Schloss Schadau, Thun - Jürg Hünerwadel - E-Book

Schloss Schadau, Thun E-Book

Jürg Hünerwadel

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Beschreibung

Das im Stil der französischen Loire-Schlösser des 16. Jahrhunderts in Verbindung mit Elementen der englischen Tudorgotik gehaltene Schloss Schadau wurde 1847–1852 für ein Mitglied der neuenburgischen Adels- und Bankiersfamilie de Rougemont erbaut. An leicht erhöhter Lage in einem weitläufigen englischen Landschaftspark inszeniert, dominiert der Solitärbau den Uferbereich am Ausfluss der Aare aus dem Thunersee. Sowohl das von Türmen und Kaminen beherrschte und mit reichem Sandstein-Schmuckwerk überzogene Äussere als auch die exquisite Innenausstattung zeugen von höchster Handwerkskunst. Als eines der bedeutendsten Werke des romantischen Historismus in der Schweiz stellt das Schloss ein Kulturgut von nationalem Rang dar.

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Jürg Hünerwadel

Schloss Schadau, Thun

Kanton Bern

«Architektonisches Monstrum» oder «Perle am Thunersee»?

Scherzligen und die Schadau

Bau- und Besitzergeschichte

Der von Erlach’sche Vorgängerbau von 1638

Planung und Bau von Schloss Schadau

Ungewisses Schicksal und Rettung durch die öffentliche Hand

Denkmalgerechte Restaurierungen

Aussensanierung 1954–1996

Innenumbau und Umnutzung 2018/19

Rundgang

Das Äussere

Das Innere

Historistischer Überschwang

Rundgang durch das Erdgeschoss

Die Ledertapeten im Schloss Schadau

Die Obergeschosse

Park und Umgebung

Die ursprüngliche Gartenanlage bis 1837

Der englische Landschaftspark der Familie de Rougemont

Die Schadaugärtnerei

Das Schadaugut

Würdigung

Anhang

Die seeseitige Schaufassade des neuen Schlosses. Foto um 1855.

«Architektonisches Monstrum» oder «Perle am Thunersee»?

Manche Dinge brauchen Zeit. Bereits 1837 hatten Abram Denis Alfred de Rougemont (1802–1868) und seine Gattin Sophie, geb. de Pourtalès (1807–1882), das um 1638 am Ausfluss der Aare aus dem Thunersee erbaute Landgut Schadau erworben. Erst zehn Jahre später aber, nach zahlreichen Projektstudien diverser Architekten, liessen sie von 1847–1852 ihren neuen Sommerwohnsitz errichten. Während der gesamten Bauzeit standen Alt- und Neubau Seite an Seite am Ufer, von wo sich der Blick über den See hinweg im Kranz der Berner Alpen verliert. Unterschiedlicher hätten die beiden Bauten nicht sein können. Hier das behäbige Landschlösschen im frühbarocken Stil des 17. Jahrhunderts, ein zweigeschossiger Putzbau unter Halbwalmdach mit flankierenden Türmchen. Dort der mächtige dreigeschossige Baukörper des an die französischen Loire-Schlösser gemahnenden neuen Prunkbaus über verwinkeltem Grundriss, dessen Erscheinungsbild durch seine Vieltürmigkeit, die aufgelöste Dachlandschaft mit zahlreichen Kaminen, die Vielfalt und -farbigkeit der Baumaterialien sowie eine überreiche, an die englische Tudorgotik angelehnte Sandstein-Ornamentik gekennzeichnet ist.

