Schlaflos - Karl Glanz - E-Book

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karl glanz

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Beschreibung

Von 1936 - 1939 tobte in Spanien ein Bürgerkrieg. Freiwillige Helfer aus mehr als 50 Länder kämpften auf der Seite der demokratisch gewählten spanischen Regierung. Zahlreiche Spanienkämpfer wurden von den braunen Machthabern ins Gestapo-Gefängnis Karlsruhe eingesperrt. 1941 verlegte man sie in das Konzentrationslager Dachau. Der Autor verweist auf viele namenlose Helden. Er verleiht den Widerstandskämpfern, gibt ihnen eine Ehre, eine Würde.

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Schlaflos

1

Und ein anderes, ein feuerfarbenes Pferd kam hervor; und dem, der darauf saß, wurde gewährt, den Frieden von der Erde wegzunehmen, so dass sie einander hinschlachten würden, und ein großes Schwert wurde ihm gegeben.

Offenbarung 6:4

Der Mann sitzt auf seinem Sofa im Wohnzimmer. Draußen dunkelt es schon. Es ist Nachmittag und es ist Winter, da sind die Tage kurz und die Nächte lang. Der Mann sitzt da und rührt sich nicht, er bewegt sich nicht; er hängt seinen Gedanken nach. Im Zimmer brennt auch kein Licht. Von der Straße herauf dringt der Lärm des Verkehrs, der Mann hört ihn nicht mehr, er hat sich im Laufe der Zeit daran gewöhnt; nur wenn es ganz still ist, dass fällt ihm auf, da wird er aufmerksam.

Der Mann ist alt, ein Pensionist. Er ist mittelgroß, hat graues kurzes Haar. Seine Gesichtsfarbe ist bleich und die Wangen sind eingefallen, dass lässt die Augen die tief in ihren Augenhöhlen sind und da herausblitzen noch dunkler wirken.

Der alte Mann steht von seinem Sofa auf und geht ans Fenster. Er sieht hinaus. Er steht gerade da, auch sein Gang ist gerade, was für Menschen seines Alters ganz ungewöhnlich ist.

Es wird finster, denkt er, bald wird es Nacht werden. Er schüttelt sich. Er hat Angst vor der Nacht, er hat Angst vor dem Schlaf. Schon seit dem Krieg hatte er nie mehr geschlafen. Er ist schlaflos. Kaum das er die Augen schließt um sich nur ein wenig auszuruhen, da kommen auch schon die Erinnerungen und schweißgebadet wacht er wieder auf. Er schreit auch während er träumt, aber diese Träume und diese Schlafperioden die halten nicht lange. Wenn er einmal eingeschlafen ist, dann dauert es meist nur wenige Minuten und die Erinnerung ist schon zurückgekommen – dann schreit er und er schreit so laut, dass die Nachbarn sich bei der Wohnungsvermietung beschwert hatten, so laut sind seine Schreie. Kinder, die in der Nachbarwohnung leben, können nicht schlafen, sie bekommen Angst von diesen Schreien, die sich nicht menschlich anhören.

Und so hat der alte Mann Angst vor dem Schlaf, er hat Angst vor der Erinnerung, er möchte nicht mehr erinnert werden, er möchte vergessen, alles liegt schon so lange zurück. Und selbst wenn er sich daran erinnert, es würde nichts nützen. Niemand ist an seiner Erinnerung wirklich interessiert. Keiner möchte Anteil nehmen, alle wollen nichts hören, keiner möchte hinsehen.

Der alte Mann weiß nicht was er machen soll. Schlafen – dass kann er nicht, wach bleiben ist sehr schwierig und es schmerzt ihn. Er muss warten, denn er hat den Leuten in der Nachbarwohnung versprochen nicht mehr so laut zu schreien, wenn die Kinder noch nicht schlafen. Obwohl sein Schlaf nur einige Minuten dauert, denn dann sieht er seine Erlebnisse wieder vor sich, kann er nicht wieder einschlafen. Was er auch tut, es geht nicht.

Der alte Mann wendet sich vom Fenster weg und geht durch das Wohnzimmer in der Flur. Das Wohnzimmer ist kärglich eingerichtet. An der Wand sein Sofa, ein Tisch, zwei Stühle, an der gegenüber liegenden Wand ein Kasten. Hinter dem Sofa hängt noch ein Bild an der Wand. Es ist ein Bild seiner Mutter und in diesem Bild steckt noch eine Photographie von ihm. Das Bild von ihm ist alt, da ist er noch jung, so um die zwanzig Jahre alt.

Die Möbel sind alt und der Fußboden, der mit einem Teppich ausgelegt ist, hat schon bessere Tage gesehen. Es gibt keinen Radio und auch keinen Fernseher in der Wohnung. Der Flur ist klein, an der Wand, nahe der Eingangstür, sind einige Nägel eingeschlagen, auf diesen Nägeln hängen sein Mantel und sein Sakko. Er sicher nicht reich, dafür spricht sein Gewand und seine Wohnung. Er ist ein Mindestrentner. Aber dennoch ist die Wohnung sauber aufgeräumt. Für einen allein stehenden Mann außergewöhnlich.

Der alte Mann nimmt das Sakko zieht es an und dann den Mantel den er drüberzieht. Er geht weg, wie jeden Tag, so geht er auch an diesen Tag weg um nicht schlafen zu müssen oder nicht in einem Moment der Schwäche in einem Schlaf zu fallen; um nicht schreien zu müssen und um nicht wieder erinnert zu werden. Er kann seine Erinnerungen nicht loswerden, was er auch tut, die Erinnerungen kommen immer wieder, jeden Tag, kaum dass er die Augen geschlossen hat. Und so ist es besser in der Stadt herumzuwandern und zu warten, dass diese Nacht vorbeigeht. Es ist besser in der Kälte herumzulaufen als zu Hause zu sitzen und zu warten dass es wieder Tag wird. Die Nacht wird lang, dass weiß er, denn je älter er geworden ist, desto schwieriger wird es die Nächte zu durchleben, auch wenn es kein wirkliches Leben ist, sondern eine Flucht vor seinen Erinnerungen, die ihn umklammern und ihn nicht loslassen.

