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Dieses Buch enthält neueste bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse über Übergewicht, gezieltes Abnehmen und Steigerung von Gesundheit und Lebensqualität. Verständlich zusammengefasst von Univ. Prof. Dr. Siegfried Meryn und Dr. Bianca Itariu. • Welche oft unbekannten Faktoren unser Körpergewicht bestimmen – und warum wir nicht immer etwas dafür können. • Wie die neuen Abnehm-Medikamente funktionieren und warum sie eine echte Revolution bedeuten. • Neueste Erkenntnisse: Die enorme Bedeutung von Körperfett als eigenes stoffwechselaktives Organ. • Was wirklich hilft, und was nicht.
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Seitenzahl: 296
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Dr. Siegfried Meryn
Dr. Bianca-Karla Itariu
Schlank auf Rezept
Alle Rechte vorbehalten
© 2023 edition a, Wien
www.edition-a.at
Mehr zum Thema finden Sie unter
www.schlankaufrezept.at
Cover: Vesna Baranovic
Satz: Anna-Mariya Rakhmankina
Lektorat: Maximilian Hauptmann
Gesetzt in der Premiera
Gedruckt in Europa
1 2 3 4 5 — 26 25 24 23
ISBN: 978-3-99001-671-8
eISBN: 978-3-99001-672-5
Dr. Siegfried Meryn
Dr. Bianca-Karla Itariu
Die Abnehmrevolution
edition a
Für meine Großmutter Margareta
Dr. Bianca-Karla Itariu
Ich widme das Buch meinen drei Kindern Alexander, Marietta und Emilio und allen Menschen, die mit Übergewicht, Adipositas und dem Bestreben, abzunehmen, zu kämpfen haben. Möge dieses Buch unterstützen, informieren und jeden ermutigen, seinen eigenen Weg zu finden.
Dr. Siegfried Meryn
Vorwortvon Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer
Die fetten Jahre sind vorbei – oder fangen sie gerade erst an?
Teil 1. Die Hochkalorien-Gesellschaft: Warum wir wirklich übergewichtig werden
Äpfel mit Birnen vergleichen: Das Problem mit dem BMI
Alles eine Frage der Gene?
Leben in der Schokoladenfabrik: Das adipogene Umfeld
Das Fett belebt: Die Fett-Darm-Hirn-Achse
Teil 2. Die Kleeblatt-Methode: Wie gesundes Abnehmen wirklich funktioniert
Auf Urlaub mit einer Diät
Ein Achterl in Ehren: Was wir wirklich trinken sollten – und wie viel
Die Diät der Zukunft
Sei eine Schildkröte oder: Jeder Schritt zählt
Laufband oder Hantelbank? Welche Aktivitäten uns gesünder machen
Nichts ist so schwer, wie richtig zu verlieren: Warum wir es nicht allein schaffen
Teil 3. Die Abnehm-Revolution: Was hilft, wenn nichts mehr hilft
Mit Sprengstoff abnehmen: Wie wir dorthin kamen, wo wir heute sind
Wie die modernen Abnehm-Medikamente funktionieren
Eine Spritzenleistung: Die revolutionären Abnehm-Medikamente
Was die Zukunft bringen könnte
Die lange Leine des Jo-Jos oder: Wie lange muss man die Abnehm-Medikamente nehmen?
Das Diabetes-Bingo: Wer die Abnehm-Medikamente bekommt – und wer nicht
Den Berg bewegen: Wie wichtig sind bariatrische Operationen?
Magen gut, alles gut? Warum Nachsorge die neue Vorsorge ist
Auf zu neuen Ufern: Die Medizin von morgen
Übergewicht und Adipositas sind die Geiseln unserer Zeit. Eine hochkalorische Ernährung kombiniert mit zunehmendem Bewegungsmangel gelten dabei als ursächlich und als giftiger Cocktail für unsere Gesundheit. Viele Leiden könnten verhindert werden, wenn der Körperfettanteil sinken würden. Und genau hier setzt das Buch der Autoren Prof. Dr. Siegfried Meryn und Dr. Bianca-Karla Itariu an, indem es neue Wege zum Abnehmen ohne Jo-Jo-Effekt und damit zu mehr individuellem Wohlbefinden beschreibt – unter Verzicht auf radikale Fastenkuren oder auszehrende Sportprogramme.
Für Leser ist dieses Buch ein Gewinn, weil es Abnehmen leichter und nachhaltiger macht, jenseits von Druck und schlechtem Gewissen.
Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer
»Freddy, Blada, schaffst es nicht rauf?«
Ein zehnjähriger Junge klammert sich an ein dickes Tau, das von der Decke des Turnsaals hängt. Er hat zwei Züge geschafft, jetzt steckt er fest. Unter ihm haben sich seine Mitschüler versammelt, die sich schnell und scheinbar problemlos mit Händen und Füßen an den Tauen hochgehangelt haben und schon wieder zurück am Boden sind.
Nun stehen sie da, mit verschränkten Armen und die Köpfe in den Nacken gelegt, und starren nach oben. Könnte sich der Junge auf dem Seil umdrehen, würde er sehen, dass sie lachen. Aber er kann sich nicht bewegen. Schweiß bedeckt seinen Körper, sein Turnleibchen klebt ihm am Rücken. So gerne würde er die letzten Meter nach oben klettern, doch er spürt, wie die Kraft nachlässt. Er versucht die rechte Hand am Tau entlang nach oben zu schieben, doch sie ist zu verschwitzt. Er findet keinen Halt. Sie rutscht ab. Schmerzhaft reibt er über die rauen Fasern, als er nach unten gleitet und auf dem Linoleumboden der Turnhalle landet.
Er hört Gelächter. Mit gesenktem Kopf schleicht er in die Ecke des Turnsaals, wo drei andere Jungs stehen, die eine ähnliche Körperform haben wie er: ein wenig mehr auf den Hüften, runder als die anderen Kinder. Manfred, Markus und Michael, die drei Ms, und er, Freddy. Von dem Rest der Klasse trennen sie in diesem Turnsaal scheinbar nur ein paar Meter, doch sie wissen, dass die imaginäre Grenze aus zehn Kilo besteht. Und die lassen sich nicht so leicht überwinden.
