Schockverliebt - Cardeno C. - E-Book

Schockverliebt E-Book

Cardeno C.

4,5

Beschreibung

Als der naive und lebensfrohe Jonathan Doyle von Weitem einen wunderschönen Fremden mit blauen Augen sieht, glaubt er an die Liebe auf den ersten Blick. Unglücklicherweise verliert er den Mann aus den Augen, bevor sie sich treffen, und verbringt die Jahre danach verzweifelt auf der Suche nach ihm. Als er kurz davor ist aufzugeben, bekommt Jonathan seine Chance und begegnet David Miller von Angesicht zu Angesicht. Er hat Erfolg und der selbstbewusste David verwandelt Jonathans zuvor einsames Leben in ein Märchen, gibt ihm mehr, als er sich jemals erhofft hätte. Aber die Jahre der Suche waren hart für Jonathan und er hat Angst, dass sein junger Sohn und seine skandalöse Vergangenheit die aufblühende Beziehung zerstören könnten. Ein Titel der Home Storys Reihe.

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Seitenzahl: 358

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Cardeno C.

Schockverliebt

Jonathan & David

Home Storys Reihe

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2018

http://www.deadsoft.de

© the author

Copyright The Romance Alliance

Titel der Originalausgabe: Love at First Sight

(Home Stories)

Übersetzung: Bernd Frielingsdorf

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© ThomasPyttel – shutterstock.com

© kiuikson – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-234-2

ISBN 978-3-96089-235-9 (epub)

INHALT

Als der naive und lebensfrohe Jonathan Doyle von Weitem einen wunderschönen Fremden mit blauen Augen sieht, glaubt er an die Liebe auf den ersten Blick. Unglücklicherweise verliert er den Mann aus den Augen, bevor sie sich treffen, und verbringt die Jahre danach verzweifelt auf der Suche nach ihm. Als er kurz davor ist aufzugeben, bekommt Jonathan seine Chance und begegnet David Miller von Angesicht zu Angesicht.

WIDMUNG

Für Tisha Barcus, danke, dass du mich gedrängt hast, meine Geschichten zu veröffentlichen – du bist ein Schatz.

KAPITEL EINS

Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?

Jonathan Doyle tat das ganz sicher. Oh, er wusste, wie dumm und naiv das war, aber tief in seinem Herzen glaubte er daran. Er wollte es glauben. Jonathan war ein unbelehrbarer, hoffnungsloser Romantiker. Immer schon gewesen.

Als Teenager verbrachte Jonathan Stunden mit alten Schwarz-Weiß-Filmen im Fernsehen. Er war fasziniert von den ritterlichen Männern, die ihren Verabredungen die Türen offen hielten, ihre Mäntel nahmen, ihnen die Stühle zurückzogen und all dem. Während andere Jungen davon träumten, Basketball-Spieler, Rockstar oder Feuerwehrmann zu werden, war alles, was Jonathan wollte, diese klassische Über-beide-Ohren-verliebt-sein-Liebesgeschichte. Nun, nahezu klassisch, denn in seinen Tagträumen war es Jonathan – und keine Frau –, der die endlose Liebe mit dem Herrn Ritter teilte. Keiner dieser alten Schwarz-Weiß-Filme behandelte dieses Thema.

Jonathan war liebenswürdig und gutmütig, doch er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Egal wie hart er versuchte, Problemen aus dem Weg zu gehen, immer fanden sie zu ihm. Er hatte zum Beispiel eine Narbe an der Spitze seines rechten Ellbogens, weil er in ein riesiges Panoramafenster gestürzt war, als er Fahrradfahren gelernt hatte. Beim Autofahrenlernen hatte er den Rückwärtsgang nicht eingelegt und war im Swimmingpool der Nachbarn gelandet, nachdem er mit dem Auto seines Vaters ihren gesamten Zaun des Nachbarn umgefahren hatte. Und in dem Versuch, seine beste Freundin glücklich zu machen, hatte Jonathan seine Jungfräulichkeit verloren, in einem Meer von … Enttäuschung und lebensverändernden Folgen.

„Schaut er zu uns rüber?“

Die braunhaarige, blauäugige und zierliche Kathy Gromley zwirbelte ihre Locken um den Finger und zwang sich, ihren Blick auf Jonathan zu richten, auch wenn sie sich auf ihren festen Freund George Rodriguez konzentrierte, der hinter ihr auf der anderen Seite des Raumes stand. Genau genommen war er seit etwa einem Monat ihr Ex-Freund, aber niemand dachte wirklich, dass das „Ex“ lange halten würde. Jonathan wollte gerade zu George hinüberblicken, als Kathy seinen Arm umklammerte und ihre Nägel in seine Haut grub.

„Sieh ihn nicht an! Sonst weiß er, dass wir über ihn reden.“

Jonathan rieb sich die wunde Haut und runzelte die Stirn. Ehrlich gesagt frustrierten ihn das Gespräch und der gesamte Abend. Kathy war seine beste Freundin. Eigentlich war sie seine einzige Freundin. Also war er gemeinsam mit ihr zu dieser Party gegangen, um das Ende der Highschool zu feiern, obwohl er krankhaft schüchtern war und sich in Gesellschaft mehr als unwohl fühlte.

„Ich dachte, du hättest mich gerade gefragt, ob er zu uns rüberschaut.“

Kathy behielt ihr künstliches Lächeln, warf den Kopf zurück und stieß ein lautes Lachen aus, bevor sie Jonathans Frage flüsternd beantwortete.

„Ich habe dich gebeten, mir zu sagen, ob er uns ansieht. Aber das musst du überprüfen, ohne dass er merkt, dass du es überprüfst, weißt du?“

Jonathan war frustriert, müde und hatte die Nase voll von dieser Party. Er hatte keine Ahnung, wie er überprüfen sollte, ob Kathys Freund zu ihnen schaute, ohne es, na ja, zu überprüfen.

„Kath, ich will nach Hause. Ich bin müde. Warum redest du nicht einfach mit ihm? Du warst mit dem Kerl seit dem ersten Studienjahr zusammen. Ihr könnt euch ganz bestimmt miteinander unterhalten.“

Genau in diesem Moment näherte sich George eine hübsche Studentin aus dem zweiten Jahrgang und strich über seinen Arm, als sie miteinander sprachen. Quer durch den Raum konnte Jonathan nicht hören, was sie sagten. Aber als George seinen Arm um das Mädchen legte und es zur Tür führte, stand ihm der Schock vermutlich ins Gesicht geschrieben, denn Kathy vergaß alles über das Überprüfen ohne zu überprüfen und fuhr gerade rechtzeitig herum, um zu sehen, wie ihr Freund die Party mit einem anderen Mädchen verließ. Ex-Freund. Was auch immer.

