Schief gewickelt, Opa! - Angela Ochel - E-Book

Schief gewickelt, Opa! E-Book

Angela Ochel

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Beschreibung

Ein Baby kommt selten allein. Finn ist entsetzt. In Mamas Bauch wohnt ein Baby. Und vor allem: Es ist ein Mädchen! Wie konnte das passieren? Weiß doch jeder, dass Mädchen nur Probleme machen. Gut, dass es die Opas gibt. Die wissen bestimmt, was man dagegen tun kann. Das denkt zumindest Finn. Aber Gunnar und Wilhelm sind nicht so recht bei der Sache. Ob es an der Hebamme Rosemarie liegt? Oder sind es Mamas detaillierte Beschreibungen ihrer Schwangerschaft, die sie regelmäßig zum Erröten (Gunnar) oder Verstummen (Wilhelm) bringen? Da hilft nur noch eins: Ab in den Urlaub! Brüllend komisch und sehr entlarvend – die Erwachsenenwelt aus Kinderaugen.

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Über Angela Ochel

Angela Ochel, 1970 in Bielefeld geboren, arbeitete lange Zeit als Projektleiterin. Den Stoff für ihre Romane findet sie in ihrer eigenen Familie. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen bei Frankfurt am Main.

Im Aufbau Taschenbuch liegen bisher ihre Romane »Ein Baby und zwei Opas« und »Ein Weihnachtsmann fürs Leben« vor. Mehr zur Autorin unter www.angelaochel.de.

Informationen zum Buch

Ein Baby kommt selten allein.

Finn ist entsetzt. In Mamas Bauch wohnt ein Baby. Und vor allem: Es ist ein Mädchen! Wie konnte das passieren? Weiß doch jeder, dass Mädchen nur Probleme machen. Gut, dass es die Opas gibt. Die wissen bestimmt, was man dagegen tun kann. Das denkt zumindest Finn. Aber Gunnar und Wilhelm sind nicht so recht bei der Sache. Ob es an der Hebamme Rosemarie liegt? Oder sind es Mamas detaillierte Beschreibungen ihrer Schwangerschaft, die sie regelmäßig zum Erröten (Gunnar) oder Verstummen (Wilhelm) bringen? Da hilft nur noch eins: Ab in den Urlaub!

Brüllend komisch und sehr entlarvend – die Erwachsenenwelt aus Kinderaugen.

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Angela Ochel

Schief gewickelt, Opa!

Roman

Inhaltsübersicht

Über Angela Ochel

Informationen zum Buch

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1 Mensch ärgere dich nicht

2 Flaschendrehen

3 Sackhüpfen

4 Fang den Hut

5 Orangentanz

6 Versteckspiel

7 Schnitzeljagd

8 Schere – Stein – Papier

9 Ententanz

10 Ich packe meine Koffer

11 Topfschlagen

12 Hänschen piep einmal

13 Der Plumpsack geht um

14 Lauf, mein Pferdchen, lauf Galopp

15 Flüsterpost

16 Blinde Kuh

17 Himmel und Hölle

18 Häschen in der Grube

19 Reise nach Jerusalem

20 Ich sehe was, was du nicht siehst

21 Schubkarrenrennen

22 Eine kleine Mickymaus zog sich mal die Hose aus

Epilog

Die wichtigsten Tipps für werdende Brüder

Impressum

Für meinen Papa, den besten der Welt.

1Mensch ärgere dich nicht

Wie war das? Das Leben ist eine feine Sache? Manchmal wundere ich mich, warum das außer mir keiner hinterfragt. Ist es nämlich nicht. Es ist enttäuschend.

Ich muss es wissen, schließlich bin ich schon anderthalb und war bislang alleinerziehender Enkel. So weit, so gut.

Aber das soll sich jetzt in wenigen Wochen ändern. Dann kommt nämlich das neue Baby raus. Keine Ahnung, warum das nicht einfach drinbleibt. Das hat bis jetzt ja auch sehr gut in Mamas Bauch gewohnt, warum will es plötzlich da weg?

Ich sehe da absolut keinen Vorteil.

Für mich.

Im Gegenteil: Ich hab dann eine Schwester an der Backe. Schwestern sind Mädchen. Und jeder weiß, was man von denen zu halten hat: nichts. Auch wenn alle fragen, ich freu mich da keinesfalls drauf, und auf den Titel »Großer Bruder« kann ich auch verzichten. Überhaupt hat mich nie einer gefragt, ob ich das auch will. Wer braucht schon kleine Schwestern?

Um das noch abzuwenden, bleibt mir nur wenig Zeit. Ansonsten ist das Leben eigentlich ganz schön.

Opa sagt, wir haben Spätherbst. Und der andere Opa sagt, wir haben einen frühen Winter. Mama sagt, sie hat Hunger auf Dominosteine.

Gerade höre ich, wie sich Ninfas Schlüssel in der Haustür dreht. Ninfa ist die Haushälterin von Opa Wilhelm, der mit dem Spätherbst. Jetzt klimpert es leise, weil Ninfa den Schlüssel in eine kleine Ledertasche steckt. Sie bemüht sich immer, ganz leise zu sein, und ich finde das lieb von ihr. Ich höre aber trotzdem alles. Jetzt schließt sie die große Eingangstür und huscht in die Küche. Kurze Zeit später höre ich leises Gedudel aus dem kleinen Fernseher. Ninfa guckt gerne spanische Sender, weil sie in Kolumbien groß geworden ist. Und wenn man da groß geworden ist, redet man spanisch. Ich werde hier in Berlin groß, ich rede dann richtig. Aber Ninfa kann natürlich auch richtig reden. So wie Opa. Und mein anderer Opa. Ninfa kann einfach alles. Sie wohnt jetzt leider nicht mehr hier im Haus, sondern in einer kleinen, sehr, sehr schönen Wohnung am Ende der Straße. Das hat sie sich gewünscht, als wir hier eingezogen sind bei Opa Wilhelm.

Opa gehört diese tolle Villa. Vorher hat er ganz alleine hier gewohnt, und Ninfa hat den Haushalt gemacht. Aber dann hab ich hier das Ruder übernommen. Jetzt wohnt Opa unten und wir oben. Wir, das sind Mama, Papa und ich. Und Mamas dicker Bauch, und bald natürlich diese aufdringliche kleine Schwester. Platz ist eigentlich genug. Aber nicht für Mädchen mit pinken Sachen und Barbiepuppen! Hier zu leben ist echt genial. Jeden Tag habe ich alle um mich rum, denn Opa Gunnar ist auch fast immer da. Eigentlich war geplant, dass er jeden zweiten Tag was mit mir alleine unternimmt, aber eigentlich kommt er jeden Tag. Ist auch besser so. Mein Onkel hat nämlich Opa Gunnars Biobauernhof übernommen und scheint ganz froh zu sein, wenn er nicht da ist. Ich finde das ziemlich dumm von ihm oder großzügig, denn so einen prächtigen Opa gibt man nicht einfach so kampflos her. Also damit das jetzt schon mal klar ist: Ich gebe den nicht freiwillig an meine Schwester weiter. Hinterher will die auch noch Hasi haben!

