Schreiben als Weg - Anna Platsch - E-Book

Schreiben als Weg E-Book

Platsch Anna

4,8

Beschreibung

Praxisbezogen und kenntnisreich vermittelt uns Anna Platsch in diesem Buch die langjährige Erfahrung aus ihren Schreibkursen und gibt wertvolle Anleitung, wie wir mit unserer Kreativität und der Weisheit der inneren Stimme in Kontakt kommen. Inspiriert von den integralen Ansätzen von Ken Wilbers verbindet sie dabei das Schreiben mit einer herzerfrischenden und lebensnahen Spiritualität. Durch diese Verbindung von kreativen Schreibmethoden mit den Ansätzen integraler Spiritualität kann "Schreiben als Weg" Menschen, die schreibend tätig sind, dazu dienen, aus einer tiefen Quelle in sich selbst heraus zu schreiben, um sich und die Leser in ein neues Weltbild mit umfassenden Visionen und einer neuen Friedensarbeit zu begleiten. Für Menschen, die einfach gern schreiben und voll spiritueller Sehnsucht sind, kann dieses Buch ein wunderbares Abenteuer sein, um das eigene Potenzial zu erkunden und sich zu öffnen für eine neue Spiritualität. Für die Anwendung der Übungen sind keine Vorkenntnisse erforderlich.

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anna platsch

schreiben als weg

anna platsch

schreiben als weg

von der kreativen kraft des wortes

Vollständige E-Book-Ausgabe der bei J. Kamphausen Verlag & Distribution erschienenen Printausgabe.

© Theseus in der J. Kamphausen Verlag & Distribution GmbH, Bielefeld 2009

Umschlaggestaltung: Morian & Bayer-Eynck, www.mbedesign.de

Umschlagfoto: © Hildegard Morian

Lektorat: Ursula Richard

Layout/Satz: Grafikstudio Scheffler, Berlin

Druck & Verarbeitung Printausgabe:Westermann Druck Zwickau GmbH

Datenkonvertierung E-Book: Bookwire GmbH

www.weltinnenraum.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN E-Book: 978-3-89901-499-0

ISBN Printausgabe: 978-3-89901-243-9

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

inhalt

eingang

teil eins – handwerkszeug

das fahrzeug eins – einführung in ein kreatives schreiben

der anfang

es schreibt

freilegung

schreiben ist vergessen

anfängergeist

orte, stifte, zeiten

kreativität

in bewegung

einige grundübungen

überarbeiten

das fahrzeug zwei – meditation und innerer dialog

teil zwei – lösung aus der geschichte

unsere geschichte

mein leben – die kindheit

atmosphäre der kindheit

freuden und helfer der kindheit

dramen der kindheit

mein leben – das erwachsenenalter

die schatten tanzen

mein leben – ein märchen

teil drei – der raum weitet sich

vergessen, vergessen

still beobachten

der tod und andere visionen

jetzt frisch unmittelbar

die große stille

mein leben – ein tanz. zurück auf dem marktplatz

vision

anmerkungen

liste der übungen

literaturliste

über die autorin

eingang

»Machen Sie das Schreiben zu Ihrer Praxis«, sagte der Roshi zu seiner Schülerin. »Wenn Sie sich ganz dem Schreiben widmen, wird es Sie so weit tragen wie das Zen.«1 Eine andere Schülerin fragte derselbe Roshi: »Wieso meditierst du eigentlich? Warum lässt du nicht das Schreiben diese Funktion übernehmen? Wenn du dich dem Schreiben ernsthaft widmest, dann wird es dich überallhin führen.«2

Haben Sie Lust, sich dem Schreiben ernsthaft zu widmen? Und Sehnsucht danach, sich davon in die unendliche Weite tragen zu lassen? Dann lade ich Sie zu einer Reise in das Innere des Wortes ein, die gleichzeitig die Reise in Ihr Inneres ist. Treten Sie sie in Freude an, und genießen Sie das Abenteuer, auch an den härteren Tagen, in einer gewissen Leichtigkeit.

Um GUT schreiben zu können, braucht es einen Menschen, der sich selbst kennt. Und um sich selbst kennenzulernen, ist das Schreiben ein wunderbares Fahrzeug.

Vielleicht hatten Sie schon immer Sehnsucht danach zu schreiben; vielleicht sind Sie beruflich schreibend tätig und haben ein Verlangen nach einer Vertiefung Ihrer Arbeit – wie auch immer, Sie sind eingeladen.

Ich habe das Buch in drei Abschnitte unterteilt:

Zuerst führe ich kurz in ein kreatives Schreiben3 ein. Das gibt ein gutes Handwerkszeug und bietet die Möglichkeit, einen völlig neuen Zugang zum Schreiben zu finden. Denjenigen, die bisher noch wenig geschrieben haben, kann es helfen, sich aus alten Ängsten der schulischen und kulturspezifischen Konditionierungen dem Schreiben gegenüber zu lösen. Für diejenigen, die beruflich schreiben, kann es die Brücke bilden zwischen dem gewohnten beruflichen Jargon und einer wirklich eigenen Sprache.

