Schwarzer Abgrund - Patricia Walter - E-Book
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Schwarzer Abgrund E-Book

Patricia Walter

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Beschreibung

Ein harmloser Urlaub, eine einsame Berghütte und ein kaltblütiger Mord …
Der fesselnde Suspense-Thriller von Patricia Walter

Zusammen mit ihrem Bruder Florian, ihrer besten Freundin Pia und zwei weiteren Freunden möchte die 17-jährige Lara den Urlaub auf einer einsamen Berghütte verbringen. Doch auf dem Weg dorthin verirren sie sich und müssen notgedrungen die Nacht im Wald verbringen. Als sie am nächsten Morgen entdecken, dass einer von ihnen ermordet wurde, machen sie sich verstört auf den Rückweg ins Tal. Keiner traut dem anderen mehr über den Weg. Wird es ein nächstes Opfer geben? Zu ihrem Entsetzen müssen die Freunde feststellen, dass die Brücke, die ins Tal führt, eingestürzt ist. Abgeschnitten von der Außenwelt wird ihnen schnell klar, dass es ein kaltblütiger Mörder auf sie abgesehen hat …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Schwarzer Abgrund.

Erste Leser:innenstimmen
„Packend von der ersten bis zur letzten Seite!“
„Für alle Thriller-Fans ein Muss!“
„Wer kurzweilige, spannende Unterhaltung sucht, ist hier genau richtig.“
„Ein Thriller, der für alle Altersklassen sehr lesenswert ist“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 307

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Über dieses E-Book

Zusammen mit ihrem Bruder Florian, ihrer besten Freundin Pia und zwei weiteren Freunden möchte die 17-jährige Lara den Urlaub auf einer einsamen Berghütte verbringen. Doch auf dem Weg dorthin verirren sie sich und müssen notgedrungen die Nacht im Wald verbringen. Als sie am nächsten Morgen entdecken, dass einer von ihnen ermordet wurde, machen sie sich verstört auf den Rückweg ins Tal. Keiner traut dem anderen mehr über den Weg. Wird es ein nächstes Opfer geben? Zu ihrem Entsetzen müssen die Freunde feststellen, dass die Brücke, die ins Tal führt, eingestürzt ist. Abgeschnitten von der Außenwelt wird ihnen schnell klar, dass es ein kaltblütiger Mörder auf sie abgesehen hat …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Schwarzer Abgrund.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Mai 2022

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-674-1 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-763-2

Copyright © 2017, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2017 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Schwarzer Abgrund (ISBN: 978-3-96087-330-3).

Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © by-studio, © JAYANNPO Lektorat: Daniela Pusch

E-Book-Version 20.07.2023, 11:52:25.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Schwarzer Abgrund

Für Martin W.

Prolog

Wie friedlich sie schlafen. Als ob sie nichts zu befürchten haben.

Sie haben ja keine Ahnung.

Im Gegensatz zu ihnen bin ich hellwach. Ich beobachte sie. Ruhig und geduldig warte ich auf einen günstigen Moment. Und dann, wenn niemand damit rechnet, werde ich zuschlagen.

Dieser Moment ist nah. Ich kann es spüren.

Sie wähnen sich in trügerischer Sicherheit. Wahrscheinlich haben sie noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen wegen dem, was sie mir angetan haben, oder bereits alles wieder vergessen. Aber ich habe nichts vergessen. Gar nichts. Die Kränkung sitzt tief, und meine Gedanken kreisen ständig darum.

Doch bald werde ich Gelegenheit haben, es ihnen heimzuzahlen.

Ich lächle.

Schlaft weiter und träumt noch schön von eurem Urlaub. Denn wenn ihr morgen aufwacht, werdet ihr feststellen, dass ihr einen Ausflug in die Hölle gemacht habt!

1

17 Stunden früher …

Warum, zum Teufel, war ich gestern nur so spät ins Bett gegangen?

Völlig übermüdet stand ich in der zugigen Halle des Münchner Hauptbahnhofs und klammerte mich an meinen Coffee-to-go-Becher. Die Uhr zeigte 7.13 Uhr am Morgen, und zum wiederholten Male fragte ich mich, weshalb ich gestern so lange aufgeblieben war, nur um auf Instagram zu chatten.

Trotz der frühen Stunde herrschte in der Halle des Fern- und Regionalverkehrs bereits ein reges Treiben. Wichtig aussehende Business-Typen mit Anzug und Krawatte eilten an weniger wichtig aussehenden Normalos vorbei, die, genauso müde wie ich, über den Bahnsteig schlichen.

Wie konnte man nur in der Früh schon so rumstressen?, wunderte ich mich und schüttelte über die Anzugträger verständnislos den Kopf.

Ich hatte für diese Art von Menschen, die nur ihre Karriere im Sinn hatten, nicht viel übrig. Allein die Vorstellung, den ganzen Tag in einem stickigen Büro verbringen zu müssen, raubte mir die Luft zum Atmen und würde für mich niemals in Betracht kommen. Nachdem ich letztes Jahr in den Sommerferien für zwei Wochen in einem Tierheim gejobbt und dabei einen Tierarzt unterstützt hatte, stand für mich mein Berufswunsch fest. Wenn ich nächstes Jahr mein Abi in der Tasche hatte, wollte ich mich an der Uni für Tiermedizin einschreiben. Doch das lag noch in weiter Ferne, und jetzt war erst einmal Urlaub angesagt.

Ich trank einen Schluck von meinem Latte macchiato, in der verzweifelten Hoffnung, dass das Koffein endlich die ersehnte Wirkung tun würde. Wie bescheuert musste man eigentlich sein, ausgerechnet in den Sommerferien um diese Uhrzeit aufzustehen? Und noch dazu an einem Montag!

