Schreib ohne Furcht und viel - Albert Camus - E-Book

Schreib ohne Furcht und viel E-Book

Albert Camus

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Beschreibung

Im Frühjahr 1944 lernen sie sich im besetzten Paris kennen: der Schriftsteller Albert Camus und die Schauspielerin Maria Casarès. Wenig später beginnt eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die anderthalb Jahrzehnte währt – bis zu Camus' tragischem Unfalltod am 4. Januar 1960. Welche Intensität diese Liebe hatte, welche Höhen und Tiefen sie durchlebte, das dokumentiert ausführlich und eindrucksvoll der Briefwechsel der beiden. "Schreib ohne Furcht und viel", dieser Zuruf von Camus wirkt wie ein Motto für ihre Korrespondenz. In einer höchst poetischen Sprache versichern sie einander ihre Liebe, tauschen sich aus über Alltägliches wie über die großen Ereignisse in Politik und Literatur. In Frankreich erschien dieser Briefwechsel im Jahr 2017 und wurde zur literarischen Sensation. In Deutschland erscheint er jetzt zum ersten Mal. Das Buch spiegelt Camus' unverstellte Stimme wie kaum eine andere Publikation des Autors. Unsere Ausgabe enthält ein Vorwort des Schriftstellers Uwe Timm, der in den 1970er Jahren seine Doktorarbeit über Albert Camus schrieb.

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Seitenzahl: 2376

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Albert Camus • Maria Casarès

Schreib ohne Furcht und viel

Eine Liebesgeschichte in Briefen 1944-1959

 

 

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz, Andrea Spingler und Tobias Scheffel

 

Vorwort von Uwe Timm

Vorbemerkung von Catherine Camus

Über dieses Buch

Im Frühjahr 1944 lernen sie sich im besetzten Paris kennen: der Schriftsteller Albert Camus und die Schauspielerin Maria Casarès. Wenig später beginnt eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die anderthalb Jahrzehnte währt – bis zu Camus' tragischem Unfalltod am 4. Januar 1960. Welche Intensität diese Liebe hatte, welche Höhen und Tiefen sie durchlebte, das dokumentiert ausführlich und eindrucksvoll der Briefwechsel der beiden. «Schreib ohne Furcht und viel», dieser Zuruf von Camus wirkt wie ein Motto für ihre Korrespondenz. In einer höchst poetischen Sprache versichern sie einander ihre Liebe, tauschen sich aus über Alltägliches ebenso wie über die großen Ereignisse in Politik und Literatur.

In Frankreich erschien dieser Briefwechsel im Jahr 2017 und wurde zur literarischen Sensation. In Deutschland erscheint er jetzt zum ersten Mal. Das Buch spiegelt Camus' unverstellte Stimme wie kaum eine andere Publikation des Autors. Unsere Ausgabe enthält ein Vorwort des Schriftstellers Uwe Timm, der in den 1970er Jahren seine Doktorarbeit über Albert Camus schrieb.

Vita

Albert Camus wurde am 7. November 1913 in ärmlichen Verhältnissen als Sohn einer Spanierin und eines Elsässers in Mondovi, Algerien, geboren. Von 1933 bis 1936 studierte er an der Universität Algier Philosophie. 1934 trat er der Kommunistischen Partei Algeriens bei und gründete im Jahr darauf das «Theater der Arbeit». 1937 brach er mit der KP. 1938 entstand sein erstes Drama «Caligula», das 1945 uraufgeführt wurde. Camus zog 1940 nach Paris. Neben seinen Dramen begründeten der Roman «Der Fremde» und der Essay «Der Mythos des Sisyphos» sein literarisches Ansehen. 1957 erhielt Albert Camus den Nobelpreis für Literatur. Am 4. Januar 1960 starb er bei einem Autounfall.

Das Gesamtwerk von Albert Camus liegt im Rowohlt Verlag vor.

 

Maria Casarés (1922 - 1996) wurde als Schauspielerin durch ihren Auftritt in dem Film «Kinder des Olymp» berühmt. Sie wirkte mit in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen, vor allem aber bei vielen Theaterarbeiten an verschiedenen Pariser Bühnen.

Uwe Timm

Utopie Liebe

Nach fünfzig Jahren habe ich für dieses Vorwort wieder Albert Camus gelesen. Das erste Buch, Der Fremde, hatte mir, dem Neunzehnjährigen, ein Freund geschenkt. Die Lektüre war eine Offenbarung. Die Faszination, die von diesem Roman ausging, lag in der kühlen sprachlichen Distanz, mit der die Dinge und Menschen beschrieben wurden, bei einer gleichzeitigen Feier der Mittelmeerlandschaft, von Meer, Sonne, Sand. Solche schnörkellosen, lapidaren Sätze, mit denen die Geschichte eines Mannes und eines Mordes ohne klares Motiv erzählt wird, zugleich dieser Verzicht auf alles Gefühlige und Moralisierende, so etwas hatte ich noch nicht gelesen. Meursault, der ungerührte Held dieser Geschichte, steht in seiner radikalen Ehrlichkeit, seiner Ablehnung jeder Konvention und in dem Verzicht auf vorschnelles Einverständnis für eine entschiedene Eigenständigkeit.

Um die Wirkung des Romans zu verstehen, der nicht nur mich, sondern viele meiner Generation ergriff, muss man von den fünfziger und frühen sechziger Jahren sprechen, von der Zeit des selbstgefälligen Wirtschaftswunders, vom Verschweigen der Untaten, der fraglosen Autorität der Eliten, den erstarrten Konventionen, den Tanztees, Verlobungen, Antrittsbesuchen, den seichten Schlagern, den Heimatfilmen, diesem einzigen genuin deutschen Filmgenre, von der großen moralischen Heuchelei.

Dagegen die illusionslose Ehrlichkeit Meursaults, wenn er von seiner Freundin gefragt wird, ob er sie liebe: Ich habe geantwortet, dass das nichts hieße, dass es mir aber nicht so schiene. Die Antwort ist hart und rücksichtslos, aber sie räumt der Frau auch die Freiheit der Entscheidung ein.

Der Roman stellt in seiner kühlen Klarheit jede metaphysische Sinngebung in Frage. Wir fragen, und die Welt schweigt. Das ist nach Camus die absurde menschliche Existenz. Wie kann man ohne Sinn leben? Mit ebendem Bewusstsein des Unwiederbringlichen, des Einmaligen, im Jetzt zu leben. Diese konkrete leibliche Existenz ist alles. Darüber hinaus ist nichts. Meursault wertet nicht, hat aber ebendarum eine distinkte Wahrnehmung von den Menschen und der Natur. Bürgerliche Moral, Erfolg, Geltung und Karriere sind ihm gleichgültig. Er erschießt am Strand einen Araber. Warum? Es gibt keine plausible Erklärung. Vielleicht die Hitze, vielleicht die Sonne. Vor allem aber: Meursault bereut seine Tat nicht – das wird ihn buchstäblich den Kopf kosten.

Camus beschreibt diese Haltung als indifférence, Gleichgültigkeit, die ich mir mit Gleichmut übersetzte. Sie gewährt dem Individuum die existenzielle Freiheit gegenüber der Gesellschaft.

Ich ging nach Braunschweig, an das dortige Kolleg, wo ich in zwei Jahren das Abitur nachholen wollte, im Gepäck die Bücher Der Mythos von Sisyphos und Der Fremde. Ich hatte mir, nachdem ich das verschuldete Kürschnergeschäft des Vaters nach Verhandlungen mit Banken, Händlern, Kunden und intensiver Arbeit salviert hatte, einige Forderungen für diesen Neubeginn notiert: keine emotionalen Unwahrheiten. Soziale Distanz. Sprachliche Genauigkeit. Keine Kompromisse. Distinktion. Intensives Studium. Lediglich die letzte Forderung passte ganz gewiss nicht zu Meursault.

Am Kolleg traf ich einen anderen Leser von Der Fremde – Benno Ohnesorg. Er hatte sich Albert Camus biographisch angenähert, war nach Nordafrika getrampt, um diese Landschaft zu erleben, die Camus so hymnisch in Hochzeit des Lichts beschrieben hat und die den Hintergrund für Der Fremde bildet. Ich hingegen hatte mich in die Philosophie vergraben und mir später das Thema Das Problem des Absurden bei Albert Camus geben lassen, erhielt für ein Jahr ein Stipendium an der Sorbonne und kam 1966 im Gare de L’Est an, lief mit dem Koffer, darin wieder die Bücher von Camus, durch den Regen, durchnässt, da ich den Schirm im Zug hatte stehen lassen. Zu falsch schien mir, mit einem Regenschirm durch die Stadt zu gehen, in der das Absurde gedacht worden war.

Das muss so ausführlich erzählt werden, um mein Erstaunen zu verstehen, als ich jetzt den Briefwechsel zwischen Albert Camus und Maria Casarès las.

Weigert sich Meursault, das Wort Liebe überhaupt auszusprechen, … dass das nichts hieße, … wird es von Camus in seinen Briefen schier inflationär gebraucht. Von Gelassenheit, Gleichgültigkeit, von indifférence kann nicht die Rede sein, im Gegenteil, die Briefe berichten von einem emotionalen Aufruhr, einem sprachlichen Außer-sich-Sein. Nicht nur werden Zweifel an Maria Casarès’ Liebe ausgesprochen, ihre Liebe wird regelrecht eingefordert: Aber Du musst mich lieben …, Liebe mich …, Denk viel an mich …, und immer wieder fragt Camus: Liebst Du mich? Vergiss mich nicht bis Samstag. Denk an mich die ganzen Tage lang.

