann’s noch riechen. In der Mitte eines großen Brandflecks steht, was von Stuffys Speed Wagon übrig ist, geschwärzte Fragmente liegen auf der Straße, Dutzende Detectives, darunter auch einige vom Entschärfungskommando, gehen ziellos, aber nachdenklich umher. «Hicks – sag bloß, du auch! Mann, bei dem Ding hier kommen wirklich alle aus den Löchern gekrochen.»

«Ich und wer noch?»

«Bundestypen, von denen noch nie einer was gehört hat.»

«Keine Prohis?»

«Die sehen eher aus wie Schmuggler, nur dass die Anzüge billiger sind.»

Skeet, der mitgekommen ist, entdeckt in den Trümmern ein Kugellager und steckt es ein.

«Was willst du damit? Könnte auch ein Beweisstück sein.»

«Stahlkugeln. Dafür gibt’s bis zu zehn Cent das Stück. Die Latino-Kids in Chicago zahlen Spitzenpreise. Wieso – hast du gedacht, es wäre was Sentimentales oder so?»

Die Wache im District ist einer von diesen exzentrischen mittelwestlichen Polizei-Außenposten mit runden und spitzen Türmchen und Mauerwerk in den verschiedensten Farben von Cremeweiß bis Dunkelrot, und dort sitzen sie im Büro des Captains im ersten Stock und lassen eine Flasche Mistletoe Gin herumgehen.

«Eine OVIEB, keine Frage.»

«Äh, was?»

«Eine Offenbar von Italienern ersonnene Bombe.»

«Läuft da irgendwo ein Radio? Diese Akkordeonmusik, also wirklich, das, das klingt fast wie ‹Way Marie› …»

«Na und? So was machen die doch, oder? Nicht vergessen: Das ist das Volk, das die Hackfleischbällchen und die Bocciakugel erfunden hat – rollende Sachen sind für die ganz normal.»

«Das Problem», nickt ein altgedienter Bombenentschärfer, «ist die Darreichungsform. Der typische italienische Bombenbastler ist am Tatort nicht anwesend und benutzt einen Zeitzünder, also eine Zwei-Dollar-Ingersoll oder langsam tropfende Säure, oder er hat das Ding mit der Zündung verkabelt, aber selten bis nie wird so eine Bombe von Hand die Straße runtergerollt, als wäre man in Bensingers Bowlingbahn oder so, denn da kann jedes kleine Steinchen sie aus der Bahn werfen. Das ist dann auch nicht das übliche Modell von der Stange, capeesh? Wenn man so was unter einen Lastwagen rollen will, braucht man eine Spezialanfertigung, die selbsttätig auf Kurs bleibt, vielleicht mit einem eingebauten kleinen Kreiselkompass. Von einem örtlichen Schlaukopf, der diesen Straßenbelag lesen kann wie ein Grün auf dem Golfplatz.»

«Eine Präzisionsbombe.»

«Genau. Und darum deutet alles auf irgendwelche deutschen Sturmabteilungs-Jüngelchen hin.»

«Und wenn sich einer die Mühe gemacht hat, es wie einen italienischen Job aussehen zu lassen?»

«Ach du je, wer hat denn den Hirnakrobaten reingelassen?»

Das Gespräch wendet sich unvermeidlich dem Jahr 1917 und der Bombe zu, die im Polizeipräsidium hochgegangen ist.

«Herrgott, eine Itakerbombe im Präsidium. Der sicherste Ort in ganz Milwaukee, sollte man meinen – uns konnte keiner was. Das Präsidium, Gottes Thron, keine Bombe würde es wagen, da hochzugehen.»

«Kurz nach dem Appell, ich will gerade raus auf die Straße, und plötzlich ist die Hölle los. Ich renne also wieder rein, kein Licht, alles schreit … Es war wirklich übel, alles voll Rauch und Blut … Und das Schlimmste war: Wir haben uns das selbst eingeschenkt, das Ding war nicht mal für uns bestimmt, irgendwelche Bürger haben es vor dem Eingang irgendeiner kleinen Kirche im Third Ward gefunden – es war eine Sache zwischen Italienern. Sie bringen das Paket ins Präsidium, aber anstatt zu rufen ‹Alle Mann raus!›, denkt der diensthabende Sergeant, dass die Detectives sich das vielleicht mal ansehen wollen, trägt es ins Konferenzzimmer, und da …»

«Danach hatte ich schwere Bedenken, ob ich bei der Polizei bleiben sollte, das kann ich euch sagen. Ich dachte, ich sollte den Stöpsel lieber früher als später ziehen und mir einen ungefährlicheren Job suchen.»

«Aber das war’s ja gerade: Keiner wusste mehr, welcher Job ungefährlich war.»

Hicks macht anscheinend ein seltsames Gesicht.