In diesem Moment ist sein gesamtes Dasein reduziert auf die Form seines Körpers. Das Gefühl vergeht auch nicht, als für seine Mitschüler wieder die Normalität eingekehrt ist. Freddy ist nicht unbeliebt in der Klasse. Er ist ein lustiger, kluger Kerl, mit dem man Spaß haben kann. Für seine Mitschüler ist die Szene im Turnsaal in der nächsten Pause bereits vergessen. Für ihn jedoch wird der Makel zu einer zweiten Haut, die kein noch so weiter Pullover verstecken kann.
Wie jeden Tag geht er mit seinem besten Freund Michael nach Hause. Michael und er wohnen im gleichen Wohnhaus, sind gemeinsam aufgewachsen und besuchen dieselbe Klasse. Sie sind unzertrennlich, könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Michaels Haare sind blond, er hat blaue Augen und ist schlank. Freddys Haare sind dunkel, seine Augen braun und er ist eben nicht schlank.
»Stan und Laurel«, »Dick und Doof« werden sie genannt, was unfair ist, denn Michael ist nicht doof. Für die anderen Kinder ist es ein harmloser Spaß, doch für Freddy sind die Worte eine Waage, auf die er jede Kalorie legt, die er zu sich nimmt.
Als er neben Michael geht, findet er die Welt furchtbar ungerecht. Michael und er essen oft gemeinsam. Doch Michael isst eine Tafel Schokolade und bleibt dünn, wohingegen Freddy sie nur anzusehen braucht und schon zunimmt. Während seine Schulkameraden mit Mädchen ausgehen, muss er daran denken, dass er vermutlich von manchen seiner Klassenkameradinnen beneidet wird, die erst noch von der Pubertät beschenkt werden müssen. Körbchengröße B schätzt er, wenn er sich mit freiem Oberkörper betrachtet, was er außerhalb seines Badezimmers kaum tut.
Dabei sind weder seine Eltern noch sein Bruder dick. Warum ausgerechnet er? Was macht er nur falsch?
»Ist was?«, fragt Michael und reißt ihn aus seinen Gedanken. »Du wirkst, als würde dich was bedrücken.«
»Nein«, sagt Freddy und bemüht sich, ein Lächeln aufzusetzen. »Alles in Ordnung.«
»Beweg dich mehr.«
»Iss gesünder und weniger.«
Diese beiden Sätze sind seit Jahrzehnten das Mantra gegen überschüssige Kilos. Wir hören sie in Arztpraxen und in Fitnessstudios. Wir lesen sie in Social-Media-Posts und Lifestyle-Magazinen. Wir hören sie im Frühstücksfernsehen oder in Motivationspodcasts. Ohne dass sie ausgesprochen werden müssten, enthalten diese beiden einfachen Handlungsanweisungen so viele andere Sätze: »Sei nicht faul. Bring dein Leben in Ordnung. Hab dich doch einfach besser unter Kontrolle. Musst du das wirklich essen?«
Jeder dieser Sätze tut weh. Er macht dich zu etwas, das du nicht bist. Du bist nicht faul. Du bist kein unordentlicher Mensch. Du hast dich unter Kontrolle. Und natürlich musst du das nicht essen, aber eine leise, nagende Stimme flüstert dir ein, dass du es willst. Wenn nicht heute, dann morgen.
Ich weiß, wie wenig diese Ratschläge bringen. Wie verletzend sie sein können. Ich habe sie nicht nur während meiner Karriere als Arzt immer wieder gehört, sondern auch als Betroffener. Denn der Junge auf dem Tau, das war ich. Ich weiß wie es sich anfühlt, seine Ziele nicht zu erreichen, weil einem der eigene Körper im Weg steht.
Deswegen haben meine Kollegin Dr. Bianca-Karla Itariu, die sich in ihrer Forschung und ärztlichen Tätigkeit intensiv mit dem Fettgewebe und Stoffwechselstörungen beschäftigt hat, und ich dieses Buch geschrieben.
Um mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen Verständnis zu wecken für den täglichen Umgang mit dem, was wir zum Überleben brauchen: Essen. Eine der schönsten Sachen des Lebens wird so für viele Menschen zu einer Qual. Und diejenigen, die noch nie Probleme mit ihrem Gewicht hatten – gibt es sie überhaupt? – sind nicht davor gefeit, dieses Gefühl kennenzulernen. Denn in unserer heutigen Gesellschaft ist niemand gegen Übergewicht und infolge Adipositas, Fettleibigkeit oder unkontrollierte Gewichtszunahme, immun. Beide Begriffe sind eng miteinander verwoben und die Übergänge oft fließender als die meisten von uns annehmen.
Doch es gibt keinen Grund sich von diesen Informationen verängstigen oder entmutigen zu lassen, ganz im Gegenteil. Die Erforschung unseres Körperfettes und seiner Rolle für unsere Gesundheit sowie die Behandlung von Übergewicht und Adipositas haben in den letzten Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht.
Was wirklich im Körper passiert, wenn wir essen und vor allem zu viel essen, war lange ein Rätsel. Wir sind gerade dabei, es zu lösen. Mit diesen Erkenntnissen entstehen völlig neue, bahnbrechende Therapiemethoden, die das Leben von Millionen Menschen zum Besseren verändern werden.
Viel zu lange wurden Übergewicht und Adipositas nicht als chronische Krankheiten betrachtet, sondern als individuelle Entscheidungen. Damit ist es – untermauert von aktuellen Studien – endlich vorbei.
Diese medizinische Revolution hat zu zahlreichen Entdeckungen geführt: Wir verstehen nun etwa viel besser, wie das Fettgewebe und dessen Hormonausschüttung in unserem Gehirn eine Kette von Reaktionen in Gang setzen. Genauso haben wir herausgefunden, was beim gefürchteten Jo-Jo-Effekt passiert, der oft eintritt, wenn man sein Idealgewicht nach langem Kampf endlich erreicht hat.
