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Herzklopfen an einem der schönsten Orte der Welt: Der gefühlvolle Liebesroman »Schottischer Honig« von Pippa Arden jetzt als eBook bei dotbooks. Warum geht eigentlich immer alles schief? Nikki hat die Nase voll: Erst fällt ihre Beförderung flach, und dann stellt sich auch noch heraus, dass ihr Freund es mit der Treue nicht so ernst nimmt … Was sie jetzt braucht, ist eine Auszeit – also bucht Nikki kurzentschlossen einen Flug nach Schottland. Zu ihrer eigenen Überraschung verliebt sie sich dort Hals über Kopf in den kleinen Küstenort Pipsby, die herzliche Dorfgemeinschaft, die etwas verstaubte, aber traumhafte kleine Buchhandlung … und vielleicht auch in den charmanten Bestsellerautor, der hier zurückgezogen lebt? Nikki ahnt, dass es wahrscheinlich besser für sie wäre, dem melancholisch wirkenden Duncan nicht zu nahe zu kommen – denn aus einem Urlaubsflirt kann wohl kaum die große Liebe werden. Oder darf sie es wagen, ihrem Herzen zu folgen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der romantische Roman »Schottischer Honig« von Pippa Arden ist ein turbulentes Lesevergnügen für alle Fans von Mina Teichert und Julie Caplin. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Über dieses Buch:
Warum geht eigentlich immer alles schief? Nikki hat die Nase voll: Erst fällt ihre Beförderung flach, und dann stellt sich auch noch heraus, dass ihr Freund es mit der Treue nicht so ernst nimmt … Was sie jetzt braucht, ist eine Auszeit – also bucht Nikki kurzentschlossen einen Flug nach Schottland. Zu ihrer eigenen Überraschung verliebt sie sich dort Hals über Kopf in den kleinen Küstenort Pipsby, die herzliche Dorfgemeinschaft, die etwas verstaubte, aber traumhafte kleine Buchhandlung … und vielleicht auch in den charmanten Bestsellerautor, der hier zurückgezogen lebt? Nikki ahnt, dass es wahrscheinlich besser für sie wäre, dem melancholisch wirkenden Duncan nicht zu nahe zu kommen – denn aus einem Urlaubsflirt kann wohl kaum die große Liebe werden. Oder darf sie es wagen, ihrem Herzen zu folgen?
Über die Autorin:
Pippa Arden schreibt Herzgeschichten fürs Kopfkino. Die Berlinerin ist gelernte Buchhändlerin, hat englische Literatur studiert, liebt britische Teatime (Scones mit Erdbeermarmelade!) und hat eine Schwäche für Männer im Schottenrock.
Bei dotbooks veröffentlichte sie bereits »Der kleine Laden der großen Träume« sowie ihre Kurzgeschichte »Biete Flügel, suche Engel«, die in der festlichen Anthologie »Kerzenschein und Schneegestöber« erschienen ist.
Mehr über die Autorin und ihre aktuellen Projekte im Internet:
Website/Blog: pippaarden.net/
Instagram: instagram.com/pippaarden/
Pinterest: pinterest.de/PippaArden/
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Originalausgabe Dezember 2022
Copyright © der Originalausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Renate Kunstwadl
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98690-426-5
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Pippa Arden
Schottischer Honig
Roman
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Es gab Tage, an denen konnte einem einfach alles gelingen. Da stand man morgens schon mit diesem zuversichtlichen Gefühl im Bauch auf, selbst wenn man die Nacht davor nicht besonders gut geschlafen hatte.
Heute war so ein Morgen, die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, und das, obwohl es sich um einen Montag handelte.
Nikki Peters mochte das Geräusch ihrer Schuhe auf dem Bürgersteig. Es war ein energisches kleines Trommeln, eine rhythmische Warnung an die Welt: Hier komme ich, mir geht es gut, ich habe prima geschlafen, und wenn ich jetzt noch einen Kaffee bekomme, werde ich ein paar Bäume ausreißen. Obwohl sie prinzipiell nichts gegen Bäume hatte. Und hier, im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, gab es eine Menge davon. Genauso wie schick renovierte Altbauten und viele hippe kleine Cafés, aus denen es bereits verlockend nach Frischgebackenem duftete. Nikki jedoch steuerte ein ganz bestimmtes an, das Coffee is Love. Der Barista dort war nicht nur sehr süß, er machte einfach den besten Cappuccino Caramel, den sie jemals gekostet hatte.
Nikki checkte die Uhrzeit auf ihrem Smartphone. Heute durfte sie unter keinen Umständen zu spät zur Arbeit kommen. Eine wichtige Entscheidung lag an, auf die sie schon seit Wochen hingefiebert hatte. Sie lag gut in der Zeit. Noch ein kurzer Blick auf die Nachrichten. Nichts Neues. Schade …
»Nikki?«
Eine freundliche, helle Stimme ließ sie vom blauen Smartphonebildschirm aufblicken.
»Julia!«
Beinahe wäre sie in ihre alte Freundin hineingerannt. Beziehungsweise in den Kinderwagen, den diese vor sich herschob.
»Na, du Karrierefrau«, neckte Julia sie. »Immer voll im Stress, was?«
»Klar, du weißt doch«, alberte Nikki zurück. »Heute Berlin, morgen New York.«
Und demnächst Dublin, aber das wusste Julia noch nicht. Sie grinsten beide und umarmten sich. Nikki versuchte, ihr schlechtes Gewissen zu ignorieren. Seit Julias kleiner Sohn auf der Welt war, hatten sich die beiden kaum gesehen.
»Ich brauche dringend einen Kaffee«, sagte Julia.
»Ich auch.«
»Na, dann los.«
Julia hatte tiefe Ringe unter den Augen, und ihr lockiger, kastanienfarbener Haarschopf wirkte noch chaotischer als sonst.
»Schlechte Nacht gehabt?«, erkundigte sich Nikki mitfühlend.
Sie blickte in den Kinderwagen. Auf weiche Kissen gebettet schlief der kleine Emil friedlich. Er sah wie ein Engel aus.
»Ja, tagsüber macht er immer wieder Nickerchen, und dann will er nachts nicht mehr so viel schlafen. Irgendwie habe ich das noch nicht so richtig in den Griff bekommen.« Julia klang müde und sah abgekämpft aus, aber der Blick, mit dem sie ihren kleinen Jungen betrachtete, war voller Liebe und Wärme. »Aber weißt du, was ich unglaublich mag? Den Geruch. Diesen einmaligen süßen, frisch gebadeten Babygeruch.«
Emil lächelte im Schlaf. Nikki spürte einen leisen Stich in der Brust. War sie etwa neidisch? Nein, natürlich nicht. Niemals. Sie hatte einen Job mit tollen Chancen und einen sexy Boyfriend mit einer strahlenden Zukunft, was wollte sie mehr?
»Du schaffst das schon«, beruhigte Nikki sie. »Leider kann ich nicht mit guten Tipps dienen. Meine Babyerfahrung ist praktisch nicht vorhanden.«
»Dafür sammelst du Berufserfahrung. Und ich wechsele Windeln.«
Sie hatten das kleine Café erreicht. Bereits draußen auf dem Bürgersteig umschmeichelte der aromatische Duft frisch gemahlener Bohnen Nikkis Nase. »Was möchtest du, ich bring dir einen mit?«
»Danke! Einen Maple Mokka Latte, bitte.«
Emil gluckste, Julia schaukelte den Kinderwagen und machte leise gurrende Geräusche. Nikki eilte ins Coffee is Love, um die heiß ersehnten Getränke zu besorgen. Glücklicherweise waren nur zwei Leute vor ihr in der Schlange.
