The One Who Saves Me - Cardeno C. - E-Book

The One Who Saves Me E-Book

Cardeno C.

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Beschreibung

Im Alter von 14 Jahren werden Andrew Thompson und Caleb Lakes beste Freunde. Sie teilen alles, ihre Probleme, Kummer, erste sexuelle Erfahrungen, wunderschöne Urlaubszeiten. Ihre Freundschaft ist so tief und verbindend, dass sie auch zahllose Freunde und Exfreunde übersteht. Denn zwischen den verschiedenen Beziehungsversuchen finden Andrew und Caleb immer wieder zueinander, die sexuelle Anziehung zwischen beiden ist nicht zu übersehen. Doch was passiert, wenn die Parameter dieser einzigartigen Freundschaft sich ändern? Wie soll man es schaffen, fest eingefahrene Rollen aufzubrechen, um etwas Neues entstehen zu lassen? Denn am Ende ist eines klar: Partner kommen und gehen, aber beste Freunde bleiben für immer. The One Who Saves Me gehört zur Home Storys Reihe. Alle Romane sind in sich abgeschlossen und können in beliebiger Reihenfolge gelesen werden.

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Seitenzahl: 316

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Cardeno C.

The One Who Saves Me

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2016

http://www.deadsoft.de

Titel der Originalausgabe:

The One Who Saves Me

© Cardeno C.

Aus dem Amerikanischen von Mona Silberstein.

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com/

Bildrechte:

© Loporo – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-945934-86-9

Inhalt:

Prolog

2008

„Härter! Oh Gott, Drew … Härter!“ Caleb Lakes stemmte seine Hände gegen das Kopfende des Bettes und drängte sich den animalischen Stößen seines Mitbewohners entgegen. Das würde auf keinen Fall lange dauern. Aus Andrews Mund drangen bereits die bekannten „Ich bin gleich so weit“-Laute, während er seinen dicken Schwanz in unkoordinierter Hemmungslosigkeit in Caleb trieb. Lange Finger hatten sich um Calebs Hüfte geschlossen und muskulöse Beine zwischen seine gespreizten Schenkel gedrängt. Die Bewegungen wurden heftiger. Caleb wusste, was nun kommen würde. Er kannte Andrew Thompsons Körper wie seinen eigenen. Wusste, wie er sich während dem Sex verhielt. Der lange, schlanke Hals würde sich nach hinten biegen, die grünen Augen sich schließen, die vollen Lippen würden sich öffnen und eine rosa Zunge würde sich herausstehlen. Dann würde Andrew Calebs Namen hinausschreien und sein Körper würde erstarren, wenn sein Glied zu pulsieren begann und seinen Samen verströmte. Nur der Gedanke daran, dass sich Andrew im Klammergriff der Lust befand, ließ Caleb über die Klippe springen.

„Ich komme …“, stotterte Caleb überrascht von der Heftigkeit, mit der der Orgasmus über ihn hereingebrochen war. Dann festigte sich der Griff um seine Hüfte und Andrew schaffte es irgendwie, noch weiter in Caleb vorzudringen, bevor er innehielt, als die Erlösung durch seinen Körper schoss.

„Oh Gott! Ja, ja! Cae!“ Andrew brach auf Calebs Rücken zusammen und rang nach Luft.

Bis auf die schweren Atemzüge, die sich langsam aber sicher beruhigten, lag Stille über dem Raum. Andrews Lippen strichen sanft über seinen Nacken. Caleb drehte den Kopf und presste einen Kuss auf Andrews Oberarm.

„Ich habe das so vermisst“, sagte Andrew heiser und ließ seine Hand voller Ehrfurcht über Calebs Seite gleiten.

„Ich habe das hier auch vermisst“, antwortete Caleb und hielt kurz inne. „Ich habe dich vermisst, Drew.“

Andrew schwieg eine Zeit lang, aber dann brachte er seinen Mund ganz nah an Calebs Ohr. „Ja, ich dich auch“, wisperte er. Seine Lippen ruhten nun auf Calebs schweißnassem Nacken und er atmete seinen Duft tief ein, bevor er kleine, feuchte Küsse auf Calebs Wirbelsäule verteilte, nach oben bis zu seinem Haaransatz wanderte und seinen Mund schließlich wieder auf sein Ohr legte. „Was sollen wir jetzt tun?“

Kapitel 1

1988

„Caleb, bist du fertig? Caleb?“

Caleb legte die Zeitschrift, die er gerade las, zur Seite und seufzte, als er von dem Bett kletterte, das er zumindest für die nächste Woche sein Eigen nennen würde. Bisher konnte er sich nicht über die Reise beschweren. Als seine Mutter ihm eröffnet hatte, dass sie eine Woche mitten im Wald, in der Nähe eines Sees, verbringen würden, war er von einem schlechten Scherz ausgegangen. Sein Vater war ein angesehener Investmentbanker in der Stadt und seine Mutter verbrachte die meiste Zeit damit, Charityevents zu planen – sie bevorzugte die Bezeichnung „Salonlöwin“. Egal, der Punkt war, dass sie so ziemlich das Gegenteil einer ‚back to the roots‘-Familie waren. Als er realisierte, dass seine Eltern das mit der Reise wirklich ernst meinten, hatte Caleb zwei Wochen damit verbracht, seine umfangreiche Garderobe durchzugehen. Und musste schließlich feststellen, dass er nichts Passendes zum Anziehen besaß. Glücklicherweise überreichte ihm sein Vater eine Broschüre des prachtvollen Victorian Inn, in dem sie übernachten würden, und zwar bevor seine Panik über die Klamottenkrise überhandnehmen konnte. Es herrschte Anzugspflicht beim Abendessen, Jeans waren in den meisten Teilen des Hauses nicht erlaubt. Das Dekor sah sehr hochwertig aus. Aufgearbeitete Antiquitäten so weit das Auge reichte. Also nicht ganz so schlimm wie befürchtet.