Schock!

Es ist früh am Morgen. Draußen ist es vollkommen ruhig. Nicht mal die Vögel piepsen. Und im ganzen Haus ist es noch schön still. Meine Zimmertür steht immer einen Spalt auf, damit ich Mama besser höre. Natürlich sagen alle, damit Mama mich besser hört, aber das ist natürlich Unsinn. Ich muss doch auf sie aufpassen, weil Papa gerade nicht da ist: arbeiten. Mein Papa ist Arzt und überall auf der Welt unterwegs und findet, dass man allen Menschen helfen soll. Er ist toll und nett und überhaupt der beste Papa auf der ganzen Welt. Er sagt aber, diese Reise sei das letzte Mal. Wenn er dann wiederkommt, dann hat er drei Jahre Urlaub. Für meine Schwester.

Bäh.

Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich will gar nicht so viel über meine Schwester nachdenken. Von der reden schließlich alle anderen schon genug.

Ungeduldig warte ich auf Ninfa. Das dauert etwas, weil sie unten meine Milch macht. Horch! Jetzt kommt sie die Treppe hoch und muss die beiden nervigen Törchen auf- und zumachen. Das ist, damit niemand die Treppe herunterfällt. Ich finde die blöd. Ohne die könnte ich selber runter in die Küche gehen. Ich kann nämlich nicht nur laufen, ich kann auch Treppe. Hat mir Opa gezeigt. Man muss nur rückwärts klettern. Das weiß er wiederum von einem Bergsteiger mit Namen Edmund. Der ist wohl mit seiner Frau Hillary auf den Äwäräst geklettert. Mein Opa kennt schon echt interessante Leute. Die hätten sich bestimmt nicht von so doofen Toren abhalten lassen. Aber so warte ich halt auf Ninfa, bis die hochkommt und mich aus dem Bett nimmt. Vor dem sind jetzt auch ganz hohe Gitter.

Mann, ist das alles kompliziert mit den Erwachsenen. Wenn sie weniger Kram aufstellen würden, wäre das Leben so viel einfacher.

Ninfa geht, wenn sie hochkommt, immer erst in das Zimmer meiner Mama. Sie schiebt ihre Tür sachte auf und sagt zu meiner Mama immer ganz liebe Sachen: »Guten Morgen, Prinzessin. Wie geht es dir?«

»Ich habe gut geschlafen, danke, Ninfa. Ich schlafe ja immer gut.«

»Ich stelle die Milch für Finn hierher. Soll ich schon mal die Rollos öffnen? Draußen ist es noch dunkel.«

»Mach ich gleich selber, danke! Lieb von dir.«

»Du bist eine wunderbare Schwangere, Prinzessin. Du siehst großartig aus.«

»Und du bist eine süße Lügnerin, Ninfa.«

»Kommt heute nicht dein Greg wieder nach Hause?«

»Ja, endlich. Ich bin so froh, wenn er wieder da ist.«

»Und er wird stolz sein, wie großartig seine kluge Frau alleine zurechtkam.«

»Ninfa, Ninfa. Wenn man dir so zuhört, könnte man denken, Schwangerschaften seien ein Zustand immerwährender Großkatastrophen!«

»Manche Frauen sind dann schwierig.«

»Ich doch nicht. Ich bin Ärztin, schon vergessen?«

»Na, wer weiß. Die sind ja bekanntlich die Schlimmsten. Ich hole dir jetzt deinen Prinzen.«

»Oh ja!«

Ich höre Schritte im Flur. Meine Tür wird aufgeschoben, dann ist Ninfa endlich bei mir im Zimmer. Sie summt leise und fragt ganz sanft, ob ich schon wach bin. So richtig reden kann ich noch nicht. Aber nur weil ich noch müde bin. Sonst kann ich schon eine ganze Menge sagen.

»Nini!« zum Beispiel. Das kommt immer sehr gut an bei Ninfa. Nini heißt so viel wie: »Guten Morgen, liebe Ninfa, ich bin wach, komm spiel mit mir.«

»Ja, genau, deine Nini ist da!« Ninfas starke Hände packen mich und heben mich ganz vorsichtig an. Erst sitze ich, und dann, wenn sie sieht, dass ich wirklich wach genug bin, hebt sie mich auf den Wickeltisch.

»Hasi!«, sage ich. Mein blauer Kumpel ist mir mal wieder in der Nacht stiften gegangen. Ninfa hat ihn mit einem Griff und drückt mir mein Plüschtier in die Arme.

Hallo, Kumpel. Gut geschlafen, ausgeschlafen?

Nein?

Du musst früher ins Bett, aber du jammerst ja immer.

»Draußen ist scheußliches Wetter. Grau und dunkel. Aber das bisschen Schnee liegt noch. Das ist schön. Schon ein bisschen wie Weihnachten. Magst du Weihnachten? Natürlich mag mein Prinz Weihnachten!«

Sie wickelt mich, während ich versuche, an die Dose Puder zu kommen. So, ja, jetzt hab ich sie. Nun hochheben, ups, umgefallen, huch, Puder überall. Egal, jetzt kann ich die Dose Ninfa hinhalten. Ich helfe ja gerne.

»Dankeschön!«, sagt sie und verneigt sich. »Und du hast auch nur ganz wenig verschüttet! Gut gemacht!«

Ich muss dann jedes Mal lachen, wenn sie mir den Bauch küsst. Schließlich zieht Ninfa mir irgendwas an, was sie besonders schön findet, und dann stellt sie mich auf die Beine, hält mich aber ganz doll fest.

»Maravilloso! Wunderbar!« Ninfas Spanisch klingt schön und wenn ich sie anstrahle, packt sie mich und knuddelt mich. Das ist so witzig.

»Ai!«, macht sie dann und ich lache und quieke.

»Huhu! Ich will auch geknuddelt werden!«, ruft dann meine Mama fröhlich von nebenan.

»Wir kommen! Wir sind fertig angezogen und wollen unsere Milch!« Ninfa stellt mich auf den Boden und mit Hasi unterm Arm laufe ich zu Mama. Sie liegt in ihrem Bett und hebt einen Zipfel der Decke an. Ich schlüpfe hinein. Oh, das ist so schön warm hier. Dann gibt sie mir die warme Milchflasche, und ich trinke. Herrlich.

