Schlimmer geht immer - Michael Farquhar - E-Book

Schlimmer geht immer E-Book

Michael Farquhar

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Beschreibung

Missgeschicke, große Tragödien und grandioses Chaos aus unserer Weltgeschichte. Ein schwarz-humoriger Almanach, der das eigene Pech klein aussehen lässt. Ob vom verfrühten Ausstieg des dritten Apple-Mitbegründers Ron Wayne, von der Bostoner Melassekatastrophe oder vom blutigen Ende des römischen Kaisers Caligula. Für jeden Tag im Jahr die passende Tragödie: In diesem Buch ist Geschichte alles andere als staubtrocken.

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Schlimmergeht immer

365UNGLÜCKSTAGEder WELTGESCHICHTE

EINE FRÖHLICH GRIMMIGE CHRONIKvon MISSGESCHICKEN, CHAOS und PECH

MICHAEL FARQUHAR

ILLUSTRATIONEN VON GIULIA GHIGINI

NATIONAL GEOGRAPHIC

Schlimmer geht immer

Verantwortlich: Dr. Birgit Kneip, Lena Wacht

Übersetzung: Simon Yblagger, München

Redaktion, Satz: und Korrektorat: Verlagsservice

Dietmar Schmitz GmbH

Umschlaggestaltung: Christa Thieser

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Bad Days in History. A gleefully grim chronicle of misfortune, mayhem, and misery for everyday of the year

Text-Copyright der Originalausgabe © 2015,

Michael Farquhar

All rights reserved.

Text-Copyright der deutschen Ausgabe © 2015,

Michael Farquhar

All rights reserved.

Illustrationen-Copyright ©2015 Giulia Ghigini

All rights reserved.

Illustrationen-Copyright der deutschen Ausgabe ©2015 Giulia Ghigini

All rights reserved.

Deutsche Ausgabe veröffentlicht von :

NG Buchverlag GmbH, München 2019

Lizenznehmer von: National Geographic Partners, LLC

NATIONAL GEOGRAPHIC and Yellow Border Design are trademarks of the National Geographic Society used under license.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Reproduktionen, Speicherungen in Datenverarbeitungsanlagen oder Netzwerken, Wiedergabe auf elektronischen, fotomechanischen oder ähnlichen Wegen, Funk oder Vortrag, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Copyrightinhabers.

Druck: Florjancic Tisk

Printed in Slovenia

ISBN 978-3-86690-684-6

eISBN 978-3-95559-338-4

Alle Rechte vorbehalten

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Für meinen Freund Andy Sullivan – einen guten Mann,der bewiesen hat, dass durch Mut, Glaube und guten HumorLicht selbst in die dunkelsten Tage gebracht werden kann.

»Das Leben ist voll von Unglück, Einsamkeit und Leid –und es ist viel zu schnell vorbei.«

Woody Allen

Inhalt

Einführung

Januar

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

Dezember

Bibliografie

Bildnachweis

Register

Dank

Einführung

Auf den ersten Blick scheint es simpel und klar, um was es in dieser Sammlung geht: schlimme Tage in der Geschichte der Menschheit. Wenn man aber genauer hinsieht, wird es erstaunlich tiefgründig. Es gibt Milliarden von historischen Unglücksfällen, aus denen man auswählen kann – schon allein mit Vorfällen aus dem 20. Jahrhundert könnte man Hunderte von Bänden füllen. Daher der Untertitel. Auch dieser stellt sich ein wenig finster dar. »Fröhlich und grimmig zugleich?« Was genau bedeutet das? Nun, untersuchen wir es am Beispiel »Völkermord« – ein todsicher düsteres Thema und gewiss nicht mit Heiterkeit verbunden. Außer … außer, der Täter einer solchen Grausamkeit hat einen schlechten Tag, wie etwa der Nazi-Propagandaleiter Joseph Goebbels am 26. Oktober 1928, als er in seinem Tagebuch jammerte: »Ich habe keine Freunde.«

Obwohl die hässlichsten Momente der Geschichte hier weitgehend ausgespart bleiben, waren einige Tage, über die berichtet wird, sicherlich dunkler als andere. Ein Kindermörder bleibt beispielsweise immer ein Kindermörder, auch wenn ironischerweise Baron Gilles de Rais ein enger Verbündeter Jeanne d’Arcs war und am 15. August 1434 einen Ort der Verehrung einweihte, den er selbst ins Leben gerufen hatte: die »Kapelle der Heiligen Unschuldigen«. Für den Leser mag die Nebeneinanderstellung dieses unheiligen Tages mit dem folgenden Kalendertag, an dem Beatles-Schlagzeuger Pete Best im Jahr 1963 aus der Band geworfen wurde, ein wenig makaber erscheinen. Und diese Tatsache zieht sich durch die gesamte »fröhlich grimmige Chronik«.

Das Schreckliche, Groteske, Aufregende, Absurde und auch das Erhabene ergeben zusammengefügt einen heiklen Querschnitt durch die Zeit. Mit Geschichten aus unterschiedlichsten Epochen und Gegenden der Welt möchte Schlimmer geht immer amüsieren, quälen und erleuchten – und dabei schwer vorhersehbar sein. Als Beispiel für einen berühmten und wirklich schlechten Tag sei etwa kurz die Ermordung Lincolns genannt. Seien Sie gespannt darauf, welchen grässlichen Effekt die Ermordung ein paar Tage später auf zwei weitere Präsidenten hatte. Und seien Sie gespannt darauf zu erfahren, inwieweit der Untergang der Titanic im Nachhinein den öffentlichen Ruf eines Überlebenden des Schiffsunglücks ruinierte. Und darüber hinaus: Denken Sie beim Lesen dieser Sammlung daran: Egal, wie schlimm Ihr Tag auch gewesen sein mag, irgendwo irgendwann hatte irgendwer garantiert noch viel mehr Pech als Sie.

Washington, D.C.

Januar

»Januar, Monat der leeren Taschen!Lasst uns diesen bösen Monat ertragen,sorgenvoll wie die Stirn eines Theaterproduzenten.«

»Colette«

1. JANUAR

Mieses neues Jahr!

Ah, Neujahr: ein Tag neuer Hoffnung und neuer Anfänge – aber so ist es nicht immer. Für einige Unglückliche in der Geschichte nahm der 1. Januar einen tödlichen Verlauf – und einen grauenhafttödlichen noch dazu. So etwa für den Mönch und Märtyrer Telemachus aus dem 15. Jahrhundert, der im antiken Rom in einen Gladiatorenkampf eingriff und versuchte, das Abschlachten der Menschen zu verhindern – nur, um von der blutdürstigen Menge gesteinigt zu werden. Oder Karl II. von Navarra, bekannt als »der Böse«, der im Jahr 1387 in seinem Bett verbrannte, nachdem ein Bediensteter aus Versehen die mit Brandy durchtränkten Verbände angezündet hatte, mit denen der kranke König von Kopf bis Fuß umwickelt war. Und dann gab es da noch König Ludwig XII. von Frankreich, der – trotz fortgeschrittenen Alters und dementsprechender Schwäche – im Jahr 1514 das Glück hatte, eine junge englische Prinzessin zu heiraten: die kleine Schwester von Heinrich VIII., Maria. Doch – oh weh – die Versuche, einen Erben zu zeugen, waren zu viel für den von Gicht geplagten alten König. Nur drei Monate nach der Heirat starb er vor Erschöpfung.

2. JANUAR 1811

Ein Dämpfer für den Verkünder der Wahrheit

Timothy Pickering, Außenminister der jungen Vereinigten Staaten, war ein rechthaberischer Mann, der zur Abspaltung von New England drängte und fleißig die Arbeit der ersten vier US-Präsidenten untergrub – George Washington etwa nannte er einen »völlig überbewerteten, halb-analphabetischen Dutzendmenschen«. John Adams sah sich gezwungen, Pickering als Außenminister zu feuern, wegen dessen geringer Loyalität gegenüber der Regierung – und nachdem er sich geweigert hatte, zurückzutreten. In der Tat war Pickering so widerlich, dass selbst sein eigener Biograf ihn nicht leiden konnte. Aber es war nicht nur seine Persönlichkeit, die dem Gründervater seinen äußerst schlechten Ruf einbrachte: Er war der erste von nur neun US-Senatoren, die jemals offiziell verurteilt wurden. Und dies geschah, weil Timothy Pickering es wagte, die Wahrheit auszusprechen.

Am 27. Oktober 1810 verkündete US-Präsident James Madison die Annexion von West Florida, das damals unter spanischer Herrschaft stand, wobei er behauptete, dass es Teil des »Louisiana Purchase«-Vertrages gewesen sei. Pickering stellte sich gegen eine derartige einseitige Ausübung der exekutiven Macht. Als Störenfried par excellence trat er vor den Senat und reichte ein altes Dokument des französischen Außenministers, Charles-Maurice de Talleyrand ein. Dabei erklärte er, dass West Florida nicht Teil des Louisiana-Verkaufs gewesen sei. Das einzige Problem bestand darin, dass das Dokument noch freigegeben werden musste – trotz der Tatsache, dass es noch in der Regierungszeit von Jefferson verabschiedet worden war. Das Dokument dennoch öffentlich zu verwenden, war ein belangloser Regelverstoß, doch es goss Wasser auf die Mühlen von Pickerings Feinden.

Henry Clark, Senator aus Kentucky, veranlasste eine Zensur. Wäre Mister Pickering bei seinen Kollegen weniger unbeliebt gewesen, wäre der Beschluss wahrscheinlich nicht verabschiedet worden. Doch es war eben Pickering, und so erhielt er am 2. Januar 1811 seinen Eintrag in den Annalen des Senats als öffentlicher Schandfleck.