Vor allem aber zeigen neue Forschungsergebnisse ohne Zweifel, dass Adipositas eine chronische Erkrankung ist. Genauso wie Menschen mit einer angeborenen Muskelschwäche nicht einfach Gewichte stemmen können, um Muskeln aufzubauen, brauchen auch Menschen mit Übergewicht und Adipositas Unterstützung, wenn eine Gewichtsreduktion gelingen soll.
Abnehmen darf nicht länger als eine bloße Willensentscheidung betrachtet werden, die von Faulheit oder Charakterschwäche verhindert wird. Abnehmen auf Rezept ist nicht nur möglich, sondern insbesondere dann notwendig, wenn sich dadurch der Gesundheitszustand wiederherstellen oder verbessern lässt. Übergewicht und Adipositas zu überwinden ist durch erstaunliche Innovationen der modernen Medizin nicht nur in Ausnahmefällen möglich, sondern kann das Leben von Millionen Menschen zum Besseren wenden.
Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, Adipositas als das zu erkennen, was es ist: eine chronische Erkrankung, die das Leben zahlreicher Menschen einschränkt und ihre Gesundheits- und Lebenserwartung verkürzt. Übergewicht und Adipositas gehören zu den größten medizinischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.
Bis 2035 werden laut dem World Obesity Atlas 51 Prozent der Weltbevölkerung oder, anders formuliert, vier Milliarden Menschen übergewichtig sein. Die Zahl der übergewichtigen Kinder und Teenager zwischen fünf und 19 Jahren könnte sich verdoppeln und von etwa 104 auf 208 Millionen (männlich) beziehungsweise von 158 Millionen auf 175 Millionen (weiblich) steigen.
Wenn Adipositas nicht rechtzeitig behandelt wird, sind die Folgen für die Weltwirtschaft gravierend. Im Jahr 2020 wurden weltweit 1,96 Billionen US-Dollar ausgegeben, um die Auswirkungen dieser Erkrankung zu bekämpfen. Dazu zählen nicht nur medizinische Therapien, sondern auch die Kompensation von Arbeitsunfähigkeit. Im Jahr 2035 werden diese Ausgaben bei etwa 4,32 Billionen US-Dollar liegen, sich also mehr als verdoppeln, sollte sich an der Behandlung nichts ändern.
Die Folgen von Adipositas sind vergleichbar mit den Auswirkungen der Corona-Krise. Nach dem ersten Jahr der Pandemie forderte Corona ungefähr 2,8 Millionen Tote. So viele Menschen sterben jedes Jahr infolge von Adipositas. Während Corona im Jahre 2023 dank Impfungen keine so große Bedrohung mehr ist, gibt es gegen Adipositas weder Impfung noch Immunität.
Die Zahlen sehen für Österreich nicht besser aus. Nach Angaben der Österreichischen Adipositas Allianz, die Adipositas als das »meist unterschätzte Gesundheitsproblem« bezeichnet, sind 15 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher übergewichtig. In Zahlen ausgedrückt sind das 1,35 Millionen von knapp neun Millionen Menschen. Die Wirtschaftsleistung in Österreich wird sich Schätzungen zufolge zwischen 2020 und 2050 durch die Folgen von Adipositas jährlich um 2,5 Prozent verringern. Im Jahre 2021 verursachte Adipositas etwa zehn Milliarden Euro an Kosten bei einem Bruttoinlandsprodukt von 403 Milliarden Euro. Die Präsidentin der Österreichischen Adipositas Gesellschaft, Dr. Johanna Brix, fasst zusammen: »Aktuell ist die Versorgung für Menschen mit Adipositas in Österreich absolut unzureichend.« Dieses Buch soll für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft aufzeigen, was für eine effektive Lösung des Problems fehlt.
Übergewicht und Adipositas sind also Probleme, die uns alle und unsere gesamte Gesellschaft betreffen. Auf individueller Ebene sind sie mit schwerwiegenden Folgen für die eigene Lebensqualität verbunden. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der häufigsten Todesursache, Typ-2-Diabetes und Krebs steigt massiv an. Unter anderem leiden auch Beweglichkeit, Ausdauer, Schlafqualität und Sexualverhalten.
Doch für alle Menschen, die mit ihrem Gewicht kämpfen, gibt es Hoffnung. Die neuen Erkenntnisse in der Medizin, auf die unser Buch aufbaut, haben nicht nur zu einem veränderten Verständnis der verschiedenen Arten und Funktionen unseres Fettgewebes geführt. Sie haben auch bei der Entwicklung neuer Therapiemethoden geholfen, um Adipositas und Übergewicht effektiv zu überwinden. Sie versprechen Patientinnen und Patienten ein besseres Leben, das Ziel, welches die Medizin seit der Antike verfolgt.
Am Anfang dieser Revolution steht eine bahnbrechende Erkenntnis: Es ist fast nie die Schuld der Patientinnen und Patienten, überschüssiges Fett, Übergewicht oder Adipositas zu haben.
Schuld ist ohnehin keine Kategorie, die in einer ärztlichen Behandlung eine Rolle spielen sollte. Das müssen sich auch einige Ärzte bewusst machen. Die Gründe hierfür liegen in einem komplexen Zusammenspiel aus Genetik, Physiologie, Erziehung, Umwelt, unserer Nahrungsmittelindustrie und gesellschaftlicher Erwartungshaltung. Solange wir Übergewicht als selbstverschuldet ansehen, wird sich nichts ändern.
Der Mediziner Steven Rosenberg, der den ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan behandelte, schrieb: »Der Patient hat nicht versagt. Die Therapie hat versagt. Manche Patienten brauchen einfach eine andere Therapie.«
Die Zeit für eine solche andere Therapie ist nun gekommen. Um Ihnen die Möglichkeiten solcher neuen Therapien zu zeigen, wurde dieses Buch geschrieben.