Im zweiten Teil durchwandern wir noch einmal unsere persönliche Geschichte, um sie vielleicht von einem neuen Ort aus zu verstehen, uns wirklich mit ihr zu versöhnen, um sie dann letzten Endes hinter uns zu lassen. Das geschieht durch das Schreiben autobiographischer Texte unter unterschiedlichen Blickwinkeln. Die offene Frage dabei ist natürlich, dass ich nicht weiß, wie viel Sie an Vorerfahrungen im Umgang mit Ihrer Geschichte mitbringen. Tendenziell habe ich diesen Teil so angelegt, dass ich von einer gewissen Vorerfahrung in persönlicher Arbeit Ihrerseits ausging. Wenn nicht, möchte ich Sie einladen, sich wirklich Zeit und Ruhe für diesen Teil zu nehmen, ihn um das zu erweitern, was Sie brauchen, um Frieden mit Ihrer Geschichte zu gestalten.

Der dritte Teil baut auf den beiden vorherigen auf und ist dazu angelegt, mit dem Wort als Träger die tiefste, essenzielle Dimension in uns zu erfahren, wirklich die Freiheit unseres Menschseins zu schmecken.

Auch hier weiß ich nicht, wie viel spirituelle Praxis Sie zum Beispiel schon haben, wie tief Sie gegangen sind. Aber das macht nichts – lassen Sie sich vom Wort führen, es ist auf dieser Reise dasjenige, dessen tiefer Kraft Sie sich ganz hingeben. So können Sie es durchschreiten. Bis ins Wortlose. Und zurückkehren in die Welt, um von dort aus, angebunden an unsere tiefste Quelle, zu schreiben. Neu zu schreiben.

Die Texte, die aus einem solchen Prozess hervorgehen oder denen ein solcher Prozess zugrunde liegt, sind für mich Friedensarbeit. Denn solche Texte verfügen über eine Qualität, die ich kurz und etwas plakativ freundlich, fließend, furchtlos nenne.

Freundlich heißt, der Text ist dem Menschen und allem Lebendigen zugewandt. Wertfrei zugewandt. Er ist verständlich und in seiner Grundhaltung dem Wohle aller dienend. Er ist angeschlossen an die Quelle der Liebe.

Fließend heißt, der Text verfügt über einen innewohnenden Rhythmus, eine spürbare Atmosphäre von Lebendigkeit. Er atmet. Er ist angeschlossen an die Quelle des Lebens.

Furchtlos heißt, der Text benennt. Er benennt aus dem Geist der Wahrhaftigkeit. Er ist aufdeckend, unterscheidend, Grenzen setzend, einen Standpunkt einnehmend. Er ist angeschlossen an die Quelle der Wahrheit.

Diese drei Aspekte bilden eine Qualität, durchdringen sich gegenseitig, entspringen einer Quelle in vielen Gestalten. Und Sie sehen auch, dass es sich natürlich überschneidet, ob ich vom Geschriebenen oder den Schreibenden spreche. Diese mehr durchschimmernden Merkmale beziehen sich auf alle Textformen, auf literarische, sachliche, journalistische und wissenschaftliche Texte. Alle meine Hinweise zu Texten – oder innerem Wachstum – zielen auf diese Qualität, die wir nicht im herkömmlichen Sinn machen können. Sie geschieht eher aus unserer eigenen inneren Bewegung heraus.

Zwischen Teil eins und zwei stelle ich zwei Übungen vor, eine Meditation und einen geschriebenen inneren Dialog, die Sie während der ganzen Zeit des Prozesses (und am besten darüber hinaus) praktizieren können. Sie dienen als Grundlage und Begleitung aller anderen Übungen und fördern – wenn wir wollen, sogar radikal – unsere Selbstermächtigung.

Wenn Sie Ideen dazu interessieren, wie dieser Prozess, auf den Sie sich gerade einlassen, in einem größeren Ganzen steht, Teil einer Bewegung unserer Evolution ist oder sein könnte, dann gibt es noch ein Kapitel »Vision« am Ende von Teil drei. Für viele von uns ist es Antrieb und Inspiration, zu wissen, in welchem Kontext die persönliche Entwicklung steht, und für andere kann es eine große Erlaubnis sein, zu erfahren, wie sehr wir eingebettet sind in den Atem des Lebens. Im Stillen gehe ich davon aus, dass es in sehr vielen von uns – auch in Ihnen – ein Anliegen gibt, in dieser Welt zu wirken; zum Wohle aller. Sei es durch unser eigenes Wachstum, sei es durch kraftvolle Worte.

Diesen Prozess in drei Schritten werden Sie nur erfahren, wenn Sie die Übungen auch wirklich machen. Sie nur lesen ist wie die Etikettenaufschrift eines Honigglases betrachten, ohne den Honig zu schmecken. So empfehle ich Ihnen, das gesamte Buch erst einmal in Ruhe durchzulesen, die Übungen dabei leicht zu überfliegen und sie danach Schritt für Schritt durchzugehen.