„Oh, Kath, ich … ich bin sicher, es gibt dafür eine gute Erklärung. Vielleicht ist er …“

Verdammt. Jonathan hatte keine Ahnung, wie er den Satz beenden sollte. Er wusste nichts über Beziehungen und er wusste nicht viel über George. Ja, Kathy war Jonathans beste Freundin und sie war fast vier Jahre Georges Freundin gewesen, aber die beiden hatten nichts gemeinsam, sodass sie nur selten Zeit miteinander verbracht hatten.

George war ein beliebter Sportler, gesellig, freundlich und aufgeschlossen. Jonathan war ruhig, hielt sich abseits und hoffte, ohne Sticheleien von Mitschülern durch den Tag zu kommen. Er hatte oft gehört, wie Leute im Flüsterton tuschelten, dass er seltsam oder komisch sei. Tollpatschig und unkoordiniert waren auch sehr beliebte Begriffe. Aber es gab bestimmte Wörter, die sie vor allem verwendeten: Schwuchtel, Tunte, Homo und an guten Tagen schwul.

Diese Worte verfolgten Jonathan seit der Mittelstufe durch die Flure in der Schule und auf dem Spielplatz. Er war noch nie mit einem anderen Typen zusammen gewesen, hatte nicht einmal nach außen hin ein Interesse an einem anderen bekundet. Aber es stimmte. Jonathan wusste, dass es stimmte. Jedoch hatte er Angst davor, wie seine Familie darüber denken würde, deshalb behielt er dieses Wissen für sich.

„Ich kann nicht glauben, dass er gerade mit dieser Schlampe gegangen ist! Dieses betrügerische Arschloch! Ich wusste es! Ich wusste es einfach!“

Kathy schäumte über vor Wut. Die Fäuste geballt, stampfte sie mit ihren rosa glitzernden Stiefeln auf den Boden. „Fein. Er will dieses Spiel mit mir spielen. Ich kann mir auch einen anderen Kerl suchen!“

Sie warf ihre langen Haare über die Schulter und sah sich mit einem entschlossenen Glitzern in den Augen im Raum um. Jonathan musste sie stoppen, bevor sie etwas tat, das sie bereuen würde.

„Kathy, komm schon. Ich bring dich nach Hause und du kannst ihn anrufen und reden. Lass uns gehen.“

Sobald sie Jonathans Hand auf ihrem Arm fühlte, wandte Kathy sich ihm zu. Sie öffnete den Mund, um ihn anzuschreien, aber dann verzog sich ihre Wut und wurde zu einem beängstigenden Grinsen.

„Oh, das ist einfach zu perfekt. Gehen wir, Jon.“

Jonathan wollte Richtung Tür gehen, aber Kathy nahm seine Hand und zog ihn in die entgegengesetzte Richtung. „Wohin gehen wir? Die Vordertür ist da lang, Kath.“ Jonathan zeigte zum Ausgang.

„Wir verlassen diese Party nicht. Wir gehen ins Schlafzimmer, lassen die Tür einen Spalt offen und dann machen wir genug verdammten Lärm, dass Georges Jungs ihm ganz sicher erzählen werden, dass er nicht der Einzige ist, der etwas außerplanmäßigen Spaß haben kann. Komm, Jonathan.“

Zehn Minuten später war alles vorbei. Jonathan lag auf dem Bett des Gästezimmers, seine Hose und Unterwäsche bis zu den Knien heruntergeschoben, aber sonst noch komplett angezogen. Er trug sogar noch Schuhe. Kathy kletterte von ihm herunter und zog ihre Unterwäsche wieder unter ihren Rock. Er war gekommen, also sollte das bedeuten, dass er es genossen hatte, oder? Aber hatte er nicht. Hölle, Jonathan war nicht einmal sicher, was „es“ gewesen war. Kathy hatte ihn nur auf das Bett geschubst, ihm Jeans und Unterhose heruntergerissen, seinen Schwanz gestreichelt, bis er hart wurde, und ihn zum Ende geritten.

„Zieh deine Hose hoch, Jon. Wir können jetzt gehen.“

Kathy drehte sich zu ihm und sah ihm ins Gesicht. Jonathan war nicht sicher, was sie dort sah, aber zum ersten Mal schien sie zu erkennen, dass ihr Vorstoß nicht willkommen gewesen sein könnte.

„Oh Scheiße. Bist du in Ordnung, Jon? Ich dachte nicht, dass du etwas dagegen hättest. Ich meine, du bist ein Kerl und so. Es war nur Sex, nicht wahr?“

Er hob seine Hüften, zog seine Unterwäsche und Hose hoch und setzte sich im Schneidersitz auf das Bett. Dann sah Jonathan zu seiner Freundin, räusperte sich und sprach im Flüsterton.

„Ich, ähm, ich habe es noch nie getan, Kathy.“

Er hatte eigentlich noch nie irgendetwas getan. Kein Sex, keine Handjobs, nicht einmal ein Kuss. Nun, einen Kuss hatte es mit Kathy nicht gegeben, aber der Rest war alles brandneu.

Sie sah geschockt aus. Wahrscheinlich, weil sie Sex hatte, seit sie vierzehn war.

„Im Ernst?“

Verstehen und dann Bedauern huschten über ihr hübsches Gesicht. Sie ging zu Jonathan, setzte sich neben ihn auf das Bett und legte ihre Hand auf sein Knie.

„Jon, bist du … Ich meine, äh, diese Dinge, die sie sagen, ich dachte, es sei nur, weil du so hübsch bist, weißt du? Aber bist du …“

Hübsch? Jungs waren nicht hübsch. Ja, er hatte feine Gesichtszüge, lange Wimpern und eine schlanke Statur. Aber dennoch.

„Hey, ich sehe nicht aus wie ein Mädchen!“

Kathy kicherte und schaute auf den Schoß ihres Freundes.

„Oh, ich weiß, dass du kein Mädchen bist, Jonathan. Das habe ich gerade aus erster Hand erfahren.“

Jonathan kicherte.

„Ja, im Ernst. Ich glaube, du hast mich gerade so erschreckt, dass ich schwul geworden bin, Kath.“

Irgendwie hob das die Stimmung und Kathy lachte. Ungeweinte Tränen glänzten in ihren Augen.

„Du bist nicht sauer auf mich?“

War er sauer? Jonathan dachte darüber nach. Nein, er konnte Kathy nicht böse sein. Verdammt, ihm fiel es schwer, irgendjemandem länger böse zu sein. So war er einfach nicht.