Ich sah zu meiner besten Freundin Pia hinüber, die vor einem Kiosk stand und schuld an dem Ganzen war. Sie blätterte gerade durch einen Stapel Magazine und strich sich mit einer anmutigen Bewegung ihre langen blonden Haare aus dem Gesicht. Ich fragte mich, wie sie es sogar zu dieser frühen Morgenstunde schaffte, so gut auszusehen. Während meine schulterlangen braunen Haare in alle Himmelsrichtungen zu stehen schienen und mein Gesicht aufgrund des Schlafmangels müde und ausgelaugt wirken musste, war sie genauso hübsch wie jeden Tag. Pia hatte sich dezent geschminkt, was ihre großen smaragdgrünen Augen noch mehr betonte. Zu ihrer khakifarbenen Hose trug sie ein hautenges, dunkelrotes Top, und ich musste neidvoll zusehen, wie sich Männer öfter nach ihr umdrehten und ihr bewundernde Blicke zuwarfen.

Pia hatte schon immer alle Augen auf sich gezogen, und manchmal kam ich mir neben ihr wie ein hässliches Entlein vor; wenngleich ich definitiv nicht hässlich war. Deine Schönheit kommt von innen, pflegte Pia mir immer zu sagen, wenn ich ihr meinen Neid auf ihr Aussehen gestand. Mochte sein, dass sie damit recht hatte, aber das war trotzdem nicht sonderlich hilfreich, wenn es um die wirklich angesagten Jungs ging.

Ein Junge war auch der Grund dafür, warum ich jetzt in aller Frühe auf dem Bahnsteig stand und auf einen Regionalzug wartete.

Pia bezahlte und kam mit ein paar Hochglanz-Modezeitschriften in der Hand zurück.

„Damit sollte ich erst mal versorgt sein“, meinte sie. „Obwohl ich wahrscheinlich eh nicht allzu viel zum Lesen kommen werde.“ Sie zwinkerte mir zweideutig zu und warf einen Blick auf ihre Uhr. „Robbie sollte mal langsam auftauchen. Wir waren bereits vor zehn Minuten verabredet.“

„Er kommt bestimmt gleich“, meinte ich zuversichtlich, obwohl ich Unpünktlichkeit nicht ausstehen konnte. „Du kennst ihn ja, er trödelt immer.“

„Schon klar, aber unser Zug geht in einer Viertelstunde.“

„Ich wette mit dir, dass er genau fünf Minuten vor Abfahrt auftaucht.“ Grinsend streckte ich ihr die Hand entgegen. „Um einen Latte macchiato mit einem Croissant.“

Pia lachte und schlug ein. „Okay, abgemacht. Ich halte dagegen.“

Während sie die Modemagazine in ihrem Rucksack verstaute, sah ich zu den wartenden Zügen hinüber und dachte an unseren bevorstehenden Urlaub. Einen Urlaub, der so nicht geplant war, denn ursprünglich hatte Pia mit Robert allein wegfahren wollen. Pias Onkel besaß eine Hütte in den Bergen, weit abseits der üblichen Touristengebiete, und sie wollte dort zusammen mit ihrem neuen Freund eine Woche in trauter Zweisamkeit verbringen. Sie war erst seit ein paar Wochen mit Robert zusammen, einem sportlichen Jungen mit etwas längeren schwarzen Haaren, der in die Jahrgangsstufe über uns gegangen war und dieses Jahr sein Abi gemacht hatte. Auch wenn er so seine Macken hatte, war er doch ein netter Kerl, ich kam gut mit ihm klar. Er war jemand, der sein Leben in vollen Zügen genoss und dabei nichts anbrennen ließ. Wahrscheinlich hatten Pias Eltern ihren Urlaubsplänen von der Zweisamkeit genau deshalb einen Strich durch die Rechnung gemacht und sie vor die Wahl gestellt: Entweder sie nahm noch eine Freundin mit, oder sie blieb daheim.

Und so hatte Pia mich dazu überredet, mitzukommen.

Eigentlich musste sie mich gar nicht groß dazu überreden, denn ein Urlaub in der Einsamkeit der Berge war genau das, was ich momentan brauchte. Noch nie in meinem Leben hatte ich so dringend weggewollt; weg aus meinem Alltag und vor allem fort von der Erinnerung an vor drei Wochen, als ich das Gefühl gehabt hatte, die Welt würde über mir einstürzen. Es schmerzte noch immer, wenn ich daran zurückdachte, und ich fragte mich, ob es wohl jemals besser werden würde. Schnell verdrängte ich den Gedanken wieder.

Pia war froh, dass ich sie nicht im Stich ließ. Damit ich mir dabei jedoch nicht wie das dritte Rad am Wagen vorkam, hatte ich darauf bestanden, dass noch ein Vierter mitkam. Meine Eltern hatten schon länger überlegt, zur Abwechslung mal allein in den Urlaub zu fahren, daher tat ich ihnen den Gefallen und fragte meinen Bruder Florian, ob er Lust hätte, uns zu begleiten. Ich musste ihn nicht zweimal fragen, er war sofort hellauf begeistert.

Florian war zwei Jahre jünger als ich, überragte mich jedoch bereits um einen ganzen Kopf. Mit unseren braunen lockigen Haaren sahen wir uns nicht nur äußerlich recht ähnlich, wir verstanden uns auch so ziemlich gut – von ein paar kleineren Reibereien mal abgesehen.

„Wann fährt unser Zug noch mal ab?“, wollte eine Stimme hinter mir wissen und riss mich aus meiner Grübelei.

Ich drehte mich zu meinem Bruder um, der auf seinem Rucksack am Boden saß und in ein Spiel auf seinem Handy vertieft war.

„Um halb acht.“

Florian hämmerte wie wild auf den Touchscreen seines Smartphones ein.