Hilfreich für die Arbeit mit diesem Buch kann es sein, wenn Sie sich mit einigen anderen Menschen zusammentun und gemeinsam schreiben. Es bildet sich ein Feld höherer Intelligenz, das uns zusätzliche Quellen erschließt, aus denen wir manchmal, wenn wir einsam in unserem Stübchen sitzen, nicht so leicht schöpfen können.

Wenn Sie alleine auf die Reise gehen, hören Sie sehr genau auf Ihren inneren Rhythmus. Manchmal reicht eine Übung am Tag. Und manchmal gibt es Tage und Themen, an denen wir sehr intensiv dranbleiben können. Es ist immer ein feines Abstimmen der Kräfte. Sie werden es wissen.

Hin und wieder, zum Zeigen der Vielfalt, konnte ich dankenswerterweise Texte von TeilnehmerInnen an Schreibwerkstätten mit ins Buch aufnehmen. Mögen sie Ihnen Erlaubnis zu Ihrem eigenen, wirklich ureigenen Schreiben sein. Wenn Sie Ihnen nicht dazu dienen – überlesen Sie sie.

In den kursiven Texten schreiborte I, II, III erzähle ich von meinen eigenen Erlebnissen und Reflektionen während der einzelnen Arbeits- und Überarbeitungsschritte an diesem Buch.

Einige der Schreibübungen und Zitate begleiten mich schon, seit ich Schreibwerkstätten leite, und sind manchmal von einer Quelle inspiriert, an die ich mich nicht mehr erinnere. Und auch im Schreiben wirken die morphogenetischen Felder – manche von mir entwickelten Übungen habe ich dann später in einer anderen Quelle wiederentdeckt. Wie auch immer – ich danke all jenen Kreativen für ihre Inspiration und bitte um Vergebung, wenn ich sie nicht erwähne.

An einigen wenigen Stellen im Text erlaube ich mir – aus innerer Notwendigkeit – eine gewisse Freiheit, was Grammatik und Interpunktion angeht.

Ich wünsche Ihnen Mut, Inspiration, Lust am Experimentieren, Stille, unendliche Freude und Wahrhaftigkeit auf Ihrem Weg.

Chiemgau, im Herbst 2009                                              Anna Platsch

teil eins

handwerkszeug

das fahrzeug eins – einführung inein kreatives schreiben

Natürlich gibt es »das« Kreative Schreiben nicht. Und doch gibt es Spuren. Spuren in der Antike, dort gab es Sprachspiele in der Rhetorik, die auch Inspiration im 18./19. Jahrhundert für die höfische Gesprächskultur und die literarischen Salons der Romantik waren. Eine gewisse emanzipatorische Kraft dieser Spuren ist spürbar Ende des 18. Jahrhunderts in so manchen Schreibspielen des unterdrückten Bürgertums. Die Reformpädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts bediente sich des freien und kreativen Schreibens, und ein experimentelles, traumhaftes Schreiben war Teil des Surrealismus. Ich finde es spannend, dass diese Spuren in Übergangsphasen, in gesellschaftlichen Umbrüchen auftauchen.

In den USA der zwanziger Jahre entwickelten sich dann aus dem leisen, unterirdischen Bächlein die sichtbaren Strömungen, die heute als Kreatives Schreiben bezeichnet werden. Dort ist Kreatives Schreiben professionalisiert, ein selbstverständliches Schul- und Universitätsfach und dient der Ausbildung von Autorinnen und Autoren. Im deutschsprachigen Raum hat es sich Ende des vorigen Jahrhunderts über die Institutionen der Erwachsenenbildung etabliert, gelangte in den letzten Jahren auch in einige – wenn auch noch wenige – Hochschul-Projekte und wird langsam sichtbar.

Auf unserer Reise möchte ich mit Ihnen teilen, was ich selbst in den letzten fünfzehn Jahren mit dem Schreiben erfahren habe und was sich mit den Menschen, die zu mir in die Schreibwerkstätten kamen, entwickelte.

Jedem und jeder von uns ist klar, dass wir für ein Bild, das wir malen, Techniken brauchen und Skizzen anfertigen, dass wir, wenn wir Klavierspielen lernen, erst mit der einen Hand beginnen und dann mit der anderen und Fingerübungen mit beiden spielen, dass wir üben und üben, bis wir zu einem tiefen Ausdruck finden. Und beim Tanz wissen wir, wie wir das Instrument – unseren Körper – dehnen und trainieren, bis eine Form sich in aller Schönheit bildet.

Nur beim Schreiben, meinen viele Menschen, sei es anders – man setzt sich hin, und der Text soll schon im ersten Entwurf fertig sein. Aber Schreiben ist doch alles zusammen – Bilder der Wahrhaftigkeit entwerfen, sich in die Unendlichkeit ausdehnen, die Musik der Welt spielen. Wenn es frei ist vom Geschmack des trockenen Intellekts, sich frei entfalten kann aus einer vibrierenden Intelligenz, die sich manifestiert in der unendlichen Vielfalt und Weite der inneren Bilder, die durch uns ihr Lied singt und uns in einer einzigartigen Dynamik das Leben tanzen lässt.