„Nee, ich bin nicht böse. Wenigstens kann ich jetzt sagen, dass ich versucht habe, mich zum Hetero zu ficken. Ich werde es auf die Liste meiner Misserfolge setzen. So wie damals, als ich in der Little League gespielt und den Ball nicht ein einziges Mal während der ganzen Saison getroffen habe, nicht einmal beim Üben. Oder als ich dieses Wissenschaftsprojekt in der fünften Klasse hatte und ein Feuer entzündet habe, sodass die Sprinkleranlage anging.“

Kathy legte ihre Hände auf die Wangen ihres Freundes und fing seinen Blick ein. Ihre Stimme war ernst.

„Jonathan, es ist nichts falsch daran, schwul zu sein. Gar nichts. Wage es nicht, es Versagen zu nennen.“

Und das war nur ein Grund, warum sie seine beste Freundin war. Auch wenn sie ihn im Gästezimmer ihrer Klassenkameradin missbraucht hatte.

„Glaubst du, meine Eltern werden von mir enttäuscht sein?“ Jonathan kaute auf seiner Unterlippe und spielte mit einem losen Faden an seinem Hemd. Er wollte nicht wie ein kleines Kind klingen, aber er hasste den Gedanken, seine Eltern zu verärgern. Er hasste den Gedanken, irgendjemanden zu verärgern.

„Nee. Ich glaube wirklich nicht, dass sie enttäuscht sein werden. Wenn du willst, komme ich zu dir rüber, wenn du es ihnen erzählst.“

„Danke, Kath. Ich bin noch nicht so weit, aber ich werde es dich wissen lassen.“

Kathy stand auf und ging zur offenen Tür.

„Okay. Gehen wir, Jonny Boy. Wir müssen morgen für die Reise früh aufstehen.“

Am nächsten Tag holte Kathys Mutter Jonathan ab und brachte sie beide zum Flughafen. Ihre Theaterlehrerin nahm die Absolventen mit auf einen dreitägigen Ausflug zum Broadway. Kathy war die Hauptdarstellerin in ein paar Stücken gewesen und hatte wichtige Rollen in einigen anderen gespielt. Jonathan hatte beim Kulissenbau geholfen.

New York machte Spaß und Jonathan hatte es geschafft, fast die gesamte Reise relativ frei von Schwierigkeiten zu meistern.

Am letzten Tag saßen er und Kathy auf dem Boden ihres Hotelzimmers und beratschlagten, wie sie die Reise abschließen wollten.

„Wir haben an unserem letzten Tag einen freien Morgen, Jonathan. Was willst du machen? Vielleicht kommen wir in eine dieser verrückten New Yorker Bars rein!“

Jonathan rollte mit den Augen und schaute in die Prospekte von Museen und Denkmälern, die um ihn herum verstreut lagen, blätterte durch jeden einzelnen und studierte alle aufmerksam.

„Kathy, es ist acht Uhr morgens. Bars sind wahrscheinlich noch nicht geöffnet, auch nicht in New York. Außerdem ist keiner von uns alt genug, um hineinzukommen.“

Kathy schmollte und öffnete den Mund, um zu antworten, als sie beide Miranda LambertsKerosene quer durch den Raum hörten.

Well, I’m giving up on love, hey, love’s given up on me.

Jonathan hob die Augenbrauen. „Hast du Georges Klingelton geändert?“

Sie errötete. „Warum ruft mich das Arschloch an?“

Jonathan lächelte sie verständnisvoll an. „Er ist kein Arschloch, Kath. Und du liebst ihn immer noch. Ich werde mir die Freiheitsstatue ansehen und dir ein wenig Privatsphäre gönnen, damit ihr zwei reden könnt.“

Kathy widersprach nicht. Sie schlich zu ihrem Telefon und sah es an wie eine Schlange, die sie beißen könnte. Nach ein paar Sekunden richtete sie ihren Körper auf, furchte die Stirn und nahm den Anruf entgegen.

„Was willste?“

Jonathan verließ das Zimmer mit ein paar Broschüren in der Hand und wartete, bis die Tür geschlossen war, bevor er zu lachen begann. Er verstand nicht, was zwischen seiner Freundin und ihrem Freund los war, aber er wusste, dass George sie liebte. Ehrlich gesagt war er überrascht, dass es so lange gedauert hatte, bis der Typ anrief. Die einzige Frage war nun, wie lange Kathy ihn leiden ließ, bevor sie ihm vergab, was auch immer er falsch gemacht hatte.

Jonathan trat aus dem Hotel und bahnte sich seinen Weg durch die überfüllten Straßen von New York. Bis sein Leben auf den Kopf gestellt wurde, das hieß, eigentlich wurde nur sein Körper auf den Kopf gestellt, als er auf der Treppe hinunter zur U-Bahn strauchelte. Zum Glück verletzte er sich nicht ernsthaft, aber er hatte sich sein Handgelenk verstaucht, sodass die Sanitäter ihn zum Röntgen ins Krankenhaus brachten. Der Arzt bestätigte, dass nichts gebrochen war, legte Jonathans Handgelenk in eine Schlinge und entließ ihn.

Weil er schon achtzehn und rechtlich ein Erwachsener war, hatte das Krankenhaus niemanden informieren müssen. Aber Jonathan wollte nicht, dass seine Lehrerin sich sorgte, darum rief er sie an, um zu erklären, wo er war.

Als sein Handgelenk verbunden war, stieg er in den Aufzug, um das Krankenhaus zu verlassen und zurück zum Hotel zu gehen. Natürlich erwischte er den falschen Knopf und stieg im falschen Stockwerk aus. Als er erkannte, dass er auf der Entbindungsstation statt in der Lobby gelandet war, stand Jonathan bereits vor dem Neugeborenenzimmer. Fasziniert beobachtete er einen Mann hinter der Glasscheibe.

Der Mann trug einen dieser blauen Krankenhauskittel über seiner Straßenkleidung, saß in einem Schaukelstuhl und hielt ein kleines Baby in einer blau-rosa gestreiften Decke eingewickelt. Sein Haar hatte eine tiefschwarze Farbe, seine Haut war hell und seine Augen … Wow, diese Augen. Sie waren schön, glänzend dunkelblau, wie Jonathan es noch nie zuvor gesehen hatte, sich nicht einmal hätte vorstellen können. Jonathan hätte in diesen Augen ertrinken können.

Wie erstarrt stand er in dem Krankenhausflur und starrte diesen hinreißenden Mann an. Er konnte es durch das Glas nicht hören, aber es sah aus, als wenn der Mann dem Baby, das er schaukelte, vorsang. Und Tränen rannen dieses so perfekte, kantige Gesicht hinunter. Jonathan wollte zu dem blauäugigen Mann hingehen und auf seinen Schoß kriechen, ihm seine Tränen wegwischen. Er wollte dieses weiche, schwarze Haar fühlen, seinen Kopf auf diese breite Brust betten und dem Herzschlag dieses Mannes lauschen. Er wollte sich um diesen Mann kümmern, damit er nie wieder weinen müsste. Die Zeit stand still, als Jonathan seine Zukunft mit dem blauäugigen Mann hinter dem Fenster sah.

