Schluss mit Psychospielchen - Cornelia Schwarz - E-Book

Schluss mit Psychospielchen E-Book

Cornelia Schwarz

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Beschreibung

Es reicht! Psychospielchen werden täglich gespielt. Was sich zunächst wie ganz normaler Alltagsärger anfühlt, ist in Wirklichkeit Manipulation. Wie man diese miesen Spiele durchschaut, zeigen die erfahrenen Coaches Cornelia und Stephan Schwarz. Sie führen buddhistisches Know-how und psychologische Coachingtechniken zusammen. Die Leser werden mit den wirksamsten Exitstrategien bekannt gemacht, sie lernen, ihre persönlichen Potenziale zu aktivieren und die eigenen Interessen durchzusetzen – in Harmonie mit anderen. Der Erfolg zeigt sich durch mehr Effizienz im Job, durch bessere Beziehungen zur Familie, zu Freunden und Kollegen. Anhand von alltäglichen Fallbeispielen werden die Mechanismen deutlich und unterschwellige Absichten transparent. Wer Manipulationsspiele begreift, kann sich entziehen. Verfolgerspiele: Ich bin okay, die anderen sind es nicht Retterspiele: Ich bin okay, die anderen brauchen mich,um auch okay zu sein Opferspiele: Ich bin nicht okay, die anderen sind okay

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Seitenzahl: 238

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Cornelia & Stephan Schwarz

Schluss mit Psychospielchen

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Einleitung

Dieses Buch wird Ihr Leben verändern. Davon sind wir überzeugt. Warum?

Seit mehr als 25 Jahren coachen wir Unternehmer, Manager, Abteilungsleiter und ganz normale Leute von nebenan. Wir beraten Menschen, die mitten im Leben stehen, Verantwortung tragen, gut ausgebildet sind und trotzdem am Ende mit ihrem Latein. Weil es hakt und klemmt. Weil Intrigen, Mobbing und fehlende Motivation die Arbeitsabläufe blockieren. Vor allem aber, weil viele unserer Klienten selbst blockiert sind. So sehr, dass sie lediglich einen Bruchteil ihres Potenzials ausschöpfen.

Viele haben familiäre Probleme, sei es mit dem Partner oder mit der Kindererziehung. Oft sind es auch zerbrochene Freundschaften oder endlose Streitigkeiten mit dem Nachbarn, unter denen sie leiden. Sie haben ganz einfach das Gefühl, etwas falsch zu machen. Dass sie in Psychospiele verwickelt sind, ist ihnen gar nicht bewusst. Was sie allerdings spüren, sind unangenehme Gefühle, Verwirrung, Blockaden.

Psychospiele erzeugen bei allen Beteiligten eine innere Leere. Man traut seinen Emotionen nicht, fühlt sich unwohl, unverstanden, überfordert. Auf einmal tut man Dinge, die man eigentlich nicht tun wollte. Man sagt Sätze, die gar nicht zu einem passen. Man steht völlig neben sich. Die Folgen sind schwerwiegend: Sie reichen von Erschöpfung über Ängste bis hin zu ernsthaften Krankheiten.

Viele Menschen handeln ohne nachzudenken aus dem Bauch heraus. Das kann genau richtig sein, schon klar. Es kann aber auch zu ernsthaften Problemen führen. Dann nämlich, wenn man arglos in Psychospiele stolpert und wie ferngesteuert reagiert. Wer hingegen versteht, wie manipuliert wird, kann Einfluss auf die Situation nehmen. Schon kleine Verhaltensänderungen zeigen Wirkung. Denn ob Gespräche angenehm, zielorientiert und effizient verlaufen, hängt entscheidend davon ab, wie man die eigene Person ins Spiel bringt.

Schöpfen Sie Ihr Potenzial aus? Können Sie Ihre Problemlösungskompetenz anwenden? Oder scheitert das Miteinander an negativen Rollenmustern?

Ab jetzt haben Sie es selbst in der Hand. Wir zeigen Ihnen, wie Sie sich Steuerkompetenz aneignen, um souverän, professionell und erfolgreich zu kommunizieren. So lässt sich jede Art von Beziehung nachhaltig verbessern – sei es in der Partnerschaft, in der Familie, in Freundschaften, im Job.

Wir arbeiten mit buddhistischem Knowhow, kombiniert mit psychologischem Wissen und einer gehörigen Portion Humor. Humor? Genau. Wer jemals einen lächelnden Buddha gesehen hat, weiß, warum. Lachen befreit. Durch die buddhistische Haltung versteht man auf einmal die Absurdität der täglichen Psychospiele. Das Ziel ist es, von der Spielfigur zum Beobachter und klugen Manager belastender Situationen zu werden. Dann ist der Weg frei für die wirklich wichtigen Fragen: Wer bin ich? Was kann ich? Was möchte ich erreichen?