Und dazu, meinen wir, bräuchten wir kein Üben?

Die meisten Studentinnen und Studenten an unseren Universitäten könnten nicht verständlich schreiben, nur etwa jeder vierte Studierende könne ohne größere Unterstützung Texte so formulieren, dass sie auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebs tauglich seien, meint ein Sprachwissenschaftler4. Schreiben bedeutet für ihn, einen Inhalt in eine Form zu bringen, die eine erfolgreiche Kommunikation mit anderen ermöglicht. Das ist eine spannende Aussage, denn zum einen spiegelt sie die Vorstellungen von Studenten, dass wir erst dann richtige Wissenschaftler sind, wenn wir trocken, verschachtelt und unverständlich schreiben; und wir sehen am Zustand unserer Erde, wohin diese Weltabgewandtheit führt. Zum anderen wird eine Bewegung ausgedrückt, in der sich der Paradigmenwechsel unserer Zeit schon spiegelt – dem Wissenschaftler geht es offensichtlich darum, dass die Wissenschaft Verbindung aufnimmt zu ihrem Umfeld. Das ist das, was ich eingangs damit meinte, dass die neuen Texte freundlich sein werden. Vermutlich wird diese Verbindung noch viel tiefgreifender sein.

Und viele Menschen verlangen nach dieser Vertiefung; viel mehr, als an der Oberfläche sichtbar ist. In den USA geben in einer Studie5 79 Prozent der Studenten an, dass für sie Spiritualität wichtig oder sehr wichtig ist, und drei von vier Studenten beten. Sie leben und arbeiten aber in einem Kontext – dem Wissenschaftsbetrieb –, der nicht nur nicht zuhört, sondern der sich meistens über Religiosität lustig macht. Damit ist die Wissenschaft in der Zeit der Aufklärung stecken geblieben.

Aufgabe ist es, die Religion in etwas zu übersetzen,

was unsere liberale Demokratie verstehen und nutzen kann.

Die Religion hat schließlich nicht wenig zu sagen.

JÜRGEN HABERMAS6

Für die Studenten hat das zur Folge, dass sie einen so zentralen Bereich ihres Lebens, ihre Anbindung an die Wurzel unseres Seins, kaum entwickeln können, sich stattdessen zurückziehen und so die spirituelle Intelligenz einer ganzen Generation verpufft. Aber es ist genau diese Intelligenz, die wir brauchen, um die brennenden Probleme unserer Zeit zu lösen.

schreiborte I

Draußen taut es. Ein erster, früher Schnee. Schon geht er wieder. Der Winter ist eine gute Zeit zum Schreiben. Oft sind es eher die scheuen, introvertierten Menschen, die sich zum Schreiben hingezogen fühlen. Da ist der Winter als Zeit des Rückzugs gerade recht.

Ich denke an Ingeborg Bachmann, die als so scheu, schüchtern und ver letzlich galt.

Ich denke an Janet Frame, die neuseeländische Schriftstellerin, wie scheu auch sie war. Noch bei der Verleihung der höchsten literarischen Auszeichnung ihres Landes stand sie ganz vorsichtig, unwahrgenonmmen in einer Ecke, sich mühsam an einem Glas fest haltend.

Kein Glas hält.

Dachlawinen donnern über meinem Schreibtisch. Dieses leise Ruckeln, Stück für Stück, um dann – in welchem Moment? – in einem kühnen Schwung wegzurutschen; das hat was.

Bald fahre ich in die Wüste.

Ein kreatives Schreiben hat primär nichts mit unserer Entwicklung, vor allem nichts mit unserer spirituellen Entwicklung als Mensch zu tun. Wir können es aber sehr gut als Instrument, als Fahrzeug, dafür verwenden, alte Vorstellungen, die mit dem Schreiben verbunden sind, aufzulösen, damit das Darunterliegende sich frei entfalten und uns weiterführen kann. Wenn zu viele Vorstellungsschleier über unserem natürlichen Ausdruck liegen, uns unsere zutiefst eigene Sprache verklemmen, dann ist der Zugang zur Quelle versperrt. Elemente aus einem kreativen Schreiben dienen dazu, den Weg zur Quelle freizulegen. Wenn es fließt, brauchen wir es nicht mehr. Dann geht es darum, die Quelle zum Strom anwachsen zu lassen oder tief in die Quelle einzutauchen oder sich der Quelle zu erinnern, bevor sie Quelle war – kein Bild fasst es.