Mama streicht mir über die Stirn und küsst mich. »Guten Morgen, Prinz Finn der Erste. Wie geht es Ihnen heute? Haben Sie wohl geruht?« Sie sagt immer so lustige Sachen. Mama ist natürlich die tollste Frau der Welt. Klar. Und bei ihr ist es am schönsten. Und das will was heißen, denn in meinem Leben ist eine ganze Menge ganz schön.

Bis auf diese eine Kleinigkeit mit Namen Schwester.

Dieses unselige Ding, das da in Mamas Bauch rumlungert. Blöde Kuh! Das verdirbt mir glatt die Milch.

Und was diese Schwester alles für Ansprüche stellt! Ich soll dann sofort meine Mama, meinen Papa und auch meine Opas mit ihr teilen. Ich kenne die ja nicht mal! Und dann teilen.

Frechheit.

Soll die sich doch selber Mamas und Papas und Opas suchen. Gibt doch genug davon. Ich habe so hart an meinen Opas gearbeitet. Nun sind sie perfekt erzogen, und was ist? Schon kommt da jemand und will die auch haben.

Meine Milch gluckert fröhlich vor sich hin. Mama streicht mir über mein Haar.

»Ninfa hat recht, wenn sie sagt, du hast goldenes Haar, mein Schatz! Möchte zu gerne wissen, was in deinem schönen Köpfchen so los ist. Was denkst du wohl gerade?«

Ganz schön neugierig, Mama.

»Und gierig bist du. Bist ja fast fertig mit der Milch! Du bist mein Großer! Mein ganz Großer!« Sie nimmt die leere Flasche und stellt sie weg. Dann hilft sie mir beim Aufsetzen, damit ich mein Bäuerchen machen kann.

»Ja, und bald bist du ein großer Bruder!«

Danke, verzichte gerne.

Sie klopft mir sanft auf den Rücken. Ups. Heute ging es aber schnell. Mama lacht über mein lustiges Geräusch.

»Ach. Und wen haben wir denn da? Guten Morgen, Herr Hasi!«, sagt sie zu meinem blauen Plüschkumpel. Und hält ihn vor sich und gibt ihm die Hand. Da muss ich immer lachen. Hasi verneigt sich vor Mama.

»Oh, Herr Hasi, Sie wollen heute große Wäsche machen? Sehr gut. Und wie machen Sie das?« Mama spricht immer so mit ihm, als wäre der leicht schwerhörig und nicht gescheit. Er redet jetzt, aber nicht laut, sondern flüstert Mama die Antworten in ihr Ohr.

»Ja, dann mal los, Herr Hasi!«

Ach nein, bitte noch nicht aufstehen, in Mamas Bett ist es morgens doch immer so schön.

Mama schmust noch etwas mit mir, dann sagt sie, sie muss aufs Töpfchen (was für ein gigantisches Töpfchen das auch immer sein soll), und begleitet mich bis auf den Flur zur Treppe. Da steht schon Ninfa und trägt mich runter. Genau zu diesem Zeitpunkt kommt Opa im unteren Flur an uns vorbei – jeden Morgen! Er trägt seinen gestreiften Pyjama, in dem er vornehmer aussieht als so mancher »feiner Pinkel«, wie Mama immer sagt, und geht ins Badezimmer. Er hat schwarze Lederhausschuhe an, die leise Schlurfgeräusche machen.

»Guten Morgen, doctor!«, begrüßt Ninfa ihn freudig mit einem schmissig gerollten R.

»Owi!«, rufe ich.

Er strahlt, weil er seinen Namen von mir hört und grüßt fröhlich, aber wortlos und verschwindet im Bad.

Ninfa und ich gehen derweil in die Küche, sie stellt mich auf den Boden, wartet, bis ich selber auf meinen treppenförmigen Kinderstuhl geklettert bin, und schiebt mich dann dicht an den Tisch.

»Uhuhu!«, mache ich und zeige auf den Fernseher. Ninfa versteht mich.

»Ja stell dir vor, Consuela hat Roberto verlassen, weil sie glaubt, er habe was mit Esmeralda gehabt! Mit Esmeralda! Die doch nicht!« Ninfa macht den kleinen Fernseher lauter. Ein wunderbar weicher, leicht hysterischer Strom an spanischen Wutausbrüchen schwappt aus dem Gerät. Eine Frau mit unfassbar vielen Haaren redet eilig und wütend auf eine andere Frau mit ebenfalls pompöser Haarpracht ein. Worüber die wohl in Wahrheit sauer ist? Dass die andere Frau längere Fingernägel hat? Schau dir das an, Hasi, wie bekommt die Frau denn die Legosteine aufeinander mit diesen Fingernägeln? Kolumbianer sind so faszinierend. Dagegen sind Berliner ja eher langweilig. Und schlecht frisiert. Außer Opa. Aber der hat ja gar keine Haare.

Ninfa steht wie erstarrt vor dem Gerät. Ich muss etwas warten, bis sie sich davon lösen kann und mir endlich meinen Brei reicht.

»Wie kann sie nur Esmeralda so was unterstellen!«

Ich weiß es nicht, Ninfa, aber ich vermute in drei bis vier Tagen redet kein Mensch mehr darüber. Genauso wie über den einen, der den anderen erschossen hat. Und die ganzen Leute mit den vielen Haaren streiten sich dann wieder über was anderes. Was ist eigentlich aus der einen Frau geworden, die gestern so geheult hat?

»Ich bin sehr gespannt, wie es der armen, armen Teresa heute geht.«

Genau. So hieß die. Oh, der Brei ist lecker.

»Fein isst du, mein Junge. Du wirst ein wunderbarer großer Bruder, nicht wahr?«

Sprechen wir nicht darüber. Was ist mit der Banane?

Ninfa reagiert nicht, sie ist wieder in die Welt der Frisuren und bunten Kleider abgetaucht.

»Bana?« Ich versuche selbst an die Banane in der Mitte des Tisches zu kommen. Klappt nicht.

»Banana? Oh ja, warte, mein Schatz.« Sie schneidet sie in kleine Stückchen und wir gucken in Ruhe weiter Fernsehen. Nach einer Weile hören wir Opa durch den Flur kommen. Er singt gut gelaunt vor sich hin, und Ninfa macht den Fernseher ganz leise.

»Guten Morgen zusammen!«, tönt es schon im Türrahmen und wir müssen alle lachen. Ich halte Hasi hoch.