„Mist“, fluchte er, als eine Melodie signalisierte, dass er das Spiel verloren hatte. Er verzog die Mundwinkel und steckte das Handy in seine Hosentasche. „Halb acht?“, wiederholte er und sah zu der großen Bahnhofsuhr hinüber. „Dann wird’s aber langsam eng.“

„Keine Panik“, beruhigte ich ihn. „Robert kommt schon noch.“ Dabei wurde ich selber langsam nervös.

Er schnitt eine Grimasse, und hinter seiner Brille mit den dicken Gläsern blitzten zwei haselnussbraune, lebenslustige Augen auf. „Ich und Panik? Hallo, ich bin ja wohl die Gechilltheit in Person. Du bist das Nervenbündel.“

„Ach tatsächlich?“ Ich strich ihm über seinen Wuschelkopf, weil ich wusste, dass er das gar nicht mochte, und er versuchte vergeblich, mich mit seinen Händen abzuwehren.

„Warte nur, bis wir auf der Hütte sind“, drohte er mir lachend. „Da bist du mir und meiner Rache hoffnungslos ausgeliefert. Pass auf deine Haare auf.“

„Das werden wir ja sehen, wer ruhig schlafen kann“, konterte ich und grinste. Dabei wurde ich innerlich immer unruhiger. Was, wenn Robert es tatsächlich nicht mehr rechtzeitig schaffen würde? Der nächste Zug fuhr erst wieder in zwei Stunden, doch ich wollte keine Sekunde länger als nötig hierbleiben. Die kommende Woche war für mich nicht nur Urlaub, sondern vielmehr eine Flucht; eine Flucht vor meinem Ex.

 Ich trank meinen Latte macchiato aus und streckte mich, um den letzten Rest meiner Morgenmüdigkeit loszuwerden. Die Halle um uns herum füllte sich mit noch mehr Reisenden. Von Robert noch immer keine Spur. Plötzlich stockte ich, als ich ein bekanntes Gesicht in der Menge erblickte.

Timo?, dachte ich erstaunt.

Timo stand bei einer Gruppe mir unbekannter Jugendlicher, die sich mit ihrem Gepäck unter der Abfahrtsanzeige gesammelt hatte. Er war ein großgewachsener junger Mann, der mich mit seinen schulterlangen blonden Haaren und dem braungebrannten Gesicht an einen dieser Surfertypen aus Kalifornien erinnerte.

Ich stieß Pia an. „Schau mal, wer da drüben ist.“

„Oh nein“, meinte sie nur. „Was will der denn hier?“

In der nächsten Sekunde drehte Timo seinen Kopf und sah in unsere Richtung. Er entdeckte uns und lächelte. Mit den Händen lässig in den Hosentaschen kam er zu uns herüber geschlendert.

„Hi“, sagte er. „Na, was geht?“

„Hi, Timo“, antwortete ich und versuchte, in seiner Nähe nicht wie immer rot zu werden, während Pia ihn lediglich mit einem Kopfnicken grüßte. Ich glaube, sie war nicht gerade erbaut darüber, ausgerechnet hier auf ihren Ex-Freund zu treffen.

Timo deutete auf unsere Rucksäcke. „Wo geht’s denn hin?“

„Wir fahren für ein paar Tage zum Wandern in die Berge.“

„Echt? Wollt ihr zelten?“

„Nein, wir sind zu einer Hütte unterwegs.“

„Cool.“

„Und du?“

„Ich fahr mit meinen Kumpels nach Italien an den Strand.“ Er nickte in die Richtung der Gruppe unter der Abfahrtsanzeige. „Nach dem ganzen Abistress wollen wir mal so richtig die Sau rauslassen.“

„Gratuliere dir übrigens zum bestandenen Abi.“

„Danke.“ Er strahlte uns an. Sein Lächeln war immer noch umwerfend. „Ist schon ein Wahnsinnsgefühl, endlich die Schule hinter sich zu haben.“

„Das glaub ich dir“, seufzte ich. „Ich kann es kaum abwarten, bis es bei mir endlich so weit ist.“

„Ist doch nur noch ein Jahr.“

„Nur?“ Entgeistert starrte ich ihn an.

Er lachte. „Glaub mir, das Jahr ist schneller rum, als du denkst. Am Schluss bist du so mit Lernen beschäftigt, dass du für gar nichts anderes mehr Zeit hast.“

„Na, hoffentlich nicht. Ich komm ja jetzt schon nicht mehr mit dem Stoff nach.“

Pia hielt sich zwar aus dem Gespräch raus, nickte jedoch zustimmend.

„Ihr packt das schon. Und ich freu mich jetzt erst mal auf bella Italia.“ Verträumt rollte er mit den Augen. „Wird bestimmt ein Riesenspaß.“

Ja, dachte ich, Spaß hatte Timo immer. Und offenbar war er auch darüber hinweg, dass Pia mit ihm Schluss gemacht hatte.

Ich bemerkte, dass seine Kumpels sich bereit machten, aufzubrechen. Sie schulterten ihr Gepäck und blickten sich um.

„Oh, sorry“, sagte Timo, „ich muss leider los. Ich wünsch euch auf alle Fälle einen richtig geilen Urlaub. Erholt euch gut, und vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“

„Dir auch eine schöne Zeit in Italien“, erwiderte ich, während Pia nur ein schwaches Lächeln zustande brachte.

Timo eilte zu seiner Gruppe zurück, schnappte sich sein Gepäck und folgte den anderen auf den Bahnsteig.

„Alles okay?“, fragte ich an Pia gewandt.

„Klar“, antwortete sie. „Wieso?“

„Nun ja …“

„Du meinst wegen Timo?“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Über den bin ich längst hinweg. Ich bin mittlerweile mit Robbie zusammen, schon vergessen?“

Ja, dachte ich, Pia war über Timo hinweg. Wenn ich doch nur dasselbe von Mark behaupten könnte.

Pia drehte mir den Rücken zu und kramte in ihrem Rucksack nach ihrem Smartphone. „Wo bleibt Robbie nur? Ich ruf ihn lieber mal an.“

Mein Blick schweifte durch die Halle. Wenn er jetzt nicht langsam kam, würden wir alle unseren Zug verpassen.