Viele unserer alten Vorstellungen über das Schreiben sind vor allem mit tiefen Ängsten verbunden. Ich erinnere mich noch sehr genau an meine Wiedereinstiegsphase in das Schreiben vor zwanzig Jahren. Ich hatte mich mit einigen Gedichten für den schwäbischen Kunstsommer beworben. Das ist eine Veranstaltung, zu der Meister und Meisterinnen in den unterschiedlichsten Kunstrichtungen von Performance über Radierung bis Bildhauerei eingeladen werden und für eine Woche jeweils eine Klasse mit einigen Studierenden bilden. In dem Jahr gab es auch eine Lyrikklasse mit Walter Helmut Fritz, einem renommierten Dichter, der auch Mitglied im Penclub war. Überraschenderweise bekam ich einen Platz. Und ich glaube, ich war noch nie davor und danach in meinem Leben so von Ängsten gebeutelt. Das ging die ganze Woche über so, ich schlief nicht, konnte mich kaum des lebensfrohen Austausches unter uns Teilnehmenden freuen. Die Konfrontation mit einem so zentralen Thema meines Lebens, wie das Schreiben es war, erschütterte mich bis ins Mark. Und es kam für mich noch eine weitere Erschwernis dazu. Ich schrieb zu der Zeit schon Gedichte, in denen sich zutiefst meine spirituelle Sehnsucht ausdrückte. Das war nicht hoffähig in diesen Kreisen. In der Gruppe hatten wir zum Beispiel eine Frau, die schon einen Gedichtband bei Suhrkamp veröffentlicht hatte. Damit war man jemand in den Kreisen der Dichtung. An einem Tag des Kurses, als eines meiner Gedichte vorgestellt wurde, begriff sie, dass mit jenem Geliebten meines Gedichts der göttliche Geliebte gemeint war, sie verließ den Raum und sprach fortan kein Wort mehr mit mir.

Gut so, kann ich nur sagen. So wurde ich geschliffen.

Jenseits von Richtig und Falsch gibt es einen Ort,

dort treffen wir uns.

RUMI

An das Schreiben haben sich in unserem Kulturraum solch tiefe Ängste und Vorstellungen von Richtig- oder Falschmachen gehängt wie an kaum eine andere Ausdrucksform. Sie verhindern den Vorgang des skizzenhaften, forschenden Übens beim Schreiben. Dabei ist es manchmal nötig, dass ein gewisses Chaos entsteht, jenseits von Richtig und Falsch, damit sich neue Formen herausbilden können; genauso flüchtig und unbeständig wie die vorhergehenden.

Er war mit dieser besonderen Fähigkeit begabt, viele Fehler zu machen,

die meist auf den richtigen Weg führten. Ich beneidete ihn darum

und versuchte vergeblich, es ihm nachzutun, fand es jedoch ausgesprochen

schwierig, gute Fehler zu machen.

GORO SHIMURA, Mathematiker7

So braucht es im Schreiben auch ein wirkliches Üben, eine tiefe Erlaubnis, »Fehler«, also Erfahrungen, zu machen. Sonst lernen oder verlernen wir ja nichts. Fehler zu machen ist sehr ergiebig. Denn was ist das denn, was wir Fehler nennen? Ihnen voraus geht eine Vorstellung, wie etwas zu sein hat. Und auch diese Vorstellungen sind flüchtig. Gibt es überhaupt Fehler? Wenn jede unserer Handlungen ein Stich im großen Gobelin des Lebens ist – wie weiß ich, ob es ein Fehler ist oder nur eine Variante, deren Bedeutung im Gesamtbild ich aus der Nähe nicht sehen kann? Diese Vorstellung von Fehlern gehört dem alten Paradigma an, wie die Bilder dessen, was richtig ist, feste, enge Bilder davon, wie der Mensch, seine Moral und sein Kulturraum zu sein haben. »Fehler« zu machen ist der Versuch, über eine wie auch immer geartete Grenze in mir zu gehen. Auszuprobieren.

Es geht eine spezielle Kraft vom geschriebenen Wort aus, noch eine andere Dimension, andere Möglichkeiten der Reflexion als vom gesprochenen, weil ich mich versenken kann und weitere Möglichkeiten der Gestaltung habe, auch künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten, die vertiefen können. Man kann im geschriebenen Wort etwas »sagen«, das man vielleicht sonst nicht ausdrücken kann. Und es gibt eine Kehrseite – wir wissen nicht, was der oder die andere liest. Viele Sprachen arbeiten in ihrer Poesie sehr bewusst mit diesem Aspekt der Vieldeutigkeit, zum Beispiel haben oft einzelne Wörter im Chinesischen oder Arabischen viele Bedeutungen und Bedeutungsebenen. In unserer Sprache ist das weniger offensichtlich – und doch geschieht es natürlich. Ein einfaches Beispiel – nehmen Sie das Wort Tisch. Bei Nennung des Wortes entsteht vor Ihrem geistigen Auge ein Tisch. Der Punkt ist nur, dass der Tisch in Ihnen ganz anders aussieht als der Tisch in mir. Und damit auch ganz andere Gefühle auslöst. Wenn in Ihnen ein großer Esstisch auftaucht, in einem Garten, an dem eine lustige Gesellschaft an einem milden Sommerabend ein lebensfreundliches Mahl feiert, in mir aber ein kleiner Couchtisch aus einem engen Elternhaus, der mir in meiner Vorstellung schon den Atem nimmt – dann können Sie sich leicht vorstellen, wie unterschiedlich das geschriebene Wort oft aufgenommen und verstanden wird. Das war ein ganz einfaches Beispiel – wie ist es dann erst mit komplexeren Bildern und Zusammenhängen?

