Schrift, Bild, Handlung - Dirk Westerkamp - E-Book

Schrift, Bild, Handlung E-Book

Dirk Westerkamp

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Beschreibung

Dieses Buch versammelt Beiträge zu einer Ästhetik der Schriftbildakte. Seine pointierten Essays widmen sich – an Beispielen von Werken René Magrittes, Joseph Beuys' und Astrid Kleins – der Frage, wie wir mit, in und durch Schriftbilder handeln. Dirk Westerkamp thematisiert drei Arten möglicher Handlungsbezüge von Bild und Schrift. Schriftbildakte können – repräsentativ – Handlung mitteilen, berichten, erzählen. Sie können – evokativ – Handlungen auslösen, anmahnen, herausfordern. Und sie können – performativ – selbst Produkt, Wirkung, Ausführung einer Handlung sein. Materialreich und exemplarisch behandeln die fünf Essays des Bandes Schriftbildhandlungen im aktuellen Film, in der modernen Gegenwartskunst, im mittelalterlichen Fresko und in der antiken Skulptur. Das Buch schaltet sich damit in die aktuelle bildwissenschaftliche, bildakttheoretische und diagrammatologische Diskussion ein. Westerkamp vertritt einen bildpragmatischen Ansatz, der philosophisch in einen kritischen Pragmatismus eingebettet ist. Zum Tragen kommt eine methodische Doppelperspektive, die den stärker deduktiven Zug der Theoriebildung mit dem eher deskriptiven Gestus konkreter Phänomenbeschreibung vermittelt. Zwei programmatische Abschnitte rahmen die phänomenologischen Beiträge des Buchs, bündeln deren handlungstheoretische Überlegungen und stellen eine mögliche Typologie von Schriftbildakten (Scripicturalia) zur Diskussion.

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Dirk Westerkamp

Schrift, Bild, Handlung

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹https://portal.dnb.de› abrufbar.

eISBN (PDF) 978-3-7873-4243-3

eISBN (ePub) 978-3-7873-4288-4

© Felix Meiner Verlag Hamburg 2022. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Konvertierung: Bookwire GmbH

Inhalt

Vorbemerkung

SCHRIFTBILDAKTE

Begriff, Probleme, Beispiele

MEDEAS AUGENBLICK

Das tragische Bild: Dialektik im Stillstand

DEO GRACIAS

Daseinsdank als Schriftbildrätsel

AMBIGE OBJEKTE

Die Unerschöpflichkeit des Gegenstands

SCHRIFTBILDAKTIVISMUS

Typen, Thesen, Perspektiven

Register

Nachweise

Vorbemerkung

Dieses Buch versammelt Beiträge zu einer Ästhetik der Schriftbildakte. Sie beziehen sich sowohl auf eine bereits eingeführte Bildakttheorie als auch auf neuere Studien zur Schriftbildlichkeit.1 Im Unterschied zu diesen Ansätzen formulieren die folgenden Überlegungen weder eine »Diagrammatologie« noch eine »Philosophie des Graphismus«.2 Der Anspruch der vorliegenden Essays ist bescheidener. Absicht ist eine kleine Ästhetik der Scripicturalia. Verbunden sind sie in ihrem bildpragmatischen Ansatz, philosophisch eingebettet in einen kritischen Pragmatismus. Dieser bildpragmatische Ansatz nimmt eine doppelte Perspektive ein, insofern der stärker deduktive Zug der Theoriebildung mit dem eher deskriptiven Gestus konkreter Phänomenbeschreibung vermittelt wird.

Auch dieser bildpragmatische Ansatz will nicht behaupten, dass Schriftbilder von sich her handeln. Eine schlechthin subjektlose Verselbständigung intentionalen Handelns ist keinem Artefakt möglich. Evident ist aber, dass wir mit ihnen, durch sie und an ihnen Handlungen ausführen. Das scheint trivial, wird aber philosophisch gehaltvoll durch die Einsicht, dass unsere Intentionen nicht einfach nur die Schriftbilder beherrschen, sondern diese auch auf jene zurückwirken. Sie erzeugen neue Absichten, Motive und Entschlüsse in den durch sie Handelnden selbst. So tritt neben der ursprünglichen und der abgeleiteten Intentionalität auch eine Form reflexiver Intentionalität hervor.

