Schicksalsjahre des Konservatismus - Florian Finkbeiner - E-Book

Schicksalsjahre des Konservatismus E-Book

Florian Finkbeiner

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Beschreibung

Im Zuge der Erfolge von AfD und anderen Phänomenen rechts der Mitte sowie der Debatte um eine „Neue Rechte“ ist die Frage nach Wesen und Gehalt eines deutschen Konservatismus aktueller denn je. Was ist Konservatismus, und welche politische Bedeutung kommt ihm heute zu? Wie hat sich der Konservatismus in Deutschland entwickelt, und welche unterschiedlichen Ausdrucksformen sind ihm eigen? Florian Finkbeiner zeichnet in seiner Studie über die Wandlungen des deutschen Konservatismus in den 1970er Jahren die Kontinuitätslinien und Brüche dieser politischen Ideenwelt nach. Am Beispiel der konservativen Intellektuellen Armin Mohler, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Caspar von Schrenck-Notzing und Günter Rohrmoser wird aufgezeigt, aus welchen Motiven und vor dem Hintergrund welcher gesamtgesellschaftlichen Prozesse sich der Konservatismus diversifiziert und in unterschiedliche Strömungen zerfällt. Dabei zeigt sich: Im Zuge der Tendenzwende hatte damals der Konservatismus seine gesellschaftliche Steuerungskraft verloren. Deshalb sind die 1970er Jahre auch Schicksalsjahre des Konservatismus. In diesen Umbruchsjahren sind die Wandlungen des Konservatismus angelegt, deren Folgen sich heute eruptiv zeigen.

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Seitenzahl: 345

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ibidem-Verlag, Stuttgart

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Neue Aktualität einer alten Weltbetrachtung

Zur Reihe „Göttinger Junge Forschung“

1 Zur Einleitung

1.1 Gegenstand und Problemstellung

1.2 Fragestellung

1.3 Forschungsstand

1.4 Methodisches Vorgehen

2 Konservatismus im Spiegel der politologischen Diskussion

2.1 Definitionsprobleme

2.2 Deutungsmuster

Interpretationsansätze

Grundstrukturen und Denkbilder

Die Lehre von den Institutionen

2.3 Perspektiven

Traditionalismus und Konservatismus

Das Dilemma nach Greiffenhagen

Die historische Bewegung

Ideologie

Einstellung und Haltung

2.4 Konservatismusanalyse

3 Entwicklungen des Konservatismus – historische Perspektive

3.1 Die Antwort auf die Aufklärung

3.2 Deutsche Romantik und die politische Bewegung

3.3 Bismarck und der Wilhelminismus

3.4 Die Weimarer Republik und die konservative Hybris

3.5 Das Legitimationsproblem in der Nachkriegszeit

Das Legitimationsproblem in den 1950er Jahren

Die Sinnkrise in den 1960er Jahren

4 Die Rekonstruktionsversuche angesichts der konservativen Tendenzwende

4.1 Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik in den 1970er Jahren

4.1.1 Die Herausforderung durch die Kulturrevolution (1968-73)

4.1.2 Die konservative Tendenzwende (1973-77)

4.1.3 Die Suche nach einer neuen Ordnung (1978-82)

4.2 Die Debatte konservativer Intellektueller

4.2.1 Bedrohungs- und Verteidigungshaltung

4.2.2 Beginn der Aktivierung und Auftrieb

4.2.3 Das Ende der Geschlossenheit – Zerfaserung in verschiedene Strömungen

5 Zusammenführung und Auswertung

Weiterentwicklung in den 1980er Jahren

Auswertung

6 Konservatismus – visionäres Projekt oder wortreiche Krisenreaktion?

Literaturverzeichnis

Göttinger Junge Forschung (GJF)

Impressum

Vorwort: Neue Aktualität einer alten Weltbetrachtung

Vom Konservatismus ist gegenwärtig wieder viel die Rede. Zunächst infolge der „Sozialdemokratisierung“ der CDU unter Angela Merkel und damit korrespondierender Protestäußerungen und Organisationsversuche des konservativen Parteiflügels, später dann und insbesondere durch den Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD), die vielfach und jedenfalls in ihrer Frühphase – wenn nicht als rechtspopulistisch – als nationalkonservativ etikettiert wurde, hat es dieser Begriff auch in Deutschland wieder in die bildungsbürgerlichen Debatten in den Feuilletons der überregionalen Zeitungen geschafft.

Plötzlich wird wieder viel von Sicherheitsdenken und Stabilitätssehnsüchten in Zeiten rapiden Wandels gesprochen, von Heimatsuche in einer Ära der Globalisierung und dem Wunsch nach solidaritätsstiftender Vernetzung angesichts apodiktischer wirtschaftsliberaler Mobilitätspostulate. Auch vom skeptischen konservativen Menschenbild, das alle linken Visionen eines besseren, weltläufigeren, vorurteilsfrei verstandes- und vernunftgesteuerten, kurzum: Neuen Menschen als illusionär abqualifiziert, ist mit viel Zustimmung für den hierin zum Ausdruck kommenden nüchternen Realitätssinn die Rede.

Wie unterkomplex diese Debatte über eine Renaissance des Konservativen gleichwohl vielfach geführt wird, wie untertourig auch die Vorstellungen vom Konservatismus insgesamt sind, darauf weist Florian Finkbeiner in seiner umfangreichen Studie gleich zu Beginn hin, wenn er als Kennzeichen des Konservatismus die Vielschichtigkeit dieser geistesgeschichtlichen Strömung darstellt. Jede Be­hauptung klarer ideeller Konturen und einer unbestrittenen geistigen Substanz sei irrig, stattdessen habe man es mit „ganz unterschiedliche(n) ‚Konservative(n)‘ und ‚Konservatismen‘“ zu tun, weshalb „jeglicher Versuch, den Konservatismus zu fixieren, […] zum Scheitern verurteilt sei“.

Doch Finkbeiner geht es in seinem Buch über die „Schicksalsjahre des Konservatismus“ – darauf weist auch der Titel hin – nicht um die Gegenwart, jedenfalls nicht unmittelbar. Im Mittelpunkt stehen die Versuche zur Neuformulierung des Konservatismus in Reaktion auf das „Trau­ma 68“, ausgedrückt im Schlagwort von der „Tendenzwende“. Die erkenntnisleitende Frage Finkbeiners lautet: „Wie reagieren die konservativen Intellektuellen auf die Umbruchphasen der 1970er Jahre und wie agieren sie in ihrer Suche nach einer Rekonstruktion neuer konservativer Positionen?“

In dieser Fragestellung wird deutlich, wo die Interessen des Verfassers liegen. Finkbeiner will (verbindende und trennende) Elemente des konservativen Ideenpanoramas bestimmen, dessen konkrete Gestalt er durch ihren historischen Ort bzw. den im Geschichtsverlauf changierenden Zeitgeist bestimmt sieht. Und als Produzenten von Ideen identifiziert Finkbeiner Intellektuelle, genauer: den Intellektuellen als Protagonisten gesellschaftlicher Debatten, wie sie in Zeitschriften geführt werden – dies viel eher bzw. stärker als im Rahmen von Monografien. Folglich bewegt sich Finkbeiner mit seiner Arbeit im Spannungsfeld der Forschung zum Konservatismus und der Gesellschaftsgeschichte der 1970er Jahre einerseits, zu poli­tischen Ideen und der Rolle von Intellektuellen andererseits. Der Autor stellt sich insofern eine ausgesprochen ambitionierte Aufgabe – schon das macht die Arbeit besonders.