Viele Menschen haben ein starkes Bedürfnis zu schreiben und sind zur gleichen Zeit von so großer Scheu gepackt, dass sie sich dem Stift nicht einmal nähern wollen oder das Geschriebene nicht mit anderen Menschen teilen. Jedes Wort liegt schutzlos wie ein nacktes Neugeborenes im Raum. Und das ist so – wie in jedem kreativen Akt. Ein Neugeborenes geht aber nicht einfach so in die Welt. Erst einmal hat es Schutz und dann Zeit zum Reifen.

Diesen Aspekt des Reifens, des Übens, des natürlichen Lernens sich wieder im Umgang mit dem Schreiben zu eröffnen macht zum einen große Freude und führt zum anderen dazu, dass das geschriebene Wort aus großer Tiefe aufsteigen kann. Letzteres ahnen die Ängstlichen. Nur – gerade diesen Anschluss an unser Inneres brauchen wir in unserer Zeit.

Sprache ist von Beginn an ein schöpferischer Akt. Sie ist in den Erfahrungen unseres Lebens und unseres Leibes verwurzelt. Körper und Sprache sind nicht zu trennen. Viele Menschen haben aber bei dieser tiefen körperlich-leiblichen Erfahrung des sprachlichen Ausdrucks von Beginn an Zensur erlebt. Beim ersten Erlernen der Sprache ganz direkt über Kritik, Zurechtweisung und Korrektur und später dann über die schulische Bewertung.

Eine neue Sprache, die mit den Anforderungen unserer Zeit korrespondiert, wächst aus dem innersten Wesenskern des Menschen; dann gibt es keine Trennung mehr, ob wir den Weg des Schreibens gehen, weil wir uns entwickeln wollen oder weil wir unsere Sprache entwickeln wollen – das ist eins.

In unserem westlichen Kulturraum ist Spiritualität (außer in einem alten, theologisch-kirchlichen Rahmen) immer noch weitgehend tabuisiert. Soviel ich weiß (mailen Sie mir, wenn Sie anderes erleben), wurde keines der vielen Bücher, die in den letzten Jahrzehnten in diesem Bereich erschienen sind und die fundamentale Aussagen über unsere Zeit und unser Menschsein enthalten, in einem bürgerlichen Feuilleton besprochen. Kopernikus und Galileo wurden auch nicht gerade freundlich vom Establishment empfangen …

Es gibt immer noch junge Regisseure, die meinen, sie würden Tabus brechen, wenn sie Nacktszenen drehen oder auf die Theaterbühne bringen – als wäre das noch ein Tabu. Als wären zunehmende Verrohung und Abwertung ein kreativer Tabubruch. Wir haben in unserem öffentlichen Leben allerdings ein Tabu – das, über die innere Entwicklung des Menschen, seine Wesensnatur, sein innerstes Sein zu sprechen,

Bücher, die keine lebendige Seele haben,

sind ein Raub an unserem Leben.

FRANZISKUS VON ASSISI

So gefällt mir dieses ganz klassische Bild, dass es der Narr ist, der uns den Spiegel vorhält und die Welten verbindet. Es ist ein Komiker – Hape Kerkeling –, der mit seinem Pilgerbuch einfach, aufrichtig und heiter über die Stationen des inneren Weges – bis zu seiner Einheitserfahrung – schreibt. Er bricht das Tabu und spricht über seine spirituelle Suche. Sein Buch wurde allein in der gebundenen Ausgabe über drei Millionen Mal verkauft, also scheint es die Menschen zu interessieren.

schreiborte I

Während der letzten Tage hatte ich plötzlich das Empfinden, ich bräuchte einen Schreibplatz, der nach Süden ausgerichtet ist. Ich spürte förmlich eine Drehung in meinem Körper, wenn ich mich an meinen »normalen« Schreibtisch setzte.

Ich wollte jetzt nicht gleich das ganze Haus umräumen und spürte einfach der Bewegung nach, ging im Haus umher, suchte, erkundete. Es fand sich ein einziger Platz – die Nische, in der ich zur Meditation sitze. Ich baute mir über die Weihnachtsfeiertage einen kleinen, taubenblauen Bodentisch, vor dem ich jetzt sitze. Und erst beim Sitzen auf meinem Meditationskissen und Schreiben auf meiner neuen Unterlage, körperlich weit und wohl nach Süden ausgerichtet, nahm ich wahr, was geschehen war – während ich an »Schreiben als Weg« arbeite, ist mein Meditationsplatz auch Schreibplatz geworden …

Kein Unterschied.