«Ja, ja, Hicks, dein Onkel Lefty hat dir die Geschichte bestimmt schon hundertmal erzählt, und vielleicht sind wir für dich bloß ein paar Bullen, aber es gibt Sachen, die wir keinem Bürger erzählen können – was wir hören und was wir nicht hören, bleibt unter uns. Wir sind die Polizei. Seit dieser schicksalhaften Nacht kommt die Truppe an erster Stelle und ist wichtiger als alles andere, für immer. Heißt das auch, wichtiger als Gott? Möglich. Es spricht manches dafür und manches dagegen.»

«Ich wollte gerade fragen», sagt Hicks höflich.

 

Abgesehen von seiner Laufbahn als Limozapfer und einem Nebengeschäft mit medizinischem Alkohol treibt Hoagie Hivnak auch Handel mit Sachen, für die nicht unbedingt im Journal geworben wird. Hicks schiebt sich an zwei Prohis vorbei, die gerade ihr wöchentliches Schmiergeld in Form großer Kartons voll Eiswaffeln abholen. In der Ideal Pharmacy herrscht gerade die Flaute zwischen Mittagszeit und Schulschluss, und im hell erleuchteten Souterrain, umgeben vom angenehm chemischen Drugstore-Geruch, bunten Sirupflaschen und verchromten Zapfhähnen, die sich in der verspiegelten Ferne verlieren, findet er Hoagie hinter der leeren Theke, wo dieser sich bemüht, nicht ins Land der Träume zu entschweben.

Hoagie ist zwar in Zeiten der Prohibition älter geworden, hat es aber irgendwie geschafft, sich die näselnde Schnodderigkeit zu bewahren, mit der er als Vorkriegsteenager ins Sodageschäft eingestiegen ist.

«Vor dreißig Jahren war das hier nichts für Kinder. Alle Mütter in der Stadt haben einen Anfall gekriegt, wenn sie das Wort ‹Limoausschank› gehört haben – schlimmer als ‹Opiumhöhle›.» Vom einen Ende der Theke bis zum anderen saßen Schneeeulen und Schlittenfahrer den lieben langen Tag vor Hausmixturen, deren Hauptzutat Kokain war. In Milwaukee war das ein vertrauter Anblick, bis die Spielverderber von der Food and Drug Administration dem Treiben ein Ende machten, quasi im Vorgriff auf die Prohibition, «und jetzt ist es auf einmal eine gesunde Sache für die ganze Familie. So viel zum Thema Wirtschaftskrise.»

Hicks setzt sich auf einen Hocker und tut, als würde er die Speise- und Getränkekarte an der Wand studieren.

«Ich glaube, ich nehme ein Bananensplit mit allem außer Ananas – gegen die bin ich plötzlich allergisch, seit neulich eine hochgegangen ist.»

Der Limoveteran horcht auf, und sie beginnen ihren gewohnten Neuigkeiten-Foxtrott. Nach anderthalb Takten kramt Hicks einen Zweidollarschein hervor und versucht, nicht daran zu denken, was er damit hätte bezahlen können – zum Beispiel eine Woche lang Mittagessen –, während er zusieht, wie das Ding verschwindet, obwohl Hoagie es gar nicht berührt. Magie. «Wenn es bei der Bestellung bleibt, krieg ich noch einen Quarter.»

«Vielleicht nehme ich lieber bloß ein Soda – ich muss nämlich plötzlich sparen.»

«Das trifft sich gut, denn es gibt nicht viel zu erzählen. Ich hab den Knall gehört, aber hier unten hätte ich nicht mal sagen können, aus welcher Richtung er kam. Du kennst die üblichen Rassenkategorien genauso gut wie ich, aber in diesem Fall war’s keine Italo-Ananas. Vielleicht solltest du dich lieber in einer durch und durch amerikanischen Gegend umsehen.»

«Wie meinst du das?»

«Wenn man den ganzen Tag mit Eiscreme zu tun hat, kann man zum Philosophen werden. Man denkt, in einem Staat mit zwei Millionen Milchkühen wird ein bestimmter Prozentsatz der Milch zu Eiscreme verarbeitet, und die kostet dann fünf Cent pro Kugel, das war schon immer so. Aber dann stellt man fest, dass es zwei Arten von Milch gibt: Die Milch, die man aus einem Glas trinkt, ist teurer als die Milch, aus der Butter, Käse und Eiscreme gemacht werden. Das nennt man duale Preisstellung. Aber jetzt gibt es Syndikate von bolschewistischen Farmern, die einen einheitlichen Preis durchsetzen wollen, und das würde heißen, dass der Preis für eine Eiskugel um siebzig, achtzig Prozent steigen würde, binnen kurzem müsste man also zehn Cent für eine Waffel bezahlen, und das Bananensplit, von dem du dachtest, du willst es, würde dreißig, vierzig, fünfzig Cent mehr kosten, und kein Ende in Sicht. Wer hat so viel Geld?»

«Das klingt ernst, Hoagie.»

«Das gibt einen Bürgerkrieg.»

«Wegen Eiswaffeln?»

«Das könnte der Zündfunke sein. Es braucht nicht viel. Milch ist das uramerikanische Getränk, stimmt’s? Wichtiger als Bier, sogar in Milwaukee. Wenn du mir nicht glaubst, red mit deinen Kumpeln auf dem Yankee Hill. Finde raus, wohin Bruno Airmont verschwunden ist.»