Ganz pragmatisch machen wir das buddhistische Wissen für die Lösung alltäglicher Konflikte nutzbar. Für die Schärfung der Wahrnehmung, für wertschätzende Kommunikation, für ein Leben in Balance. Dabei integrieren wir spirituelle Ideen wie Achtsamkeit und innere Energie in unser Konzept der Persönlichkeitsentwicklung. Wir machen Menschen stark für das Hier und Jetzt. Auf den Punkt gebracht, vermitteln wir den Buddhismus für das 21. Jahrhundert. Damit Sie künftig Ihre volle Power leben, Ihre Liebesfähigkeit, Ihre Begabungen, Ihr Talent fürs Glück.

Und los geht’s. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

 

Cornelia und Stephan Schwarz

Warum sich der Ausstieg aus Psychospielen lohnt:

Sie bauen stabile Beziehungen auf – weil Sie nie wieder in neurotische Beziehungsmuster geraten.

Sie wirken sympathischer, weil man Menschen mag, die gelassen und empathisch mit anderen umgehen.

Sie verhalten sich emotional souverän – weil Ihre Gefühle nicht mehr manipulierbar sind.

Sie werden erfolgreicher – weil Sie keine Energie in den täglichen Kleinkriegen der Psychospiele vergeuden.

Sie verbessern Ihre Teamfähigkeit – weil Sie Ihr kooperatives Verhalten schulen.

Sie verhindern Selbstzweifel und seelische Krisen – weil Sie sicher in sich ruhen.

Sie tun etwas für Ihre körperliche Gesundheit – weil Sie psychosomatischen Krankheiten vorbeugen, die durch Psychospiele entstehen.

1Wie Psychospiele funktionieren

Das Dramadreieck

Psychospiele lassen sich auf einen Nenner bringen – es sind destruktive Rollenspiele. Das heißt: Jemand schlüpft in eine Rolle und zwingt andere, eine dazu passende Rolle einzunehmen. Das geschieht wie auf einer Bühne: Ich bin Romeo, also musst du jetzt Julia sein. Aber anders als in Shakespeares ›Romeo und Julia‹ kristallisieren sich bei Psychospielen drei spezifische Rollentypen heraus: Opfer, Retter und Verfolger. Diese drei Archetypen sind miteinander verbunden und bilden ein Dreieck, das Dramadreieck.

Das Dramadreieck lässt sich überall beobachten: in der alltäglichen Kommunikation, in Unternehmen, in der Politik. Möglicherweise sind auch Sie involviert, denn wer dieses Psychospiel nicht reflektiert, wird zum unbewussten Mitspieler. Ohne dass er es realisiert, nimmt er Dramaangebote an und reagiert in Rollenmustern. Dabei verhält er sich mal als Opfer, mal als Retter, mal als Verfolger.

Der Opfer-Archetyp klagt: »Ich bin schwach; ich bin für nichts verantwortlich, die anderen sind schuld; deshalb müssen sie für mich da sein.« Der Retter-Archetyp sagt: »Ich kann dir helfen; ich weiß, was richtig für dich ist; du brauchst mich, ohne mich bist du verloren.« Der Verfolger-Archetyp dagegen tritt unverhohlen aggressiv auf: »Ich muss immer siegen; wer sich mir in den Weg stellt, ist wertlos; ich beherrsche andere, indem ich sie erniedrige.«

Das Opfer gibt anderen Menschen und widrigen Umständen die Schuld an seinen negativen Erlebnissen. Was auch immer im Leben des Opfers geschieht, stets delegiert es die Verantwortung dafür weiter und erwartet im Gegenzug Mitleid und Hilfe.

Der Retter spürt eine starke Ambition, für andere Verantwortung zu übernehmen. Dabei übersieht er, ob jemand überhaupt Hilfe will. Stattdessen erteilt er ungefragt Ratschläge, erstickt andere mit seiner Fürsorglichkeit und tritt oft bevormundend auf.

Der Verfolger klagt andere an. Er kritisiert, attackiert, schüchtert ein. In seinem Verhalten zeigt sich der Wunsch nach Kontrolle und Dominanz. Deshalb gibt er gern Befehle und spielt sich als Richter auf.

Während Sie dies lesen, überlegen Sie vermutlich schon, ob es Personen in Ihrem Leben gibt, die Ihnen in diesen Rollen begegnen. Vielleicht grübeln Sie auch insgeheim, ob Sie selbst manchmal zu solchen Rollen neigen. Das ist gut möglich. Jeder Mensch hat da eine bestimmte Präferenz, bevorzugt also einen bestimmten Rollentypus, solange er Psychospiele nicht grundsätzlich aus seinem Leben verbannt hat. Erkennen Sie sich in einer Rolle wieder? Oder gleich in mehreren?

Jedes Dramaspiel entwickelt eine interessante Dynamik: Im Verlauf des Spiels wechseln die Beteiligten die Rollen. Folgendes Szenario ist denkbar: Gegenüber einem Opfer nehmen Sie zunächst die Retterrolle ein. Dadurch könnte sich das Opfer allerdings bedrängt fühlen und rebellieren. Greift es Sie dann im Verfolgermodus an, machen Sie sich klein und verwandeln sich selbst in ein Opfer. Damit ist das Spiel aber noch lange nicht beendet. Unweigerlich kommen Sie in jedem Psychospiel an einen Punkt, wo Sie Wut und Ärger spüren. Dann halten Sie es nicht mehr aus. Sie explodieren und werden nun zum Verfolger, der sein Gegenüber angreift. Es wird also immer zu einem Changieren zwischen den Rollen kommen. Ein Spiel ohne Grenzen.