„Mom, haben wir morgen ein bisschen Zeit, um durch ein paar Antiquitätenläden zu bummeln?“, fragte Caleb und zog die hellgraue Weste über seinem blassgelben Hemd und seiner blaugestreiften Krawatte zurecht, als er von seinem Schlafzimmer in den Wohnbereich ihrer Dreizimmersuite ging und nach seinem dunkelblauen Blazer suchte.

„Ehrlich, Caleb, du bist der einzige Teenager, den ich kenne, der mit seiner Mutter Antiquitäten einkaufen möchte“, sagte Calebs Vater und schenkte ihm dabei nicht wirklich Beachtung. Er war damit beschäftigt, die Akten durchzugehen, die auf dem großen Mahagonischreibtisch, der in der Ecke stand, ausgebreitet waren. Also maß er dem Kommentar seines Vaters keine allzu große Bedeutung bei. Außerdem war es nicht das erste Mal, dass sein Vater so einen Kommentar abließ.

„Hal, hör auf damit! Unser Junge hat einen unfehlbaren Geschmack und ich genieße seine Gesellschaft“, sagte seine Mutter, strich Calebs Haar glatt und küsste ihn auf die Stirn. „Du solltest ihm dankbar sein, denn wenn Caleb nicht mitkommen würde, müsstest du mich auf meinen Erkundungstouren begleiten.“

Dieser Gedanke ließ seinen Vater kurz innehalten und den Kopf heben. „Dich begleiten … Ich muss das hier bis morgen fertigbekommen und …“

Barbara Lakes lachte, trat zu ihrem Ehemann an den Schreibtisch und küsste ihn auf die Wange. „Und genau deshalb solltest du unserem Sohn danken. Okay, genug für heute. Pack die Papiere weg und hol deine Jacke. Wir sind im Urlaub und werden auf einer Party erwartet.“

***

„Babs!“ Die freudige Stimme hallte schrill über den Hof und kurz darauf rannte eine große Blondine anmutig auf fünfzehn Zentimeter hohen Stilettos auf sie zu.

„Lizzy! Ich freu mich so, dich zu sehen.“

Caleb beobachtete, wie seine Mutter ihre Freundin herzlich umarmte. Es sah so aus, als wäre die schlanke Frau kurz überrascht, entspannte sich dann aber und erwiderte die Umarmung mit einem gelösten Gesichtsausdruck. Nach einigen langen Sekunden löste sie sich aus den Armen seiner Mutter, räusperte sich und wandte sich Calebs Vater zu. „Hal, schön dich mal wieder zu sehen.“ Sie neigte ihren Kopf und küsste die Luft neben Hals Wange.

„Dich auch, Elizabeth. Du siehst wie immer bezaubernd aus. Ist Andy im Garten?“

Caleb sah, wie sich die Augen seiner Mutter weiteten, und hörte sie leise nach Luft schnappen. Elizabeths Haltung wiederum blieb gelassen.

„Leider wurde er in der Stadt aufgehalten, er müsste aber jede Minute eintreffen. Das gehört zum Leben einer Ärztegattin … Egal, kommt schon rein.“

Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte und sie im Foyer standen, widmete sich Elizabeth ihm und lächelte. Sie wirkte nun ungezwungener und die Fröhlichkeit erreichte auch endlich ihre Augen. Erst da bemerkte Caleb, dass sie ziemlich angespannt gewesen war, als sie die Abwesenheit ihres Ehemannes gerechtfertigt hatte.

„Und ich vermute mal, dass dieser hübsche junge Mann hier Caleb ist. Ich bin Elizabeth Thompson. Du erinnerst dich vermutlich nicht mehr an mich, Schätzchen. Es ist schon ein paar Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben“, sagte sie und wandte sich an seine Mutter. „Wie alt waren die Jungs beim letzten Mal, Babs? Neun, zehn?“

„Nein, ich erinnere mich daran, dass wir zweimal umsteigen mussten, als wir hergeflogen sind, weil wir zu der Zeit in Ridgecrest gelebt haben. Und von dort sind wir weggezogen, als Caleb in der zweiten Klasse war. Ich denke, die Jungs waren acht Jahre alt.“

„Sechs Jahre? Wie die Zeit vergeht.“ Elizabeth schüttelte den Kopf und sah Caleb an. „Ich bin sicher, dass du und Andrew schnell wieder an eure Freundschaft anknüpfen werdet. Wir konnten euch das letzte Mal kaum trennen.“ Sie legte Caleb einen schlanken Arm um die Schultern und führte ihn, gefolgt von seinen Eltern, ins Haus. „Komm, wir schauen mal, wo Andrew steckt. Er wird ausflippen, dass ihm jemand in seinem Alter Gesellschaft leisten wird.“

Caleb und seine Eltern betraten ein überfülltes Wohnzimmer. Elizabeth lächelte den Gästen höflich zu und lachte hin und wieder über nur mäßig witzige Kommentare, während sie sich ihren Weg durch die Menge bahnten. Als sie auf einen Mann trafen, der wohl ein alter Studienfreund seines Vaters war, blieben seine Eltern für einen kurzen Plausch stehen.

„Ich sehe Andrew nicht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, wo er sich verstecken könnte. Komm, ich werde dir jetzt mal die Fledermaushöhle zeigen.“ Elizabeth zwinkerte ihm zu und steuerte einen Flur an, der sich am Ende des Wohnzimmers anschloss. Caleb zog sie hinter sich her. Sie klopfte an eine Doppeltür, bevor sie sie öffnete und in einen großen Raum trat.

„Andrew, schau mal, wer da ist. Du erinnerst dich doch sicher noch an Caleb Lakes, oder?“

Der blonde Schopf, der bisher am Bildschirm klebte, drehte sich und Caleb traf ein Blick aus smaragdgrünen Augen, die ihn über eine knochige Schulter hinweg anblickten. Dicke Augenbrauen zogen sich für einen Moment nachdenklich zusammen und dann legte sich ein strahlendes Lächeln über Andrews Gesicht.