Bruno. «Im Ernst?»

«Was meinst du wohl, warum er abgehauen ist? Vielleicht hat er was gehört, von dem wir noch nichts ahnen. Du bist doch der Privatschnüffler. Also schnüffle.»

3

Nachdem er auf der Near North Side herumgelaufen ist, in Smoky Goodens Polizeitreff vorbeigeschaut, mit kommenden und gehenden Elementen der Sittenpolizei freundlich und semiprofessionell geplaudert und sich in diversen Bronzeville-Etablissements – dem Flame, dem Polka Dot, dem Moonglow – umgehört hat, läuft Hicks kurz vor Mitternacht in Arleen’s Orchid Lounge ein. Er ist mit der Welt im Reinen und hat ein frisches Päckchen Spuds in der Tasche, aus Kanada ist gerade eine neue Lieferung gekommen, auf dem Wellblechdach über der Hintertür flüstert der Regen, und April Randazzo beginnt gerade einen Set und trägt ein indigoblaues Kleid aus einem Klamottengeschäft in Chicago, aber nicht Goldblatt. Steht ihr nicht schlecht.

Im Lauf des vergangenen Jahres sind Hicks und April zum häufig gesehenen Paar auf diversen Tanzflächen in Milwaukee und weiter südlich geworden. Hin und wieder schleicht sich ein Fotomädchen an und macht einen Schnappschuss von ihnen, und wenn die Abzüge kommen, staunt er, wie oft April darauf zwar nicht direkt lächelt – das wäre dann doch zu viel verlangt –, aber doch sichtlich entspannt ist, als würde sie denken, dass der harte Teil des Tages vorbei ist – diese so gut wie aufrichtige Hingabe an das Tanzen, die Nacht, den Spaß, den sie bis jetzt hat.

Sie haben sich im Aragon Ballroom in Chicago kennengelernt, nicht weit von der El, Eintritt ein Dollar, Kork, Filz, eine federnde Tanzfläche, Palmen, Torbogen, Kacheln, die ganze Spanischer-Königshof-Nummer, mit Geheimtunnel zur nicht weit entfernten Green Mill Cocktail Lounge, wo Capone sich gern aufhielt, Zutritt nur für Weiße.

Das Erste, was Hicks sieht: Ein Aufpasser im Smoking hat soeben ein Paar getrennt, das seiner Meinung nach «zu eng» getanzt hat und dessen männlicher Teil prompt verschwunden ist und eine sehr ansehnliche junge Frau zurückgelassen hat, die April heißt. «Ich sag ja nur» – der Kerl betatscht ihren nackten Arm auf, wie Hicks scheint, höchst ungastliche Weise –, «dass Sie und Ihr Freund, wo immer er jetzt sein mag, sich im Arcadia, im Dreamland oder im Savoy wahrscheinlich wohler fühlen würden. Dort stört man sich nicht an Lindy Hop und experimentelleren Jazzbands, aber wir haben hier eine Hausregel, verstehen Sie?»

«Probleme?» Hicks’ Hände, normalerweise entspannt, werden zu Fäusten.

«Danke, aber ich möchte den Abend lieber ohne Polizeimaßnahmen verbringen», flüstert April über ihre Schulter, «wenn es recht ist.»

«Mal sehen, was ich tun kann. Zunächst mal zu Ihnen, mein Freund: Sie können die Lady loslassen und sich wieder um Ihren Schulball kümmern.»

«Entschuldigung, aber –»

«Sie dürfen gehen.»

Der Mann, der Hicks jetzt zum ersten Mal etwas eingehender betrachtet, nickt und zieht sich zurück.

«Tja», sagt April.

«Ja. Lust auf ein Tänzchen?»

«Nicht hier. Irgendwie hat der Laden seinen Charme verloren.»

Sie landen schließlich in einem Tanzschuppen für Schwarze und Braune ein Stück weiter südlich, wo die Musik näher am Jazz ist als diese reinweißen Tanzteeklänge und der Tanzstil so experimentell wie nur was.

Irgendwann beschließt die Band, dass es mehr Spaß macht, im 5/4-Takt zu spielen. «Ah, das ist der Half-and-Half – kennst du den?» April erweist sich als die Erste in seiner Bekanntschaft, die von diesem Tanz gehört hat und ihn darüber hinaus auch tatsächlich beherrscht. Laut Mr. und Mrs. Vernon Castle erfordert er die Schrittfolge 1-2-3, 1-2. Plötzlich ist die Tanzfläche leer, nur Hicks und April sind noch da und sehen einander an, nicht zum ersten Mal, aber es kommt ihnen so vor.

«Und los.» Er wirbelt sie einmal herum, und dann sind sie allein im Scheinwerferkegel, und April ist ganz zufrieden, sich zur Abwechslung mal führen zu lassen, obwohl sie genauso gut 1-2-3, 1-2 zählen kann wie dieser Typ, der jetzt all diese kleinen Akzente und Verzögerungen einbaut, zweifellos, damit sie nicht einschläft. Tja. Wenigstens mal was anderes als die Betonmischer, mit denen sie sich sonst herumschlägt.