Warum werden Dramaspiele gespielt?

Die Muster für destruktive Psychospiele entstehen in der frühen Kindheit. Werden Kindern Liebe und Zuwendung vorenthalten, erleben sie das als großes Unglück. Sie fühlen sich übersehen, vernachlässigt, abgelehnt. Um die verweigerte Liebe und die fehlende Aufmerksamkeit dennoch zu bekommen, entwickeln Kinder daraufhin auffällige Interaktionsmuster. Sie quengeln und jammern, legen sich schreiend auf den Boden oder werfen mit Gegenständen, um sich bemerkbar zu machen. Es sind letztlich Verzweiflungstaten. Das beschert ihnen zwar keine positive Zuwendung, doch selbst negative Beachtung in Form von Schimpfen, Tadeln oder sogar körperlicher Gewalt ist ihnen lieber, als ignoriert zu werden. Hauptsache, sie spüren irgendeine Form von Nähe.

Auch Kinder aus sogenannten »normalen Familien« erleben häufig keine sicheren Bindungen. Um wahrgenommen zu werden, mussten sie manipulativ vorgehen und zeigten ein Verhalten, das von der Norm abwich. Diese Erfahrung ist prägend. Aus dem Leid heraus verfestigen sich neurotische Beziehungs- und Interaktionsmuster, die im Erwachsenenleben zwanghaft wiederholt werden. Destruktive Psychospieler versuchen daher alles, um Aufmerksamkeit, Nähe und Zuwendung zu erheischen. Solange sie ihre persönliche Entwicklung nicht aufarbeiten, werden sie immer wieder in ihre negativen Muster zurückfallen – oder von anderen in Dramaspiele verstrickt werden.

Die Opferrolle

Gestartet wird ein Dramaspiel fast immer durch Abwertungen. Geht das Spiel vom Opfer aus, sagt es zum Beispiel: »Ich bin so ein Idiot, ich kriege nichts auf die Reihe, mich mag keiner.« Manchmal erfolgt der Auftakt auch durch die Entwertung anderer: »Meine Freundin ist so gemein, meine Kollegen sind Egoisten, alle lassen mich im Stich.« Die Botschaft dabei ist eindeutig: Opfer möchten gerettet werden. Also suchen sie eine Person, die sich als rettender Helfer eignet. Steigt das Gegenüber auf den versteckten Hilferuf ein, nimmt das Spiel seinen Lauf.

Die Selbstabwertung hat eine strategische Bedeutung. Sehr erfolgreich erweckt das Opfer den Eindruck, alle anderen hätten es besser. Das defizitäre Selbstbild des Opfers bringt sein Umfeld zu der Annahme, man sei ihm etwas schuldig. Da sich das Opfer generell ungerecht vom Leben behandelt fühlt, fordert es das Recht auf »Wiedergutmachung«. Die will es jedoch nicht aus eigener Kraft herbeiführen. Stattdessen erwartet das Opfer, dass sich Partner, Freunde oder Kollegen um seine Belange kümmern.

Eine grundsätzliche Verbesserung seiner Lebensumstände strebt das Opfer jedoch gar nicht an – dann wäre das Spiel um Aufmerksamkeit ja vorbei. Deshalb kultiviert es seine Rolle und bindet auf diese Weise andere an sich.

Wie Sie die Opferrolle bei sich und anderen erkennen:

Opfer wirken unschuldig, hilflos, zu kurz gekommen, wenig belastbar, schutzbedürftig.

Sie jammern und klagen viel.

Sie wollen keine Verantwortung übernehmen, sondern schieben alles von sich weg.

Die Körpersprache wirkt reduziert, kraftlos; sie machen sich klein und bewegen sich kaum.

Die Stimme wird leise, klagend, unsicher.

Beobachten Sie sich, wie Sie in Konfliktsituationen agieren. Könnte es sein, dass Sie manchmal unbewusst in die Opferrolle fallen? Das wäre durchaus verständlich. Es ist ja auch einfacher zu klagen, als die Probleme beim Schopf zu packen. Achten Sie auf alle Details: auf Ihre körperlichen Reaktionen, auf Ihre Stimme, auf Ihre Worte. Strahlt Ihr Körper Kraft oder Schwäche aus? Klingt Ihre Stimme fest und selbstsicher oder dünn und kindlich? Neigen Sie dazu, sich über andere zu beschweren und Ihr Los zu bejammern? Oder stehen Sie zu dem, was Sie sind und was Sie tun?