Sie hatte bisher einfach keine Zeit gehabt, eine Familie zu gründen. Erst das Abitur, dann ein Studium in Medien- und Eventmanagement. Anschließend mehrere schlecht bis gar nicht bezahlte Praktika, danach einige Jobs in kleinen Start-ups, und jetzt diese Stelle in einer richtig großen Agentur.
»Das Übliche?« Der Barista zeigte beim Lächeln seine Grübchen.
»Ja. Und einen Maple Mokka Latte, bitte.«
Sie hatte auch nie den richtigen Mann gefunden. Keine Zeit, auch dafür nicht. Während des Studiums hatte es ein oder zwei kurze Episoden gegeben, danach war sie ein paarmal ausgegangen (und hatte gelernt, dass es nicht ratsam war, eine Romanze am Arbeitsplatz zu beginnen), aber es hatte nie so wirklich gefunkt, und es hatte sich nichts Dauerhaftes ergeben.
Ob Ryan wohl der Richtige war? Immerhin, er kam aus Irland, und dort gab es traditionell große Familien.
»Sonst noch einen Wunsch?«, fragte der Barista und reichte ihr die beiden Kaffeebecher.
Nikki schüttelte den Kopf, bezahlte und verließ eilig das Café.
»Oh, die Rettung naht!«, freute sich Julia, als Nikki mit den Bechern wieder auf den Bürgersteig trat. »Kann ich dich ein Stück begleiten?«
Nikki zog erneut ihr Smartphone zurate. »Ich darf aber nicht trödeln.«
»Klar. Da vorne biegen wir ohnehin ab, Richtung Park. Dieser süße Barista im Coffee is Love, wie findest du den?«
Soso, Julia hatte ihn also auch bemerkt.
»Wie geht es Daniel?«, fragte Nikki mit unschuldigem Augenaufschlag.
Julia lachte. »Gut. Aber ich finde, dass er sich ein wenig zu sehr in seine Arbeit flüchtet, seit er Papa geworden ist. Ich habe den Verdacht, dass es ihm daheim zu unruhig geworden ist.«
Julia und Daniel, das Traumpaar. Sie hatten sich bei einem Klassik-Open-Air-Konzert im Potsdamer Schlossgarten kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Ganz genau so, wie es in Filmen und Büchern immer wieder vorgeführt wurde; mit Rosenduft, Kerzenlicht und Champagner unter dem Sternenhimmel.
Nikki verkniff sich einen sehnsüchtigen Seufzer. Oh weh, dachte sie, bin ich etwa neidisch? Nein, nein, keineswegs. Das kommt eben davon, wenn man zu viele Liebesromane liest (und sich die entsprechenden Filme ansieht). Und außerdem, sie hatte ihre eigene Liebe, nicht wahr?
»Wie läuft es mit deinem Superstar?«, erkundigte sich Julia wie aufs Stichwort.
»Ryan ist kein Superstar«, lachte Nikki. »Noch nicht.«
»Im letzten Jahr hat er immerhin die Waldbühne gefüllt«, meinte Julia.
»Ja, nicht schlecht für einen einfachen Singer-Songwriter aus Irland.«
Nikkis Event-Agentur hatte die After-Show-Party in einer alten Fabrikhalle organisiert, und sie war die Verantwortliche vor Ort gewesen. Einer jener seltenen Tage, an denen sie von der Schreibtischarbeit befreit worden war (allerdings nur, weil eine Kollegin plötzlich erkrankt war).
»Der noch dazu verdammt gut aussieht«, schwärmte Julia weiter. »Mit diesen dunklen, immer leicht verwuschelten Haaren, dem Dreitagebart und den schönen braunen Augen …«
Ja, diese Augen. Sie hatten Nikki erspäht und nicht mehr freigegeben. Sie hatte es kaum fassen können. Da waren all diese schönen jungen Frauen, die den Liedermacher mit der dunklen Samtstimme und den poetischen Texten umschwirrten wie bunte Schmetterlinge, und dieser konnte den Blick nicht von ihr lassen.
Julia stieß Nikki spielerisch in die Seite. »Pass bloß auf, dass ihn dir nicht eine andere wegschnappt. Oder dass ihn ein übereifriges Groupie abschleppt.«
Nikki widerstand der Versuchung, erneut auf ihr Smartphone zu gucken. Ryan hatte schon viel zu lange nicht mehr getextet. Aber er war auf dem Weg hierher, und schon heute Abend würde sie ihn wiedersehen. Also schob sie die Ängste, die Julias Bemerkung gerade wieder in ihr Bewusstsein gebracht hatte, energisch beiseite.
»Ich finde es großartig, dass du dich amüsierst und an die Karriere denkst«, sagte Julia ernst. »Aber ist es nicht auch langsam Zeit, dass du dir Gedanken über deine Zukunft machst?« Sie blickte bedeutsam in den Kinderwagen, wo der kleine Emil gerade friedlich am Daumen nuckelte. Er sah wirklich zum Anbeißen aus.
»Du wirst auch nicht jünger«, schob Julia unnötigerweise noch hinterher.
Als ob Nikki das nicht wüsste. »Ich bin erst 34 Jahre alt, ich habe noch Zeit!«
Nikki konnte sehen, wie die Warnung, »Aber nicht mehr lange!«, in Julias Blick aufleuchtete. Aber sie sprach es nicht aus. Vielleicht hatte sie gemerkt, dass es nicht besonders nett von ihr war. Überhaupt nicht. Zumal Nikki das selbst auch dachte.
Also ein kleiner Themawechsel: »Wie kommt es eigentlich, dass du so viel von anderen Männern schwärmst?«
Die Lobeshymne auf Ryans braune Augen war Nikki keineswegs entgangen, und vorher der Barista.
Julia zuckte mit den Achseln. »Ein Baby ist süß, aber tödlich für das Sexleben. Wir sind beide abends viel zu kaputt, um an so was Kräftezehrendes auch nur zu denken. Da gönne ich mir eben ab und zu ein bisschen eye candy. Aber nur gucken, mehr nicht.« Sie grinste.
In einer Beziehung, in der der eine Partner ständig umherreiste, gab es ebenfalls nicht viel davon. Waren Nikki und Ryan überhaupt in einer richtigen Beziehung?
»Das kriegen wir schon wieder hin«, sagte Julia zuversichtlich. »Irgendwann wird Klein Emil ruhiger werden und nachts durchschlafen. Und wenn Daniel endlich mit ihm Fußball spielen kann, ist sowieso wieder alles gut.«
Klein Emil gluckste zufrieden.
»Ryan hat mich eingeladen.«
Julia machte große Augen. »Zu sich nach Hause?«
»Ja. Nach Irland.«
Julia stieß ihr spielerisch den Ellenbogen in die Seite. »Wow, dann scheint es ja doch was Ernstes zu sein.«
»Ich habe mir extra Urlaub genommen.«
»Du musst mich unbedingt auf dem Laufenden halten.«
Nikki und Julia liefen die Straße hinunter, der Park kam in Sicht. Dort vorne würde sie links abbiegen müssen.
