Schwarzes Bewusstsein: Das Leben des Steve Biko - Johannes Woywodt - E-Book

Schwarzes Bewusstsein: Das Leben des Steve Biko E-Book

Johannes Woywodt

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Beschreibung

Mit dem Mord an Steve Biko 1977 brach eine neue internationale Protestwelle gegen die südafrikanische Regierung los. War die internationale Aufmerksamkeit für den Anti-Apartheidskampf in den Jahren zuvor zurückgegangen, so intensivierte sich dieser wieder. Biko wurde zu einem Symbol des friedlichen Kampfes der schwarzen Südafrikaner gegen die Rassentrennung. Neben Nelson Mandela ist Biko damit der prominenteste Vorkämpfer Südafrikas für Freiheit und Gleichheit. In einer Zeit, in der sich die Apartheid zunehmend in der Gesellschaft und in den Köpfen verankert zu haben schien, verkörperte er mit seinen Ideen des Black Consciousness eine neue Aufbruchsstimmung. Zusammen mit wichtigen Mitstreitern gab er einer ganzen lethargischen Generation wieder neues Selbstvertrauen, das ihnen durch den Staat und seine Rassentrennungspolitik genommen worden war. Sei es in Liedern von Peter Gabriel oder der Band Steel Pulse, sei es als Gemälde von der ostdeutschen Künstlerin Helga Ginevra oder im Spielfilm Schrei nach Freiheit von Richard Attenborough mit Denzel Washington in der Rolle von Steve Biko - das Schicksal des schwarzen Bürgerrechtlers rüttelte die Menschen auf. Die Kurbiografie bündelt alles wichtige Wissen um Biko und sein Leben, seine politische Lehre und seinen Tod sowie die Wirkungsgeschichte seines Schaffens. Die Reihe "Geschichte kompakt" bietet einen zeitgemäßen Zugriff auf Themen und Fragen der Weltgeschichte - geeignet für Schule und (Eigen-)Studium, zum Nachlesen, Nachschlagen, Lernen, auf den aktuellen Stand bringen und Bescheidwissen.

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Johannes Woywodt

Schwarzes Bewusstsein

Das Leben des Steve Biko

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-86408-096-8 (epub) // 978-3-86408-097-5 (pdf)

© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2012

www.vergangenheitsverlag.de

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Inhaltsverzeichnis

1. 14. November 1977

2. Unruhige Kindheit

3. Studienjahre - Eine Idee entsteht

4. Black Consciousness - Schwarzes Bewusstsein

5. Biko und die Frauen

6. Gebannt

7. Zimmer 619

8. Fazit

9. Anhang

9.1. Lebensdaten Steve Bikos

9.2. Quellenteil

9.3. Abkürzungsverzeichnis

1. 14. November 1977

Montag, der 14. November 1977 ist ein heißer und windstiller Sommertag. In Pretoria, der Hauptstadt Südafrikas, entfalten die Jacarandabäume ihre fliederfarbene Blütenpracht. Zu Tausenden säumen sie die Straßen in der Innenstadt und spenden kühlenden Schatten. Eine dieser Straßen ist die Paul Kruger Street, an deren nördlichen Verlauf sich die Alte Synagoge befindet. Schon seit den frühen Morgenstunden wird das aus roten und ockerfarbenen Backsteinen erbaute Gotteshaus mit seinen Arkaden von einem Menschenauflauf belagert. Neben schwarzen Südafrikanern1, die politische Lieder singen, befinden sich ebenfalls zahlreiche nationale und internationale Medienvertreter vor Ort. Fotografen und Kameraleute verschiedener Fernsehanstalten versuchen sich Platz zu verschaffen, um die Geschehnisse bestmöglich einzufangen. Streng dreinblickende Polizisten sollen für die nötige Ordnung sorgen. Die Lage der Anwesenden schwankt zwischen Hoffnung und Anspannung.2

Im Inneren des jüdischen Gotteshauses, das seit Beginn der 1950er Jahre Schauplatz für verschiedene Gerichtsverfahren war, ist die Situation nicht anders. Knapp 200 Personen drängen und quetschen sich in die wenigen Sitzreihen. Es ist heiß und stickig. Kaum ein Luftzug durchdringt den Saal. Der einzig funktionierende Deckenventilator ist ausgestellt worden, um die schlechte Akustik doch noch ein wenig zu verbessern. Dennoch nehmen die Anwesenden diese körperlichen Strapazen auf sich, denn sie wollen die gerichtliche Untersuchung keinesfalls verpassen. Diese soll die Hintergründe aufdecken, welche Umstände zum Tod des schwarzen Bürgerrechtlers Bantu Stephen ‘Steve‘ Biko führten. Dessen Leben fand am 12. September 1977 in einer Gefängniszelle in Pretoria ein jähes Ende. Biko ist die 46. Person, die seit 1963 im Gewahrsam der südafrikanischen Polizei auf fragliche Art und Weise verstarb. Nach gerichtsmedizinischem Befund war eine Kopfverletzung die Ursache für den Tod gewesen. Doch wer oder was diese verursacht hat, ist unklar. 13 Verhandlungstage sind für die Untersuchung angesetzt. Ärzte und Polizisten, die für die Haftbedingungen Steve Bikos verantwortlich waren, werden vor dem Gericht aussagen.