»Und guten Morgen auch dir, Hasi. Gut geschlafen, ausgeschlafen?«

Ich nicke. Mein Opa streicht mir über den Kopf und setzt sich neben mich. Wir haben ja jetzt einen ganz neuen Tisch hier in der Küche, dass wir alle dranpassen. Aber in der Regel frühstücken nur Opa und ich. Aber manchmal essen wir alle zu Abend hier. Dann ist auch Opa Gunnar da und manchmal Frau Pietsch, seine Haushälterin.

»Heute kommt dein Papa wieder, was, kleiner Mann? Freust dich bestimmt, ihn wiederzusehen, was?«

Klar. Ich zeig ihm dann das neue Vogelhaus.

»Papa!«, rufe ich, um auch mal was zu sagen.

»Genau, dein Papa kommt heute.« Opa setzt die erste Tasse Kaffee des Tages an und kippt sie in einem Zug herunter. Dann macht er laut »Aaaach!«

Ninfa schüttelt dann immer gespielt entsetzt den Kopf über seine Manieren – sie sind wohl erschreckend schlecht. Ich frage mich, was das ist, diese schlechten Manieren? Ich soll wohl auch Manieren haben. Mal gute, mal weniger gute. Aber offenbar ausreichende, um die Leute zum Lachen zu bringen.

»Was glauben Sie, doctor, wird Finns Papa nicht ganz schön stolz sein auf seine Mama? Ich habe noch nie eine so entspannte und ruhige Mutter erlebt. Sie ist ein kleines Wunder!«

»Das ist kein Wunder, liebe Frau Ninfa!« Opa hebt den Kopf und seine schöne Glatze glänzt majestätisch im Schein der Küchenlampe. Er haut sich einmal mit der Faust gegen seine mächtige Brust. »Das sind die guten Gene der Semmelmanns! Wir schauen jeder Gefahr gelassen ins Auge!«

»Aha.« Ninfa zwinkert mir zu.

»Und, wenn ich das hinzufügen darf, eine Schwangerschaft ist nun wirklich nichts Besonderes. Millionen, was sag ich, Milliarden von Frauen haben ohne Probleme ihre Kinder bekommen. Da darf man nicht jammern, auch nicht als Frau, da lässt man einfach der Natur ihren Lauf.«

»Nichts Besonderes, doctor?« Ninfa runzelt die Stirn. »Nun ja.« Er kratzt sich am Kopf. »Natürlich ist eine Geburt was Besonderes. Also, so meinte ich das nicht. Ähem. Zumindest ist meine Tochter da ganz der semmelmannschen Familientradition verpflichtet und nimmt das Leben, wie es ist, und lässt sich durch nichts erschüttern. Durch gar nichts!« Er hebt die zweite Tasse Kaffee an und prostet uns zu.

Genau in diesem Moment hören wir einen lauten Schrei.

»NEIN!«

Das war meine Mama.

»Oh, Jesus Christus im Himmel!« Ninfa rennt aus der Küche, dicht gefolgt von Opa. Ich komme etwas langsamer nach, da ich ja erst von meinem Stuhl klettern muss. Opa und Ninfa sind noch nicht weit gekommen, da sie die blöden Törchen an der Treppe in ihrer Aufregung nicht aufbekommen.

»Da drücken, nein da, da, so machen Sie schon, doctor!«

»Ich mach ja!«

Oben an der Treppe sehe ich meine Mama stehen. Sie hat den Telefonhörer in der Hand und weint.

»Prinzessin, was ist? Warte, wir sind gleich da, nur noch das eine Törchen. Machen Sie schnell, doctor!«

Mama weint immer noch. Sie hält das Telefon, als würde es stinken.

»Sara, nun sag schon! Was ist geschehen?«

»Prinzessin, so rede doch!« Ninfa und Opa hantieren hektisch am oberen Törchen herum.

Mama kommt einen Schritt näher, berührt das Törchen und hilft mit einem Griff beim Öffnen. Klack. Das Tor springt auf.

Mama reicht Ninfa das Telefon. Opa umarmt meine Mama und fragt dann noch mal energisch, aber leiser: »Nun rede doch! Was ist passiert? Was ist geschehen? Mein liebes, armes Kind?« Hektisch untersucht er sie nach Verletzungen. Aber Mama scheint ganz und gar in Ordnung.

»Greg!«

»Oh Gott, was ist mit ihm? Ist er verunglückt? Was ist, rede doch!« Opa ist erschüttert und hält meine Mama nur noch fester.

»Er hat –«

»Was denn?« Opa ist außer sich. Er schiebt Mama nun eine Armeslänge von sich weg und versucht in ihrem Gesicht zu ergründen, was los ist. Ich bin mittlerweile auch oben angekommen, weil netterweise endlich mal alle Hindernisse offen standen. Langsam komme ich näher. Mama sieht mich und reißt mich an sich. Dann lässt sie sich auf ein kleines Sofa, das hübsch dekorativ auf dem Flur steht, fallen. Typisch. Ich darf nie auf das Ding klettern, weil es so kostbar ist. Mama weint und scheint ganz gegen ihre sonstige Art völlig aufgelöst. »Nun sind wir ganz auf uns alleine gestellt, Finn! Alleine! Ganz alleine!«

Aber Mama, wir sind doch nie alleine! Wir haben doch Hasi! Schau!

Opa wird ganz weiß und schüttelt nun leicht an der Schulter meiner Mama, so dass ich mitgeschüttelt werde.

»Sag doch was, Kind!«

»Greg hat –«

»Dich verlassen?«

Mama schüttelt den Kopf.

»Einen Flugzeugabsturz?«

Sie schüttelt wieder.

»Ein Bombenattentat?«

Wieder wird geschüttelt.

»Nun rede doch, Kind, rede!«

»Es ist so schrecklich! So schrecklich! Ganz ohne ihn schaffe ich das nicht. Niemals. Ohne Greg kann ich das nicht. Ich will nicht mehr!«

»Oh Gott, was ist nur?«

»Das ist das Ende! Verstehst du, Papa! Ich schaffe das nicht ohne ihn. Mein Greg ist immer so ruhig, und er weiß doch immer alles …« Mama weint. So hab ich sie noch nie weinen gesehen.

Ich muss mitweinen. Als sie das sieht, drückt sie mich noch fester an sich.

»Oh Finn, mein kleiner Held. Nun hab ich nur noch dich.«

»Was ist denn mit deinem Mann, was ist denn nur?« Opa fuchtelt mit den Händen. Mama reagiert nicht.

Ninfa kommt wieder. Sie hat das Telefon in der Hand, im Gegensatz zu Mama sieht sie ganz entspannt aus.

»Frau Ninfa! In Gottes Namen sagen Sie mir endlich, was los ist. Was ist mit Greg? Lebt er noch?«

»Oh Greg«, heult meine Mama.