Es ist Hauptsaison, Februar. Es ist kalt, der Wind bläst und an den Bordsteinkanten ist ein wenig Schnee zu sehen. Es ist Nacht, eigentlich Abend. Es ist der Tag des Opernballs. Die Oper wurde von der Polizei abgeriegelt. Demonstranten stehen vor der Absperrung und sehen zur Oper. Die Polizei verhält sich ruhig. Einige Polizisten treten von einem Fuß auf den anderen. Es ist ihnen kalt. Die Demonstranten treten auch von einem Fuß auf den anderen, auch ihnen ist kalt. Sie demonstrieren gegen dieses Ereignis, gegen diesen Opernball, gegen die Damen die Mäntel aus echtem Pelz tragen. Ein Wagen, mit Chauffeur, fährt an der Oper vor und hält. Der Chauffeur, er weiß was sich gehört, steigt aus und öffnet die Wagentüre für die Dame. Der Herr steigt auf der anderen Seite aus. Die Dame wartet auf den Herren, dann gehen beide in die Oper. Natürlich auf einen roten Teppich, soviel Geschmack muss schon sein. So kommt ein Wagen nach dem anderen herangefahren, so als hätte es eine Absprache gegeben. Ein Wagen nach dem anderen wird seine kostbare Fracht los. Die Wagen fahren weiter, die Chauffeure müssen im Wagen bleiben und warten bis sie gerufen werden, aber das kann lange dauern. Die Nacht der Nächte hat erst begonnen. Im Eingang zur Oper blitzen Blitzlichter auf, nicht immer, aber immer öfter je näher die Zeit kommt an der das Spektakel beginnen soll. Der Opernball ist nicht nur ein Ereignis was lokal begrenzt ist, der Opernball ist ein Ereignis das die Welt in Atem hält, Fernsehsender sind hier um über dieses Großereignis zu berichten – in die ganze Welt. Scheinwerfer richten sich auf mache Menschen, die da in der Nacht stehen, geblendet werden und noch dazu interviewt. Was tut man nicht alles um in die Klatschpresse zu kommen. Die Besucher machen eine gute Miene zu einem Spiel, das sie wirklich nicht so wollen, aber wenn man einen gewissen Status hat, muss dieser gepflegt werden, und das kann nur auf dem Opernball geschehen.

Die Demonstranten werden lauter. Die Kälte setzt ihnen zu. Es ist eine sternenklare Nacht und die wird besonders kalt werden. Einige Demonstranten rufen Parolen gegen die Opernballbesucher.

Die lokalen Politiker sind alle schon da.

Es gibt wirklich nicht viel zu sehen, denkt der alte Mann, der an der Hausecke steht, gegenüber der Oper und sich das Spektakel ansieht. Er kennt sie alle, die da kommen um sich zu zeigen. Die meisten von ihnen sind Lebenskünstler, haben noch nie etwas vollbracht, tun aber so als würde ihnen die Welt gehören. Sie kommen alle, die Reichen und die Mächtigen, die Wissenden und die Unwissenden.

Er hat den Mantelkragen hochgeschlagen um so mehr gegen den eiskalten Wind geschützt zu sein.

Der Mann ist alt. Sein Haar ist grau, er hat eine hohe Stirn. Die Augen liegen tief, die Nase ist spitz und die Wangen sind eingefallen. Er ist mager, mittelgroß. Obwohl der Wind kalt weht trägt der alte Mann keine Kopfbedeckung, nur seine Hände stecken tief in seinen Manteltaschen.

Der Mantel ist alt, der Kragen ausgefranst, die Hose an den Knien abgewetzt, die Schuhe abgetragen. Ein alter Mann steht da an der Ecke, sieht zur Oper, der nichts hat und auch nichts mehr bekommen wird. Ein Pensionist, der nichts mehr zum erwarten hat. Er ist auf dieses Spektakel gar nicht neugierig, aber sein Weg führt ihn hier vorbei.

Er zuckt mit den Schultern, wenn es denen gefällt, sollen sie es sich antun, denkt er.

An diesen Abend hatte die Polizei nicht viel zu tun. Die Demonstranten waren nicht so zahlreich wie in den Jahren zuvor und auch nicht so aggressiv. Die wenigen Rufe störten nicht und so stand die Polizei untätig um das Portal der Oper ohne etwas tun zu müssen.

Der alte Mann wollte zur anderen Straßenseite gehen, nicht um näher am Geschehen zu sein, sondern um durch die Unterführung auf die andere Straßenseite zu gelangen.

Ein Auto fuhr vor, eine dieser schwarzen Limousinen, wie sie immer wieder in den Kinofilmen vorkommen, wenn eine wichtige Persönlichkeit chauffiert wird. Vor der Oper blieb sie stehen, der Chauffeur sprang heraus, öffnete die Wagentür und eine elegante Frau, mittleren alters kam zum Vorschein. Auf der anderen Autoseite stieg ein eleganter Mann aus. Er war groß gewachsen, hatte schneeweißes Haar.

Der alte Mann sah zu, nicht das es ihm interessiert hätte, aber das geschah genau in seinem Blickfeld.

Wie angewurzelt blieb er stehen.

Es sah fast so aus als hätte ihn der Schlag getroffen.

Der Mann mit dem weißen Haar und die elegante Frau waren im Scheinwerferlicht gut zu sehen.

Das Blut wich aus seinem Gesicht.

Ein Polizist wurde auf den alten Mann aufmerksam.

„Was ist mit Ihnen?“ rief er.

„…“

„Brauchen Sie Hilfe?“

„…“

Der Polizist kam auf den alten Mann zu, der immer noch regungslos in der Mitte der Straße stand und sich nicht bewegte.

Der Polizist berührte den alten Mann an der Schulter und schüttelte ihn.

„Was ist…?“

„…“

„Was ist mit dem Mann?“ rief ein anderer Polizist zu ihnen herüber.

„Ich weiß nicht, er gibt keine Antwort!“

Der alte Mann war wie versteinert.

Er hatte den Teufel gesehen.

Er hatte den Tod gesehen.

Er hatte den Schmerz gesehen.

Er hatte die Ungerechtigkeit gesehen.

Er hatte die Lüge gesehen.

Er hatte den Schweiß gesehen.

Er hatte das Blut gesehen.

Er hatte die Angst gesehen.

Er hatte den SS-Obersturmbandführer gesehen.

An der Brust des SS-Obersturmbandführers glänzte der golden Verdienstorden um die Republik.

Er hatte ihn gleich erkannt. Er war älter geworden, aber sonst hatte er sich nicht verändert. Lächelnd nahm er seine Begleitung beim Arm und führte sie in die Oper.

„Wer war das?“ stammelte der alte Mann.

„Wer das war?“ wiederholte der Polizist. „Ich weiß nicht…“

„Wer war das?“ rief der Polizist seinen Kollegen zu.

„Das war der Minister“ kam die Antwort von einem seiner Kollegen.