Als das Stück zu Ende ist, gibt es sogar ein bisschen Applaus. April lächelt und nickt. «Davon hab ich jahrelang geträumt: dass ich eine dieser Frauen in einem Nachtclub bin, total aufgedonnert und auf einem Date, an meinem Tisch sitzt, ein bisschen verschwommen, ein Traumtyp, und ich amüsiere mich großartig.»

«Ich ein Traumtyp, wirklich?»

Aber dann, ein paar Tänze und Drinks später –

«Hoppla! Ist das für mich?»

«Ich dachte schon, du würdest es nie bemerken.»

Eine kleine Pause, die er klugerweise abwartet. «Vielleicht braucht eine Frau um diese Nachtzeit was, an dem sie sich festhalten kann.»

«Nur zu, er hat bestimmt nichts dagegen.»

«Ja, dann hättest du natürlich nur noch ein weiteres Problem: Wie komme ich leicht rein und wieder raus und bringe das Ganze so zügig wie möglich über die Bühne …»

«Wer hat was von leicht gesagt?»

«Fast hättest du mich getäuscht.»

«Wenn hier irgendwer getäuscht wird, Schätzchen, dann wohl eher ich.»

Sie tut, als würde sie vor Mitleid zurückzucken. «Oh! Du armes! Lämmchen! Kann ich dir helfen?»

«Du meinst, du würdest mich nicht wie einen Trottel behandeln? Das würdest du wirklich für mich tun?»

«Nein. Nicht mal, wenn ich dich besser kennen würde.»

«Na, dann wollen wir hoffen, dass das nicht passiert.»

Ja, das wollen wir hoffen.

Sie sieht ihn mit zusammengekniffenen Augen an, Misstrauen auf dem fotogenen Gesicht. Die volle Wabash-Avenue-Überprüfung, extra gründlich. Ist er je so genau gemustert worden? Normalerweise zeichnet sich etwa an diesem Punkt ein Fluchtimpuls auf dem Gesicht der beteiligten Frau ab, gefolgt von irgendeiner Form von «Wie billig ist mein Leben geworden, dass ich mich mit Ochsen wie dem hier herumschlagen muss?». Nur dass das jetzt – zum ersten Mal – nicht geschieht: Augenblicke vergehen, und langsam dämmert ihm, dass er es mit einer Frau zu tun hat, die es versteht, ihren Ärger über ihn so geschickt zu verbergen, dass nicht mal ein Abfuhrexperte wie er ihn bemerkt. Wann ist es vorgekommen, dass eine Schnucke, die er kaum kennt, sich so viel Mühe gibt? Er könnte eine Schauspielerin für diesen kleinen Gnadenakt bezahlen, aber diese April macht es umsonst. Er wird vielleicht nicht vom Blitz getroffen, aber wenigstens schwappt eine Welle von Dankbarkeit über ihn …

 

Als sie einander besser kennenlernen, stellt Hicks fest, dass April zwar nicht nur gewiefter ist als die Leute, mit denen sie sich gewöhnlich umgibt, sondern auch sparsam und zu einem Drink hier und da – meist hier – nicht nein sagt, dass aber ihre emotionale Sehschärfe gefährlich nachlässt, sobald sie mit verheirateten Männern zu tun hat. Ein goldberingter Finger ist für April so unwiderstehlich wie ein zuckender Löffel für eine Forelle, besonders wenn der Ring beim munteren Treiben am Finger bleibt. So gut wie ein gerahmter Trauschein an der Wand eines Liebesnests.

Eine Weile tendierte Hicks dazu, mit den auf Abwege geratenen Ehemännern zu sympathisieren, merkte aber bald, dass er begann, die Sache persönlich zu nehmen.

«Ich weiß nicht. Ich sehe bei der Arbeit doch schon genug davon: durchgedrehte Frauen, eifersüchtige Männer, selbst wenn gar nichts ist. Als müsste trotzdem was sein.»

«Und was ist mit dir selbst?»

«Ich freue mich, dich zu sehen, wenn ich dich sehe.»

«Nicht sicher, wie ich das finde.»

«Was, bin ich dir nicht verrückt genug? Soll ich mitten in der Nacht unter deinem Fenster herumschleichen? Schielend? Mit Napoleonhut? Ich hab einen, den könnte ich aufsetzen.»

Aprils Fixierung auf verheiratete Männer ist nicht so verbreitet wie eine via Nase oder Nadel befriedigte Sucht, bringt aber Gesundheitsrisiken ganz eigener Art mit sich. Dass gedemütigte Gattinnen leichten Zugang zu Feuerwaffen haben, kann bei häuslichen Melodramen nicht mehr ausgeschlossen werden, denn zu den ganz normalen Haushaltsgeräten gehört inzwischen auch so was wie der .32er Colt, den die kürzlich zu Ruhm gekommene Mrs. Myrtle Bennett aus Kansas City benutzt hat, als sie im Verlauf einer im Übrigen freundlichen Partie Bridge ihren Mann erschoss, weil er zwei Stiche verschenkt hatte, und es damit landesweit in die Schlagzeilen schaffte.