»Na, na, Prinzessin«, sagt Ninfa und seufzt. »Was soll denn der Kleine denken. Komm Finn, ist halb so wild.«

»Halb so wild?«, brüllt Opa ganz laut und wirbelt mit den Armen. »Was ist hier los? Ist Greg nun mit dem Flugzeug abgestürzt oder nicht?«

»Flugzeug? Wer sagt denn was von einem Flugzeug?«

»Nicht? Was hat er denn? REDET MIT MIR!« Opa kann ganz schön laut werden.

Ninfa guckt Mama an, ob die es sagen will, aber die schluchzt nur vor sich hin. Ninfa seufzt kurz und sagt dann ziemlich trocken: »Greg hat varicela.«

»Bitte was? Ich verstehe nicht!« Opa scheint mitten in seinem Gefuchtel zu erstarren.

»Varizellen. Sie sagen dazu, glaube ich, Windpocken. Ja, so ist es. Das ist das ganze Drama.« Ninfa tippt sich auf den Arm, offenbar um zu zeigen, wie sie mit Windpocken aussehen würde. Mama sagt zu so einem lustigen Muster Polkadots. Zumindest wenn sie gerade Kleider kauft. Im Augenblick heult sie allerdings nur.

Jetzt dreht sich Ninfa vielleicht ein klitzekleines bisschen genervt um und streichelt meiner Mama vorsichtig über die Wangen und fügt hinzu: »Greg hat bloß die Windpocken. Er kann wegen Ansteckungsgefahr hier nicht wohnen und ist jetzt bei seinem Vater auf dem Hof.« »Äh. Wegen Windpocken?«, fragt Opa noch einmal.

»Ich bin so alleine!«, jammert meine Mama.

»Sara. Nun reiß dich zusammen. Du bist nicht alleine. Wir sind alle hier. Und dein Gatte ruft dich wie gehabt jeden Tag fünfmal an. Das wird schon.« Ninfa kann, wenn es sein muss, etwas unbarmherzig sein. Letztens sagte sie zum Beispiel, als ich auf einen Legostein getreten bin, das wäre gar nicht so schlimm. Also echt, ich sah das mal ganz anders!

»So alleine!« Mama sieht das offenbar auch anders.

»Sind Windpocken denn gefährlich?«

»Manchmal können die gefährlich werden für Schwangere. So. Genug geweint, Prinzessin, zieh dich an. Und du, Süßer, du komm, wir gehen wieder in die Küche. Und Sie sollten mitkommen, doctor. Geben Sie Ihrer Tochter einen Moment, dass sie sich wieder beruhigt. Das sind nur die Hormone.«

»Ich bin so alleine.« Mama hat offenbar vor, noch ein bisschen zusammen mit ihren Hormonen zu jammern.

»Meinen Sie nicht, Frau Ninfa, ich sollte besser bei ihr bleiben?«

»Sie? Ich glaube nicht, dass Sie der Sache gewachsen sind. Warten Sie es ab, das dürfte erst der Anfang sein! Kommen Sie. Ihre Tochter wird sich gleich wieder fangen. Bestimmt. Da haben Sie nun ihre semmelmannsche Gelassenheit. Wie der Vater so –«

»Was soll das denn heißen?« Opa hantiert an dem Verschluss des oberen und unteren Törchens und kommt dann mit uns in die Küche. Dort atmen wir erst einmal durch. Puh.

»Das war ja, das war ja –« Opa ist noch ganz verwirrt.

Dann hören wir, wie sich in der Haustür ein Schlüssel umdreht.

»Greg? Bist du es?«, brüllt meine Mama von oben. Und dann recht leise: »Oh Gunnar, du bist es nur.« Mein anderer Opa.

»Hallo, Liebes. Du weißt es schon? Es geht deinem Mann gut, aber er meint, er will auf keinen Fall ein Risiko eingehen!« Dann hören wir von oben lautes Gefluche darüber, dass Ärzte gar nicht die Windpocken bekommen dürften und wie das denn sein könnte und so weiter.

Opa Gunnar kommt zu uns in die Küche. Er schließt hinter sich die Tür.

»Ogu!«, rufe ich und ernte gleich mal einen dicken Schmatzer. »Hallo, Finn. Na, du hast Spaß, was? Guten Tag, Frau Ninfa, und hallo, Willi, altes Haus, wie stehen die Aktien? Ihr seht ja aus, als habt ihr gerade einen Blitzschlag erlebt!«

»Gut geraten.« Ninfa hantiert mit dem Wasserkocher und scheint amüsiert.

»Oh Gott, Gunnar! Das hättest du erleben müssen! Meine Tochter hat sich in eine Furie verwandelt, seit sie weiß, dass Greg nicht kommt. Vorher war alles so schön friedlich.« Opa Wilhelm seufzt und schaut tief in seine Kaffeetasse. Ninfa macht Tee.

»Ich setz mich mal.« Opa Gunnar stellt seine große Tasche, die er eigentlich fürs Kinderschwimmen angeschafft hat, mitten auf den Tisch. Ninfa greift sofort nach ihr. »So was gehört nicht auf den Tisch!«, und befördert sie resolut in den Flur.

»Wozu die Tasche?« Opa Wilhelm scheint sich von Ninfas hektischem Treiben kaum abbringen zu lassen.

»Greg schickt mich. Er hat das geahnt.« Opa Gunnar deutet mit dem Kopf zur Küchentür.

»Glaubt er, ich schaffe das nicht alleine? Es ist ja schließlich meine Tochter!« Opa Wilhelm schnaubt entrüstet und macht dabei Wellen auf dem Kaffee.

Wir hören Poltern von oben und immer wieder die Worte »Windpocken« und »Ärzte« und »Impfen«. Und Sachen, wo Ninfa mir normalerweise schnell die Ohren zuhält. Wir gucken alle an die Zimmerdecke.

»Oh.« Opa Wilhelm setzt die Tasse ab.

»Tja.«

Nur Ninfa scheint wenig beeindruckt. Sie zuckt mit den Schultern und gießt Opa Gunnar den fertig gebrühten Tee ein. Es klingt, als würde Mama oben alle großen Möbel umräumen.

»Ich soll hier auch übernachten«, sagt Opa Gunnar. In seiner Stimme schwingt Angst mit.

»Willste oben ins Gästezimmer? Ich hab aber auch eins hier unten.«

Wieder Poltern.

Opa Gunnar schlürft seinen ersten Schluck Tee. »Besser unten.«

Ninfa macht ein leises »Pft!« und geht hinaus.

Ich halte Opa Gunnar ein Stück Banane hin.