„Soweit ist es schon gekommen“ flüsterte der alte Mann.

Gleich hinter dem Wagen des Herrn Ministers, des früheren SS-Obersturmbandführers kam ein anderer Wagen an. Es war der Kanzler. Auch er stieg aus und sein Chauffeur machte die Wagentüre für seine Begleiterin auf. Beide stiegen aus. Der SS-Obersturmbandführer wendete sich auf der Treppe noch einmal um; er sah den Kanzler und ging ihm die wenigen Schritte entgegen. Seine Begleiterin folgte ihm auf den Fuß. Der Kanzler begrüßte sehr freundlich seinen Minister, reichte ihm die Hand zum Gruß und klopfte ihm, vor allen Fernsehkameras mit der Hand auf die Schulter.

Das musste ganz einfach einen guten Eindruck machen. Die ganze Welt sollte sehen, wie gut sich der Kanzler mit seinen Minister verstand.

Beide nahmen ihre Begleiterinnen beim Arm und führten sie lächelnd in die Oper, durch das ganze Spalier von Kameras und Journalisten.

"Ich hatt' einen Kameraden, einen besseren findst du nicht.."

Dieses deutsche Volkslied fiel dem alten Mann wieder ein. Genau mit diesem Lied wurde, noch vor wenigen Wochen den gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkrieges gedacht. Die Vereinigung der Burschenschaften hatte zu diesem Treffen geladen. Es kamen eine große Anzahl von alten Männern und eine kleine Schar von jungen Frauen in Trachten. Dass die Burschenschaften an diesem Tag die gefallenen Soldaten des Dritten Reiches und nicht die Opfer des Krieges ehrten, führte jedes Jahr zu Protesten. Der alte Mann war auch dort gewesen, er allerdings unter den Demonstranten.

"Die Verehrung von NS-Tätern muss ein Ende haben!" rief ein Demonstrant.

"Es kann nicht sein, dass die deutsche Propaganda dieser studentischen Verbindung gesellschaftlich toleriert wird" sagte ein anderer Demonstrant.

Dann wurde eine Ansprache gehalten. Der Redner sprach von der Pflicht des Soldaten, der diese im Zweiten Weltkrieg erfüllt hätte. Weiters sagte er: "Sie haben ihr Leben gegeben für den mehr als menschlichen Zug des Rechts und der Pflicht."

Dann wurde ein Kranz niedergelegt, eine Schweigeminute wurde von den Burschenschaften abgehalten, dann gingen sie mit brennenden Kerzen in der Hand durch die Innenstadt.

Die Demonstranten und der alte Mann gingen mit, als Begleitung für ein unwürdiges Schauspiel. Passanten, die diesen Zug sahen, lächelten gequält. Nur zwei Frauen, die beisammen standen und sich unterhalten hatten, riefen den Burschenschaften zu: "Nazi-Schweine, grausliche!" zu. Und aus den Häusern spuckten manche Menschen auf die Vorbeiziehenden.

Der alte Mann wunderte sich, wie war es denn möglich? Da gibt es einen Kanzler, der nichts Besseres zu tun hat als die ehemaligen Faschisten und Nazi-Bonzen in die Regierung zu holen, sie quasi gesellschaftsfähig zu machen.

Noch immer gibt es und gab es viele Wähler, die den Nazis nachtrauerten und immer noch nachtrauern. Erst vor wenigen Tagen, auch eine Nacht wo er nicht schlafen konnte, da war er auch unterwegs gewesen. Wie meist in der Innenstadt, dort war er dem Wind nicht so ausgesetzt und auch die Kaffeehäuser hatten geöffnet. Wenn ihm zu kalt wurde, da setzte er sich in ein Kaffee und hörte den Leuten zu. So auch an diesem Tag. Nur da war eine Auseinandersetzung zwischen einem jungen Mann und seinem Freund und einer älteren Frau. Er hatte zu Beginn nicht gleich begriffen, dass sich die drei Stritten, aber die Diskussion wurde immer lauter.

„Geh’ nach Haus Alte“ sagte einer der jungen Männer.

„Das ist eine Frechheit! Mir so etwas zu sagen. Ihr habt keine Manieren!“ antwortete die ältere Frau empört.

„Brauchen wir auch nicht.“

„Wo gibt’s die zu kaufen?“

Die ältere Frau war ganz empört. Mit hochroten Wangen, vor Ärger war ihr das Blut in die Wangen geschossen, antwortete sie: „Beim Führer hätte es das nicht gegeben! Da wärt ihr in ein Arbeitslager gekommen und hättet etwas für die Menschheit und die Wirtschaft, nicht zu vergessen, auch die Steuer, arbeiten können. Etwas Nützliches zu tun wäre ganz gut für euch zwei Bengel!“

Der alte Mann fühlte sich nicht gut. Er kannte diese Aussagen zur Genüge und er hatte sie satt, er konnte sie nicht mehr hören. Viele Leute, auch heute noch sind davon überzeugt oder möchten es gar nicht wissen, wie so ein Arbeitslager wirklich war.

Arbeitslager?

Die ältere Frau nannte es Arbeitslager, gemeint hatte sie aber Konzentrationslager.

Vielleicht hatte sie auch von Massenvernichtungslagern geschwärmt. Vielleicht hatte sie an Mauthausen gedacht, an die Todesstiege, diese Art von sinnvollem Arbeitseinsatz.

Der alte Mann fühlt sich schlecht, sehr schlecht.

Der alte Mann weiß, dass er in einem Land lebt, indem es zum guten Ton gehört, die Nazis und Faschisten zu verehren. Wer bei der SS war der hat eine gute Chance die Erfolgsleiter nach oben zu klettern.

Der Präsident – ein ehemaliger SS-Angehöriger.

Auch er, er hat auch nur seine Pflicht getan, so wie viele andere seiner Landsleute. Dieser Ausspruch hat ihm viel Sympathie eingebracht. Vor seinem Tod, noch am Sterbebett hatte er sich aber dann doch noch entschuldigt, was allerdings zu spät war. Für ihn und für viele Opfer, die elend in diesen Konzentrationslagern oder Arbeitslagern, wie es die ältere Frau gesagt hatte, war es ganz einfach nicht genug. Und dann war da noch ein Parlamentarier, der mit dem Hitlergruß drei Biere bestellt. Er weiß es wahrscheinlich nicht, aber das hätte ihm den Strang bei den Faschisten eingebracht. Heute, auf einem schönen Bild, bestellt er, inmitten seiner Freunde, den Burschenschaften, drei Biere.

Die Zeiten haben sich geändert.