Die Begründung, warum er zur Exemplifikation der beabsichtigten Rekonstruktion konservativer Ideen in den 1970er Jahren Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Armin Mohler, Caspar von Schrenck-Notzing sowie Günther Rohrmoser und ihre Beiträge in der Zeitschrift Criticón wählt (Bedeu­tung im konservativen Milieu; Theorierelevanz der Akteure bzw. Zeitschrift; Zurechenbarkeit zu unterschied­lichen Strömungen bzw. im Hinblick auf die Zeitschrift, ihre Verbindung zu einer breiten Debatte), fällt ebenso überzeugend aus, wie die aus Finkbeiners Erkenntnisinteresse abgeleitete Gliederung einleuchtend und zielführend ist. Auf eine Begriffsbestimmung des Konservatismus folgt ein Abriss seiner historischen Genese und Wandlungen. Daran schließt sich als Hauptteil der Arbeit eine ausführliche Darstellung der Debatten und intellektuellen Auseinandersetzungen im konservativen Spektrum der 1970er Jahre an. Abgerundet wird die Analyse durch eine Konklusion und Einordnung der Darstellung in den Gesamtkontext des Konservatismus.

Finkbeiner ist in unseren Augen eine glänzende Arbeit gelungen, die für eine Masterarbeit zweifellos außer­ge­wöhnlich ist: enorm kenntnisreich, souverän differenzierend, sehr gut geschrieben. Entsprechend gerne haben wir diese Studie in unsere Reihe aufgenommen.

Zur Reihe „Göttinger Junge Forschung“

„Göttinger Junge Forschung“, unter diesem Titel firmiert eine Publikationsreihe des Institutes für Demokratieforschung, das am 1. März 2010 an der Georg-August-Universität Göttingen gegründet worden ist. Göttinger Junge Forschung verfolgt drei Anliegen: Erstens ist sie ein Versuch, jungen Nachwuchswissenschaftlern ein Forum zu geben, auf dem diese sich meinungsfreudig und ausdrucksstark der wissenschaftlichen wie auch außeruniversitären Öffentlichkeit präsentieren können. Damit soll erreicht werden, dass sie sich in einem vergleichsweise frühen Sta­dium ihrer Laufbahn der Kritik der Forschungsgemeinde stellen und dabei im Mut zu pointierten Formulierungen und Thesen bestärkt werden.

Zweitens liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Sprache. Die Klagen über die mangelnde Fähigkeit der Sozialwissenschaften, sich verständlich und originell auszudrücken, sind Legion. So sei der alleinige Fokus auf Forschungsstandards „problematisch“ im Hinblick auf eine „potentiell einhergehende Geringschätzung der Lehr- und der Öffentlichkeitsfunktion der Politikwissenschaft“, durch die „Forschungserkenntnisse der Politikwissenschaft zu einem Arkanwissen werden, das von den Experten in den Nachbarfächern und den Adressaten der Politikberatung, aber kaum mehr vom Publikum der Staatsbürgergesellschaft wahrgenommen wird, geschweige denn verstanden werden kann“.1 Viel zu häufig schotte sich die Wissenschaft durch „die Kunst des unverständlichen Schreibens“2 vom Laienpublikum ab.

Mitnichten soll an dieser Stelle behauptet werden, dass die Texte der Reihe den Anspruch auf verständliche und zugleich genussreiche Sprache mit Leichtigkeit erfüllen. Vielmehr soll es an dieser Stelle um das Bewusstsein für Sprache gehen, den Willen, die Forschungsergebnisse auch mit einer angemessenen literarischen Ausdrucksweise zu würdigen und ihre Reichweite – und damit Nützlichkeit – soweit zu erhöhen, wie dies ohne Abstriche für den wissenschaftlichen Gehalt möglich erscheint. Anstatt darunter zu leiden, kann sich die Erkenntniskraft sogar erhöhen, wenn sich die Autoren über die Niederschrift eingehende Gedanken machen, dabei womöglich den einen oder anderen Aspekt noch einmal gründlich reflektieren, die Argumentation glätten, auf abschreckende Wortungetüme, unnötig komplizierte Satzkonstruktionen und langweilige Passagen aufmerksam werden3 – insgesamt auf einen Wissenschaftsjargon verzichten, wo dies zur Klarheit nicht erforderlich ist. Denn es besteht durchaus die Möglichkeit, einen wissenschaftlichen Text weder zu simplifizieren noch zu verkomplizieren, selbst unter der Berücksichtigung, dass die schwere Verständlichkeit von Wissenschaft aufgrund unvermeidlicher Fachbegriffe vermutlich unausbleiblich ist.4

Dies sollte jedoch nicht die Bereitschaft mindern, den Erkenntnistransfer via Sprache zumindest zu versuchen. In der allgemeinverständlichen Expertise sah der österreichische Universalgelehrte Otto Neurath sogar eine unentbehrliche Voraussetzung für die Demokratie, für die Kontrolle von Experten und Politik. Neurath nannte das die „Kooperation zwischen dem Mann von der Straße und dem wissenschaftlichen Experten“5, aus der sich die Fähigkeit des demokratisch mündigen Bürgers ergebe, sich ein eigenes, wohlinformiertes Urteil über die Geschehnisse der Politik zu bilden. Dass in diesem Bereich ein Defizit der Politikwissenschaft besteht, lässt sich, wie gezeigt, immer häufiger und dringlicher vernehmen. Ein Konsens der Kritiker besteht in dem Plädoyer für eine verstärkte Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine interessierte Öffentlichkeit. Hierzu müsse man „Laien dafür interessieren und faszinieren können, was die Wissenschaftler umtreibt und welche Ergebnisse diese Umtriebigkeit hervorbringt“, weshalb „komplexe wissenschaftliche Verfahren und Sachverhalte für Fachfremde und Laien anschaulich und verständlich“ dargestellt werden sollten.6

Der Sprache einen ähnlichen Stellenwert für die Qualität einer Studie einzuräumen wie den Forschungsresultaten, mag sich auf den ersten Blick übertrieben anhören. Und wie die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman zu berichten weiß, ist dies zumeist „mühselig, langsam, oft schmerzlich und manchmal eine Qual“, denn es „bedeutet ändern, überarbeiten, erweitern, kürzen, umschreiben“.7 Doch eröffnet dieser Schritt die Chance, über die engen Grenzen des Campus hinaus Aufmerksamkeit für die Arbeit zu erregen und zudem auch die Qualität und Überzeugungskraft der Argumentation zu verbessern. Kurzum: Abwechslungsreiche und farbige Formulierungen, sorgsam gestreute Metaphern und Anekdoten oder raffiniert herbeigeführte Spannungsbögen müssen nicht gleich die Ernsthaftigkeit und den Erkenntniswert einer wissenschaftlichen Studie schmälern, sondern können sich für die Leserschaft wie auch für die Wissenschaft als Gewinn erweisen.

In den Bänden der Göttingen Jungen Forschung versuchen die Autoren deshalb sowohl nachzuweisen, dass sie die Standards und Techniken wissenschaftlichen Arbeitens beherrschen, als auch eine anregende Lektüre zu bieten. Wie gesagt, mag dies nicht auf Anhieb gelingen. Doch Schreiben, davon sind wir überzeugt, lernt man nur durch die Praxis des Schreibens, somit durch frühzeitiges Publizieren. Insofern strebt die Reihe keineswegs perfektionistisch, sondern perspektivisch die Förderung von Schreib- und Vermittlungstalenten noch während der wissenschaftlichen Ausbildungsphase an.

Freilich soll bei alldem keinesfalls der inhaltliche Gehalt der Studien vernachlässigt werden. Es soll hier nicht ausschließlich um die zuletzt von immer mehr Verlagen praktizierte Maxime gehen, demnach Examensarbeiten nahezu unterschiedslos zu schade sind, um in der sprichwörtlichen Schublade des Gutachters zu verstauben. Die Studien der Reihe sollen vielmehr, drittens, bislang unterbelichtete Themen aufgreifen oder bei hinlänglich bekannten Untersuchungsobjekten neue Akzente setzen, sodass sie nicht nur für die Publikationsliste des Autors, sondern auch für die Forschung eine Bereicherung darstellen. Das thematische Spektrum ist dabei weit gesteckt: von Verschiebungen in der Gesellschaftstektonik über Anatomien von Parteien oder Bewegungen bis hin zu politischen Biografien.