„Natürlich. Hast du Schwimmstunden genommen?“ Caleb verstand die Frage nicht ganz, also schwieg er. Andrew winkte ihn zu sich. „Ich spiele gerade Mario, aber du darfst dir gerne auch ein anderes Spiel aussuchen, wenn du möchtest.“

„Mario ist okay.“ Caleb zuckte mit den Schultern. Er ging um die große Couch herum und setzte sich neben Andrew, der ihm einen Controller reichte.

Er war schon ein paar Minuten in das Videospiel vertieft, als ihn Andrew erneut ansprach.

„Also erinnerst du dich nicht an mich?“

Die Ablenkung brachte Caleb aus dem Spiel. Er verpasste einen Sprung und fiel in ein Loch. Er drehte sich zu Andrew um und schaute ihn zum ersten Mal richtig an. Diese grünen Augen hatten etwas Vertrautes an sich, aber Caleb konnte es nicht benennen.

„Deine Familie hat hier ein langes Wochenende im Sommer verbracht. Du bist in den See gefallen und hast angefangen zu schreien, du könntest nicht schwimmen. Also bin ich hinterher gesprungen und habe dich gerettet. Da das Wasser ziemlich flach war, bestand die Rettung eigentlich nur darin, dir zu helfen, aufzustehen“, sagte Andrew und stieß Caleb grinsend an. „Aber hey, ich war ein Kind, ich denke mal, das kann man trotzdem als Heldentat bezeichnen.“

Caleb grübelte, während eine warme Erinnerung am Rande seines Bewusstseins zupfte. „Dein Haar ist dunkler. Es war fast weißblond und nun ist es eher golden. Und ich glaube, du hast es damals kürzer getragen.“

Andrew lachte sich schlapp und Caleb errötete. „Ich kann nicht wirklich behaupten, dass ich mich an meine Frisur erinnere, Kumpel, aber ich vermute, dass ich froh sein kann, Eindruck hinterlassen zu haben.“ Er stieß Caleb ein weiteres Mal mit seinem Ellenbogen an und kicherte noch immer, als er den Controller wieder in die Hand nahm und sich dem Fernseher zuwandte. „Ich hab genug von Mario. Was hältst du von NBA James?“

***

Am nächsten Morgen waren Caleb und seine Mutter im Sommerhaus der Thompsons zum Brunch eingeladen. Sein Vater war ihm Hotel geblieben, um zu arbeiten. Caleb hatte gerade seine zweite Portion Rühreier verschlungen, und war dabei, sich zu fragen, ob es unhöflich wäre, nach einer dritten Portion zu verlangen, als sich Andrew zu ihm rüberbeugte.

„Hey, bist du fertig? Ich dachte, wir könnten auf Entdeckungstour gehen.“ Er grinste breit und seine grünen Augen funkelten voller Vorfreude.

Caleb schlang seinen letzten Bissen hinunter. „Entdeckungstour? Äh, klar. Aber was genau meinst du damit?“

„Cool!“ Andrew sprang auf und stieß sich vom Tisch ab. Er stellte seinen Teller auf Calebs und brachte sie in die Küche, nur um Sekunden später wieder zurückzukehren. „Mom, Caleb und ich machen einen Spaziergang.“

„Okay, Jungs. Viel Spaß“, erwiderte Elizabeth Thompson. Ihre Mütter winkten ihnen abwesend zu und setzten ihre Unterhaltung fort.

Andrew schnappte sich Calebs Ellenbogen und zog ihn hinter sich her. „Komm schon, lass uns gehen.“

Sie liefen durch den Wald und Caleb achtete sehr genau darauf, nirgends unbeabsichtigt hineinzutreten. Als er sah, dass Andrew einen Stock aufhob und ihn durch die Luft sausen ließ, als würde er einen unsichtbaren Feind angreifen, und es so aussah, als hätte Andrew Spaß, beschloss Caleb, sich auch eine Waffe zu suchen. Er fand schließlich einen geeigneten Stock, ließ ihn aber sofort wieder fallen. Das Ding war feucht und schmutzig. Der Drang sich die Finger abzuwischen, wurde fast übermächtig, an der Hose wollte er es aber nicht tun. Sonst wäre die auch noch dreckig.

„Hast du ein Problem?“ Andrew sah ihn belustigt an.

Caleb besah sich seine ausgestreckten Arme und die erhobenen Hände. Es sah aus, als würde er darauf warten, dass ihm jemand Operationshandschuhe anzog und realisierte, dass er vermutlich ziemlich lächerlich wirkte. Er wusste aber auch nicht, was er sonst tun sollte. Daher drehte er seinen Kopf, um zu schauen, wie weit es bis zum Haus war. Sie waren vor knapp zwanzig Minuten zu dem Spaziergang aufgebrochen. Das Haus war nicht mehr zu sehen.

Caleb wandte sich wieder um und sah Andrew direkt vor sich stehen. Schlaksige Arme griffen nach seinen Handgelenken und führten seine Handflächen zu dem roten Poloshirt, das Andrews schmale Brust bedeckte.

„Was machst du da?“, fragte Caleb.

„Ich helfe dir, den Dreck loszuwerden. Ich kann dir ansehen, wie sehr er dich stört.“ Mit dieser Erklärung wischte Andrew mit Calebs Händen über sein Shirt. „Siehst du, viel besser.“

Also das war … seltsam. Zumindest kam ihm das seltsam vor. Aber Calebs Hände waren nun sauber und das fühlte sich viel besser an. Da er nicht wusste, was er sagen sollte und er sich deutlich unwohl fühlte, setzte er seine Wanderung durch den Wald fort und tat so, als wäre nichts geschehen.