»Und, was macht der Job?«, wollte Julia wissen.
»Heute ist ein großer Tag«, verkündete Nikki voller Vorfreude.
»Erzähl schon. Wirst du endlich befördert?«
»Mal sehen. Auf alle Fälle hat der Chef einen tollen Auftrag für uns an Land gezogen. Im Herbst soll ein großes Krimi-Literaturfestival stattfinden, und unsere Agentur ist maßgeblich für die Organisation verantwortlich.«
»Hey, Bücher. Das ist ja was für dich. Liest du immer noch so gerne? Ich komme ja leider gar nicht mehr zum Lesen …«
»Klar. Viele bekannte Autoren. Lesungen an allen gewöhnlichen und vielen ungewöhnlichen Orten der Stadt. Zum Beispiel in einem alten Luftschutzbunker oder in einem japanischen Garten. Da gibt es viel zu tun.«
»Und du kriegst endlich mehr Verantwortung, wie du schon immer wolltest.«
»Ja. Ich wäre gerne die Projektleiterin.«
»Du warst schon in der Schule ein echtes Organisationstalent. Ohne dich wäre unser Abi-Ball in der kleinen Villa am Wannsee niemals so toll geworden. Es wird höchste Zeit, dass das mal jemand anerkennt.«
Das war ihre erste große Veranstaltung gewesen. Es hatte Nikki einen Riesenspaß gemacht. Sie erinnerte sich noch sehr gut an den kleinen Ballsaal mit dem honigglänzenden Parkett, an die funkelnden Kronleuchter und das Miniorchester. Als Thema hatte sie das Paris der Zwanzigerjahre gewählt, und alle hatten begeistert mitgemacht.
Damals war Nikki die Zukunft so glänzend und wunderbar erschienen. Sie hatte erst studieren und Karriere machen und dann natürlich den Mann ihres Lebens kennenlernen, heiraten und Kinder kriegen wollen. Ein Mädchen und einen Jungen: Klara und Felix. Oder Lina und Finn. Deren Erziehung würde sie sich natürlich mit ihrem Mann teilen, sodass sie später auch noch arbeiten gehen konnte. Schließlich war es heutzutage kein Problem, auch jenseits der 30 noch Kinder zu bekommen. Gesetzt den Fall, man hatte den richtigen Partner gefunden. Bisher hatte Nikki immerhin einen ihrer jugendlichen Pläne in die Tat umsetzen können: das Studium. Nur mit der Karriere haperte es ganz gewaltig, und was den richtigen Mann anbelangte … Ryan? Nikki seufzte leise. Vielleicht lag es an ihr, vielleicht war es zu vermessen, alles zu wollen, Kinder und Karriere?
»Wir gehen jetzt in den Park«, verkündete Julia. »Und du gehst Karriere machen, okay? Dann mischt wenigstens eine von uns den Männerverein in den oberen Etagen mal so richtig durch.«
Das war eigentlich immer ihr Ziel gewesen. Und heute würde Nikki einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung machen. Dazu war sie fest entschlossen.
»Wir müssen unbedingt mal wieder einen Mädelsabend machen. Dann muss Daniel eben mal ran. Es wird sowieso höchste Zeit, dass er seine Pflichten als Vater mehr wahrnimmt.«
Früher hatten sie sich regelmäßig getroffen, Prosecco getrunken, gelacht und geschwatzt. Doch seit Julia verheiratet war, hatten diese lustigen Abende immer seltener stattgefunden. Was nicht nur Julias Schuld war. Nikki hatte ebenso oft keine Zeit gehabt, zum Beispiel wenn sie Abendveranstaltungen betreuen musste.
»Ja, gerne.«
Nikki vermisste das wirklich.
»Also los, du schaffst das!« Julia umarmte Nikki und drückte sie. »Wir sehen uns!«
Nikki sah ihr nach, wie sie mit dem Kinderwagen in Richtung Park marschierte.
Sie freute sich auf den Abend, auf das Treffen mit Ryan. Sie hatten sich seit sechs Wochen nicht mehr gesehen, weil er sich zum Schreiben und Komponieren nach Irland zurückgezogen hatte. Morgen war sein Auftritt in Berlin, und die Nacht würde ihnen gehören.
Aber nun würde sie sich erst mal auf den heutigen Tag und das bevorstehende Meeting konzentrieren.
Die Eventagentur Titan nahm den ganzen dritten Stock eines frisch renovierten Fabrikgebäudes ein. Der Name war Programm. Agenturchef Karl hielt sich für einen der ganz Großen (wenn nicht für den Allergrößten). Doch im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die ein enormes Ego besaßen, kam bei ihm nicht nur heiße Luft raus. Er arbeitete hart, um seine Agentur zu einer der ganz großen (wenn nicht zur allergrößten) zu machen. Und er erwartete von seinen Angestellten 200 Prozent Einsatz. Wenn nicht mehr.
»Guten Morgen!«, grüßte Nikki voller Elan.
Nina vom Empfang, eine kühle Brünette, die aussah wie Audrey Hepburn, blickte kurz auf, stellte fest, dass es sich um niemand Besonderen handelte, und widmete sich dann wieder ihrem Computerbildschirm.
»Guten Morgen, und wie geht es dir an diesem herrlichen Tag?«, murmelte Nikki.
Die Fabriketage war in Grau, Schwarz und Weiß gehalten. Schick, funktional und Furcht einflößend unterkühlt. Im wahrsten Sinne des Wortes.
An ihrem Platz angekommen, setzte Nikki den Kaffeebecher auf ihrem grauen Schreibtisch ab und fuhr ihren weißen PC hoch. Dann zog sie die pinkfarbene Strickjacke über, die an ihrer schwarzen Stuhllehne hing. Schräg gegenüber an der weißen Wand leuchtete ein grauer Neonschriftzug:
»Mache das Unmögliche möglich, das Mögliche einfach und das Einfache elegant.« – Moshé Feldenkrais
Das war sozusagen das Agenturmotto.
Nikki seufzte leise. Was hatte ihre Oma immer gesagt? Unmögliches erledigen wir sofort, Wunder dauern etwas länger. Dass man dabei auch noch elegant sein sollte, davon war nie die Rede gewesen. Sie dehnte die Ärmel ihrer Strickjacke noch etwas länger und zog sie über ihre kalten Hände. Selbst im Sommer wurde es hier oben nie richtig warm. Karl war der Meinung, dass niedrige Temperaturen gut wären für die Gehirnfunktionen. Nikki bezweifelte das.
Die Grafikdesignerin Alina winkte von ihrem Schreibtisch herüber, Nikki winkte zurück. Alina sammelte kleine bunte Möpse, die der einzige Farbklecks in dem monotonen Büro darstellten. Karl mokierte sich zwar regelmäßig darüber, aber Alina zitierte dann Loriot (ein Leben ohne Möpse ist möglich, aber sinnlos) und sammelte beharrlich weiter.
Senior-Creative Nils flitzte durch die Etage, in Richtung von Karls Büro. Alle anderen (heute Morgen waren sechs Leute da) saßen an Schreibtischen, die über die ganze Etage verteilt waren. Jeder sah jeden (und was noch viel ablenkender war: man hörte sich auch), aber der Chef hatte natürlich seinen eigenen, privaten Glaskasten, ganz am Ende des Großraums.
