Schummerstund - Brigitte Jäger-Dabek - E-Book

Schummerstund E-Book

Brigitte Jäger-Dabek

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Beschreibung

Das Ebook "Schummerstund. Geschichten aus Ostpreußen" will Appetit machen auf eine ferne Welt, die es so nicht mehr gibt. Sie ging unter mit Ostpreußen, dem Land aus dem sie stammen. Und doch sind Geschichten aus diesem fernen Ostpreußen vielen von uns noch aus Omas Erzählungen geläufig, wenn auch oft in der Kindheitserinnerung verborgen. Viele unserer Eltern und Großeltern, die aus Ostpreußen stammten, erzählten zur "Schummerstund", diesem magischen Moment, in dem das letzte Tageslicht sich im Dunkel verliert, gern Geschichten aus ihrer Heimat. Sie waren mehr oder minder ausgeschmückt, viele auch ein wenig skurril oder fantastisch. Sie wurden in Ostpreußen an den langen Abenden eines bitterkalten Winters mit viel Schnee erzählt, wenn es draußen so richtig stiemte. Oder man lauschte ihnen an den lauen Sommerabenden draußen auf der Bank vor dem Haus. Und manche dieser Erzählungen waren auch ganz reale, inzwischen aber immer mehr ausgeschmückte Geschichten aus dem eigenen Verwandtenkreis, wie sie in vielen Familien kursierten. Ob sie blumig ausgeschmückt waren? Übertrieben, oder fabulierend? Ganz ehrlich? Natürlich ging da manchmal die Fabulierlust mit den Erzählern durch und natürlich wurden ausschmückende Elemente von skurril bis fantastisch verzierend angefügt – Egal ob sie aus dem Norden, dem Süden, von der Haffseite oder aus dem Osten stammten, die Ostpreußen waren ein Volk der Erzähler. Sechs solcher von jedem Erzähler in der Familie immer mehr ausgeschmückte Geschichten stellt ihnen Brigitte Jäger-Dabek hier vor. Ihre ganze große Familie kam aus Ostpreußen. Die einen waren katholische Ermländer, von denen viele das polnische Ermländisch "po naszamu" sprachen, die anderen kamen ganz aus dem Norden und viele von ihnen waren "preußische Litauer", dazu kamen Prussen, Hugenotten und Salzburger. So schöpft die Autorin Brigitte Jäger-Dabek hier aus dem ganzen reichen Fundus der Familiengeschichten und dem großen Reichtum der vielfältigen Kultur.

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Seitenzahl: 90

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Brigitte Jäger-Dabek

Schummerstund

Geschichten aus Ostpreußen

Edition Jaeger-Dabek Media

Inhalt

Vorwort - Bilder, Träume und Geschichten

Das Winterparadies

Das Zollhaus von Turowen

Erdmons und Marryke oder die Johannisnacht

Schummerstund oder aus einer anderen Zeit

Großmamas Hochzeit oder die Revolution in Allenstein

Ostpreußische Gastlichkeit oder die Kunst des Nötigens

Vorwort - Bilder, Träume und Geschichten

Die Störche sind fort. Über Nacht haben sie sich versammelt und sind nach Süden gezogen. Der masurische Sommer neigt sich dem Ende zu, es ist Zeit zu fahren, heimzufahren.

Noch Tage nach der Rückkehr liegen die Schuhe in der Ecke und warten auf eine gründliche Reinigung. Immer noch sind sie grau vom Staub Ostpreußens, von der Trockenheit Masurens, den ermländischen Pilgerwegen und der Weite des Königsberger Gebiets.

Ach, was für ein Sommer, was für ein Land!

Was zieht uns, die wir nicht dort geboren sind, die wir nicht dort aufwuchsen immer wieder in dieses Land?

Warum entdecken wir zwar jedes Mal neue Orte, Landschaftsdetails und verschwiegene Winkel, mal fast mediterran Heiteres und lärmenden Bädertrubel, mal stille Abgeschiedenheit? Und warum kehren wir eigentlich an manche Plätze immer wieder zurück? Was suchen wir dort?