Als Beitrag zum Jubiläumsjahr wurde der Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Parlament gewürdigt. Was für eine Farce! In diesem Jahr werden es sechzig Jahre das der Nationalsozialismus besiegt wurde. Es sind aber auch sechzig Jahre vergangen, in denen der Nationalsozialismus und der Faschismus, die immer Hand in Hand gehen, nicht in die Knie gezwungen werden konnte, davon kann gar nicht die Rede sein, denn der Nationalsozialismus ist wieder einmal im erstarken und das nicht nur in diesem Land, sondern in ganz Europa. In Großbritannien hat uns gerade der Prinz gezeigt, was so richtigen Spaß macht, in einer SS-Uniform, mit Hakenkreuzbinde, auf einer Party zu erscheinen, es zeigt aber auch gleich und das ganz deutlich, wo die Fehler gemacht wurden und immer noch werden. Der Nationalsozialismus wird immer noch als ein Naturereignis angesehen, er wird verniedlicht, genau von diesen Leuten, die sich um den Nationalsozialismus verdient gemacht haben, so etwa ein Landeshauptmann der doch wirklich gesagt hat: „Arbeit macht frei“ und viele, vor allem junge Menschen gar nicht wissen, dass dieser Satz an den Toren zur Hölle, den Konzentrationslagern stand, wo so viele Menschen ermordet wurden. Auch dieser Landeshauptmann hat auch wirklich gesagt, dass er kein Österreicher sei, sondern ein österreichischer Deutscher. Solange es solche Aussagen gibt, die nicht geahndet werden, brauchen wir uns nicht wundern wenn der Nationalsozialismus wieder im erstarken ist.

Es hat sechzig Jahre gedauert um die Widerstandskämpfer zu ehren, den toten Helden des Kampfes um die Freiheit und die Unabhängigkeit Österreichs. Bundespräsident Fischer sagte nicht umsonst: „Nicht wenige fühlten sich nach 1945 ausgegrenzt oder um ihre Anerkennung gebracht“. Nun, die Widerstandskämpfer haben sich nicht so gefühlt, wie es Fischer schildert, es war so und es ist immer noch so. Die SS-Schergen, ein Minister fällt einem dazu ein, er wurde mit dem großen Verdienstkreuz um Verdienste für die Republik ausgezeichnet. Was für verdienste hat dieser Minister schon? Seine Zugehörigkeit zur SS? Dass er nicht nach Holland einreisen durfte, da die holländische Regierung für die Sicherheit eines Ministers nicht garantieren konnte? Genug um das Verdienstkreuz zu verliehen bekommen? Die Widerstandkämpfer die jahrelang gekämpft hatten, viele mit ihrem Leben diesen Kampf bezahlt haben, die Überlebenden nicht schlafen können, sehen sie immer die Gräuel vor sich, die sie erleben mussten und die sie nur durch Zufall entkommen sind, die wurden wieder einmal vergessen, nicht einmal jetzt, sechzig Jahre nach dem Fall des Nationalsozialismus ist man imstande, diesen Menschen Anerkennung zuteil werden zu lassen. Da gibt es ein nichts sagende Ansprache im Parlament und ein jeder denkt, dass es damit abgetan ist. Die Vorsitzenden der Parlamentsparteien stehen auf, gehen ans Rednerpult und verlauten, dass es in ihrer Fraktion schon immer Widerstandskämpfer gegeben hätte, so sagte der Kanzler, dass es in allen politischen Lagern Widerstandskämpfer gegeben habe. Sechzig Jahre sind vergangen, aber wir haben noch immer nicht mit unserer Vergangenheit abrechnen können, immer wieder holt sie uns ein und das wird solange weitergehen, bis endlich eine Politik betrieben wird, die mit diesen Lügen und dieser Verharmlosung aufräumt, aber solange das nicht geschieht, wird nichts geschehen und es wird immer nur gesprochen werden.

Was können wir schon vorweisen, 60 Jahre nachdem wir befreit wurden und dieser unselige und völlig unnütze Krieg zu Ende ging? 60 Jahre haben wir es nicht fertig gebracht mit diesen schrecklichen Ereignissen fertig zu werden, sie aufzuarbeiten, sie unseren Kindern und Kindeskindern zu erklären, sie so darzulegen wie es wirklich war, aber wenn wir das tun, dann sind wir Nestbeschmutzer oder gar Verräter, an einer Sache, die sich als nichts anderes als Völkermord erwiesen hat. 60 Jahre haben wir uns um diese Menschen nicht gekümmert die gegen den Faschismus gekämpft haben, die dafür in die KZs kamen, gefoltert und ermordet wurden, die nach der Befreiung in einem Zustand eines Traumas weiterlebten, in Angst, dass so etwas wieder passieren könnte. Wir haben uns nicht um sie gekümmert!

60 Jahre nach dem Kriegsende müssen wir immer noch erleben wie sich der Kameradschaftsbund trifft, sich seiner Heldentaten (!?) brüstet und immer noch hoch angesehen ist. Diese Heldentaten können gar nicht aufgezählt werden, reichen sie von Kindesmord über Elternmord, Vergasung, Völkermord und wer von diesen ehrenwerten Männern, aber auch Frauen waren daran beteiligt, möchte noch an diese Heldentaten außerhalb seines Kameradschaftsbundes erinnert werden? 60 Jahre sind vergangen und im Parlament gibt es noch immer Minister die dieser Zeit nachtrauern, die zu Gedenkveranstaltungen der Burschenschaften gehen, dort Reden halten, Minister die hervorragende Arbeit des „Eckhardtsboten“ loben, an SS-Treffen teilnehmen und sich noch als Ehrenmänner fühlen. Es gibt aber auch noch Politiker, die wenn sie gefragt werden, welcher Nationalität sie angehören, wirklich antwortet, ein Deutscher Österreicher.

60 Jahre hat es gedauert und immer noch gehen die Österreicher zur Wahl und wählen diese braune Parasiten, die uns schon vor 67 Jahren in den Untergang geführt haben.

Die Widerstandskämpfer sind umsonst gestorben, denn eines ist wohl ganz klar – die Österreicher haben nichts gelernt.

Was können wir jetzt vorweisen? Was ist es das wir vorweisen können? Unsere braune Vergangenheit, die wie ein Damoklesschwert über unseren Häuptern schwebt, eine Vergangenheit mit der wir nicht abschließen können, mit Menschen die immer noch diesem Regime nachweinen, mit einem Geschichtsunterricht der diese Verbrechen nicht erwähnt, mit Menschen die immer noch sagen – der Hitler muss wieder kommen, erst dann wird es wieder besser – können wir das vorweisen? Wir sind schuldig 60 Jahre lang nichts gegen diesen braunen Sumpf unternommen zu haben, nicht nur in Österreich, sondern in vielen Ländern der EU ist der Faschismus wieder im kommen – und das ist wirklich das Einzige was wir vorweisen können.