Ob es wohl um das Literaturfestival ging? Nikki versuchte, nicht die Ohren aufzusperren und zu lauschen. Sie konzentrierte sich auf ihren E-Mail-Eingang. Es galt, noch eine Reihe von Anträgen für Genehmigungen vorzubereiten. Da war das Streetfood-Festival, für das eine Straße gesperrt werden musste. Und um eine Ausschank-Lizenz musste sie sich ebenfalls noch kümmern.
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie ihre Kollegin Isabell, die mit ihrem üblichen eleganten Hüftschwung ebenfalls in das Büro des Agenturchefs schlenderte. Nikkis Herz schlug schneller. Isabell war nicht nur ehrgeizig, sondern auch viel geschickter im Kommunizieren und Taktieren, als Nikki es je sein würde. Was die drei da drinnen wohl zu bereden hatten?
Nikki starrte auf ihren blauen Monitor, ohne wirklich etwas zu sehen. Sie hatte bisher immer gute Arbeit geleistet und galt als besonders zuverlässig und fleißig. Das musste doch auch zählen, oder? Sie begann, sich eine To-do-Liste für den heutigen Tag anzulegen.
Der Ruf »Titanenkonferenz!« hallte gut gelaunt durch die Etage. Das war der Chef gewesen. Nikki zuckte zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Karl und die anderen das Büro verlassen hatten und auf dem Weg zur Kaffeestation waren.
»Und wir haben Kekse!«, rief Isabell ebenso gut gelaunt.
Nikkis Magen gab ein leises Knurren von sich. Sie sollte wirklich mal frühstücken. Aber morgens hatte sie nie so richtig Appetit, und heute Morgen schon gar nicht. Um sie herum begann eifriges Stühlerücken. Die anderen hatten sich schon in Bewegung gesetzt. Nikki stand auf.
»Na, kommt schon. Time is money!«, sagte Karl.
Die Kaffeestation befand sich am hinteren Ende der Fabriketage. Eigentlich handelte es sich um eine kleine, offene Küche (weiß), die von einem chromglänzenden Kaffeemaschinen-Monster dominiert wurde. Davor eine Reihe von Tischen und Bistrostühlen (schwarz), die für kleine Pausen zwischendurch genutzt wurden. Oder für die kurzen Mitarbeiterbesprechungen, die Karl gerne scherzhaft Titanenkonferenzen nannte.
Empfangsdame Nina verteilte Tassen und Teller. Nikki griff sich einen Keks und wollte ihn gerade in den Mund stecken, als sie Isabells kritischen Blick auffing. Nikki verging der Appetit. Karl klatschte in die Hände. Er und Isabell waren stehen geblieben, alle anderen hatten sich an die kleinen Tische gesetzt. Das Löffelklappern und leise Gemurmel verstummte.
»Das Gehirn«, begann Karl, »ist der größte Kinosaal der Welt. Das hat der Regisseur Ridley Scott mal gesagt, und wir sollten uns das gut merken. Denn es ist unser Job, für diesen Kinosaal Programm zu machen, ein unvergessliches Erlebnis zu kreieren. Und dabei legen wir ganz besonderen Wert auf nachhaltige, bewegende Inszenierungen, bei denen jedes Detail stimmt. Denn das Detail macht den Unterschied, macht ein Event zu etwas ganz Besonderem, macht es perfekt.«
Nikki setzte sich etwas gerader hin. Sie war Spezialistin für Details.
»Aber das wisst ihr natürlich alle.« Karl lächelte. Seine perfekten weißen Zähne strahlten. »Das ist es, was wir uns am Ende wünschen: ein perfektes Event.«
Die Grafikdesignerin Alina grinste Nikki zu und rollte kurz, aber ausdrucksvoll mit den Augen. Nikki konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie alle hatten das so oder ähnlich schon viel zu oft gehört. Es war Karls Lieblingsansprache. Isabell hing allerdings gebannt an seinen Lippen. Als wäre er ein Quell immenser Weisheit.
»Was mittlerweile ebenfalls alle wissen, ist, dass wir den Auftrag bekommen haben, das große Krimi-Literaturfestival zu planen und zu organisieren.«
Jetzt, jetzt würde sie kommen. Nikkis große Chance.
»Das wird unsere Meisterleistung werden. Von diesem Event wird man noch nach Jahren reden. Dieses Event wird uns unwiderruflich an die Spitze der Agenturen setzen!«
Karls Augen leuchteten, und Isabell nickte so heftig mit dem Kopf wie einer dieser kleinen Wackeldackel im Rückfenster eines Autos.
»Ich will Prominenz, ich will Namen. Die ganz Großen, die Könige des Thrillers: Ian Rankin, James Patterson, ValMcDermid. Ich will Leseshows und Mörderpartys! Ich will die ganze Stadt im Krimifieber!«
Nikki zerbrach vor Aufregung den Keks, den sie immer noch in der Hand hielt.
»Und ich will ein ganz besonderes Highlight, einen Autor, der sich sonst nicht in der Öffentlichkeit zeigt. Jemanden wie den Schotten Duncan Fraser zum Beispiel.«
Duncan Fraser? Von dem hatte es schon länger nichts Neues mehr gegeben. Aber das würde sie nicht daran hindern, den vollen Einsatz zu bringen, sich ganz und gar in dieses Projekt zu vertiefen.
»Dieses Event wird der Knüller werden, und wer könnte sich besser dafür eignen, ein wahres Feuerwerk an Ideen abzubrennen und damit alle zu beeindrucken, als unsere liebe Kollegin Isabell!«
Nikki glaubte, sich verhört zu haben. Der Rest der Kollegen johlte und klatschte Beifall. Isabell lächelte bescheiden.
»Ich werde mein Bestes geben.«
Karl klopfte ihr voller Besitzerstolz auf die schmalen Schultern. »Natürlich wirst du das, Issy. Von meiner neuen Projektleiterin erwarte ich nichts anderes.«
Die neue Projektleiterin? Issy? Ihr gegenüber verdrehte Alina schon wieder die Augen und grinste. Nikki schaffte es nicht, das Grinsen zu erwidern. Die Kekskrümel in ihrer Hand wurden weich. Um sie herum begann ein allgemeines Stühlescharren. Alle anderen standen auf und begaben sich wieder an ihre Arbeitsplätze.
Nikki nahm eine Serviette und wischte sich langsam die Kekskrümel von der Hand.
Neben ihr diskutierten Karl und Isabell die Liste großer Namen. Nikki hatte ein Rauschen in den Ohren. Langsam stand sie auf, knüllte die Serviette zusammen und ließ sie in den Mülleimer fallen.
Isabells Absätze klackerten zielstrebig an ihr vorbei. Karl stand ganz alleine bei der Kaffeemaschine. Nikki hatte es nicht vorgehabt, aber plötzlich stand sie neben ihm.
»Hey, na? Spannende Zeiten stehen uns bevor, nicht wahr?« Karl strahlte Nikki an. »Das wird ein Knüller!«
Sie nickte automatisch. Dann nahm sie allen Mut zusammen. »Sag mal, ich dachte, dass ich vielleicht das Krimi-Literaturfestival leiten könnte?«
Karl löffelte Zucker in seinen Kaffee.