„Jonathan Doyle! Da bist du ja.“

Jonathan drehte den Kopf in Richtung des Aufzugs und sah, wie seine Lehrerin panisch auf ihn zurannte.

„Du hattest gesagt, du kommst direkt zurück zum Hotel. Als du nicht kamst, rief ich das Krankenhaus an und sie haben gesagt, du seist schon vor Stunden entlassen worden. Gott sei Dank bist du okay. Wo bist du diesmal hineingeraten, mein Lieber?“

Seine Lehrerin schaute auf seinen Arm und berührte sanft die Schlinge. Jonathan sah auf die Uhr an der Krankenhauswand und erkannte, dass drei Stunden vergangen waren. Es hatte sich nur wie wenige Sekunden angefühlt, aber er hatte mehr als drei Stunden seinen Traummann angestarrt! Als er wieder durch das Kinderzimmerfenster sah, war der Mann verschwunden. Es war, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Jonathans Herz schmerzte wegen des Verlusts und er hatte Mühe, Luft in seine Lungen zu bekommen. Er zwang sich, runterzukommen, und antwortete seiner Lehrerin: „Oh, sorry, Mrs. Burns. Ich wollte sie nicht beunruhigen. Ich bin im falschen Stock ausgestiegen und dann habe ich das Zeitgefühl verloren.“

„Es ist in Ordnung, mein Lieber. Ich verstehe.“

Mrs. Burns kannte Jonathan seit seinem ersten Studienjahr, sodass sie keine Fragen mehr stellte, wenn er sich selbst mal wieder in eine missliche Lage gebracht hatte. Sie berührte seinen unversehrten Arm und ging mit ihm zum Aufzug. Gemeinsam verließen sie das Krankenhaus und gingen zu einem draußen wartenden Taxi.

„Kathy hat deine Tasche gepackt, Jonathan. Wir müssen direkt zum Flughafen, um unseren Flug zu erreichen.“

Er nickte, aber alles, woran er denken konnte, war dieser Mann. Der hinter der Glasscheibe. Der Mann mit diesen erstaunlichen marineblauen Augen.

Als Jonathan wieder nach Hause, nach Emile City, kam, hatte er sich einige Begründungen ausgedacht, warum er nach seinem Abschluss nach New York umziehen sollte. Seine Argumentation beinhaltete, seine Berufung in der Stadt zu finden, in der alles möglich war, die Musikszene zu erkunden, weil er Musik liebte. Wen interessierte das? Es war Quatsch und Jonathan wusste das. Er hatte keine Berufung. Er hatte nie Interesse an irgendeiner bestimmten Sache gehabt. Er war eindeutig immer nur Durchschnitt gewesen, in jedem Fach und jeder Aktivität.

Die Wahrheit war, dass Jonathan nach New York ziehen wollte, weil er dort lebte. Jonathan wollte ihn treffen. Er musste ihn kennenlernen. Diesen schönen, markanten Mann mit den dunkelblauen Augen. Diesen offensichtlichen Heteromann, der gerade ein Baby bekommen hatte. Den Mann, in den Jonathan sich auf den ersten Blick verliebt hatte.

KAPITEL ZWEI

Nach dem Abschluss in der folgenden Woche packte Jonathan seine Sachen zusammen, nahm das Geld, das er im Restaurant seiner Familie verdient hatte, und brach auf in sein neues Leben in New York City. Er bekam ein Zimmer in einem billigen Hostel und fand einen Job als Tellerwäscher. Die Arbeit und die Bemühungen, seinen Traummann zu finden, waren erschöpfend. Das Positive daran war, dass er zu müde war, um darüber niedergeschlagen zu sein, dass er ihn nicht gesehen hatte und auch nicht wirklich wusste, wo er ihn suchen sollte – den schönen Mann mit den intensiven blauen Augen, dessen Bild sich in Jonathans Gedächtnis gebrannt hatte. Die Kehrseite war, dass Jonathan einsam war. Zutiefst einsam.

Tage wurden zu Wochen und Wochen zu Monaten, aber egal, wie intensiv er suchte, Jonathan konnte diesen Mann nie finden. Wie bei allem anderen in seinem Leben funktionierte sein Plan, Mr. Right zu finden und gemeinsam in den Sonnenuntergang zu reiten, nicht wirklich. Und dann schaffte er es, alles noch schlimmer zu machen.

Es begann mit einem Telefonanruf mitten in der Nacht.

„Jonathan?“

Ihre Stimme war kaum ein Flüstern, aber Jonathan erkannte sie.

„Ja, Kathy. Was ist los?“

Er versuchte sich mit seiner freien Hand den Schlaf aus den Augen zu reiben, während er sich auf der dünnen Matratze aufsetzte, und zuckte zusammen, als eine Feder sein Bein berührte. Dann lehnte er sich gegen die bröckelnde Wand. Ein kurzer Blick auf seinen Wecker sagte ihm, es war fast Mitternacht. Warum rief Kathy an?

„Ist wieder etwas mit George passiert?“

Kathy und George waren vor etwa einem Monat wieder zusammengekommen. Er hatte sich in der Army verpflichtet und mit einem Verlobungsring vor Kathys Tür gestanden. Sie hatte angenommen. Jonathan hatte nie herausgefunden, was ihre Trennung überhaupt erst verursacht hatte.

„Nein, George geht’s gut. Uns beiden.“

Es lag eine gespenstische Stille in der Leitung und dann kam wieder die geflüsterte Stimme.

„Jonathan, es tut mir so leid. Es ist alles meine Schuld. Ich wollte es nicht, aber … Scheiße, ist das schwer.“

„Kathy? Bist du in Ordnung? Was ist los?“

Ein langer Seufzer und dann: „Ich bin schwanger und du bist der Vater.“

Nun war es an Jonathan, zu schweigen. Sein Mund klappte auf und er hörte auf zu denken.

„Scheiße. Es tut mir leid, Jonathan. So wollte ich dir das nicht erzählen. Ich wollte mich herantasten, aber dann dachte ich, dass die Pflaster-Methode vielleicht am besten wäre. Du weißt schon, es einfach abreißen.“

Immer noch keine Antwort von Jonathan. Sein Gehirn erwachte und begann gerade damit, die Ungeheuerlichkeit zu verarbeiten, die Kathy ihm gesagt hatte.