Dieser inflationäre Gebrauch des Wortes Liebe ist zunächst irritierend. Die Briefe lesen sich wie von einem jungen Mann verfasst, der nie Der Fremde gelesen hat. Doch dann wird – und wir hören in dem ersten Teil, 1944, nur Camus sprechen – dieses Floskelhafte aufgeladen, bekommt sein Gewicht durch die Offenheit, mit der Camus über sich spricht, über seine tiefe Verunsicherung, ja Verzagtheit. Die Welt da draußen bleibt in diesen Briefen merkwürdig ausgeschlossen. Keine Rede von der gerade erfolgten Invasion der Alliierten, von dem Hunger, dem Ausgangsverbot, den Deportationen, dem Kriegsrecht, dem Widerstand, der Gestapo, denn noch ist Paris von den Deutschen besetzt. Auch erfahren wir nichts von den Reaktionen Maria Casarès’ auf Camus’ Zweifel an ihrer Liebe. Die Bitte um Nähe, ja das Flehen, sie, die Geliebte, möge kommen, sie möge schreiben, die Bitte an die junge, einundzwanzigjährige Frau um Zuwendung, die allein ihre körperliche Gegenwart gewähren kann. Jene Schauspielerin, die uns, meiner Generation, bekannt war durch die Filme Les Enfants du Paradis, in der sie eine Frau spielt, die einen Mann liebt, der eine andere liebt, und durch Orphée, Filme, die wir in Braunschweig gesehen und bewundert haben.

Maria Casarès kommt im ersten Teil des Briefwechsels aus dem Jahr 1944 nicht selbst zu Wort. Wir wissen, dass Camus sie in der Abendgesellschaft bei Michel und Zette Leiris kennengelernt hat. Ich bin nicht gemacht, um im Traum zu lieben, aber wenigstens weiß ich das Leben da zu erkennen, wo es sich befindet – und ich glaube, ich habe es an jenem ersten Tag erkannt, als Du im Kostüm von Deirdre über meinen Kopf hinweg mit ich weiß nicht welchem unmöglichen Liebhaber geredet hast.

Frauen spielen in den Romanen von Camus keine herausgehobene Rolle, auch werden sie weder in ihrem Äußeren noch in ihrer Eigenart genauer beschrieben. Sie sind jung, schön und geben sich schnell hin, wollen dann aber auch gleich geheiratet werden, wie Marie, die Meursault nach einem Tag einen Heiratsantrag macht. Er beantwortet ihre Frage mit einer emotionslosen Zustimmung, es wäre ihm egal, er mache mit, aber lieben würde er sie sicherlich nicht.

Ganz anders wird in diesen Briefen die Liebe als Glück gefeiert: Du warst nie schöner als an jenem Abend, als Du mir sagtest, Du seiest glücklich (Du erinnerst Dich, mit Deiner Freundin). Ich liebe Dich auf viele Arten, vor allem aber so – mit dem Gesicht des Glücks und jenem Strahlen des Lebens, das mich immer zutiefst aufwühlt.

Die rätselhaft emotionale Wunschkraft Liebe, gleichermaßen auf gegenwärtige Nähe wie auf Zukunft gerichtet, ist eine Form der Utopie, in der das Selbst sich als ein bedürftiges ergänzt erfährt, beschenkt, wie es selbst schenkt.

Das ist eines der mutigen Bekenntnisse in diesem Briefwechsel: Es bedeutet, dass ich mit Dir eine Lebensquelle wiedergefunden habe, die ich verloren hatte. Manchmal braucht man einen Menschen, um man selbst zu sein. Das ist das Normale. Ich brauche Dich, um mehr als ich selbst zu sein. Das wollte ich Dir letzte Nacht mit der Unbeholfenheit der Liebe sagen. Entschuldige meine Schrift.

Auch die Schrift kommt aus dem Lot, wandelt sich, verändert sich. Das Wünschenswerte, auf Gemeinsamkeit und Zukunft hin Entworfene ist die emotionale Solidarität, was möglich ist, was jeder dem anderen schenken kann für den Neubeginn, ein anderer zu werden. So hatte ich damals die Verweigerung Meursaults verstanden, das Wort Liebe müsse geschützt, ja gehütet werden, für die geglückteste Form des Begehrens.

Wie eigentümlich ist es, den erfolgreichen, schon damals berühmten Briefschreiber in seiner Verletzlichkeit, ja Bedürftigkeit zu erleben. Sätze, die aus dem literarischen Mund Meursaults so nicht denkbar wären: Und dazu bin ich eifersüchtig, und zwar so blöde, wie man nur sein kann. Ich lese Deine Briefe, und jeder Männername macht mir einen trockenen Mund. Denn Du gehst nur mit Männern aus.

Wurde die schutzlos gezeigte Emotionalität durch diese Frau, Maria Casarès, erst ausgelöst, oder verbarg sich hinter der distanzierten Haltung der indifférence die Angst vor Enttäuschung? Der junge, einundzwanzigjährige Albert Camus war mit der Untreue seiner ersten Frau konfrontiert worden. War also die gepredigte stolze indifférence lediglich ein apotropäischer Begriff?

Camus hat es nicht an Zuspruch von Frauen gefehlt. In meinem Studienjahr in Paris war ich einmal zu einem Empfang eingeladen, auf dem auch die Mandarine um André Malraux versammelt waren. Camus war sechs Jahre tot, aber im Bewusstsein und im Gespräch noch sehr gegenwärtig. Claire Goll suchte einen deutschen Studenten, der ihr bei der Archivarbeit helfen sollte. Ich hatte sie einmal besucht, mich dann aber rasch verabschiedet, da mich die obsessive Art befremdete, mit der sie Paul Celan des Plagiats beschuldigte. Auf dem Empfang traf ich sie wieder. Ihre Geschichten über die Anwesenden waren von einer boshaften Schärfe. Sie deutete mit Blicken auf elegante, junge Frauen, die angeblich Affären mit Camus gehabt hatten. Auch nur die Hälfte von ihnen wäre noch mehr als genug gewesen.

Camus’ zwanghafte Amouren deuten womöglich auf eine tiefe Unsicherheit, eine unruhige Suche nach Beständigkeit, nach dem absoluten Gefühl, das er dann mit Maria Casarès gefunden zu haben glaubte. Dazu trägt die Form des ersten Kennenlernens bei, die Amour fou. Der Blitz, der erste, bestimmende Blick, wie Roland Barthes es nennt, ist der Hypnose vergleichbar. Genau so beschreibt es Camus in einem seiner Briefe: … aber es gab einen Blitz, etwas, das durch uns hindurchgegangen ist, vielleicht ein Blick … Das ist nicht das langsame Kennenlernen, Entdecken, ein Sich-Annähern, Sich-Mühen, sondern das sofortige Erkennen, das gegenseitige Einverständnis, das Hier, Jetzt, Sofort, Alles. Es ist das Ver-rückt-Sein der Liebenden. Was auf den Außenstehenden ein wenig peinlich wirkt –, für den Betroffenen auch peinsam ist, schlägt sich in den inbrünstigen Wünschen nieder, die ohne Ironie – die ist Camus fremd – niedergeschrieben werden, rücksichtslos sich selbst und der Frau gegenüber: Ruf mich an. Vergiss mich nicht bis Samstag … Verlass mich nicht, ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als Dich zu verlieren. Dieser inständige Wunsch nach Dauer, Beständigkeit der Gefühle verrät sich in der gleichzeitigen Relativierung: Aber welcher Liebe kann man immer sicher sein. Eine Geste, und alles kann sich auflösen, wenigstens einen Moment lang. Schließlich genügt ein Mensch, der Dich anlächelt und der Dir gefällt, und wenigstens eine Woche lang gibt es keine Liebe mehr in diesem Herzen, auf das ich so eifersüchtig bin.

Er selbst bestätigt mit seinen zahlreichen, ständig wechselnden Beziehungen solche Unbeständigkeit, ja Beliebigkeit. Wiederholungen und Beliebigkeit nähren das absurde Lebensgefühl. Beliebig ist, was keinen Grund hat in sich, so sein zu müssen, wie es ist. In dieser Liebe aber betont Camus immer wieder, alles sei anders, einzig, einmalig. Du hast nicht gemerkt, dass ich plötzlich eine Leidenschaftsstärke auf einen einzigen Menschen konzentriert habe, die ich zuvor hier und da, ganz zufällig und bei allen Gelegenheiten verbreitet habe.

Wir wissen allerdings, dass das Hier und Da sich bei zukünftigen Gelegenheiten wieder einstellen wird, mit anderen Frauen. Ich weiß nicht, ob Briefe – wenn es denn welche gibt – an andere Geliebte ebenso außer-sich klingen wie die an Maria Casarès gerichteten. Und ich muss gestehen, ich wünsche es mir nicht. Das betont Einzige, Einmalige wird bei Wiederholungen nicht nur absurd, sondern auch banal.

Camus’ Bedürfnis nach Liebe, vor allem danach, geliebt zu werden, der Wunsch nach Dauer, ist durchwirkt von dem Wissen um die Unbeständigkeit und Vergänglichkeit der Gefühle. Diese emotionale Unsicherheit mag in der eigentümlichen Bindung an seine Mutter begründet sein. Er vergötterte sie, noch im Alter, obwohl sie für ihn in der Kindheit zwar nah, aber in ihrer Sprachlosigkeit zugleich merkwürdig fern war. Die Angst vor Liebesentzug und Liebesverlust, die Anfälle von physischer, aus seiner Lungenerkrankung herrührenden Atemnot verquicken sich mit der Angst, im Schreiben zu scheitern, nicht dem eigenen Anspruch zu genügen. Mit dem Lernen, vor allem mit dem Schreiben hat sich der junge Camus aus seiner Familie und aus seinem Milieu befreit. Ein Schreiben, das in den frühen Romanen die Unaffizierbarkeit und heroische Selbständigkeit der Figuren betont – zugleich aber in Gestalt des Schreibers Anerkennung und Nähe begehrt.