Eine Gemeinsamkeit findet sich dann allerdings doch: Die Studien sollen Momenten nachspüren, in denen politisches Füh­rungsvermögen urplötzlich ungeahnte Gestaltungsmacht entfalten kann, in denen politische Akteure Gelegenheiten wittern, die sie vermittels Instinkt und Weitsicht, Chuzpe, Entschlusskraft und Verhandlungsgeschick zu nutzen verstehen, kurz: in denen der Machtwille und die politische Tatkraft einzelner Akteure den Geschichtsfluss umzuleiten und neue Realitäten zu schaffen vermögen. Anhand von Fallbeispielen sollen Möglichkeiten und Grenzen, biografische Hintergründe und Erfolgsindikatoren politischer Führung untersucht werden. Kulturelle Phänomene, wie bspw. die Formierung, Gestalt und Wirkung gesellschaftlicher Generationen, werden daher ebenso Thema sein, wie klassische Organisationsstudien aus dem Bereich der Parteien- und Verbändeforschung.

Was die Methodik anbelangt, so ist die Reihe offen für vielerlei Ansätze. Um das für komplexe Probleme charakteristische Zusammenspiel multipler Faktoren (Person, Institution und Umfeld) zu analysieren und die internen Prozesse eines Systems zu verstehen, darüber hinaus der Unberechenbarkeit menschlichen, zumal politischen Handelns und der Macht des Zufalls gerecht zu werden,8 erlaubt sie ihren Autoren forschungspragmatische Offenheit. Jedenfalls: Am Ende soll die Göttinger Junge Forschung mit Gewinn und – im Idealfall – auch mit Freude gelesen werden.

 

 

1 Bleek, Wilhelm: Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001, S. 453 f.

2 Zetzsche, Indre (Hrsg.): Wissenschaftskommunikation. Streif­züge durch ein ‚neues Feld‘, Bonn 2004, S. 115.

3 Zur stimulierenden Wirkung der „detaillierte[n] Schilderung eines indi­vi­du­ellen Falles“: Aydelotte, William O.: Qunatifizierung in der Ge­schichts­wis­senschaft, in: Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Geschichte und Sozio­logie, Königstein im Taunus 1984, S. 259-282, hier S. 275.

4 Vgl. auch den Appell von Mittelstrass, Jürgen: Trough a glass darkly: on the enigmatic nature of science, in: Kriterion, Jg. 23 (2010), S. 1-4.

5 Zitiert nach Sandner, Günther: Demokratisierung des Wissens. Otto Neuraths politisches Projekt, in: Österreichische Zeitschrift für Politik­wis­senschaft, Jg. 38 (2009) H. 2, S. 231-248, hier S. 242.

6 Kürten, Ludwig: Verständigung will gelernt sein, in: Zetzsche (Hrsg.) 2004, S. 83-86, hier S. 84.

7 Tuchman, Barbara: In Geschichte denken, Frankfurt am Main 1984, S. 27.

8 Zur Kritik an der unterstellten Rationalität von Verhalten bzw. der unbe­rücksichtigten Irrationalität vgl. Abromeit, Heidrun: Gesellschaften ohne Alternativen. Zur Zukunftsfähigkeit kapitalistischer Demokratien, Working Paper des Instituts für Politikwissenschaft der Technischen Uni­versität Darmstadt, Nr. 11/2007, S. 5 f.; Bellers, Jürgen: Methoden der So­zial­wissen­schaften: Kritik und Alternativen, Siegen 2005, S. 164; Lepsius, M. Rainer: Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Soziologie, in: Baumgartner, Hans Michael/Rüsen, Jörn (Hrsg.): Semi­nar: Geschichte und Theorie. Um­risse einer Historik, Frankfurt am Main 1976, S. 118-138, hier S. 127.

1 Zur Einleitung

In Theodor Fontanes großem Altersroman Der Stechlin, erschienen 1898, lässt der Autor eine Romanfigur mitteilen, was er für die Quintessenz einer menschlich verstandenen konservativen Überzeugung hält: „Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem sollen wir (...) den großen Zusammenhang der Dinge nie vergessen. Sich abschließen heißt sich einmauern, und sich einmauern ist Tod.“1 Bezeichnenderweise kandidiert die Hauptfigur des Romans, der alte Dubslav von Stechlin, für die Konservativen im Reichstag – und unterliegt dem sozialdemokratischen Gegenkandidaten, ohne darüber auch nur eine Sekunde enttäuscht zu sein. Eigentlich ist ihm nämlich nichts so fern wie die Engstirnigkeit seiner Gesinnungs- und Standesgenossen, die sich etwa in Sätzen äußert wie: „Wer mit sich reden läßt, (...) ist schwach. Und Schwäche (die destruktiven Elemente haben dafür eine feine Fühlung), Schwäche ist immer Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie.“2 In Fontanes Werk erscheinen also ganz unterschiedliche „Konservative“ und „Konservatismen“ – unterschieden weniger in der Überzeugung davon, was eigentlich „bewahrt“ oder „konserviert“ werden müsste, als vielmehr in ihrer Sicht auf die Umwelt, die politischen Gegner oder auch: die Moderne. Dies mag als Beispiel dafür dienen, dass die Begriffe „konservativ“ oder „Konservatismus“ nicht erst in unseren Tagen zu den am schwierigsten inhaltlich zu fassenden Etiketten der politischen Ideengeschichte zählen.

Beschäftigt man sich mit diesem Thema, liegt die Schwierigkeit gerade darin, die unterschiedlichen Dimensionen des Problemfeldes zu berücksichtigen – einerseits die Wandlungsfähigkeit und Verschiedenartigkeit des Komplexes je nach historischer Ausformung; andererseits die Abgrenzung von der alltagssprachlichen Verwendung des Begriffs Konservatismus: Hier nämlich wird der Konservatismus weniger nach seinem Gehalt beurteilt, sondern vom politischen Gegner als „Totschlagargument“ gebraucht – als ein Attribut, das jede weitere Diskussion erübrigt. „Konservativ“ wird durch diese inflationäre Verwendung zu einem weitgehend sinnentleerten Allerweltsbegriff. Der Konservatismus ist aber mehr als eine parteipolitisch gebundene – geschweige denn geschlossene – Weltanschauung. Es handelt sich um eine geistesgeschichtliche und politische Strömung mit vielen Facetten, die sich je nach Zeitgeist an unterschiedliche gesellschaftliche Bedingungen anpassen konnte. Daher ist jeglicher Versuch, den Konservatismus zu fixieren, zum Scheitern verurteilt. Vielmehr erscheint es lohnender, stattdessen Konservatismen zu vergleichen – sei es in ihren jeweiligen historischen Stadien, sei es hinsichtlich ihrer jeweiligen nationalen Spezifika.3 Ideen und Weltanschauungen sind keine starren Konstrukte, sondern sie stehen im Wechselverhältnis zu ihrem sozialgeschichtlichen Kontext, unterliegen historischen Wandlungen.4 Holger Koch betont in seiner Analyse des Konservatismus nach dem Epochenumbruch der deutschen Vereinigung, dass es dabei entscheidend sei, die „Dialektik von Kontinuität und Neuorientierung“ zu verstehen. Dadurch erst werde nachvollziehbar, wie der Konservatismus auf bestimmte geschichtlich-einschneidende Phänomene reagiere und wie er andererseits „Metamorphosen“ durchläuft. Im konservativen Milieu werde erst durch den „Dramatisierungseffekt“ der „konservative[n] Epochendeutung und Ernstfallrhetorik“ jener Aktivismus freigesetzt, der „entscheidende sozio-politische Eckpunkte der Bundesrepublik zur Disposition“ stelle.5 Dies gilt im Grunde genommen ebenso für andere historische Phasen.