Der erste Teil des Buches soll Ihnen die Phänomene Übergewicht und Adipositas als das erklären, was sie nach aktuellem Stand der Wissenschaft wirklich sind, und dabei mit Fake-News und Falschbehauptungen aufräumen. Warum erzählt der Body-Mass-Index (BMI) nur die halbe Wahrheit? Ist Übergewicht genetisch bedingt? Welche Rolle spielt das Umfeld? Und was geschieht im Körper, wenn wir zu viel Fett anlegen? Die Erklärungen auf diese und viele weitere Fragen werden Sie verstehen lassen, wieso wir Adipositas als chronische Erkrankung einstufen müssen und warum unsere Gesellschaften weltweit wirklich übergewichtig werden. So viel können wir schon verraten: Es hat nichts mit Faulheit zu tun.
Der zweite Teil des Buches wird die Frage behandeln, wie wir gesund abnehmen können. Was hilft wirklich? Gibt es die »Superabnehmdiät«? Ist eine 16:8-Diät, also 16 Stunden Fasten und 8 Stunden Essen, effektiver als Kalorienzählen? Was gilt es bei einer Ernährungsumstellung zu beachten? Reicht die Umstellung des Lebenswandels allein überhaupt aus? Oder bedarf es einer guten Therapie, um den Lebenswandel nachhaltig umstellen zu können? Wie viel und welche Bewegung unterstützt die Gewichtsreduktion? Wird einen der Jo-Jo-Effekt für immer begleiten?
Der letzte Teil des Buches ist der medizinischen Revolution gewidmet, die uns bevorsteht. Zahlreiche Menschen mit Gewichtsproblemen haben jahrelang unzählige Abnehm-Methoden ausprobiert und sind ein ums andere Mal enttäuscht worden.
Was hilft, wenn scheinbar gar nichts mehr hilft? Welche neuen Medikamente und chirurgische Eingriffe gibt es, wie wirken sie und für wen sind sie geeignet? Welche Nebenwirkungen können eintreten?
Am Ende des Buches werden Sie nicht bloß besser verstehen, was Übergewicht beziehungsweise Adipositas sind, sondern auch erkennen, dass es viel Grund zu Optimismus und Hoffnung gibt. Wer mit Übergewicht lebt, trägt daran genauso viel Schuld wie jemand, der mit Kurzsichtigkeit lebt. Doch während eine Brille bei Kurzsichtigkeit Abhilfe schaffen kann, muss ein Mensch unter hohem Gewicht noch immer leiden. Dank moderner Medizin gibt es nun Möglichkeiten, einem solchen Schicksal zu entkommen. In diesem Buch erfahren Sie, wie das funktionieren kann.
Wie es mit dem Jungen auf dem Tau weiterging? Irgendwann veränderte er seine Lebensweise radikal. Er entwickelte eine eigene Diät: Am ersten Tag aß er nur das Frühstück, am zweiten nur das Mittagessen, am dritten nur das Abendessen. Drei Mahlzeiten auf drei Tage verteilt. Er trieb mehr Sport, ging beinahe jeden Tag laufen.
Als er sein Maturazeugnis überreicht bekam, trug er einen Anzug der Größe M. Mehr als zehn Jahre danach lief er seinen ersten Wien-Marathon.
Was ihm damals viel abverlangte, ist heute durch die moderne Medizin leichter geworden.
Sie hilft vielleicht nicht dabei, einen Marathon zu laufen, aber ganz bestimmt führt sie zu einem besseren und gesünderen Leben und zu einem Gewicht, mit dem man sich wohlfühlen kann. Sie senkt das Risiko auf schwere Erkrankungen und verlängert so das Leben. Nicht nur die medizinischen Fortschritte hätten dem jungen Freddy helfen können, sondern auch die Erkenntnis, dass Übergewicht und Adipositas Krankheiten sind, an denen der Erkrankte selten Schuld trägt.
Denn die Erfahrungen einer Jugend bleiben. Noch heute lehnt der Junge von damals manchmal die Nachspeise ab, wenn ihn sein Gehirn warnt, bloß nicht zu viel zu essen. Er könnte doch zunehmen. Er entschuldigt sich dann: Ich bin gerade auf Diät.
Und seine drei erwachsenen Kinder lachen und sagen: »Papa, du bist dein ganzes Leben auf Diät.«
Warum wir wirklich übergewichtig werden
Carmen B. ist sportlich und schlank. Die 42-Jährige arbeitet seit zwanzig Jahren als Kosmetikerin und treibt regelmäßig Sport. Keine Person, die sich Sorgen um Übergewicht machen muss. Tatsächlich ist ihr BMI mit 23 ganz normal.
So weit, so gut, meint die Ärztin, bei der sie einen Termin zum Gesundheitscheck hat. Ihr Taillenumfang beträgt 72 Zentimeter. Also auch hier kein Grund zur Besorgnis.
»Was ist denn das?«, fragt Carmen, während die Ärztin die Ergebnisse notiert und die Untersuchung eigentlich schon abschließen will. Sie deutet auf ein Gerät, das in der Ecke der Praxis steht.
»Das ist eine Bioimpedanzwaage«, erklärt die Ärztin. »Damit kann man die Körperzusammensetzung und den Muskel-Wasseranteil, insbesondere aber den Körperfettanteil messen.«
Und obwohl sie es nicht für nötig hält, fügt sie hinzu: »Wollen Sie es ausprobieren? Sie haben doch kein Metall im Körper, keinen Herzschrittmacher?«
Carmen ist interessiert. Sie stellt sich auf die dafür vorgesehene Plattform. Ihre Hände umschließen die metallischen Stützen.
Die Ärztin schaltet das Gerät ein. Ein leichter Wechselstrom wird durch Carmens Körper geleitet. Kurz darauf werden die Ergebnisse an den Computer übermittelt.
Als die Ärztin das Ergebnis sieht, glaubt sie zuerst an einen Fehler. Sie wiederholt den Vorgang. Das gleiche Ergebnis.
Carmen B. hat einen Körperfettanteil von 43,5 Prozent. Frauen gelten ab 35 Prozent als Hochrisikopatientinnen für Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder kardiovaskuläre Erkrankungen. Athletinnen haben hingegen manchmal sogar einen Körperfettanteil von nur zehn Prozent.
Wie kann dieses Ergebnis erklärt werden? Wo versteckt sich das überschüssige Fett von Carmen B.?
Zu sehen ist es nicht.