Der Bruch mit der zeitgenössischen bernischen Bautradition war eklatant und durch die exponierte Lage des neuen Schlosses noch in gesteigertem Masse wahrnehmbar. Es erstaunt daher nicht, dass schon während der Bauzeit Kritik laut wurde. Als «architektonisches Monstrum» betitelte ein anonymer Kritiker den Neubau im Intelligenzblatt für die Stadt Bern vom 29. August 1849, das lediglich als «Denkmal grenzenloser Geschmacklosigkeit der Gegenwart und den kommenden Geschlechtern als Missfallen erregendes Beispiel» tauge. Nur ein Vierteljahrhundert später tönte es freilich ganz anders. Da schwärmte Abraham Roth – der bekannte Zeitungsredaktor und Mitbegründer des Schweizer Alpen-Clubs SAC – in seinem 1873 herausgegebenen Reiseführer Thun und seine Umgebungen von der Schadau als einer «von Menschenhand geschaffene[n] Perle, eingefügt in das Diadem der Alpenlandschaft». 1876 entzückte sodann der «geradezu feenhafte Landsitz […], die fast weltbekannte Schadau» auch die deutsche Allgemeine Illustrirte Zeitung. Was war geschehen? Stellte der Historismus als Geistesströmung im Allgemeinen und das historistische Bauen im Speziellen in der Schweiz um 1850 eine noch völlig neue Tendenz dar, so hatte sich der Rückgriff auf historische Stile in der Architektur inzwischen Bahn gebrochen. Das historistische Formenvokabular war nicht nur bei der Bewältigung neuer Bauaufgaben wie Bahnhöfen und Fabriken allgegenwärtig geworden, sondern auch im repräsentativen Wohnungsbau.

Genau 100 Jahre nach seiner Fertigstellung stand das inzwischen ins Eigentum der Stadt Thun übergegangene Schloss indessen erneut im Zentrum eines Historismusdiskurses. Wie in der Rezeptionsgeschichte so mancher Architekturströmung – vom Barock bis zur aktuellen Debatte über die Sichtbetonarchitektur der 1970er Jahre – wurde auch dem Historismus von den nachfolgenden Generationen wenig Wertschätzung entgegengebracht. So plädierten um 1950 angesichts witterungsbedingter Schäden an den filigranen Fassaden und Dächern namhafte Stimmen für den Abbruch des «jungen Greise[s] aus dem 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der architektonischen Ratlosigkeit und des anmassenden Fassadenzaubers». Erst unter Beizug von Linus Birchler gelang dem weitsichtigen Stadtbaumeister Karl Keller die Rettung des Bauwerks. Birchler genoss als Professor für Baugeschichte und allgemeine Kunstgeschichte an der ETH sowie als Pionier der Kunstdenkmäler-Inventarisation in Fachkreisen höchstes Ansehen und sein Wort hatte entsprechend Gewicht. In einem Gutachten von 1954 gestand er als Präsident der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege zwar freimütig, dass er noch vor dreissig Jahren einen Abbruch der Schadau für geradezu notwendig befunden hätte. Nun aber erachtete er die Schadau als «historisches Baumonument, so gut wie die bayrischen Königsschlösser», um mit der pathetischen Forderung zu schliessen: «Die Schadau bleibe erhalten, als Ganzes, und in ihren Einzelheiten!». Die Polemiken um das heute unbestrittene Kulturgut Schadau machen eines deutlich: das Bauwerk war nicht nur um 1850 bei der Erbauung seiner Zeit offensichtlich weit voraus, sondern markierte um 1950 ebenso den Beginn der Rehabilitierung der historistischen Architektur in der Schweiz.

Ansicht der Schadau von Norden, mit dem Landschlösschen von 1638 (links) und dem soeben fertiggestellten neuen Schloss (rechts). Skizze von G. Meyer, 1852.

Blick über die Aare gegen die Alpen. In der Bildmitte die alte Schadau von 1638, rechts davon das Dorf Scherzligen mit der Kirche. Umrissradierung von Simon Daniel Lafond, 1794.

Thun und das noch deutlich abgesetzte Dorf Scherzligen. Das im Bau befindliche Schloss Schadau ist wie das Schloss Thun als Donjon symbolisiert. Karte des Manövergebietes der Eidg. Militärschule, 1850 (Ausschnitt).