An der Universität Bochum wurde in einer Forschungsarbeit festgestellt, dass ein kommender Völkermord schon in den vorhergehenden Jahren in der Sprache sichtbar wird. Eine spannende Untersuchung, dachte ich und drehte mein Autoradio lauter. Als der Forscher vom Journalisten gefragt wurde, ob es etwas in der Sprache gebe, woran man schon im Voraus einen Genozid erkennen könne, meinte der, ja, zum Beispiel an dem Wort »muss« – es muss sich etwas ändern, das »Problem« muss gelöst werden. Wenn sich das Töten so direkt und einfach in der Sprache spiegelt, dann können wir als Schreibende die Chance nutzen: Wir sind uns der Macht der Sprache bewusst und werfen sie in die Welt, um uns am Leben zu erhalten.

Noch heute bin ich überzeugt, dass Sprache die Menschheit retten wird.

YASAR KEMAL8

Sprache sei machtvoller als die Waffe, hat der Dalai Lama einmal gesagt. »Noch stärkere Macht als in Kraut und Stein liegt in dem Wort, und bei allen Völkern geht aus ihm Segen und Fluch hervor. Es sind aber gebundene, feierlich gefasste Worte, wenn sie wirken sollen, erforderlich, Lied und Gesang. Darum hängt alle Kraft und Rede, deren sich Priester, Arzt und Zauberer bedienen, mit den Formen der Poesie zusammen.«9

Das, was die Gebrüder Grimm mit »gebundenen, feierlichen Worten« meinten, drückt in alter Sprache aus, was wir heute »bewusst« oder »präsent« nennen würden oder was die Jüngeren sicher bald noch ganz anders nennen werden. Vielleicht können wir sehen, dass Poesie nicht das ist, was wir aus unserer Wirklichkeit machen, sondern dass unsere Wirklichkeit reine Poesie ist – es geht nur darum, in dieser Tiefe wahrzunehmen.

Wie findet wertfreies, im reinen Gewahrsein schwingendes Wahrnehmen, das zur gleichen Zeit Stellung bezieht, eine Sprache? Ich weiß es auch noch nicht. Denn selbst wenn es gelänge, wertfrei zu schreiben – wie wäre es dann mit der Rezeption des Lesenden? Denken Sie an den Tisch. Spannende Suche.

Und tiefste Friedensarbeit. Wertfreies Wahrnehmen spiegelt eine unendlich weite, stille Seele. Eine stille Seele hat keinen Mangel. Und es ist dieses schier ausweglose Gefühl des Mangels, das uns als Menschen zu den abstrusesten Handlungen treibt.

Wenn Seele still, dann ganzer Mensch still, dann Weltfrieden.

TETSUO ROSHI10

Das eigene Empfinden, Erleben ausdrückend, kristallklar benennend und dabei grenzenlos liebend, grenzenlos wahrhaftig – das ist eine neue Dimension.

Dazu brauchen wir Mut. Äußerlich.

Innen ist so zu schreiben einfach nur Singen …

1

vorübung

Wie sind Sie an dieses Buch gekommen?

Schreiben Sie in drei Minuten einen kleinen Text.

Wie alles in diesem Leben ist auch ein kreatives Schreiben ein großes Spiel. Gehen Sie die Dinge leicht an. Halten Sie die Leichtigkeit.

Es dauert sehr lange, bis man jung wird.

PABLO PICASSO

Auch ein kreatives Schreiben ist natürlich ein Konzept. Vergessen Sie es also möglichst bald wieder, denn letztlich, ganz im Letzten, verletzen alle Konzepte, mögen sie kurzzeitig noch so hilfreich sein, unser tiefstes Menschsein. Denn sie versuchen eine allgemeine Struktur über unsere Einzigartigkeit und den gegenwärtigen Moment zu legen – das ist Verschleierung. Und doch sind Konzepte sehr hilfreich, um eine neue Ebene unserer Entwicklung in uns zu berühren. Und dann lassen wir sie wieder hinter uns.

Mit dem Schreibenkönnen wird ja oft etwas verbunden, das man hat oder nicht hat. Als käme es so von alleine anspaziert. Wir können aber sowohl die Inspiration als auch das Handwerkszeug einladen. Beides ist notwendig, und beides ist zugänglich.

Geben Sie sich dem Schreiben ohne Zielvorstellung, ohne Erwartung hin. Wenn man es lässt, ist Schreiben ein eigendynamischer Prozess – dann wissen wir am Anfang nicht, was am Ende dabei herauskommt. Viele Romanautoren erzählen, wie ihre Figuren ein Eigenleben entwickeln, das sie nur noch demütig verfolgen können. Schreiben kann uns das Leben retten, und es kann still an uns vorübergehen, ohne tiefere Berührung. Es kann uns helfen, den reißenden Strom zu erleben und einzutauchen in die Spiegelung des Nachtsees, an dessen Ufer wir gelassen sitzen.

Und wer meint, das Schreiben wäre ein rein intellektuelles Vergnügen, oder vor allem kein Vergnügen, hat wahrscheinlich seinen Bleistift bisher etwas fest in der Hand und sieht lauter enge Richtigs und Falschs über das Papier ziehen oder hört sie, ihre Stimmen, nörgelnd, im rechten Ohr. Innere Bilder brauchen offenen, leeren Raum und Freiheit zum Atmen.