»Du?«
»Ich hatte doch gesagt, ich wäre interessiert. Und du …«
»Nikki, Nikki, Nikki. Wir haben uns rein hypothetisch unterhalten. Und du hast doch sowieso jetzt erst mal drei Wochen Urlaub.«
»Ja, aber danach …«
»Bis dahin steckt Isabell schon mittendrin. Und dich brauche ich für andere Sachen. Da ist zum Beispiel dieser Zahnärztekongress im November.«
Zahnärzte. Na, wunderbar.
»Nikki, ich schätze dich sehr, nicht nur als Mitarbeiterin, sondern auch als Mensch. Du bist immer genau, immer zuverlässig und hast für alle ein Lächeln.« Er klopfte ihr auf die Schultern. »Unser Sonnenschein.«
Sonnenschein? Nikki fand nichts Sonniges an diesem Moment.
»Ich …«
»Das Ding ist einfach eine Nummer zu groß für dich. Nichts für ungut. Mach mal den Zahnarztkongress, und dann sehen wir weiter. Aber zuerst dein Urlaub. Wo soll’s denn hingehen?«
»Irland. Aber …«
»Ich beneide dich.« Karl ließ erneut sein blendend weißes Lächeln aufblitzen. »Trink ein Guinness für mich mit.« Er nahm seinen Kaffeebecher, drehte sich um und marschierte zurück in sein Büro.
»Ich mag gar kein Guinness«, sagte Nikki.
Aber das hörte er schon nicht mehr.
Der Rest ihres Arbeitstages verlief wie in einem schlechten Traum. Nikki hatte große Schwierigkeiten, sich auf ihre To-do-Liste zu konzentrieren. In ihrem Kopf lief ein innerer Monolog ab, wie sie ihn schon viel zu oft gehört hatte:
Du musst mehr für dich einstehen! Nimm dir ein Beispiel an Isabell! Von wegen Sonnenschein …
Zwischendurch flogen immer mal wieder Satzfetzen an ihr vorbei. Isabell hatte mehrere Kollegen eingespannt, und man diskutierte angeregt über die Highlights des Festivals. Der Name Duncan Fraser fiel immer wieder. Es hörte sich so an, als hätte sich einer der Sponsoren in den Kopf gesetzt, den schottischen Autor unbedingt dabeihaben zu wollen. Nur dass dieser notorisch öffentlichkeitsscheu zu sein schien und alle Kontaktversuche bisher ohne Erfolg verlaufen waren. Selbst Isabell hatte es nicht geschafft.
Gegen vier beschloss Nikki, es für heute gut sein zu lassen. Sie kam einfach nicht vorwärts, es hatte keinen Sinn mehr. Und da sie über genug Überstunden verfügte, machte sie etwas eher Schluss. Dann musste sie sich auch nicht mehr die angeregten Gespräche und großen Pläne für das Literaturfestival anhören. Oder Isabell dabei zusehen, wie sie durch die Gegend flitzte, Handy am Ohr und ein strahlendes Lächeln im Gesicht.
Und ein schlechter Verlierer bist du obendrein!
Ihre innere Stimme war heute besonders laut. Na, wenigstens eine, die sich amüsierte. Nikki fuhr ihren Laptop runter und klappte ihn energisch zu. Schluss damit. Sie würde sich heute auch amüsieren und das nervige innere Gequatsche einfach ignorieren. Eigentlich hatte sie ja gehofft, Ryan heute Abend von ihrem neuen Projekt erzählen zu können. Aber er würde sich auch so freuen, sie zu sehen. Und er hatte selber immer genug zu berichten, da würde es gar nicht auffallen, wenn sie schweigsamer war als sonst. Sie hatte gar nichts dagegen, wenn er ihr Storys und Anekdoten von seinen Auftritten, Studiosessions, Presseterminen und der großen Familie aus Irland erzählte. Gerade heute würde ihr die Ablenkung guttun.
Nikki warf einen Blick auf ihr Handy. Tatsächlich, eine Nachricht, endlich:
»Baby, ich bin gelandet!«
Eigentlich hatten sie sich erst für den Abend verabredet, aber Nikki hielt es einfach nicht länger aus. Sie hatte fürchterliche Sehnsucht nach Ryans Lachen, seiner optimistischen Weltsicht, seinem wunderbar sonnigen Gemüt. Sie brauchte ihn. Jetzt, sofort.
Nikki war froh, die Agentur endlich hinter sich lassen zu können. Sie trat auf die Straße und atmete kurz durch. Der heutige Abend gehörte Ryan und ihr, und das würde sie sich nicht kaputt machen lassen, von nichts und niemandem.
Nikki beschloss, zu laufen. Ryan war in einem schicken kleinen Boutiquehotel in Mitte abgestiegen, das nicht weit von hier lag. Er war gerne mittendrin im vollen Leben. Nikki mochte die kleinen Straßen. Viele Bäume und kleine Cafés und Restaurants, deren Tische auf den breiten Bürgersteigen gut besetzt waren. Dazu ausgefallene Läden, in denen von handgemachter Kosmetik über selbst gestrickte Kunstobjekte und Waren einer veganen Fleischerei so gut wie alles angeboten wurde.
Ihr Blick schweifte über die Fassaden der schön restaurierten Häuser mit ihren Stuckverzierungen und den Balkonen, geschmückt mit verschnörkelten schmiedeeisernen Gittern. Hier eine Wohnung zu beziehen, das hätte ihr gefallen. Aber die Mieten in Berlin waren vor allem in den begehrten Innenstadtbezirken nahezu unerschwinglich geworden. Daher wohnte sie in einer winzigen Einzimmerwohnung am Rand der Stadt. Zumindest die Verkehrsanbindung klappte dort: Die S-Bahn war gleich vor der Tür. Ansonsten war da draußen ziemlich tote Hose.
Nikki genoss das Leben um sich herum. An einem der Cafétische turtelte ein junges Paar. Ihr Herz schlug schneller. Die beiden sahen so glücklich und frisch verliebt aus. Sie wünschte ihnen von Herzen alles Gute.
Ach, Ryan. Nur noch wenige Augenblicke, und er würde sie in seine Arme schließen. Dann könnte sie den Kopf an seine Schulter legen und sich geborgen fühlen.
In der Auslage einer kleinen Buchhandlung waren auf sonnengelbem Tuch bunte Selbsthilfebücher drapiert. Nikki, die an keinem Buchhandlungsfenster vorbeigehen konnte, ohne stehen zu bleiben, fiel sofort ein Titel ins Auge: Du musst nicht von allen gemocht werden. Auf dem Cover war ein Kaktus abgebildet, aus dem eine kleine rote Blüte spross. Nein, natürlich musste man nicht von allen gemocht werden. Man konnte es sowieso nicht allen recht machen, das war ihr klar. Und ihr war ebenfalls klar, dass sie sich viel zu oft genau darum bemühte. Allein die Idee… dass man einfach aufhören könnte mit diesen Bemühungen … Das leise Selbstgespräch in ihrem Kopf verstummte ganz. Einen Moment lang breitete sich eine wunderbare innere Ruhe in Nikki aus.