«Alles da», hat April mehr als einmal wehmütig zu Hicks gesagt, «mehr Romantik, als man außerhalb von Kinos findet, bis mir auf einmal diese Kleinigkeit ins Auge sticht, dieser ringlose Finger …»

«Das heißt … wenn wir Spaß miteinander haben – du meinst, all dieses Ooh und Aah ist nur gespielt? Ich dachte, du amüsierst dich gut. Mein Schätzchen.» Er holt einen Flachmann hervor, in dem aber kein Sprit, sondern eine dickflüssige grüne Flüssigkeit ist. Er gibt etwas davon auf seine Hände und fährt sich, während ein intensiver Geruch nach Kräutern den Raum erfüllt, damit durchs Haar, das er anschließend sorgfältig kämmt.

«Du befasst dich ganz schön viel mit deinem Haar, Sportsfreund.»

«Das ist ein Schimmer, in dem du dich spiegeln kannst. Hält tagelang und leuchtet im Dunkeln.»

«Zeig mal.» Sie greift nach dem Lichtschalter.

«Hmm … vielleicht doch nicht. Aber wo wir schon mal dabei sind …»

Das ist absolut nicht das ernsthafte Ehemann-auf-Abwegen-Theater, mit dem sie sich wohlfühlt – es ist zu leichthin, und Hicks ist wirklich das letzte Dating-Material, mit dem sie sich abgeben sollte, aber sie kann nicht anders. Ein großer Affe mit leichter Hand. Die leichte Hand lässt Frauen denken, er sei empfindsam, was er aber nicht ist.

«Das Nette an dir ist», sagt April, «dass ich mir keine Sorgen wegen meiner Strümpfe machen muss. Jeder andere braucht bloß dran zu denken – zing! schon läuft die Masche. Der Preis von einem Steak – zum Fenster raus. Dollarscheine mit diesen süßen … Flügelchen. Aber du … du machst bei all den Rammbäraktivitäten, auf die du so stehst, nie auch nur eine Falte.»

«Du solltest mir so was nicht sagen, mein Törtchen, du weißt doch, was dann passiert. Jetzt muss ich unhöflich werden.»

«Oh! Du Bestie!»

«Sie hat’s gemerkt.» Er packt zu.

«Verdammt, Hicks, du Affe!»

«Hab ich diese Woche schon öfter gehört.»

«Ach ja? Und von wem?»

«Eine Arbeitsbekanntschaft, nichts weiter, du kennst sie vielleicht, vielleicht aber auch nicht.»

«Wie wahrscheinlich ist es wohl, dass ich jemand auf, na ja, deinem Niveau kenne? Und lass das gefälligst, hast du gehört? Du bildest dir eindeutig zu viel ein …»

«Ich? Ich bin der vollendete Gentleman. Komm du lieber runter von deinem hohen Ross.»

«Ach, Hicks. Wenn du doch bloß verheiratet wärst, mit irgendeinem netten Mädchen, protestantisch, katholisch, polnisch, irisch, ganz egal, solange ihr’s euch nur in einer richtigen Kirche geschworen habt … Hab sogar einen Ring für dich, selbst geklaut im besten Klunkerladen an der Wabash, in genau deiner Größe, der wartet auf dich … Brauchst bloß zu heiraten, bloß ein winzig kleines ‹Ja› zu sagen, dann liebe ich dich mehr, als du es dir erträumen kannst.»

Unwillkürlich kneift er die Augen ein bisschen zusammen. Meint sie das ernst? «Ja, aber … aber ist das nicht irgendwie unmoralisch? Die Frau, mit der ich rumlaufen müsste, diese polnische Trulla – stell dir vor, ich würde mich in sie verlieben oder so. So was hat’s schon gegeben. Und was dann?»

«Aber alle lieben ihre Frauen, das gehört doch dazu. Das ist was, über das ich vielleicht eines Tages mal mit jemand reden muss, aber vielleicht nicht mit dir.»

«Also sind diese süßen kleinen Kandidatinnen, die du mir schickst –»

«Früher oder später trifft dich eine davon auf den Punkt, darauf kannst du dich schon mal einstellen, denn ewig hältst du das nicht durch.» Ein Blick aus großen, verschmierten Augen.

«Stimmt! Aber was für Schönheiten! Die letzte, mit der du mich verkuppeln wolltest, diese Euphorbia? Ich zittere jetzt noch.»

«Ach» – ein schelmisches Grinsen –, «ich hab dir doch gesagt, die hat für so was eine Lizenz.»

«Ich sehe schon, was du mir aufschwatzen willst, aber weißt du nicht, dass es das tägliche Brot des Privatschnüfflers ist, die ganze Nacht im Regen und vielleicht auch im Schnee auf der anderen Straßenseite zu stehen und darauf zu warten, dass in dem Fenster da oben das Licht an- und wieder ausgeht. Das ist ein Sakrament, das ich keinem wünsche, Schatz.»