Im nächsten Moment entdeckte ich Robert, der die Rolltreppe von der S-Bahn hochfuhr.

Da kommt er ja endlich, dachte ich.

Doch jemand anderer zog meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich musste zweimal hinschauen, um sicherzugehen, dass ich mich nicht irrte. Doch es bestand kein Zweifel.

Robert war nicht allein.

2

Als ich Roberts Begleitung erkannte, runzelte ich irritiert die Stirn.

Das ist doch der Dominik, dachte ich. Der Neue aus unserer Kollegstufe, der irgendwo aus Norddeutschland kam und erst Anfang des Jahres nach München gezogen war. Er war bereits neunzehn, und wenn die Gerüchte stimmten, dann war er von der zwölften Jahrgangsstufe in die elfte zurückgegangen und wiederholte diese, zumindest das letzte Halbjahr.

Ob er Robert zufällig über den Weg gelaufen ist?, wunderte ich mich. Oder warum gingen die beiden nebeneinander? Doch dann bemerkte ich seine Wanderausrüstung und sah, wie Robert auf uns zeigte.

Nein, die beiden waren sich nicht zufällig begegnet, sondern Robert hatte ihn mitgebracht. Mich beschlich ein leiser Verdacht.

Pia, die die beiden noch nicht bemerkt hatte, fluchte neben mir. „Es ist fünf vor halb acht. Du verlierst unsere Wette.“ Sie zog die Mundwinkel hoch und öffnete in ihrem Handy das Telefonbuch. „Hoffentlich hat er nicht verschlafen.“

„Hat er nicht.“ Ich deutete in die Richtung des S-Bahn-Aufgangs.

Pia drehte sich um und strahlte bei seinem Anblick. Doch in der nächsten Sekunde erblickte sie seine Begleitung und sah mich erstaunt an.

„Ist das nicht der Dominik?“

„Ja.“

„Und was macht der hier?“

„Das frage ich dich.“

„Sieht so aus, als würde er mitkommen. Aber wir sind doch schon zu viert.“

Ich neigte meinen Kopf leicht. „Sag mal, Pia, hast du möglicherweise vergessen, Robert zu erzählen, dass Florian mit von der Partie ist?“

„Nein, natürlich nicht. Ich hab …“ Sie stutzte, und ich konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Kopf zu rattern begann.

Pia konnte ziemlich schusselig sein. Keine Ahnung, wo sie manchmal mit ihren Gedanken war, aber es wäre nicht das erste Mal, dass man ihr etwas sagte, und keine fünf Minuten später hatte sie es bereits wieder vergessen.

„Äh …“ Verlegen verzog sie das Gesicht. „Ich glaub, das hab ich vergessen.“

„Na toll!“

„Tut mir leid. Ich wollte es Robbie gleich erzählen, nachdem Flo zugesagt hatte, aber dann musste er zum Training und … naja, ich hab’s vergessen.“

Ich schaute grimmig. War ja klar.

Robert war davon ausgegangen, dass wir nur zu dritt waren. Er wollte bestimmt so viel Zeit wie möglich mit Pia allein verbringen, und da war ich nur im Weg. Eigentlich war es eine nette Geste von ihm, noch jemanden mitzubringen, aber wie war er ausgerechnet auf Dominik gekommen?

„Das ist mir jetzt echt voll peinlich.“

„Sag das Dominik, wenn du ihm erklärst, dass er nicht mitkommen kann.“

„Ach komm schon, ist doch halb so wild. Fahren wir halt zu fünft.“

„Das meinst du jetzt nicht ernst?“ Zumal es auf der Hütte nur vier Schlafplätze gab.

Es war ihr deutlich anzusehen, dass ihr die Situation ziemlich unangenehm war.

„Warum nicht? Dominik ist doch süß“, sagte sie und warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu.

Ich verdrehte die Augen. So war Pia nun mal. Immer wollte sie mich verkuppeln. Grundsätzlich hatte ich nichts dagegen, Dominik mal näher kennenzulernen, doch ich wollte ihn nicht in unserem Urlaub dabei haben. Unser Kontakt in der Schule hatte sich bis jetzt auf ein Minimum beschränkt, denn er verhielt sich bisweilen ziemlich seltsam und undurchsichtig. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber er hatte etwas an sich, dass ich nicht genau beschreiben konnte. Einerseits weckte er mein Interesse, doch gleichzeitig fühlte ich mich in seiner Gegenwart immer irgendwie verunsichert.

In der nächsten Sekunde hatten die zwei Jungs uns erreicht. Pia lief auf ihren Freund zu, schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn leidenschaftlich, während Dominik danebenstand, ein leises „Hallo“ nuschelte und fast etwas schüchtern zu Boden blickte.

„Hi“, erwiderte ich.

Florian erhob sich und flüsterte mir ins Ohr: „Ich dachte, wir wären nur zu viert.“

„Dachte ich auch“, gab ich zurück.

Während Pia und Robert innig verschlungen waren und den Rest der Welt um sich herum vollkommen vergessen zu haben schienen, musterte ich heimlich unseren Überraschungsgast.

Seit dem ersten Tag, als Dominik an unserer Schule aufgetaucht war, hatte er sich sehr zurückhaltend, fast schon abweisend verhalten. Er setzte sich meistens in die letzte Reihe, sprach nur, wenn der Lehrer ihn explizit dazu aufforderte, und verzog sich in den Pausen immer ins hinterste Eck des Schulgeländes. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn schon jemals auf einer Party getroffen zu haben, und irgendwer hatte mir mal erzählt, dass er keinen Tropfen Alkohol anrührte. In meinem ganzen Leben hatte ich noch keinen derart introvertierten Einzelgänger wie ihn getroffen, der sich offenbar nicht viel aus Gesellschaft machte, sondern lieber für sich allein blieb.