Dieselben Beobachtungen können Sie auch bei anderen anstellen. Möglicherweise kennen Sie Menschen, die in Ihrer Gegenwart ständig lamentieren. Seufzend erzählen sie, was ihnen wieder Schlimmes passiert ist, und erwarten, dass Sie in Mitleid zerfließen. Das tun Sie wahrscheinlich auch. Man will ja kein Unmensch sein. Wenn Sie dann noch das Gefühl haben, Sie müssten diesem Opfer etwas Gutes tun, es bemuttern, verwöhnen oder ihm eine unangenehme Sache abnehmen, sind Sie mittendrin: in einem Dramaspiel.

Was macht die Opferrolle eigentlich attraktiv?

Für Opfer gibt es einige Spielgewinne. Ja, sie profitieren davon, dass sie als Opfer wahrgenommen werden. Schwäche ruft in unserer Gesellschaft recht zuverlässig den Helferreflex hervor. Schließlich bezeichnen wir uns gerne als eine Solidargemeinschaft. Der Staat kümmert sich um die Benachteiligten, die Bürger sind aufgefordert, Schwache durch Steuern oder Spenden zu unterstützen. Im Privaten ist es ebenso selbstverständlich, dass wir einander helfen. Wer würde schon die beste Freundin abblitzen lassen, die soeben von ihrem Mann verlassen wurde und heulend anruft?

Diese altruistische Grundeinstellung wird in Opferspielen weidlich strapaziert und ausgenutzt. Denn den Opfern geht es allein um Beachtung und Zuwendung, die sie förmlich erzwingen. In der Regel bekommen sie auch, was sie wollen. Schließlich wirken sie so unschuldig, hilfsbedürftig und liebenswert, dass man ihnen einfach nicht widerstehen kann. Kaum jemand käme auf die Idee, dass die Opferhaltung zum sanften Terror werden kann. Wer sich schwach gibt, wirkt nicht bedrohlich. Er ist kein Konkurrent, kein Intrigant, so die allgemeine Auffassung – nur ein bemitleidenswertes Opfer. Und doch sind Opferspiele äußerst destruktiv. Schauen Sie sich folgende Geschichte an.

Mutter und Tochter im Dramadreieck

Claudia, 43, liegt ganz entspannt zu Hause auf ihrer Couch. Das Handy klingelt. Es ist Claudias Mutter, die sofort anfängt zu jammern: Sie habe einen alten Kleiderschrank geschenkt bekommen, finde aber niemanden, der ihr den Schrank abbeizt und neu streicht. »Das ist typisch«, klagt sie. »Ich bin eben eine alte, einsame Frau, der keiner hilft.«

Noch bleibt Claudia ruhig. Spontan fällt ihr ein Ratschlag ein: »Du, Mami, kauf doch einfach einen neuen Schrank, dann sparst du dir die aufwendige Restaurierung.« Daraufhin wird ihre Mutter ärgerlich. Mit schriller Stimme ruft sie: »Also, ich habe es nicht nötig, mir von meiner eigenen Tochter sagen zu lassen, was ich zu tun habe!« Ihr Ton ist scharf geworden, sie spricht schnell und erregt.

Plötzlich spürt Claudia, wie sie sich verkrampft. Ihre Kehle wird eng, sie bekommt kaum noch Luft. Wie eine Katze rollt sie sich auf der Couch zusammen, als müsse sie sich nicht nur vor verbalen, sondern auch vor körperlichen Angriffen schützen. »Das ist total ungerecht, Mami. Ich habe es doch nicht so gemeint«, piepst sie mit hoher Stimme. Ihre Mutter fängt an zu schluchzen: »Immer stehe ich mit allem allein da. Es ist zum Verzweifeln.«

Schuldgefühle überwältigen Claudia. Schweren Herzens beschließt sie, ihrer Mutter zu helfen. »In Ordnung«, lenkt sie ein. »Am Wochenende kann ich vorbeikommen und den Schrank restaurieren.« Das sagt sie mit matter Stimme, wider Willen und mit dem schlechten Gefühl, eine lästige Pflicht erledigen zu müssen. Eigentlich hatte sie sich auf ein freies Wochenende mit ihrem Freund gefreut. Pustekuchen.

Die manipulative Technik hinter dem Gespräch

Was Claudia erlebt, ist ein klassisches Dramaspiel. Unbewusst wollte die Mutter ihre Tochter emotional erpressen, um eine Hilfeleistung und damit Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen. Das Spiel startet mit Selbstabwertung, mit Gejammer und Selbstmitleid: »Ich bin eben eine alte, einsame Frau, der keiner hilft.« Damit hat die Mutter ihre Rolle für die erste Phase des Spiels definiert: die Opferrolle.