1.1 Gegenstand und Problemstellung

Der Konservatismus im Nachkriegsdeutschland war nach seiner Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus diskreditiert. Er konnte keine eigenständigen Positionen entwickeln bzw. beanspruchen. Doch stellte dies für Konservative keine besondere Herausforderung in der Nachkriegszeit dar, denn gerade in der Ära Adenauer vollzogen sich die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen unter „konservativen Auspizien“6. In den 1960er Jahren ändern sich jedoch diese Rahmenbedingungen: Das „Trauma 68“ (Axel Schildt) und die Folgewirkungen führen aus der Sicht der Konservativen zu einer gesamtgesellschaftlichen Bedrohungslage, verbunden mit dem Begriff der „Demokratisierung“. Konservative Theoretiker konnten diesen Entwicklungen kaum inhaltliche Positionen und Alternativen entgegensetzen, dafür war der Konservatismus als Idee zu heterogen und intern zu zerstritten über einzelne gesellschaftliche Prozesse. Doch dadurch herausgefordert entstanden unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen, die sich gegen die „Demokratisierungswelle“ formierten. Vereinzelt wird über die 1970er Jahre von einem „sozialdemokratischen“ (Ralf Dahrendorf) oder gar „roten“ Jahrzehnt gesprochen.7 Allerdings vermag dies angesichts der realen gesellschaftlichen Prozesse nicht zu überzeugen. Es kann zwar ebenso wenig von einem „konservativen“ oder gar „schwarzen“ Jahrzehnt gesprochen werden8 – ganz abgesehen von der Fragwürdigkeit solcher Charakterisierungen –, aber zumindest von einer „konservativen Tendenzwende“: Der Begriff taucht Mitte der 1970er Jahre erstmals in konservativen Kreisen zur Selbstbeschreibung auf, wird aber kurze Zeit später auch zur Fremdbeschreibung genutzt und avanciert – zumindest in der Retrospektive – zu einem zentralen Begriff der intellektuellen Auseinandersetzungen.9 Der Begriff „Tendenzwende“ verdeutlicht die unterschiedlichen Bewegungen, Strömungen und Reaktionsversuche auf die linksliberalen Entwicklungen. Anfang der 1970er Jahre sind diese Versuche noch vereinzelt und formieren sich hauptsächlich gegen die Demokratisierungswelle ausgehend von den Universitäten und die Ostpolitik von Willy Brandt.10 Im Zuge der Ölkrise 1973 und des Endes des lange Jahre wirkmächtigen Fortschrittsglaubens bricht sich aber diese konservative Tendenzwende gesamtgesellschaftlich Bahn. Ab diesem Zeitpunkt zeigt sich eine neue Anziehungskraft bzw. ein (unbestimmtes) Bedürfnis nach „Konservativem“. Fragte Dolf Sternberger 1970 noch vorsichtig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „Darf man heute konservativ sein?“11, heißt es 1974 in der Zeit schon „Man trägt wieder konservativ“12. Allein dies verdeutlicht das gewandelte politische Klima. Auch im konservativen Spektrum entstehen neue Strömungen, Publikationsorgane und Organisationen. Parteipolitisch erhält der konservative Flügel der Christdemokratie um Franz-Josef Strauß und Alfred Dregger mehr Bedeutung. Gerhard Löwenthal polarisiert mit dem ZDF-Magazin wie kaum ein anderes Format.13 In diesem heterogenen Spektrum versuchen vor allem Intellektuelle14 in einer Phase der konservativen Aufbruchsstimmung einen neuen theoretischen Konservatismus zu begründen. Die 1970er Jahre waren „die schärfste Zeit in der intellectual history des bundesdeutschen Konservatismus“15.

1.2 Fragestellung

Diese intellektuellen Auseinandersetzungen stehen im Vordergrund dieser Arbeit: Es soll aufgezeigt werden, was in den 1970er Jahren mit dem Konservatismus passiert. Die Analyse geht dabei ausschnittsweise vor, nimmt ausgewählte Intellektuelle und eine ausgewählte Zeitschrift in den Blick. Die zentrale Fragestellung lautet: Wie reagieren die konservativen Intellektuellen auf die Umbruchphasen der 1970er Jahre und wie agieren sie in ihrer Suche nach einer Rekonstruktion neuer konservativer Positionen? Die Frage nach dem „Wie“ unterstellt a priori, dass diese Intellektuellen reagieren; es gilt daher zu analysieren, welchen Zusammenhang es zwischen der Sozialgeschichte der 1970er Jahre und den spezifischen Reaktionsformen des konservativen Spektrums gibt. Die Arbeit hat sich damit auch zum Ziel gesetzt, die Versuche einer Rekonstruktion des Konservatismus in dieser Phase vor dem Hintergrund der theoretischen Prämissen der Intellektuellen und vor dem Hintergrund des jeweiligen sozialen Kontextes begreifbar zu machen. Zunächst einmal wird grundlegend konstatiert, dass es sich bei dem Konservatismus primär um ein Krisenphänomen handelt.16 Erscheinungsformen und gesellschaftliche Relevanz hängen, wie bereits ausgeführt, von gesamtgesellschaftlichen Prozessen ab. Das bedeutet, dass es einen (Re-)Aktionszusammenhang zwischen der Intensität der gesellschaftlichen Umbruchsstimmung und dem Konservatismus gibt: Dieser reagiert dementsprechend stärker oder schwächer antagonistisch auf diese Prozesse.17 Je komplexer und widersprüchlicher sich gesellschaftliche Umbruchsphasen gestalten, desto mehr Spielraum existiert auch für die Debatten um den Konservatismus. Je stärker das Gefühl im konservativen Spektrum wird, gesamtgesellschaftlich wieder von Bedeutung zu sein, desto ausdifferenzierter werden die Vorstellungen von Gehalt und Wesen des Konservatismus. Ein solcher Zusammenhang kann nicht in toto analysiert werden; vielmehr soll diese Interdependenz zwischen Sozial- und Ideengeschichte im Ausschnitt einer Phase und anhand ausgewählter Theoretiker untersucht werden. Ideen bilden nicht einfach einen Rahmen, in dem bestimmte Prozesse ablaufen. Beide wirken vielmehr wechselseitig aufeinander ein. Ideen helfen Individuen oder Gruppen, heterogene Erfahrungen in ein relativ einheitliches Wirklichkeitsbild zu integrieren und geben ihnen damit handlungsleitende Kategorien. Diese subjektive Bedeutung von Ideen lässt sich an den Personenkreisen und Netzwerken – hier den konservativen Intellektuellen – aufzeigen.18 Gerade dem Typus des Intellektuellen kommt bei der „Konstruktion von Wahrnehmungs-, Denk- und Klassifikationsschemata der sozialen Welt eine Schlüsselrolle zu.“19 Der Intellektuelle fungiert als Vermittler des Wechselverhältnisses von Ideen und Wirklichkeit, also von Theorie und Praxis. Dem Ideal nach ist er damit ein Seismograf des Wandels.20 Insofern soll sich die vorliegende Analyse von Ideen und Weltbildern besonders auf die Funktion und Rolle von Intellektuellen in diesem Feld konzentrieren. In diesem Zusammenhang kommt gerade Publikationsorganen eine zentrale Bedeutung zu. Zeitschriften waren bzw. sind ein zentrales Medium der Vermittlung und Auseinandersetzung – nicht nur zwischen Intellektuellen(kreisen), sondern auch in und zwischen verschiedenen politischen Strömungen.