Das denkt der alte Mann und er fühlt Schmerzen, Schmerzen die er fast täglich hat und die ihn immer wieder daran erinnern, wie es war in diesem Arbeitslager, das er auskosten hat dürfen, vier Jahre lang. Vier Jahre lang arbeiten für die Mörder. Vier Jahre arbeiten für eine faschistische Diktatur, vier Jahre lang in Lebensgefahr, vier Jahre lang arbeiten, damit sich die Deutschen als Herrenvolk fühlen durften, vier Jahre Arbeit für ein Bruttosozialprodukt, das ausschließlich der Vernichtung diente.

„Beim Führer hätte es das nicht gegeben…“

Nein, dass hätte es nicht gegeben.

Dafür gab es ganz was anderes, etwas, was die wenigsten Menschen sehen, hören oder wissen wollen – die Vernichtung des Menschen.

2

Und der erste blies seine Trompete. Und es entstand ein Hagel und Feuer, mit Blut vermischt, und es wurde zu Erde geschleudert; und ein Drittel der Erde wurde verbrannt.

Offenbarung 8:8

Der Zug rollte dahin, langsam, durch die Ebene, nordwestlich von München. Es war Ende April und der Schnee lag noch auf den Feldern. Es war kalt. Fast unmerklich hatte sich der Himmel verändert, er wurde immer mehr grau nach Westen, nach Osten hin aber, immer mehr purpurrot. Es war morgen und die Sonne ging auf. Der Schnee schimmerte in einem ganz zarten Violett, das sich nach der Ferne hin zu einem dunklen Heliotrop vertiefte. Das Violett wurde immer durchsichtiger und es erschien alles irgendwie traumhaft. Den Menschen im dem Zug schien alles unwirklich. Das was sie sahen war nicht eigentlich schön, obgleich sie sich das einzureden versuchten.

Im Zug war es still. Niemand sprach, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Niemand wusste genau was auf ihn zukommen würde, sie ahnten es nur, konnten es aber nicht wirklich glauben. Sie waren in Karlsruhe von der Gestapo inhaftiert gewesen, nach den Verhören wurden sie, als so genannten Schutzhäftlinge, in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Gerichtsverhandlung hatte es keine gegeben.

Gestern Abend waren sie von Karlsruhe abgefahren. Es war der erste Transport.

Der Zug wurde langsamer und die Insassen wurden angespannter. Bald würden sie ankommen.

Sie sahen das Konzentrationslager in der aufgehenden Sonne. Es hatte etwas Gespenstisches, Drohendes und unendlich Bedrückendes an sich.

Der Zug hielt an.

Sie waren angekommen.

Sie sahen aus den Fenstern. SS-Soldaten mit schussbereiten Gewehren standen am Bahngleis. Manche hielten Hunde an der Leine. Niemand sollte entkommen.

„Alles aussteigen!“ rief ein SS-Offizier.

Niemand rührte sich im Zug.

Noch einmal rief der SS-Offizier: „Alles raus!“

Eine Waggontüre wurde geöffnet und ein Mann stieg aus. Um den Zug standen die Wachsoldaten mit ihren Gewehren und sahen zu dem Zug. Der Mann der ausgestiegen war grüßte mit einem militärischen Gruß den Offizier. Er wendete sich zu dem Zug um.

„Alles raus!“ rief er.

Erst jetzt kamen die Männer aus den Waggons. Es war der ranghöchste Offizier der den Befehl zum aussteigen gegeben hatte. Ruhig und äußerlich gelassen stellten sie sich auf. Nicht wie es die SS bisher gewohnt war, die Männer stellten sich in militärischer Ordnung auf. Bisher war die SS nur schreienden und weinenden, von Angst zitternden Menschen gegenübergestanden, noch nie waren sie so einer Truppe gegenübergestanden. Diese Männer waren ungewöhnlich.

„Angetreten“ meldete der Offizier der Gefangenen.

„Fertig, Marsch!“ schreit der SS-Offizier.

Keiner rührt sich.

„Im Gleichschritt, Marsch!“

Jetzt beginnt sich erst die Kolonne zu bewegen.

Entlang des Zuges gingen die SS-Wachesoldaten und geleiteten den Zug in das Konzentrationslager. Der Weg ins Konzentrationslager ist nicht weit. Der Bahnhof nicht weit vom Eingang entfernt. Die Gefangenen sehen das Tor, ein großes schmiedeeisernes Tor. Inmitten des Tores stehen die Worte: Arbeit macht frei.

Im Konzentrationslager warten schon die Häftlinge an die Neuen. Der Scharfführer im Wildpark hatte davon gesprochen. Der Scharfführer im Wildpark war auch ein SS-Mann, allerdings schon etwas älter und deshalb vielleicht auch gesetzter, als all die anderen. Das einzige was ihn als SS-Mann auswies war, dass er eine SS-Uniform trug, sonst war er ein gemütlicher Mann der seinen Häftlingen nie etwas zu leide tat.

„Morgen kommen die Rotspanienkämpfer von der Ostmark“ und er fügte noch hinzu „die haben mit den Bolschewiken in Spanien gekämpft, auch gegen die Deutschen der Legion Condor.“

„Die werden wir uns anscheuen“ mit diesen Worten schloss der Scharfführer seinen Bericht ab.

Gleich am Abend läuft der Häftling zur illegalen Lagerleitung. Er berichtet was er von dem SS-Scharfführer erfahren hatte.

„Es sind die ersten die mit der Waffe gegen den Faschismus gekämpft hatten. Wie wird die Rache der SS ausfallen?“ fragt einer der illegalen Lagerleitung.

Der Häftling antwortet: „Es sind die ersten die mit Waffen umgehen können. Es sind die ersten die wissen was Kampf bedeutet. Sie hatten unter schwierigsten Umständen mit der Waffe gegen die Faschisten gekämpft, sie verfügten über eine Erfahrung, die die Lagerinsassen nicht haben.“

Die illegale Lagerleitung machte sich Sorgen um ihre Freunde, Genossen, sogar Verwandte. Es war nicht ausgeschlossen, dass die Rotspanienkämpfer sofort nach ihrem Eintreffen ins Konzentrationslager zum Schießplatz und dort exekutiert werden würde.