„Schau mal, du brauchst nichts zu machen. Ich war ein Idiot und habe nicht einmal darüber nachgedacht, was passiert ist, bis ich für meinen Jahrescheck zur Ärztin gegangen bin und sie mich gefragt hat, wann meine letzte Periode war. Ich pinkelte auf einen Streifen und voilà! Ein Baby ist unterwegs. George und ich werden heiraten und wir ziehen für seine Grundausbildung nach Kentucky. Er will das Baby eines anderen Kerls nicht mitnehmen, was ich völlig verstehe. Jetzt ist es zu spät, um etwas dagegen zu unternehmen, also gebe ich es zur Adoption frei. Wie dem auch sei, ich werde dir einige Papiere schicken, du unterschreibst sie und in etwa vier Monaten können wir vergessen, dass das jemals passiert ist.“

Ihre ganze Rede dauerte etwa 30 Sekunden, das war ungefähr genauso lang, wie sie ihm Zeit gab zu reagieren.

„Jonathan? Sag was.“

Sein Mund stand noch offen, aber es kamen keine Worte raus.

„Jonathan, ich weiß, dass du da bist. Ich höre dich atmen.“

Wirklich? Er atmete noch? Nun, das war ein gutes Zeichen. Er räusperte sich und schaffte es, ein paar Worte herauszuquetschen.

„Ich muss darüber nachdenken, Kathy.“

„Ja, ich weiß. Es wird ein wenig dauern, dir die Sachen zukommen zu lassen. Es sind eine Menge Papiere und ich habe sie nicht elektronisch, deshalb muss ich die Briefpost nutzen. Wie ist deine Adresse?“

Jonathan versuchte, deutlicher zu werden.

„Das ist nicht das, was ich meinte. Kathy, ich muss darüber nachdenken, ob ich bereit bin, das Baby zur Adoption freizugeben. Ich … ich weiß nicht, ob ich das tun kann.“

Nach einem lauten Seufzen von Kathy herrschte eine Weile lang peinliche Stille zwischen ihnen.

„Wenn du das Baby behältst, Jonathan, wird das auf eigene Faust sein. Ich verzichte auf meine Rechte. So nennen sie es, wenn du diese Papiere unterschreibst. Es wird so sein, als wäre ich nie Mutter gewesen. Es tut mir leid. Ich weiß, es klingt herzlos, aber diese ganze Nacht war ein dummer Fehler. George ist mein Leben. Wir werden heiraten. Wir werden unsere eigenen Kinder haben. Und er will kein Kind um sich, das ihn an diese Zeit erinnert.“

„Ich verstehe, Kath. Ich gebe George keine Schuld. Und ich glaube nicht, dass du herzlos bist. Ich brauche nur ein wenig Zeit, um das alles zu verarbeiten.“

Es war komisch, aber als Jonathan auflegte, hatten die Angst und der Herzschmerz, die er fühlte, nichts mit der Sorge zu tun, dass er seine Eltern enttäuschen würde oder dass er zu jung und unstet war, um ein Baby zu haben. Nein. Das Einzige in seinem Kopf war, dass diese wunderschönen dunkelblauen Augen nie ihm gehören würden.

Den Mann aus dem Krankenhaus zu finden war ziemlich hoffnungslos und er war wahrscheinlich sowieso nicht schwul, oder wenn er es war, war er wahrscheinlich schon mit jemand anderem zusammen. Aber ein Mann mit einem Baby … Wer würde das wollen? Es war der letzte Nagel im Sarg, der jede Hoffnung begrub, dass Jonathan mit seinem Traumtypen zusammenkommen würde.

Dieser Verlust und diese Trauer, zusammen mit der allgegenwärtigen Einsamkeit, waren es, die Jonathan umgeben hatten, seit er nach New York gezogen war – oder, wenn er wirklich ehrlich war, hatte ihn die Einsamkeit sein ganzes Leben lang begleitet. Dies brachte ihn dazu, sich Kleidung überzuwerfen, die schäbige Herberge zu verlassen und in die erste schwule Bar zu gehen, die er finden konnte. Er war noch keine zwei Minuten dort, als ein ganz passabel aussehender, vielleicht etwas schmieriger Kerl auf ihn zu stolzierte.

„Ich bin Ray und du bist schön.“

Diese Art von Kitschigkeit hätte ihn zum Erbrechen bringen sollen. Aber Jonathan, der niemals verstanden hatte, wie außergewöhnlich attraktiv er war, fühlte sich geschmeichelt, dass jemand dachte, er wäre einen zweiten Blick oder sogar eine Unterhaltung wert, darum sprach er mit Ray. Nach zwanzig Minuten lud Ray Jonathan in seine Wohnung ein, sodass sie in einer ruhigeren Umgebung sprechen konnten. Das war eine ziemlich offensichtliche Anmache, nicht wahr? Nun ja, Jonathan bekam es nicht mit.

Jonathan konnte später nicht nachvollziehen, was passiert war, nachdem sie Rays Wohnung betreten hatten. Es war alles verschwommen, getrübt durch die Einsamkeit und Trauer darüber, die Hoffnung zu verlieren, jemals mit ihm zusammen zu sein. Und es fühlte sich so gut an, dass ihn ein Mann berührte, streichelte und ihn wollte. Also ging Jonathan einfach mit ihm. Er hatte so lange gewartet, oder zumindest erschien es seinem achtzehnjährigen Verstand so. Er war es leid, einsam zu sein, er hatte den Mann mit den marineblauen Augen nicht gefunden und sein Traummann würde ihn jetzt sowieso nicht mehr wollen.

Also hatte Jonathan Sex mit diesem Fremden. Auch ohne Küsse und Worte der Zuneigung fühlte sich der Akt selbst gut an. Zumindest der erste Teil. Doch als sie fertig waren, brachte Ray Jonathan schnell zur Tür, ohne sich zu erklären oder zu entschuldigen.

Danach meldete er sich mehrere Tage nicht bei Jonathan und als er es schließlich tat, war es nicht, um eine neue Verabredung zu vereinbaren.

„Ich brauche dich hier. Erinnerst du dich, wo ich wohne?“

Jonathan wollte das Angebot ablehnen, aber Ray war hartnäckig und Jonathan wollte ihn nicht verärgern. Also klopfte er tatsächlich an die Tür zu Rays Wohnung und wusste, dass er für nichts anderes als einen schnellen Fick eingeladen worden war. Er machte sich selbst nichts vor, dass jemals mehr zwischen ihnen laufen könnte. Die Sache war, dass es Jonathan nicht mehr kümmerte. Es schien, als wäre sein Leben vorbei, so wie es war; er würde niemals sein eigenes Märchen erleben. Er würde seinen Eltern erklären müssen, dass er schwul und Single war, unverheiratet und jugendlicher Vater. Und er würde nie mit ihm zusammen sein, also konnte er auch genauso gut Sex mit Ray haben. Wenigstens ließ ihn das etwas anderes als Leere und Verzweiflung spüren. Für den Moment jedenfalls.