Beim Patientinnengespräch erzählt Carmen, dass sie als Teenager übergewichtig war. Es folgten Jahre mit psychischen Problemen und Anorexie, also Magersucht, durch die sie stark abnahm. Sie konnte diese Probleme Mitte zwanzig überwinden. Unter anderem hat ihr Sport dabei geholfen.
Doch ihr Essverhalten hat sich seit damals kaum verändert. Viel Zucker, viel Fett und die eine oder andere Crash-Diät. Würde sie keinen Sport treiben, hätte sie der Diabetes womöglich schon eingeholt. Und falls sie aufhören sollte, sich so viel zu bewegen, droht ihr genau das.
Tatsächlich zeigte sich in der Blutuntersuchung, dass Carmen einen erhöhten Nüchternblutzucker hat.
Wenn man Carmen B. auf der Straße sieht, würde man nie auf den Gedanken kommen, dass sie überschüssiges Fett besitzt. Und genau deswegen ist ihre Geschichte das perfekte Beispiel, dass wir uns als Gesellschaft von der Idee verabschieden müssen, die Gesundheit von Menschen allein durch ihr Äußeres zu bestimmen.
Dank der Forschungsergebnisse der letzten Jahre wissen wir, dass der Zusammenhang zwischen Gewicht, Übergewicht und Adipositas viel komplexer ist als bisher angenommen.
Genauso wissen wir heute, dass der BMI – bis heute Standardmodell, um die »Fettleibigkeit« einzuschätzen und in jedem Internet-Selbsttest zur Gewichtseinschätzung zu finden – allein nicht ausreicht, um eine Diagnose zu stellen. Lange Zeit wurden Übergewicht und Adipositas nur über diesen definiert. Der aktuelle Stand der Forschung zeigt, dass dies problematisch ist. Im Fall von Carmen B. haben wir gesehen, wie sehr sich der BMI irren kann.
Wie können wir Übergewicht und Adipositas also besser definieren?
Der Body-Mass-Index oder kurz BMI wird heute weltweit eingesetzt, um die Körpermasse von Menschen als normal, zu niedrig oder zu hoch einzuschätzen. Er hat sich als internationaler Richtwert durchgesetzt. Und wie jeder Richtwert, weist er Stärken und Schwächen auf. Beginnen wir damit, wie sich der BMI errechnen lässt: Körpergewicht in Kilogramm durch Körpergröße in Meter zum Quadrat.
Der BMI ist deswegen so beliebt, weil er eine einfache Kategorisierung erlaubt. Ein normales Körpergewicht liegt laut WHO bei einem BMI zwischen 18,5 und 24,9 Kilogramm/Meter2.
Übergewicht besteht bei einem BMI von 25 bis 29,9. Diese Stufe wird auch als Präadipositas bezeichnet und ist eine Vorstufe, in der sich die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Erkrankungen bereits erhöht. An dieser Stelle muss betont werden, dass Übergewicht an sich noch keine Krankheit ist. Studien zeigen, dass die Sterbewahrscheinlichkeit bei übergewichtigen Menschen nicht erhöht ist. Das klarzustellen, ist wichtig, um gegen mögliche Stigmatisierungen vorzugehen. Natürlich gibt es dennoch verschiedene Gründe, aus denen Menschen Gewicht verlieren wollen.
Ab einem BMI von 30 spricht man von Adipositas. Mit diesem Grenzwert steigen die Chancen für Erkrankungen und einen frühzeitigen Tod signifikant an.
Adipositas ist eine chronische, fortschreitende und schubförmig verlaufende, neurobiologische Krankheit, die durch eine exzessive Zunahme des Körperfetts entsteht und zu gesundheitsgefährdenden Stoffwechselstörungen führt. Ihre Auswirkungen sind auf körperlicher oder biomechanischer und psychosozialer Ebene spürbar.
Sie ist eng mit den drei häufigsten chronischen Krankheiten unserer Zeit verstrickt: Herzkrankheiten, Krebs und Diabetes mellitus Typ 2.
Zu den möglichen Komplikationen, die sich durch Adipositas ergeben, gehören Schlaganfall, Herzinfarkt und -insuffizienz, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Gicht, Arthrose, Thrombose, Schlafapnoe, Varikositas (Krampfadern), Zwerchfellbruch, Asthma, chronische Glieder- und Rückenschmerzen, Abnutzung der Gelenke, Unfruchtbarkeit bei Männern und Frauen, Erkrankungen der Organe (zum Beispiel nichtalkoholische Fettleber, Gallensteine) und sogar einige Krebsarten. Adipositas verkürzt das Leben vieler Menschen.
Eine entsprechende Behandlung würde zur Reduktion vieler vermeidbarer Todesfälle beitragen.
Wir wissen auch, dass Menschen mit Adipositas während der Corona-Pandemie zu einer besonders vulnerablen Gruppe gehörten.
Die Impfung zeigte bei ihnen weniger Wirkung als bei Menschen mit Normalgewicht.
Psychologische Erkrankungen wie Depressionen, Ess- oder Angststörungen werden ebenfalls mit Adipositas assoziiert.
Im schlimmsten Fall können einige dieser Erkrankungen lebensgefährlich sein. In jedem Fall mindern sie unsere gesunden Jahre und die Lebensqualität enorm. Die Forschung ist sich einig: Adipositas verkürzt das Leben und erhöht die Sterberate.
Das trifft interessanterweise auch auf Menschen mit einem deutlich zu niedrigen BMI (unter 18,5) zu, die ebenfalls eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, an den genannten Beschwerden zu erkranken.
Wie gefährdet ein einzelner Mensch ist, lässt sich jedoch durch den BMI allein nicht feststellen. Der BMI erlaubt zwar eine sehr schnelle und einfache Einschätzung der eigenen Körpermasse, doch seine Genauigkeit bezüglich des Fettmasse-Anteils lässt zu wünschen übrig.
Im Beispiel von Carmen B. war der BMI kaum aussagekräftig. Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Geschichte des BMI, dass wir vorsichtig sein sollten, wenn wir uns zu sehr auf ihn verlassen.