Das Interessante daran war, dass Dominik gar nicht wie der typische Einzelgänger aussah. Ganz im Gegenteil, denn er war sogar ziemlich attraktiv. Seine blonden Haare waren kurz geschnitten, nur ein paar Strähnen fielen ihm neckisch in die Stirn. Er hatte ein einprägsames Gesicht, und die hohen Wangenknochen und das markante Kinn erinnerten mich irgendwie an Johnny Depp. Unter seinem langärmligen Shirt zeichnete sich eine muskulöse Statur ab. Und dann waren da noch diese stahlblauen Augen, die mich normalerweise sofort zum Schmelzen gebracht hätten. Doch sie strahlten nicht, sondern wurden von einem seltsamen Schimmer bedeckt. Fast kam es mir so vor, als wäre die Glut in seinen Pupillen schon vor langer Zeit erloschen.

Seinem Aussehen nach zu urteilen, war Dominik definitiv eine faszinierende Person, doch sein seltsames Verhalten anderen gegenüber gab mir bisweilen ein Rätsel auf.

Dominik stand noch immer regungslos da, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Ein peinliches Schweigen entstand zwischen ihm, Florian und mir. Ich hätte gerne einen lockeren Spruch gesagt, um die Situation zu entkrampfen, doch wie immer in solchen Fällen wollte mir partout nichts Passendes einfallen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten Pia und Robert sich schließlich wieder voneinander. Er legte den Arm um seine Freundin und warf mir ein Lächeln zu, das seine strahlend weißen Zähne entblößte. Seine Sonnenbrille mit den spiegelnden Gläsern hatte er auf die Stirn hochgeschoben.

„Hi, Lara“, begrüßte er mich.

„Hallo, Robert.“

„Und, was geht?“

„Du bist total spät dran“, grummelte ich.

Robert grinste. „Bin nicht gerade ein Morgenmensch. Aber passt doch noch.“ Er deutete auf seine Begleitung. „Dominik kennt ihr ja. Von mir aus können wir dann los.“

Ich wartete, dass Pia Robert erklärte, dass Dominik nicht mitdurfte.

Dominik blickte kurz auf, und unsere Augen trafen sich. Sekundenlang sahen wir uns an, doch sein Blick war leer. Irgendwie beschlich mich in diesem Moment ein beklemmendes Gefühl.

Florian nahm mir die Entscheidung ab, indem er sich an mir vorbei drängte und gut gelaunt die Hand zum Gruß in die Luft hob.

„Hallo“, sagte er an Dominik gewandt. „Ich bin der Florian.“

Für einen kurzen Augenblick glaubte ich, ein schwaches Lächeln in Dominiks Gesicht zu erkennen, doch im nächsten Moment war seine Mimik wieder neutral.

„Wer ist denn das?“, wollte Robert irritiert wissen.

„Das ist Florian“, erklärte Pia.

„Ja, das hat er gerade gesagt.“

„Er ist Laras Bruder.“

„Schön für ihn. Und was will er hier?“

„Er kommt mit.“

„Was? Ich dachte, nur Lara ist mit von der Partie.“

Pia schnitt eine Grimasse. „Schon. Sozusagen.“

„Ja, was denn jetzt?“

„Mir ist da was voll Peinliches passiert.“

Robert sah sie auffordernd an, und auch Dominik schien gespannt.

„Naja“, stotterte sie. „Also, Lara wollte noch jemanden mitbringen, damit sie … also … damit wir halt zu viert sind. Sie hat Florian gefragt, und er war sofort dabei. Blöderweise hab ich vergessen, es dir zu sagen.“

Robert zog seine Augenbrauen hoch. „Nicht dein Ernst?“

„Sorry.“

Robert blickte abwechselnd von Pia zu Florian und Dominik. „Und was machen wir jetzt?“

„Ist doch klar, Dominik kann nicht mit“, sagte ich bestimmt. „Unsere Eltern sind weg, und Florian kann auf keinen Fall allein zu Hause bleiben. Er muss mit.“

„Ich habe Dominik aber zugesagt, dass er mitkommen kann“, entgegnete Robert und funkelte mich wütend an.

Pia schob sich dazwischen und gab ihm einen Kuss. „Egal, dann sind wir eben zu fünft. Wird auch so cool werden.“

„Seh ich genauso“, stimmte Dominik ihr zu.

Pia warf mir einen flehentlichen Blick zu. Bloß keinen Streit.

Ich seufzte. „Na, gut, von mir aus.“ Wenngleich mir bei der Entscheidung nicht wohl war. Ich schulterte meinen vollgepackten Wanderrucksack und sah auf die Uhr. Im nächsten Moment zuckte ich erschrocken zusammen.

„Ach du Scheiße. Unser Zug fährt in weniger als einer Minute ab!“

3

„Was?“ Pia sah sich panisch um. „Scheiße, hoffentlich schaffen wir das noch. Zu welchem Gleis müssen wir überhaupt? Hat das jemand nachgeschaut?“

Robert zuckte nur mit den Achseln.

„Gleis 32“, antwortete ich, denn im Gegensatz zu den anderen hatte ich mich gestern Abend noch im Internet schlaugemacht.

Wir sprinteten los und hetzten quer durch die Halle auf unser Gleis zu. Der Zug konnte jede Sekunde losfahren. Mühsam bahnten wir uns den Weg durch die Menschenmenge. Der Rucksack war schwer, weil wir neben unseren Schlafsäcken und Klamotten auch noch Proviant für die ganze Woche mitschleppen mussten. Bereits nach kurzer Zeit schnaufte ich wie ein Walross. Auf halber Strecke konnte ich gerade noch einem älteren Ehepaar ausweichen, doch ich stolperte und geriet ins Straucheln. Ich ruderte wild mit den Armen, um mein Gleichgewicht nicht zu verlieren, aber es war vergeblich. Ich sah mich bereits mit gebrochener Nase auf dem Bahnsteig liegen. Doch im letzten Moment griff eine Hand nach meinem Arm und verhinderte, dass ich hinfiel.

