Niemand wollte uns haben. - Brigitte Jäger-Dabek - E-Book

Niemand wollte uns haben. E-Book

Brigitte Jäger-Dabek

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Beschreibung

Geschichten und Erzählungen über die Flucht im Januar 1945 aus Ostpreußen gibt es viele, schließlich betraf dieses Schicksal Millionen. Nur selten aber gibt es Aufzeichnungen dazu, die nicht nach der Flucht niedergeschrieben wurden, sondern in Tagebuchform während der Flucht. Die nach der Flucht zu Papier gebrachten Erinnerungen können Rückschaubetrachtungsweisen aber nur schwer ganz ausblenden. Selbst wenn sie zeitnah verfasst wurden, klingt darin immer auch das ja bereits vorhandene Wissen um den Ausgang an. Flucht-Tagebücher aber sind darum selten, weil die existenzielle Ausnahmesituation das Aufschreiben des Erlebten nicht zuließ. Auch das Fluchttagebuch von Rosemarie Jäger, die damals noch Zander hieß und meine Mutter war, ist natürlich sehr knapp gehalten und fasst meist in nur wenigen Worten das rund um sie Geschehene zusammen. Dennoch bietet es eine eindringliche und überprüfbare Schilderung der damals 21-jährigen Frau, die plötzlich ganz auf sich allein gestellt sich zu ihrer nach Köslin evakuierten Familie durchschlagen musste. Von dort aus ging es in monatelanger Odyssee teils mit dem Zug, teils wie im Dreißigjährigen Krieg mit Soldaten mitziehend kreuz und quer durch Norddeutschland bis in die Nähe von Bremervörde, wo der Neuanfang begann. Rosemarie Zander wusste die meiste Zeit über so gut wie nichts über das, was im weiteren Rahmen um sie herum geschah. Zu besseren Verständnis für den Leser und zur Einordnung werden ihre Aufzeichnungen hier in den Kontext der geschichtlichen Abläufe gestellt. Das geschieht durch in kursiver Schrift gehaltene Einschübe. Ein einleitender Teil stellt die Familie und ihre Lebensumstände vor, ein beschließendes Kapitel den Neuanfang im Norden Westdeutschlands.

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Seitenzahl: 48

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Brigitte Jäger-Dabek

Niemand wollte uns haben.

Ostpreußen 1945 - Tagebuch einer Flucht

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Letze Tage in Ostpreußen - Der Sturm zieht auf

Flucht-Tagebuch von Rosemarie Zander

Flüchtlingsodyssee - Niemand wollte uns haben

Neuanfang mit Landleben

Fuß fassen in der Fremde

Anhang

Impressum neobooks

Vorwort

Dies ist die Geschichte einer Flucht aus Ostpreußen und steht stellvertretend für die Geschichten von Millionen ostpreußischen Frauen und Kindern, die im Januar 1945 auf Flucht gingen.

Es ist die Geschichte meiner Mutter, die gerade 21 Jahre alt, ganz auf sich allein gestellt war, zu Fuß von Königsberg über Pillau und die Frische Nehrung nach Danzig ging und zunächst nach Köslin weiter floh. Von dort flüchtete sie mit ihrer Mutter und Schwester weiter nach Westdeutschland an die Unterelbe. Wenig später wurde sie zunächst zum Alleinverdiener für die Familie, genau wie schon ihre zu jener Zeit 1914 ungefähr gleich alte Mutter während der Flucht im Ersten Weltkrieg.

Verwendet wurde das Fluchttagebuch, das nur aus kurzen Eintragungen besteht, zuweilen eher stichpunktartig. Anders war das in einer solchen existenziellen Ausnahmeerfahrung, in der es um nichts als das Überleben ging, auch gar nicht möglich. Gerade deshalb ist es besonders eindringlich und trotzdem vergleichsweise emotionslos. Es ist unbestechlich, denn es hält das Geschehen in Echtzeit fest, nicht in der Rückschau.

Ergänzt wurden die Tagebuchtexte von in kursiver Schrift kenntlich gemachten Erklärungen und Anmerkungen, die das Erlebte einer Zeitzeugin in den historischen Kontext der Entwicklung in Ostpreußen stellt und so einen überprüfbaren Zeitzeugenbericht liefert.

Weil man ja auch wissen möchte, wie es weiter ging, stellt ein abschließendes Kapitel den Neuanfang im Norden Westdeutschlands dar.

Brigitte Jäger-Dabek

† Rosemarie Jäger geb. Zander zum Gedenken

Die Flucht von Rosemarie Jäger von Insterburg über Königsberg nach Köslin

Foto: Karte © Brigitte Jäger-Dabek

Letze Tage in Ostpreußen - Der Sturm zieht auf

Die Zanders lebten in Insterburg, einer 40.000-Einwohnerstadt im Norden Ostpreußens, die genau dort lag, wo Angerapp und Inster sich zum Pregel vereinten. Karl und Anna Zander waren seit 1920 verheiratet und hatten zwei Töchter, die 1923 geborene Rosemarie und die 1930 geborene Helga. Anna Zander war Hausfrau, Karl Zander leitete die Lohnbuchhaltung der Insterburger Stadtwerke. Die Kleinfamilie war eingebettet in einen großen Verwandtenkreis, Karl Zander hatte vier Geschwister, Anna Zander, die Älteste unter den Sallowsky-Geschwistern, hatte fünf Schwestern und einen Bruder. Vor allem die Sallowsky-Schwestern waren eine Riege von außergewöhnlichen Frauen, stark, duchsetzungsfähig und lebensfroh. Man war gesellig, traf sich oft und feierte gern zusammen. In diesem Umfeld wuchs Rosemarie heran.