Ahnungslos steigt Claudia auf das Dramaangebot ihrer Mutter ein. Erst verhält sie sich als Retterin und gibt einen ungebetenen Rat. Mit ihrem Vorschlag, einfach einen neuen Schrank zu kaufen, kommuniziert sie: »Ich weiß viel besser als du, was gut für dich ist. Ich löse deine Probleme, weil du es allein nicht kannst.« Daraufhin wird ihre Mutter ärgerlich. Nun ist sie nicht mehr das Opfer, das über den Umweg des Klagens nach Hilfe verlangt, stattdessen wechselt sie in den Verfolgermodus. Als die Mutter aggressiv reagiert, geht Claudia in die Opferrolle: »Ich habe es nicht so gemeint.« Mit diesem Satz weist sie die Verantwortung für das Gesagte zurück. Mit ihrer hohen, kindlich wirkenden Stimme appelliert sie an die Mutter, sie als hilfloses Opfer zu sehen und nicht weiter zu attackieren. Unwillkürlich nimmt sie auch körperlich die Opferhaltung ein und rollt sich auf der Couch zusammen. Weitere Rollenwechsel folgen.

Alle drei Rollen sind also in diesem Spiel vertreten: Opfer, Retter, Verfolger. Hätte Claudia nicht eingelenkt, wäre vermutlich ein Streit losgebrochen, in dem sie selbst vorübergehend die Verfolgerrolle eingenommen hätte: »Kümmere dich gefälligst um deinen eigenen Kram, Mami! Du bist unausstehlich! Lass mich in Ruhe!«

Es gibt kein Schwarz und Weiß in diesen Spielen, kein Gut und kein Böse. Je nach Spielverlauf wechseln die Rollen. Deren destruktive Wirkung bleibt aber immer gleich: Keiner der Beteiligten sagt, was er wirklich möchte, was ihn im Innersten bewegt. Keiner hat dabei gute Gefühle. Nur Missempfindungen, die sich in Klagen, Vorwürfen, Schuldzuweisungen und Schuldgefühlen äußern. Das ist die große Gefahr bei Dramaspielen. Sie beschädigen die Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl. Was man auch sagt oder tut, aus jedem Problem ergibt sich gleich das nächste. Man dreht sich im Kreis.

In solchen Psychospielen gibt es keine Sieger, nur Verlierer. Claudia springt über ihren Schatten und verleugnet ihre eigenen Bedürfnisse. Das wird sie auf Dauer zutiefst frustrieren. Aber auch ihre Mutter verliert. Denn eine Mutter, die nicht offen über ihre Sehnsucht nach mehr Aufmerksamkeit spricht und Zuwendung stattdessen durch ein Dramaspiel erpresst, erhält keine Liebe, nur erzwungene Leistungen. Eine starke emotionale Entfremdung von Mutter und Tochter ist unausweichlich. So sind am Ende beide Opfer – das Ergebnis aller Dramaspiele.

Der Ausstieg aus dem Dramaspiel

Was wäre eine adäquate Reaktion auf die Dramaangebote der Mutter gewesen? Wenn Claudia wüsste, wie Dramaspiele funktionieren, hätte sie sich völlig anders verhalten. Sie hätte sich abgrenzen können, ohne unfreundlich zu sein. Schon körperlich hätte sie eine eigenständige Position eingenommen. Bei den ersten Worten der Mutter hätte sie sich aufrecht hingesetzt, selbstbewusst und voller Energie. Nach der Geschichte mit dem Schrank hätte sie dann fragen können: »Möchtest du meinen Rat?«

Das ist eine klare, dramafreie Frage. Weder abweisend noch bevormundend, weder mitleidig noch aggressiv. Auf diese Frage kann die Mutter nur mit Ja oder Nein antworten, nicht mit neuerlichen Klagen. Und nur dann, wenn sie Ja gesagt hätte, wäre der Rat angebracht gewesen, einen neuen Schrank zu kaufen. Letztlich geriet Claudia also bereits mit ihrem ersten Vorschlag in die Falle des Dramaspiels. Indem sie die bevormundende Retterin spielte, provozierte sie ihre Mutter. Die fühlte sich überfahren und reagierte aggressiv. Und schon drehte sich das Rollenkarussell.

Das vollkommen verunglückte Gespräch zeigt, wie zerstörerisch Dramaspiele wirken. Claudias Mutter triumphiert scheinbar. Sie bekommt, was sie will, allerdings um den Preis echter freiwilliger Tochterliebe. Claudia hingegen verzichtet auf Eigenständigkeit, auf ihre Bedürfnisse, auf die Zweisamkeit mit ihrem Freund. Sie hat sich verbogen, überzeugt, sie müsse es ihrer Mutter irgendwie recht machen. Solche Dramaspiele vergiften die Beziehungen. Sie können sich über Jahre hinziehen, bis am Ende nur noch ein Trümmerfeld übrig ist.

Aus der Perspektive der Mutter, die das Dramaspiel gestartet hat, ergibt sich die Lösung aus einer veränderten Haltung zur Tochter. Der Mutter mangelt es an der Fähigkeit, Claudia »erwachsen« um Hilfe bitten zu können. Sie kommuniziert nicht offen: »Ich möchte, dass du mir bei der Restaurierung des Schranks hilfst.« Stattdessen klagt sie über das Problem und erwartet, dass ihre Tochter rettend eingreift. Dramafreie Kommunikation bedeutet hier also, dass jeder seine Wünsche klar formuliert und dann ebenso dramafrei mit einem Ja oder Nein umgeht.