1.3 Forschungsstand

Die Forschungslage für dieses Themenfeld ist sehr heterogen. Entsprechend der einleitenden Feststellung, dass je nach Perspektive und Prämisse Unterschiedliches unter Konservatismus gefasst und verstanden wird, gibt es eine kaum zu überschauende Fülle an Publikationen. Doch konzentrieren sich die meisten Werke vor allem auf einzelne Facetten, Positionen und geschichtliche Epochen. Auch die sich selbst als konservativ bezeichnende Intelligenz beklagt, dass die Forschung über den Konservatismus sich entweder nur auf einzelne Epochen konzentriere, nur Biografien oder einzelne konservative (Regional-)Parteien im Blick habe.21 Die Forschung in den 1950er und 1960er Jahren beschäftigte sich hauptsächlich, gerade auch weil sie meist weltanschaulich einbezogen war, aus einseitiger Perspektive mit dem Konservatismus. Sie war, wie Hans-Gerd Schumann festhält, vor allem dadurch motiviert, den Konservatismus positiv zu rechtfertigen.22 In den 1970er und 1980er Jahren wandelten sich die Paradigmen; es waren nun vor allem linksliberale Forschungslinien, die das Thema behandelten. Ihre Stoßrichtung zielte dabei besonders auf die Kritik und prinzipielle Infragestellung des Konservatismus.23 Beispielhaft zu nennen sind hier etwa Martin Greiffenhagen24, Helga Grebing25 oder auch Panajotis Kondylis26. Seit den 1990er Jahren wurde mit neuen Impulsen dazu geforscht. Seitdem wird zunehmend versucht, unter neuen Prämissen den (ideen-)geschichtlichen Gehalt zu erklären.27 Dennoch ist weiterhin eine Tendenz in der Forschung auszumachen, den Konservatismus unter einem spezifischen Blickwinkel zu betrachten, nämlich inwiefern er ein Übergangsphänomen zu rechtem Denken darstelle, beziehungsweise diesem tendenziell gleichzusetzen.28 Die ideengeschichtliche Forschung über den Konservatismus ist immer noch dabei, einzelne Entwicklungen genauer zu analysieren, um generelle Aussagen über den historischen Wandel treffen zu können und sich theoretisch-inhaltlich mit den unterschiedlichen konservativen Positionen auseinanderzusetzen.29

Gleiches gilt aber auch für die Sozialgeschichte des hier im Vordergrund stehenden Jahrzehnts der 1970er Jahre. Die Forschung hat sich erst seit ein paar Jahren intensiver dieses Themengebietes angenommen und weitet den Blick über die Schlagwörter, die dieses Jahrzehnt im allgemeinen Verständnis prägen: RAF, Studentenbewegung, neue soziale und ökologische Bewegungen.30 Durch solche Topoi wurde das Bild vom „roten“ bzw. „sozialdemokratischen Jahrzehnt“ tendenziell weiter gefestigt. Es gewinnen aber zunehmend alternative Deutungsmuster an Relevanz, denen es weniger um eine Typologisierung der bestimmenden Entwicklungslinien dieser Dekade geht, sondern vielmehr um deren differenzierende Einordnung. In diesem Zusammenhang hat nun auch die Debatte um den historischen Ort der 1970er Jahre im 20. Jahrhundert begonnen.31 Es gibt bisher kaum umfassende Analysen zur Wiederkehr konservativer Politik in der Bundesrepublik der 1970er Jahre und ebenso wenig zu mentalitätsgeschichtlichen oder organisatorischen Phänomenen im Zuge der Tendenzwende. Diese Deutungskämpfe wurden zuletzt im Rahmen der aufstrebenden Ideengeschichte der Bundesrepublik rezipiert, in deren Fokus insbesondere liberalkonservative Denker gerieten.32 Auch die Intellektuellensoziologie beschäftigt sich seit längerem mit der besonderen Bedeutung von Theoretikern für politische Entwicklungen, bzw. deren Einfluss in der Öffentlichkeit – und hier ist es auch gerade die Dekade der 1970er, die für die Forschung von besonderer Bedeutung ist.33 Insofern ist die vorliegende Arbeit an der Schnittstelle all dieser Themenbereiche zu verorten.34

1.4 Methodisches Vorgehen

In dieser Arbeit geht es vor allem darum, die Begründungsstrukturen im konservativen Spektrum herauszuarbeiten. Am Beispiel ausgewählter konservativer Intellektueller wird untersucht, wie diese auf unterschiedliche soziale Ereignisse reagieren, welche Kritik sie (daran) üben und wie sie versuchen, den Konservatismus neu zu legitimieren. Die Auswahl der Intellektuellen ist entscheidend, um einerseits die Bandbreite der Argumentationsmuster im Konservatismus aufzuzeigen. Andererseits soll hierbei aber auch gezeigt werden, was diese Theoretiker an bestimmten Punkten eint. Im Vergleich zur Gegenwart ist die Anzahl konservativer Theoretiker in den 1970er Jahren groß. Der Konservatismus – oder zumindest die Berufung auf ihn – erfährt in dieser Phase eine Renaissance. Das Feld der Intellektuellen, die sich im weitesten Sinn auf „konservative“ Werte berufen, reicht von Theodor Eschenburg bis Heinrich Böll und Günther Anders. Um sich auf ausgewählte konservative Intellektuelle in diesem Spektrum zu konzentrieren, wurden diese im Hinblick auf bestimmte Kriterien hin überprüft und einbezogen. Zuerst wurde danach differenziert, ob diese Theoretiker überhaupt im konservativen Milieu selbst bedeutend und anerkannt waren. Indizien hierfür finden sich schnell, wenn man untersucht, in welchen Verlagen, in welchen Zeitschriften und vor welchem theoretischen Hintergrund sie publizierten. Allein dadurch fallen die meisten Theoretiker dieser Jahre aus dem Raster, die sich selbst als „wertkonservativ“ bezeichneten, bzw. die sozialliberalen Intellektuellen, die in den 1970er Jahren mit dem Konservatismus sympathisierten. Im nächsten Schritt wurde danach gefragt, welche Theorierelevanz diesen Intellektuellen beizumessen ist. Ging es diesen Intellektuellen darum, neue theoretische Impulse für den Gehalt des Konservatismus zu liefern, oder stärker darum, auf einzelnen – aus ihrer jeweiligen Sicht zentralen – Punkten zu beharren bzw. diese zu radikalisieren? Beispielhaft für Letzteres sind etwa die Historiker Hellmut Diwald und Hans-Joachim Schoeps. In diesem Zusammenhang wurden auch diejenigen Intellektuellen beachtet, die in diesem Jahrzehnt nationalistische und revanchistische Positionen vertraten.35 Dies trifft beispielsweise auf Hans-Dietrich Sander, Bernhard Willms oder auch Robert Hepp zu.36 Im letzten Schritt wurde dann untersucht, in welchen Zeitschriften die Intellektuellen in den 1970er Jahren publizierten.37 Die ausgesuchten Intellektuellen mussten auch alle in einer ausgesuchten konservativen Zeitschrift in diesem Jahrzehnt publiziert haben. Die Arbeit konzentrierte sich schließlich auf vier Intellektuelle: Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Armin Mohler, Caspar von Schrenck-Notzing und Günter Rohrmoser. Sie alle eint die Kritik an der „Kulturrevolution“, auch wenn sie auf unterschiedliche Weise versuchen, den Konservatismus zu „retten“. Sie wurden ausgewählt, weil sie als beispielhaft für unterschiedliche Strömungen theoretischer wie auch organisatorisch-praktischer Erneuerungsversuche gelten können.38

Gerd-Klaus Kaltenbrunner (1939-2011), u. a. Herausgeber der Schriftenreihe Initiative, gilt – zumindest nach Claus Leggewie – als der „Superstar“39 der Konservativen der siebziger und frühen achtziger Jahre. Er versucht vor allem, einen neuen aufgeklärten theoretischen Konservatismus zu entwickeln. Im Gegensatz dazu bemüht sich besonders Armin Mohler40 (1920-2003), den Konservatismus als „Gegenideologie“ neu zu begründen. Der Apologet der Konservativen Revolution, einer der wenigen bekennenden Atheisten unter den Konservativen, steht für die neu-rechte konservative Erneuerung. Sein Freund Caspar von Schrenck-Notzing (1927-2009) wirkt vor allem als Verleger und Netzwerker. Er gründet u. a. die Zeitschrift Criticón und finanziert unterschiedliche konservative Organisationen in den 1970er Jahren. Der Sozialphilosoph Günter Rohrmoser (1927-2008) will den Konservatismus christlich-religiös neu begründen, damit er ihn vor allem für die „Mitte“ und gegen den drohenden „Kulturverfall“ neu legitimieren kann.