Thematisiert werden drei Arten möglicher Handlungsbezüge von Bild und Schrift. Schriftbildakte können – repräsentativ – Handlung mitteilen, berichten, erzählen; sie können – evokativ – Handlungen auslösen, anmahnen, herausfordern; und sie können – performativ – selbst Produkt, Wirkung, Ausführung einer Handlung sein. Die Essays folgen diesem systematischen Aufriss, vernachlässigen aber die stets geschichtlichen Kontexte ihrer Phänomene nicht. Nach dem programmatischen Einleitungsessay widmen sich die Studien in ihren jeweiligen Schwerpunkten der repräsentativen, der evokativen und der performativen Schriftbildhandlung. Deren Handlungstypen werden allerdings nicht isoliert betrachtet. Veranschaulicht sind die ihnen zugrundeliegenden drei Handlungsaspekte an einem antiken, einem mittelalterlichen und einem modernen Beispiel; schließlich auch an den unterschiedlichen Materialformen ihrer Bildträger: Tafelbild, Skulptur, Fresko, Plastik. Der ebenfalls programmatische Schlussessay bündelt die handlungstheoretischen Überlegungen und diskutiert mögliche Typologien von Scripicturalia.

Auch in den hermeneutischen Zirkel von konkretem Gegenstand und allgemeiner Theorie muss man letztlich springen. Das gilt insbesondere für einen bildpragmatischen Ansatz wie den hier gewählten. Entsprechend deuten die Studien, im engen Anschluss an die Phänomene, über ihre Vereinzelung hinaus auf eine allgemeinere, materiale Ästhetik.

1Vgl. Horst Bredekamp, Der Bildakt. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007. Neufassung 2015, Berlin 2015; Sybille Krämer, Eva Cancik-Kirschbaum und Rainer Trotzke (Hrsg.), Schriftbildlichkeit. Wahrnehmbarkeit, Materialität und Operativität von Notationen, Berlin 2012.

2Manfred Sommer, Stift, Blatt und Kant. Philosophie des Graphismus, Berlin 2020; Sybille Krämer, Figuration, Anschauung, Erkenntnis. Grundlinien einer Diagrammatologie, Berlin 2016.

SCHRIFTBILDAKTE

Begriff, Probleme, Beispiele

1.Schriftlesen und Bildsehen

Schriftakte sind Bestandteile des Vertragsrechts. Sie verschaffen Dokumenten Gültigkeit: durch schriftliche Anweisung, durch briefliche Einwilligung, durch wechselseitige Unterschrift der Beteiligten. Die damit verbundene Geltung des Vereinbarten schafft nicht nur eine bestimmte Tatsache, sondern setzt auch eine bestimmte Norm: Die niedergelegten Bestimmungen sollen eingehalten, ihren Vorgaben soll Folge geleistet werden. Im Rückgriff auf die klassische Typologie der Sprechakte könnte man von einer Mischform aus kommissivem und deklarativem Schriftakt sprechen. Doch sind Schriftakte nicht nur auf juridische Formen beschränkt; auch Post-its mit Anweisungen, E-Mails mit Appellen, Briefe mit Erklärungen sind Schriftakte, die entweder (repräsentativ, deskriptiv, deklarativ) von Handlungen berichten oder (evokativ, expressiv, appellativ) zum Handeln bewegen oder (performativ) selbst Handlungen sind.