3. JANUAR 1977

Apple-Pie für zwei

Ronald Wayne betrachtete sich als glücklichen Mann, als am 3. Januar 1977 Apple Computers gegründet wurde. Nicht etwa, weil er sich Gewinn dadurch erhoffte, sondern weil er sich einige Monate vorher von einer Partnerschaft mit Steve Jobs und Steve Wozniak befreit hatte, die er als potenziell risikoreich eingestuft hatte. Als reifster und erfahrenster Mitbegründer der Firma hatte Wayne zehn Prozent der Anteile erhalten, um als Apples Mutterfirma zu fungieren. Als »alter Hase« war es seine Aufgabe, zwei exzentrische Genies unter Kontrolle zu halten. Doch dies war, als versuche man, »einen Tiger am Schwanz zu packen«, schrieb Wayne später. Da die anderen zu zweit waren und er der einzige Teilhaber mit Vermögenswerten war, die gepfändet werden konnten, war Wayne das Risiko zu hoch. Er war froh, aus dem Vertrag freizukommen und noch dazu einen Scheck von 800 Dollar zu erhalten!

Obwohl der Firmenanteil, auf den er verzichtet hatte, schließlich über 30 Milliarden US-Dollar wert werden sollte, versicherte Wayne stets, er habe niemals gehadert mit seiner Entscheidung. »Wenn ich bei Apple geblieben wäre und die Einschränkung meiner Lebensphilosophie akzeptiert hätte, hätte ich leicht als reicher Mann auf dem Friedhof landen können.«

4. JANUAR 1903

Topsy auf dem elektrischen Stuhl

Im Rausch des technischen Fortschritts im 19. Jahrhundert startete Thomas Edison den sogenannten »Stromkrieg« – eine erbitterte Kampagne gegen den Gebrauch von Wechselstrom – ein Elektrizitätssystem, das von Nikola Tesla, einem ehemaligen Mitarbeiter Edisons perfektioniert worden war. Zudem wurde das System von George Westinghouse unterstützt und drohte, das von Edison erfundene Gleichstromsystem bei der US-amerikanischen Stromversorgung abzulösen. Edisons Geld und Ruf standen auf dem Spiel, und er hatte keineswegs vor, beides zu verlieren. Der ansonsten so gesellige Erfinder war knallhart in seinen Bemühungen, das System seines Konkurrenten zu diskreditieren, und versuchte es so darzustellen, als sei es tödlich wie ein Blitz. Zu diesem Zweck starteten Edison und Kollegen eine Reihe von geschmacklosen öffentlichen Spektakeln, in denen Hunde und andere Tiere mit der Elektrizität, die Tesla produzierte, zugrunde gerichtet wurden.

Der Stromkrieg erreichte 1890 einen grotesken Höhepunkt, als Edison seinen beträchtlichen Einfluss geltend machte, um dafür zu sorgen, dass der zum Tode verurteilte Axtmörder William Kemmler als erster Mensch auf dem mit neumodischer Elektrizität betriebenen elektrischen Stuhl exekutiert wurde – natürlich mit Wechselstrom. Edison prägte sogar »westinghousiert werden« als Synonym für die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl, in der Hoffnung, dass der Begriff sich im Volksmund durchsetzen würde. Aber dem war nicht so.

Anfang 1903 hatte Edison die Schlacht so gut wie verloren, und sein Gleichstromsystem wurde zunehmend verdrängt. Dennoch startete er einen letzten Versuch, der Welt zu beweisen, dass Wechselstrom der Ruin der Menschheit sei. Eine Zirkuselefantin mit Namen »Topsy« hatte drei ihrer Pfleger getötet, daher entschied man, Topsy für ihre Vergehen büßen zu lassen. Der Plan war, sie öffentlich auf Coney Island zu erhängen. Aber als die amerikanische Tierschutzgesellschaft einschritt, schlug Edison vor, Topsy »auf Westinghouse-Art« das Leben zu nehmen. Und so wurde die Elefantin vor einer riesigen Menschenmenge am 4. Januar 1903 mit einer 6600-Volt-Ladung getötet – ein trauriges Spektakel, das die New York Times als »unrühmliche Angelegenheit« bezeichnete. Und Edison, der die schmutzige Episode initiiert hatte, fing alles mit einer seiner großartigsten Erfindungen ein: einer Filmkamera.

5. JANUAR 1895

Säbelbruch und Inselhaft

Es war nur eines der vielen Exempel von virulentem Antisemitismus, was als »Dreyfus-Affäre« in die Geschichte einging. Aber für einen Mann von Ehre war es vielleicht das qualvollste. Am 5. Januar 1895 wurde Alfred Dreyfus, ein Artillerie-Hauptmann mit jüdischen Wurzeln, der dem französischen Generalstab angehörte, heimlich vor ein Kriegsgericht gestellt und wegen Verrats aufgrund gefälschter Beweise verurteilt. Er wurde gezwungen, ein grausames Ritual der Degradierung über sich ergehen zu lassen, bevor er eine lebenslange Haftstrafe in der gefürchteten Strafkolonie auf Devil’s Island absitzen musste.

Um 9 Uhr vormittags wurde Dreyfus in das Zentrum des Hofes der École Militaire gebracht, wo seine, laut eigener Beschreibung, »schreckliche Folterung« begann – vor Repräsentanten des gesamten französischen Militärs und Tribünen mit noblen Gästen. »Ich litt furchtbar, hielt mich aber mit aller Kraft aufrecht«, erinnerte er sich. »Um mich selbst zu stützen, dachte ich an meine Ehefrau und meine Kinder!«

Gerade wurde das Urteil der Degradierung laut verlesen, als Dreyfus plötzlich in Richtung seiner Kameraden ausrief: »Soldaten! … Ich bin unschuldig, ich schwöre, dass ich unschuldig bin. Ich bin es auch weiterhin wert, in der Armee zu dienen. Lang lebe Frankreich! Lang lebe die Armee!« Trotz seiner Proteste nahm man Dreyfus seine Knöpfe, Borten und Schulterklappen ab, bis seine Uniform keine seiner Auszeichnungen mehr aufwies. Dann zerbrach man seinen Säbel und krönte die Demütigung mit einem Gang der Schande. »Ich wurde gezwungen, eine Runde über den gesamten Platz zu drehen«, erinnerte sich Dreyfus. »Ich hörte das Heulen des Mobs, ich spürte die Begeisterung, die diese Leute erfasst haben musste, die glaubten, einen überführten Verräter Frankreichs vor sich zu haben. Und ich kämpfte darum, in ihren Herzen den Glauben an meine Unschuld zu wecken.«

Nach fünf Jahren, die er auf Devil’s Island vor sich hinvegetiert hatte, und vielen weiteren Jahren, in denen er versucht hatte, seinen guten Ruf wiederherzustellen, wurde er in der Affäre, die Frankreich geradezu in zwei Hälften gespalten hatte, entlastet. Doch das französische Militär stand niemals vollständig zu seiner eigenen Schuld und lehnte noch 1985 eine Statue von Dreyfus mit zerbrochenem Säbel auf dem Hof der École Militaire ab – genau an dem Platz, an dem Dreyfus so grausam entehrt worden war. Da das Denkmal im Jahr 2002 mit antisemitischen Schmierereien verunstaltet wurde, steht es mittlerweile einsam und verlassen auf einer Verkehrsinsel in Paris.

6. JANUAR 1540

Köpfet den Kuppler!

Thomas Cromwell war ein Handlanger von Heinrich VIII. Knallhart setzte er die Scheidung des Königs von dessen erster Frau Katherine von Aragon durch, die Abspaltung von Rom und die Entmachtung seiner zweiten Frau, Anne Boleyn. Aber als Kuppler war Heinrichs Minister ein Versager – eine Tatsache, die ihn das Leben kosten sollte.

Heinrich hatte drei Mal aus Liebe geheiratet, doch nach dem Tod seiner dritten Frau, Jane Seymour, fand der einflussreiche Minister, dass eine politische Hochzeit angebracht sei, um die protestantischen Verbindungen Englands mit Deutschland zu stärken. Und obwohl Heinrich die Braut nie zu Gesicht bekommen hatte, stimmte er der Heirat zu – Berichten über ihre außergewöhnliche Anmut Glauben schenkend, die er von Cromwell und anderen Beratern zu hören bekam – und auf ein Porträt der Prinzessin vertrauend, erstellt von dem Hofmaler Hans Holbein.

Heinrich brach eifrig an die Küste auf, um seine zukünftige Gemahlin zu treffen, und, wie er es ausdrückte, die »Liebe am Laufen zu halten«. Cromwell, der erfolgreich eine politische Allianz mit der Kleve-Familie geschmiedet hatte, wartete angespannt. Doch als Heinrich seine Braut, Anne von Kleve, zum ersten Mal sah, wich alle Farbe aus seinem Gesicht. »Ich mag sie nicht!«, wetterte er unheilvoll und brachte Cromwell damit zweifelsohne zum Zittern.