„Die Häftlinge haben Angst um diese Männer. Was wird mit ihnen geschehen? Werden sie sofort erschossen werden? Der Schießplatz ist nicht weit“ meint der Häftling.

„Denen werden wir helfen“ hatte ein Häftling gehört, als zwei Posten miteinander sprachen und jetzt erzählte es der Häftling weiter.

„Wir müssen versuchen, dass die Rotspanienkämpfer in das Lager kommen und nicht gleich zum Schießplatz geführt werden. Werden sie sofort zum Schießplatz geführt, dann haben wir keine Chance, ihnen irgendwie zu Hilfe zu kommen. Sind sie aber einmal im Lager, so können wir versuchen sie in den einzelnen Blocks zu verstecken. Ob es was helfen wird, kann ich nicht sagen, aber versuchen müssen wir es. Wir müssen alles versuchen um sie dem Zugriff der SS zu entziehen. “

„Wenn sie nicht in die Isolierhaft kommen, dann werden die ersten Tage schlimm für sie werden. Die Rotspanienkämpfer werden nicht lange am Leben bleiben trotz ihrer solidarischen Geschlossenheit und ihrem Kampfwillen.“

„Das kann sein, aber wir müssen alles versuchen um das zu verhindern. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Männer Soldaten sind und dass sie als erste gegen den Faschismus gekämpft haben. Ihre Erfahrung mit Waffen kann für uns nur von Nutzen sein.“

Und da kamen sie. Eine Kolonne zog im Gleichschritt durch das Tor. Sie kamen mit erhobenem Kopf, zerlumpt und halbverhungert.

Stolz und unbeugsam.

Soldaten der Revolution.

Dieses solidarische Auftreten verstärkte noch die Besorgnis um die Sicherheit der Rotspanienkämpfer.

Nach dem Tor, wurden sie vom Lagerältesten empfangen und zur Aufstellen, unweit des Tores eskortiert. Sie wussten was zu geschehen hatte. Sie nahmen Aufstellung, alles geschah unter eigenem Kommando, sie richteten sich nach dem Vordermann und Seitenmann aus. So standen sie da und so erwarteten sie ihr Todesurteil.

Die SS war aus dem Kasino herausgetreten und beobachtete die Rotspanienkämpfer aufmerksam. Sie waren neugierig auf die Soldaten, die es gewagt hatten gegen sie zu kämpfen und die, wie sie gehört hatten, sich nichts befehlen ließen. Sie hörten nur auf das Kommando ihres eigenen Offiziers.

Die SS rührte sich nicht.

Nichts geschah.

Der Lagerführer, ein Hauptsturmführer hielt den Rotspanienkämpfern eine Rede.

„Sie sind hier angekommen und wer hier angekommen ist, der hat seine Menschenrechte verwirkt. Bei Euch ist die Sachlage noch wesentlich schlimmer, denn durch die Teilnahme am Bürgerkrieg in Spanien, an Seite der Republik, haben sich die Teilnehmer dieses Krieges außerhalb der deutschen Volksgemeinschaft gestellt. Ihr habt mit der Waffe gegen das deutsche Volk gekämpft. Sie haben gegen ihr eigenes Volk gekämpft, gegen ihr eigenes Blut. Ihr habt eure Brüder getötet. Ihr habt gegen das höchste Gesetzt verstoßen das es gibt – ein Volk ein Reich ein Führer. Ihr habt Verrat am eigenen Volk begangen und Verräter, dass wissen sie alle, werden an die Wand gestellt. Euch Verräter hat man die Möglichkeit gegeben, euren Verrat wieder gut zu machen, wenn auch nur teilweise. Ihr könnt euren Verrat sühnen, indem ihr fleißig und ohne unterlass für den Sieg des deutschen Volkes arbeitet und alles gebt was ihr zu geben habt.

Für Euch gibt es keine Freiheit mehr. Ihr habt keine Zukunft, ihr habt euer Leben verwirkt. Das einzige was ihr noch für das deutsche Volk vollbringen könnt ist Buße zu tun, zu arbeiten, um Abbitte des deutschen Volkes zu erlangen. Ihr kommt nur mehr in die Freiheit durch den Rauchfang und was das bedeutet wird euch recht rasch klar werden. Und jetzt noch einige Regeln und Bestimmungen, die ihr unbedingt befolgen solltet. Keinem Häftling ist es erlaubt auf der Lagerstraße zu gehen. Es ist nicht erlaubt ein Buch zu lesen. Es ist nicht erlaubt eine Zeitung zu lesen. Es ist nicht erlaubt zu rauchen. Das war alles.

Wegtreten!“

Der Kampf ums Überleben hatte begonnen.

Der Kampf ums Überleben bedurfte einer straffen Organisation.

Die Rotspanienkämpfer spielten dabei eine beachtliche Rolle.

Der Aufmarsch der Rotspanienkämpfer vom Lagerbad und der Lagereinkleidung über den Appellplatz in die Lagerstraße war aufgefallen. Zu beiden Seiten der Straße standen die Häftlinge und winkten den Rotspanienkämpfern zu. Manche riefen ihre Namen. Die Häftlinge die schon hier waren, waren Freunde, Bekannte, Verwandte der neu angekommenen Rotspanienkämpfer.

In Dachau, wie in allen Konzentrationslagern, hing das Leben in wesentlichen davon ab, nur nicht aufzufallen. Und das waren die erste und vielleicht auch die wichtigste Regel, die zu beachten war. Die Häftlinge führten die Rotspanienkämpfer in den Konzentrationslageralltag ein.

Die Rotspanienkämpfer hatten sich recht rasch eingewöhnt. Sie wurden aus der Isolationshaft entlassen und diversen Arbeitskommandos zugeteilt.

Der Zusammenhalt der Rotspanienkämpfer manifestierte sich recht rasch.

Der Zynische bekam die Häftlingsnummer 25252.