Anders als Sprechakte im engeren Sinn sind Schriftakte nicht akustisch, sondern visuell präsent. Sie sind grundsätzlich lesbar; und zwar selbst dort, wo Text oder Unterschrift unleserlich sein mögen. Schriftakte erfüllen die zentralen Voraussetzungen von Skripturalität:1 Sie funktionieren auch unter Bedingung der Abwesenheit der Schreibhandelnden und über deren Existenz hinaus; sie bleiben auch nach dem Verschwinden von Sender und Empfänger lesbar; sie haben eine unhintergehbar optisch-sinnliche Präsenz; die Zweidimensionalität ihrer Schriftfläche erlaubt einen synoptischen und daher flexiblen Zugriff auf die versammelten Zeichen; Schriftakte sind identifizierbar, iterierbar und kopierbar; sie lassen sich dekontextualisieren, anderswo wiedereinfügen, zuweilen in ihrer Notation auch operationalisieren; Schriftakte sind differenziert (und daher von anderen unterscheidbar) und disjunkt, insofern sich ihre Räumlichkeit noch einmal spatial in sich selbst unterscheidet; sie sind konventionell, d. h. folgen den Regeln der symbolischen Ordnung, innerhalb derer sie erscheinen (etwa der Logik, des Rechts o. ä.); sie sind reflexiv bzw. metaskripturell in dem Sinne, dass sie sich qua Schrift auf anderes Schriftliches oder Schriftbildliches (etwa auf Tabellen oder ein Periodensystem) beziehen können.

Schon aufgrund ihrer zweidimensionalen Flächigkeit besitzen Schriftakte allerdings auch ein ikonisches Moment, einen Zug nicht bloß des schriftsprachlichen Sagens, sondern auch des bildlichen Zeigens. Schriftakte sind keine Bilder im engeren Sinne, doch in unseren Lektürepraktiken zeigen sich Ähnlichkeiten zum ›Einlesen‹ von Bildern: Wir versuchen uns an bestimmten Zeichen zu orientieren, den Sinn unmittelbar zu erfassen, die Blick- und Leserichtung zu bestimmen. Anders als bei Bildern oder Bildakten haben die Zeichen, im Unterschied zu Farben, Figuren oder Figurationen, keinen vergleichbar starken autosemantischen Sinn. Während in Bildern – jedenfalls solchen der Kunst – das Gezeigte weitgehend um seiner selbst willen da ist, sind die meisten Schriftakte um ihrer deskriptiven, evokativen oder performativen Funktionshandlung willen da.

Um ihrer selbst und der entsprechenden Handlung willen da zu sein, ist allerdings ein wesentliches Moment auch von Bildakten. Horst Bredekamp unterscheidet zwischen schematischen, substitutiven und intrinsischen Bildhandlungen. Die Bildakttheorie strebt eine »Philosophie der Erfahrung autonomer und gleichsam pseudolebendiger Formen« an, die das Subjekt »seiner zentralen Stellung der Welterschließung«2 entrücken will. Subjektdezentrierung soll sich durch die Latenz der Bildobjekte gleichsam von selbst ergeben. Anders nun als beim Schriftlesen scheint beim Bildsehen dem Anblick der Sinn regelrecht zuzufallen. Damit jedoch verhält es sich dort wesentlich komplizierter, wo auch Bilder ›gelesen‹ werden wollen, weil die Deutung immer schon in den Bildanblick miteingehen muss. Das gilt für ungegenständliche Kunst ebenso sehr wie für gegenständliche.

Es scheint, als würden die maßgeblichen Charakteristika des Bildsehens zwar nicht aufs Textlesen, wohl aber auf den Anblick von Schriftbildern zutreffen. Im Bildanblick sehen wir stets das Bildsein des Bildes mit. Die immer schon mitgesetzte »ikonische Differenz« fällt in das Verhältnis von Bild und Bildanblick.3 Zugleich ist der Phänomensinn des Sehens-von-etwas als ein Sehen-in-etwas auch ein Sehen-als:4 In Vermeers Mädchen mit dem Weinglas (ca. 1662) können wir im schlichten Sehen von Interieur und Personen zugleich die Charakterzüge der Maßhaltung (temperantia) erblicken und die gesamte Darstellung wiederum als einen Höhepunkt niederländischer Malerei oder als Ausdruck eines bestimmten Genres, Zeitgeistes, technischen Könnens begreifen.