Was genau der König an der armen Anne derart abstoßend fand, bleibt ein Rätsel. Vielleicht passte ganz einfach die Chemie nicht. Offensichtlich aber war Heinrich überaus entrüstet. »Ich sehe nichts an ihr aus den Berichten und wundere mich, dass kluge Männer derartige Darstellungen in die Welt setzen konnten!«, schäumte er. »Wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre sie nie hierher nach England gekommen. Was für Möglichkeiten habe ich jetzt noch?« Es blieb ihm in der Tat keine Wahl, wenn er die Allianz mit dem Hause Kleve nicht gefährden wollte. Heinrich VIII., der sonst so mächtige König, saß in der Zwickmühle: »Wenn sie nicht von so weit her gekommen wäre – und hätten meine Leute nicht so viel Aufwand für sie betrieben, und aus Angst, dass ich einen Aufruhr in der Welt verursache und dass ich ihren Bruder in die Reihen des Kaisers und französischen Königs treibe, würde ich sie nicht heiraten. Doch jetzt ist alles zu weit fortgeschritten.« Und da Cromwell seinen Herrn unters Joch gespannt hatte, wie Heinrich es formulierte, konnte er nur verhalten sein Bedauern darüber ausdrücken, dass der König »nicht besonders zufrieden sei«.

Am Tag der Hochzeit, dem 6. Januar 1540, war Heinrich Anne gegenüber nicht gnädiger gestimmt. »Meine Herren«, sagte er vor der Kapelle am Greenwich Palast, »wenn ich nicht meinem Königreich Genüge tun müsste, würde ich nicht das machen, was ich heute um jeden Preis der Welt tun muss.« Und falls Cromwell gehofft haben sollte, dass des Königs Stimmung sich nach der Hochzeitsnacht bessern würde, erlebte er am nächsten Morgen eine herbe Enttäuschung. »Ich mochte sie davor nicht besonders«, offenbarte ihm Heinrich, »jetzt mag ich sie noch weniger.« In der Tat stellte der König klar, dass die Hochzeitsnacht nicht besonders erotisch verlaufen war: »Ich habe ihren Bauch und ihre Brüste berührt, und sie dürfte keine Jungfrau mehr sein, soweit ich es beurteilen kann. Dies hat mich so sehr getroffen, dass ich, als ich sie berührte, weder Willen noch Mut verspürte, in anderer Hinsicht weiterzumachen. Ich ließ sie in so jungfräulichem Zustand, wie ich sie vorgefunden hatte.«

Glücklicherweise war Anne nicht enttäuscht wegen der Zurückhaltung ihres Ehemannes, denn als überbehütete junge Frau wusste sie gar nicht, was hätte passieren sollen. Heinrich bemühte sich nicht darum, sie aufzuklären, was vermutlich ein Glück war, angesichts dessen, wie fett und niederträchtig er zu jenem Zeitpunkt geworden war. Dennoch ließ das Ganze Anne ein wenig albern aussehen, da sie glaubte, dass ihre Ehe vollständig vollzogen worden sei. »Warum, wenn er doch ans Bett kam und mich küsste«, fragte sie ihre älteren Hofdamen, »ist das nicht genug?« Eine der Edelfrauen hatte die unangenehme Aufgabe, der neuen Königin zu erklären, dass es keineswegs genug gewesen sei. »Madam«, sagte sie, »da muss mehr kommen als das, oder es wird lange dauern, bis wir einen Duke of York bekommen.«

Sechs Monate später ließ Heinrich die Ehe aufgrund von »fehlendem Vollzug« annullieren. Anne willigte ein, wofür der dankbare König sie netterweise mit einer saftigen Abfindung belohnte und ihr den Vorzugsstatus als seine »gute Schwester« am Hofe gewährte.

Cromwell hatte nicht so viel Glück: Während der König seinen Minister, der aus einfachen Familienverhältnissen stammte (er war Sohn eines Schankwirtes), in den Stand eines Grafen erhob, war dies hauptsächlich das Vorspiel seiner finalen Absetzung. Die Adeligen des Königreiches, stets verärgert über die Macht und den Einfluss des Emporkömmlings Cromwell, wandten sich jetzt in heftiger Weise gegen ihn.

Anne von Kleve: War ihre Schönheit nur ein Fake?

Der einst mächtige Minister wurde unter falscher Anklage wegen Häresie verurteilt. Von seiner Gefängniszelle im Tower of London aus sorgte er für eine wertvolle Zeugenaussage im Zuge der Bemühungen des Königs, seine vierte Gattin loszuwerden. Es war Cromwells letzter Dienst an dem König, den er so mächtig gemacht hatte. Weniger als drei Wochen, nachdem Heinrichs Ehe mit Anna von Kleve annulliert worden war, wurde Cromwell am 28. Juli 1540 geköpft, seine Bitten um Gnade wurden ignoriert. Als Cromwells Kopf auf eine Lanze gespießt auf der London Bridge zur Schau gestellt worden war, konnte den gefallenen Minister die Gesinnungsänderung des Königs posthum auch nicht mehr retten. Wie der französische Botschafter überlieferte, bedauerte es Heinrich im Nachhinein, den »treuesten Diener, den er je gehabt habe«, exekutiert zu haben.

7. JANUAR 1945

Monty, der prahlende Narr

Hitlers Drittes Reich lag bereits in den letzten Zügen, als deutsche Streitkräfte im Rahmen der Ardennenoffensive einen brutalen Angriff starteten, um die westalliierten Armeen im nur spärlich verteidigten Südbelgien zu treffen. Eigentlich waren es die US-Truppen, die den größten Teil der Attacke abfingen und zurückschlugen, aber es war der britische Feldmarschall Bernard Law Montgomery, der in einer Pressekonferenz am 7. Januar 1945 vortrat, um unverdienten Ruhm einzuheimsen.

Montgomery hatte vorübergehend das Kommando über die nördliche Flanke der alliierten Streitkräfte gehabt, aber nur zögerlich angegriffen. »Monty ist ein schwacher kleiner Feigling«, notierte General George S. Patton in seinem Tagebuch. »Krieg bedeutet, dass man Risiken auf sich nehmen muss, und genau das hat er nicht gemacht.«

Trotz der nur marginalen Beteiligung an der Schlacht und der zahlreichen amerikanischen Opfer trat der Feldmarschall bei der Pressekonferenz prahlerisch auf. »Gekleidet wie ein Clown« mit Baskenmütze und Fallschirmgurt«, wie ein zeitgenössischer Journalist schrieb, prahlte Montgomery. »Sobald ich gesehen hatte, was geschah (am ersten Tag der Schlacht), unternahm ich bestimmte Schritte, um sicherzustellen, dass die Deutschen nicht den Fluss überschreiten könnten, sobald sie die Maas erreichten … Ich dachte immer zwei Schritte voraus … Die Ardennenoffensive war wahrscheinlich eine der interessantesten und schwierigsten Schlachten, die ich je gefochten habe … Man muss einen sauberen Auftritt hinlegen, wenn man in einen unsauberen Kampf gerät … kein großer Sieg ohne sauberen Auftritt.« Er stellte es dar, als hätten die Briten die Amerikaner aus der Notlage gerettet und nicht umgekehrt, obwohl die GIs den größten Teil der Schlacht gefochten hatten. Dann ließ Monty noch einen Spruch los, der beinahe die »Einheit der Alliierten zerstört hätte«, wie der Historiker Stephen Ambrose betonte: »Montgomery sagte, dass die GIs großartige Kämpfer seien, wenn sie nur den passenden Anführer hätten.«

»Selbst 60 Jahre später bleibt es erstaunlich, dass ein hochintelligenter Mann, der sich in die höchsten Kreise des Militärs hochgedient hatte, dazu fähig war, solch prahlerische Dummheiten von sich zu geben. Angefangen mit Eisenhower war jeder Amerikaner, der Montgomerys Worte las, angewidert«, schrieb der Historiker Max Hastings. In der Tat schienen lange schwelende Spannungen im Oberkommando der Alliierten jetzt zu explodieren – größtenteils verursacht durch Montgomerys Angeberei seine eigene Position in der Hierarchie betreffend. »Dieser Vorfall verursachte mehr Ärger und Sorgen als irgendein anderer in diesem Krieg«, schrieb der Oberkommandant der Alliierten, Dwight D. Eisenhower.

Winston Churchill hatte die undankbare Aufgabe, den Anschein von Harmonie bei den Alliierten wiederherzustellen. Der britische Premierminister setzte alle seine rhetorischen Fähigkeiten in einer Rede ein, die er vor dem britischen House of Commons elf Tage nach dem heftigen Debakel Montgomerys hielt. Dabei stellte er klar, wer die eigentlichen Helden der Ardennenoffensive gewesen waren: »Ich habe festgestellt, dass vorgeschlagen wurde, die schreckliche Schlacht als britisch-amerikanische Schlacht zu betrachten. Tatsächlich aber waren es in der Hauptsache die amerikanischen Truppen, die den Kampf führten und die meisten Verluste erlitten … Es waren 30 bis 40 Amerikaner auf einen von uns an der Schlacht beteiligt, und sie haben 70 bis 80 Mann für jeden Soldaten von uns verloren.«

Churchill setzte seine Rede mit einer Botschaft fort, die direkt an den prahlerischen Montgomery gerichtet zu sein schien. »Wir müssen Sorgfalt walten lassen, wenn wir unsere stolze Geschichte erzählen, damit wir nicht behaupten, dass die britische Armee einen ungebührlich hohen Anteil an einem Einsatz hatte, der zweifelsohne die größte amerikanische Schlacht des Krieges darstellte, und der immer – so glaube ich – als berühmter amerikanischer Sieg betrachtet werden wird.«

8. JANUAR 1992

Kotzen mit Klasse

Das Staatsdinner, das beim japanischen Premierminister zu Hause abgehalten wurde, bestand aus einer appetitlich gedeckten Tafel mit kaltem Lachs und Kaviar, einer klaren Suppe mit Pilzen, Rindermedaillons mit Pfeffersauce und Maracuja-Eiscreme. Unglücklicherweise landete ein guter Teil der verzehrten Speisen wieder auf dem Tisch, als George H. W. Bush sich darauf erbrach, da er an einer Grippe erkrankt war. Der Rest schwappte auf den Schoß seines Gastgebers, der den Kopf des angeschlagenen Präsidenten hielt, als dieser anfing, sich zu übergeben.