»Wenigstens einer, der hier ruhig bleibt.« Er lässt sich füttern, während Opa Wilhelm mehrfach laut und vernehmlich ein- und ausatmet. Dann packt er Opa Gunnar plötzlich am Unterarm: »Meinst du, das wird die ganze Zeit so gehen? Ich meine, dass sie so ist?«

»Was willste machen, Willi? Sie ist schwanger!«

»Ja, aber doch nicht so!«

»Wie denn dann?« Opa Gunnar schlürft ruhig seinen Tee.

Wenn ich groß bin, werde ich auch mal so cool wie Opa Gunnar. Bestimmt, ich habe ja seine »Gehne«. Sagt er immer. Was auch immer »Gehne« ist.

»Keine Ahnung. Wie lange ist es denn noch?«

»Termin ist kurz nach Weihnachten.«

»Das sind ja noch anderthalb Monate! Fast sechs lange Wochen!«

»Jau. So sieht es aus, Willi. Da musst du jetzt durch.«

»So lange? Oh Gott steh mir bei! Na, das kann ja nur ein riesiges Chaos werden. Und wieso ich? Du auch!«

Hurra! Lasst uns gemeinsam was durchmachen! Ich bin auf jeden Fall voll dabei!

Und Hasi!

2Flaschendrehen

Irgendwas ist anders geworden. Auch wenn es morgens bis zu meinem Milchfläschchen weiterhin sehr gemütlich in Mamas Bett ist, hat sich seit der Minute, da Mama von Papas Polkadots, äh, Windpocken erfahren hat, alles verändert.

Während sich dieses unselige Kleineschwesterkriegen bis dahin nur in Mamas Bauch abgespielt hat, wird es nun aus Ermanglung meines Papas ausführlich mit allen besprochen. Will sagen, meine Mama redet über nichts anderes mehr.

Schwester hier. Schwester da. Schwesterkriegen, Schwesterwohnen, Schwesterschlafen, Schwestervorbereitung. Und so weiter. Den ganzen Tag.

Das klingt erst mal nicht schlimm, ist es aber. Vor allem für meine Opas. Ich glaube, die verstehen Frauen nicht.

Morgens am Frühstückstisch tuscheln sie immer so leise über Mama.

»Morgen, Willi.«

»Morgen.«

»Ist sie schon wach?«

»Ich fürchte.«

»Welches Thema hat sie heute?«

»Juckreiz. Frag nicht, wo.« Opa Wilhelm hat recht. Als ich vorhin nach der Milchflasche aus Mamas Bett gekrochen bin und an der Treppe auf Ninfa wartete, kam mein Opa wie üblich im Pyjama vorbei, und Mama hat ihm gleich ganz viel erzählt, wo es sie überall juckt.

»Ich hatte eine so schlimme Nacht. Ich habe Hämorrhoiden. Und die jucken. Und dann hier am Kopf. Und hier auch. Und der Busen wird so dick. Bei Finn ist der nicht so dick geworden.«

Ich habe Busen? Wo?

Zumindest redet sie, ohne Luft zu holen.

»Oje.« Opa Gunnar scheint sich das gut vorstellen zu können. Er hat plötzlich Mühe, seinen Tee zu trinken.

»Immer noch besser als gestern, da hat sie immerzu über ihre Verstopfung geredet.« Opa Wilhelm verdreht die Augen.

»Du bist doch Arzt, kannst du ihr nicht helfen?«

»Ich war doch nicht Arzt für Frauen!«

»Nicht?«

»Nein, ich war für anständige Forschung zuständig. Da gehörte sich das nicht, dass Frauen so viel von sich reden.«

Ninfa, die in der Küche nah am Fernseher steht und versucht, ein bisschen von unserer Lieblingsserie zu gucken, kichert. Ich bin sicher, das hatte nichts mit den Leuten mit den vielen Haaren zu tun.

»Nananana!« Opa Gunnar scheint ein bisschen auf Mamas Seite zu sein, aber vielleicht will er auch nur Opa Wilhelm beruhigen.

»Ja, ist doch wahr, Gunnar! Es war bis vor wenigen Tagen so ruhig hier!«

»Ich finde, Frauen sind wunderbar. Sie sind so natürlich. Ich mag dieses Erdverbundene einer Schwangeren. Ja, fast etwas Mystisches hat es an sich.«

»Bitte? Erdverbunden? Mystisch? Wie kommst du denn da drauf? Du bist ja wohl nicht ganz gescheit! Du hast in deiner Jugend zu viel geraucht!«

»Unsinn! Frauen sind wunderbar! Ja, so wunderbar wie meine Kühe.«

»Kühe? Hab ich das richtig gehört? Kühe? Das lass meine Tochter nicht hören, die kratzt dir die Augen aus.«

»Quatsch! Nein, ich meine das gar nicht böse. Versteh doch: Kühe fressen bloß ganz normales Gras und geben dann kostbare Milch. Das ist was Besonderes.«

»Hm«, Opa Wilhelm schnaubt wenig überzeugt, aber deutlich beruhigt durch die Nase. »Ach so. Verstehe. Frage mich nur, ob die das auch so sehen.«

»Sag nichts gegen meine Kühe.«

»Schon gut. Und nun trink deinen Tee, du Kuhversteher.«

Ich bin total froh, dass ich bei solchen wichtigen Gesprächen zwischen meinen Opas sitzen kann, und höre aufmerksam zu, während ich meinen Brei löffel. Da kann ich noch richtig was lernen.

Ninfa wirbelt derweil schon durch das Haus. Sie macht die Wäsche und räumt auf, lüftet die Schlafzimmer oder saugt Staub. Zwischendurch wird sie immer wieder von Hilferufen meiner Mama unterbrochen. Obwohl wir das alle schon ein bisschen gewohnt sind, schrecken meine Opas doch jedes Mal auf.

»Oh nein!«, hören wir es von oben.

Opa Gunnar und Opa Wilhelm springen auf, stehen lauschend in der offenen Küchentür und versuchen rauszukriegen, was das Problem ist.

»Was ist es diesmal?«, flüstert Opa Wilhelm.

»Ich glaube, sie findet sich fett.«

»Is’ nicht wahr.«

»Doch.«

»Aber sie IST fett! Guckt sie denn nicht in den Spiegel?«

»So kann man das doch nun auch nicht sagen. Sie ist doch nicht fett! Sie ist dick, aber doch nicht aus Spaß!«

»Fett oder dick, was ist da der Unterschied. Sie weiß doch, dass sie ein Kind bekommt. Wo soll das Baby denn sonst hin mit seinen Armen und Beinen? Huch! Was ist jetzt?« Beide lauschen angestrengt.