Zur Dramaturgie dieses Briefbandes gehört, wie schon gesagt, dass Maria Casarès im ersten Teil nicht selbst zu Wort kommt. Vieles vom Anfang dieser Beziehung bleibt dadurch im Dunkeln. Warum und wie hat sich Maria Casarès dann von Camus getrennt? Es heißt, sie habe ihn verlassen, als Francine, seine während des Krieges als Lehrerin in Algerien lebende Frau, nach Frankreich zurückkehren konnte. Kurz darauf wurde Francine schwanger und bekam die Zwillinge Jean und Catherine. Das von Camus immer wieder beschworene Glück der Liebenden ist, wie so oft, nach einem überzeitlichen Muster mit dem Unglück anderer verbunden.

Nur indirekt, nicht namentlich und sehr verdruckst, wird die sensible, schöne Francine erwähnt, Mathematiklehrerin und Bach-Interpretin. Sie litt unter Depressionen und musste Jahre später nach einem psychischen Zusammenbruch in eine Klinik eingeliefert werden. Dort versuchte sie, sich mit einem Sprung aus dem Fenster das Leben zu nehmen. Sie überlebte mit zahlreichen Knochenfrakturen.

Nach vier Jahren, 1948, nimmt Camus den Briefwechsel und die Beziehung selbst erneut auf. Er und Maria Casarès sollen sich, wie es zu dieser romantischen Liebe gehört, zufällig auf dem Boulevard Saint Germain wiederbegegnet sein. Und jetzt, im August 1948, erscheint, worauf ich als Leser ungeduldig gewartet habe, der erste Brief von Maria Casarès. Damit bekommt die Korrespondenz einen weiten Horizont, gewinnt an Spannung, Reichtum, wird, trotz des oft monologischen Charakters der Liebesbeschwörungen, zum Zwiegespräch, besser Zweiklang der Stimmen. Maria Casarès öffnet sich in den Briefen und macht uns diese Beziehung in ihrer Tiefe und Radikalität aus ihrer Sicht verständlich. Die Anschaulichkeit und die sinnenhafte Beschreibung ihrer Empfindungen heben sich deutlich ab von der reflektierenden und appellierenden Sprache Camus’. In Maria Casarès’ Briefen kommt die Liebe in ihrer Atemlosigkeit, ihrer Bewegung und in einer sich auflösenden Syntax zur Sprache. Eine Hymne an den Körper: Das Glück, das Du mir schenkst, indem Du existierst, durch die bloße Tatsache, dass Du existierst (nah oder fern), ist groß, aber, ich muss es zugeben, etwas vage, etwas abstrakt, und Abstraktion hat noch nie eine Frau beglückt, jedenfalls nicht mich. Was willst Du machen? Ich brauche Deinen langen Körper, Deine gelenkigen Arme, Dein schönes Gesicht, Deinen klaren Blick, der mich aufwühlt, Deine Stimme, Dein Lächeln, Deine Nase, Deine Hände, alles.

Und dieses Alles ist die Liebe.

Hier muss die beeindruckende, kenntnisreiche Biographie Camus. Das Ideal der Einfachheit von Iris Radisch erwähnt werden. Sie hat mir das Leben des Schriftstellers Camus nahegebracht. Dieser Briefwechsel und die Biographie sollten zusammen gelesen werden. Das Privatleben Camus’, seine Jugend, seine Ehen haben mich, als ich über seine Philosophie arbeitete, nicht sonderlich interessiert. Aus dieser Biographie habe ich erst jetzt erfahren, welche tiefen Verletzungen Albert Camus in seiner Kindheit und Jugend erlitten hat, wie er sich dank eines Lehrers, Louis Germain, aus den ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet hat. Da gab es nicht nur die bittere Armut – die Camus später immer wieder feiert –, sondern auch die triste familiäre Situation. Der Vater war im Ersten Weltkrieg gefallen, und die fast sprachlose Mutter konnte Albert und seinen drei Jahre älteren Bruder Lucien nicht vor der brutalen, ja sadistischen, mit einem Ochsenziemer die Kinder strafenden Großmutter schützen. Ein Foto zeigt sie, eine schwarz gekleidete, gedrungene Gestalt wie aus einem Angsttraum. Diese lieblos brutale Großmutter klammert sich im Sterben an die Hand des jungen Albert Camus’ – er entreißt sie ihr: unversöhnlich angesichts des einst schmerzhaft enttäuschten Wunsches nach Liebe und Schutz.

Darum dieser ideologische Panzer der indifférence, der Gleichgültigkeit? Dieses Wechseln, ja regelrechtes Stapeln der Geliebten – auf der Beerdigung von Camus 1960 ging hinter seinem Sarg seine Frau Francine, während die drei offiziellen Geliebten, darunter Maria Casarès, sich im Hintergrund hielten – steht für eine Vorratshaltung von leiblicher Zuwendung, ein rastloses Suchen nach Frauen, nach liebenden, zur Hingabe bereiten Frauen. Vielleicht ist so der irritierend zynische Satz in seinem Tagebuch zu verstehen: Außer in der Liebe sind die Frauen langweilig.

Diese junge Frau aber, Maria Casarès, das können wir nachlesen, war gewiss nicht langweilig. Wie sie über sich und Camus, über ihre Liebe, über ihre gemeinsame Arbeit schreibt und wie sie die Menschen in ihrer Umgebung beschreibt – bei Camus bleiben die Menschen meist nur Namen –, zeigt eine genaue Beobachtungsgabe, Humor und ein erstaunliches Einfühlungsvermögen. Von einer Begegnung mit der reichen Nancy Cunard, Dichterin und Gefährtin Aragons, berichtet sie Camus: … eine alte, zerknitterte Engländerin, lang wie ein Tag ohne Brot, herzerweichend mager, ohne jeden Sinn und Verstand geschminkt und mit einer Gardine, die sie irgendwo in einem Antiquitätenladen gefunden hat, verkleidet …

Solcherlei Witz und Ironie findet man bei Camus nicht, auch nicht diese eigene sprachliche Bildhaftigkeit. Sie schreibt über das Rauchen, Spazierengehen, Kopfweh und einen von Sehnsucht durchwirkten Alltag.

Wenn ich Dich in Gedanken gebräunt vor mir sehe, taumele ich.

Es ist schlechtes Wetter hier; ich bin noch wie Milchkaffee, mehr Milch als Kaffee, und mache mir einen Haarknoten oder einen Zopf hinten, wie die Chinesen. Ich ziehe so wenig wie möglich an.

Und vor allem existiere ich nicht, ich warte darauf zu existieren, bin nur Verheißung.

Während Camus allein mit Ungeduld den nächsten Brief, das nächste Wiedersehen erwartet, ist bei ihr auch eine gewisse Ungeduld über das ungeklärte Verhältnis ihrer Beziehung und die ständige Rücksichtnahme herauszuspüren. Recht deutlich drängt sie in dem Brief, es ist Weihnachten 1948, und Camus ist wahrscheinlich direkt von ihr zu seiner Frau und seinen Kindern gegangen: Du bist fort, mein Liebster … auf eine Klärung der Beziehung: Ich liebe Dich nicht «im Universellen», aber ich verstehe nicht, wie das Glück, das Dein ständiges In-mir-Sein in meinem Herzen weckt, nicht ausreichen kann, mich glücklich zu machen, und es gibt Momente, da ich mich ärgere, mehr zu wollen.

Aber was willst Du!

Das steht da, nicht mit einem Frage-, sondern einem Ausrufezeichen, und ist eher eine Aufforderung, sich zu entscheiden. Scheidungsanwälte wissen, die Weihnachtsfeste sind die Zeit im Jahr, in der viele Geliebte, Männer wie Frauen, auf Klärung der Verhältnisse drängen. Maria Casarès schreibt: Ich will Dich, ich weiß es, das ist ein Bedürfnis, und ich werde mein ganzes Herz, meine ganze Seele, meinen ganzen Willen und sogar meine ganze Grausamkeit, wenn es nötig ist, daransetzen, Dich zu haben.

Vieles lässt sich aus den Briefen nicht erschließen, da es auch mündlich besprochen wurde. Verfolgen lässt sich jedoch die Lektüre von Maria Casarès, sie schreibt über Tolstois Krieg und Frieden (… was für ein Buch!), Dostojewskis Die Dämonen (… seltsames Kauderwelsch, vielleicht genial, aber mich hat es nicht gepackt …), Balzacs Der Dorfpfarrer (… wird gerade zur Wonne meiner Tage …), Steinbecks Das Tal des Himmels (… immer wieder erliege ich der grenzenlosen Zärtlichkeit, die aus seinen Seiten spricht …), und über Hemingways Haben und Nichthaben urteilt sie: … darin habe ich gewiss gut geschriebene Seiten gefunden, aber mein Gott, wie staubig, düster, trostlos das alles ist, wie sehr es nach Zimmern mit abgelösten Tapeten, ungemachten Betten, nächtlichem Schweiß und schmutziger Wäsche riecht!

Darauf reagiert Camus mit dem sauertöpfischen Hinweis: Hemingway? Das geschieht Dir recht. Warum liest Du diese geistlosen Trickser?