Da hupte hinter ihr ein Auto, und Nikki zuckte zusammen. Aus und vorbei mit der Ruhe. Aber Ruhe wurde sowieso überbewertet. Wer brauchte Ruhe, wenn er (oder besser sie) einen wunderbaren Abend mit einem süßen irischen Singer-Songwriter verbringen konnte? Nikki lief weiter. Ein Songwriter, der sie sogar zu sich nach Hause eingeladen hatte. Vielleicht würde sie seine Eltern kennenlernen. Man wusste doch, was das bedeutete, oder? Dass es jemand ernst mit einem meinte. Nikki erlaubte sich einen kurzen, kleinen Tagtraum, in dem ein weißes, spitzenbesetztes Kleid, eine kleine romantische Dorfkirche und ein grünäugiger Ire die Hauptrollen spielten. Nicht, dass sie besonders romantisch veranlagt war. Und ein wenig zu alt für so was eigentlich auch. Aber träumen würde man ja wohl noch dürfen …
Eine Gruppe amerikanischer Touristen auf Elektroscootern sauste lachend an ihr vorbei. Eine Querstraße weiter bimmelte die Tram. Aus der Traum. Vorerst, jedenfalls. Und hier war auch schon das Hotel.
Nikki betrat die kleine, gemütliche Eingangshalle. Dunkelblaue Cocktailsessel hießen den müden Stadtwanderer willkommen. Auf einem kleinen Podest stand eine große Vase mit gelben Sonnenblumen. Das waren ihre Lieblingsblumen. Nikki nahm das als gutes Omen. Der Tag hatte zwar mies begonnen, aber er würde ganz sicher wunderbar enden.
Der Empfang war von schwatzenden Franzosen umlagert, die Broschüren und Reisepässe schwenkten. Nikki blickte sich um. Ah, der Fahrstuhl. Ryan hatte ihr am Vortag bereits die Zimmernummer getextet. Dritter Stock. Die Kabine war innen vollständig verglast. Nikki starrte sich an. Ihr Büro-Outfit, in dem sie sich am Morgen noch so wohlgefühlt hatte, war leicht zerknittert. Hatte der enge Rock auch heute Morgen schon ihren dicken Hintern so betont? Jetzt glänzte auch noch ihre Nase, und ihre Haare waren eine einzige Katastrophe.
Sie hätte vorher nach Hause fahren sollen, duschen, sich umziehen. Die Zeit dazu hätte sie gehabt. Wenn sie nur nicht so ungeduldig und vor allem so frustriert gewesen wäre.
Nikki fummelte in ihrer Handtasche herum. Sie schminkte sich normalerweise kaum. Ein wenig getönte Tagescreme, ein Hauch Puder und Lipgloss, das war’s. Wo steckte der Puder … da war er ja. Hastig stäubte sie ihre sommersprossige Nase ein. Der Fahrstuhl hielt an, die Türen glitten auf. Ein Mädchen mit roten Zöpfen starrte sie an. Nikki klappte hastig das Döschen zu. Eine Puderwolke erhob sich und kitzelte ihre Nase, und sie musste kräftig niesen.
»Du hast da was«, sagte der Rotschopf und deutete auf ihre Bluse.
Puder überall. Nikki klopfte auf ihrer Bluse herum, was dazu führte, dass alles noch viel fester ins Gewebe eindrang.
»Die ist hinüber«, stellte das Mädchen fest.
»Macht nichts«, sagte Nikki, »er liebt mich auch so.«
Das Mädchen guckte skeptisch. Nikki schritt würdevoll an ihr vorbei aus dem Fahrstuhl, und hinter ihr glitt die Tür wieder zu.
Sie blickte sich nach den Zimmernummern um. Ryans lag am Ende eines breiten Flurs, der mit sanften Spotlights erhellt wurde. An den Wänden hingen Schwarz-Weiß-Fotos von bekannten Berliner Stadtansichten. Nikki lief am Fernsehturm vorbei, ließ die Museumsinsel links liegen und machte auch beim Dom nicht halt. Alles, was sie interessierte, lag hinter der letzten Tür am Ende des Ganges.
Kurz davor blieb sie stehen, um sich ein letztes Mal zu sammeln. Gedämpfte Musik drang aus dem Hotelzimmer dahinter. Nikki erkannte die markante Stimme Bob Dylans. Ein Sänger, den Ryan sehr verehrte, vor allem, nachdem dieser sogar den Literaturnobelpreis bekommen hatte.
Aber da war noch etwas anderes … Nikki schnupperte. Es roch leicht würzig und süß … Nikki schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht fassen. Ryan wusste doch genau, was sie davon hielt. Ganz abgesehen davon, dass es verboten war und ihm höllische Schwierigkeiten machen konnte, wenn man ihn erwischte.
Sie konnte sich noch genau an den spöttischen Tonfall in seiner Stimme erinnern, als sie ihn das erste Mal beim Kiffen erwischt hatte: Nikki, Darling, nun mach dich mal locker. Das hatte er gesagt. Und dann noch mehr, hauptsächlich, dass er das brauche, weil es ihn entspannen und zugleich seine Fantasie anregen würde. Alle Künstler würden bewusstseinserweiternde Drogen nehmen, ohne das ginge es doch gar nicht. Sie könne froh sein, dass er nichts von Alkohol hielt (was schlichtweg gelogen war: Ryan trank gerne Bier). Und dass sie sich nicht wie eine kleine Spießbürgerin aufführen sollte.
War Rauchen im Hotel nicht sowieso verboten? Eigentlich hatte Nikki klopfen wollen. Aber nun war sie so aufgebracht, dass sie einfach die Türklinke herunterdrückte. Nicht abgeschlossen. Nikki stürmte hinein. Das Erste, was sie hörte, war ein gedämpftes Kichern, eindeutig weiblich. Das Erste, was sie sah, war Ryans übliches Chaos. Halb ausgepackte Koffer, Klamotten überall verstreut. Über der Obstschale hing ein fliederfarbener, spitzenbesetzter Slip. Aus verdeckten Lautsprechern sang Bob Dylan von einem Simple Twist of Fate, einem kleinen Dreh des Schicksals, der ein ganzes Leben verändern konnte. Nikki starrte den Slip an, der cool zwischen Nektarinen und Bananen chillte. In ihrem Kopf hallte noch das weibliche Kichern nach.
Ryan hatte eine kleine Suite gebucht. Die Tür zum angrenzenden Schlafzimmer stand halb offen. Sie sollte wieder gehen. Jetzt, auf der Stelle, und nie mehr zurückkommen. Aber vielleicht gab es eine ganz einfache Erklärung, vielleicht interpretierte sie die Dinge auch nur falsch. Vielleicht … und dann hörte sie es. Leise Gitarrenklänge. Nikki machte die letzten drei entscheidenden Schritte. Sie stieß die Tür auf.
Ryan saß auf der Kante eines zerwühlten Bettes. Er trug nur eine schwarze Unterhose. Mit halb geöffneten Augen (sein berühmter Schlafzimmerblick) spielte er ganz in sich selbst versunken eine leise Melodie auf seiner Gitarre. Hinter ihm, auf den weißen Laken, rekelte sich eine üppige Schönheit. Splitterfasernackt.
Nikki erstarrte. Ihr schossen alle möglichen Dinge durch den Kopf. Satzfetzen, Erinnerungen, Befürchtungen. Es gab so vieles, was sie sagen konnte, sagen sollte. Aber es kam ihr partout nichts über die Lippen. Dafür gab die nackte Schöne (ein Model? Sie sah jedenfalls so aus, als könnte sie eines sein) ein Geräusch von sich. Sie quiekte erschreckt und zog flink eine Decke über sich.