Erfunden wurde er im 19. Jahrhundert vom belgischen Wissenschaftler Adolphe Quetelet. Quetelet war selbst kein Mediziner, sondern Statistiker, Astronom und Mathematiker. Außerdem vertrat er Thesen, die sich zu seiner Zeit großer Beliebtheit erfreuten und heute als völlig unwissenschaftlich erkannt wurden, sogenannte Rassentheorien, die verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Intelligenz oder Zivilisiertheit zuschrieben.
Quetelet wollte Menschen kategorisieren. Und genau das sollte der BMI, der damals noch nicht BMI hieß, leisten: Er sollte erlauben, Gesellschaften miteinander zu vergleichen. Er war von Quetelet nie dafür vorgesehen worden, die Fettmasse einzelner Individuen zu bestimmen.
Quetelet geriet in Vergessenheit und mit ihm seine Theorie. Erst im 20. Jahrhundert wurde der BMI in seiner heutigen Form von amerikanischen Versicherungsgesellschaften wiederbelebt, um Menschen in verschiedene Risikogruppen einteilen zu können. Ein Mensch, der ein höheres Risiko hat, an einem Herzinfarkt zu sterben, musste dementsprechend mehr in die Lebensversicherung einzahlen. Was jedoch übersehen oder ignoriert wurde: Quetelet entwickelte seinen Maßstab für Körpermasse ausschließlich an Franzosen und Schotten. So ergab eine Studie, die 2009 im Journal der Endocrine Society erschien, dass Afroamerikaner verglichen mit weißen US-Bürgern und bei gleichem BMI oft weniger Fettmasse besitzen. Zieht man bloß den BMI für die Diagnose heran, werden diese Menschen oft zu Unrecht als übergewichtig oder adipös diagnostiziert.
Bei Menschen aus Asien hingegen können Krankheiten, die mit Adipositas in Verbindung stehen, bereits bei einem niedrigeren BMI beginnen. Bei Menschen aus Lateinamerika wird das Fett vor allem am Bauch angelegt, was zunehmend zu Stoffwechselstörungen und Fettleber führt. Man sieht also, dass der BMI einen Standard festlegt, der sich an einer weißen und männlichen Bevölkerung orientiert und somit nicht universal gültig ist.
Ein anderes großes Problem des BMI hat mit der Nichtberücksichtigung des Fettanteils und der Fettverteilung zu tun. Unser Fettgewebe ist schlussendlich ausschlaggebend dafür, ob wir Probleme mit dem Stoffwechsel, dem Herz-Kreislauf-System oder unserem Blutzucker bekommen. Ein hoher BMI lässt allerdings nicht immer darauf schließen, dass wir auch zu viel Fett im Körper haben und umgekehrt.
Laut einer Studie des amerikanischen Zentrums für Gesundheitsstatistik (NCHS) darf man sich bei einer Diagnose auf den BMI allein keinesfalls verlassen. Während der genauere DEXA-Scan (eine Beschreibung dieser Methode finden Sie auf den nächsten Seiten) 9.700 Menschen als adipös klassifizierte, wären nur etwa 47 Prozent dieser Menschen durch den BMI mit der Diagnose erkannt worden. Das bedeutet, mehr als die Hälfte hätte keine Aufklärung über ihren Gesundheitszustand bekommen und somit keine Möglichkeit gehabt, sich medizinische Hilfe zu suchen.
Von diesen Patienten hatten nach den Berechnungen auf Basis des BMI nur 36 Prozent einen BMI von 30 oder höher, der Zeitpunkt, ab dem man von Adipositas spricht. Doch 74 Prozent hatten einen Körperfettanteil über 25 Prozent (Männer) oder 32 Prozent (Frauen) und weisen damit einen erhöhten Fettanteil auf. Denn Adipositas ist überschüssiges Körperfett. Um die Krankheit zu verstehen, muss daher vom Körperfett ausgegangen werden. Und dieses kann der BMI nicht zureichend bestimmen.
So besitzen Sportler oft einen hohen BMI, aber einen geringen Fettanteil. Vor allem bei Kraftsportlern kann sich dieses Phänomen finden lassen. Sie bringen leicht über hundert Kilogramm auf die Waage, tragen aber kaum ein Gramm Fett auf ihren gewaltigen Schultern.
»BMI unterschätzt echte Adipositas enorm«, meint der Mediziner Aayush Visaria, der an der Studie mitarbeitete. »Wir erleben gerade den Anfang vom Ende des BMI.« Doch auch er schränkt ein: der BMI wird nicht völlig verschwinden. Er wird auch nicht vom DEXA-Scan ersetzt werden, denn dieser ist teuer und umständlich und daher für Erstdiagnosen kaum geeignet. Wie man effektiv und schnell herausfinden kann, ob die Gefahr auf zu viel Fett besteht, werden wir im Laufe dieses Kapitels erklären.
Wenn so viel gegen den BMI spricht, warum verwenden wir ihn dann überhaupt noch? Weil er trotz all seiner Schwächen eine gute erste Einschätzung erlaubt.
Zum einen ist der BMI auf Bevölkerungsebene noch immer unschlagbar, um ein epidemiologisches Risiko zu erfassen. Er ist leicht zu messen und leicht zu reproduzieren.
Außerdem zeigen Studien, dass die Wahrscheinlichkeit für Erkrankungen, die mit Adipositas in Verbindung stehen, ab einem BMI über 30 sehr hoch ist. Wir wissen, dass »metabolisch gesunde Adipositas«, also Menschen mit einem BMI über 30 und ohne Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck und auffälligen Laborwerten oder erhöhte Blutzuckerwerte, selten vorkommt. Es ist meist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Situation dieser Menschen medizinisch ungünstig verändert. Steven B. Heymsfield, Ex-Präsident der Obesity Society, sagte dazu: »Metabolisch gesundes Übergewicht ist ein Warnsignal.«
Heymsfield weist darauf hin, dass man einen BMI im gesunden Durchschnitt mit metabolischen Erkrankungen haben kann, oder dass man mit Übergewicht beschwerdefrei sein kann. Die Wahrscheinlichkeit von diversen Erkrankungen erhöht sich aber mit steigendem BMI.