Die Retterrolle

Wie man in diese Rolle gerät, haben Sie in unserem Fallbeispiel bereits gesehen. Oft wird sie durch ein Opfer-Gegenüber aktiviert. Spontan fühlt man sich aufgefordert, jemandem beizuspringen. Daran ist zunächst einmal nichts Schlechtes. Nur mit dem Haken, dass man bei einem Psychospiel keine freien Entscheidungen treffen kann. Solange man es nicht durchschaut, befindet man sich auf dem Terrain der unbewussten Manipulation.

Es gibt aber auch Retter, die sich ihre Opfer wählen. Sie neigen dazu, im Anderen vor allem Schwächen zu sehen, sogar in Menschen, die gar keine Schwächen haben. Retter sagen: »Ich sehe, dass es dir schlecht geht, ich weiß, was gut für dich ist.« Ihr Opfer überschütten sie mit besorgten Fragen und guten Ratschlägen. Sie übernehmen die Verantwortung für andere, weil sie zu wissen meinen, was die anderen brauchen. Dafür erwarten sie Dankbarkeit und Zuwendung.

Wie Sie die Retterrolle bei sich und anderen erkennen:

Retter wirken stark und ausgeglichen, hilfsbereit und großzügig.

Sie fühlen sich gebraucht, aufgewertet und wichtig.

Sie bevormunden andere, weil sie ungebetene Ratschläge über den Kopf des Gegenübers hinweg erteilen.

Sie sprechen mit besorgter, beschwörender Stimme, manchmal auch ermahnend.

Einen Retter zu durchschauen, hat leider etwas mit Entzauberung zu tun. Es ist nicht angenehm, im hilfsbereiten Kollegen oder in der fürsorglichen Freundin einen Psychospieler zu erkennen. Schließlich brauchen wir Menschen, auf die wir uns verlassen können, die uns unterstützen, uns den Rücken stärken. Doch genau das tut der typische Retter nicht. Stattdessen manövriert er andere in eine unselbstständige, infantile Haltung. Das Gegenüber nimmt dann die Opferrolle ein und verharrt darin. Wird die bevormundende Fürsorge dem Opfer zu viel, rebelliert es und wechselt in die angriffslustige Verfolgerrolle.

Was macht die Retterrolle eigentlich attraktiv?

Die Retterrolle ist gesellschaftlich extrem akzeptiert und deshalb natürlich auch besonders schwer zu durchschauen. Wer gefällt sich nicht in der Rolle des strahlenden Helden, der anderen hilft, ihre Probleme anpackt, Lösungen vorschlägt? Der Retter läuft sozusagen mit einem Heiligenschein herum. Da wir heute großen Wert auf soziale Kompetenzen legen, ist er oft ein beliebter Mensch. Man lobt ihn für sein Verantwortungsbewusstsein, man bewundert ihn für seinen Altruismus.

Dass hinter den Aktionen des Retters andere als selbstlose Motive stehen könnten, ist ein ungewohnter Gedanke. Und doch verfolgen Retter unbewusste Absichten, etwa, in ihrer Rolle Ansehen, Vertrauen und enge Beziehungen aufzubauen. Indem sie sich unentbehrlich machen, beanspruchen sie eine exponierte Position innerhalb ihres Umfelds, sei es privat, gesellschaftlich oder im Job. »Ohne mich bricht alles zusammen«, sagen sie mit einigem Stolz. »Ohne mich ständen die anderen dumm da.«

Auch Retter sind vor Rollenwechseln nicht gefeit. Sie können sogar in extremer Weise zum Opfer werden. Schauen Sie sich das folgende Dramaspiel an: die Tragödie der selbsternannten Retterin.

Whitney Houston, die tragische Dramaqueen

Jeder kennt Whitney Houston, die begnadete amerikanische Sängerin, die von Millionen geliebt wurde. Aufgewachsen in einem streng christlichen Elternhaus, sang sie als Kind im Kirchenchor und legte früh eine nahezu kometenhafte Karriere als Popdiva hin. Sie war schön, sie war hoch talentiert, ihre Fans lagen ihr zu Füßen. So hätte es immer weitergehen können, wenn sie nicht eines Tages Bobby Brown begegnet wäre: einem gut aussehenden, wenn auch skandalumwitterten R’n’B-Sänger, berüchtigt für seinen kriminellen Umgang, für Alkoholpartys und Drogenexzesse.

Das Good Girl war fasziniert vom Bad Boy. Ein schönes Beispiel für die Regel, dass Gegensätze einander anziehen. Die beiden verliebten sich, heirateten. Doch Whitney Houston, geprägt vom Ethos der helfenden Nächstenliebe, bangte um ihren Mann und wollte ihn von seinen riskanten Lastern erlösen. Schließlich hatte sie durch ihre Erziehung eine klare Vorstellung von Richtig und Falsch. Sie glaubte zu wissen, was gut für ihren Mann sei, deshalb ging sie in den Rettermodus.