Ryan blickte auf.
»Nikki?« Er warf einen Blick zum Wecker auf dem Nachttisch. »Du wolltest doch erst später kommen.«
Ein paar geschmacklose Wortspiele drängten sich ihr auf. Aber sie konnte immer noch nichts sagen. Ryan musterte sie mit Besorgnis in seinen schönen braunen Augen. »Es bedeutet nichts. Wirklich.«
»Ach nein?«, sagte die Schöne neben ihm mit eisiger Stimme.
Ryan blickte sie erstaunt an. »Wir hatten Spaß miteinander. Das ist alles.«
Spaß? Jetzt fand Nikki ihre Sprache wieder. »Aber du hast für sie Gitarre gespielt.«
Das war doch ihr Ding. Das hatte er nur mit ihr getan. Für sie.
»Er ist Musiker«, sagte die Schöne. »Und wer bist du?«
Als ob Nikki das nicht wüsste. Und als ob sie sich nicht erinnern würde, wie er ihr zärtlich ins Ohr geflüstert hatte, dass sie ihn inspirieren würde. Ihre Gegenwart allein ließe neue Melodien in seinem Kopf entstehen. Du bist meine Muse, hatte er mehr als einmal zu ihr gesagt.
»Niemand«, sagte Nikki leise.
Die Schöne schnaubte verächtlich. »Na, dann passt du ja hervorragend zu Mister Superstar. Ich jedenfalls, ich bin jemand. Und zwar jemand, der sich so eine Behandlung nicht gefallen lässt.« Sie stand auf, ließ achtlos die Decke fallen und begann, sich anzuziehen.
Nikki wusste nicht, wo sie hingucken sollte. Nicht zu ihr und nicht zu Ryan. Warum stand sie überhaupt noch hier herum? Es war doch alles geklärt. Sie befahl ihren erstarrten Gliedmaßen, sich zu bewegen. Oder wollte sie etwa mit der Schönen gemeinsam im Aufzug wieder runterfahren? Beim bloßen Gedanken daran lief ihr ein Schauer den Rücken herunter. Aber bewegen konnte sie sich trotzdem nicht.
»Du bist kein Niemand«, sagte Ryan. Nikki spürte seinen warmen Blick auf sich. Jetzt nur nicht hingucken.
»Gib dir keine Mühe, Cowboy«, kommentierte die Schöne. »Der Zug ist abgefahren. Wo ist mein Slip?«
»In der Obstschale«, sagte Nikki leise.
Die Schöne kicherte verhalten, griff ihre Jeans und ihre Handtasche und rauschte an Nikki vorbei. Ryan legte seine Gitarre auf das Bett und machte Anstalten, aufzustehen.
Das löste Nikkis Starre. »Nein.«
Sie wich einen Schritt zurück.
»Darling …«
Nikki schüttelte heftig den Kopf und wich noch einen Schritt zurück. Darling. Ob er die Schöne auch so genannt hatte?
Ryan setzte sich wieder. Das Bett knarrte.
»Was soll ich sagen …« Er breitete seine Arme aus.
»Du hast schon genug gesagt!«, rief die Schöne von nebenan. »Wie wär’s mit thank you and good night?«
Danke und tschüss. Die Tür zur kleinen Hotelsuite fiel krachend zu. Nikki konnte nicht anders, sie bewunderte den furiosen Abgang der Schönen. Wenn ihr doch nur etwas Ähnliches gelingen würde. Aber sie musste all ihre Kraft zusammennehmen, um nicht auf der Stelle in haltloses Schluchzen auszubrechen. Dieses Schauspiel wollte sie Ryan um nichts in der Welt bieten.
»Sorry.«
Sorry? Es tat ihm leid? Ryan blickte sie mit seinen großen braunen Augen zerknirscht an. Ein kleiner Junge, der unartig gewesen ist. Das Schlimmste daran: Ein Teil von Nikki wollte ihm tatsächlich verzeihen. Sie wusste schließlich nur zu gut, wie beliebt er bei seinen weiblichen Fans war. Und die Schöne gerade eben, nun, sie war tatsächlich sehr schön. Ungemein attraktiv. Nicht wie Nikki, die eher, wenn überhaupt, von einer leisen, unspektakulären Schönheit war. Wie hatte ihre Oma immer gerne gesagt? Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Nikki spürte, wie es feucht ihre Wangen hinunterlief. In ihren Augen lag momentan etwas ganz anderes. Nikki wischte sich über das Gesicht. Sie wollte nicht, dass Ryan merkte, wie tief er sie getroffen hatte. Denn ganz offensichtlich hatte er sehr viel weniger von ihrer Beziehung erwartet als sie. Wenn man das denn überhaupt Beziehung nennen konnte.
Nebenan beschwor Bob Dylans Stimme das Ende für sein »baby blue«.
Nikkis Erstarrung löste sich langsam. Sie hätte Ryan gerne noch ein paar passende, vernichtende Worte mit auf den Weg gegeben. Etwas, woran er sich immer erinnern würde. Etwas, das ihn bereuen ließ, dass er sich ihr gegenüber so schlecht benommen hatte. Aber, wie üblich, würde ihr eine schlagfertige Antwort erst sehr viel später einfallen, wenn alles längst vorbei war.
»Nikki, Darling, hör mal …«
Ryan stand auf und machte einen Schritt auf sie zu. Nikki drehte sich um und floh. Raus aus dem Schlafzimmer, vorbei am Obstkorb … der Obstkorb. Nikki hielt inne. Ohne bewusst darüber nachzudenken, griff sie nach einer Nektarine, drehte sich um und warf sie nach Ryan. Daneben. Sie hatte noch nie besonders gut zielen können.
»Baby, lass das!«
»Ich bin nicht mehr dein Baby. Aber ich werde tatsächlich etwas lassen. Und zwar dich!«
Die zweite Nektarine flog ins Schlafzimmer. Ryan duckte sich rechtzeitig.
»Wie konnte ich nur auf dich reinfallen?«
Die dritte Nektarine traf Ryan an der Schulter.
»Hey!«, rief er ungehalten.
Selber hey, dachte Nikki und warf noch eine letzte Banane hinterher, die jedoch vom Türrahmen abprallte. Jetzt war der Obstkorb so leer, wie sie sich innerlich fühlte.
Nikki hatte keine Ahnung, wie sie hier gelandet war. Sie wusste nur, dass sie unbedingt rausgemusst hatte. Raus aus diesem Hotelzimmer, weg von Ryan. Unterwegs auf dem Bürgersteig hatte sie sogar zweimal Passanten angerempelt. Unabsichtlich, versteht sich. Das kam eben davon, wenn man mit gesenktem Kopf und tränenverschleierten Augen durch die Gegend rannte.
Sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte, wo sie hingehen, was sie tun konnte. Ihr Herz fühlte sich an wie überfahren. Ein blutleeres kleines Ding am Straßenrand, das in den letzten Zuckungen lag.
Irgendwann war sie einfach links abgebogen und hatte sich in einem der zahlreichen kleinen Berliner Hinterhöfe wiedergefunden. Über einer dunkelblauen Holztür in der Backsteinwand lud ein pinkfarbener Neonschriftzug in die Sonder-Bar ein.