„Ähm, wo gehst du zur Schule?“ Nicht die brillanteste Einstiegsfrage, aber es würde reichen, um diesen merkwürdigen ‚Hände abwischen‘-Moment hinter sich zu lassen und sich angenehmeren Themen zuzuwenden. Das sollte genügen, aber Andrews gemurmelte Antwort war leider nicht zu verstehen. „Was hast du gesagt? Ich konnte dich nicht verstehen.“

Andrew seufzte und blieb stehen. „Princeton.“

„Oh, davon hab ich noch nicht gehört.“ Caleb hatte gedacht, er würde alle guten Highschools im Dreiländereck kennen, also vermutete er, dass Andrew auf ein Internat in einem anderen Teil von New England ging. „Meine Mutter sagte, dass deine Eltern in Somerset leben würden, also gehst du vermutlich auf ein Internat?“

„Nein, ich wohne auch in Somerset. Die Princeton Universität ist ganz in der Nähe. Ich pendele täglich.“

Calebs Kiefer klappte nach unten. „Du meinst das Princeton? Aber deine Mutter sagte gestern doch, du seist in meinem Alter.“

Andrew kickte ein paar kleine Steine weg, sah aber nicht auf. „Ja, ich bin auch vierzehn, aber ich bin ziemlich gut in der Schule, könnte man sagen, also hab ich sehr früh meinen Abschluss gemacht.“

„Das ist unglaublich“, rief Caleb aufgeregt. „Mein Vater würde ausflippen, wenn ich es nach Princeton schaffen würde. Er ist zwar ein Harvard-Absolvent, aber jede Eliteuniversität würde ihn stolz machen.“ Caleb schwieg einen Moment, knabberte dann an seiner Unterlippe und schob mit dem Fuß Laub hin und her. „Nicht dass das jemals passieren würde. Ich lerne, aber …“ Er zuckte mit den Schultern.

Nach ein paar Minuten der Stille räusperte sich Andrew. „Hey, willst du ne Runde im See schwimmen?“

„Oh, ähm … Ich hab leider keine Badehose und kein Handtuch mitgenommen.“

Andrew griff nach Calebs Hand und zog ihn den Weg entlang. „Das ist in Ordnung. Das ist alles Privatbesitz, wir können also problemlos in unserer Unterwäsche schwimmen gehen. Es wird keiner vorbeikommen. Außerdem ist es warm genug, sodass wir uns hinterher auf den Steg legen und uns trocknen lassen können. Es wird Spaß machen. Und ich kenne mich mit der Herzlungenwiederbelebung aus. Solltest du also wieder mal ertrinken, kann ich dich retten.“

Andrew zwinkerte ihm zu und Caleb fragte sich, ob es wirklich so übel wäre, ein bisschen Wasser zu schlucken. Er schüttelte den unwillkommenen Gedanken ab und folgte Andrew zu einem Steg, der in einen ruhigen See hineinragte, der wiederum von gewaltigen Bäumen umgeben war.

„Den Letzten beißen die Hunde!“, brüllte Andrew und lenkte Calebs Blick von dem wunderschönen Ausblick auf sich. Das rote Poloshirt lag schon auf dem Boden, neben Andrews Schuhen, seinen Shorts und einer Socke. Der hüpfte gerade auf einem Bein und zog sich den noch verbliebenen Socken vom Fuß, rannte dann über den Steg und sprang mit angezogenen Knien ins Wasser. „Arschbombe!“

Caleb schlüpfte zögerlich aus seinen Segeltuchschuhen. Sein Magen krampfte vor Angst. Für Andrew Thompson war es kein Problem in seiner Unterwäsche schwimmen zu gehen. Der Junge hatte nicht ein Gramm Fett am Leib. Caleb war sich sicher, dass er die Rippen zählen könnte, wenn Andrew mal stillstehen würde. Unglücklicherweise war er selbst nicht so gebaut. Er war kleiner und – ehrlich gesagt – rundlicher als Andrew. Viel runder. Unnötig darauf hinzuweisen, dass es beängstigend war, sich vor anderen Leuten auszuziehen.

„Komm schon rein, Cae!“, rief Andrew und planschte herum. „Das Wasser ist wirklich angenehm.“

Caleb konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen Spitznamen verpasst bekommen zu haben. Dass Andrew ihn Cae nannte, war ein Wahnsinnsgefühl. Er liebte es.

Da er Andrew nicht enttäuschen wollte, indem er sich weigerte ins Wasser zu gehen, und es zudem ziemlich komisch aussehen dürfte, vollbekleidet in den See zu steigen, sprach Caleb sich Mut zu. Das Wasser würde seinen Körper weitestgehend bedecken. Er schluckte seine Nervosität hinunter, zog sich aus und sprang schnell ins Wasser.

„Woohoo!“, rief Andrew, schwamm zu ihm und begann augenblicklich mit einer Wasserschlacht. Die Freude des anderen Jungen war ansteckend, Caleb musste einfach mitmachen und so lachte er gelöst und spritzte mit dem Wasser. Ein gut gezielter Treffer von Andrew und Caleb musste sich das Seewasser aus den Augen blinzeln und aus dem Mund spucken.

„Du bist so was von tot, Drew!“, drohte Caleb.

„Große Worte, Cae. Aber dazu musst du mich erst mal erwischen.“ Andrew schwamm außer Reichweite und Caleb jagte ihm hinterher.

Es schien, als würde Caleb daraus eine Angewohnheit machen, Andrew Thompson zu folgen - weg vom Frühstück, durch die Wälder und nun im See. Aber das erschien Caleb gar nicht so schlimm. Er schrie und tauchte, genoss diese Woche außerhalb der Stadt mit jeder Minute mehr.

Kapitel 2

1989

„Bist du dir sicher, dass es dir nichts ausmacht, wenn wir hierbleiben, Lizzy? Wir können uns auch ein Hotelzimmer nehmen.“

Elizabeth Thompson schüttelte den Kopf und hob einen Koffer aus dem Kofferraum ihres Wagens. Der Anblick einer Frau in High Heels, einem engen Kleid, einer Hochsteckfrisur und Make-up, die körperlich arbeite, wirkte irgendwie unpassend.