Ein plötzliches Blitzlichtgewitter der anwesenden Fotografen entbrennt, als die Angehörigen von Bikos Familie den Saal betreten. Schwarz gekleidet, voller Trauer begeben sich seine Ehefrau, seine Mutter und seine Geschwister auf ihre Sitzplätze und verharren dort. Mit ihnen sind zahlreiche Freunde und Mitstreiter Bikos aus dem In- und Ausland gekommen. Vertreter eines offenen, antirassistischen und menschenfreundlichen Südafrikas. Sie hoffen auf ein wegweisendes Ergebnis. Der südafrikanische Staat solle endlich für seine menschen-verachtende Apartheidspolitik und deren Opfer Farbe bekennen. Ihnen gegenüber sitzen die Vertreter des Establishments, die Beamten der Sicherheitsbehörden, die Polizisten, die Ärzte und ihre Anwälte, die ihrerseits auf ein für sie günstiges Verfahren entgegensehen. Die Stimmung zwischen den Parteien ist nicht nur angespannt, sie ist vielmehr „gedämpft kriegerisch“3.

An dieser wird sich bis zum 30. November 1977, dem letzten Verhandlungstag, nichts ändern. Zudem wächst die Ungewissheit. Die Ungewissheit, zu welchem Ergebnis die Untersuchung des vorsitzenden Richters Marthinus Prins kommen wird. Werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden oder ist Steve Biko umsonst gestorben? Nur eines eint alle Anwesenden: die Erinnerungen an den Toten. Doch wer war Steve Biko, der bis heute, neben Nelson Mandela, einer der meist verehrten Südafrikaner ist? Aufschluss soll diese Kurzbiographie liefern, die sich mit ausgewählten Aspekten aus dem Leben Steve Bikos befassen wird. Neben der Berücksichtigung seines Privatlebens wird dieser Text ebenso die Ideen des Black Consciousness Movements (BCM) diskutieren, mit denen zusammen Biko in den 1960er und 1970er Jahren die Hoffnung der schwarzen Südafrikaner auf eine Überwindung der Apartheid verkörperte. Ob diese Ideen auch nach dem Ende der Apartheid noch für die Südafrikaner von Bedeutung sind, soll ebenfalls thematisiert werden. Anhand des Lebens und Wirkens Steve Bikos soll ein exemplarischer Einblick in eines der schwierigsten Kapitel südafrikanischer Geschichte gewährt werden.

2. Unruhige Kindheit

Tarkastad ist ein kleines verschlafenes Städtchen der südafrikanischen Provinz Eastern Cape. Am gleichnamigen Fluss Tarka auf einer hügeligen, weitläufigen Hochebene gelegen, hat die Ortschaft schon längst ihre Bedeutung verloren. Die alten Häuser aus dem 19. Jahrhundert, als Tarkastad noch ein wichtiger Militärstandort war, verblassen zusehends und wirken heute unbewohnt. Eben hier wurde am 18. Dezember 1946, einem Sommertag, Bantu Stephen ‘Steve‘ Biko als das drittälteste von vier Kindern der Eheleute Mathew Mzingaye und Alice Nokuzola ‘Mamcethe‘ Biko geboren. Seinen Geburtsort sollte der junge Steve Biko allerdings kaum kennen lernen, da die ersten Lebensjahre von ständigen Ortswechseln geprägt waren. Vier verschiedene Städte in vier Jahren – Queenstown, Port Elizabeth, Fort Cox und schließlich King William‘s Town. Rastlosigkeit und ständige Veränderungen prägten das Familienleben. Selten bestand für die Familie die Möglichkeit an einem Ort längere Zeit zu bleiben. Erst in Ginsberg, einer Siedlung für schwarze Südafrikaner, die in direkter Nachbarschaft zum Zentrum von King William‘s Town liegt, fand das mehrjährige Umziehen ein Ende.4