Es geht in einem kreativen Schreiben nicht um Noten, nicht um eine »Verbesserung« des Schreibstils, sondern um Entwicklung und Entfaltung. Daraus kann dann oft ein freies Schreiben folgen, eines, das lebendig ist und mit dem Finden unserer eigenen Sprache verbunden ist.

Über Unspektakuläres zu schreiben und dabei vielleicht einen neuen Gesichtspunkt einnehmen – wie wunderbar. Sie sind nicht mehr länger in der Schule, in der Arbeit, in einer engen Ehe, wenn Sie schreiben – Sie sind vollkommen frei. Es gibt keine Noten, keine Zensur, kein Runtermachen, Ihre Worte können blühen, sich verzieren, austoben, wachsen, sich frei entfalten.

Vertrauen Sie auf das, was tief in Ihnen Freude auslöst. Lassen Sie sich führen von Ihrer Liebe. Vertrauen Sie Ihrer eigenen Erfahrung. Henry Miller schrieb einmal: »Ich weiß jetzt, dass ich nur durch mein Beispiel Einfluss auf die Welt ausüben könnte, nicht durch meine Worte.«11 Mit der Verbindung von innerer Entwicklung und Schreiben löst sich die Trennung von Gesagtem und Gelebtem auf.

Schreiben lernen ist kein linearer Prozess. Schreiben ist eine Auseinandersetzung mit dem gesamten eigenen Leben. Es gibt kein Gut oder Schlecht. Manchmal braucht man zum Schreiben einen Platz für sich allein, manchmal sitzt man in der Öffentlichkeit mitten unter Menschen und im Lärm der Städte.

Etwas entfaltet sich – und auf der Ebene des Prozesses benötigt das etwas Zeit Es gibt in einem kreativen Schreiben innere Haltungen und einfache Übungen, die im Grunde nur dazu dienen, das zu vergessen, was wir über das Schreiben gelernt haben.

So leert sich der innere Raum von Vorstellungen, und ETWAS beginnt zu schreiben, In wilder, furchtloser Frische, aus einer aufgeweckten, stillen Seele. Einzigartig. Im Zauber des Jetzt.

schreiborte II

Gepriesen seist Du, mein Herr, durch Bruder Wind.

Durch jegliche Witterung, durch welche Du

Deinen Geschöpfen Erhaltung gewährst.

FRANZISKUS VON ASSISI, Sonnengesang

Bruder Wind, gepriesen von Franziskus, fegt durch die Gassen Assisis. Gepriesen von ihm auch jede Witterung. Jede. So preise ich mit ihm heute den Sturm über Assisi, die Nässe, Kälte und Verwehungen meines Lebens, während ich durch die Kirchen streife.

Wollte erst einmal ankommen hier auf dem umbrischen Hügel. Diese Kirchen stehen an alten, kultischen Kraftplätzen, im Westen der Tempel der männlichen Gottheit, im Osten der der weiblichen. Ich begann mit Franziskus heute morgen, er, der wie kein anderer seiner Zeit ein Mann der Zukunft war, in seiner bedingungslosen Liebe zu allen Geschöpfen, Wesen, Gestirnen, in seiner sanften spirituellen Revolution, er könnte mich doch halten hier, im Sturm und in der Stille meines Alleinseins. Mich lehren, immer wieder neu, welch wunderschöner Ort unsere Erde ist und welche Freude, darauf zu leben. Der vereinfachen wollte, auf das Wesentliche zurückführen.

Und seiner Zeit gemäß verlor er sich im doppelten Sinn im Gekreuzigten. Und auch in seiner Gemeinschaft, die nur dem Frieden dienen wollte, waren schön früh die Querelen Gast.

Gepriesen auch sie. Unserem Erhalt dienend.

Warum ich hier bin? In diesem kalten Sturm? Weil der Blick weit ist? Weil es ein Platz von alter Kraft ist? Noch steht der Tempel der Minerva, in der Mitte zwischen Ost und West. Goethe kam nur dieser paar Säulen wegen und achtete mit keinem Wimpernschlag den katholischen Überfluss. Weil hier so viel gebetet wird? Auch lustig gelebt auf italienische Weise? Weil sich die Kräfte verbinden hier, West und Ost, männlich und weiblich, und der Große Geist – wie immer wir ihn nennen – spürbar ist? Zum Schreiben? Was weiß ich. Ein Impuls – gebucht, getan. Wer fragt? Einfaches, fragloses Leben.

Und nachmittags Clara, Franziskus’ schwesterliche Weggefährtin. Es war damals im 13. Jahrhundert nicht so einfach für eine Frau, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie wagte einen gefährlichen Schritt – sie verließ ihr Elternhaus durch die einzig unbewachte Pforte, die für die Toten. Alles hinter sich lassend, um sich ganz dem EINEN hinzugeben. Immer wieder neu, täglich, sekündlich.