„Du tust mir mit deinem Besuch einen Gefallen, Babs, und das wissen wir beide. Andy hat es fertiggebracht mit einer weiteren …“ Sie unterbrach sich, schaute Caleb an und lächelte, als sie auf die Haustür zuging. „Andy muss diese Woche wieder ziemlich viel arbeiten, also freue ich mich sehr über euren Besuch. Außerdem haben wir hier genügend Platz.“

Sobald sie im Haus angekommen waren, deutete Elizabeth auf die Treppe, die zu einem Loft hinaufführte, das irgendwann im Laufe der Jahre zu einem großen Schlafzimmer umfunktioniert worden war. „Caleb, du erinnerst dich noch daran, wo Andrews Zimmer ist?“

„Ja“, antwortete Caleb und nickte.

Er war bereits auf der Hälfte der Treppe, als er seine Mutter hörte. „Wie geht es dir wirklich, Lizzy?“ Die Neugier ließ ihn an Ort und Stelle stehen bleiben und lauschen. Er hört ein Seufzen und möglicherweise sogar ein Schniefen.

„Müde. Ich bin so müde. Danke, dass ihr gekommen seid, ich hoffe, es gab keine Probleme mit Hal. Ich fühle mich so, als wäre nichts mehr übrig und …“

„Du musst dich nicht bei mir bedanken. Hal ist froh, dass er ungestört arbeiten kann und ich freue mich immer, wenn ich meine Freundin besuchen kann. Caleb lächelt schon die ganze Zeit vor sich hin, seit ich ihm erzählt habe, dass er eine ganze Woche mit Andrew verbringen wird. Weißt du eigentlich, wie unüblich es für einen fünfzehnjährigen Jungen ist, mehr als fünf Sekunden am Stück zu lächeln? Wenn ich nicht wüsste, wie gut die Jungs miteinander klarkommen, hätte ich sein Zimmer auf Drogen untersucht.“

Die Erinnerung daran, dass Andrew nur ein paar Schritte entfernt war, überschattete die Neugier. Er erklomm die restlichen Stufen, schleppte seinen Koffer hinter sich her und klopfte an die weißgetäfelte Tür.

„Herein!“ Andrews Stimme übertönte ‚It’s the end of the world as we know it‘.

Caleb drehte den Türknauf und öffnete die Tür. Tiefgrüne Augen blickten ihm über dem Rand des InternationalMale- Kleiderkatalogs entgegen und er versuchte verzweifelt das Flattern in seiner Brust zu ignorieren.

„Hey! Du bist schon hier.“ Andrew warf den Katalog auf die Seite und schwang die langen Beine vom Bett. Er drehte die Lautstärke seines Kassettenrekorders herunter und kam ihm entgegen, um dann eine Armlänge vor ihm stehenzubleiben. Er legte eine Hand auf Calebs Schulter und drückte sie kurz. „Ich wollte eigentlich unten sein und warten, bis ihr ankommt, aber es scheint so, als hätte ich die Zeit aus den Augen verloren. Tut mir leid.“

„Ist schon okay.“ Caleb ließ sein Gepäck zu Boden gleiten und trat von einem Fuß auf den anderen. „Also, ähm, was machst du gerade?“

„Nichts.“ Andrew stürzte in die Richtung, in die er den Katalog geworfen hatte, als Caleb in diese Richtung sah. Dann räusperte er sich und sprach leise weiter. „Ich stelle eine Kassette zusammen.“

Caleb nickte. „R.E.M. Cool.“

Nach ein paar Momenten der unangenehmen Stille verzog sich Andrews Mund zu einem Grinsen und auch Caleb konnte sein eigenes Lächeln nicht mehr zurückhalten. Plötzlich mussten beide Jungs lachen. Zuerst war es nur ein Kichern, das sich dann aber schnell in ein atemraubendes Lachen verwandelte. Sie fielen auf das Bett und hielten sich die schmerzenden Bäuche.

„Ich weiß nicht, wie Michael Stipes darauf reagieren würde, dass seine Musik hysterisches Gelächter auslöst“, keuchte Andrew und versuchte, sich zu beruhigen.

„Wir haben doch gar nicht … über die Musik gelacht“, antwortete Caleb mühsam.

Dann endete das Lied und Andrews Augen weiteten sich. „Scheiße!“ Er sprang vom Bett. „Warte kurz, ich muss nur schnell zum nächsten Lied wechseln.“

Caleb setzte sich auf und sah Andrew zu, der an seinem Kassettenrekorder herumfummelte, bis die Musik schließlich wieder einsetzte. „The Smiths, oder? Ist das …“ Er zog die Augenbrauen grübelnd zusammen. „… Asleep?“

Andrew nickte. „Ja. Du weißt, was gut ist. Interessierst du dich für Musik?“

„Kann man so sagen.“ Caleb ließ sich neben Andrew auf den Boden gleiten und legte die Füße aufeinander. So blieben sie sitzen, Schulter an Schulter, und hörten Musik. Als die letzten Töne des Liedes verklangen, drückte Andrew auf Pause und hatte bereits eine andere Kassette in der Hand.

„Okay, mal sehen, wie viele Takte du brauchst, um das zu erkennen.“

Das Lied hatte kaum angefangen, da wusste Caleb bereits die Antwort. „Blasphemous Rumors.“

Eine blonde Augenbraue schoss in die Höhe. „Beeindruckend.“

„Ich mag Depeche Mode. Lass mich mal raten, was du sonst noch in deiner Sammlung hast.“ Caleb spitzte die Lippen und tippte mit dem Zeigefinger dagegen. „Hm, Tears for Fears. Vielleicht ‚Mad World‘?“

Andrews Mund klappte auf. „Woher wusstest du das?“

„Es passt zu der ganzen ‚Ich will mir meine Handgelenke aufschlitzen‘-Stimmung hier. Ich würde ja fragen, wie es dir geht, aber die Musik weist mir bereits den Weg. Was ist los?“

Es kam Caleb nicht mal in den Sinn, dass sein Nachfragen möglicherweise unwillkommen war. Sie hatten sich ein Jahr nicht gesehen, aber da war eine Art … Verbindung zwischen ihnen. Er hatte es schon vergangenen Sommer gespürt und jetzt hier bei Andrew zu sein, ließ all die Gefühle wieder aufkommen. Nicht dass er sie vergessen hätte. Er hatte wirklich beschämend oft an die Sommerferien im letzten Jahr gedacht. Und natürlich an Andrew.