»Sie weint, und Ninfa tröstet sie.«

»Klappt es?«

»Ja, glaube schon.« Opa Gunnar lauscht noch ein wenig und wirkt entspannter. »Gut, dass es Frau Ninfa gibt! Ich kann die Kleine in solchen Momenten irgendwie nie beruhigen.«

»Ich sowieso nicht. Ich verstehe gar nicht, was das Problem ist. Sie ist schwanger und fertig. Ich wäre nicht so an ihrer Stelle.«

»Ich auch nicht.«

»Was muss, das muss.«

»So ist es.«

Nach einer Weile fügt Opa Wilhelm deutlich leiser an: »Gott sei es gedankt, dass wir Männer nicht schwanger werden können.«

»Gott sei gepriesen. Aber so was von!« Opa Gunnar nickt.

»Und du fang bloß nicht vor Sara wieder von den Kühen an! Ich bring dich dann nicht ins Krankenhaus!«

»Ja, ja! Und du tu nicht so! Du bist schließlich studiert auf so was, der feine Herr Doktor Semmelmann! Deine Schwierigkeiten mit dem Thema Geburt, hormoneller Stimmungsschwankungen und generell Frauen schreien ja zum Himmel.«

»Ich bin Forscher, kein Gynäkologe!«

»Gerade Forscher sollten sachlich sein.«

»Sachlich? Aber ihr Bauern, was? Ihr seid ja so naturverbunden. Geh doch mal hin und erzähl ihr von deinen Kühen!«

»Pscht. Schnell Themenwechsel, Ninfa kommt.«

Ninfa ist übrigens immer auf der Seite von Mama.

Und auf der Seite meiner Opas hilft ihnen wer? Richtig. Da bleibe ja nur noch ich.

Ninfa sieht aus wie immer. Also überhaupt nicht erschreckt oder angestrengt. Offenbar hat sie weniger Schwierigkeiten, mit meiner Mama umzugehen.

»El doctor, die Tochter braucht dringend etwas Abwechslung.«

»Oh ja. Will sie spazieren gehen oder vielleicht besser sogar kurz mal das Land verlassen?«

»Aber, doctor!« Bei Ninfa ist das immer so witzig. Sie kann so ganz streng meinen Opa anschimpfen mit diesem einen spanischen Wort. Und der setzt sich dann sofort kerzengerade auf. Das will ich auch können!

»Also echt, Wilhelm!« Opa Gunnar schimpft dann meist schnell mit, damit Ninfa glaubt, er wäre auf ihrer Seite. Aber ich finde, das ist geschummelt.

»Tu nicht so scheinheilig, Gunnar!«

»Wie dem auch sei«, Ninfa hat etwas in der Hand, »doctor. Hier ist ein Heft für kleine Entspannungsübungen für werdende Mütter. Gehen Sie mit Ihrer Tochter in das große Wohnzimmer und machen das. Die Matten habe ich schon hingelegt. Sie wird sonst wahnsinnig. Rückenschmerzen hat sie auch. Sie können sie dann im Anschluss etwas massieren.«

»Oh nein, ich kann das nicht, ich, äh …« Opa Wilhelm rudert hilflos mit den Armen.

»Papperlapapp! Sie sind ein Doktor, Sie machen das!«

»Und warum muss er nicht?« Opa Wilhelm zeigt auf Opa Gunnar.

»Petze!«, schimpft der zurück.

»Sie sind der Vater und el doctor.« Ninfa kennt keine Gnade.

»Das ist unfair!«

»Ha, da sag einer mal, wir Bauern haben kein Glück!« Opa Gunnar klatscht fröhlich in die Hände.

»Ja, ja, die dümmsten Bauern mit den dicksten Kartoffeln.«

Ninfa geht schnell dazwischen. »Für Sie, Farmer Gunnar, habe ich eine ganz andere Aufgabe. Sie kennen sich ja mit solchen Sachen vielleicht etwas besser aus und sind so erfrischend natürlich.« Ninfa reicht Opa Gunnar ein kleines viereckiges Plastiktütchen. Opa erkennt es offenbar sofort, ist etwas verwirrt und steckt es schnell in die Hosentasche.

»Aber Frau Ninfa!« Er ist ganz kurzatmig.

»Stellen Sie sich nicht so an! Füllen Sie das bitte später, wenn Sara fertig geturnt hat, mit Eis und kaltem Wasser und geben es ihr. Sara weiß schon. Wegen der Hämorrhoiden.«

Opa Wilhelm setzt seine Brille auf. Meine Opas gucken sich fragend an.

»Das war doch ein Kondom?«

»Schscht. Nicht so ein Schweinkram vor dem Jungen!«

»Äh. Oh. Ja. Der Junge. Aber ich verstehe trotzdem nicht.« Opa Wilhelm wendet sich an Ninfa. »Was war das? Wie soll man denn Hämorrhoiden mit einem –« Er zupft Opa an der Hosentasche. »Also mit dem Ding, das war doch eins, oder? Da, behandeln? Mit Eis drin?«

»Schscht! Nicht vor dem Jungen!«

»Zeig doch mal, das war doch ein ganz normales –« Eine kleine Rangelei, der eine zieht, der andere schubst und das Gesuchte fällt auf den Boden und rutscht unter den Tisch. Blitzschnell klettere ich vom Stuhl, krabbele los und schnapp es mir. Unter dem Tisch habe ich Zeit und Muße, es zu untersuchen. Es ist einfach ein viereckiges Teil. Drinnen scheint ein weicher Ring zu sein. Als ich drauf herumkaue, stecken plötzlich meine Opas ihre hochroten Köpfe unter den Tisch.«Nein! Das Kind!« Vor Schreck lasse ich das Ding fallen.

»Gunnar, wie kannst du ihn mit einem Kondom spielen lassen!«

»Autsch!« Opa Gunnar hat sich den Kopf gestoßen. »Hab ich ja gar nicht.«

»Geschieht dir recht. Mit deinem Holzkopp! Komm, Finn. Komm zu Opa.« Opa Wilhelm hebt mich hoch. Ninfa steht am Fenster und lacht in ein Geschirrhandtuch hinein. Ein gutes Zeichen trotz aller Aufregung.

»Ihr beiden, ihr seid nicht ganz normal! Ihr seht ja Farben.« Sie tippt mit ihrem Finger an ihre Schläfe.

»Äh, Frau Ninfa?«, fragt Opa Gunnar schüchtern, »kann ich nicht lieber die Übungen mit Sara machen?«

»Nichts da! Das übernehme ich! Den Schweinkram machst du, du Bauer!« Opa Wilhelm schnappt sich das Heft und verschwindet schnell aus der Küche.