Interessante Menschen, schöne Landschaften, unberührte Natur und kristallklare, warme Seen zum Baden und Wassersporteln, die gibt es doch auch anderswo!

Eine Antwort auf dieses „warum“ kann ich allenfalls noch für ein paar Generationsgenossen geben, die in einem ähnlichen familiären Umfeld aufwuchsen, nämlich als schon im Westen geborene Kinder ostpreußischer Familien. Eigentlich aber ist es meine Antwort, mein ganz persönliches Empfinden.

Im Grunde sind Menschen wie ich auf der Suche, einerseits auf der Suche nach den eigenen Wurzeln, dem unbekannten Fernen dem Dazu-gehören-wollen der Nähe. Doch das ist nur vordergründig, wenn auch untrennbar verbunden mit dem eigentlichen Grund.

Eigentlich nämlich bin ich auf der Suche nach Bildern, nach nostalgisch anmutenden Bildern aus einer anderen Zeit, Bildern aus einer unkomplizierteren Welt, Bildern aus der Zeit vor dem Sündenfall der Deutschen und vor den Tragödien von Flucht und Vertreibung.

Es sind die Bilder, die ich mir als Kind ausmalte, als ich abends im Bett lag und Oma die Gute-Nacht-Geschichte erzählte, oder wenn ich angekuschelt an die Eltern etwas erzählt bekam, Bilder voll Vertrauen und Geborgenheit, Bilder, die sagen: alles ist gut. 

Wenn in einheimischen norddeutschen Familien Geschichten erzählt wurden, waren die Orte jedermann bekannt, greifbar, alltäglich und nichts Besonderes.

Ostpreußen hingegen lag während des Kalten Krieges auf einem anderen Stern. So weit entschwunden, als ob Eltern und Großeltern es nur geträumt hätten. Das waren Orte aus einer fast schon exotischen Märchenwelt, unwirklich und unzugänglich.

Der Fundus dieser Geschichten blieb gleich, Veränderungen waren nicht möglich, neue Geschichten konnten ja nicht mehr dazu kommen. Das machte manche dieser Erzählungen gebetsmühlenartig starr, andere wurden immer wieder variiert durch interpretierendes Erzählen und wechselnde Ausschmückungen. Auch wenn uns die bei Familienfesten immer wieder erzählten „ollen Kamellen“ manchmal gewaltig auf die Nerven gingen, weil wir in einer ganz anderen Umwelt aufwuchsen, zu der diese Geschichten scheinbar so gar keinen Bezug hatten, so haben sie uns doch geprägt die berüchtigten Geschichten von „Tante Emma aus Kraxtepellen“.

Irgendwann aber fuhren viele von uns dann doch einmal in dieses Land, aus dem die Familien stammten. Mich erwischte es ziemlich früh, das Gros aber beginnt im Alter von um die 40 sich für die eigenen Wurzeln zu interessieren.

Manche geben es ja ungern zu, aber bewegt hat es uns alle sehr, als wir erstmals die Orte sahen, in denen unsere Eltern aufwuchsen und die Gräber von Vorfahren und Verwandten entdeckten. Und wenn wir ganz ehrlich sind, geben wir auch noch zu, dass wir fast alle geheult haben.

So weit gleichen sich die Erfahrungen also stark, warum aber kommen manche von uns wieder, immer wieder. Die Gräber haben wir ja nun gesehen, haben auch gesehen, wie anders dieses Land unserer Vorfahren ist.

Nach dieser ersten Reise setzen die Unterschiede ein, nur eines bleibt uns Ostpreußen-Kindern gemein: für keinen von uns wird dieses Land jemals ganz einfach ein Urlaubsland wie jedes andere sein, in das man alle Jubeljahre einmal fährt. Die einen kommen gar nicht wieder, die anderen kommen immer wieder. Ich gehöre zu den Letzteren.

Warum das so ist? Schon bei der ersten Reise erinnerte ich mich immer wieder meist fast blitzartig plötzlich längst vergessener Geschichten aus der Kinderzeit. Ich bemerkte, dass diese Geschichten nicht in Worten, sondern als Bilder im Unterbewusstsein abgespeichert waren.