Was noch schlimmer war: Während es den meisten Menschen vergönnt ist, in den privaten vier Wänden zu erbrechen, wurde Präsident Bushs schwacher Moment mit Kameras aufgenommen und wieder und wieder im TV gesendet. Late-Night-Talkshows machten den peinlichen Vorfall zum Thema, und ins japanische Wörterbuch wurde ein neues Wort für »sich erbrechen« aufgenommen: »bushu-suru«, was wörtlich so viel wie »das Bush-Ding machen« bedeutet. Doch es war der Präsident selbst, der den heiklen Vorfall mit diplomatischem Humor entschärfte: »Warum verstecken Sie mich nicht unter dem Tisch und ich schlafe eine Runde, während Sie das Abendessen beenden«, soll er zum Premierminister gesagt haben.

9. JANUAR 1980

Kopf runter und wieder rauf

Die Scharfrichter hatten viel zu tun, als am 9. Januar 1980 in Saudi-Arabien 63 Terroristen öffentlich geköpft werden sollten, weil sie im vorangegangenen November die Große Moschee von Mekka besetzt hatten. Und um sicherzugehen, dass das gesamte Königreich die Racheaktion für jenes Verbrechen auch gebührend zur Kenntnis nahm, wurden die Exekutionen in acht saudi-arabischen Städten durchgeführt. Und so – oh weh – war der hektische Tag für die Scharfrichter nicht etwa vorüber, nachdem sie mit kunstvoll verzierten Schwertern alle 63 Köpfe der Frevler abgetrennt hatten: Anschließend mussten die Köpfe für die Beerdigung wieder angenäht werden, da Sitte und Anstand es so verlangten. Noch mal: Wir reden vom Jahr 1980!

10. JANUAR 2000

Scheidung in XXL

Es war die größte Wirtschaftsfusion der Geschichte, von der Presse atemlos als »königliche Hochzeit« bezeichnet. Am 10. Januar 2000 wurde bekannt, dass AOL, der größte Internetprovider der USA, sich mit dem Kommunikationsriesen Time Warner vereinen wollte, um eine scheinbar perfekte Konsolidierung der alten und neuen Medienwelt zu kreieren. Mit einem Schlag – so schien es – war die Zukunft da.

»Kurz vor 9 Uhr gestern Abend hatte ich die Ehre und das Privileg, ein Papier zu unterzeichnen, das unwiderruflich die Stimmen von 100 Millionen Aktien für diese Fusion widerspiegelte«, schwärmte Ted Turner, ein Direktor bei Time Warner. »Ich tat es und war dabei ähnlich enthusiastisch wie in meiner allerersten Liebesnacht vor 42 Jahren.«

Was folgte, kann jedoch nur mit der schnöden Erkenntnis eines verkaterten Liebespaares verglichen werden, das nebeneinander in heller Morgensonne aufwacht. »Die dümmste Idee, von der ich in meinem ganzen Leben gehört habe«, sagte Don Logan, der Chef von Time Warner Inc., später der New York Times. Logan war von der Fusion bis kurz davor nicht in Kenntnis gesetzt worden, genauso wenig wie Timothy A. Boggs, damals Chef für Government-Relations bei Time Warner, der von den Neuigkeiten »mit echtem Bedauern und Furcht« hörte, wie er der Times erzählte. »Ich stand dem Geschäft misstrauisch gegenüber.«

Wie zunehmend klar wurde, war der Medienkonzern AOL nicht halbwegs der romantische Partner, als der er aufgetreten war. Sicherlich, sein Aktienkurs schoss in die Höhe, doch es gab einige echte versteckte Pferdefüße – nicht zuletzt die Entdeckung der New York Times, dass der Konzern seine Werbeeinnahmen künstlich aufgeblasen hatte. Darauf folgende Untersuchungen der Börsenaufsichtsbehörde und des Justizministeriums resultierten in heftigen Strafen.

Noch dazu fiel die Fusion, die eigentlich eine feindliche Übernahme von Time Warner seitens AOLs war, mit dem Platzen der Technologieblase und der wachsenden Überalterung von AOLs Internetservice zusammen. Und, wie Times-Reporter Tim Arango 2010 schrieb: »Die Firmen hatten ein anderes Problem. Beide Seiten schienen einander zu hassen.« Während einer Phase, die Arango als »Pfad der Verzweiflung in den folgenden Jahren« beschrieb, fielen die Aktienkurse beider Firmen, zahlreiche Angestellte verloren ihren Job, und miteinander verfeindete Führungskräfte gaben einander die Klinke in die Hand. Die Scheidung war unvermeidlich. Und wie die meisten schlechten Ehen endete das Ganze in einer Phase heftigster gegenseitiger Beschuldigungen.

»Ich möchte es vergessen«, sagte Ted Turner der Times. Als der größte Aktionär der fusionierten Firmen ging Turner als der größte Verlierer vom Platz – aus einem Geschäft, das er einmal mit seinem ersten Mal verglichen hatte. Es kostete 80 Prozent seines Nettovermögens beziehungsweise etwa 8 Milliarden Euro. »Die Fusion von Time Warner und AOL sollte ebenso in die Annalen der Geschichte eingehen wie der Vietnam–, Irak- oder Afghanistankrieg«, so Turner. »Es ist eines der größten Desaster, die unser Land je sah.«

11. JANUAR 1877

Der Trick mit dem Stahlseil

Die Brooklyn Bridge steht für die Genialität der Ingenieurskunst des 19. Jahrhunderts – was ein völlig korrupter Herr, der bei ihrer Konstruktion eine Rolle spielte, jedoch fast vereitelt hätte.

Am 11. Januar 1877 erteilte das Kuratorium, das für den Brückenbau zuständig war, einem J. Lloyd Haigh den Auftrag, die Stahlseile bereitzustellen, die die enorme Spannweite der Brücke abstützen sollten. Chefingenieur Washington Roebling hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass man Haigh nicht trauen könne, doch seine Warnung wurde vom Mitglied des Kuratoriums und zukünftigen Bürgermeister Abram S. Hewitt ignoriert, über den Roebling schrieb: »Sein Erfolg wird sich noch als Quelle für eine Menge Ärger erweisen.«

Wie sich herausstellte, besaß Hewitt die Hypothek am Stahlwerk von Haigh und stellte mit dem Auftrag folglich stetige Ratentilgungen sicher. Haigh war nun in der Position, einen massiven Betrug zu unterstützen, der den Bau der beeindruckenden Brücke über den East River – die längste, die man jemals versucht hatte zu bauen – auf fatale Weise hätte untergraben können. Damals waren schon weitaus weniger ehrgeizige Hängebrückenprojekte fehlgeschlagen. »Der Trick war schmerzhaft einfach, nachdem er einmal entdeckt worden war«, schrieb der Historiker David McCullough: Haigh präsentierte den Inspekteuren in seinem Stahlwerk eine bestimmte Menge hochwertiger Stahlseile. Doch während sie zu der nahe gelegenen Baustelle transportiert wurden, wurden sie umgeleitet und durch schlechtere ersetzt, die dann für die Brücke eingesetzt wurden. Die vorher getestete Stahlseilrolle wurde heimlich zum Werk zurückgebracht, und der Betrug begann von Neuem.

Zum Glück benötigte man für die Besonderheiten des Designs der Brücke mehr Stahldraht, als man für die Spanne der Brücke benötigt hatte, also musste Haighs Stahl von minderer Qualität nicht ersetzt werden. »Dennoch konnte man den Gedanken niemals vergessen, dass derartige Korruption buchstäblich in die Brücke miteingebaut worden war«, schrieb McCullough, »am wenigsten von Roebling selbst.«

12. JANUAR 1915

Gentlemen versus Damenwahl

Am 12. Januar 1915 erhob sich der Abgeordnete James Thomas Heflin, um seine Stimme bei dem sexistischen Spektakel zu erheben, das sich im US-Abgeordnetenhaus anbahnte. Zur Debatte stand ein Verfassungszusatz, der Frauen das Wahlrecht einräumen sollte – ein entsetzlicher Fehler für die Mehrheit der damals ausschließlich männlichen Politiker. »Die meisten Frauen haben jetzt schon eine Stimme«, sagte Heflin zu seinen Kollegen, wobei er sich voll in Szene setzte. »Wie ich einer beschämten Frauenrechtlerin zuletzt erklärt habe: ›Wenn ihr das Wahlrecht bekommt, kontrolliert ihr zwei Stimmen in jedem Haushalt – und das wäre zu viel.‹«

Viele der Abgeordneten spielten während des Verlaufs der Debatte die perfekten Gentlemen, indem sie erklärten, dass sie nur daran interessiert seien, Frauen vor dem »Übel des Wahlrechts zu beschützen und ihnen ihren von Gott gegebenen Platz zu erhalten – nämlich den am Herd«. Dabei beherzigten, wie die New Republic berichtete, »die Sprecher für keinen Moment die realen Tatsachen: nämlich dass Millionen amerikanischer Frauen unterbezahlt in der Industrie arbeiteten. Derlei Fakten hätten die Rhetorik der Redner ins Wanken gebracht. Wenn man hier außerdem die heiligen Rechte der Mütter, der loyalen Ehefrauen und der Frauen im Allgemeinen und im großen Umfang ehren will, so scheinen Herren wie Mr. Bowdle außerstande, zehn Minuten eine Rede zu halten, ohne dabei völlig respektlos zu sein«, schloss der Artikel. Einer der besagten Herren war der Abgeordnete Stanley E. Bowdle, der seine bornierte Ansicht der Angelegenheit erläuterte, was ihm viel Beifall von seinen Kollegen einbrachte: »Männer und Frauen sind verschieden«, bemerkte er. »Sie unterscheiden sich in jeder Faser ihres Körpers. Genau an dieser Stelle fangen Frauen an zu meckern. Viele sind verärgert über die Geschlechtergrenzen. Doch warum sich mit Gott streiten? Da könnte ich ja ebenso gut jammern, weil ich kein Kind gebären kann.«

Der Antrag zur Einführung des Frauenwahlrechts wurde an diesem Tag abgelehnt, mit 204 : 174 Stimmen.