Da mag die Erinnerung an die Kritik Sartres hineinspielen, der bei Erscheinen des Fremden 1943 in einer Rezension den vom amerikanischen Neorealismus abgeschauten Sprachstil moniert hatte.

Was Maria Casarès sieht und erlebt, wird nicht nur beschrieben, sondern aus ihrer jeweiligen Stimmung gedeutet, wie der von Claude Monet in unterschiedlichen Lichtverhältnissen gemalte kleine See: Unter dem grauen Himmel und dem Abglanz einer außerordentlich gedämpften Sonne nahm er außergewöhnliche Nuancen und Farbtöne an, und da es regnete und sich niemand hinauswagte, konnten wir die absolut stille Einsamkeit dieses Fleckchens nach Herzenslust genießen.

Zwei Tage später schreibt sie über den See: Heute war er traurig und trüb. Das Licht, besser gesagt das fehlende Licht stand ihm überhaupt nicht, und er sah ganz idiotisch aus, wie er da neben Eisenbahngleisen lag. Ja, er war wirklich ein ziemlicher Stiesel, und ich habe es ihm sehr übelgenommen, dass er mich enttäuscht hat.

Diese in einer alltagsnahen, flapsigen Sprache verfassten Naturbeschreibungen finden ihren Gegenpart in den staunenswert lyrischen Landschaftsbeschreibungen Camus’. Nachts wanderte er mit dem Freund René Char auf den Höhen des Vaucluse-Gebirges: Die Milchstraße tauchte ins Tal und traf auf den leuchtenden Nebel, der von den Dörfern aufstieg. Man wusste nicht mehr, was Sterne und was Lichter der Menschen waren. Es gab Dörfer am Himmel und Sternbilder im Gebirge. Die Nacht war so schön, so weit, so duftend, dass einem das Herz so groß war wie die Welt. Und doch hast Du dieses Herz ausgefüllt. Und nie habe ich mit so viel Hingabe und Freude an Dich gedacht.

Ein langes Gespräch über die gemeinsame Theaterarbeit zieht sich durch die Briefe. Camus schreibt an dem Theaterstück Der Belagerungszustand, in dem Maria die Victoria spielen soll. Dieses Projekt, das Verwerfen, Umschreiben von Szenen und Dialogen wird von den Klagen und Zweifeln Camus’ über das Gelingen des Stücks begleitet. Quälende Tage, an denen die Arbeit stockt. Immer wieder betont er, wie sehr er sie, Maria Casarès, braucht, für seine Arbeit, für sein Schreiben. Ich komme mit meinem nur halb fertigen Stück zurück. Was mich ärgert. Aber ich weiß nicht warum, ich zähle auf Dich, um mich wieder anzuregen und um mir zu helfen.

Könnte es sein, dass hier, in dieser Bedürftigkeit des solitaire, das Gefühl geradezu ekstatisch seinen Ausdruck findet und zu der Einsicht des solidaire, also des Einsam und des Gemeinsam, kommt, dass hier also der Keim für ein neues Werk liegt? Die beiden Begriffe hat Camus in der Erzählung Jonas oder der Künstler bei der Arbeit zusammengebracht. Der erfolgreiche Künstler Jonas zieht sich in einen Verschlag zurück, um sein großes Werk zu vollenden. Nach wochenlanger Arbeit ist das Werk fertig. Eine weiße Leinwand, darauf stehen in einer winzigen, kaum lesbaren Schrift diese beiden Wörter, solitaire und solidaire.

Vielleicht liegt in der Bedürftigkeit nach Liebe, die weit mehr als Zuspruch oder Vertrauen verlangt, ein Hoffen auf das, was nach der Zeit des Absurden und der Revolte als neuer literarischer Anfang kommen wird. Dafür spricht Camus’ Hinweis: Und doch habe ich gewaltige Pläne. So ehrgeizige, dass mir manchmal schwindlig wird. Ich kann Dir hier nicht davon erzählen. Ich werde es tun, wenn Du mich darum bittest. Ich kann Dir aber sagen, dass ich mit dem Stück, das ich gerade schreibe, und dem Essay, den ich dann abschließen werde, einen Teil meines Werks beende, der mir dazu dienen sollte, mein Handwerk zu lernen und vor allem den Weg für das zu ebnen, was dann folgen wird.(…) Zum Glück trifft dieser neue Aufbruch ungefähr mit unserer Begegnung zusammen.

Seit 1958 hat Camus an einem Roman geschrieben, der in der Sprache, auch in der Anlage der Charaktere, sich weit von der stark gedanklich geprägten, parabelhaften Struktur der frühen Werke unterscheidet: Der erste Mensch. Das Manuskript hatte Camus in der Aktentasche, als er mit Michel Gallimard, dem Neffen seines Verlegers, von Lourmarin nach Paris zurückfuhr. Der Wagen kam auf der Landstraße ins Schleudern und prallte frontal gegen einen Baum. Camus war sofort tot, Michel Gallimard starb wenige Tage später. Der Roman blieb Fragment und erschien erst 1994. Camus erzählt in einer detailreichen, dem Mündlichen nahen Sprache von den französischen Siedlern in Algerien. Die Menschen erscheinen als verletzlich, ängstlich und voller Zweifel und Wünsche, ohne den heroischen Gestus des Gleichmuts der frühen Romane. Wir können Der erste Mensch als eine fiktionalisierte Biographie von Albert Camus lesen, in diesem Roman scheint das Gleichgewicht erreicht zu sein zwischen dem, was ich bin, und dem, was ich sage.

Wer weiß, wie anders Der Fremde auf mich Neunzehnjährigen gewirkt hätte, wenn ich diesen Briefwechsel damals hätte lesen können. So entfernte ich mich von dem Fremden und dem selbsterarbeiteten Gleichmut erst, als die Revolte, die Benno Ohnesorgs Tod befeuert hatte, 1967 ausbrach. Die Gleichgültigkeit wandelte sich in Empörung und in eine lange Wut. Aus solitaire wurde solidaire – die Offenheit der Sprache, der Mut, über Verletzungen und Ängste zu reden, und die Fähigkeit, die Liebe zu leben. Merkwürdig mutet an, dass der Tod des von einem Polizisten, der zugleich Stasispitzel war, erschossenen jungen Benno Ohnesorg in gewisser Hinsicht Camus’ Unfalltod ähnelt, von dem Sartre sagte: Für alle, die ihn geliebt haben, liegt in diesem Tod eine unerträgliche Absurdität. Das gilt aber auch für den Tod des von Meursault erschossenen Arabers, wobei von denen, die ihn geliebt haben, im Roman Der Fremde nie die Rede ist. Camus hatte sie nicht im Blick.

Die Korrespondenz zwischen Albert Camus und Maria Casarès wird wahrscheinlich als eine der letzten in die lange Tradition romantischer Briefliteratur eingehen. Heute warten nur noch wenige auf Briefe. Man telefoniert, mailt, zoomt, chattet, postet, facetimet, alles in einer elektronischen Scheingegenwart.

In diesen Briefen hingegen verwandelt der dringliche Wunsch nach Nähe sich in abstrakte Zeichen, die wunderbarerweise Raum und Zeit belebend überwinden. Sobald, schreibt Albert Camus, ich Deinen Brief erhalten habe, werde ich wieder atmen können.

Catherine Camus

Vorbemerkung

«Eine Zeit wird kommen, in der wir trotz aller Schmerzen leicht, fröhlich und aufrichtig sind.»

Albert Camus an Maria Casarès, 26. Februar 1950

Maria Casarès und Albert Camus begegneten sich am 6. Juni 1944, dem Tag der Landung der Alliierten, in Paris. Sie war einundzwanzig, er dreißig Jahre alt. Maria, im spanischen A Coruña geboren, war 1936 als Vierzehnjährige nach Paris gekommen. Ihr Vater, Santiago Casares Quiroga, mehrfach Minister und Ministerpräsident der Zweiten Republik, hatte ins Exil gehen müssen, als der Bürgerkrieg begann. Viel später sagte Maria Casarès, sie sei «im November 1942 im Théâtre des Mathurins geboren».

Albert Camus, durch die deutsche Okkupation von seiner Frau Francine Faure getrennt, engagierte sich in der Résistance. Spanischer Abstammung durch seine Mutter, tuberkulosekrank wie Santiago Casares Quiroga, ebenfalls im Exil, weil in Algerien geboren. Als Francine Faure im Oktober 1944 endlich zu ihrem Mann kommen konnte, trennten sich Maria Casarès und Albert Camus. Doch am 6. Juni 1948 trafen sie sich zufällig auf dem Boulevard Saint-Germain, fanden sich wieder und blieben zusammen.

Dieser ununterbrochene Briefwechsel über zwölf Jahre zeigt die unbezwingbare Selbstverständlichkeit ihrer Liebe:

Wir sind uns begegnet, wir haben uns wiedererkannt, wir haben uns einander hingegeben, wir haben eine glühende Liebe aus reinem Kristall geschaffen, ist Dir unser Glück bewusst, und das, was uns gegeben ist?

Maria Casarès, 4. Juni 1950

Gleich klar, gleich erfahren und fähig, alles zu verstehen, daher alles zu überwinden, stark genug, um ohne Illusionen zu leben, und durch die Bande der Erde, der Intelligenz, des Herzens und des Leibes miteinander verbunden, kann uns nichts überraschen, nichts trennen, das weiß ich.

Albert Camus, 23. Februar 1950

Der Tod trennte sie im Januar 1960, nachdem sie zwölf Jahre «transparent füreinander», solidarisch, leidenschaftlich gelebt hatten, sehr oft fern voneinander, voll im Leben, und doch jeden Tag, jede Stunde in einer Wahrheit vereint, die wenige Menschen zu ertragen vermocht hätten.