Die Probleme des BMI zu kennen, kann dabei helfen, die Diagnosen zu verbessern, indem man sich nicht mehr allein auf ihn konzentriert.
Seine größte Schwäche: Er kann die Fettmasse im Körper nicht ermitteln. Und die ist letztlich für die Diagnose entscheidend.
Für die gesundheitlichen Auswirkungen von exzessivem Fett ist es sehr wichtig, wo sich dieses im Körper ablagert. Sind Sie ein Apfel oder eine Birne?
Die Antwort darauf kann wichtige Schlüsse über Ihre Gesundheit geben.
Menschen sind Birnen, wenn sich das Fett vor allem an Po, Hüfte oder Oberschenkel ablagert. Dieses Fett wird auch subkutanes Fett oder Unterhautfettgewebe genannt. Es dient als Wärmeisolator und Energiespeicher. Von Äpfeln spricht man, wenn sich das Fett um den Bauch sammelt. Dieses Fett wird viszerales Fett oder intraabdominelles Fett genannt.
Es lagert sich um Organe wie Magen, Darm und Leber ab. Wir alle haben viszerales Fett, das die Organe schützt. Doch nimmt es Überhand, wird es gesundheitsgefährdend. Je mehr Fett sich um unsere Organe herum ablagert, desto größer die Gefahr, dass sich diese entzünden. Wie genau das funktioniert, werden wir später noch genauer erklären.
Zunächst reicht es festzustellen, dass subkutanes Fett weniger gefährlich ist als viszerales. Genetisch sind Frauen im Vorteil, da sie eher zur Ansammlung von subkutanem Fett, also der Birnenfigur neigen, während Männer überschüssiges Fett als viszerales Fett lagern und zu einer Apfelfigur tendieren.
Am Beispiel von Birnen- und Apfeltypen sehen wir, dass Fett nicht immer schlecht ist, aber zu viel Fett an den falschen Stellen führt zur sogenannten »Lipotoxizität«. Die Verteilung ist entscheidend.
Was sind Alternativen zum BMI, um den Fettanteil genauer zu bestimmen?
Ein einfaches Mittel, um seine viszerale Fettmasse in der Bauchhöhle einzuschätzen, ist die Messung der Taille.
Dafür nimmt man ein Maßband und misst den Umfang seiner Taille, etwa einen Zentimeter über dem Bauchnabel. Ab 102 Zentimeter gilt ein Mann als Risikopatient, bei der Frau sind es 88 Zentimeter.
Doch auch die Taillenmessung hat Nachteile: Die daraus resultierenden Werte sind nicht immer reproduzierbar und die Messungen unterliegen ethnischen und geschlechtsspezifischen Unterschieden.
Eine andere Methode ist die »Waist-to-Height-Ratio« oder auch WHtR. Hierfür wird der Bauchumfang in Zentimeter durch die Körpergröße in Zentimetern gerechnet.
Will man es ganz genau wissen, kann man einen »Dual-energy X-ray absorptiometry« (DEXA)-Scan oder eine bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) machen, wie Carmen B. das getan hat.
Bei DEXA-Scannern handelt es sich um moderne Geräte, die ziemlich teuer und daher nicht in jeder Ordination zu finden sind. Sie können nicht nur den genauen Körperfettanteil angeben, sondern zeigen auch, wo im Körper sich das Fett konzentriert hat.
Der DEXA-Scan ist ein 3-Gewebe-Modell, das jedoch nur zwei Gewebearten direkt unterscheidet und die dritte durch eine Software berechnet. Das 4-Gewebe-Modell ist genauer, aber teurer und praktisch kaum anwendbar. Es misst den Wassergehalt des Körpers, den Fettgehalt, die fettfreie Masse und die Knochendichte. DEXA-Scans haben Schwierigkeiten bei Gewichtsveränderungen und Wasserschwankungen, und können eine Ungenauigkeit von vier bis zehn Prozent aufweisen.
Allerdings wird beim DEXA-Scan (anders als etwa bei der Magnetresonanztomographie) eine kleine Menge radioaktiver Strahlung freigesetzt. Diese Menge ist so gering, dass sie nicht gesundheitsgefährdend ist, allerdings gilt in der Medizin das Prinzip, nicht unbedingt notwendige Unannehmlichkeiten für Patienten zu vermeiden.
Die bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) berechnet auch den Körperfettanteil inklusive Magermasse, Muskelmasse und Körperzellmasse mit unterschiedlicher Genauigkeit und Preisspanne. Von der Siebzig-Euro-Badezimmerwaage bis zum High-End-Gerät um über 10.000 Euro ist alles dabei.
Nebenwirkungen gibt es keine und die Durchführung ist einfach, allerdings können die Ergebnisse je nach Gerätetyp und anderen Faktoren, wie dem weiblichen Zyklus, unterschiedlich ausfallen.
Die US-amerikanische Medizinerin Donna Ryan, ehemalige Präsidentin der internationalen Obesity Society, sieht bald noch mehr Alternativen auf uns zukommen. Die Technik entwickelt sich stetig weiter. Mit digitaler Anthropometrie wird es in den nächsten Jahren möglich sein, mittels digitaler Fotografie die Maße unseres Körpers genau zu bestimmen und so das Körperfett zu ermessen.
Welche Methode ist nun die beste, um unseren Körperfettanteil zu bestimmen und ein aussagekräftiges Bild über unseren Gesundheitszustand zu geben?
Der BMI ist in erster Linie eine Messmethode für die Bevölkerung, er trifft also für gesamtgesellschaftliche Aussagen zu. Der BMI einer Bevölkerung kann uns Aufschluss darüber geben, ob wir es bei Übergewicht und Adipositas bereits mit einem globalen Problem zu tun haben.
Individuell ist der BMI aber wenig aussagekräftig, weil er keinen Schluss darüber zulässt, wie viel Fett sich in unserem Körper wo befindet. Den BMI zu errechnen kostet weder Geld noch besonders viel Zeit, er kann daher als eine erste Messmethode noch immer genutzt werden. Wir dürfen uns aber keinesfalls allein auf ihn verlassen.