Viele der schon länger in Haft befindlichen Personen hatten ihre liebe Not mit den neuen Rotspanienkämpfern. Besonders jene die von den Faschisten eine bestimmte Funktion zugeordnet bekommen hatten, wie etwa die Stubenältesten. Ein Stubenältester hatte eine höhere Funktion, zumindest dachten sie es. So versuchte ein Stubenältester einen Rotspanienkämpfer zu schlagen. Der Stubenälteste schlug zu und die Ohrfeige klatschte. Aber der Häftling ließ sich nichts gefallen, er schlug zurück. So blieb dem Stubenälteste nichts anderes über als nach seinen anderen Stubenältesten zu rufen, die kamen auch wirklich gleich alle gelaufen um ihrem Kollegen zu helfen. Aber auch der Rotspanienkämpfer blieb nicht untätig, auch ein alarmierte seine Genossen und auch sie kamen sofort. Sie kamen alle. Und die Stubenältesten mussten weichen. Aber das war nicht die Ausnahme. Der Stubenälteste wollte den Zynischen schlagen. Der Zynische hatte auf das Wort des Stubenältesten nicht reagiert, vielleicht hatte er es nicht gehört, vielleicht wollte er auch nicht hören. Der Stubenälteste hatte keine Befehle zu geben, schon gar nicht einem Rotspanienkämpfer. Also ging der Stubenälteste zum Zynischen. Er berührte ihn an den Schultern, der Zynische wendete sich um und sah den Stubenältesten mit seinen grünen Augen direkt an. Ein lächeln zuckte um seine Mundwinkel. Der Stubenälteste sagte in einem scharfen Ton: „Kannst du vielleicht nicht hören, wenn ich dir etwas befehle?“

Darauf der Zynische: „Befehle? Du? Von dir nehme ich keine Befehle entgegen.“

„Ich bin der Stubenälteste, du musst mir gehorchen, denn sonst sage ich es der SS und dann …“

„Red nicht so viel herum, du bist ein Arschloch, sonst nichts. Und ich sage es noch einmal, du hast mir nichts zu befehlen.“

Der Stubenälteste hob die Hand, er wollte auf den Zynischen einschlagen, aber da sah er aus seinen Augenwinkeln etwas, was er bisher nicht gekannt hatte und auch geglaubt hatte, so etwas nie erleben zu müssen. Er, als Stubenältester hatte bisher die totale Kontrolle und Befehlsgewalt über den Block gehabt, mit allen seinen Insassen. Er war ein kleiner Gott gewesen, unantastbar, beschützt von der SS. Aber jetzt…

Alle Mann der Stube standen um sie herum. Sie standen bloß da und sagten kein Wort.

„Haut ab!“ schrie der Stubenälteste, „haut ab!“

„…“.

Sie gingen nicht, sie kamen näher.

Es waren zu viele Rotspanienkämpfer und sie zeigten keine Angst. Er sah in die Gesichter der Rotspanienkämpfer, die immer näher kamen, sie schlossen den Kreis langsam, und was er da sah, war Abscheu. Der Stubenälteste wich zurück, er wendete sich um und versuchte zur Tür zur gelangen, aber der Kreis hatte sich geschlossen. Er machte einen Schritt auf die Tür zu und die Rotspanienkämpfer öffneten ihren Kreis um den Stubenältesten durchzulassen. Und der stürmte aus dem Block hinaus. Er hatte es mit der Angst zu tun bekommen. Der Stubenälteste musste aufgeben. Der SS konnte er es nicht beichten, sie hätten ihn als Stubenältesten abgesetzt, so behielt er das Vorkommnis für sich. Eines hatte er aber gelernt – berühre und bedrohe niemals einen Rotspanienkämpfer, denn der ist niemals allein.

Nie wieder hatte er versucht. Die Rotspanienkämpfer waren zu gefährlich für den Stubenältesten.

Die Rotspanienkämpfer waren es die der Autorität des Blockpersonals einen Stoß versetzten, denn sie waren es die dem Terror trotzten.

*

Die Arbeit hatte die illegale Lagerleitung eingefädelt.

„Wir müssen auf unsere Burschen schauen“, dass hatte ein Mitglied der illegalen Lagerleitung gemeint.

„Ist doch ganz klar“ antwortete ein anderes Mitglied.

„Die Rotspanienkämpfer sind die ersten die mit der Waffe gegen den Faschismus gekämpft haben. Sie sind über jeden Verdacht erhaben. Und noch eines….die kennen sich alle, schon von früher, aus dem Jahr 1934.“

„Ja, das stimmt.“

Die illegale Lagerleitung setzte sich aus den verschiedensten Nationen zusammen. Es gab Deutsche, Österreicher, Franzosen, und andere, alle waren sie Sozialisten, Kommunisten, Kämpfer für die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Wenn ein Ereignis bevorstand, dann traf man sich in aller Stille um das Ereignis zu besprechen und um diverse Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Rotspanienkämpfer waren gekommen, jetzt war es and er Zeit ihnen einen guten Arbeitsplatz zu finden. Die illegale Lagerleitung wusste, dass sie auf die Rotspanienkämpfer schauen musste, denn wenn es zum äußersten kommen sollte, nur die Rotspanienkämpfer wussten und konnten mit Waffen umgehen. Sie hatten genug Erfahrung sammeln können und die illegale Lagerleitung wollte und konnte nicht auf diese Erfahrung verzichten.

Der Zynische war in die Küche gekommen. Er hatte viel Glück gehabt eine solche Aufgabe bekommen zu haben. Der Dienst in der Küche war ruhig, es gab zwar viel Arbeit, aber die Häftlinge waren nicht immer in Lebensgefahr wie bei anderen Arbeitseinsätzen. Er konnte zufrieden sein.

Ein Rotspanienkämpfer nach dem anderen wurde eingeschmuggelt, dorthin wo er gebraucht wurde. Der Zynische kam in die Küche, nicht weil er ein Koch war oder gar etwas von kochen verstand, nein, aber es brauchte jemanden in der Küche der keine Angst hatte, kranken Rotspanienkämpfern oder verbündeten Häftlingen, etwas zum essen zukommen zu lassen. Natürlich war das alles illegal.

Wer nicht arbeitet braucht nichts zum Essen.

„Wem schicken wir in die Küche?“ wurde gefragt.

„Wem haben wir zur Verfügung?“

„Da gibt es einige die in Frage kommen.“

Man ging die Namen durch.

„Der Zynische!“ rief einer der illegalen Lagerleitung.

„Der Zynische?“ Wer konnte das nur sein?

„Ich kenne ihn noch von früher. Erst gestern habe ich mit jemanden gesprochen der ihn kennt und mit ihm in Spanien gedient hat. Er hat mir versichert, dass es wohl keinen besseren gibt.“

„Gut. Wir versuchen es einmal. Wenn er nicht entspricht, dann müssen wir ihn ablösen.“

„Das wird nicht der Fall sein, dass kann ich schon jetzt versichern.“

„Sprich mit ihm und klär ihm über seine Pflichten auf.“

„Das mache ich gerne.“

So kam der Zynische in die Küche.