Nachdem er den Eisschrank geplündert und darauf gewartet hat, dass April mit dem Make-up und so weiter fertig wird, sitzt er in ihrer Küche, wo er den Wandkalender betrachtet, eine Reklame für Mazda-Glühbirnen mit einem dieser hyperilluminierten Maxfield-Parrish-Bilder von Mädchen, die nicht gerade für Aktivitäten unter freiem Himmel gekleidet sind, aber in einer schroffen, abweisenden Landschaft auf Felsen posieren: niedlich, ja unschuldig, aber was machen die beiden überhaupt da draußen?

«Und wie geht’s meinem süßen Privatschnuffi?» April hat die Angewohnheit, unvermittelt in einen quietschigen Mädelchen-Ton zu verfallen. Männer haben dann die Wahl: Entweder sie finden es herzig und lassen sich drauf ein, oder sie erinnern sich plötzlich, dass ihnen die Zigaretten ausgegangen sind oder ihr Wagen ein paar Blocks entfernt im Parkverbot steht.

Ein weiterer großer Pluspunkt von Hicks war schon immer, dass das bei ihm noch nie verfangen hat, diese Baby-Vamp-Sprache, diese unpassenden Versuche, die Grenzen der Minderjährigkeit neu zu definieren. So gut wie jede erwachsene Frau in Milwaukee hat es wenigstens mal probiert, und ein paar sind so heftig eingestiegen, dass man sagen könnte, sie sind nie wieder rausgekommen.

«Nur eine Sache, April, äh, und zwar: Heute Abend nicht so, okay?»

«Kein tleines Mädchen? Ooch, Hicksy-Dicksy! Was soll das arme Aprilchen denn dann sein?»

«Tja, mal sehen: Wie wär’s mit Louise Brooks oder Clara Bow –»

«Aber die sind aus der Stummfilmzeit. Stumm.»

«Das ist das Wort, das ich gesucht habe –»

«Lass es.»

«Lass was?»

«Du Nichtsnutz, du mieser … Aah!»

«Ich weiß doch, dass du es willst. Ich ja auch. Also: Was immer du sagst – um zwölf Uhr mittags bei Schuster’s, an einem Werktag deiner Wahl.» So was kommt bei Hicks dem Hervorsprudeln gedankenloser Koseworte noch am nächsten. Die bevorzugte Art, damit umzugehen, besteht darin, sie sich zu schnappen und mit ihr zur Radiomusik zu tanzen, auch wenn sich der Raum natürlich nicht so recht dafür eignet, denn man kann nicht einfach drauflostanzen und hat ständig mit Lampen, Möbeln und rutschigen kleinen Teppichen zu tun. Manche nennen so was Durcheinander, aber bei April heißt es «Nestbauinstinkt» – sie muss wohl in irgendeiner Frauenzeitschrift was darüber gelesen haben. Es dauert keine vier Takte, und sie rumsen in einen Beistelltisch.

Etwa zu diesem Zeitpunkt erklingt einer dieser motivierenden Songs über die Freuden des Ehelebens in der Vorstadt, die in letzter Zeit dauernd im Radio gespielt werden. Hicks greift sich das Journal von gestern, rollt es zu einem Sprachrohr und singt mit:

Wenn über den Highway hereinbricht die Nacht

Und ich heimfahr zu meinem Häuschen,

Hab ich mal wieder ’nen Dollar gemacht,

Und freue mich auf mein Mäuschen,

Meine kleine Missus Middleclass …

Vergiss die Kaugummibraut von der Tanke,

Geh mir weg mit dem Plutokratengör,

Ich steh nun mal auf die süße, ranke

Frau aus der Vorstadt

Meine kleine Missus Middleclass …

[Bridge]

Ich steh samstags abends nicht mehr am Tresen,

Wasch meine Socken nicht mehr mit der Hand,

Bin jetzt so normal in meinem Wesen

Wie Millionen andere Männer im Land:

Wir sind sehr zufrieden, alles ist, wie es ist.

Es war nur ein kleiner Schritt, kein groß-a

Zu unserem Bungalow in Wauwatosa,

Wo alles so gemütlich ist (besonders abends).

Ein Durchschnittstyp, eine Durchschnittsdame –

Und wie war doch, sagte ich, ihr Name?

Meine kleine Missus Middleclass!

Oh ja, sie ist meine kleine Missus –

«Du Mistkerl.»

«Ach komm, ist doch bloß ein Song.»

«Du bist in Schwierigkeiten, Hicks.»

«Solange ich sie nur bei dir hab, mein Engel.»

«Bist in großen Schwierigkeiten und weißt es nicht mal.»

«Das musst du gerade sagen.»

«Salonlöwen und Ehemänner auf Abwegen, Zuckerbär – vergiss sie, diesmal ist es ernst.»