Die Briefe von Maria Casarès lassen uns das Leben einer sehr großen Schauspielerin entdecken, ihren Mut und ihre Schwächen, ihr wahnsinniges Arbeitspensum, Rundfunkaufnahmen, Proben, Vorstellungen mit ihren Pannen, Dreharbeiten. Sie zeigen auch das Leben der Schauspieler an der Comédie-Française und im Théâtre national populaire (TNP). Maria Casarès spielte mit Michel Bouquet, Gérard Philipe, Marcel Herrand, Serge Reggiani, Jean Vilar, und sie liebte sie.

Die Schauspielerin stammte aus Galicien, ihr Element war der Ozean: Wie er brandete sie heran, brach sich, ballte sich zusammen und strömte mit beängstigender Lebenskraft davon. Sie erlebte Glück und Unglück mit der gleichen Intensität, gab sich ganz und gar, bis in die Tiefe hin.

Dieses Temperament findet sich sogar in ihrer Orthographie, die wir für die Lesbarkeit des Textes korrigiert haben.

Die Briefe von Albert Camus sind knapper, verraten jedoch dieselbe Liebe zum Leben, seine Leidenschaft für das Theater, seine ständige Aufmerksamkeit für die Schauspieler und ihre Empfindlichkeiten. Sie sprechen auch über die Themen, die ihm wichtig sind, den Beruf des Schriftstellers, seine Zweifel, die verbissene Arbeit des Schreibens, trotz der Tuberkulose. Er erzählte Maria von dem, was er schrieb, das Vorwort zu Licht und Schatten, Der Mensch in der Revolte, Actuelles, Das Exil und das Reich, Der Fall, Der erste Mensch, und fühlte sich nie seinen «Pflichten gewachsen». Sie beruhigte ihn unentwegt, sie glaubte an ihn, an sein Werk, nicht blind, sondern weil sie als Frau wusste, dass das Schöpferische über allem steht. Sie vermochte es ihm mit Aufrichtigkeit und echter Überzeugung zu sagen.

Er schrieb ihr am 23. Februar 1950: «Was jeder von uns in seiner Arbeit, seinem Leben etc. tut, tut er nicht allein. Eine Anwesenheit, die nur er spürt, begleitet ihn.»

Das bleibt immer wahr.

Wie konnten die beiden Menschen so viele Jahre in der ermüdenden Spannung durchhalten, die ein freies, durch den Respekt für die anderen gezügeltes Leben verlangt, in dem sie «lernen mussten, auf dem gespannten Seil einer Liebe ohne jeden Stolz voranzugehen»[*], ohne sich zu verlassen, ohne jemals am anderen zu zweifeln, mit demselben Anspruch auf Klarheit? Die Antwort liegt in diesem Briefwechsel.

Mein Vater starb am 4. Januar 1960. Es scheint, als hätten sie es im August 1959 geschafft, auf diesem Seil bis zum Ende zu gehen, ohne zu straucheln. Sie schrieb ihm:

[…] und es erscheint mir nicht unnütz, ein paar Blicke auf das hässliche Durcheinander meiner inneren Landschaft zu werfen. Ich bedauere nur, dass ich niemals die nötige Zeit, Intelligenz und Charakterstärke finden werde, um da drin ein bisschen Ordnung zu schaffen, und ich verzweifle bei der Vorstellung, dass ich unweigerlich so sterben werde, wie ich geboren bin, formlos.

Er antwortete ihr:

Wenn nicht formlos, so wird man dunkel in sich selbst, zerfasert sterben müssen […]. Aber vielleicht ist die verwirklichte Einheit, die unbeirrbare Klarheit der Wahrheit auch der Tod selbst. Und man braucht, um sein Herz zu spüren, das Mysterium, das Dunkle des Seins, den fortwährenden Ruf, den Kampf gegen sich selbst und die anderen. Dann würde es ausreichen, es zu wissen und schweigend dem Mysterium und dem Widerspruch zu huldigen – unter der einzigen Bedingung, das Kämpfen und das Suchen nicht aufzugeben.

Danke ihnen beiden. Ihre Briefe machen die Erde größer, den Raum leuchtender, die Luft leichter, weil sie gelebt haben.

 

Catherine Camus

 

Um nicht gegen die Loyalität und Treue zu verstoßen, die mein Vater mich gelehrt hat, möchte ich hier meiner Freundin Béatrice Vaillant für die Kärrnerarbeit danken, die sie vollbracht hat. Sie hat viele, viele Tage lang die Briefe transkribiert, datiert (!!), zusammengestellt. Sie hat es mit einer Sorgfalt, Präzision und einem Fingerspitzengefühl getan, wie es nur ihr großzügiges und uneigennütziges Herz vermochte.

Briefe

1944 bis 1959

1944

1 – Albert Camus an Maria Casarès

[Rohrpost[*]]

[Juni 1944]

Liebe Maria[*],

um 18.30 Uhr habe ich in der NRF[*] eine geschäftliche Verabredung mit einem Verleger aus Monte Carlo. Von der NRF gehen wir sicher ins Cyrano, an der Ecke Rue du Bac und Boulevard Saint-Germain. Dort werde ich bis 19.30 Uhr auf Dich warten. Um 19.30 Uhr bin ich in der Frégate, Ecke Rue du Bac und Seine-Quais, wo mich Marcel und Jean[*] erwarten. Um 20 Uhr schließlich ist allgemeines Treffen an der Ecke Rue de Beaune und den Quais, im Voltaire. Aber ich glaube, das weißt Du.

Entschuldige, dass ich nicht länger warten kann. Ich küsse Dich.

AC

2 – Albert Camus an Maria Casarès

16 Uhr [Juni 1944]

Meine kleine Maria,

ich habe gehofft, Dich jetzt zu erreichen, indem ich bei Dir anrufe. Aber nicht einmal dazu habe ich Zeit. Zwischen zwei Verabredungen schicke ich Dir diese Zeilen. Natürlich bedeuten sie nichts. Aber ich vermute, dass Du sie vorfindest, wenn Du heute Abend nach Hause kommst, und dann an mich denkst. Ich bin müde, ich brauche Dich. Aber selbstverständlich kann man sich das so nicht sagen, Du müsstest an mich geschmiegt sein.

Gute Nacht, mein Liebling. Schlaf viel, denk ganz fest an mich. Ich küsse Dich bis morgen.

AC

3 – Albert Camus an Maria Casarès

Donnerstag, 10 Uhr [abends] [Juni 1944]

Ich habe gerade Deine Widmung gelesen, mein Liebling, und jetzt ist da etwas in mir, das zittert. Ich mag mir zwar sagen, dass man derlei Dinge bisweilen in einer Anwandlung schreibt, ohne ganz bei der Sache zu sein – gleichzeitig sage ich mir, dass es Worte gibt, die Du nicht schreiben würdest, wenn Du sie nicht empfändest.

Ich bin so glücklich, Maria. Ist das möglich? Was in mir zittert, ist eine Art verrückte Freude. Zugleich aber verspüre ich jene Bitterkeit über Dein Fortgehen und die Traurigkeit in Deinen Augen im Moment des Abschieds. Es stimmt, was ich von Dir bekomme, hat immer einen gemischten Geschmack von Glück und Sorge. Aber wenn Du mich liebst, wie Du schreibst, müssen wir etwas anderes erreichen. Es ist jetzt unsere Zeit, uns zu lieben, und wir müssen es stark genug und lang genug wollen, um alles zu überwinden.

Ich mag diesen klaren Blick nicht, den Du heute Abend zu haben vorgabst. Wenn man sensibel ist, neigt man dazu, Hellsichtigkeit zu nennen, was einen enttäuscht, und Wahrheit alles, was einem schadet. Aber diese Hellsichtigkeit ist genauso blind wie anderes. Es gibt nur eine Klarheit, und zwar die, die das Glück erhalten will. Und ich weiß, dass es ein Glück gibt, das für uns bereitsteht, wenn wir die Hand ausstrecken, so kurz, so bedroht oder so empfindlich es auch sein mag. Aber wir müssen die Hand ausstrecken.

Ich warte auf morgen, auf Dich, Dein liebes Gesicht. Heute Abend war ich zu müde, um Dir zu erzählen, wie sehr Du mein Herz überströmen lässt. Es gibt etwas, das nur uns gehört, etwas, bei dem ich Dich immer mühelos erreiche. Das sind die Stunden, in denen ich verstumme und Du dann an mir zweifelst. Aber das macht nichts, mein Herz ist voll von Dir. Auf Wiedersehen, mein Liebling. Danke für die wenigen Worte, die mir so viel Freude geschenkt haben – danke für diese Seele, die liebt und die ich liebe. Ich umarme Dich mit aller Kraft.

AC

4 – Albert Camus an Maria Casarès

1 Uhr [morgens] [Juni 1944]

Meine kleine Maria,

ich bin gerade nach Hause gekommen, bin überhaupt nicht müde, und mein Bedürfnis, Dich bei mir zu haben, ist so groß, dass ich mich wohl an meinen Tisch begeben muss, um mit Dir zu reden, wie ich kann. Ich habe Marcel [Herrand] nicht zu sagen gewagt, dass ich keine Lust hatte, seinen Champagner zu trinken. Und außerdem waren so viele Leute um Dich herum! Aber nach einer halben Stunde hatte ich genug, ich brauchte nur Dich. Ich habe Dich so sehr geliebt, Maria, den ganzen Abend lang, während ich Dich sah, während ich diese Stimme hörte, die für mich jetzt durch nichts mehr ersetzt werden kann. Oben bei Marcel habe ich ein Exemplar des Stückes gefunden. Ich kann es nicht mehr lesen, ohne Dich zu hören, das ist meine Art, mit Dir glücklich zu sein.