Doch Ruhe kehrte auch hier nicht in die Familie ein. Bikos Vater Mzingaye, der als Polizist den Lebensunterhalt für die Familie verdiente und gleichzeitig per Fernstudium Jura studierte, erkrankte 1950 schwer. Kurze Zeit darauf starb er. Ein Schicksalsschlag für die Familie. Insbesondere für Mamcethe Biko, die nun als alleinerziehende Mutter von vier Kindern für den Lebensunterhalt verantwortlich war. Mit schlecht bezahlten Jobs versuchte sie ihrer Familie über die Runden zu verhelfen. Durch das tägliche Arbeiten der Mutter waren die Kinder schon früh gezwungen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Vor allem der erstgeborenen Tochter Bukelwa und dem zweitgeboren Sohn Khaya oblag es, sich um die jüngeren Geschwister Steve und Nobandile zu kümmern.5

Trotz des frühen Todes seines Vaters und dem Fehlen der Mutter beschreibt Steves jüngere Schwester Nobandile die gemeinsame Kindheit als eine sehr schöne und fröhliche Zeit. Vor allem die Art und Weise wie der junge Steve Biko seine Mitmenschen in Gesprächen zum Lachen brachte, ist ihr dabei in Erinnerung geblieben.6 Ein Charakterzug, der von späteren Freunden und Wegbegleitern bestätigt wurde. Die Erledigung alltäglicher häuslicher Dinge wie das Füttern der hauseigenen Hühner oder Botengänge für Verwandte langweilten ihn. Deshalb versuchte er diese zu vermeiden. Lieber vertrieb er seine Zeit mit Fußball spielen oder dem Aushecken von Streichen. Andererseits zeigte der junge Steve Biko schon im Alter von sechs Jahren Verantwortungsbewusstsein, als er auf dem täglichen Schulweg seine jüngere Schwester Nobandile früh zum Kindergarten brachte und sie nach dem Ende der Schule wieder abholte.7

Obgleich dieser nicht immer einfachen, aber größtenteils unbeschwerten Kindheit wurde Biko schon in seinen jungen Jahren mit den Auswirkungen der Apartheidspolitik konfrontiert. Hierfür genügten zunächst nur zwei Blicke. Einen in die staubigen Straßen seines Townships. Über 800 Familien schwarzer Südafrikaner lebten auf wenigen Quadratkilometern in Ginsberg zusammen. In einigen Straßen mangelte es an Häusern. Nur ein geringer Bruchteil der Bewohner verfügte über direkten Zugang zu Elektrizität, Trinkwasser und medizinischer Versorgung. Viele der Haushalte mussten sich Toiletten und Trinkwasserbrunnen teilen. Der andere Blick richtete sich zum Fluss, dem Buffalo River, und der dahinter verlaufenden Schienentrasse. Obwohl nur ein Steinwurf entfernt trennten diese beiden Linien die unterschiedlichen Lebensverhältnisse. Hier die ärmlichen schwarzen Wohnsiedlungen. Dort das Zentrum von King William´s Town mit den Vierteln der wohlhabenden weißen Südafrikaner. Ein Bild, das symbolhaft für die gesellschaftliche Entwicklung Südafrikas im 20. Jahrhundert stand. Ob in Kapstadt, Durban, Pretoria oder Johannesburg – die Verhältnisse glichen sich überall. Sie waren das Ergebnis einer jahrzehntelang betriebenen Trennung der Bevölkerungsgruppen, deren Grundstein schon in den 1910er und 1920er Jahren gelegt wurde.

In diesen zwei Dekaden mussten bereits Steve Bikos Großeltern und Eltern miterleben, wie aufeinanderfolgende Regierungen die gesellschaftliche Spaltung anhand der ethnischen Zugehörigkeit forcierten. Stück für Stück wurden alle nicht-weißen Südafrikaner die Rechte und Freiheiten entzogen oder stark eingeschränkt. Zunächst kam die Enteignung des Landes. Per Gesetz. Native Lands Act der Regierung Louis Botha 1913.8 Nur noch sieben Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Landes wurde den Schwarzen in ausgewiesenen Reservaten als Besitz zuerkannt, obwohl diese mehr als zwei Drittel der Bevölkerung ausmachten.9 Keine zehn Jahre später folgte die räumliche Trennung in den Städten. Es war eine staatlich verordnete Segregation, die den weißen Südafrikaner die Zentren der Städte als Lebensraum vorbehielt. Schwarze hingegen mussten sich fortan an den Rändern der Stadt ansiedeln. Ihnen wurde nur ein befristetes und eingeschränktes Aufenthaltsrecht, beispielsweise zum täglichen Arbeiten, in den Stadtzentren gewährt.10 Schließlich begann ab Ende der 1920er Jahre der zunehmende Eingriff des Staates in das Privatleben. Auch hier sollte klar zwischen Schwarz und Weiß getrennt werden, indem u. a. der Sexualverkehr zwischen beiden Bevölkerungsgruppen strafrechtlich verfolgt wurde.11