Der blonde Junge ließ sich auf den Rücken fallen und starrte an die Decke. „Mein Vater ist ein Arschloch.“

Caleb legte sich neben ihn. „Was hat er getan?“, fragte er leise.

„Ich glaube, er betrügt meine Mutter.“

Da Caleb nicht wusste, was er darauf antworten sollte, blieb er still. Er bewegte seine Hand, bis seine Finger Andrews leicht berührten. Als der seine Hand nicht wegzog, wurde Caleb mutiger und legte seine Handfläche schließlich ganz auf Andrews Handrücken.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es eine Krankenschwester oder jemand anderes aus dem Krankenhaus ist. Ich hab zufällig den Hörer abgenommen, als er vor ein paar Wochen am Telefon war. Meine Mutter war auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung und wahrscheinlich hat mein Vater nicht mal bemerkt, dass ich Zuhause war.“ Andrew schnaubte. „Es war widerlich. Sie erzählte ihm, dass sie sich gerade an einem Kissen rieb, während sie an ihn dachte.“ Andrew drehte den Kopf und sah Caleb an, seine Augen glitzerten verdächtig. „Kannst du das glauben?“

Da er sich nicht sicher war, was er darauf antworten sollte, sagte er einfach, was er dachte. „Es tut mir leid.“ Er drehte sich auf die Seite und sah Andrew in die Augen. Sie waren sich so nahe, dass Caleb Andrews Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Kurze Schnaufer, so als würde er Tränen zurückhalten wollen.

„Ja.“ Andrew seufzte. „Ein Arzt, der mit einer Krankenschwester schläft – er ist ein Betrüger und deckt dabei noch alle Klischees ab.“ Das Lied verklang und Andrew streckte einen bestrumpften Fuß aus. Kurz darauf verstummte der Kassettenrekorder. Dann ließ er seinen Fuß über das Regal gleiten. Vor und zurück. Immer wieder. „Meinst du, ich sollte es meiner Mutter sagen?“ Er biss sich auf die Lippe. „Natürlich nicht die Details, nur, dass er sie betrügt?“

Nichts in Calebs kurzem Leben hatte ihn darauf vorbereitet, auf so eine Frage zu antworten. Er dachte an die Unterhaltung, die er zuvor belauscht hatte. „Bist du dir sicher, dass sie es nicht bereits weiß?“

„Auf keinen Fall!“, erwiderte Andrew inbrünstig, sprang auf und begann, in dem kleinen Zimmer hin und her zu laufen. „Meine Mutter betet meinen Vater an. Sie entschuldigt ständig, warum er nicht da ist und redet immer davon, wie hart er doch arbeitet. Sie überreicht mir sogar Geschenke in seinem Namen, aber ich weiß genau, dass sie sie kauft und nur seinen Namen auf die Karte setzt, um ihn gut dastehen zu lassen. Wenn sie wüsste, dass er sie mit so einer Schlampe betrügt, würde sie das doch nicht machen. Sie würde ihn verlassen.“ Andrew ließ sich wieder auf den Boden fallen. „Komm schon, würdest du bei so jemandem bleiben?“

Die Argumente klangen vernünftig, auch wenn das Verhalten von Andrews Mutter nicht so ganz zu der Unterhaltung passte, die er belauscht hatte.

„Willst du, ähm, soll ich es meiner Mom sagen?“, fragte Caleb. „Die beiden stehen sich sehr nahe und meine Mom könnte mit ihr reden oder uns sagen, wie man die Sache angehen soll.“

Zuerst blickte Andrew ihn hoffnungsvoll an, so als würde er die Idee gut finden, aber dann sackte er in sich zusammen und schüttelte den Kopf. „Nein. Sie ist meine Mutter und ich werde mich um sie kümmern.“ Er räusperte sich und straffte die Schultern. „Ich werde ihm das nicht durchgehen lassen.“

Caleb wollte Andrew versichern, dass alles gut werden würde, aber vielleicht würde es das gar nicht. Was wusste er schon? Er ballte seine Hände zu Fäusten, um sich davon abzuhalten, seine Hand auszustrecken und seinen Freund zu trösten. Er war sich nicht sicher, ob eine Berührung willkommen wäre.

Vogelgezwitscher drang von draußen ins Zimmer und füllte die Stille, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte.

„Ich hab eine Kamera bekommen.“ Das Thema zu wechseln, schien Caleb das Sinnvollste, um Andrew von den Familienproblemen abzulenken. „Meine Mutter und ich waren Antiquitäten shoppen und ich bin auf diese tolle Pentax SLR gestoßen. Sie ist nicht antik, wahrscheinlich erst zwanzig, fünfundzwanzig Jahre alt, aber sie ist wirklich cool. Sie hat ein Metallgehäuse und einige verschiedene Objektive. Ich habe bereits viele Fotos in der Stadt geschossen und dachte, dass es Spaß machen würde, ein paar Naturaufnahmen damit zu machen.“

Der blonde Kopf vor ihm nickte. „Cool. Ich hol mir noch schnell ein paar Schuhe, dann können wir rausgehen, einen Spaziergang machen und schauen, ob es ein paar interessante Motive gibt.“ Andrew setzte sich auf und blickte über seine Schulter, seine Augen suchten Calebs. „Danke fürs Zuhören, Cae. Es tut gut, einen Freund hier zu haben.“

***

„Wie läuft’s in der Schule?“, fragte Andrew, als sie durch den Wald streiften und versuchten, sich gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen.

„Schule eben.“ Caleb zuckte mit den Schultern.