Ich versuche mir vorzustellen, was Du tust, und frage mich erstaunt, warum Du nicht da bist. Ich sage mir, der Regel – und zwar der einzigen, die ich kenne, der Regel der Leidenschaft und des Lebens – entspräche es, dass Du morgen mit mir nach Hause gehst und wir gemeinsam einen Abend beenden werden, den wir gemeinsam begonnen haben. Aber ich weiß auch, dass das vergebens ist und es all das Andere gibt.

Aber vergiss mich wenigstens nicht, wenn Du mich verlässt. Vergiss auch nicht, was ich Dir eines Tages, bevor sich alles überstürzte, so ausführlich bei mir gesagt habe. An jenem Tag habe ich aus der tiefsten Tiefe meines Herzens zu Dir gesprochen, und ich wünschte sehr, ich wünschte so sehr, dass wir füreinander so wären, wie man, so hatte ich Dir da gesagt, sein müsse. Verlass mich nicht, ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen als Dich zu verlieren. Was täte ich jetzt ohne Dein Gesicht, in dem alles mich erschüttert, ohne Deine Stimme und auch Deinen an mich geschmiegten Körper?

Übrigens wollte ich Dir davon heute gar nicht schreiben. Sondern nur von Deiner Gegenwart hier, von dem Verlangen, das ich nach Dir habe, meinen Gedanken von heute Abend. Gute Nacht, mein Liebling. Möge morgen schnell kommen und die anderen Tage, an denen Du mehr mir als diesem verdammten Stück gehörst. Ich umarme Dich mit aller Kraft.

AC

5 – Albert Camus an Maria Casarès

16 Uhr [Juni 1944]

Meine kleine Maria,

ich weiß nicht, ob Du daran denken wirst, mich anzurufen. Und um diese Zeit weiß ich nicht, wo ich Dich erreiche. Übrigens habe ich Dir nichts Bestimmtes zu erzählen, abgesehen von dieser Welle, die mich seit gestern trägt, und dem Bedürfnis nach Vertrauen und Liebe zu Dir. Wie lange ich Dir nicht geschrieben habe!

Wenn Du diese Rohrpost heute Abend beim Nachhausekommen vorfindest, ruf mich an. Vergiss mich nicht bis Samstag. Denk an mich die ganzen Tage lang. Sag Dir, dass ich bei Dir bleibe, jede Minute. Auf Wiedersehen, Liebste, meine Liebste; ich umarme Dich wie gestern.

Albert

6 – Albert Camus an Maria Casarès

Samstag, 14 Uhr [1. Juli 1944]

Meine kleine Maria,

die Reise verlief gut und ohne Zwischenfall.[*] Wir sind um 7.20 Uhr aufgebrochen, sind bis 9 Uhr gefahren, dann sieben Kilometer gelaufen und an einem Rangierbahnhof vorbeigekommen, der am Tag zuvor bombardiert worden war; um 11 Uhr sind wir noch mal bis Mittag mit einem Zug gefahren. In Meaux haben wir zwei Stunden gewartet, bis wir wieder einen Zug nehmen konnten. Eine Dreiviertelstunde später neues Umsteigen, und um 17 Uhr waren wir da. Ich war müde wie ein schwarzer Hund, aber zufrieden, dass es zu Ende war. Man hat mir ein Haus angeboten, von dem 1940 ein Flügel bombardiert wurde, dessen Rest aber bewohnbar ist. Nur ist alles voller Staub, und ich brauche 48 Stunden, um das mit Hilfe einer freundlichen Frau aus der Gegend ordentlich zu machen.

Beginnen wir mit der Beschreibung. Die Gegend ist ein kleines Tal, dessen beide Hänge mit Feldern und mittelgroßen Bäumen bedeckt sind. Es ist recht kühl, es gibt Wasserrauschen und Grasgeruch, Kühe, ein paar schöne Kinder und Vogelgesang. Wenn man etwas höher steigt, erreicht man freiere Flächen, auf denen man besser atmet. Das Dorf: Ein paar Häuser und rechtschaffene Leute. Das Haus selbst liegt verborgen inmitten eines recht großen Gartens voll von Bäumen und letzten Rosen des Jahres (sie sind nicht rot). Es liegt im Schatten der alten Kirche, und der obere Teil des Gartens ist eine sonnige Wiese direkt unter den Strebebögen der Kirche. Dort kann man Sonnenbäder nehmen. Ich richte mir gerade ein Schlafzimmer und ein Arbeitszimmer im ersten Stock ein. Wenn das gemacht ist, werde ich es Dir beschreiben.

Ich denke, dass zumindest Michel [Gallimard] bei mir untergebracht werden kann. Pierre und Janine [Gallimard] werden sicher anderswo schlafen. Ich erwarte ihre Ankunft mit Ungeduld, um das alles zu entscheiden, und vor allem, weil ich hoffe, dass sie mir Nachricht von Dir bringen.

Ich schreibe Dir all das so klar ich kann, weil ich denke, dass Du als Erstes präzise Auskünfte möchtest. Aber meine Gedanken sind ganz anders: Seit Donnerstagabend lebe ich mit Dir. Ich hatte den Eindruck, dass ich Dich schlecht verlassen hatte, und die Trennung, inmitten so vieler Unsicherheiten, unter einem Himmel so voller Gefahren, ist für mich schwer zu ertragen. Meine Hoffnung ist, dass Du kommen wirst. Wenn Du im Auto mitfahren kannst, tu es, das wird einfacher sein. Ansonsten wirst Du die sehr lange Reise machen müssen, die ich gemacht habe. Es gibt auch das Fahrrad, und dann könnte ich Dir entgegenkommen. Vergiss Dein Versprechen nicht, mein Liebling, von dem lebe ich im Moment. Ich glaube, ich könnte in dieser Gegend Frieden finden. Mit ein paar Bäumen, dem Wind, einem Bach wird es mir gelingen, mir die innere Stille wiederzuerschaffen, die ich seit so langer Zeit verloren habe. Aber das ist nicht möglich, wenn ich Deine Abwesenheit ertragen und Deinem Bild und Deiner Erinnerung hinterherrennen muss. Ich habe keineswegs die Absicht, den Verzweifelten zu spielen oder mich gehenzulassen. Ab Montag werde ich mich an die Arbeit machen, und ich werde arbeiten, das ist sicher. Aber ich will, dass Du mir hilfst und dass Du kommst – vor allem, dass Du kommst! Bis jetzt haben Du und ich uns im Fieber, in der Ungeduld oder der Gefahr getroffen und geliebt. Ich bedauere nichts davon, und die Tage, die ich gerade erlebt habe, scheinen mir ausreichend, um ein Leben zu rechtfertigen. Aber es gibt eine andere Art sich zu lieben, eine stillere und harmonischere Fülle, die nicht weniger schön ist und zu der wir, wie ich auch weiß, fähig sind. Hier werden wir die Zeit dafür finden. Vergiss das nicht, meine kleine Maria, und sieh zu, dass wir diese Chance für unsere Liebe noch haben.

In ein paar Stunden wirst Du spielen.[*] Heute und morgen werden meine Gedanken bei Dir sein. Ich werde den Moment abwarten, wo Du Dich setzt und sagst, Ah! Ausgezeichnet!, ich werde auch den dritten Akt abwarten mit dem Ausruf, den ich so geliebt habe. Oh, mein Liebling! Wie hart ist es, fern von dem zu sein, was man liebt. Ich bin Deines Gesichts beraubt, und es gibt nichts auf der Welt, das ich mehr geliebt habe.

Schreib mir viel und oft, lass mich nicht allein. Ich werde so lange auf Dich warten, wie es sein muss, ich spüre in mir eine unendliche Geduld für alles, was Dich betrifft. Aber zugleich habe ich eine Ungeduld im Blut, die mir weh tut, ein Verlangen, alles zu verbrennen und alles zu verschlingen, das ist meine Liebe zu Dir. Auf Wiedersehen, kleine Victoria. Bleib in Gedanken bei mir und komm, komm schnell, ich bitte Dich. Ich küsse Dich mit all meiner Leidenschaft.

Wie besprochen, kannst Du an Madame Parain, Verdelot, Seine-et-Marne schreiben.

Michel[*]

7 – Albert Camus an Maria Casarès

Dienstag, 16 Uhr [4. Juli 1944]

Mein Liebling,

ich schreibe Dir mitten im Garten, umgeben von der kleinen Truppe der Gallimards, die lesen, schlafen oder in der Sonne braten. Wir sind alle in Shorts und leichten Hemden, es herrscht eine Tintenhitze, und die Rosen kräuseln sich in der Sonne.

Sie haben Dir gestern geschrieben, vermutlich haben sie Dir von ihrer Reise und dem Wesentlichen unserer Unterbringung hier erzählt – wir führen ein kleines, ruhiges Leben, so ruhig, dass ich, der ich aus dem Lärm und der Raserei komme, Mühe habe, mein Gleichgewicht zu finden. Gestern war ich den ganzen Tag angespannt und unglücklich, unfähig zu einer freundlichen Geste oder einem Wort. Also habe ich gearbeitet, viel und schlecht, und mich geweigert, das Haus zu verlassen. Traurig habe ich an Dich gedacht, ohne die Freude, die ich immer bei Dir finde. Nur einmal, um 6 Uhr abends, habe ich allein ein paar Schritte im Garten gemacht (die anderen waren baden). Es war mild, leichter Wind, die Kirchenuhr schlug ihre sechs Schläge. Das ist eine Stunde, die ich immer gemocht habe, und gestern habe ich sie mit Dir gemocht.