Nun begann der tragische Abstieg. Bobby Brown wollte für seine Frau keineswegs das arme, hilfsbedürftige Opfer sein. Ohnehin litt er darunter, dass sie erfolgreicher und prominenter war als er. Er fühlte sich unterlegen. Deshalb musste er Stärke demonstrieren. Bewusst hatte er sich für das wilde, exzessive Leben entschieden und dachte gar nicht daran, sich ändern zu lassen. Zunehmend sah er sich von seiner Retterin belästigt. Bald hatte er seine Rolle in diesem Psychospiel gefunden: Er wurde zum Verfolger. Unausgesetzt beschimpfte und demütigte er seine Frau, spuckte sie an, wurde vermutlich auch handgreiflich, machte sie schließlich drogensüchtig. Aus der strahlenden Retterin wurde ein geprügeltes Opfer.

Bei der US-Talkerin Oprah Winfrey sagte Whitney Houston nach ihrer Scheidung: »Er hasste mich, weil ich ihn so sehr liebte.« Man könnte auch sagen: Er hasste sie, weil sie ihn als Opfer betrachtete, dem geholfen werden musste. So kam es zu dem fatalen Rollenwechsel, der Whitney Houston vollkommen zerstören sollte. Durch ihre Retterambition provozierte sie Bobby Brown. Und je mehr seine Frau ihm suggerierte, eine starke, überlegene Retterin zu sein, desto größer wurde seine Wut. So drängte er sie in die Opferrolle, um sich nicht selbst als Opfer zu fühlen. Am Ende war die Sängerin körperlich und psychisch ein Wrack. Selbst diverse Entziehungskuren konnten ihr nicht mehr helfen. Mit nur 48 Jahren ertrank Whitney Houston in einer Badewanne, zerrüttet vom Drogenmissbrauch.

Die manipulative Technik hinter der Tragödie

Die Lebensgeschichte von Whitney Houston ist erschütternd, und zugleich ist es äußerst aufschlussreich, diese Beziehung unter dem Aspekt des Dramadreiecks zu analysieren. In extremer Weise zeigt die desaströse Ehe alle Symptome eines Psychospiels, in dem es nur Verlierer geben kann. Whitney Houston wurde zum Opfer, weil sie unbewusst die Retterrolle eingenommen hatte, mit allen negativen Nebenwirkungen.

Wie immer startete das Spiel mit einer Abwertung: Für Whitney Houston schien es unbestreitbar, dass ihr Mann ein wertloses Leben lebte, gefangen in Süchten und Partyexzessen. Durch ihren baptistisch geprägten Hintergrund betrachtete sie die Alkohol- und Drogenabhängigkeit ihres Mannes vermutlich weniger als Krankheit, sondern als Charakterfehler. Er war für sie in dieser Hinsicht ein Loser und wurde zum karitativen und therapeutischen Projekt. Von nun an hatte er keine Chance mehr, ein Ehemann auf Augenhöhe zu sein.

Sehr wahrscheinlich wollte Whitney Houston bewusst oder unbewusst eine starke Bindung zu ihrem leichtlebigen, labilen Mann herstellen. Immerhin war Bobby Brown ein von vielen Frauen umschwärmter Sänger, es gab also einige weibliche Konkurrenz. Und Whitney Houston wollte eine wichtige Rolle in seinem wilden Leben spielen, die zentrale Rolle schlechthin. Durch ihre Retterambition glaubte sie, ein unlösbares Band zwischen sich und ihrem Mann zu knüpfen, denn natürlich erwartete sie Dankbarkeit. Ein typisches Opfer hätte ihr diese Genugtuung auch sicherlich verschafft. Es hätte sich loyal, dankbar und tendenziell unterordnend verhalten. Die Drogenabhängigkeit ihres Mannes wäre in eine emotionale Abhängigkeit übergegangen.

Doch die Krux der Retterrolle zeigte sich schnell: Retter bringen unwirksame Hilfe, wenn sie sich über die Bedürfnisse ihres Gegenübers hinwegsetzen. Es interessiert sie nicht, ob jemand Hilfe will oder welche Hilfe er bevorzugen würde. Sie ziehen einen Plan durch, ohne Rücksicht auf das vermeintliche Opfer. Deshalb war Whitney Houstons Hilfsaktion zum Scheitern verurteilt. Sie unterschätzte den Freiheitsdrang ihres Mannes, vor allem seine Sehnsucht nach Überlegenheit. In dieser Logik blieb ihm nichts anderes übrig, als die dominante, überstarke Frau an seiner Seite zu brechen: durch Abwertung, Demütigung und Drogen.

Das Drama dieser Beziehung war es, dass Whitney Houston ihre Rolle nie reflektierte. Ihr Statement: »Er hasste mich, weil ich ihn so sehr liebte«, ist ein Beleg für diese fatale Ignoranz. Was sie unter Liebe verstand, war mütterliche Besorgtheit, mit der sie das Selbstwertgefühl ihres Mannes untergrub. Daraufhin fühlte sie sich missverstanden – eine typische Reaktion des zurückgewiesenen Retters. Sie begriff nicht, dass sie seine Unsicherheit verstärkte.