13. JANUAR 1920

Geistesblitze mit Düsenantrieb

Der französische Schriftsteller Louis Aragon notierte einmal: »Wir wissen, dass es bei Genies in der Natur der Sache liegt, Ideen zu entwickeln, die 20 Jahre später von Idioten aufgegriffen werden.« Damit hatte er nicht ganz Unrecht. Oft schon blieben einige der brillantesten Köpfe zu Lebzeiten unverstanden. Van Gogh hungerte als verarmter Künstler, bevor er schließlich Selbstmord beging. Bachs Zeitgenossen hörten ihn gerne Orgel spielen, ignorierten aber weitgehend seine Kompositionen. Und Poe konnte mit seinen makabren Geschichten kaum seinen Lebensunterhalt finanzieren.

Manchmal wurden Genies auch schlichtweg verspottet. So etwa der Physiker Robert H. Goddard, als er 1920 seine revolutionären Ideen und Anwendungen für die Raumfahrt veröffentlichte. Die New York Times ging besonders hart mit ihm ins Gericht. In einem Leitartikel mit dem Titel »Eine harte Bewährungsprobe für die Leichtgläubigkeit«, der am 13. Januar 1920 veröffentlicht wurde, erklärte die Zeitung, dass Goddard »selbst das grundlegende wissenschaftliche Wissen zu fehlen scheint, das an jeder Highschool gelehrt wird«. Getroffen von der unberechtigten Kritik, antwortete Goddard einige Tage später einem Reporter: »Jede Vision ist ein Witz, bis der Erste sie in die Tat umsetzt. Ist sie erst einmal realisiert, wird sie Normalität.«

24 Jahre nach Goddards Tod, im Jahr 1945, setzte der erste Astronaut seinen Fuß auf den Mond – und war dorthin gelangt durch die Raketentechnologie, die von Goddard erfunden worden war. Am Tag nach dem historischen Ereignis, fast 50 Jahre nach dem verletzenden Artikel, veröffentlichte die Times eine Richtigstellung: »Weitere Studien und weiteres Experimentieren haben die Forschung von Isaac Newton aus dem 17. Jahrhundert bestätigt, und es steht jetzt zweifelsohne fest, dass eine Rakete im Vakuum funktionieren kann wie in der Atmosphäre. Die Times bedauert den Irrtum.«

14. JANUAR 1963

Rassismus als Erfolgsrezept

»Es passt unbedingt, dass wir von dieser Wiege der Konföderation aus, diesem Zentrum des großartigen angelsächsischen Südens, heute die Trommel rühren für die Freiheit: Dies haben Generationen unserer Vorfahren immer wieder in der Geschichte getan. Lasst uns aufstehen für den Ruf der Freiheit – wobei wir das Blut lieben, das in unseren Adern fließt, und lasst uns eine Antwort an die Tyrannei senden, die den Süden in Ketten legen will. Im Namen der großartigsten Leute, die je über diese Erde gewandelt sind, ziehe ich eine Linie im Staub und werfe den Fehdehandschuh vor die Füße der Tyrannei, und ich sage Rassentrennung jetzt, Rassentrennung morgen, Rassentrennung für immer.«

Antrittsrede des Gouverneurs von AlabamaGeorge Wallace am 14. Januar 1963

Eine Weile bevor er zum leidenschaftlichen Verfechter der Rassentrennung wurde, war Wallace um einiges gemäßigter. »Wenn ich nicht hätte, was man braucht, um einen Mann fair zu behandeln, unabhängig von seiner Hautfarbe, dann habe ich nicht das, was man benötigt, um der Gouverneur Ihres großartigen Bundesstaates zu sein«, erklärte er während der Kampagne zur Wahl des Gouverneurs von Alabama im Jahr 1958. Doch dann verlor er das Rennen deutlich an seinen giftigen, vom Ku-Klux-Klan unterstützten Konkurrenten John Patterson. Es war eine bittere Erfahrung für einen ambitionierten Politiker, der mit 14 geschworen hatte, eines Tages Staatsoberhaupt zu sein. Im Zuge dieser Niederlage erfand sich Wallace neu – als glühender Verfechter der Rassentrennung. »Wissen Sie«, sagte er damals, »ich versuchte über Straßen und Schulen zu sprechen, und all das war Teil meiner Karriere, aber niemand hörte zu. Und dann begann ich über Nigger zu schimpfen, und man rannte mir die Türen ein.«

Nachdem er einen »Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte«, wie sein Biograf Dan Carter, Professor an der Emory University, die geschmacklose Transformation in der Huntsville Times beschrieb, »und seine Seele dem Teufel für die Rassendiskriminierung verkauft hatte«, gewann Wallace seinen lange begehrten Platz im Gouverneurs-Haus. Und am 14. Januar 1963 hielt er die oben zitierte Amtsantrittsrede, die ihn für immer als Populisten entlarven sollte.

15. JANUAR 1919

Klebrige Flut in Boston

Der Tod kam plötzlich am 15. Januar 1919, in Form einer schrecklichen, klebrigen und zuckersüßen Welle. Die Einwohner und Arbeiter in Bostons Stadtteil North End waren mit ihren täglichen Geschäften zugange, an diesem außergewöhnlich warmen Wintertag. Dann, um etwa 12:30 Uhr, war ein lautes Rumpeln zu hören, wie von einem Schnellzug, begleitet von einem Geräusch, das sich wie das »Rat-ta-ta-ta« eines Maschinengewehres anhörte. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um das Herausspringen von Nieten, die einen riesigen Melassetank zusammengehalten hatten, der drei Jahre lang das Viertel überragt hatte und mehr als neun Millionen Liter Melasse enthielt. Der Tank barst auseinander, und eine klebrig-braune Woge ergoss sich auf die Straßen, 2–4,5 Meter hoch und beträchtlich schwerer als Wasser, raste mit 55 Stundenkilometern durch die umliegenden Straßen und zerstörte alles auf ihrem Weg. Zugwaggons wurden von Schienen gehoben, Gebäude wurden von Fundamenten gerissen. Menschen, die der klebrigen, braunen Flut in die Quere kamen, hatten nicht die geringste Chance. Insgesamt starben 21 Personen – andere konnten tagelang nicht aus der braunen Masse befreit werden – und weitere 150 wurden verletzt. »Das, was die ersten Rettungskräfte zu sehen bekamen, ist schwer in Worte zu fassen«, schrieb ein Reporter der Boston Post. »Melasse bedeckte die Straßen meterhoch und wirbelte und blubberte um Wrackteile herum. Hier und da bewegte sich etwas darin – ob es ein Mensch oder ein Tier war, konnte man unmöglich sagen. Nur ein Wühlen im klebrigen Dreck zeigte, wo es noch Leben gab … Pferde starben wie Insekten auf klebrigen Fliegenfallen. Je mehr sie dagegen ankämpften, umso tiefer wurden sie in der Melasse begraben. Menschen – Männer und Frauen – erlitten das Gleiche.«

Neun Millionen Liter Melasse überfluteten Bostons North End.

United States Industrial Alcohol, der der Tank gehörte, versuchte, die Verantwortung für den Vorfall von sich zu weisen, und beschuldigte stattdessen einen Anarchisten, eine Bombe gelegt zu haben. Doch nach jahrelanger Untersuchung wurde die Firma für schuldig befunden und musste eine stattliche Wiedergutmachungssumme an die Überlebenden zahlen. Obwohl der Unglücksort seit Langem in einen Park umgestaltet worden ist, munkelt man, dass an warmen Tagen noch immer der Geruch der klebrigen Melasse in der Luft liegt.

16. JANUAR 1547

Iwan, der Schreckliche

Bevor Iwan IV. zu »Iwan, dem Schrecklichen« wurde (als er noch ein Kind war und als der relativ machtlose Prinz von Moskau regierte), hatten nur Tiere unter dem fiesen kleinen Monster im Palast zu leiden, das Katzen und Hunde von hohen Türmen stieß. Die Lage wurde prekärer, als am 16. Januar 1547 Iwan im Alter von 16 Jahren zum ersten »Zaren von ganz Russland« gekrönt wurde. Schon bald verwandelte der neue Herrscher sein Königreich in ein Land des Schreckens.

Ganze Städte litten unter dem zunehmenden Jähzorn des Zaren – am schlimmsten Nowgorod im Jahr 1570. Der gefährlich paranoide Iwan, der davon überzeugt war, dass die Menschen in Nowgorod planten, ihn an den König von Polen zu verraten, ordnete an, die Stadt systematisch heimzusuchen: Tausende Männer, Frauen und Kinder aus allen Bereichen der Gesellschaft – von der Elite zu den niedrigsten Bauern – wurden ermordet, während die Nahrungsversorgung von denen, die dem Gemetzel entgehen konnten, zerstört wurde. Wenig war noch übrig von Nowgorod nach Iwans sechs Wochen währendem Angriff, dessen Ende mit dem 23. Jahr seiner Krönung zusammenfiel. Im Sommer jenes Jahres wurden auf dem Roten Platz in Moskau Feierlichkeiten abgehalten, während Hunderte von Feinden des Zaren gehäutet, gekocht, verbrannt oder gevierteilt wurden.