Sein Fürsprecher hatte ihn informiert, was von ihm erwartet wurde. Weil es im Konzentrationslager kein Essen gab, während der Häftling krank war und im Bett liegen musste, so war man bemüht diese Qualen und eine eventuelle Lebensgefahr des Kranken abzuwenden. Es wurde eine bestimmte Zeit ausgemacht, genau um diese Zeit ging ein anderer Häftling am Küchenfenster vorbei, ein Lied pfeifend. Der Zynische in der Küche hörte dieses Lied und wusste, dass es soweit war. Er nahm einen Kübel und als er sah, dass der Häftling am Fenster war, schüttete er den Inhalt durch das offene Fenster hinaus. Der Häftling draußen sammelte das Essen zusammen, das oft nur aus Abfällen bestand, aber auch die waren besser als gar nichts zu essen, sammelte sie zusammen und brachte sie in das Krankenrevier. Dort wurde das Essen unter den Kranken aufgeteilt.

Das funktionierte ganz gut.

Der Schnee schmolz, endlich war der Frühling da. Die Tage wurden länger und wärmer.

Entlang des Konzentrationslagers führte eine Straße, die Alte Römerstraße.

Neben dieser Straße war das Konzentrationslager, umzäunt von einer hohen Mauer. Wachttürme bewachten das Konzentrationslager. Maschinengewehre richteten sich auf die Insassen.

Diese Mauer war bei der Jugend von Dachau sehr beliebt.

Liebende kamen hier her um zu schmusen.

Sie wurden nicht gestört.

Der Tod hat seine eigene Anziehungskraft.

Der Tod macht die Mädchen willig und die Burschen stark.

Der Geruch des Todes erhöht die Leidenschaft.

Das Wissen der Leiden der Menschen hinter diesen Mauern macht geil.

Aber das ist menschlich.

Unmenschlich ist es einem anderen Mensch Leiden zuzufügen.

Frühling in Dachau.

Das Leben geht weiter.

Jeden Tag ein anderer Häftling.

Jeder Tag ein anderes Gesicht.

Jeden Tag muss geholfen werden.

Jeden Tag dasselbe Lied.

Jeden Tag wirft er einen Kübel voller Essen aus dem Fenster.

Jeden Tag kann so ein Leben gerettet werden.

Das Konzentrationslager Dachau kann unterteilt werden in das Hauptlager und in etwa 200 diverse Nebenlager, die sich im südlichen Deutschland befanden und bis nach Österreich reichten. Das Hauptlager selbst gliederte sich in einem Häftlingslager, einem SS Lager und verschiedene Unterlager, und eine „Plantage“, der Schießplatz Herbertshausen und der Friedhof für die Häftlinge.

Da gab es noch einen Pfarrer, der im Gesicht furchtbar entstellt war. Dazu war es gekommen, als der Pfarrer mit anderen Häftlingen eines Tages antreten mussten. Es war Winter und es war bitter kalt. Der Schnee lag hoch und die Häftlinge hatten den Befehl bekommen sich in den Schnee zu werfen. Dann schrie der SS-Mann noch: „Kopf runter!“ Sie steckten alle den Kopf in den Schnee, nur dieser Pfarrer konnte es nicht aushalten, also hob er den Kopf. Das war gerade das auf das der SS-Mann gewartet hatte. Schnell war er bei dem Pfarrer und trat ihn mit den Füßen, wohin er gerade traf.

„Warte nur du Schwein, dir werde ich’s zeigen!“

Er setzte ihn den Fuß auf den Hinterkopf und presste so sein Gesicht in den kalten Schnee. Lange musste der Pfarrer so liegen bleiben, auch dann noch als alle anderen schon aufstehen durften. Und so erfror er sich die Nase und deshalb auch sein furchtbar entstelltes Gesicht.

Der Pfarrer kannte den Zynischen, zwar nicht gut aber gut genug. Er wusste, dass der Zynische ein Rotspanienkämpfer war und hatte mit ihm eine Art Freundschaft geschlossen. Eines Tages bekam der Zynische plötzlich Geld. Er wusste nicht woher dieses Geld kam. Wer konnte ihm dieses Geld geben haben? Nun, es war der Pfarrer. Er hatte gesehen, dass der Zynische kein Geldempfänger war und so hatte der Pfarrer für ihn dieses Geld gespendet.

*

Der Briefträger kam. Er brachte ein Schreiben vom Roten Kreuz. Sie musste sich festhalten, ihr schwindelte. Ein Brief vom Roten Kreuz, dass konnte doch nur eines bedeuten, dass ihr Sohn tot ist, irgendwo gefallen, erschossen, ermodert. Es wurde ihr Mitgeteilt, dass ihr Sohn ihm Konzentrationslager Dachau befinden würde. Sie wusste mit dem Konzentrationslager Dachau nichts anzufangen. Sie hatte von einem Konzentrationslager noch nie etwas gehört.

Sie fragte ihre Kunden.

„Gnädige Frau…das ist ein Gefängnis! Da braucht er nicht an die Ostfront. Ist auch was wert“ antwortete eine Frau, die gleich im Nachbarhaus wohnte.

„Ist das schlimm?“

Was konnte sie ihr jetzt sagen? Sie wusste es nicht, aber in ihrer Straße wurden schon einige weggebracht, die nie wiedergekommen waren. Monate nachdem sie abgeholt wurden, kam ein Brief, indem der Frau mitgeteilt wurde, dass ihr Sohn, Vater, Gatte, an einer Lungenetzündung verstorben sei. Eine Lüge, niemand glaubte an das, aber diese Frau, so zart und so schwach, ihr konnte sie das nicht sagen.

„Nein, es wird schon wieder. Wahrscheinlich kommt er bald wieder. Sie werden es schon sehen….“

Später erhielt der Zynische von seiner Mutter Pakete. Es waren Pakete voller Essen. Hunger war der tägliche Begleiter im Konzentrationslager. Hunger und Tod – die gehören zusammen, so wie Feuer und Wasser. Der Zynische hatte Hunger, so wie sie alle Hunger hatten. Er aß, er wollte essen. Essen – ja, aber nicht um jeden Preis. Solidarität war das höchste Gebot in dieser Welt, die so abgeschieden war, dass sie niemand zu bemerken schien.

Da war ein Spanier. Auch so jung wie der Zynische, auch so hungrig wie der Zynische. Der Zynische konnte die Augen spüren die auf ihn gerichtet waren.

„Hunger?“ fragte der Zynische den Spanier.

„Ja“

Er gab ihm die Hälfte.

Sie aßen.

Das war die Gleichheit, die Brüderlichkeit.

Später war es Freundschaft.