Opa und meine Mama sitzen nun im Wohnzimmer auf zwei pinken Matten. Hier ist schön viel Platz. Der Fußboden ist sowieso weich und hinten in der Ecke vor dem anderen Fenster ist ein großer bunter Teppich ausgelegt, wo ich mit Klötzchen und Autos spielen kann. Aber jetzt ist es hier bei den beiden viel interessanter.

Mir ist ja schon immer aufgefallen, dass sie sich ähnlich sehen, aber jetzt haben sie auch genau die gleiche Figur. Kugelrunder Bauch. Ich glaube, das bloße Sitzen macht ihnen schon schwer zu schaffen. Sie atmen laut ein und aus. Opa hat das kleine Heft vor sich liegen.

»Du sollst tief einatmen und, äh, positive Gedanken hereinströmen lassen.«

»Ich kann nicht, Papa.«

»Doch, doch. Hier steht: positive Gedanken hereinströmen lassen. Los, ström jetzt!«

»Geht nicht, Papa!«

»Nun stell dich nicht so an!«

»Schimpf nicht!« Mama sieht aus, als würde sie gleich wieder weinen. Ich laufe schnell hin und gebe ihr Hasi. Mist. Jetzt ist sie so gerührt, dass sie erst richtig losheult.

»Nicht doch, nicht doch.« Opa quält sich aus seinem Schneidersitz hoch und fasst sie sachte an den Schultern.

»Ich muss immer gleich losheulen, Papa. Ich kann da gar nichts gegen machen.«

»Ja, äh, ja, ist aber gar nicht schlimm. Wollen wir noch mal strömen lassen?«

»Ja, gut.«

»Prima. Ich muss gerade wieder in Ausgangsposition.« Er müht sich, auf der pinken Matte wieder seinen Platz zu finden. »Und bitte die Hände über den Kopf, Kindchen. So ist es fein!« Nun halten beide die Arme hoch und über dem Kopf gefaltet. Sie sehen aus wie Raketenmenschen. Ich mache mit, aber meine Ärmchen sind etwas zu kurz. Nanu? Da hat einer meine Arme zu kurz gebaut. Frechheit.

»Ich muss Pipi.« Mama rollt sich zur Seite, steht erstaunlich flink auf und rennt zur Tür hinaus.

»Nanu?« Opa Wilhelm guckt hinterher. Opa Gunnar steht in der Tür und schlürft Tee.

»Und? Wie geht es unserem Gymnastiklehrer Willi Winzig?« Beide lachen.

»Wie klappt es mit ihr? Kannst du sie etwas ablenken von ihrer Krankheit, äh, Schwangerschaft?«

Statt zu antworten, legt sich Opa Wilhelm flach auf den Rücken. Sein Bauch türmt sich enorm auf und ich muss sofort hin und mich da drauflegen. Opa lacht.

»Oh, Mann«, sagt er schließlich ganz erschöpft, »da ist man studierter Mediziner und über siebzig Jahre alt geworden und hat keine Vorstellung davon, wie viel es zum Thema Geburt zu sagen und zu tun gibt. Heulen, Trösten, Umarmen, Hand auflegen. Und dann reden, reden, reden. Über häufiges Wasserlassen, unkalkulierbare Stimmungsschwankungen, juckende Hämorrhoiden, dicken Busen, Rückenschmerzen. Ach, da fällt mir ein? Hast du schon das Dings vorbereitet?«

»Nö.« Opa Gunnar hebt die Schultern, als wollte er sich verstecken.

»Das gilt nicht! Ich turne hier schließlich auch rum. Da musst du auch was tun.«

»Ich kipp doch kein Eiswasser in ein Prä-«

»Schscht! Nicht vor dem Jungen!«

»Und das will Arzt sein!«

»Ich bin Forscher!«

Da geht die Tür wieder auf.

»Hallo, ihr beide? Worum geht es?« Meine Mama ist wieder da. Irgendwie sieht sie ganz merkwürdig aus.

»Gott im Himmel! Sara, du blutest ja!« Opa Wilhelm wuchtet sich mit viel Schwung aus seiner Rückenlage und hechtet so schnell er kann auf meine Mama zu. Opa Gunnar lässt seine leere Teetasse fallen. Auf dem teuren Teppich, den alle nur den Perser nennen und auf dem ich nie, nie spielen darf, breitet sich ein Fleck aus; keiner merkt’s, keiner schimpft. Meine Opas sind ganz weiß geworden im Gesicht, nur Mama wirkt fröhlich und ziemlich verständnislos.

»Was habt ihr nur?«

»Was WIR haben?« Opa Gunnar ist erstaunt.

»Was ist denn mit DIR!« Opa Wilhelm tastet ihr Gesicht ab. Mama hat ganz dunkelrote Lippen wie ein Clown und an einer Seite des Mundes läuft ihr ein dicker roter Tropfen herab zum Kinn und ist schon auf das weite T-Shirt getropft. Mama trägt nur T-Shirts, ihr ist dauernd zu warm.

»Sag doch was, Sara. Was ist mit dir?«

»Mit mir ist nichts!«

»Sie halluziniert schon!«, brüllt Opa Gunnar los.

»Frau Ninfa, schnell, einen Notarzt, schnell, schnell! Sara blutet!«

Ninfa kommt hereingerannt. Sie hat ein großes Einmachglas in der Hand und ist erst ganz erschrocken. Dann schiebt sie meine Opas beiseite und beugt sich zu meiner Mama. »Schätzchen! Was ist denn los?«

»Mit mir? Die Frage ist ja eher, was ist nur los mit euch?« Mama macht große Augen. Ich finde, sie sieht mit der Clownsschminke richtig lustig aus.

»Da!« Opa Gunnar zeigt noch einmal auf den Fleck auf dem T-Shirt. Mama guckt mühsam an sich runter.

»Sie blutet doch!«

»Sara, blutest du?« Ninfa wischt über Mamas Lippen.

»Ich doch nicht. Nun hört aber mal auf!« Mama guckt alle nacheinander an. Meine Opas stehen schweigend um sie herum und wirken so, als würden sie befürchten, dass Mama jeden Moment begreift und zu schreien anfängt. Aber Mama guckt nur auf das Einmachglas in Ninfas Arm, leckt sich die Lippen und greift danach.

»Oh, lecker. Noch mehr Rote Bete.«

»Ach«, Ninfa lacht, »deshalb stand das plötzlich in der Küche auf dem Tisch.«

»Kein Blut?« Opa Gunnar wirkt beinah ein bisschen enttäuscht.

»Rote Bete?«, fragt Opa Wilhelm angewidert.