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In der Neuausgabe der 1914 erstmals veröffentlichten "Schweizer Sagen- und Heldengeschichten" spuken Geisterpferde durch die Erzählungen, werden Feengrotten und unteriridische Kristallgewölbe in den Berglandschaften entdeckt und Zwergenfrauen und Bergmännlein weisen den Weg. -
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Seitenzahl: 450
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Meinrad Lienert
Saga
Schweizer Sagen und HeldengeschichtenCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1914, 2020 Meinrad Lienert und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726683141
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
– a part of Egmont www.egmont.com
Der Schweizerjugend, den Nachfahren jener starken Männer, die ihrer schönen Heimat bis auf den heutigen Tag die Freiheit zu sichern vermochten, widme ich diese Sagen und Heldengeschichten in erster Linie, dann aber auch der Jugend der ganzen Welt.
Ihr alle, ihr frischen Jungen und behenden Mägdlein, werdet in diesem Buche der Fee begegnen, die euch mit Glaube, Hoffnung und Liebe begnadet: mit dem Glauben an den treuen Gott und an die Kraft des Mutes, mit der Hoffnung auf den Sieg des Guten und mit der Liebe zu euerm Volk und Vaterlande, heisse es wie es wolle. Denn eines Helden Geschichte ist die Geschichte aller Helden, und aus den Sagen eines Volkes schauen die Traumaugen der ganzen Menschheit.
Ich gebe euch eine bunte Blumenlese aus dem Sagengarten der Schweiz, und ich tat auch noch ein kleines Märchensträusschen aus meiner engern Heimat dazu, das ich aus Sagen oder Sagenkeimen im allzeit freudig blühenden Gärtlein meiner Phantasie aufgehen liess. Mögen sich eure Herzen, die Herzen aller Welt daran erfreuen. Ich trommle aber auch die alten Eidgenossen aus den Gräbern und lasse sie ihre wahrhaften Schlachten noch einmal vor euch durchkämpfen. Hört ihr’s? Da rücken sie schon mit schwerem Berglerschritt heran. Hört ihr ihren Schlachtgesang?
Wir sind von guter Schweizerart,
Wohlauf zur heissen Welschlandfahrt,
Das Horn von Uri gellt!
Komm her, du treue Hellebart!
Und bin ich nur ein Hirtenknab,
Du bist mein starker Wandelstab,
Du bringst mich durch die Welt.
Haarus!
Meinrad Lienert.
In nebelgrauen Vorzeiten, als noch fast die ganze Schweiz mit Urwäldern bedeckt war, hauste im Zürichgau ein uraltes Volk, das nur mit Fellen bekleidet war.
Aber jenes Volk wohnte nicht auf dem Lande, da die unabsehbaren Wälder voll von wilden Tieren waren, es wohnte auf den schönen blauen Seen, dem Zürichsee, dem Greifensee und dem Pfäffikonersee, die alle drei gar nahe, nur durch anmutige Höhenzüge getrennt, beisammen liegen.
Auf diese blauen Wasser hinaus hatten die alten Volksstämme, nicht weit von den Ufern ab, ihre Hüttendörfer auf unzählige Pfähle, über denen ein fester Bretterboden lag, gebaut.
Dort fühlten sie sich sicher. Allmorgendlich weckte sie das Waldhorn ihres Wächters aus dem ruhigen Schlafe, in den die Wellen ihr Schlummerlied sangen.
Dann erhoben sich die Pfahlbauer. Vergnügt schauten sie über ihre blauen Seen nach den Schneebergen aus und bestiegen ihre Kähne, um zu fischen, oder wagten sich ans dunkle Land, um mit ihren bronzenen Schwertern, Dolchen und Äxten auf die Jagd zu gehen.
Die Knaben und Mägdlein spielten um die Hütten und machten Fang mich! und allerlei Kampfspiele, dass der Bretterboden ob dem See krachte und die Hütten zitterten. Wenn aber die Wellen gar hoch gingen und sie der wilde Alpenwind, der Föhn, hetzte, stürzten sich die Pfahlbaujungen und die wilden Mägdlein in die hochgehenden Wogen und schwammen und tollten darin herum wie Nixen, denn das Schwimmen war ihnen schier angeboren.
Aber beim Zunachten wurden sie stiller. Sie setzten sich auf den Bretterboden vor die Hütten, liessen die Beine ins Wasser hangen und warteten mit Bangen auf die Heimkehr ihrer Väter. Wie jauchzten sie auf, wenn diese sicher am Pfahlbaudorf landeten mit ihren unförmlichen Einbäumen, in denen die Jagdbeute lag. Dann, bald darnach, sahen sie die wilden, greulichen Untiere aus der Tiefe des Urwaldes hervorbrechen und an den See kommen, in dem sie ihren Durst löschten. Riesenhafte Höhlenbären, Urochsen, Wisent und Elch und heulende Wölfe, alles wanderte dem Ufer zu.