Man hat mir gerade Deinen Brief gebracht, ich habe keine Worte, um Dir zu danken. Und dann habe ich endlich eine echte Hoffnung, Dich hier ankommen zu sehen. Ich vermute, Du wirst Palais-Royal sein lassen. Der Krieg wird im September enden, bis dahin kann man nichts Ernsthaftes tun. Lass alles sein und komm. Ich mache mir auch Sorgen wegen Deiner Müdigkeit. Hier wirst Du Dich wenigstens ausruhen. Wenn man sich liebt, ist es wichtig, das mit ausgeruhten und glücklichen Körpern zu tun.

Oh! sehr gut, dass Dein Theater nicht mehr arbeitet. Danach wird alles wieder anfangen. Aber einstweilen siehst Du ja, wie sich alles fügt, damit wir die Zeit finden, uns zu lieben. Auch ich habe den ganzen gestrigen Tag diese Angst herumgetragen, von der Du sprichst. Ich habe nicht von Dir geträumt, Du warst nicht in China, ich spürte nur diese Entbehrung, diesen Schatten, wie eine plötzlich verlorene Quelle. Ich fühlte mich ausgetrocknet, unfruchtbar, unfähig zu Antrieb oder Liebe. Dabei erwartete ich einfach Deinen Brief, und jetzt habe ich alles wiedergefunden, die Anwesenheit und die Quelle, endlich Dein Gesicht. Oh! mein Liebling, komm schnell wieder, damit das alles aufhört. Ich spüre heute all die Kraft, die nötig ist, um zu besiegen, was uns trennen kann. Aber komm mir entgegen, gib mir Deine Hand, lass mich nicht allein. Ich warte auf Dich, vertrauensvoll und glücklich für heute, und liebe Dich mit ganzer Seele. Auf Wiedersehen, Maria, ich küsse Dein geliebtes Gesicht.

Michel

8 – Albert Camus an Maria Casarès

Donnerstag, 16 Uhr [6. Juli 1944]

Meine kleine Maria,

ich habe gerade Deinen Brief von Montag-Dienstag erhalten. Er ist genau richtig gekommen. Seit achtundvierzig Stunden herrschte Flaute. Ich fühlte mich allein, fern selbst von jenen, die mich umgaben, ein bisschen wie ein böser Hund. Ich lebe zurückgezogen in meinem Zimmer, unter dem Vorwand zu arbeiten, übrigens arbeite ich manchmal, mit einer Art Raserei, die restliche Zeit laufe ich auf und ab und rauche die mir verbleibenden Zigaretten. Nein, es geht gar nicht gut. Dabei ist die Landschaft hier schön und beruhigend. Aber mein Herz hat seinen Frieden nicht mehr, wenn denn stimmt, dass es ihn je hatte.

Ich bin fern von allem, von meinen Menschenpflichten, von meinem Beruf – auch jener beraubt, die ich liebe. Das bringt mich aus der Fassung. Ich hatte Deine Ankunft erwartet. Aber anscheinend passiert das erst nächste Woche. Also …! Oh! mein Liebling, glaub nicht, ich verstünde nicht. Alles ist für Dich schwieriger, und jetzt weiß ich, dass Du alles tun wirst, was in Deiner Macht steht. Was ich in den schwierigen gemeinsam verbrachten Tagen gewonnen habe, ist mein Vertrauen in Dich. Ich habe oft gezweifelt, so wenig sicher wie ich dieser Liebe war, die sich über sich selbst täuschen konnte. Ich weiß nicht, was seitdem geschehen ist, aber es gab einen Blitz, etwas, das durch uns hindurchgegangen ist, vielleicht ein Blick, und jetzt spüre ich immer jenes Etwas, hart wie die Seele, das uns bindet und uns fesselt. Ich erwarte Dich also mit Liebe und Vertrauen. Aber ich habe zu harte, zu angespannte Monate verbracht, um nicht nervlich angegriffen zu sein. Und ich ertrage nur schlecht, was ich normalerweise mit Ruhe erduldet hätte. Wie auch immer, das wird vorübergehen. Ich bin froh über die Nachrichten, die Du mir schickst. Sage Jean und Marcel, dass ich mit herzlichen Gedanken an sie denke.

Ich bin froh zu wissen, dass Du braun und golden bist. Mach Dich hübsch, lächle, lass Dich nicht gehen. Ich möchte, dass Du glücklich bist. Du warst nie schöner als an jenem Abend, als Du mir sagtest, Du seiest glücklich (Du erinnerst Dich, mit Deiner Freundin). Ich liebe Dich auf viele Arten, vor allem aber so – mit dem Gesicht des Glücks und jenem Strahlen des Lebens, das mich immer zutiefst aufwühlt. Ich bin nicht gemacht, um im Traum zu lieben, aber wenigstens weiß ich das Leben da zu erkennen, wo es sich befindet – und ich glaube, ich habe es an jenem ersten Tag erkannt, als Du im Kostüm der Deirdre über meinen Kopf hinweg mit ich weiß nicht welchem unmöglichen Liebhaber geredet hast.

Miss meinem Gemurre nicht allzu viel Bedeutung bei. Ich bin unglücklich, weil ich noch eine Woche auf Dich warten muss. Aber das zählt nicht – was zählt, ist … aber ich werde es wieder zu schlecht ausdrücken. Warten wir ein bisschen.

Der Himmel hat sich bezogen, und es regnet. Ich mag das ganz gern, aber ich denke oft an das Licht, auf das ich nicht verzichten kann. Wir müssen gemeinsam in die Provence fahren, bevor wir andere Länder besuchen, die uns am Herzen liegen.

Auf Wiedersehen, Maria – herrliche – lebendige, mir scheint, ich könnte haufenweise Adjektive wie diese aneinanderreihen. Ich denke unaufhörlich an Dich und liebe Dich von ganzem Herzen. Komm schnell, lass mich nicht zu allein mit meinen Gedanken. Ich brauche Deine lebendige Gegenwart und diesen Körper, der mich so häufig anrührt. Du siehst, ich strecke die Hände nach Dir aus; komm mir entgegen, so schnell wie möglich.

Ich umarme Dich mit aller Kraft.

Michel

9 – Albert Camus an Maria Casarès

Freitagabend. 11 Uhr [7. Juli 1944]

Heute Abend habe ich das Bedürfnis, zu Dir zu kommen, weil mir das Herz schwer ist und mir alles mühsam zu ertragen scheint. Ich habe heute Vormittag ein bisschen gearbeitet, heute Nachmittag gar nicht. Es ist, als hätte ich meine Energie und was ich zu tun habe vergessen. Es gibt solche Stunden, Tage, Wochen, wo man meinen könnte, alles stirbt einem zwischen den Händen. Du kennst das auch. Ich persönlich weiß seit langem, dass diese Stunden, in denen ich das Bedürfnis habe, mich von allem abzuwenden, die gefährlichsten sind – jene, in denen mich das Bedürfnis überkommt zu fliehen und fern von allem zu leben, was mir helfen könnte. Weil ich das weiß, komme ich zu Dir. Wärst Du da, so wäre alles einfacher. Aber heute Abend habe ich die Gewissheit, dass Du nicht kommen wirst. Ich habe so etwas wie ein Gefühl, ich hätte seit einiger Zeit alles verloren. Wenn Du Dich von mir entferntest, so herrschte vollständig Nacht. Einstweilen habe ich keine Hoffnung, Dich so bald wiederzusehen.

Heute Abend frage ich mich, was Du tust, wo Du bist und was Du Dir vorstellst. Ich wäre mir gern Deiner Gedanken und Deiner Liebe gewiss. Manchmal bin ich es. Aber welcher Liebe kann man immer sicher sein. Eine Geste, und alles kann sich auflösen, wenigstens einen Moment lang. Schließlich genügt ein Mensch, der Dich anlächelt und der Dir gefällt, und wenigstens eine Woche lang gibt es keine Liebe mehr in diesem Herzen, auf das ich so eifersüchtig bin. Was dagegen tun, außer zugeben, verstehen und Geduld haben. Und wer bin ich selbst, um so viel von einem Menschen zu fordern. Aber vielleicht kommt es, weil ich alle Schwächen kenne, die selbst ein widerstandsfähiges Herz haben kann, dass ich so viel Furcht vor der Abwesenheit und vor jener dummen Trennung habe, bei der man eine körperliche Liebe mit Schatten und Erinnerungen nähren muss.

Alle anderen sind zu Bett gegangen. Ich wache mit Dir, aber ich spüre eine Seele in mir, die trocken ist wie alle Wüsten. Oh! Mein Liebling, wann werden das Sprudeln und der Schrei wiederkehren!

Ich fühle mich so linkisch, so ungeschickt mit dieser ungenutzten Liebe, die mir auf der Brust liegen bleibt und mich bedrückt, ohne mir Freude zu schenken. Ich habe den Eindruck, ich sei zu nichts mehr gut. Ich sollte von dem beherrscht sein, was ich schreibe, voll von dem Roman und seinen Figuren, in den ich erneut eingetreten bin. Aber ich betrachte sie von außen, ich arbeite zerstreut, mit meiner Verstandeskraft und nicht einen Augenblick lang mit jener Leidenschaft und Heftigkeit, die ich dem, was ich liebe, immer entgegengebracht habe.