Folgt man Mitchells Typologie der Familienähnlichkeiten von Bildern,5 dann würden Schriftbildakte wohl in eine Mischkategorie von grafischen (Gemälde, Zeichnungen, Pläne etc.) und sprachlichen Bildern gehören. Ihr kategoriales Pendel kann nach der einen oder anderen Seite ausschlagen – wie die folgenden Beispiele zeigen werden. Dort, wo Schriftbildakte ihre eigene Sprachlichkeit suspendieren, sind sie eher grafische Bilder und betonen ihre Ikonizität; dort, wo sie ihre Bildlichkeit stärker in die Schrift aufheben, sind sie Schriftbilder und betonen ihr skripturales Moment. Aufgrund der unhintergehbaren Metaphorizität natürlicher Sprachen dürfte auch vielen Schriftbildern ein (wie auch immer ausgeprägter) sprachbildlicher Gehalt zukommen.

Genauer zu fragen ist erstens nach dem Handlungscharakter der Schriftbildakte und ihrer möglichen systematischen Parallelität zu Bildakten (2.); zweitens nach der spezifischen Zeitlichkeit dieser Handlungen und dem Verhältnis von Bild und Bildzeit (3.); drittens (anhand von Beispielen) nach der unterschiedlichen Zeit- und Handlungsdimension dessen, was man temporale Schriftbildakte nennen könnte (4.–7.); viertens schließlich nach einer Art Typologie von Schriftbildhandlungen, die einigermaßen zwanglos ihren jeweiligen Handlungsaspekten entspringt (8.).

2.Schriftakte, Bildakte, Schriftbildakte

Schriftbildakte sind mehr als die Summe der zentralen Charakteristika von Schriftakten und Bildakten. Als deren Synthesis entwickeln sie neue und andere Eigenschaften. Entsprechend schließen Schriftbildakte einige Wesenseigenschaften von Schriftakten und Bildakten zugleich aus – wenngleich als eingeschlossene. Einfacher gesagt: Schriftbildakte oszillieren zwischen Bild und Schrift, zwischen Lesen und Nichtlesen, zwischen Sagen und Zeigen. Robert Barrys, Jörg Immendorffs, Ferdinand Kriwets oder Astrid Kleins Schriftbildakte zwingen zu einem Lesen, dessen Gelingen sie zugleich verweigern; oder zu einem Bildsehen, das misslingt, weil erkannt wird, dass es sich nicht um ›reine‹ Bilder handelt. Ein Moment ihrer Handlung besteht folglich darin, Lese-, Entzifferungs- und Dechiffrierhandlungen zu stören, Lesen ins Bildsehen umschlagen oder Sehen-in ins Sehen-von kippen zu lassen. Entsprechend gehören Schriftbildakte zu einer bestimmten Art von Diagrammatica. Sie changieren zwischen dem Ikonischen und dem Skripturalen, zwischen Zeug und Kunstding, zwischen Werk und Gebrauchsgegenstand; manche von ihnen oszillieren zwischen Kunst und – ein neuerer Trend – »künstlerischer Forschung«.

Zuletzt schweben Schriftbildhandlungen zwischen Handeln und Nichthandeln. Dort, wo sie deskriptiv von Handlungen berichten, zumal von vergangenen, sind sie evidenterweise nicht diese Handlungen selbst, möglicherweise aber deren einziger Textzeuge und damit die einzig verbliebene Gestalt der bezeugten Handlung selbst. Dort, wo sie appellativ zu einer Handlung veranlassen, können sie selbst nicht zum Ausführenden dieser Handlung werden. Dort schließlich, wo sie performativ Handlung sind (oder zumindest Bewegung anzeigen) – etwa im elektrischen Flackern von Schriftzeichen –, sind sie doch als Artefakte nicht selbst der Grund ihrer Handlungsäußerung. In jedem Handlungsmoment verbirgt sich demnach irgendein Moment von Nichthandlung, in jedem Bestimmen auch ein Bestimmenlassen.6