Genauso günstig und schnell, aber verlässlicher, sind die Messung des Taillenumfangs und die Waist-to-Height-Ratio (WHtR). Damit lässt sich bereits mehr über die Fettmasse in unserem Körper erkennen. Doch auch diese beiden Messungen haben ihre Mängel. Sie sagen uns wenig darüber, wo sich das Fett in unserem Körper befindet. Und wie beim BMI kann es zu Verzerrungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen kommen.
Die Königsmethoden sind zurzeit der DEXA-Scan und die bioelektrische Impedanzanalyse. Diese Methoden sind nicht billig, doch sollte man als Patient einen Spezialisten aufsuchen, der eine solche Analyse anbietet. Vor allem dann, wenn die Blutwerte schlecht sind oder die anderen Messmethoden, wie BMI, Taillenumfang oder WHtR über dem gesunden Wert liegen.
Die Amerikanische Medizingesellschaft (American Medical Association oder AMA) hat in einem Statement bereits gefordert, in der ärztlichen Praxis weniger auf den BMI und mehr auf das tatsächliche Körperfett zu achten.
Es ist höchste Zeit, dass in Gesunden- und Vorsorgeuntersuchungen mindestens der Taillenumfang gemessen oder die Waist-to-Height-Ratio bestimmt werden. Bei Verdacht sollten Ärzte ihre Patienten jedenfalls zu einer bioelektronischen Impedanzanalyse oder einem DEXA-Scan schicken.
Ein solches Verfahren muss in Österreich schnellstmöglich zum Standard werden. Der bisherige Prozess, der nur die Messung des BMI kennt, ist nach dem derzeitigen Stand der Forschung längst veraltet.
Bei der Bestimmung des Körperfetts und dem damit zusammenhängenden Risiko für Folgeerkrankungen gilt: No size fits all. Jede Diagnose muss individuell auf den Patienten eingehen.
Manche Menschen sind mit einem BMI von 23 Diabetes-gefährdet, obwohl sie sich selbst fit und sportlich fühlen, wie im Falle von Carmen B. Andere Menschen können einen BMI von 32 haben, sich genauso gesund und wohlfühlen und noch dazu völlig symptomfrei leben. Dann wieder gibt es Menschen, die bei einem geringen Übergewicht zwar nicht mit körperlichen, aber mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht kann etwa zu Depressionen führen.
Wenn keine zwei Menschen mit dem gleichen Gewicht die gleichen Reaktionen zeigen, wie können wir das Verhältnis von Körperfett und Körpergewicht dann überhaupt richtig einschätzen? Welche Kriterien können all diese medizinischen und psychischen Aspekte abdecken?
In den letzten Jahren gab es viel Kritik an der Modeindustrie, da es für Körper, die von der »Norm« abwichen, kaum passende Kleidung gab. Die Modeindustrie drängt Menschen in eine bestimmte Körperform und gibt jenen, die diesen Normen nicht entsprechen, das Gefühl, nicht »normal« zu sein. Eine ähnliche Gefahr gibt es auch bei Diagnosen, wenn sie die Individualität der Menschen nicht anerkennen.
Kein Körper ist gleich. Keine Größe passt allen. Wie erwähnt: No size fits all.
Darüber hinaus ist die Vielfalt unserer Körperformen begrüßenswert. Vielfalt macht uns kreativer, wirtschaftlich erfolgreicher und zukunftsfähiger. Wenn wir wissen wollen, wie ungesund unser Gewicht wirklich ist, müssen einige zusätzliche Faktoren berücksichtigt werden.
Ein Index, der versucht dieser Tatsache Rechnung zu tragen, ist das Edmonton Obesity Staging System oder EOSS. Es wurde 2009 in Kanada entwickelt und unterteilt die Beschwerden, die man bei Übergewicht verspüren kann, in drei Kategorien: medizinische Komplikationen oder Nebenerkrankungen, psychische Gesundheit und funktionale, körperliche Aktivität.
Medizinische Beschwerden können unter anderem kardiovaskulär (Schlaganfall, Herzerkrankung), metabolisch (Typ-2-Diabetes, Gicht) oder onkologisch (Krebs) sein. Mentale Beschwerden äußern sich in Depressionen, Angststörungen oder Essstörungen. Und funktionale Beschwerden sind Einschränkungen der Beweglichkeit.
Das EOSS fragt alle Beschwerden eines Patienten ab und ordnet sie anhand der schwerwiegendsten Beschwerde in vier Stufen ein.
Mit der Umstellung von Ernährung und Lebenswandel kann man bei EOSS 1 gute Erfolge erzielen. In diese Kategorie wäre Carmen B. einzuordnen.
Auf Stufe 2 ist die Lebensqualität bereits beeinträchtigt. Auf dieser Stufe finden sich sogenannte Komorbiditäten, also sekundäre Erkrankungen, die von der Krankheit Adipositas ausgelöst oder verschlechtert werden. Dazu zählen etwa Diabetes Typ 2, Dyslipidämie (Störung der Blutfette, zum Beispiel Cholesterinwerte) und chronische Gelenkschmerzen. Auf dieser Stufe macht es Sinn, eine medikamentöse Therapie zur Gewichtsreduktion zu beginnen und eine fünf- bis fünfzehnprozentige Gewichtsreduktion anzustreben, um nicht nur die Begleiterkrankungen zu behandeln.
Die Stufe 3 zeichnet sich durch Organschäden aus. Die Lebensqualität ist eingeschränkt: Herzinfarkt, Fettleber, Nierenkrankheiten oder Gelenksersatz sind einige Beispiele, die verdeutlichen, womit es der Patient aufnehmen muss.
Stufe 4 stellt das Endstadium dar, in dem die Erkrankungen so weit fortgeschritten sind, dass die Medizin den Gesundheitszustand kaum noch wiederherstellen kann und die Kontrolle der Symptome in den Vordergrund rückt. Mit den modernen Therapien soll verhindert werden, dass Menschen die höheren Stufen erreichen, sowie dass ihre Lebensqualität und ihre Lebenserwartung leiden.
EOSS ist ein gutes System, weil es die Krankheit Übergewicht oder Adipositas in ihrer ganzen Komplexität sichtbar