Immer wenn ich einen Ort, eine Landschaft oder ein Haus sah, das einem dieser Bilder entsprach, zuckte so ein Erinnerungsblitz durch mein Gehirn und förderte eine alte Geschichte zutage. Manchmal sind es gar nicht ganze Geschichten, die da aufblitzen, sondern nur kleine Szenen, Stimmungen, Fragmente, und wenn ich auch diese Orte noch nie gesehen habe, erkenne ich sie doch.

Dann beginne ich, mir diese Erzählungen wieder in die bewusste Abteilung des Gehirns zurückzuholen und versuche, mich genauer zu erinnern. Manchmal taucht dann auch eine Geschichte auf, die gar nicht zu dem kurz gesehenen Bild einer Landschaft oder eines Ortes passen will, nur ein kleines Detail hatte so ausgesehen, wie ich es mir als Kind vorgestellt hatte, aber immerhin, die Geschichte war wieder da.

So fing ich an, gezielt nach diesen Geschichten und Bildern zu suchen. 

Manchmal sind in die alten Erzählungen und Geschichten auch Märchen und Sagen verwoben, besonders bei den alten Geschichten aus der Elchniederung und von der Memel, dabei verschleiernd, ob ihr Ursprung prussisch oder litauisch ist. Man fährt mit dem Boot durch die Niederung und schon tauchen sie auf, die litauischen Geschichten, die Welt des Schacktarp, wenn im Frühjahr die Eisschmelze aus der Niederungslandschaft eine abgeschnittene Region machte. In jeder Darstellung, jeder Holzskulptur und den vielen volkstümlichen Schnitzereien erkennt man sie wieder, die Götterwelt von Perkunos, Potrimpos und Pikollos. In Litauen leben sie noch, die alten baltischen Mythen und Göttergeschichten, jeder Wald wird zum Beleg für die alten heiligen Haine, überall scheint Romowe zu sein.

Da tritt sie plötzlich wieder aus dem Vergessen empor, die Geschichte von der Ururgrossmutter, die plötzlich aus den nassen Weiten der Elchniederung auftauchte und nach einem kurzen Besuch in Insterburg scheinbar spurlos und lautlos wieder in ihnen verschwand. Sie brachte die Erzählungen mit von der Memel und dem undurchdringlichen Labyrinth der Wasserläufe. Ähnliche Geschichten, Mythen und Erzählungen gibt es aus allen Gegenden, in denen Familienmitglieder ansässig waren.

Aufgewachsen bin ich in Norddeutschland, im Land am Meer, in dem ein Menschenleben nicht lang genug ist, zweimal einen richtig harten, schneereichen Winter zu erleben. So wird es niemanden verwundern, dass der sprichwörtliche ostpreußische Winter zu diesen Bildern gehört, die ich in Ostpreußen suche, den Wintertraum, den man hier nachleben kann,

Ihre Brigitte Jäger-Dabek

Mit dem Pferdeschlitten durchs Winterparadies, Foto: Jirka Dl, CC-BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0

Das Winterparadies

Kalt war es ja schon seit einiger Zeit, Väterchen Frost war aus Russland gekommen und hatte Eiseskälte mitgebracht. Bald fror es so stark, dass den Männern die Bärte vereisten und einem der Atem gefror. Binnen weniger Tage trug das Eis auf Seen und Teichen, da war ein Knacken und Knistern im Eis und die Kinder pranselten ungeduldig die Väter an. Endlich war es so weit, Rosemaries Vater Karl Zander hatte mit seinen Nachbarn das Eis einer genauen Prüfung unterzogen - es hielt, er gab den Ziegeleiteich frei. In Windeseile waren die Kinder der Umgebung vollständig versammelt. Da wurden die Schlittschuhe angenuddelt und ab ging es aufs Eis. Zum Schliddern hatten sie mit Hilfe der Väter eine lange Bahn angelegt.

Nur Schnee, Schnee lag noch immer nicht, aber nach zwei bitterkalten Wochen stieg die Temperatur endlich ein wenig und der Himmel bezog sich zusehends.