Andrew lachte. „Im Ernst, wie läuft es?“

„Es ist okay. Es ist halt Schule. Da gibt es nicht viel mehr zu sagen. Ich, ähm, treffe mich gerne mit meinen Freunden. Fotografie und Musik sind okay. Und das wär’s auch schon. Und bei dir? Bist du schon nervös, demnächst auf die medizinische Hochschule zu gehen, Jimmy Neutron?“

„Hm.“ Andrew nickte und senkte seinen Kopf. Seine langen, schlanken Finger klaubten einen imaginären Fussel von seinen Shorts.

„Was? Ich kann dich nicht hören, wenn du vor dich hinmurmelst.“

„Ähm …“, stammelte Andrew. „Ja, ich freue mich schon darauf. Ich weiß, dass es nicht cool ist, die Schule zu mögen, aber …“

„Willst du mich verarschen? Ich finde das großartig!“

„Wirklich?“ Andrews Überraschung war seiner Stimme deutlich anzuhören. Dann fing er an zu reden. Die aufgeregten Worte flogen nur so aus seinem Mund. „Ich habe versucht, mich zu entscheiden, worauf ich mich spezialisieren möchte. Ich tendiere zur Chirurgie. Nicht Richtung Herz/Lunge, wie mein Vater.“

„Ich wette, du wirst richtig gut darin sein“, sagte Caleb. „Du hast wirklich große Hände.“

Sobald die Worte draußen waren, zuckte Caleb zusammen und kniff die Augen zu. Nein, das kam bestimmt nicht komisch rüber. Natürlich achtete jeder auf die Hände seiner Freunde und kommentierte sie. Er konnte die Spannung in der Luft förmlich greifen, die er mit seiner unangebrachten Bemerkung erzeugt hatte. Als er seine Augen wieder öffnete, sah er Andrew auf seine eigenen Hände starren.

„Weißt du, was man über große Hände sagt?“, fragte Andrew gedehnt und ließ damit Calebs Herz in seiner Brust stolpern.

Er würde nicht darüber nachdenken. Nein. Niemals. Und ganz sicher nicht nachts, wenn er allein im Bett lag. Er schluckte ein paar Mal, bevor er antwortete. „Was sagt man denn?“

„Große Hände …“, Andrew wackelte mit den Augenbrauen und grinste, „… große OP-Handschuhe.“

Mir nichts, dir nichts verschwand die Anspannung. Sie lachten und schubsten sich gegenseitig den Weg entlang.

***

„Bist du hungrig, Cae?“, fragte Andrew ein paar Stunden später.

„Hm. Lass mich nur noch schnell dieses letzte Bild schießen.“ Er hielt die Kamera so nah an den Stamm der gigantischen Esche, dass sie sich fast berührten.

„Was machst du da?“

„Ich glaube, die Struktur der Rinde würde in einer Nahaufnahme richtig gut aussehen“, erwiderte Caleb und knipste ein paar Bilder, bevor er die Kamera sinken ließ und zurücktrat.

„Hast du dein Bild bekommen?“

„Ja!“, antwortete Caleb enthusiastisch, dann knurrte sein Magen. „Wow, ich bin wirklich hungrig.“

„Es ist auch fast zwei Uhr. Du warst so vertieft, dass du das Mittagessen vergessen hast. Zum Glück bin ich dabei, sonst würdest du noch an deiner Kunst verhungern“, witzelte Andrew.

„Ja klar“, spottete Caleb. „Diese Figur schreit nur so nach ‚hungerndem Künstler‘.“

„Blödmann.“ Andrew lachte und stieß seine Schulter gegen Calebs. „Komm, lass uns zurückgehen. Was willst du essen? Meine Mutter hat den Kühlschrank für euren Besuch gut gefüllt.“

„Ich esse eigentlich alles, wie du sehen kannst.“ Caleb deutete auf seinen Körper. „Alles außer Hot Dogs. Wusstest du, dass sie gemahlene Knochen darin verarbeiten?“ Er schüttelte sich. „Es ist widerlich.“

„Ehrlich?“ Andrews Augen weiteten sich und sein Gesicht nahm eine ungesunde, grüne Farbe an.

„Hm. Ich schwöre.“ Caleb nickte.

„Okay, Notiz an mich selbst: Steck dir niemals ein Würstchen in den Mund“, sagte Andrew und verzog dabei keine Miene.

Caleb verschluckte sich fast an seiner eigenen Spucke.

Kapitel 3

1990

Andrew Thompson III. stand auf der Veranda des Sommerhauses seiner Familie und winkte dem Auto entgegen, das gerade die gewundene Auffahrt hinauffuhr. Er und seine Mutter waren bereits seit zwei Tagen hier und er konnte es kaum erwarten seinen besten Freund wiederzusehen. Wäre Caleb nicht gekommen, hätte Andrew vermutlich den Verstand verloren. Natürlich liebte er seine Mutter, aber in letzter Zeit fühlte er sich zunehmend frustriert. Er verstand sie einfach nicht. Gott sei Dank hatte er nun seinen Führerschein. Er konnte also zusammen mit Caleb in die Stadt fahren und die Orte besuchen, die er ihm unbedingt zeigen wollte.

Die Beifahrertür öffnete sich, noch bevor das Auto zum Stehen kam, und Caleb sprang mit einem breiten Grinsen in seinem blassen Gesicht heraus. Seine braunen Augen funkelten. Der Wind fuhr durch sein kastanienfarbenes Haar, als er auf ihn zu rannte. Er trug Leinenhosen und Hosenträger über einem blassgrünen Hemd. Andrew konnte nur mühsam ein Schmunzeln unterdrücken. Anbetungswürdig. Caleb Lake war einfach nur anbetungswürdig. Das durfte man natürlich niemals zu einem sechzehnjährigen Jungen sagen, das würde ihn ziemlich wütend machen und ihn selbst wie einen Idioten aussehen lassen, also hielt er sein Lachen zurück. Aber ein Lächeln entwischte ihm trotzdem. „Hey, Cae!“

„Drew!“ Caleb umarmte ihn so fest, dass ein Schauder durch Andrews Körper lief. „Wie geht’s dir?“

Die Stimme war tiefer als beim letzten Mal, aber er konnte die Sorge heraushören. Caleb war der Einzige, der wusste, was sein Vater getan hatte. Was er immer noch tat. Andrew schluckte seinen Schmerz hinunter. Der bittere Geschmack des Verrats war ihm viel zu vertraut.