Nikki war keine besonders eifrige Bar- oder Kneipengängerin. Schon gar nicht alleine, höchstens mal mit Freunden. Aber heute war ihr das alles egal. Sie sehnte sich nach einem Platz, an dem sie niemand kannte und an dem sie durchatmen und sich von den Schrecken des Tages erholen konnte.
Nikki drückte die Tür auf und trat ein. Eine angenehm schummrige, sehr ruhige Atmosphäre hieß sie willkommen. In einem schmalen, lang gestreckten Raum befand sich an der linken Seite eine lange Theke. Dunkles, blank poliertes Holz, kleine rote Cocktailsessel, um Tischchen verteilt. Aus verdeckten Lautsprechern ertönte leise melodische Jazzmusik. An den Wänden hingen eingerahmt und vergrößert fantastische Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die Nikki sofort wiedererkannte: die verrückte Teeparty, das Krocket-Spiel, ein Pfeife rauchende Raupe. Alice im Wunderland hatte zu einem ihrer Lieblingsbücher gehört, als sie klein war.
Es war noch früh am Abend und die Bar entsprechend wenig besucht. Nikki suchte sich einen der kleinen Sessel an der rechten Wand aus. An der Theke unterhielten sich zwei Businessleute sehr intensiv, und in der hinteren Ecke saß ein Pärchen, das Reiseführer durchblätterte. Erst als Nikki sich hingesetzt hatte, merkte sie, wie zittrig ihre Knie geworden waren. Der kleine Sessel umschloss sie weich und stützend. Nikki schloss kurz die Augen und atmete. Einmal, zweimal.
»Guten Abend.«
Sie riss die Augen wieder auf. Der Kellner, ein junger Mann mit schwarzen Haaren und freundlichem Lächeln, reichte ihr die bereits aufgeschlagene Getränkekarte.
»Darf ich Ihnen schon etwas bringen?«
Den heutigen Tag zurück, dachte Nikki. Einfach alles noch mal auf Anfang, und dann natürlich mit einem besseren Ende. In jeder Hinsicht.
Die Drinks auf der Cocktailkarte trugen dem Bar-Motto entsprechende Namen: Verrückter Hutmacher, Rote Königin, Weißes Kaninchen oder Grinsekatz. Nikki fühlte sich überfordert.
»Könnte ich auch einen Cappuccino bekommen?«
»Selbstverständlich. Ich lasse Ihnen die Karte da, falls Sie noch Lust auf etwas anderes verspüren sollten.«
Nikki verspürte keine Lust zu gar nichts. In ihrer Handtasche fiepte leise ihr Smartphone vor sich hin. Sie sah nach. Drei verpasste Anrufe. Zwei Nachrichten. Alle von Ryan. Nikki löschte den ganzen Mist, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
»Ein Cappuccino, bitte sehr.«
»Danke.«
Die bittersüße Wärme des vorzüglich zubereiteten Getränks erfüllte ihren Magen mit einem wohligen Gefühl. Nikki knabberte den dazugelegten Keks (war der etwa frisch gebacken? Er schmeckte jedenfalls so) und versuchte, sich von den Klängen der leisen Jazzpianomusik beruhigen zu lassen.
Aber das war gar nicht so einfach. In ihrem Inneren tobte ein kleiner Sturm, und sie fühlte sich wie ein Rettungsboot, ausgesetzt auf hoher See, ganz allein. Nikki griff erneut nach ihrem Smartphone. Früher hatten sie alles geteilt, hatten zusammen gelacht und geweint, ihre jeweils erste Liebe überstanden. Nikki schickte Julia eine Sprachnachricht:
Kein Mann, kein Job. Der Tag kann dann auch weg.
Kaum hatte sie auf Senden gedrückt, bereute sie es auch schon wieder. Erstens stimmte es nicht ganz, sie hatte ihren Job ja noch. Nur eben nicht den, den sie sich gewünscht hatte. Zweitens hatte ihre Mutter ihr beigebracht, dass man nicht rumheulen sollte, sondern gefälligst die Backen zusammenkneifen und weitermachen. Und drittens, Julia hatte schließlich auch zu tun, mit ihrem Baby, ihrem Mann … Es war eben nicht mehr wie früher, wo man einfach alles stehen und liegen lassen konnte, sich zusammensetzte, redete, tröstete … Ihr Handy fiepte.
Ach, du Scheiße. Wo bist du?, kam Julias Antwort.
Sonder-Bar, schrieb Nikki.
Nicht WAS du bist, sondern wo!
Nikki konnte sich ein schwaches Grinsen nicht verkneifen. Genau.
Bin schon unterwegs.
Das hatte Nikki nicht erwartet. War das jetzt sehr egoistisch von ihr gewesen? Und was würde Daniel wohl dazu sagen? Julias Stimme hatte jedenfalls sehr entschlossen geklungen. Nikki leerte ihren Cappuccino. Im Hintergrund sangen Louis Armstrong und Ella Fitzgerald davon, Wange an Wange zu tanzen: Dancing cheek to cheek. Das Pärchen in der Ecke lachte leise über etwas auf seinem Handybildschirm. Ryan hatte auch so ein ansteckendes Lachen. Nikki musste sich erneut über die Wangen wischen. Sie schluckte und griff nach ihrem Handy. Keine neue Nachricht von Ryan. Die sie sich natürlich sowieso nicht angesehen hätte. Nein, niemals. Stattdessen öffnete sie die Facebook-App und scrollte sich durch die Fotos ihrer Timeline: Familie, Urlaub, Kinder, Hunde und Katzen. Alle und jeder schienen ein besseres, interessanteres, spannenderes Leben zu führen als sie. So sah das jedenfalls aus. Nikki wusste natürlich, dass die aufregende, vielfarbige Bilderwelt in ihrem Handy nicht immer der Realität entsprach. Dass es sich dabei höchstens um einen kleinen, gut gewählten Ausschnitt handelte. Aber es war gar nicht so einfach, sich ständig daran zu erinnern. Schon gar nicht, wenn die Bilder alle so schön bunt und voller Lebensfreude waren und ihr Herz so wund und weh.
Nikkis Finger stockten, hielten inne. Da war Isabell. Hatte ein Selfie gemacht von sich in der Firma, mit strahlendem Lächeln. Neue Aufgaben!, hieß es darunter. Es geht voran!
»Hey, Nikki, da bist du ja. Nettes Plätzchen hast du dir hier ausgesucht.«
Julia steuerte auf sie zu. Etwas atemlos ließ sie sich in das Sesselchen neben ihr plumpsen. Dann betrachtete sie Nikki genauer, und ihr Gesichtsausdruck wurde ernst.
»Du siehst aus wie zehn Tage Regenwetter. Was ist denn nun genau passiert?«
Wortlos reichte Nikki ihr das Handy rüber. Julia betrachtete Isabells Foto und zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Eine Arbeitskollegin«, erklärte Nikki.
»Lass mich raten. Sie hat den Job bekommen, den du haben wolltest.«
Nikki konnte spüren, wie sie in sich zusammensackte. Am liebsten würde sie sich in einer dunklen Ecke zusammenrollen, schlafen und erst wieder aufwachen, wenn eine laaange Zeit vergangen war.
»Und dann gleich bei Facebook damit angeben. Sie muss ein richtiges Schätzchen sein.«