„Hey, James.“ Rays aalglattes Lächeln begrüßte Jonathan und sein Magen hob sich.

„Ich heiße Jonathan.“

„Ganz recht. Jonathan. Wie auch immer. Komm rein.“

Jonathan dachte daran, sich umzudrehen und ins Hostel zurückzukehren. Was tat er hier? Aber er wollte nicht unhöflich sein, deshalb folgte er Ray in die winzige Wohnung.

„Ich habe aufregende Neuigkeiten! Setz dich auf die Couch.“

Jonathan schlurfte zu der fleckigen Couch und runzelte verwirrt die Augenbrauen, als Ray sich mit einem Laptop neben ihn setzte, ein paar Knöpfe drückte und auf den Bildschirm deutete. Das waren sie, nackt wie am ersten Tag ihrer Geburt, Jonathan auf seinen Händen und Knien und Ray hinter ihm.

„Du … hast uns beim Sex gefilmt?“, rief er entsetzt.

„Ja, ich dachte, es wäre nur für mich. Aber ich habe es meinem Kumpel gezeigt und der meinte, wie heiß du bist, und sagte, er würde uns was dafür bezahlen. Du musst nur die Freigabe unterzeichnen. Der einfachste Weg, hundert Dollar zu machen!“

Jonathan war schockiert. Er war nur noch nicht sicher, ob über sich oder Ray.

„Nein! Ich kann das nicht. Was passiert, wenn das jemand erfährt, den ich kenne? Was passiert, wenn meine Eltern das sehen?“

Ray rollte mit den Augen.

„Ach, komm schon. Schauen deine Eltern schwule Amateurpornos? Wie sollten sie das jemals herausfinden? Wir denken uns einfach einen Namen für dich aus und sagen meinem Kumpel, dass er den für den Film verwendet. Kein Schaden, alles gut.“

„Ich …“ Jonathan schüttelte wütend den Kopf und versuchte die Kontrolle über seine Gefühle und die Situation wiederzuerlangen. Das war schlecht. Wirklich, wirklich schlecht. „Ray, das kann ich nicht tun.“

Rays Aufregung wandelte sich in Zorn und er sah Jonathan böse an.

„Sieh mal, kann sein, dass du ein reicher Junge bist, aber ich brauche das Geld. Ich gebe dir hundertfünfzig. Das ist die Hälfte, sodass ich nicht mal was für das Filmen bekomme.“

Richtig, weil es ja so eine schwierige Arbeit war, eine Kamera in seinem Schlafzimmer zu verstecken. Jonathan wusste, dass seine Zustimmung eine schlechte Idee war, aber er konnte sich nicht dazu durchringen, sich mit dem größeren, älteren und selbstsicheren Mann anzulegen. Also unterschrieb er widerwillig, als Ray ihm einen Stift reichte und die Freigabe zuschob.

„Du denkst dir einen falschen Namen aus?“

Ray ging quer durch den Raum, um sein Telefon zu holen. „Ja sicher. Wir werden deinen Porno-Namen verwenden. Wie lautet der?“

„Mein Porno-Name?“

Ray verdrehte verärgert die Augen. „Ja, du weißt doch, dein zweiter Vorname und der Name deines ersten Haustieres. Dein Porno-Name.“

Wusste so was jeder? War Jonathan wirklich so naiv? Wahrscheinlich.

„Ähm. Mein mittlerer Name ist William. Und mein erstes Haustier war eine Drossel namens Dragon.“

Ray drückte die Tasten auf seinem Telefon und schenkte dem, was Jonathan sagte, nur minimale Beachtung. „Großartig. Will Dragon. Ein perfekter Porno-Name.“

Er hielt den Zeigefinger in die Luft und konzentrierte sich auf das Telefon.

„Hey Mann. Er hat unterschrieben. Wann können wir unseren Scheck bekommen?“ Eine Pause, während Ray niemand Bestimmtem zunickte. „Cool. Wir sind jetzt hier. Ich werde ihm sagen, dass er warten soll.“

Er beendete das Gespräch und wandte sich an Jonathan. „Warte hier, dann bekommen wir unser Geld.“

Jonathan wollte gehen. Ja, er könnte die hundertfünfzig Dollar gebrauchen, vor allem mit der ganzen Vaterschaftssache, die ihm bevorstand. Aber sein Bauch sagte ihm, dies als Verlust zu verbuchen und zu verschwinden. Er stand von der Couch auf.

„Ich geh jetzt, Ray. Ich ruf dich später wegen des Geldes an.“

Er wollte nur irgendetwas sagen. Die Wahrheit war, er würde niemals anrufen, weil er diese Wohnung verlassen und so tun wollte, als hätte er Ray nie getroffen.

„Nein, geh nicht. Mein Kumpel sagte, dass er mit dir reden will. Bleib noch ein paar Minuten. Er ist direkt die Straße runter.“

Ray war so hartnäckig und wirklich, was wusste Jonathans Bauch schon? War das nicht der, der ihm gesagt hatte, dass der blauäugige Mann der Eine sei? Es schien nun ziemlich klar, was für ein Reinfall diese Idee gewesen war. Also gab Jonathan Rays Forderung nach und blieb und wartete. Er setzte sich wieder auf die Couch.

„Oh, okay.“

Was wäre schon schlimm daran, seinen Freund zu treffen?, dachte Jonathan, während er nervös mit dem Fuß wippte und auf seiner Unterlippe kaute.

Eine Stunde später hatte Jonathan Rays Freund getroffen und vereinbart, in einem weiteren Film mitzuspielen. Mit höherem Anspruch diesmal und für mehr Geld. Er war aus der Wohnung raus und rein in ein improvisiertes Studio, hatte sich ausgezogen, auf den Rücken gelegt und die Fußknöchel bis zu den Ohren hochgezogen, bevor er wusste, was geschehen war.

Irgendwie war es auch nicht schlimmer, mit einem Fremden Sex zu haben, während ein paar andere Jungs herumstanden und filmten, als Sex mit Ray zu haben. Der Akt fühlte sich immer noch gut an. Jonathan konnte nicht leugnen, wie sehr er es genoss, gefickt zu werden. Und wenn er sein Herz verschließen und sein Gehirn zwingen musste, das Denken einzustellen, na ja, dann konnte er das machen. Oder zumindest konnte er es versuchen.

Nach diesem Tag schien es ihm nichts mehr auszumachen, Sex vor der Kamera zu haben. Er hatte es schon einmal getan, was spielte ein zweites Mal für eine Rolle? Oder ein drittes Mal? Oder ein viertes? Er war mit einem Mann im Bett gewesen, was machten schon zwei aus? Oder drei? Oder mehr?