Neben den für das konservative Milieu relevanten Werken, programmatischen Schriften und Beiträgen in Sammelbänden über konservative Debatten sollen auch die konkreten Beiträge zu einer (Weiter-)Entwicklung des Konservatismus untersucht werden. Für dieses Vorgehen bietet es sich an, diese Debatten und ihre zentralen Kategorien anhand einer Zeitschrift zu analysieren. Im Zuge der Tendenzwende entstehen in den 1970er Jahren viele konservative Zeitschriften. Zu den bedeutendsten zählen Criticón, Zeitbühne, Konservativ heute, MUT oder das Deutschland-Magazin. Den Selektionskriterien entsprechend muss das Publikationsorgan zum einen versuchen, neue theoretische Debatten anzustoßen und dabei verschiedene Strömungen miteinzubeziehen. Zum anderen muss es selbst im konservativen Spektrum anerkannt gewesen sein. Darüber hinaus mussten die entsprechend ausgewählten Intellektuellen auch alle in jener Zeitschrift in den 1970er Jahren publiziert haben. Die genannten Bedingungen treffen auf die Zeitbühne und das Deutschland-Magazin nur bedingt zu. Theoretische Debatten werden dort nur sehr begrenzt geführt. Konservativ-heute ist vor allem weltanschaulich ausgerichtet und wird im Sinne eines konservativen Protestantismus rezipiert.41 Die Zeitschrift kommentiert aber eher tagesaktuelle Ereignisse, als theoretische Debatten anzustoßen. Die Zeitschrift MUT muss zumindest für die 1970er Jahre nicht als konservativ, sondern als rechtsextrem eingestuft werden. Die genannten Kriterien und Bedingungen treffen somit primär auf die Zeitschrift Criticón zu. Dieses Theorieorgan wurde 1970 von Caspar von Schrenck-Notzing gegründet, um ausdrücklich eine „Gegenhegemonie zur 68er-Kulturrevolution“, einen sogenannten „rechten Gramscismus“ zu etablieren bzw. anzustreben. Es soll die intellektuelle Neuformierung des 1969 entmachteten konservativen Lagers fördern und bündeln. Aus diesem Grund werden bewusst unterschiedliche Strömungen innerhalb des Konservatismus aufgenommen bzw. bedient. Criticón gilt als eines der wichtigsten Diskussionsforen dieser Zeit.42 Die Gegenüberstellung der Positionen soll es ermöglichen, herauszufinden, was diese Theoretiker zu welchem Zeitpunkt eint, was sie ab welchem Zeitpunkt trennt, bzw. was überhaupt in ihren Denkbildern zusammengenommen bedeutend für den Gehalt des Konservatismus ist. Dies soll es erleichtern, diese Rekonstruktionsversuche selbst wieder zu „dekonstruieren“, mit anderen Worten: begreifbar zu machen, welche Argumentationsmuster und Begründungen für welchen Akteur zu welchem Zeitpunkt wichtig sind. Für den vorliegenden Analysegegenstand bedeutet dies, dass die Krisenwahrnehmungen der konservativen Intellektuellen in der Umbruchphase der 1970er Jahre sowie ihre Begründungsstrukturen und Motivationen erfasst werden müssen, um die Rekonstruktionsversuche des Konservatismus auf theoretischer Ebene zu analysieren.

Aus den bisherigen Darlegungen ergibt sich folgendes methodische Vorgehen: Nach einer allgemeinen Annäherung an das Phänomen des Konservatismus werden zuerst die verschiedenen Deutungsmuster und Interpretationsansätze analysiert, um darauf aufbauend die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Konservatismus herauszuarbeiten. Danach wird kursorisch die historische Entwicklung des Konservatismus untersucht. Hierbei steht im Vordergrund, die verschiedenen zeithistorischen Anpassungs- und Wandlungsprozesse aufzuzeigen, um erklären zu können, dass – und inwiefern – es sich bei dem Konservatismus um ein Krisenphänomen handelt. Dieser historische Überblick mündet in die Darstellung der gesellschaftlichen Lage des Konservatismus gegen Ende der 1960er Jahre. Der Hauptteil der Arbeit untersucht dann die Debatten und Auseinandersetzungen zwischen den Intellektuellen. Vor dem Hintergrund der Sozialgeschichte und der konservativen Tendenzwende werden auf Grundlage der Zeitschrift Criticón die Kernpunkte in der Diskussion um eine Rekonstruktion des Konservatismus herausgearbeitet, analysiert und den Positionen der Theoretiker entsprechend miteinander verglichen. Eine Auswertung und Einordnung in den übergeordneten Kontext des Konservatismus insgesamt runden die Untersuchung ab.

1 Fontane, Theodor: Der Stechlin, Zürich 1983, S. 294 f.

2 A. a. O,. S. 41.

3 Hohendahl, Peter Uwe; Schütz, Erhard: Einleitung, in: dies. (Hg.): Perspektiven konservativen Denkens. Deutschland und die Vereinigten Staaten nach 1945, Bern 2012, S. 13-40, hier S. 15; vgl. auch Beyme, Klaus von: Konservatismus. Theorien des Konservatismus und Rechtsextremismus im Zeitalter der Ideologien 1789-1945, Wiesbaden 2013, S. 13.

4 Vgl. Salzborn, Samuel: Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Theorien im Kontext, Baden-Baden 2015.

5 Koch, Holger: Konservatismus zwischen Kontinuität und Neuorientierung. Zum Einfluß von Epochenumbruch, deutscher Vereinigung und ostdeutschem Transformationsprozeß auf weltanschaulichen Gehalt und politisch-ideologische Programmatik des Konservatismus, Dissertation Berlin 1998, S. 4.

6 Kleßmann, Christoph: Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen. Die Geschichte der Bundesrepublik und ihre Kritiker, in: Geschichte und Gesellschaft Jg. 11/1985, S. 476-494, hier S. 485.

7 Vgl. Faulenbach, Bernd: Mehr Demokratie „wagen“ aus sozialdemokratischer Sicht, in: Faulenbach, Bernd; Eckert, Rainer (Hg.): Auf dem Weg zur Zivilgesellschaft. Mythos und Realität der 1960er- und 1970er Jahre in Ost und West, Essen 2003, S. 53-61; Koenen, Gerd: Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977, Köln 2001.

8 Vgl. Livi, Massimiliano; Schmidt, Daniel; Sturm, Michael (Hg.): Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt. Politisierung und Mobilisierung zwischen christlicher Demokratie und extremer Rechter, Frankfurt/New York 2010.

9 Vgl. Podewils, Clemens Graf (Hg.): Tendenzwende. Zur geistigen Situation der Bundesrepublik. Vorträge bei der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Stuttgart 1975; Kaltenbrunner, Gerd-Klaus (Hg.): Plädoyer für die Vernunft. Signale einer Tendenzwende, München 1974; Greiffenhagen, Martin: Freiheit gegen Gleichheit? Zur „Tendenzwende“ in der Bundesrepublik, Hamburg 1975; Schildt, Axel: „Die Kräfte der Gegenreform sind auf breiter Front angetreten“. Zur konservativen Tendenzwende in den Siebzigerjahren, in: Archiv für Sozialgeschichte 44/2004, S. 449-478, hier S. 450 f.