Den ganzen Donnerstag hatte es schon nach Schnee gerochen, ein erster kalter Tag, der Himmel im fahlen Licht und leicht verhangen. Am frühen Nachmittag fing es an zu beziehen und bald ließen finster sich zusammenballende Wolken die Dunkelheit früher hereinbrechen als sonst. Auch war noch vor der Schummerstunde Ostwind aufgekommen, der immer mehr auffrischte.

Das Thermometer sackte und sackte, zeigte bald wieder strammen Frost an. Als es richtig dunkel war, tanzten die ersten dicken Schneeflocken im Wind. Immer heftiger schneite es und der heulende Wind peitschte den Schnee fast waagerecht vor sich her nach Westen- Stiemwetter. Es stiemte und stiemte, kaum, dass man gegen den Schneesturm ankam, eine grauweiße prickelnd peitschende Wand stemmte sich einem entgegen.

Wie wohlig war es da in der warmen Stube am Fenster zu stehen und dem grauweißen Treiben zuzusehen. Weit reichte der Blick ja nicht, kaum bis zur andern Straßenseite, schon türmten sich kleine Wechten am Zaun auf.

Erst am Sonnabend wurde es gegen Abend ein bisschen leiser und beim Schlafengehen, als Ruhe im Haus einkehrte, gab auch das wilde Toben nach, das Heulen ebbte ab.

Am Sonntag beim Aufwachen hörte man dann: nichts. Der Stiem hatte aufgehört und die dicke Schneedecke dämpfte alle Geräusche.

Was für ein Tag! Wie versöhnte solch ein Tag doch mit den vorangegangenen Unbilden des Wetters! Vater Zander hatte schon vor dem Frühstück alles organisiert und bald wurde ein Ziegeleipferd vor den großen Schlitten gespannt. Alle wurden warm vermummt, heiße Steine in den Fußsäcken wärmten die Füße, Bergen von Decken, Fellen und Pelzen umhüllten die Passagiere und los ging es.

Die Straße war schon geräumt, und die Zanders fuhren auf festgefahrener Schneedecke zwischen meterhohen Schneewänden wie durch einen Tunnel hinaus aufs Land in Richtung Drebolienen.

Das Land zierte und spreizte sich förmlich in seinem frischen, strahlend weißen Winterkleid, der eigenen Schönheit wohl bewusst. Gleißend funkelten die Schneekristalle im Sonnenlicht, eine meist noch unberührte Puderzuckerdecke lag über dem Land. Vorbei an den Espenteichen, deren Anfang und Ende man unter der dick überschneiten Eisdecke nur mehr erahnen konnte.

Sie fuhren und fuhren, konnten die großen Gehöfte dieser Gegend kaum erkennen, ob stattlicher Bauernhof ob unscheinbares Insthaus, kaum mehr als die Dächer war von ihnen zu sehen. Wie Schuppen, wie kleine Katen duckten sie sich unter der Last des Schnees, waren fast verschwunden unter meterhohen Schneewehen, verrieten sich nur durch die bräunlich weißen Rauchschwaden ihrer Kamine.

Die Bäume ächzten und knarrten unter der Last des Schnees, jedes Lüftchen pustete das pulvrige Puder von den Ästen. Stille, nur das Traben des Pferdes und ab und zu ein Knacken im Unterholz, noch kaum Spuren im Schnee des Waldes. Grell weiß leuchtende Lichtungen im Wechsel mit dem schneehellen Schatten des Waldes. Am Ende des Waldes dann öffnete sich der Blick. Eine solche stille Weite, unzählige Schneekristalle brachten das Weiß zu diamantenem Funkeln- festlich glitzernde Winterrobe.

Um die nächste Biegung wieder ein ganz anderes Bild bei anderem Lichteinfall. Sanft gewellt und mattweiß schimmernd lag die Schneedecke majestätischem, weichem Hermelin ähnelnd unberührt da, noch ohne die geringsten Spuren, die solche Schönheit hätten stören können.

Über jeder Kuppe standen flirrende weiße Staubfahnen, jedes Bisschen Wind stiebte den trockenen Schnee wie die Gischt der Meere über die Höhen.