17. JANUAR 1912

Das Südpol-Debakel

Es war eines der größten Vorhaben in der Geschichte der Forschungsreisen: eine schwierige Expedition ans eine Ende der Welt. Als Robert Falcon Scott am 17. Januar 1912 den Südpol erreichte, musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass er und sein britisches Team nicht die Ersten waren, die es dorthin geschafft hatten.

»Das Schlimmste ist eingetreten, oder beinahe das Schlimmste«, notierte Scott in seinem Tagebuch, nachdem er die ersten vagen Anzeichen dafür entdeckt hatte, dass ein anderes Team ihm zuvorgekommen war. Schon bald wurde die Lage klar: »Wir marschierten weiter«, so Scott, »und fanden heraus, dass eine schwarze Flagge an die Stütze eines Schlittens gebunden war – nahe den Überresten eines Camps – Schlitten- und Skispuren gingen hin und her, und es gab deutliche Spuren von den Pfoten zahlreicher Hunde. Das hat uns alles klargemacht. Die Norweger unter der Führung von Roald Amundsen waren uns zuvorgekommen und als Erste am Pol.«

Die Natur schien die britischen Abenteurer an diesem bitteren Januartag zu verspotten, da ein starker Sturmwind einsetzte und die bereits bitterkalten Temperaturen weiter absackten. »Großer Gott! Das ist ein erbärmlicher Ort, und es ist schrecklich genug, dass wir uns hierher gequält haben und nicht einmal die Ersten sind«, beklagte sich Scott in seinem Tagebuch. Da ihre Hoffnungen auf Ruhm begraben waren und keine Flagge am Pol gehisst werden konnte, blieb den vom Frost gepeinigten Forschern nichts weiter, als umzukehren: »Es wird eine mühselige Rückkehr«, schrieb Scott. Zuletzt stellte sie sich sogar als tödlich heraus: Die fünf Männer erlagen einer nach dem anderen der Kälte, einer Krankheit oder der Erschöpfung. Bevor er starb, notierte Scott noch eine letzte »Botschaft für die Öffentlichkeit«: »Ich bedauere diese Reise nicht, die bewiesen hat, dass Engländer Widrigkeiten trotzen, einander helfen und dem Tod mit derselben Tapferkeit begegnen können wie seit jeher. Wir wussten, dass wir Risiken eingingen – die Situation ist gekippt, und das ist kein Grund zur Klage, wir haben uns dem Willen der Vorsehung gebeugt, aber gaben bis zum Schluss unser Bestes … Hätten wir überlebt, hätte ich die Geschichte unseres Mutes, unseres Durchhaltevermögens und der Tapferkeit meiner Gefährten erzählen können, eine Geschichte, die das Herz jeden Engländers gerührt hätte. Nun müssen diese knappen Notizen und unsere Leichname die Geschichte erzählen.«

18. JANUAR 2002

Schlecht kopiert

Die Historikerin Doris Kearns Goodwin klang ziemlich erbost, als sie 1993 den Autor Joe McGinnis beschuldigte, Passagen aus ihrem Bestseller von 1987 The Fitzgeralds and the Kennedys: An American Saga für seine Biografie über Senator Edward Kennedy entnommen zu haben: »Er benutzt es in vollem Umfang, ohne zu erwähnen, dass es aus meinem Werk stammt«, beschwerte sich Goodwin im Boston Globe. »Man sollte erwarten, dass ein Schriftsteller dies zugibt«, fuhr sie fort. »Es ist mir unerklärlich, warum er es nicht tat.«

Es stellte sich heraus, dass The Fitzgeralds gar nicht vollständig Goodwins Werk war, sondern das Gedankengut zahlreicher anderer Autoren enthielt. Am 18. Januar 2002, 15 Jahre, nachdem The Fitzgeralds zum ersten Mal veröffentlicht worden war, deckte The Weekly Standard Goodwins offenkundige Plagiate auf – vielleicht am deutlichsten sichtbar bei Texten von Lynne McTaggart in ihrer Biografie über Kathleen Kennedy aus dem Jahr 1983. Die Zeitung veröffentlichte eine Liste von sich ähnelnden Passagen, dazu eine Stellungnahme Goodwins: »Ich habe alles von Hand geschrieben in jenen Tagen, einschließlich der Notizen, die ich Sekundärquellen entnommen habe. Als ich die fraglichen Passagen schrieb, hatte ich das Buch von McTaggart nicht vor mir. Ich realisierte nicht, dass einige Passagen enge Paraphrasen anderer Texte waren.«

Goodwin gab auch zu, später mit McTaggart vereinbart zu haben, mehr Fußnoten und einen Paragrafen hinzuzufügen, der für die folgende Taschenbuchausgabe McTaggarts Urheberrechte benannte, allerdings ohne die übernommenen Passagen mit Anführungen kenntlich zu machen. Unerwähnt blieb jedoch ihre finanzielle Vereinbarung mit McTaggart. Dies wurde einige Tage später vom Boston Globe in einem Artikel aufgedeckt, in dem Goodwin darauf bestand, »auf keinen Fall« plagiiert zu haben, und erklärte, dass The Fitzgeralds das »erste große historische Werk gewesen sei, das sie je verfasst habe«. Doch, wie die Zeitung klarstellte, hatte sie tatsächlich schon eines im Jahr 1976 – elf Jahre zuvor – veröffentlicht, nämlich Lyndon Johnson and the American Dream.

Goodwin schadete ihrem guten Ruf dadurch mehr, als ihn zu retten. Ihre euphemistische Erklärung, dass sie nur »Anleihen gemacht habe, genau wie ihre ständige Entschuldigung, nur »schlampig Notizen gemacht zu haben«, erzürnten ihre Kritiker nur umso mehr. Als sie versuchte, die Glaubwürdigkeit ihres Buches No Ordinary Time: Franklin and Eleanor Roosevelt – das den Pulitzerpreis gewonnen hatte – zu retten, wobei sie wiederholt bekräftigte, sie sei darin ohne Plagiate ausgekommen, deckte unter anderem die Los Angeles Times einige Beispiele dafür auf, dass sie in diesem Buch ebenfalls »Anleihen gemacht habe«. Dann gab es noch ihr Versprechen, sie werde die verbliebenen Exemplare von The Fitzgeralds einstampfen lassen, was jedoch unerfüllt blieb.

Bo Crader, der die Geschichte ursprünglich für The Weekly Standard brachte, fasste die Situation zu einem verheerenden Urteil zusammen, als er Goodwins eigene Worte benutzte, die sie an Joe McGinnis gerichtet hatte: »Es gibt daran nichts auszusetzen, dass ein Autor Material von einem früheren Buch verwendet. So funktioniert Geschichtsschreibung, solange man die Quellen angibt … ich verstehe nur nicht, warum das nicht gemacht worden ist.«

19. JANUAR 1990

D.C.’s Bürgermeister – ein Fachmann für Drogen

Marion S. Barry, der Bürgermeister von Washington D.C., war high, wobei er sich selbst als unantastbar darstellte, als die Stadt von einer regelrechten Kokain-Epidemie heimgesucht wurde. Gerüchte darüber, dass Barry selbst eine Schwäche für Drogen habe, wurden verbreitet. Er frequentierte häufig Stripclubs und in Drogenhöhlen umgewandelte Hotelzimmer. »Kokaaaaiin?«, rief Barry aber in der Los Angeles Times. »Wie kann man nur solches Zeug nehmen? Man steckt es sich in die Nase? Oh je!«

Die Haltung des Bürgermeisters gegenüber Drogen wurde als »spöttisch, neckisch und überhaupt protzend« präsentiert, während er später in dem Artikel angab, von den Vorwürfen gegen ihn beleidigt worden zu sein: »Ich bin nicht so dumm, dass ich die Dinge, die mir vorgeworfen werden, getan hätte! Gott gab mir einen funktionierenden Verstand. Keiner weiß, was ich getan habe, weil ich mich nicht erwischen lasse.«

Und dennoch, weniger als zwei Wochen nach diesem Kommentar in der Times, gab es Neuigkeiten: Barry sei dabei aufgenommen worden, wie er in einem Hotel in einer Vorstadt von Washington D.C. in Begleitung seiner Geliebten, Hazel Diane »Rasheeda« Moore, Crack und Kokain konsumiert habe.

Barry war erzürnt über die offensichtliche Kooperation von Moore in der Angelegenheit, die sich als eine FBI-Ermittlung herausstellte: »Verdammt«, murmelte er immer wieder, als er verhaftet wurde: »Die Schlampe hat mich hochgehen lassen.« Barry wurde am nächsten Tag angeklagt, am 19. Januar 1990 – genau ein Jahr, nachdem er vor einer Jury geschworen hatte, niemals Crack mit seinem Kollegen Charles Lewis geraucht zu haben, der bezeugte, dass er es doch getan hatte. Einen Monat später wurde Barry wegen dreimaligen Meineids angeklagt.

Solch eine Blamage wäre mehr als genug gewesen, um die Karrieren der meisten Politiker zu ruinieren. Aber für den Mann, der vom Washington City Paper zum »Bürgermeister auf Lebenszeit« ernannt wurde, war es nur ein kleiner Ausrutscher. Nachdem Berry seine sechsmonatige Haftstrafe abgesessen hatte, wählten ihn seine loyalen Anhänger zum Stadtrat, und so wurde er, zur Verblüffung vieler, ein zweites Mal Bürgermeister!