Zwei Monate später war Jonathan fast empfindungslos. Er hatte seinen Job im Restaurant aufgegeben und damit aufgehört, seine Tage mit der Suche nach Mr. Right zu verbringen, wohl wissend, dass der blauäugige Mann ihn sowieso nicht wollen würde. Stattdessen widmete er seine Zeit dem Sex mit Fremden, während andere Fremde ihn filmten. Und er hasste sich selbst dafür, etwas Spaß bei dem Akt zu finden, trotz der Tatsache, dass er wusste, wie trist dieses Leben war.

Dann, eines Tages, passierte etwas, das er als ersten Glückstreffer seines ganzen Lebens betrachtete: Jonathan war bei der Arbeit, hing in einem Sling und war umgeben von Männern, die sich abwechselnd mit seinem Mund und seinem Arsch beschäftigten, als ein lautes Geräusch alle Anwesenden zusammenzucken ließ. Polizisten drangen in das Studio ein. Doch Jonathan verzog keine Miene, als sie seinen mit Sperma bedeckten Körper angewidert ansahen. Typisch, dachte er. Natürlich platzte dieser Haufen Alpha-Männchen genau in diesem Moment rein.

Er schloss die Augen, um den Spott und das Grinsen auszusperren, mit dem er konfrontiert war. Es war nicht möglich, einige der fiesen Kommentare zu ignorieren, die an ihn gerichtet waren, aber er hatte wirklich nichts anderes erwartet. Nur ein weiteres Mal, dass er es geschafft hatte, sich zu blamieren. Wenigstens hatte er nichts Illegales gemacht. Diese Filme zu drehen war doch nicht illegal, oder?

KAPITEL DREI

Als Jonathan die Augen öffnete, stand ein wunderschöner Mann über ihn gebeugt. Stechend grüne Augen musterten ihn aus einem grimmigen, aber auffallend hübschen Gesicht, welches zu einem der attraktivsten Körper gehörte, die Jonathan je gesehen hatte. Er kletterte aus dem Sling und suchte das Badezimmer auf. Dort wusch er das letzte bisschen Sperma aus seinen Haaren, als Officer Hottie hereinkam und einen Haufen Kleidung auf den Boden fallen ließ.

„Zieh dich an und dann können wir reden. Wie heißt du, Kumpel?“

Oh nein! Jonathan geriet in Panik. Wenn er einem Polizeibeamten seinen Namen nannte, würde alles offiziell werden und seine Eltern würden es bestimmt herausfinden.

„Will Dragon?“

Vielleicht würde der Typ es ihm abkaufen. Es klang fast wie ein normaler Name. Und es war der, der auf allen Filmen stand.

„Verschon mich damit. Ich möchte deinen richtigen Namen.“

Verdammt. Na ja, Jonathan hatte nicht wirklich gedacht, dass es funktionieren würde. Er seufzte und ließ die Schultern hängen. „Jonathan. Ich heiße Jonathan Doyle.“

Statt seinen Namen aufzuschreiben und ihm Handschellen anzulegen oder sonst etwas, lächelte der Polizist und legte seinen Arm schützend um Jonathans Schulter.

„Schön, dich kennenzulernen, Jonathan. Ich bin Detective Owens. Zieh dich an und ich werde dir zur Entschuldigung für das Benehmen dieses Arschlochs ein Mittagessen spendieren.“

Jonathan war verwirrt. Welches Arschloch? Der andere Polizist? Sicher, er war nicht sehr nett gewesen. Okay, er war unverschämt gewesen, wenn Jonathan ehrlich war, aber na und? Es war ja nicht das erste Mal, dass ein Mann sich über ihn lustig gemacht hatte. Und es würde sicherlich nicht das letzte Mal sein.

„Die Cops sind nicht die bösen Jungs, Kumpel. Ich werde hier draußen auf dich warten.“

Als Jonathan in seine Hose schlüpfte und sein Hemd überzog, fragte er sich, was der Detective von ihm wollte. Er war eindeutig nicht schwul, also konnte es kein Sex sein. Na ja, Mittagessen klang auf jeden Fall gut. Jonathan hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen.

Wie sich herausstellte, bekam Jonathan viel mehr als nur ein Mittagessen von Detective Owens. Der wunderschöne Kerl war ein guter Zuhörer. Jonathan erzählte ihm, wie lange er in New York lebte, warum er hergezogen war, wie lange er Pornos machte und dass er im Begriff war, Vater zu werden. Es fühlte sich gut an, mit jemandem zu sprechen, der wirklich zuhörte und ihn nicht zu verurteilen schien. Jonathan fühlte sich so wohl bei Detective Owens, dass er ihn beim Wort nahm, als dieser ihm anbot, ihm dabei zu helfen, sein Leben in Ordnung zu bringen und jemand zu werden, der des Babys würdig war. Der erste Schritt war, die Arbeit für das Studio aufzugeben, denn ob er wollte oder nicht, er würde Vater werden.

Nachdem Samuel geboren wurde, verbrachte Jonathan eine Woche in Emile City. Seine Eltern flehten ihn praktisch an zu bleiben, aber Jonathan war wieder davon beflügelt, seinem Traum zu folgen und den Mann mit den dunkelblauen Augen zu finden. Deshalb kehrte er nach New York zurück, mit seinem Sohn im Schlepptau, und der wieder erwachten Hoffnung, endlich seinen Seelenpartner zu finden.

Sein Leben war anders als das erste Mal, als er seine Reise in Angriff genommen hatte. Die Einsamkeit war immer noch da, aber sie führte nicht länger zu Leichtsinn. Er hat endlich eine Chance gefunden – er hatte einen Sohn, einen wunderbaren und wunderschönen Sohn, den er verehrte. Und er war zum ersten Mal in seinem Leben in etwas gut. Er war ein guter Vater. Jeder, der Jonathan mit Sam sah, sagte das. Und das Lächeln auf dem Gesicht seines Babys, wenn sein Papa ins Zimmer kam, log nicht.

So arbeitete Jonathan hart – dieses Mal angezogen – und zog den Jungen groß. Und er nahm seine Suche nach dem Einen wieder auf. Er sorgte dafür, bestimmte Regeln zu befolgen. Er ging nicht in Bars, um Männer zu treffen. Obwohl Frauen und Männer gleichermaßen oft versuchten, ihn abzuschleppen. Aber er weigerte sich, mit einem Mann nach Hause zu gehen, den er gerade erst kennengelernt hatte. Und er weigerte sich, Sex mit jemandem zu haben, nur weil der Jonathan eine gute Geschichte erzählte und vorübergehend seine Einsamkeit vergessen ließ. Jonathan wartete auf Mr. Right und wann immer er sich ihn und ihr perfektes, romantisches Leben zu zweit vorstellte, hatte Mr. Right diese schönen dunkelblauen Augen, die Jonathan durch das Kinderzimmerfenster im Krankenhaus gesehen hatte.