10 Vgl. Wehrs, Nikolai: Protest der Professoren: Der Bund Freiheit der Wissenschaft und die Tendenzwende der 1970er Jahre, in: Livi, Massimiliano; Schmidt, Daniel; Sturm, Michael (Hg.): Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt. Politisierung und Mobilisierung zwischen christlicher Demokratie und extremer Rechter, Frankfurt/New York 2010, S. 91-112.

11 Sternberger, Dolf: Darf man heute konservativ sein?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.10.1970.

12 Zundel, Rolf: Man trägt wieder konservativ, in: Die Zeit, 29.03.1974.

13 Vgl. Winckler, Stefan: Ein „Widerstandsnest“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: das ZDF-Magazin. Ein Gespräch mit Fritz Schenk, in: Becker, Hartmut; Dirsch, Felix; Winckler, Stefan (Hg.): Die 68er und ihre Gegner. Der Widerstand gegen die Kulturrevolution, Graz 2004, S. 208-227.

14 Die Intellektuellensoziologie in der Bundesrepublik versucht weitgehend, „konservativ“ und „Intellektueller“ nicht zusammenzudenken, bzw. dieses Begriffspaar zu vermeiden. Der Begriff „Intellektueller“ verweist in deutschen Denktraditionen zumeist auf verstandsmäßige Einsicht statt auf wertgebundene Überzeugungen. Doch damit werden Ansprüche und Erwartungen an die Sozialfigur des Intellektuellen gestellt, die diese nicht (mehr) erfüllen kann. Zugleich scheinen sich in diesem Verständnis diese Begriffe gegenseitig auszuschließen. Doch letztlich beruht diese Perspektive auf einseitigen Annahmen, wie weiter unten gezeigt wird. Die Forschung in Deutschland verwendet eher selten den Begriff „konservativer Intellektueller“ bzw. „Rechtsintellektueller“, vgl. beispielsweise Gessenharter, Wolfgang: Die Neue intellektuelle Rechte und ihre Unterstützung durch Politik und Medien, in: Braun, Stephan; Hörsch, Daniel (Hg.): Rechte Netzwerke. Eine Gefahr, Wiesbaden 2004, S. 17-26, hier S. 21. Im angelsächsischen Raum hingegen ist der Begriff geläufig, vgl. Schäfer, Gert: Erfindungen und Abgesänge des Politischen, in: Saage, Richard; Berg, Gunnar (Hg.): Zwischen Triumph und Krise. Zum Zustand der liberalen Demokratie nach dem Zusammenbruch der Diktaturen in Osteuropa, Opladen 1998, S. 425-460, hier S. 427.

15 Münkler, Herfried; Nolte, Paul: „Dem Konservativen ist das zu Konservierende abhandengekommen“. Ein Gespräch über die intellectual history des bundesdeutschen Konservatismus, in: Indes 3/2015, S. 7-20, hier S. 15 (Herv. i. O.).

16 Diese Forschungshypothese hat bereits Kurt Lenk entwickelt, vgl. Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, Frankfurt/New York 1989, S. 17.

17 Vgl. Salzborn: Kampf der Ideen, S. 63 f.

18 Vgl. hierzu die ausführlichen Überlegungen von Conze, Vanessa: Das Europa der Deutschen. Ideen von Eu­ropa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung, München 2005, S. 18 f.

19 Gilcher-Holtey, Ingrid: Eingreifendes Denken. Die Wirkungschancen von Intellektuellen, Göttingen 2007, S. 7.

20 Hacke, Jens: Seismografen des Wandels. Warum der Intellektuelle kein Auslaufmodell ist, in: Indes 1/2011, S. 12-18.

21 Vgl. Schrenck-Notzing, Caspar von (Hg.): Stand und Probleme der Erforschung des Konservatismus, Berlin 2000.

22 Vgl. Schumann, Hans-Gerd: Einleitung, in: ders. (Hg.): Konservativismus, Köln 1974, S. 11-22, hier S. 14 f.

23 Zur Verortung der Konservatismusforschung, vgl. Fritzsche, Klaus: Konservatismus im gesellschaftlich-geschichtlichen Prozess (I), in: Neue Politische Literatur Jg. 24 (1979) H. 1, S. 1-23.

24 Vgl. Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, Frankfurt a. M. 1986.

25 Vgl. Grebing, Helga: Konservative gegen die Demokratie. Konservative Kritik an der Demokratie in der Bundesrepublik nach 1945, Frankfurt a. M. 1971.

26 Vgl. Kondylis, Panajotis: Konservativismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang, Stuttgart 1986.

27 Vgl. Schildt, Axel: Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998; Lenk: Deutscher Konservatismus.

28 Exemplarisch für diese Perspektive, vgl. Elm, Ludwig: Der deutsche Konservatismus nach Auschwitz. Von Adenauer und Strauß zu Stoiber und Merkel, Köln 2007. Für einen genaueren Überblick zum Forschungsstand, vgl. Schildt, Axel: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München 1999, S. 8 ff.

29 Vgl. beispielsweise Großmann, Johannes: Die Internationale der Konservativen. Transnationale Elitenzirkel und private Außenpolitik in Westeuropa seit 1945, München 2014.

30 Vgl. beispielsweise Baumann, Cordia; Gehrig, Sebastian; Büchse, Nicolas (Hg.): Linksalternative Milieus und Neue Soziale Bewegungen in den 1970er Jahren, Heidelberg 2011.

31 Vgl. Schmidt, Daniel; Sturm, Michael: „Wir sind die, vor denen Euch die Linken immer schon gewarnt haben“: Eine Einleitung, in: Livi, Massimiliano; Schmidt, Daniel; Sturm, Michael (Hg.): Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt. Politisierung und Mobilisierung zwischen christlicher Demokratie und extremer Rechter, Frankfurt/New York 2010, S. 7-29, hier S. 12 f.; Doering-Manteuffel, Anselm; Lutz, Raphael (Hg.): Nach dem Boom: Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2012; Jarausch, Konrad H. (Hg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008.

32 Vgl. Schmidt/Sturm: „Wir sind die, vor denen Euch die Linken immer schon gewarnt haben“, S. 14; Hacke, Jens: Philosophie der Bürgerlichkeit: die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006.

33 Vgl. Geppert, Dominik; Hacke, Jens (Hg.): Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960-1980, Göttingen 2008; Kroll, Thomas; Reitz, Tilman (Hg.): Intellektuelle in der Bundesrepublik Deutschland. Verschiebungen im politischen Feld der 1960er und 1970er Jahre, Göttingen 2013.

34 Axel Schildt hat besonders auf die Bedeutung dieses Jahrzehnts für die Konservatismusforschung hingewiesen, vgl. Schildt: „Die Kräfte der Gegenreform sind auf breiter Front angetreten“.

35 Vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Konservative Revolution und Neue Rechte. Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat, Opladen 1998; Weißmann, Karlheinz: Kurze Geschichte der konservativen Intelligenz nach 1945, Schnellroda 2011; Lehnert, Erik; Weißmann, Karlheinz: Rechte Intelligenz, in: Sezession 38/2010, S. 36-43; Maaß, Sebastian: Die Geschichte der Neuen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland, Kiel 2014. Hierbei muss allerdings betont werden, dass Lehnert, Weißmann und Maaß selbst im Umfeld der „Neuen Rechten“ zu verorten sind.

36 Zu den nationalistischen und revanchistischen Positionen dieser Theoretiker vgl. Mantino, Susanne: Die ,Neue Rechte' in der ,Grauzone' zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus. Eine systematische Analyse des Phänomens ,Neue Rechte', Frankfurt a. M. 1992, S. 110-159.

37 Vgl. exemplarisch Dirsch, Felix: Mit spitzer Feder gegen den Zeitgeist. Ausgewählte konservative Zeitschriften und ihre Kritik an kulturrevolutionären Tendenzen, in: Becker, Hartmut; Dirsch, Felix; Winckler, Stefan (Hg.): Die 68er und ihre Gegner. Der Widerstand gegen die Kulturrevolution, Graz 2004, S. 64-99.