»Ich werde wie dieser Löwe sein, den die Römer hatten«, sagte Barry der Times vor seinem zwar schändlichen, aber keineswegs dauerhaften Absturz. »Sie können mich ruhig mit Dreck bewerfen, wissen Sie? Aber ich werde Ihnen in den Arsch treten, jedes verdammte Mal! Am Ende werde ich mir ins Fäustchen lachen!«

20. JANUAR 1953

Eisenhower versus Truman

Eine Demokratie zeichnet sich dadurch aus, Macht verteilen zu können. Dennoch fanden in den USA nur wenige Präsidenten echten Gefallen daran, die Rolle an ihre Nachfolger abzugeben – besonders wenn der abtretende Politiker den neu antretenden nicht leiden konnte. John Adams schuf einen Präzedenzfall, indem er heimlich vor der Antrittszeremonie seines Rivalen Thomas Jefferson die Stadt verließ. Sein Sohn Quincy Adams tat dasselbe, nachdem er einen harten Wahlkampf an Andrew Jackson verloren hatte. Doch wenige Übergänge von einem Präsidenten zum nächsten waren so angespannt wie der, als Dwight D. Eisenhower am 20. Januar 1953 Harry S. Truman ablöste. Als Berater des Präsidenten erinnerte sich Clark Clifford: »Der Hass zwischen den beiden an diesem Tag war wie ein Gewitter mit Starkregen.« Die Beziehung zwischen General Eisenhower und seinem früheren Oberbefehlshaber hatte sich 1952 während des Wahlkampfes verschlechtert, als der Republikaner Eisenhower gegen den Demokraten Adlai Stevenson kandidierte: »Der General hat von Politik so viel Ahnung wie ein Schwein vom Sonntag«, schnaubte Truman, während Eisenhower Trumans Politik als »das Truman-Chaos in Washington« bezeichnete.

Truman zeigte sich entsetzt von mancherlei Aktionen Eisenhowers, insbesondere von einer Friedensmission nach Korea, die er in einer Pressekonferenz als »Volksverführung« bezeichnete. Und als Eisenhower dem republikanischen Druck nachgeben musste, seinen Mentor General George C. Marshall nicht gegen unflätige Attacken von Senator Joseph McCarthy zu verteidigen, wuchs Trumans Verachtung rapide, und er sagte: »Dies war eines der schockierendsten Dinge in der Geschichte dieses Landes. Das Problem mit Eisenhower ist: Er ist ein Feigling … und sollte sich dafür schämen, was er getan hat.«

Die Fehde der beiden Männer erreichte einen Höhepunkt am Tag des Amtsantritts von Eisenhower, als die beiden gezwungen waren, Seite an Seite zum Kapitol zu fahren. »Ob ich es aushalten werde, neben diesem Kerl zu sitzen?«, fragte Eisenhower laut und weigerte sich dann, ins Weiße Haus auf einen Kaffee zu kommen. Stattdessen wartete er außerhalb des Gebäudes im Auto: »Es war ein Schockmoment«, erinnerte sich der CBS-Korrespondent Eric Sevareid, der den Vorfall beobachtete – ein Affront, den Truman niemals vergessen sollte. »Ich bin keiner von Eisenhowers Bewunderern«, schrieb er später, »ich versuchte, freundlich zu sein, als ich mein Amt an Eisenhower abgab, aber er verhielt sich, als sei ich ein Feind anstatt sein Amtsvorgänger.« Obwohl Eisenhowers und Trumans Kommentare nicht darin übereinstimmten, wie die Konversation verlief, während sie zum Kapitol fuhren, war das Klima vermutlich frostig. Wie der Saaldiener des Weißen Hauses, J. B. West, es formulierte: »Ich war froh, nicht im Auto dabei zu sein.«

21. JANUAR 1535

Unchristliche Christenheit, Teil I

Vergleichbar mit der Art und Weise, wie heutzutage Computerviren mittels E-Mails verschickt werden, verteilte im 16. Jahrhundert eine Bande von Protestanten anonyme Botschaften in ganz Frankreich und darüber hinaus. Dabei machten sie die Doktrin bekannt, dass Christus in der Eucharistie wirklich gegenwärtig sei. Eine der Botschaften schaffte es sogar ins Schlafgemach des Königs Franz I., ebenso eine zweite Runde von Nachrichten, die den Papst und die katholischen Geistlichen als »eine Brut von Ungeziefer, Abtrünnigen, Wölfen, Lügnern, Gotteslästerern und Seelenmördern« bezeichneten. Der erzürnte Monarch stellte eine Belohnung für die Namen derjenigen in Aussicht, die das Sakrileg der »Affaire des Placards« begangen hatten, und am 21. Januar machte der glatzköpfige König, ganz in Schwarz gekleidet und mit einer brennenden Wachskerze in der Hand, eine feierliche Prozession durch die Straßen von Paris zur Kathedrale von Notre-Dame, begleitet von seinen Söhnen, den hochrangigsten Würdenträgern Frankreichs und heiligen Reliquien, wie dem Kopf des heiligen Ludwig und einer »echten Dornenkrone Jesu«. Dann, nach einer Sühnemesse und während der König zu Abend aß, wurden sechs der Häretiker vor der Kathedrale exekutiert – »durch eine Methode, die als geeignet beurteilt wurde, Gott zu beschwichtigen«, wie der Historiker Will Durant es ausdrückte.

Die Verurteilten wurden über ein loderndes Feuer gehängt, wie Kastanien, und immer wieder in die Flammen gesenkt. Die Angeklagten wurden so ausgiebig gequält, dass selbst der streng anti-reformatorisch eingestellte Papst Paul III. schließlich den »christlichsten aller Könige« ermahnen musste, die Prozedur zu beenden.

22. JANUAR 2010

Ein Flop in der TV-Geschichte

Aus dem Telefonhörer kam die Stimme von Johnny Carson: »Hallo Kindchen«, sagte der »König der Late-Nigh-Shows«, der anrief, um Conan O’Brien zu gratulieren. O’Brien war zum Talkmaster der NBC-Show schlechthin ernannt worden, der Tonight Show, und diese Position hatte Carson drei Jahrzehnte vor ihm innegehabt. »Für O’Brien war dieser Anruf im Jahr 2004 ein wenig, wie vom Papst in den Priesterstand erhoben zu werden«, schrieb der Fernsehreporter der New York Times, Bill Carter, in seinem Buch Desperate Networks. Doch die Sache musste um fünf Jahre verschoben werden: Dann erst ging nämlich der damalige Gastgeber Jay Leno in den Ruhestand. Der jüngere Mann riss bei Carson Witze über die verspätete Übernahme: »Wenn ich das noch erlebe!«, worauf der pensionierte Talkmaster antwortete: »Ja, es sieht wie eine lange Verlobung vor einer Hochzeit aus.« Die Scheidung sollte dann sehr viel schneller kommen.

Am 1. Juni 2009 lief die Tonight Show mit O’Brien zum ersten Mal mit brandneuer Bühnenbesetzung und dem Komiker Will Ferrell als erstem Gast, und, was das Wichtigste war, mit beeindruckenden Einschaltquoten. O’Briens Traum hatte sich erfüllt. Doch schon am nächsten Tag fielen die Quoten, und sie taten es weiter, bis zu dem Punkt, an dem die Tonight Show laut der New York Times die geringsten Einschaltquoten in ihrer mehr als 50-jährigen Geschichte verzeichnete.

Im September folgte dann ein weiteres Desaster. Anstatt in Rente zu gehen, übernahm der vorherige Talkmaster Jay Leno ein Varietéprogramm zur besten Sendezeit auf NBC. Es war ein massiver Flop, der die Quoten aller darauffolgenden Sendungen herunterzog – einschließlich der O’Briens.

Um aus dem Tief herauszukommen, trafen die Verantwortlichen bei NBC eine Entscheidung, die weithin als fatal angesehen wurde: Leno sollte mit einer modifizierten Version seiner Varietésendung ins Spätprogramm zurückkehren, und die Tonight Show sollte auf 0:05 Uhr verlegt werden. O’Brien, der im Vorfeld nicht über die Sache informiert worden war, wurde störrisch: »Ich glaube, wenn wir die Tonight Show nach Mitternacht schieben, um ein weiteres Comedy-Programm unterzubringen, werden wir der Franchise entscheidend schaden, die als die bedeutendste in der Geschichte des Fernsehens angesehen wird«, sagte er in einem Statement. »Die Tonight Show um 0:05 Uhr ist einfach nicht die Tonight Show.«

Am 22. Januar 2010 – nicht mal acht Monate nach seiner ersten Show – trat O’Brien zum letzten Mal in der Tonight Show auf. Der Filmschauspieler Will Ferrell war unter seinen letzten Gästen, und in einer Art von Ironie schnellten die Einschaltquoten in die Höhe.