Es war bereits eine narzisstische Kränkung für Bobby Brown gewesen, dass seine Karriere bei Weitem nicht an die Erfolge seiner Frau heranreichte. Dass sie aber auch noch in der Beziehung die starke Übermutter spielen wollte, provozierte ihn und trieb ihn in die Verfolgerrolle. Geschadet hat dieses Dramaspiel beiden. Als Musiker macht Bobby Brown heute weniger von sich reden als durch seine wiederholten Entziehungskuren.

Der Ausstieg aus dem Dramaspiel

Der Ausstieg aus einer derart tragischen Paarkonstellation scheint fast unmöglich. Von Anfang an gab es ein emotionales Kräftemessen zwischen den beiden Sängern. Auch die öffentliche Wahrnehmung der beiden – die Schöne und das Biest – wird wenig hilfreich gewesen sein. Whitney Houston war durch ihr strahlendes, skandalfreies Image vor der Ehe von vornherein die engelgleiche Lichtgestalt und ihr Mann der Teufel. In ihrer Retterrolle übersah sie das Wesentliche: Der Retter erzeugt entweder Passivität oder Angriffslust durch seine übertriebene Fürsorge. In diesem Falle sogar beides. Denn Bobby Brown weigerte sich, überhaupt etwas gegen seine Suchtkrankheiten zu tun, gleichzeitig wurde er aggressiv.

Die einzige dramafreie Lösung wäre gewesen, wenn sich beide klar von dem Dramaspiel distanziert hätten. Mit anderen Worten: Sie hätten sich ihrer Rollen bewusst werden müssen. Dann hätte Whitney Houston ihre vereinnahmende Retterrolle aufgeben können, und Bobby Brown hätte nach der Verweigerung der Opferrolle nicht zum Verfolger werden müssen.

Das klingt plausibel. Im wirklichen Leben ist diese Lösung allerdings unrealistisch, solange zwei Menschen völlig ahnungslos in ihrem Psychospiel gefangen bleiben. Jeder fühlt sich im Recht. Jeder möchte recht behalten. Dieses konfrontative Verhalten befeuert das Psychospiel noch. Möglicherweise hätte eine Paartherapie den beiden die Augen für die Spielmechanismen geöffnet. Doch das ist reine Spekulation. Schauen wir uns deshalb an, wie eine ähnlich prominente Sängerin den Ausstieg schaffte.

Tina Turner – das Ende eines Dramaspiels

Ike und Tina Turner waren das gefeierte Traumpaar der Sechziger- und Siebzigerjahre. Zwei Vollblutmusiker, hoch talentiert, mit unverwechselbaren Soulstimmen. Ihre Bühnenauftritte knisterten vor sinnlicher Erotik. Man bejubelte sie als Dreamteam. Hinter den Kulissen sah es anders aus. Von Anfang an wollte der drogensüchtige Ike Turner seine Frau dominieren. Er schrieb ihr vor, welche Passagen sie zu singen hatte, diktierte ihre Bühnenoutfits, kontrollierte sie, hielt sie klein, demütigte sie. Ein klassischer Verfolger. Regelmäßig schlug er sie, vergewaltigte sie im Drogenrausch, betrog sie mit anderen Frauen.

Lange akzeptierte Tina Turner ihre Opferrolle. Geduldig ertrug sie die Exzesse, die Gewalt, die Herabsetzung, emotional gefesselt an das Psychospiel. Den Absprung schaffte sie nach einer besonders schweren Misshandlung. 1976 verließ sie ihren Mann und reichte die Scheidung ein. Zunächst sah es so aus, als ob sie weiterhin ein Opfer sei. Ihre Solokarriere kam nicht richtig in Gang, zudem hatte sie für eine schnelle Scheidung auf sämtliche Musikrechte der gemeinsamen Zeit verzichtet.

Doch sie blieb kein Opfer – stattdessen entwickelte sie sich weiter. Durch ihre Hinwendung zum Buddhismus, durch Selbsterkenntnis und Meditation fand sie zu ihrem einstigen starken Ich zurück. Während ihr Exmann in der Bedeutungslosigkeit versank, absolvierte sie eine beispiellose internationale Karriere. Die Feuerprobe stand ihr allerdings noch bevor.

Eines Abends drang Ike Turner während einer Konzertpause in ihre Garderobe ein, bewaffnet mit einer Pistole. Da war es wieder, das Dramaspiel. Verfolger und früheres Opfer standen sich gegenüber. Dies war der Moment, in dem Tina Turner endgültig ausstieg. Statt die Angst und Panik eines Opfers zu zeigen, stellte sie sich aufrecht hin und sagte: »Erschieß mich, los doch.« Völlig verwirrt ließ Ike Turner die Pistole sinken. Er hatte das Dramaspiel verlängern wollen, musste jedoch feststellen, dass es keine Mitspielerin mehr gab. Vor ihm zitterte nicht mehr das furchtsame, eingeschüchterte Opfer von einst, vor ihm stand eine starke, in sich gefestigte Frau. Wortlos schlich er aus der Garderobe.

Die Verfolgerrolle