38 Interessanterweise wählt auch der DDR-Historiker Ludwig Elm diese „exponierten Vertreter“ des konservativen Feldes, allerdings um einseitig die „charakteristischen (…) Richtungen dieser extrem reaktionären Strömung der Ideologie“ zu belegen, Elm, Ludwig: Der „neue“ Konservatismus: Das Desaster von gestern als Leitbild für morgen, in: ders. (Hg.): Leitbilder des deutschen Konservatismus, Köln 1984, S. 227-274, hier S. 232. Elm begreift den Konservatismus allein vulgärmarxistisch als Ausdruck des „deutschen Imperialismus“. Dennoch verdeutlicht die Nennung dieser Intellektuellen bei Elm zumindest deren Stellenwert.

39 Leggewie, Claus: Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin 1987, S. 178.

40 Auf Armin Mohler treffen die oben genannten Kriterien nicht im vollen Umfang zu. Mohler zählt zwar ebenso wie beispielsweise Sander oder Hepp zu dem nationalkonservativen Flügel. Doch Mohler äußert – zumindest noch für diese Zeitspanne - seine Positionen nicht so offen und direkt wie Sander oder Hepp. Er gilt beispielsweise für den Spiegel noch Ende der 1960er Jahre als „konservative[r]“ Autor (o. V.: „Die Welt“. Links von der Wand, in: Der Spiegel Nr. 14/1966, S. 64-68, hier S. 64) oder als „konservative[r] Intellektueller“ (o. V.: Intellektuelle/Israel-Konflikt: Salem oder Schalom, in: Der Spiegel Nr. 28/1967, S. 84-86, hier S. 84). Er radikalisiert sich erst im Zuge dieses Jahrzehnts, wie noch aufgezeigt wird.

41 Vgl. Dirsch: Mit spitzer Feder gegen den Zeitgeist, S. 78 f.

42 Vgl. Dittrich, Sebastian: Zeitschriftenporträt: Criticón, in: Backes, Uwe; Jesse, Eckhard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie Jg. 19/2007, S. 263-287. Die Zeitschrift selbst ist noch kaum erforscht, bzw. ausreichend zusammenhängend analysiert. Es existieren einige journalistische Beiträge über das Blatt, diese konzentrieren sich aber vor allem auf die 1990er Jahre und die zunehmende Radikalisierung der Beiträge.

2 Konservatismus im Spiegel der politologischen Diskussion

2.1 Definitionsprobleme

Die Schwierigkeit, klar zu erklären, wo die Grenzen des Konservatismus-Begriffes zu ziehen sind, ergibt sich durch dessen inflationäre Verwendung, normative Aufladung und die Perspektive des Sprechers. Daher lohnt eine Analyse der gesellschaftlichen Bezugspunkte.1 Abgeleitet vom lateinischen conservare meint „konservativ“ allgemein bewahren oder erhalten.2 Doch was in einer bestimmten historischen Phase von wem bewahrt oder erhalten werden soll, ist kontextabhängig. Der Konservatismus gilt neben dem Liberalismus und Sozialismus als eine der drei großen politischen Ideologien.3 Doch während man den beiden letzteren gewisse kontinuierliche Traditionen zusprechen kann, ist dies beim Konservatismus weit problematischer. Gerade in der historischen Perspektive fällt bei der bunten Fülle konservativer Selbstcharakterisierungen die mangelnde Kohärenz auf.4 In jeder Epoche zeichnet sich die Idee des Konservatismus durch vielfältige Varianten aus. Diese Facetten können kaum genau bestimmt und voneinander abgegrenzt werden. In der Geschichte lösen die jeweils „modernen“ Formen des Konservatismus die überkommenen nicht einfach ab, sondern überlagern diese.5Erst mit entsprechend großem zeitlichem Abstand verändert sich durch die neuen gesellschaftlichen Bedingungen auch das jeweilige Verständnis von Konservatismus. Dies gilt besonders vor deutschem Hintergrund.6

2.2 Deutungsmuster

Interpretationsansätze

Eine wie immer geartete „Interpretation“ des Konservatismus erscheint äußerst umstritten.7 Der historisch-spezifizierende Ansatz definiert den Konservatismus als einen soziologisch identifizierbaren Begriff, der bestimmte Klassen, Stände und Schichten auszeichnet. Als Ausgangspunkt wird die aristokratisch-klerikale Reaktion auf die Französische Revolution gesehen. Der Konservatismus wird aufgrund seiner historischen Entwicklung auf seine ursprünglich-primären Trägerschichten reduziert. Dies waren zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert vor allem der Adel und das Großbürgertum, die an einer ständestaatlichen Ordnung festhalten wollten.8 Dieser Ansatz interpretiert den Konservatismus als „Restaurationsideologie“9 – und damit historisierend als Ausdruck der sozioökonomischen Interessenlagen der oberen Klassen. Da seit dem Ende des 19. Jahrhunderts der Adel und die klassisch „bürgerliche Ordnung“ verschwunden sind, kann nach dieser Interpretation heute nicht mehr von Konservatismus gesprochen werden. In der Forschung wird dieser Ansatz vor allem von Panajotis Kondylis vertreten.10 Doch stößt diese Interpretation spätestens dann an ihre Grenzen, wenn sie zu bestimmen hat, wie das Wiederaufleben des Konservatismus seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu erklären ist, bzw. genauer, warum in Selbst- und Fremdbezeichnung gewisse Phänomene eben konservativ genannt werden. Der universalistisch-anthropologische Ansatz versteht unter dem Konservatismus eine spezifische, quasi universelle Haltung, die sich durch allgemein gültige Wertordnungen und Ideen auszeichnet. Dieser Definitionsversuch reklamiert ein so verstandenes Set aus Werten und bestimmten Tugenden (wie Ordnung, Gerechtigkeit, Mäßigung usw.) jedoch nicht für sich, bzw. für das Individuum, sondern schreibt sie dem Konservatismus zu. Danach zählt allein die Identifikation mit diesen Werten. In diesem Sinne wird der Konservatismus zu einer Gesinnung, bzw. Haltung des Eintretens für oder gegen bestimmte (menschliche) Grundwerte. Er wird als Bewusstsein von den elementaren Bedingungen gesellschaftlicher Stabilität gewissermaßen verallgemeinert zu einem Wesensmerkmal menschlichen Verhaltens und Denkens.11 Doch dieses anthropologische Muster menschlichen Verhaltens kann keineswegs für sich beanspruchen, universal, also allgemeingültig zu sein. Zum einen gerät diese Deutung in Widerspruch zu den anderen großen politischen Theorien. Schließlich beruft sich der politische Liberalismus ebenso auf eine gewisse menschliche Grundhaltung, den homo oeconomicus. Zum anderen – und entscheidender – ist die zweifelhafte Aussagekraft dieses Ansatzes. Wäre der Konservatismus wirklich allein ein menschliches Phänomen aufgrund bestimmter anthropologischer Verhaltensmuster, so könnte damit wohl nur schwerlich auf konkrete, raumzeitlich bestimmte Verhältnisse rekurriert werden, sprich: Diese Perspektive kann seinen historischen, soziologischen und gesellschaftlichen Gehalt als Bewegung nicht bestimmen. Die situationsspezifische Interpretation schließlich löst sich von Trägergruppen und Haltungsmustern und versteht darunter einen Konservatismus, der sich und seine Positionen dann zu aktualisieren sucht, wenn sich bestehende soziale Strukturen aufzulösen drohen. In diesem Sinne meint Konservatismus ein „historisch modifizierbares Arsenal von ideologischen Argumentationsmustern, deren sich die in ihrer Existenz Bedrohten aller Zeiten bedienen“12