Nachdem ich wieder einen festen Stand hatte, drehte ich mich nach meinem Helfer um und stellte fest, dass es Dominik war, der Schlimmeres verhindert hatte.

„Danke“, keuchte ich außer Puste.

„Gern geschehen“, murmelte er kaum hörbar und wandte sogleich wieder seinen Blick von mir ab.

„Jetzt beeilt euch schon!“, rief Pia, die hinter Robert und Florian gerade in die Bahn einstieg und sich an der Tür noch einmal umdrehte.

Es waren nur noch etwa zwanzig Meter, als plötzlich die Lautsprecherdurchsage ertönte: „Auf Gleis 32, der Zug Richtung Oberammergau, bitte zurückbleiben.“

Was?

Erschrocken rannte ich wieder los und lief hinter Dominik her, der ein erstaunliches Tempo vorlegte. Dominik erreichte den Zug und blieb in der Tür stehen, damit sie nicht schließen konnte.

„Jetzt mach schon!“ Pia musste ihren Hals verrenken, um an Dominik vorbeisehen zu können.

In letzter Sekunde erreichte ich den Zug und sprang in den Wagen hinein, bevor die Tür sich hinter mir schloss.

Geschafft!

Ruckelnd setzte die Regionalbahn sich in Bewegung, und ich lehnte mich für einen kurzen Moment gegen die Tür, um wieder zu Atem zu kommen. Mein Herz raste wie wild.

„Das war aber verdammt knapp!“, meinte Pia. „Dachte schon, du bleibst zurück.“

„Das hättest du wohl gerne“, entgegnete ich, nachdem sich mein Puls wieder einigermaßen normalisiert hatte. „Okay, lasst uns einen Platz suchen.“

Robert ging voran, und wir mussten in dem engen Gang durch den halben Zug laufen, ehe wir zwei Viererplätze fanden. Lediglich eine ältere Frau saß dort regungslos am Fenster. Sie schien zu schlafen, denn sie hatte ihre Augen geschlossen.

Pia und Robert setzten sich nebeneinander, und Florian stürmte sogleich auf den Fensterplatz. Ich ließ mich neben ihm nieder, und für Dominik blieb nur noch der Sitz in dem Block daneben, schräg gegenüber der älteren Frau. Unsere Rucksäcke quetschten wir zwischen uns auf den Boden.

Ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil Dominik abseits von uns sitzen musste. Aber es schien ihm nichts auszumachen, und eigentlich konnte es mir auch egal sein. Zumindest hat der Urlaub aufregend begonnen, dachte ich und freute mich jetzt doch auf die Zeit, die vor uns lag. Auch wenn Dominik nun dabei war.

Der Zug verließ die Halle des Münchner Hauptbahnhofs und nahm Geschwindigkeit auf. Bald darauf ratterte er monoton durch die Stadt in Richtung Süden.

Robert legte seinen Arm um Pias Schultern und streckte die Beine auf den Rucksäcken am Boden aus. Betont lässig lehnte er sich zurück. Er setzte seine Sonnenbrille auf, in deren Gläsern ich mich spiegelte, und sagte: „Ich sag euch, das wird richtig geil.“

Sonnenbrille im Zug?, dachte ich kopfschüttelnd. Weil es hier drin ja so wahnsinnig grell war.

„Wie kommt dein Onkel eigentlich zu dieser Hütte, Pia?“, erkundigte ich mich, um meine Gedanken von Roberts Pseudocoolness abzulenken.

„Weil er Almhirte ist. Oder besser gesagt war.“

„Echt?“ Florian drehte sich neugierig zu ihr um.

Pia nickte. „Ja. Ganz früher arbeitete er in einer Bank, aber nach einer Weile hat ihn das total gelangweilt. Er war schon immer sehr naturverbunden, und irgendwann hat er seine gesamten Ersparnisse zusammengekratzt und einen Bauernhof und diese Hütte gekauft. Seitdem hat er in den Bergen gelebt und trieb jedes Frühjahr die Kühe auf die Alm hoch. Dort verbrachte er dann den ganzen Sommer.“

„Und jetzt?“

„Vor zwei Jahren bekam er leider gesundheitliche Probleme und musste kürzertreten. Er ist zurück in die Stadt gezogen, aber die Hütte hat er behalten. Von Zeit zu Zeit schaut jemand dort vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Und da wir gerade Sommerferien haben, hab ich mir gedacht, das können wir tun.“

„Gut gedacht“, meinte Robert und küsste sie.

Ich warf einen Blick zu Dominik hinüber, der ein belegtes Käsebrot aus seinem Rucksack holte und es schweigsam vertilgte.

„Woher kennt ihr zwei euch eigentlich?“, wollte ich wissen, um endlich mehr über ihn zu erfahren.

Doch nicht er, sondern Robert beantwortete meine Frage.

„Vom Sport. Wir machen zusammen Judo.“

„Kampfsport?“

Robert nickte. „Ich bin gut, aber Dominik ist voll krass. Er hat den Schwarzen Gürtel.“

„Echt jetzt?“, hakte Florian sofort nach.

Alle Augenpaare richteten sich auf Dominik, doch der aß seelenruhig sein Brot weiter. Entweder tat er so, als hätte er das Gespräch gar nicht mitbekommen, oder er war tatsächlich vollkommen abwesend.

Es war genau dieses sonderbare Verhalten, das er auch in der Schule immer zutage legte und das mich an ihm irritierte.