Den Handlungsaspekt der Bildakte hat Horst Bredekamp vor allem in der »Wechselwirkung«7 von Bild und Bildbetrachterin aufgesucht, genauer: in der Relation zwischen Bildobjekt und Bildanblick. Diese Relation wandelt sich notwendig gemäß den Handlungsweisen, die den Bildakt bestimmen. Bei schematischen Bildakten gelingt dies durch die Verwandlung zum Bild geformter Körper: Automaten, tableaux vivants, Körperschemata. Ihre bewegten Verkörperungen simulieren Verlebendigung.8 Das kann auch die »transgene Kunst« der Biofakte einschließen, deren Bildhandlung etwa darin besteht, im Bild, und zwar als Bild, zu verrotten (Wolf Vostell,9 Eduardo Kac10 u. a.). Bei substitutiven Bildakten ist es der Austausch von Bild und Körper, der das Bild statt des Körpers handeln lässt oder zum Objekt von Handlungen macht – man denke an die durch rituelle Waschungen ruinierte Sancta-Sanctorum-Ikone.11 Beim intrinsischen Bildakt ist es die Kraft des Blicks, die das Bild dem Bildanblick gleichsam entgegenwirft, um die Handlung in der Einbildungskraft des Betrachters wirksam werden zu lassen. Die Wirklichkeit der Handlung des intrinsischen Bildakts bestünde dann in der Wirksamkeit auf einen sie erschließenden Geist. Auch der intrinsische Bildakt changiert zwischen grafischem und geistigem Bild.

Von Anbeginn hat die Bildakttheorie dem Verdacht des Animismus, der Bildmagie, der ›Simulacreitivität‹ begegnen müssen, um die Rede von der Latenz des Objekts nicht mit der Behauptung seines Eigenlebens zu verwechseln. Eine Theorie der Schriftbildakte setzt sich weniger Einwänden aus, weil Schriftbildhandlungen durch die klare Betonung ihrer skripturalen Produziertheit jeder Mythologisierung überhoben sind. Das heißt indes nicht, dass nicht auch Schriftbildakte etwas objektiv Ergreifendes haben, das sich der subjektiven Intention (vor allem auch der ihrer hervorbringenden Ursache: der Künstlerin, des Künstlers) entzieht. Doch ist ihre Wirkungsweise durch die Ambiguisierung, Überschreitung oder Selbstaufhebung von Schrift eindeutig motiviert. Das trifft auf deskriptive, expressive und performative Schriftakte gleichermaßen zu. Für künstlerische Schriftbildakte gilt, dass in ihnen diese drei Handlungsebenen tendenziell zusammenfallen – wie etwa in den performativen Schriftbildwidersprüchen von Magrittes Ceci n’est pas une pipe (1964), Jörg Immendorffs Hört auf zu malen (1966), Joseph Beuys’ Ich trete aus der Kunst aus (1968).

Handlungen haben ein dreifaches Verhältnis zur Zeit: einmal zur linearen Zeit der relational in ›früher-als‹ oder ›später-als‹ geordneten Handlungsereignisse (Lagezeit); sodann zur modalen Zeit, die eine Handlung in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft situiert (Modalzeit); schließlich zu derjenigen Zeitdimension, die einer Handlung Dauer oder Nichtdauer zuspricht (Kontinualzeit). Wo sie Handlungen sind, dort unterhalten auch Schriftbildakte ein Zeitverhältnis. Hinzu kommt eine zweite Trias von Relationen. Sie betreffen die Bildzeit selbst, die sich wiederum als Bildbetrachtungszeit, Bildinhaltszeit und Bildentstehungszeit unterscheiden lässt. Temporale Schriftbildakte sind, wie die Beispiele im Folgenden zeigen werden, näher solche, die einen oder gar alle drei Zeitaspekte selbst zur Darstellung bringen. Anders gesagt: Sie erheben ihre eigene Temporalität zum Bildsujet.