Schloss Schadau a

Schadaugärtnerei b

Schadaugut c

Schloss Thun d

Hofstettengut e

Ziegelei der Gebrüder Schrämli f

Scherzligen und die Schadau

Das ehemalige Dorf Scherzligen geht auf eine alemannische Ansiedlung zurück. Um die 762 erstmals urkundlich erwähnte Kirche zu «Scartilinga» entstand rund anderthalb Kilometer südlich der befestigten Stadt Thun ein Fischer- und Schifferdorf auf einem niedrigen Moränenhügel. Umgeben von Sumpfland und Wasserläufen wurde der kleine Flecken bei den häufigen Hochwassern jeweils zur Insel. Auf die regelmässigen Überschwemmungen und die durch steten Wellenschlag des Thunersees verursachten Schäden geht auch die Bezeichnung «Schadauw» für das Auengebiet am Ufer zurück, für das sich um 1870 die Schreibweise Schadau etablierte. Bereits 1348 ist hier ein «hus genemt [genannt] Schadowe» aktenkundig, als Freiherr Johann von Strättligen die Schadau seinem Tochtermann (Schwiegersohn) Ulrich von Bubenberg als Lehen vergab. 1516 ging sie durch Kauf der gesamten Herrschaft Spiez an Junker Ludwig von Erlach und verblieb in der Folge rund 250 Jahre im Eigentum dieser Familie, die zu den führenden Geschlechtern Berns gehörte. Die Mühen mit den Wassern wurden in dieser Zeit allerdings nicht weniger, zumal nach der 1713 erfolgten Umleitung der Kander in den Thunersee. 1716 ersuchte Sigmund von Erlach in einer Bittschrift um Ersatz des in der Schadau entstandenen Schadens, den er in den beiden vorangehenden Jahren erlitten hatte, als sein Gut «den gantzen Sommer durch überschwemmt gewesen, so weit, dass man in der Heüwet-Zeit mit Schiffen darinnen gefahren».

Erst im 19. Jahrhundert wurde das Gebiet zwischen dem 1861 erbauten Bahnhof Scherzligen und dem Seeufer trockengelegt. 1919 wurde das in der ehemals selbstständigen Gemeinde Strättligen gelegene Dorf Scherzligen durch Eingemeindung ein Quartier der Stadt Thun. In den darauffolgenden Jahren mutierte es angesichts seiner bevorzugten Lage am See zum vornehmen Villenviertel.

Die Riviera am Thunersee

Zu Zeiten des Ancien Régime lag Thun im Netz der schweizerischen Reise- und Handelsrouten am Rande. Noch um 1800 galt die Stadt allenfalls als Etappenort, denn als eigentliches Reiseziel. Mit dem Aufkommen des Tourismus im Berner Oberland wandelte sie sich jedoch zum Ort der Sommerfrische der vornehmen Gesellschaft. Prominente ausländische Gäste wie der Dichter Heinrich von Kleist, der sich 1802 für eine Phase intensiven Schaffens auf der oberen Aareinsel einquartierte, zogen weitere Aufenthalter an. Die Stadt reagierte darauf mit dem Bau von Quaianlagen und geschäftstüchtige Hoteliers sorgten mit Nobelherbergen wie den Hotels Bellevue (1834) und du Parc (1840–42) für adäquate Unterkünfte. Gleichzeitig förderten neue Verkehrsmittel – Dampfschiff (ab 1835) und Eisenbahn (ab 1859) – die touristische Entwicklung. Parallel dazu etablierte sich Thun im 19. Jahrhundert als eidgenössischer Waffenplatz. An der 1819 eröffneten Militärschule wurden Offiziere der Artillerie, der Genietruppen und des Generalstabes ausgebildet; hinzu kamen regelmässige Übungslager unter Aufbietung der kantonalen Truppenkontingente. Viele der an der Militärschule engagierten Offiziere liessen sich – wie Alfred de Rougemont – in der Region Thun nieder.

Eidgenössisches Übungslager von August 1842 auf der Thuner Allmend. Farbige Aquatinta von Jean Bryner, 1842.

Ansicht der alten Schadau von Osten, mit dem überhöht dargestellten Stockhorn am Horizont; aquarellierte Federzeichnung von Albrecht Kauw von 1672.

Bau- und Besitzergeschichte

Der von Erlach’sche Vorgängerbau von 1638