Warum verhält er sich nur so seltsam?, fragte ich mich. Mit seinem Aussehen könnte er doch locker zu den beliebtesten Jungs in der Schule gehören. Tat er nur so, als interessierte er sich nicht für das, was um ihn herum geschah, oder gehörte er zu den Menschen, denen alles vollkommen egal war? Die innerlich so abgestumpft waren, dass ihnen nichts und niemand mehr wichtig war. Aber warum war er dann überhaupt mitgekommen?

Florian sprang von seinem Sitz auf und nahm auf der anderen Seite neben Dominik Platz.

„Erzähl mal“, forderte er ihn voller Begeisterung auf.

„Was möchtest du denn wissen?“, antwortete der mit einer Gegenfrage und versetzte mich damit in Erstaunen. Offenbar war er doch nicht so in seiner eigenen Gedankenwelt versunken, wie ich vermutet hatte.

„Machst du das schon lange?“

„Ziemlich lange. Hab schon als Kind damit angefangen.“

„Und du könntest mich einfach so mit einem Wurf zu Boden bringen und mich fertigmachen?“ Florian blickte ihn gespannt an.

Dominik lächelte. „Ja. Aber das könntest du auch. Ist nur eine Frage der richtigen Technik und des Gleichgewichtbrechens.“

„Wow.“ Florian schien beeindruckt.

Mein Bruder war stark kurzsichtig und musste bereits an der Netzhaut operiert werden. Daher durfte er weder schwere Sachen heben, noch hatte er als Kind mit den anderen Jungs am Spielplatz raufen können. Auch wenn er das nur allzu gerne getan hätte. Wahrscheinlich übten gerade deshalb all die Dinge, die er nicht machen konnte, solch eine Faszination auf ihn aus.

„Zeigst du mir mal was?“

„Klar. Ich kann dir sogar was beibringen.“

Florian war begeistert, doch im Gegensatz zu ihm war mir auf einmal gar nicht mehr wohl in meiner Haut.

Dominik machte Kampfsport und hatte den Schwarzen Gürtel. Er war also nicht nur absolut undurchsichtig, sondern auch noch gefährlich. Wollte ich mit so jemandem wirklich eine ganze Woche in völliger Abgeschiedenheit auf einer Hütte in den Bergen verbringen?

4

Die Zeit verstrich, während der Zug immer tiefer ins Münchner Umland fuhr. Die monotone Fahrt wurde nur durch den Halt an den einzelnen Stationen unterbrochen. Allmählich wurden die Häuser weniger, und Wiesen und Felder dominierten die Landschaft. Auf den saftigen Weiden grasten Kuhherden, und in der Ferne jagte ein Pferd in schnellem Galopp über die Koppel. Es herrschte leichtes Föhnwetter, und die Berge zeichneten sich deutlich sichtbar am Horizont ab.

Mit jedem Kilometer, den wir weiter aufs Land hinausfuhren, wurde meine Vorfreude größer. Ich mochte die Berge und war mit meinen Eltern und Florian in den letzten Jahren regelmäßig zum Wandern gefahren. In Gedanken malte ich mir bereits aus, wie die Hütte von Pias Onkel wohl aussehen mochte. Laut Pias Erzählungen lag sie so abseits der üblichen Wanderwege, dass man dort tatsächlich wochenlang ungestört war. Keine nervenden Wanderer oder rücksichtslosen Mountainbiker, sondern Natur pur.

Der ideale Ort, um zu entspannen und auf andere Gedanken zu kommen. Weg von meinem Ex-Freund Mark, der vor drei Wochen aus heiterem Himmel mit mir Schluss gemacht hatte. Bei der Erinnerung daran spürte ich, wie sich alles in mir verkrampfte. Es tat noch immer weh, an ihn zu denken, und ich konnte einfach nicht begreifen, wie er mich nur so hatte verletzen können. Dabei war am Anfang alles so schön gewesen.

Ich wusste nicht, was ich in dieser schweren Zeit ohne Pia getan hätte. Sie konnte nur allzu gut nachvollziehen, was ich gerade durchmachte, denn sie hatte sich kurz davor erst von ihrem damaligen Freund getrennt – Timo. Am Anfang war Timo ebenfalls sehr nett gewesen, doch genau wie Mark hatte auch er zwei Gesichter.

Pia und ich hatten vieles gemeinsam, und dieser absolute Fehlgriff bei der Wahl unserer Freunde gehörte leider mit dazu. Hinzu kam, dass ich selber mal an Timo interessiert gewesen war. Ich fragte mich nur, wer von den beiden schlimmer war: Mark oder Timo.

„Hey, alles klar bei dir?“, fragte Pia mit einem besorgten Gesichtsausdruck.

„Ja, logo“, antwortete ich und setzte ein gezwungenes Lächeln auf.

Was sollte auch nicht klar sein? Anstatt mit meiner großen Liebe in den Urlaub zu fahren, war ich nun mit Liebeskummer unterwegs. Und musste Pia beim Turteln mit ihrem Neuen zusehen.

Ach, was soll’s, dachte ich. Vergiss diesen Mistkerl von einem Ex und freu dich auf ein paar schöne Tage in der Natur.

Pia warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu. Ich glaube, sie erahnte meine Gedanken.

„Was hast du denn jetzt nach dem Abi vor?“, fragte ich Robert. „Studieren?“

„Auf alle Fälle. Ich soll ja mal den Laden von meinen Alten übernehmen.“

Roberts Eltern waren Unternehmer und hatten ihre eigene Firma, die recht gut lief. An Geld mangelte es ihnen jedenfalls nicht, ansonsten hätten sie Robert zu seinem 18. Geburtstag kaum einen nagelneuen 5er BMW geschenkt.

„Zunächst werde ich mir jedoch für ein paar Monate eine Auszeit nehmen“, fuhr er fort. „Und danach will ich dann richtig durchstarten.“

Pia sah ihn bewundernd an.

Typisch Pia, dachte ich. Aber sie stand schon immer auf diese Sorte von Jungs, die reiche Eltern im Rücken hatten.