«Zur ersten großen Lektion des Lebens: Geld redet» – wie Boynt ihm schon oft gepredigt hat –, «kommt jetzt die zweite: Liebespartner gehen fremd. Aus Gründen, die sich mir weiterhin entziehen, stellst du diese beiden Prinzipien, das Fundament unseres Berufs, in Frage, beschließt, nicht abzukassieren, wann immer dir eine todsichere Sache auf dem Silbertablett serviert wird, und fährst, allen gegenteiligen Beweisen zum Trotz, fort, an wahre Liebe und echte Treue zu glauben, auch wenn man das, wenn man dich so sieht, niemals vermuten würde. Noch eine von diesen romantischen Trottelinnen.»

Als Hicks kapiert, dass er besser hätte aufpassen sollen, benutzt April bereits Kinobesuche als Alibi – eine Regression in Highschool-Zeiten, mit der er nicht gerechnet hat.

«Schon wieder Der öffentliche Feind? Es ist drei Uhr morgens.»

«Er läuft die ganze Nacht, rund um die Uhr, du weißt schon: junge amerikanische Frauen – wir kriegen einfach nicht genug von diesem Jimmy, ja wir sind tatsächlich völlig gaga, da gibt es jede Menge, über das man in Verzückung geraten kann, nur für den Fall, dass ich dir nicht schon genug vorgeschwärmt habe.»

«Kann mich nur an diese Sache mit der Grapefruit erinnern … Du hast nicht zufällig eine zur Hand?»

 

Bei ihrem allabendlichen Auftritt in Arleen’s Orchid Lounge singt April, wann immer es Mitternacht wird, die Ballade, die zu ihrem Markenzeichen geworden ist, begleitet von einem semikubanischen Arrangement in Moll für Akkordeon, Saxophone, Banjo-Ukulele und melancholisch gedämpfte Trompete.

Mitternacht in Milwau-kee,

Ist nicht so wie in Parieh,

Hier gibt’s keine Champagnercuvée,

Und auch keine Champs-Élysées …

Hier ist alles so trist,

Wie es nur hier ist.

Ich fühl mich wie Bierschaum im Krug,

Getrunken in einem Zug.

[Bridge]

Dort unten am Hafen

Die Leute schon schlafen,

Bis es beinah so scheint …

[Füllphrasen der Band]

Harfenklänge am Ufer

Flüstern je t’adore dir ins Ohr,

Ach, wie könnte das mehr sein

Als des Traumlands Tor?

 

Sogar in Chicago,

In jeder Stadt außer dieser,

Könnten Kinder wir sein,

Und unsre Herzen Pariser.

 

So leb wohl denn, Milwau-kee,

Ihr einsamen Nächte, adieu!

Ein schöner Traum geradezu:

Enchantée, bonne soirée …

Ach, lass mich in Ruh,

Mit dem Schmu, du

Alte Mitternacht in Milwau-kee …

«Damals, als ich noch keine Ahnung hatte, hab ich eine Menge Tremolo reingegeben, weil ich dachte, damit würde ich die Leute auf mich aufmerksam machen, aber leider hat es nur bewirkt, dass sie schreiend rausgerannt sind, und dann hab ich eines Tages Annette Hanshaw im Radio gehört, und es war, als würde in meinem Kopf ein Vorhang aufgehen …

Sie ist nicht noch eine von diesen weißen Amseln, die glauben, sie können singen – Annette glaubt, sie kann nicht singen, und weiß vielleicht gar nicht, wie sie auf andere Menschen wirkt. Das hat mich meinen ganzen Ansatz überdenken lassen. Mir das Aufgesetzte daran vor Augen geführt. Jedes Mal, wenn du glaubst, in meiner Stimme auch nur das kleinste Vibrato zu hören –»

«Sollte ich dich treten.»

«Danke, aber vielleicht lieber eine Augenbraue hochziehen, das wäre eine Hilfe.»

Selbst Besucher aus Illinois spüren sofort, wie viel Respekt April bei Arleen’s genießt, so viel jedenfalls, dass sie leiser quatschen, Tischgeräusche vermeiden und manchmal sogar ein Gesicht machen, als würden sie zuhören. Die Musiker wechseln von Abend zu Abend, Flüchtlinge von Dachterrassen und in den oberen Etagen gelegenen Ballsälen der Umgebung, Mitglieder der Hausorchester von Varietés, die gerade zu Tonfilmkinos umgebaut werden, Profis von örtlichen Bands, die zwischen hier und Chicago pendeln, je nachdem, wie die Schuldeneintreiber, die aktuellen und die gewesenen Gattinnen gerade drauf sind.