„Besser nun, da du da bist“, antwortete er leise und hielt Caleb immer noch im Arm, während sich seine Finger in das gestärkte Leinen gruben und er die Wärme unter seinen Händen fühlte, die von Caleb ausging.

Er hörte ein geflüstertes „Mir auch“, bevor Caleb sich zurückzog und auf das nun geparkte Auto zuging. „Hilf mir mal die Taschen ins Haus zu tragen, dann geht’s schneller.“

Dieses Mal lachte Andrew. „Du bist doch bloß eine Woche hier. Wie viele Taschen hast du denn?“ Andrew öffnete den Kofferraum und zählte insgesamt vier große Koffer und die Handtasche von Calebs Mutter.

„Du kannst dir nie sicher sein, was du brauchen wirst, also ist es besser, vorbereitet zu sein“, warf Calebs Mutter ein.

Ja, seine eigene Mutter predigte ihm das auch immer, wofür ihr die Angestellten von Barney’s & Niemans unendlich dankbar waren. Sie waren im Urlaub, mitten im Wald, da reichten durchaus ein paar Hosen und Shirts. Das dachte Andrew zumindest, aber er wusste, dass er bei diesem Thema in der Unterzahl war, also hielt er den Mund. Außerdem genoss er die tägliche Aufregung, die Caleb verbreitete, wenn es ums Anziehen ging. Er konnte sich noch daran erinnern, dass er sich letzten Sommer öfters Mal dabei erwischt hatte, wie er Caleb bei diesem Spektakel zusah und er konnte die Fortsetzung kaum erwarten.

„Hi, Mrs. Lakes. Wie war die Fahrt?“

Calebs Mutter lächelte vergnügt. Sie war wirklich eine liebe Frau. Er war froh, dass seine Mutter sie als Freundin hatte. Und noch glücklicher über die Freundschaft zu ihrem Sohn.

„Du bist jetzt schon größer als ich, Andrew. Das heißt, du darfst mich nun Barbara nennen. Die Fahrt war okay, danke der Nachfrage.“

„Das ist doch selbstverständlich!“ Andrew hievte zwei der Koffer aus dem Auto und schleppte sie ins Haus. „Mutter! Die Lakes sind hier! Mutter!“

„Ihr Jungs könnt euch verziehen, damit Caleb sich einrichten kann. Ich werde deine Mutter auch ohne dein Geschrei finden“, sagte Barbara lachend.

Darauf hatte Andrew gewartet. „Endgeil! Welche Koffer gehören dir, Kumpel?“

„Der, den ich in der Hand halte.“ Caleb deutete mit dem Kinn auf den in Andrews Hand. „Und dieses Prachtexemplar.“

Andrews Augen verengten sich. „Was hast du für ein Problem?“, fragte er. „Es sieht so aus, als würdest du dich über mich lustig machen?“

„Nein, ganz sicher nicht.“ Caleb stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und lächelte, um der Situation die Schärfe zu nehmen. „Du bist kein kalifornischer Surfer, Drew. Also hör auf, wie einer zu sprechen. Ich habe meinen genialen besten Freund vermisst. Bring ihn mir zurück.“

Mit Calebs Kameratasche über seiner Schulter schleppte Andrew Calebs Koffer die Treppe zu seinem Schlafzimmer nach oben. „Ich bin kein Genie“, murmelte er verstimmt.

Caleb packte den Saum von Andrews Shirt und stoppte ihn so unerwartet, dass er fast das Gleichgewicht verlor. „Hey! Was machst du da?“ Er schaute über seine Schulter und traf auf Andrews leuchtende Augen.

„Sag niemals, dass du nicht klug bist, Drew. Du bist bewundernswert und darauf musst du stolz sein.“

„Ich war nicht, ich bin, ich …“ Andrew wusste nicht, was er sagen sollte. Es war nicht leicht, so viel jünger als seine Klassenkameraden zu sein. Keiner wollte mit einem Kind befreundet sein und er selbst kannte kaum jemanden in seinem Alter und war auch bei denen nicht gerne gesehen. Mit Ausnahme von Caleb. Es schien so, als würde der seine Gesellschaft während des jährlichen einwöchigen Sommerurlaubs genießen, der die letzten Jahre zu einer festen Konstante geworden war. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Andrew einen richtigen Freund.

Caleb schob Andrew die Treppe nach oben. „Gut, weil du nämlich absolut genial bist, weißt du. Ich hab vor meinen Freunden mit dir angegeben.“

Andrews Herzschlag beschleunigte sich. Caleb redete über ihn? „Ja? Was sagst du so über mich?“

„Ich habe ihnen alles über meinen unglaublich klugen Freund erzählt, der einen ausgezeichneten Musikgeschmack und wundervolles Haar hat.“

„Ich hab wirklich tolles Haar“, erwiderte Andrew mit einem Schmunzeln.

„Das sag ich doch, Kumpel!“

***

Caleb schüttelte sein pinkfarbenes Shirt aus und hängte es auf einen Kleiderbügel, dann drehte er seinen Kopf und sah Andrew auf einem der beiden Betten liegen und ihn beobachten. Er fühlte die Hitze in sich aufsteigen, seine Wangen waren vermutlich bereits leicht gerötet. Caleb bückte sich und holte einen dünnen Kaschmirpullover aus dem Koffer. „Tut mir leid, ich weiß, das dauert wieder mal ewig.“

Andrew lächelte. „Das macht mir nichts aus, Cae. Ich finde es sü… äh … cool, dass du dich so für Mode interessierst.“