Die Weisen dieses Selbstbezugs sind so verschieden wie die Werke, in denen sie sich ereignen. Es gibt keine vorgefertigten Verfahren des Zusammenfallenlassens von Bildzeitmodi. Dennoch könnte man insgesamt von Chronotechniken sprechen, von Verfahren, die die Betrachtungszeit mit der Bildinhaltszeit oder diese mit der Bildentstehungszeit zusammenblenden. In Hiroshi Sugimotos Sea Scapes (2013) etwa wird die stundenlange Belichtungszeit zum Moment der Bildhandlung selbst; ihr Tun offenbart sich in der sedimentierten Belichtungszeit. In Eugène Leroys Atelierstudien (1994), um ein anderes Beispiel zu geben, werden Momente des Tageslichts übermalt: die Farbschichten sind Zeitsedimente. Insofern sie verschiedene Momente zu einem Zeitpunkt komponieren, der ein »prägnanter Moment« ist, werden diese Chronotechniken auch zu Kairotechniken. Dann konstruieren sie jeweils Augenblicke, die es realiter, als solche, nicht gab.

3.Bildzeit und Bildanblick: Zum systematischen Ort der Schriftbildakte

Die Verhältnisse der Bildzeit sind nicht nur zueinander, sondern auch ins Verhältnis zu den Relationen des Bildanblicks und des Bildobjekts zu setzen. Bilder sind nicht bloß sinnlich-signifikative Gegenstände,12 sondern Relationen ikonischer Relationen. Sie sind ebenso sinnlich-aisthetisch wie geistig gestiftete Beziehungen zwischen Bildanblick, Bildobjekt und Bildzeit. Der Bildanblick richtet sich auf Gestalt, Inhalt und Gehalt des Bildes (1. Relation). Das am Bildträger erscheinende Bildobjekt ist die Vergegenwärtigung von etwas (was auch immer dies sein mag) (2. Relation). Dessen räumlich-flächige Vergegenwärtigung wiederum unterhält als Betrachtungszeit, Bildinhaltszeit und Bildentstehungszeit nicht nur ein Verhältnis zum Raum, sondern eben auch zur Zeit (3. Relation). In den Verhältnissen dieses triadischen Bildrelationsmodells spiegeln sich nicht nur die drei zentralen Begriffsverhältnisse der Sache selbst, sondern auch unterschiedliche, gleichwohl aufeinander beziehbare Zugangsweisen der Bildwissenschaft: Ikonologie, Bildphänomenologie und Ikonik (vgl. Tafel 1).

(1) Für die Relation des Bildanblicks lässt sich auf die Terminologie Panofskys zurückgreifen.13 »Phänomensinn« meint die intuitive Wahrnehmung von Formen, Linien und Farben natürlicher oder künstlicher Objekte. Unser Phänomensinn nimmt die Dinge wahr, wie sie sich von sich her zu zeigen scheinen. Im Unterschied zur vor-ikonologischen Betrachtung des Phänomensinns kann aber erst die ikonographische Analyse auch Sujets identifizieren. Dann ordnen wir Gegenstände stilgeschichtlich ein, ermitteln ihren »Bedeutungssinn«.

Allerdings muss sich der Sinn des Betrachteten in dieser formalen und stilgeschichtlichen Analyse noch nicht erschöpfen. Zumal es für uns unerschöpfliche Gegenstände geben mag. Im Unterschied zum Inhalt geht der Gehalt des Bildes deshalb auf den »Wesenssinn« des Dargestellten – man könnte mit Benjamin vielleicht sagen: auf seinen Wahrheitsgehalt. Dieser erschließt sich nicht schon der stilgeschichtlichen, sondern erst der philosophischen Analyse. Dann – es hilft nichts – müssen wir interpretieren. Interpretieren aber lässt sich nur, was nicht eindeutig ist; was sich also auch anders deuten ließe. Hier etwa wäre auch der Ort einer Bestimmung, ob und wenn ja, aus welchen Gründen etwas ein Kunstwerk zu sein beanspruchen kann. Im Bildblick schießen phänomenale, ikonographische und ikonologische Sichtweisen zur philosophischen Betrachtung zusammen.