Wenn man nur lange genug bleibt, kriegt man jeden mal zu sehen. Musiker aus anderen Bands schauen nach ihren bezahlten Gigs vorbei und machen mit, Benny Motens Leute in identischen dreiteiligen Anzügen und zweifarbigen Oxfords, darunter auch der neue Pianist «Count» Basie, der gewöhnlich mehr als einmal «Rumba Negro» spielt, bevor sich das Morgengrauen über den See legt. Jabbo Smith und Zilner Randolph peilen nicht ohne ein gewisses Risiko für die Halsschlagader die hohen Fs und Gs an, und im Hintergrund steht immer ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent, dessen Instrument das Licht reflektiert, während sein Gesicht in Schatten liegt, in denen er sich noch nie zu Hause gefühlt hat, als würde er sich, wenn der Scheinwerfer ihn schließlich findet und er ins Licht tritt, als jemand erweisen, den wir bereits zu kennen glauben …

«Bel lavoro, die Ladung, die du uns in den See geschmissen hast.» Aus einer Wolke von La-Corona-Rauch tritt Lino «Kipplaster» Trapanese in einem perlgrauen Anzug und maßgefertigtem Homburg in blassem Bordeauxrot und strahlt Hicks an, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen. An den Wochenenden ist Lino meist hier, in Bronzeville, zu finden, wo er sich Bemerkungen wie «Ich dachte, du wärst mehr ein ‹Sehnsucht nach Sorrento›-Typ» anhören muss.

Seit langem gilt Hicks bei allen Diensträngen der Polizei als unkooperativ und erfreut sich daher einer gewissen Aufmerksamkeit von Leuten, die auf der anderen Seite des Gesetzes stehen. Harte Burschen wie Lino betrachten Hicks’ Arbeit mit einigem Wohlgefallen, wenn auch nicht ohne Berechnung – vielleicht nicht von oben wie die Engel, aber doch hin und wieder von der Seite.

«Keine Ahnung, ob du was damit anfangen kannst», sagt Lino jetzt hinter vorgehaltener zigarrenfreier Hand und nur in Hicks’ Ohr, «aber auch wenn nicht, hast du’s nicht von mir.»

«Diskretion ist mein zweiter Vorname.»

«Um piccolo consiglio. Dein Onkel Lefty, bei dem läuft irgendwas Komisches.» Lino sieht ihn bedeutsam an, als würde er versuchen, Gedanken zu übertragen.

Nach einer Weile fragt Hicks: «Und zwar?»

«Kann ich nicht sagen.»

«Danke, Lino.»

In den schlechten alten Zeiten der Bandenkriege, als zur Nachtzeit Handgranatenexplosionen und synkopiertes Maschinengewehrfeuer erklangen, hat Hicks gelernt, diese heißen Tipps als hastig notierte, meist nur flüchtig skizzierte Absichtserklärungen aus dem Jenseits zu betrachten. Es ist eine Art Wühltisch-Glaube, der Schnüfflern von Hicks’ Niveau zuteilwird, weil ihre Gebete nicht erhört werden. Er beschließt, einen Verwandtenbesuch zu machen.

4

Am nächsten Abend ist Hicks halb die Treppe zur Veranda rauf, als Onkel Lefty auftaucht und seinem Neffen einen scharfen, wachsamen Blick zuwirft, der wie ein professioneller Wink von Gangster zu Gangster wirkt.

Wie Hicks kurz darauf in der Küche von Tante Peony erfährt, kommt Lefty in letzter Zeit oft erst spätnachts nach Hause und bringt dann Bowling-Ligapolitik als wenig überzeugendes Alibi vor. Dabei riecht er kein bisschen nach Bier, zeigt aber trotzdem Anzeichen von Berauschtheit: ein abweisendes Funkeln, eine Weigerung, die Stimme zu senken oder sich zurückzuziehen, als wollte er jeden, der vielleicht noch wach ist, herausfordern, ihn zu fragen, wo er gewesen ist und was er dort gemacht hat. «Und extra für dich, Hicks, hat er sich heute an den Herd gestellt.»

«Heute gibt’s» – Onkel Lefty verputzt an seinem Tischende inzwischen die dritte oder vierte Portion und fährt das Sauerkraut wie mit der Mistgabel ein – «wieder meinen Überraschungseintopf, von dem du letztes Mal schon so begeistert warst.» Hicks schmeckt mittelscharfe Chilischoten, Ananas aus der Dose, beinah vertraute Teile vom Schwein, mariniert in Onkel Leftys Privatmixtur, deren Hauptzutat – schwarzgebrautes Bier – er aus einer Töpferei gleich jenseits des Viadukts bezieht.

Wie es scheint, wird sich das Tischgespräch wohl hauptsächlich um Hitler drehen, ganz gleich, ob Kinder anwesend sind oder nicht. Man ist in Wisconsin, wo es mehr Gesellschaftstheorien als Saucenvarianten von Heinz gibt und sich die Politik der örtlichen Deutschamerikaner im Lauf der Jahre zu einem immer komplizierteren und manchmal sogar tödlichen Spiel entwickelt hat.

«Also», verkündet Onkel Lefty, «das MPD findet, dass wir uns nicht nur mit den Roten befassen müssen, die ja schon immer Ärger gemacht haben, sondern auch mit der Hitler-Bewegung. Irgendwann demnächst werden sie es auf einen Showdown ankommen lassen, und das wird dann mehr als eine kleine Rangelei wie letztens in West Allis – nein, da wird auf den Straßen von Milwaukee Blut fließen, hoffentlich nicht viel höher als bis zu den Hosensäumen, so lange, bis eine Seite obsiegt.»