Ich höre sofort auf damit. Ich merke, dass das hier ein Jammerbrief ist. Und Du und ich haben anderes zu tun, als zu jammern. Wer spürt, dass sein Herz trocken ist, schweige besser. Du bist heute der einzige Mensch, dem ich derlei Dinge schreiben mag. Aber das ist kein Grund. Es ist übrigens auch nicht schlimm. Bis jetzt hast Du in mir meine besten Seiten geliebt. Vielleicht heißt das noch nicht Lieben. Und vielleicht wirst Du mich erst dann wirklich lieben, wenn Du mich mit meinen Schwächen und Fehlern liebst. Aber wann und wie bald? Es ist etwas Herrliches und Schreckliches, sich auch in der Gefahr lieben zu müssen, in der Ungewissheit, inmitten einer Welt, die zusammenbricht, und einer Geschichte, in der das Leben eines Menschen so wenig wiegt. Ich hätte keinen Frieden, so lange Dein Gesicht mir genommen wäre. Wenn Du nicht kommst, werde ich mich gedulden, aber ich werde mich in Verzweiflung und Herzenstrockenheit gedulden.

Guten Abend, Du Schwarze und Weiße. Tu Dein Bestes, um bei mir zu bleiben, und vergiss so viele Forderungen und schlechte Laune. Das Leben ist für mich gerade nicht leicht. Ich habe Gründe, nicht fröhlich zu sein. Aber wenn Dein Gott existiert, weiß er, dass ich alles geben werde, was ich bin, und alles, was ich habe, um erneut Deine Hand auf dem Gesicht zu spüren. Ich habe nicht aufgehört, Dich zu lieben und Dich zu erwarten – selbst inmitten der Wüste. Vergiss mich nicht.

Michel

Samstag, 9 Uhr [8. Juli 1944]

Heute Morgen lese ich den Brief noch mal durch und zögere, ihn abzuschicken. Aber schließlich vermute ich, dass er mir ähnelt. Man ist gezwungen zu sein, was man ist. Heute Morgen geht es nicht besser und nicht schlechter. Wir brechen gleich zu einem Ausflug für den ganzen Tag auf, und ich muss mich entschließen, Dir meinen Brief sofort zu schicken, wenn ich will, dass Du ihn Montag hast.

Es ist düster, der Himmel ist bedeckt. Auf bald, kleine Victoria. Denk, denk viel an mich und liebe mich so stark und auch so heftig wie ich Dich liebe.

M.

10 – Albert Camus an Maria Casarès

Sonntag [9. Juli 1944]

Mein Liebling,

Pierre [Gallimard], der Dir diese Nachricht übergeben wird, kommt Donnerstag auf nicht allzu anstrengendem Wege, den er Dir erklären wird, wieder nach Verdelot zurück. Ich denke, wenn Du immer noch gewillt bist, Mitte der Woche zu kommen, ist das die beste Gelegenheit. Anderenfalls schreibe ich Dir, aber ich brauche Dir nicht zu sagen, dass ich Dich Donnerstag erwarten werde. Für Deine Rückkehr, falls sie nötig ist, könnte Dich dieselbe Tour in einem halben Tag nach Paris zurückbringen. Bis Donnerstag. Ich warte auf Dich und küsse Dich.

AC

11 – Albert Camus an Maria Casarès

Montag [11. Juli 1944]

Meine kleine Maria,

gerade habe ich Deinen lange erwarteten Brief erhalten. Er bereitet mir immer Freude, weil er von Dir kommt und mir Gewissheit gibt, dass Du existierst – dass es in einer fernen Epoche, in der ich mich für ein Stück interessierte, in dem Du spieltest, tatsächlich etwas zwischen uns gab. Aber zugleich erwartete ich die Ankündigung Deiner Ankunft, und die ist es noch nicht. Wenn Du den Brief hier erhalten wirst, wirst Du Pierre [Gallimard], den ich zu Dir geschickt habe, bereits gesehen haben, aber ich vermute jetzt, Du wirst nicht kommen können. Egal! Ich werde Dich Donnerstag erwarten.

Aber wenn Du wüsstest! Mein Warten, meine Ungeduld, meine kalte Wut und dieser Drang zu Dir – ach, was! all das weißt Du, und Du kennst mich gut genug, um Dir vorzustellen, was Du nicht weißt. Jedes Mal, wenn Du Deine Abreise um einen Tag verschiebst, versuche zu begreifen, was dieser Tag für mich bedeutet – vielleicht veranlasst Dich das ja … Abgesehen davon hoffe ich, dass Deine Mutter[*] nicht schwer erkrankt ist. Da sie sich wohl denken kann, dass ich Dir schreibe, sage ihr, dass ich ihr gute Besserung wünsche (und zwar uneigennützig). Sag ihr auch, dass ich Zuneigung und Achtung für sie empfinde und dass das aus meinem Munde keine Floskel ist. Um nichts in der Welt möchte ich der Grund für Reibereien zwischen Euch sein. Gibt es für Menschen, die sich lieben, keinen Platz, an dem sie sich immer treffen können? Aber vielleicht kümmere ich mich da um etwas, was mich nichts angeht.

Da Du nicht kommst, schreib mir wenigstens genauere Einzelheiten über Dein Leben, was Du tust, mein Liebling. Denk daran, dass die Phantasie arbeitet, wenn man getrennt ist. Beispiel für Fragen, die sich für ein liebendes Herz eignen: Du fährst nach Meudon: zu wem? mit wem? Was hast Du am Samstag, 18 Uhr, in der Rue d’Alleray getan, im 15. Arrondissement, also nicht in Deinem Viertel etc., etc. Du siehst, kleine Marie, was einem untätigen, offenen Mann alles in den Sinn kommt, der nichts hat, woran er das Zuviel an Leidenschaft, das er empfindet, festmachen kann. Befriedige mein Begehren in diesem Punkt. Schreib mir mehr Einzelheiten. Alles, was Dich betrifft, interessiert mich (Du hast mir die versprochenen Kritiken noch nicht geschickt). Ich warte auf Dich, verstehst Du, ich warte den ganzen Tag auf Dich, ich weiß nicht mehr, wie ich es Dir zurufen oder es Dir schreiben soll.

Es tut mir leid, dass die Dinge mit Marcel [Herrand] nicht besser laufen. Vielleicht ist das eine Phase – die vorübergehen wird. Marcel ist ein enttäuschender, aber fesselnder Mensch. Vielleicht wird er verstehen und das Nötige tun, damit Du Dich wieder wohl mit ihm fühlst.

Halte mich auf dem Laufenden.

Was soll ich Dir über das sagen, was wir hier tun? Janine und Michel [Gallimard] werden Dir davon erzählt haben. Jetzt gerade sind wir alle drei allein und verstehen uns wunderbar. Ich koche (das mag ich). Ich arbeite ein bisschen, ich schlafe und flaniere. Natürlich geht es mir viel besser. Aber ich vermute, das ist eine Gesundheit, wie sie zum Beispiel Kühe haben, und bin darüber nicht beglückt. Ich habe mir die Haare sehr, sehr kurz schneiden lassen. Ich sehe schrecklich aus, aber das hat mich fünf Jahre jünger gemacht. Du wirst mich verabscheuen, da Du lange Haare magst.

Auf Wiedersehen, meine Liebste. Warum nur kann ich nicht «auf bald» sagen. Ich werde Donnerstag von ganzem Herzen auf Dich warten, aber ich befürchte, es ist vergeblich. Vergiss nicht den, dem Du so viel gebracht hast, und lass mich Dich umarmen, wie ich es fühle, mit all meinem Verlangen und meiner Liebe.

Michel

12 – Albert Camus an Maria Casarès

Mittwoch [12. Juli 1944]

Meine liebste Maria,

ich hoffe immer noch, dass Du morgen mit Pierre [Gallimard] hier eintreffen wirst. Wenn Du es jedoch nicht tun solltest, möchte ich, dass Du wenigstens diesen Brief bekommst und weißt, wie es um mich steht. Ich bitte Dich inständig zu kommen und zu verstehen, dass ich Dich brauche. Selbst von unserer Liebe abgesehen brauche ich in diesem Moment Deine Anwesenheit. Ich bin ganz unten, in jeder Hinsicht, und das ist ein Geständnis, das mich große Überwindung kostet.

Ich könnte Dir sagen, Du solltest daran denken, wie wir es bereuen würden, wenn mir etwas zustieße und wir diese Tage verschenkt hätten. Die Zeiten sind so unsicher, wir wissen nichts über das Morgen. An all diese Stunden, die jetzt vergangen sind, würden wir dann mit Tränen und Wut denken. Aber es kommt noch hinzu, dass ich in einer Krise und inmitten von Zweifeln bin, die ich seit Jahren nicht erlebt habe. Es scheint mir natürlich, an Dich zu appellieren, und ich schäme mich nicht dafür. Lass diesen Appell nicht ohne Antwort, weil ich mich dann dafür schämen würde.

Ich fühle mich allein und einsam, ich habe gerade ein paar abscheuliche Tage durchgemacht. Überdies bin ich gezwungen, hier einen Haufen Anstrengungen zu unternehmen, um den beiden Verrückten zu helfen, die wir beide mögen (ich weiß, dass Janine Dir alles geschrieben hat). Die Atmosphäre ist dadurch bedrückender geworden, und für mich, der ich bereits den Preis für all jene Monate zahle, in denen ich ein Leben geführt habe, von dem Du Dir keine richtige Vorstellung machen kannst, ist alles schwieriger geworden. Komm, mein Liebling, ich bitte Dich, komm so schnell wie möglich – die Ungeduld, Dich zu sehen, die mich erfüllte, hat sich zur Obsession gewandelt. Mir scheint, dass ich