„Und was genau willst du studieren?“

„Business Management. Und ich würde gerne für ein Jahr ins Ausland gehen. Mein Vater meinte, er könnte mir eventuell ein Praktikum bei einem größeren Betrieb in Amerika verschaffen. Das wär natürlich das Nonplusultra.“

Ich nickte beeindruckt. Zielstrebig war er, das musste man ihm lassen. Genau wie er hatte ich auch schon ein Auslandsjahr ins Auge gefasst. Vielleicht konnte mir Robert ein paar Tipps geben, wenn es mal so weit war.

„Lara will Tiermedizin studieren“, meinte Pia an ihren Freund gewandt.

„Hey, praktisch. Wenn Rocky mal krank wird, dann kann ich ja bei dir vorbeikommen.“

„Rocky?“, fragte ich.

„Mein Hund. Ein Labrador-Mischling.“

„Du hast einen Hund?“

Robert nickte. „Ja, schon seit ich klein bin. Er ist nicht mehr der Jüngste, insofern ist es nur von Vorteil, jemanden zu kennen, der Tierarzt werden will.“

„Ich will später mal Maschinenbau studieren“, meinte Florian.

„Das scheint momentan irgendwie der Renner zu sein“, sagte Robert. „Ich hab gehört, dass die Hörsäle draußen in Garching total überfüllt sein sollen.“

„Naja, bei den Wirtschaftsstudiengängen ist es doch nicht viel besser, oder?“

„Deshalb überleg ich auch noch, wo ich studieren werde. Aber wie gesagt, jetzt gönn ich mir erst mal ne Auszeit.“

„Und du, Dominik?“, fragte ich an ihn gewandt. „Was hast du später mal so vor?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich würde gerne was mit Sport machen. Hängt davon ab, ob ich das Abi schaffe oder nicht.“

„Also hör mal. Wenn ich das Abi pack, dann du ja wohl auch.“

Robert blinzelte ihm zu und öffnete seinen Rucksack. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck zog er ein Sixpack Dosenbier heraus und hielt es in die Luft. „Lust auf was Erfrischendes?“

Ich blickte ihn entsetzt an. „Du willst doch jetzt nicht ernsthaft um diese Uhrzeit schon ein Bier trinken?“

„Warum nicht?“, entgegnete er, und aus seiner Stimme konnte ich deutlich heraushören, dass er damit tatsächlich kein Problem hatte.

Florian und ich lehnten entschieden ab, und auch Pia, die Alkohol wirklich gerne mochte, schüttelte den Kopf.

„Ich hab außer Kaffee noch nichts gefrühstückt.“

„Was ist mit dir, Dominik?“ Robert hielt ihm eine Dose entgegen.

Dominiks Gesichtsausdruck verfinsterte sich plötzlich bedrohlich, und seine Augen verengten sich zu winzigen Schlitzen. Bei seinem Anblick lief es mir eiskalt über den Rücken.

„Jetzt komm schon, Kumpel. Leiste mir Gesellschaft.“

„Ich trinke nie“, antwortete er, und ich bemerkte, dass seine Stimme leicht zitterte.

Was für ein Problem hatte der denn?

Ich beobachtete ihn mit gemischten Gefühlen, denn seine abwehrende, fast schon aggressive Reaktion machte mir irgendwie Angst. Was hatte Dominik nur zu verbergen? Wer in unserem Alter lehnte schon Alkohol grundsätzlich ab?

Derweil öffnete Robert die Dose, und es zischte kurz. Er prostete uns zu und trank einen Schluck, während wir mit betretenem Schweigen dabei zusahen.

„Wo müssen wir eigentlich aussteigen?“, wollte Florian wissen, und ich glaube, wir waren ihm alle dankbar dafür, dass er das Thema wechselte.

„An der Endstation. Oberammergau“, antwortete Pia. „Dann noch quer durch den Ort, und schon sind wir beim Aufacker.“

„Und wie lange brauchen wir dann noch bis zu der Hütte?“

„Bis zur Rautenalm sind es gute vier Stunden zu Fuß.“

Florian stöhnte.

„Ihr wollt zur Rautenalm?“, sagte plötzlich eine weibliche Stimme, und wir drehten unsere Köpfe in die Richtung der alten, grauhaarigen Frau, die am Fenster saß und bis jetzt den Anschein erweckt hatte, tief und fest zu schlafen.

Hatte sie uns etwa die ganze Zeit belauscht?

„Ja“, antwortete Pia. „Na und?“

Die Alte sah uns mit großen Augen an. In ihrem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Ungläubigkeit und Sorge wider.

„Weil es dort viel zu gefährlich ist. Gerade für junge Leute wie euch.“

Ich hatte keine Ahnung, wovon die alte Frau sprach, doch irgendetwas an ihr ließ mich hellhörig werden. Vielleicht war es ihre besorgte Miene oder der seltsame Unterton in ihrer Stimme. Ich blickte sie fragend an.

„Wisst ihr denn nicht, dass diese Gegend verflucht ist?“

Wie bitte? Verflucht?

„Was meinen Sie damit?“ Für gewöhnlich hielt ich nichts von Schauermärchen.

„Sagt bloß, ihr habt noch nie von dem tragischen Schicksal der Helene gehört?“

Wir wechselten amüsierte Blicke.

„Äh … nee“, entgegnete ich schließlich. „Was soll mit der sein?“

Die Alte rutschte näher an uns heran und beugte sich weit nach vorne.

„Helene lebte vor 150 Jahren am Fuße des Aufackers“, begann sie mit geheimnisvoller Stimme zu erzählen. „Sie war eine Frau mit einer ganz besonderen Gabe: Mit ihren Kräutern und Wundertränken konnte sie Krankheiten heilen. Helene wurde von den meisten Menschen in der Region sehr geschätzt und geachtet, doch einigen war sie ein Dorn im Auge. Sie bezeichneten sie als Hexe.“