***

Fast drei Jahre später war Jonathan bereit, aufzugeben. Er war es leid, allein zu sein. Er hatte in der Hoffnung, seinen Seelenverwandten zu finden, seine Familie verlassen, war in die andere Ecke des Landes gezogen. Doch stattdessen hatte er einen kurzen Auftritt als Schauspieler in nicht jugendfreien Filmen gehabt, dem zweieinhalb Jahre des Zölibats gefolgt waren. Es schien, als ob das alles keinen Sinn hätte. Jonathan begriff, dass er genauso gut auch nach Hause gehen könnte, wo er und Samuel Familie hatten, wenn er sowieso allein sein würde. Und wenn er ihre paar Habseligkeiten bald zusammenpackte, wäre er rechtzeitig zu Thanksgiving zurück.

Also zogen er und Sam zurück nach Emile City und in sein altes Zimmer im Haus seiner Eltern. Er versprach sich und seinen Eltern, dass es nur vorübergehend war, dass er ausziehen würde, sobald er ein wenig Geld gespart hätte. Der beste Weg, das zu tun, war in seinen alten Job zurückzugehen und in der Küche des Familienrestaurants zu arbeiten, also tat er das. Und so kam es, dass Jonathan sich in einem nur unmerklich weniger einsamen Leben wiederfand. Na ja … zumindest war sein Sohn bei der Familie. Das war eine Verbesserung gegenüber New York.

Am Abend seines zweiundzwanzigsten Geburtstags boten ihm seine Eltern an, auf Sam aufzupassen, damit er mit Freunden feiern gehen konnte.

„Wir passen heute Abend auf Samuel auf, Schatz. Du hattest seit Jahren keine Nacht für dich. Mach dich auf, amüsier dich und lass uns Großeltern sein. Du kannst mein Auto haben.“ Jonathans Mutter ließ ihren Autoschlüssel vor ihm baumeln. Ihre warme Stimme war voller Sorge.

Er wollte seine Eltern nicht beunruhigen und brachte es nicht übers Herz, ihnen zu sagen, dass er gar keine Freunde hatte, deshalb lieh Jonathan sich ihr Auto und fuhr in die Innenstadt von Emile City West. Dies war ein Stadtteil, den er immer gemocht hatte, voller großer Bäume, gepflasterter Gehwege und gleichgeschlechtlicher Paare, die Hand in Hand herumschlenderten. Hier zu sein gab Jonathan Hoffnung, eines Tages genauso glücklich zu werden. Dass er vielleicht nicht immer allein sein würde.

Er bummelte durch einige Geschäfte, um Zeit totzuschlagen, aber er hatte kein Geld übrig, um es auszugeben, sodass diese Beschäftigung nicht allzu lange dauerte. Und dann stand er plötzlich vor einem roten Backsteingebäude mit einem handgefertigten Schild mit der Aufschrift Where Cowboys Dream. Er war seit jener verhängnisvollen Nacht in New York nicht mehr in einer Bar gewesen, aber etwas in seinem Bauch, oder vielleicht war es sein Herz, sagte ihm, er solle reingehen. Dieser Bauch hatte geschwiegen, seit er ihn an diesem tragischen Tag in New York ignoriert und seine „Karriere“ begonnen hatte, deshalb dachte Jonathan, er sollte diesmal vielleicht darauf hören.

Die Bar war originell und gemütlich. Sie hatte rohe Ziegelwände, dicke Vorhänge und alte Lederbänke. Jonathan schlüpfte aus seinem Mantel, rutschte in eine abgewetzte Nische und ließ seine Hände über den Holztisch gleiten, fühlte die Furchen und Narben. Der Tisch hatte etwas merkwürdig Beruhigendes, oder vielleicht war es die ganze Bar. Ein Gefühl von Frieden legte sich über Jonathan, das er nicht mehr seit jenem Tag im Krankenhaus gefühlt hatte, als er das Zeitgefühl dabei verloren hatte, durch das Kinderzimmerfenster zu starren.

„Hallo. Ich dachte, du könntest einen Drink gebrauchen. Ich bin Nick.“

Jonathan sah einen großen Mann mit einer irre breiten Brust, die versuchte, das viel zu enge T-Shirt zu sprengen, das über Zahnstocher-Beinen hing. Der Mann schob ein Bier vor Jonathan und quetschte sich dann in die Nische. Er rutschte direkt neben ihn und ließ ihm keinen persönlichen Raum. Jonathan drückte sich so weit er konnte an die Wand.

„Oh, äh, danke. Ich bin Jonathan.“

Er streckte seine Hand aus, um ein wenig Platz zwischen ihren Körpern zu schaffen. Er hoffte, dass Nick den Hinweis verstehen würde und auf seiner Seite der Bank bliebe.

„Jonathan, aha. Fein.“

Er grinste, als er das sagte, was Jonathan nicht verstand. Die ganze Situation machte ihn nervös, also griff er das Bier, hob es zum Mund und trank es aus. Der Geschmack war bitter und ungewohnt, aber zumindest beschäftigte es ihn für ein paar Minuten. Jonathan bemerkte Nicks erhitzten Blick auf seinem Körper und zappelte unbehaglich.

„Schau mal, ähm, danke für das Bier, aber ich bin nicht, ähm …“

Wow. Was konnte er sagen, um den Kerl loszuwerden, ohne seine Gefühle zu verletzen? Jonathan fühlte sich leicht panisch, so in diese Nische gedrückt zu werden, und sein Gesicht errötete vor Angst.

Nick rieb mit seiner Hand grob Jonathans Arm hoch und runter, bewegte sich dann zu seinem Knie, seinem Oberschenkel und kroch höher. Jonathan ergriff Nicks Hand, um deren Pfad nach oben zu stoppen.

„Bitte nicht. Schau, ich kenne dich nicht und ich habe kein Interesse, ähm, mit dir rumzumachen. Ich mache das nicht, ähm, keine Quickies, okay? Ich warte sozusagen auf einen bestimmten Typ.“

Das funktionierte nicht.

„Ja, geht klar!“ Nick lachte und berührte Jonathan weiterhin.

Weil er Konflikte immer gescheut hatte und sich zutiefst unbehaglich fühlte angesichts der Beharrlichkeit, die Nick an den Tag legte, musste Jonathan all seine innere Kraft sammeln, um seine Hände auf Nicks Brust zu legen und ihn nach vorne zu schieben, in der Hoffnung, dass Nick sich bewegen würde und er aus der Nische rauskommen könnte. Das war der Moment, als es wirklich übel wurde. Nick rührte sich nicht. Er starrte Jonathan an und zischte flüsternd mit bedrohlicher Stimme: „Ach, komm schon, Will Dragon