23. JANUAR 1968

Subtile Grüße aus Nordkorea

Am 23. Januar 1968 erbeutete Nordkorea die USS-Pueblo, ein kleines Aufklärungsschiff, das gerade auf seiner ersten Erkundungsmission war. Ein Mitglied der Besatzung, Duane Hodges, wurde bei dem Überfall getötet, und 82 andere, einige davon schwer verwundet, wurden gefangen genommen – eine erniedrigende Katastrophe im Kalten Krieg für die USA, die bereits tief in der Vietnamkrieg-Misere steckten. Es wurde jedoch auch ein Propaganda-Debakel für den nordkoreanischen Führer Kim Il-Sung – aufgrund der subversiven Bemühungen der amerikanischen Gefangenen, die die einzigen Waffen verwendeten, die ihnen zur Verfügung standen, um die Autorität des sogenannten »großartigen Führers« zu untergraben: ihr agiles Denken und ihre Mittelfinger. Da Kim Il-Sung seine Mini-Muskeln spielen lassen wollte, stellte er seine Gefangenen zur Schau, wobei er sie vor Kameras hin- und hertrotten ließ und sie zu bekennen zwang, dass sie üble Absichten gegenüber der Demokratischen Republik Korea gehegt hätten.

Die Besatzungsmitglieder der USS-Pueblo senden einen subtilen «Gruß« an ihre Entführer.

Angesichts der heftigen Schläge und anderen Foltermethoden, die die unterernährten Soldaten während ihres elfmonatigen Martyriums ertragen mussten, gab es wenig, was sie tun konnten, um ihren Geiselnehmern – zumindest direkt – zu trotzen. Ihr subtiler Widerstand jedoch sprach Kims niederdrückender Taktik schließlich Hohn.

Die Gefangenen bauten subversive Botschaften in die erzwungenen Geständnisse mit ein. In einer Nachricht beispielsweise versicherten sie den Nordkoreanern, dass sie nicht nur ihr Land ehren wollten (das Wort »paen«, das im Englischen verwendet wurde, bedeutet gemäß seiner Definition »Ehre zuteil werden lassen«, aber klingt im Englischen wie »pee-on«, also »darauf pissen«), sondern auch ihren Anführer. In einer anderen Nachricht baute der Kommandeur der Pueblo, Lloyd Bucher, in winzigen Morsecodes ein: »Dies ist eine Lüge.«

Doch was die Männer wirklich beflügelte, war, dass ihre Unterdrücker keine Ahnung hatten, was der erhobene Mittelfinger bedeutete. »Wir hatten jetzt eine Waffe!«, schrieb das Pueblo-Mannschaftsmitglied Stu Russell. Von da an bauten die Männer den Stinkefinger in alle erzwungenen Fotos von sich mit ein, die Nordkorea in den Rest der Welt sandte, um diese mit seiner Macht zu beeindrucken.

24. JANUAR 41 N. CHR.

Küss dies, Caligula!

Zwar mag der römische Kaiser Caligula einer der verdorbensten Herrscher der Geschichte gewesen sein – ein selbst ernannter Gott, der mit seinen eigenen Schwestern schlief und das Abschlachten von Freund wie Feind fröhlich feierte – aber es war simpler Spott, der den monströsen Kaiser schließlich zu Fall brachte. Den meisten historischen Berichten zufolge war Casius Chaerea ein starker und tapferer Soldat der Prätorianergarde, der jedoch eine Behinderung hatte: eine weiblich hohe Stimme, die man einer Wunde im Genitalbereich zuschrieb, die er sich im Krieg zugezogen hatte. Caligula ließ kaum eine Gelegenheit aus, seine Wache zu verspotten, indem er ihn als »Venus« bezeichnete, was umgangssprachlich für Kastrat stand, oder als »Priapus«, ein römischer Gott, der oft mit einer enormen Erektion dargestellt wurde. Und, wie der antike Historiker Sueton berichtete: Wann immer der Kaiser Chaerea seinen Ring küssen ließ, »streckte er seine Hand aus und machte dabei obszöne Gesten«. Als Chaerea von den ständigen Spötteleien die Nase voll hatte, zettelte er eine Verschwörung zur Ermordung des Kaisers an und setzte am 24. Januar 41 n. Chr. den ersten Stich mit dem Messer.

25. JANUAR 1995

Polarlichter und rote Knöpfe

Ein schlechter Tag, der gerade noch glimpflich ausging, war der 25. Januar 1995, als die Welt nur einen Wimpernschlag von der nuklearen Auslöschung entfernt war. Ein norwegisches Forschungsteam hatte eine Rakete von einer Insel vor der norwegischen Westküste gestartet, um Polarlichter zu beobachten. Das Problem war allerdings, dass die Russen nicht über den Start informiert worden waren – und das Erscheinen der Rakete bereitete ihnen enorme Magenschmerzen. Sie hatte nämlich Ähnlichkeit zu US-Trident-Raketen und kam aus einer Gegend, die die Russen lange für besonders bedrohlich gehalten hatten. Was folgte, war »der gefährlichste Moment des nuklearen Zeitalters«, wie Peter Pry, ein früherer FBI-Mitarbeiter, es in seinem Buch War Scare beschrieb. Bei Alarmstufe Rot blieben Präsident Boris Jelzin und dem russischen Oberkommando – ihre Finger schwebten bereits über dem Knopf, der zum Weltuntergang hätte führen können – nur Minuten, um zu entscheiden: Sollten sie mit den 4700 ihnen zur Verfügung stehenden strategischen Gefechtsköpfen zurückschlagen? Zum Glück für die Menschheit stürzte die Forschungsrakete ins Meer, und der rote Knopf wurde nie gedrückt.

26. JANUAR 1998

Ein blaues Kleid mit weißen Flecken

Schon viele Politiker haben gelogen, aber vielleicht keiner schamloser als Bill Clinton am 26. Januar 1998, als er vehement abstritt, eine Affäre im Weißen Hauses gehabt zu haben. »Ich möchte den Amerikanern eines sagen«, erklärte der US-amerikanische Präsident mit gerötetem Gesicht, den Finger empört nach oben gereckt: »Ich möchte, dass Sie mir zuhören. Ich sage es noch einmal: Ich hatte mit Frau Lewinsky keinen Geschlechtsverkehr!« Jedoch konnte Frau Lewinsky beweisen, dass sie mit dem Präsidenten durchaus sexuelle Spielchen getrieben hatte, da sich Beweise auf einem blauen Kleid fanden, das sie während eines solchen Treffens getragen hatte. Sieben Monate später sah sich Clinton gezwungen, eine andere Geschichte zu erzählen: »Ich hatte eine Affäre mit Frau Lewinsky, die nicht angemessen war«, gab er am 27. August zu. »In der Tat, es war ein Fehler.«

27. JANUAR 1595

Bloß nie Bruder des Sultans!

»Dulden Sie keinen Bruder in der Nähe desThrons, wie die Türken es machen.«

ALEXANDER POPE (in einem Brief an Dr. Arbuthnot)

Sultan Mehmed II. hatte in der Mitte des 15. Jahrhunderts eine einfache Lösung parat für die wilden Streitigkeiten, die das Osmanische Reich lange in Sachen Thronfolge gequält hatten: Brudermord. »Und an wen auch immer von meinen Söhnen das Sultanat geht, so gehört es sich für die Ordnung der Welt, dass er seine Brüder töten soll«, verfügte Mehmed. Zuvor hatte er seinen eigenen Bruder im Kleinkindalter strangulieren lassen. Nahezu 150 Jahre später hatte die mörderische Politik verheerende Auswirkungen auf die 19 Brüder von Mehmed III., als er den Thron am 27. Januar 1595 bestieg. Die jungen Prinzen, manche von ihnen noch Babys, wurden zeremoniell mit einer Bogensehne stranguliert und dann in demselben Grab wie ihr verschiedener Vater bestattet.

28. JANUAR 1393

Kostümdrama

Im Jahr 1393 zeigte Karl VI. von Frankreich bereits besorgniserregende Anzeichen einer Psychose, die ihn schließlich jeder Vernunft beraubte. Sein Arzt befand, dass Wege gefunden werden müssten, den zunehmend unausgeglichenen Monarchen bei Laune zu halten, und so wurde am Abend des 28. Januar ein Maskenball veranstaltet, an dem er teilnahm. Man feierte die vierte Hochzeit einer Hofdame von Königin Isabeau, und wie sich herausstellte, wurde das Ereignis, das unter dem Namen »Ball der brennenden Männer« bekannt wurde, der Auslöser, der entscheidend zur vollständigen geistigen Umnachtung von Karl führte.

Traditionellerweise war die Hochzeit einer Witwe eine Gelegenheit zur Narretei, begleitet von »allen Sorten der Freizügigkeit, der Verkleidungen, Verwirrungen, lauter, misstönender Musik sowie dem Aneinanderschlagen von Becken«, erläutert die Historikerin Barbara Tuchman in Der ferne Spiegel. Das dramatische 14. Jahrhundert. Die Maskerade hatte einen besonderen, heidnischen Beigeschmack. Fünf hochrangige Ritter waren zusammen mit dem König als wilde Menschen aus dem Wald verkleidet. Die Kostüme, die den Männern auf den Leib genäht worden waren, waren aus Leinen gefertigt und mit Harz getränkt, an das Flachs geklebt worden war. »Daher«, so schrieb Tuchman, »erschienen sie zottelig und haarig von Kopf bis Fuß«. Außerdem trugen sie Masken. Die Aufmachung war lustig und festlich, aber leider auch leicht entzündbar. Als die verkleideten Ritter und der König wie Wölfe heulten und wild umhertanzten, stieß der jüngere Bruder des Königs, Ludwig, der Fürst von Orléans, betrunken dazu und hatte eine Fackel bei sich, was den anderen Gästen strikt untersagt worden war. Der Fürst ging zu einem der Tänzer und hielt ihm die Fackel vors Gesicht, um seine Identität herauszufinden. Er kam dem harzgetränkten Kostüm des Ritters dabei allerdings zu nahe, und es fing sofort an zu brennen. Das Feuer griff schnell auf die Männer über, die in seiner Nähe tanzten.