 Foto: Ansichtskarte, gemeinfrei, Archiv B.Jäger-Dabek

Rosemarie Zander - jung wie sie war – zeigte sich trotz aller Indoktrination nicht als Anhängerin des Nazireiches. Von der gleichgeschalteten Volksgemeinschaft, die wie gleichzeitig an Fäden gezogen „Heil“ brüllte und den Arm hochriss, hielt sie nichts, vom Bund Deutscher Mädel noch weniger. Ihre Freiheit ließ sie sich freiwillig nicht einengen und schon ihre Sportverletzung am Knie vor und erfand immer neue Ausreden, um nicht zum BDM zu müssen. Der Preis: Weiter lernen und Lehrerin werden durfte sie nicht. Karl Zander gelang es, nach langen Suchen über einen Bekannten, seine Tochter in der Bank der Ostpreußischen Landschaft unterzubringen.

Als frisch gebackene Bankkauffrau lebte Rosemarie Zander nun weiter mit ihrer sieben Jahre jüngeren Schwester Helga bei ihren Eltern Anna und Karl Zander in Insterburg/Ostpreußen, als im Herbst 1944 die Front anfing unaufhaltsam näher zu rücken. Der Anfang vom Ende Ostpreußens nahte, als die Rote Armee erstmals die Reichsgrenze überschritt und ostpreußischen Boden betrat. Längst war am Horizont im Osten der große Sturm aufgezogen, als die ersten Flüchtlinge kamen.

Zum ersten Mal beschlich Rosemarie ein mulmiges Gefühl, als am Freitag, den 20.10.1944 viel zu spät der Räumungsbefehl für den Kreis Gumbinnen kam, und eine planlose Flucht einsetzte. Viele Gumbinner stürmten auch in die Bank der Ostpreußischen Landschaft in Insterburg und versuchten an ihr Geld zu kommen. Sie erzählten natürlich von ihren Erlebnissen, das mulmige Gefühl wurde intensiver, Angst kroch kalt den Rücken hoch. Noch einmal traf sie sich mit ihrem Fast-Schwiegervater, einem pensionierten Lehrer aus Gumbinnen. Sie wollte den Vater ihres gefallenen Verlobten dazu bewegen, Ostpreußen zu verlassen, doch nach dem Tod des einzigen Sohnes und dem folgenden Selbstmord der Ehefrau wollte er einfach nicht mehr. Er hatte keine Angst vor den Machthabern, sowohl er, als auch Rosemaries Verlobter hatten die junge Frau immer wieder um Vertrauen gebeten, wenn sie ihr manche Dinge zu ihrem eigenen Schutz verschwiegen. So sprachen die beiden nun ein letztes Mal ganz offen miteinander.

Als am 18.10. Hitlers Aufruf zum Volkssturm an alle waffen­fähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren erfolgte, betraf das auch Rosemaries Vater Karl Zander, der zwischenzeitlich über 50-jährig von der Wehrmacht entlassen worden war. Er hatte keine Uniform mehr und bekam zu seinem Entsetzen be­kam eine "Goldfasanuniform" mit allerdings schönen Stiefeln und einer bombasti­schen Mütze verpasst. Er beneidete Schwager Leo Sallowsky, der zwar ebenfalls zum Volkssturm eingezogen war, aber die lächerliche Seite der Angelegenheit betonte. Leo Sallowsky nämlich war recht beleibt, kein Uniformstück passte und so exerzierte er im Fleischerkittel, das Gewehr, für das es ohnehin keine Munition gab, benutzte er als Krückstock, denn er hatte war gehbehindert seit dem vorigen Weltkrieg.

Volkssturm – Das letzte Aufgebot

Bundesarchiv, Bild 146-1979-025-20A / Falkowski / CC-BY-SA

Am 6.11.1944 feierte Rosemarie zum letzten Mal Geburtstag in Insterburg, den 21., sie war nun volljährig geworden, also eigentlich ein besonderer Tag, aber an große Feiern war schon längst nicht mehr zu denken.

Am 12.11.1944, dem Hochzeitstag von Karl und Anna, fuhr die resolute Anna Zan­der zu ihrem Mann, der immer noch beim Volkssturm war und konnte ihn gleich mit zurück nach Insterburg nehmen, die Stadtwerke hatten endlich seine Freistellung erreicht. Was er während seiner Volkssturmzeit erlebt und gesehen hatte, trug nicht eben zu seiner Beruhigung bei.

Nach Nemmersdorf nahm die Beunru­higung unter der Bevölkerung weiter zu.