Die Mägdlein schüttelten gruselnd ihre Schöpfe und Tierfellschürzchen. Die Knaben aber liessen wohl gar von ihren Eibenbogen einen Pfeil zu den Ungeheuern hinüberschnellen. Wenn die Kinder dann nachts in ihren schilfgedeckten Hütten lagen, ward es gar laut am Ufer. Der ganze Urwald schien aufzuheulen und zu brüllen. Dann freuten sich die Pfahlbaukinder ihrer sichern Hütten und dankten ihren heidnischen Göttern, die ihnen ein so sicheres Heim gegeben hatten.
Also lebten die Pfahlbauer lange, lange Zeiten hindurch auf ihren Pfählen in den drei blauen Seen.
Als sie aber nach und nach bessere Waffen herzustellen vermochten und immer zahlreicher wurden, wagten sie sich mehr und mehr ans Land, bis sie zuletzt ganz ans Ufer zogen. Dort begannen sie ihre Dörfer aufzubauen, wodurch dann auch allmählich die Stadt Zürich entstand, die zuerst nur ein kleines keltisches Jäger- und Fischerdorf war.
Die verlassenen Pfahldörfer in den Seen aber zerfielen nach und nach, bis sie die Wasser bei hochgehender Flut völlig zerrissen, oder bis sie irgendwie Feuer fingen und verbrannten.
Heute spielen dort die blauen Wellen, wo in grauen Vorzeiten einst die merkwürdigen Pfahlbaudörfer im See gestanden hatten. Aber aus der geheimnisvollen Tiefe heben die Fischer und Forscher heute noch zuweilen seltsame, goldig schimmernde Schwerter, Beile und Dolche, womit das verschollene Urvolk einst mit den wilden Tieren, mit den wilden Menschen und mit der ganzen wilden Zeit ums Leben rang.
Einst lebte in der Schweiz ein grosses keltisches Volk, die Helvetier. Ihre Städte und Dörfer standen vorab im mittleren und westlichen Schweizerland. Sie trieben Ackerbau und Viehzucht und waren glücklich dabei.
Unter ihnen lebte aber ein mächtiger Fürst, namens Orgetorix. Der war sehr ruhmsüchtig. Es gefiel ihm nicht, bloss ein Fürst in den Gauen Helvetiens zu sein. Er wollte nach Gallien ziehen, wo heute Frankreich liegt, und dann die Römer angreifen und Rom erobern. Von dort aus wollte er die Welt beherrschen. Er begann die Hirten in allen Gauen heimlich aufzuhetzen und liess ihnen sagen: „Warum wollt ihr denn in einem so kleinen und dürftigen Lande bleiben und zeitlebens arme Hirten sein? Lasst uns aufbrechen und das Land der Gallier erobern, wo der gute Feuerwein wächst. Niemand wird eurer Tapferkeit widerstehen können.“ Nach und nach stimmte ihm in geheimen Versammlungen fast alles Volk zu, und sie beschlossen, zusammen mit Weib und Kind zur Eroberung Galliens auszuziehen.
Aber endlich vernahmen die höchsten Fürsten des Landes doch seine Anschläge und luden ihn vor Gericht, damit er sich verantworte, denn sie bedrohten ihn als einen Landesverräter mit dem Feuertode. Jedoch Orgetorix kam zum öffentlichen Gerichtstage nicht allein, ihn begleiteten zehntausend Männer seines Gaues, die ihn vor seinen Feinden beschützen sollten. Doch da strömte das ganze helvetische Volk herbei, und es drohte ein furchtbarer Bruderkrieg auszubrechen. Da stürzte sich Orgetorix ins eigene Schwert und starb.
Nach seinem Tode vergassen aber die Helvetier seine grossen Pläne nicht mehr. Sie blieben unzufrieden in ihrem schönen Berglande. Und eines Tages beschlossen sie dennoch, in Gallien einzubrechen, um das fruchtbare Land zu gewinnen. Sie rüsteten also für drei Monate Lebensmittel. Darnach steckten sie ihre zwölf Städte und vierhundert Dörfer in Brand, denn nie mehr wollten sie nach Helvetien zurückkehren. Sieg oder Tod war ihr Losungswort.
Mit Frauen und Kindern, die sie in Wagenburgen mitschleppten, zogen sie am grossen Lemansee entlang gegen Genf, ihrer über zweimalhundertfünfzigtausend Menschen. Ihr oberster Anführer war der alte, schneeweisse Held Diviko, der einst als junger Mann die Römer zurückgeschlagen hatte.
Aber die Römer hatten den Anzug der Helvetier schon vernommen. In Eilmärschen rückte ihnen ihr berühmtester Feldherr, Julius Cäsar, entgegen und schlug sie in einer furchtbaren Schlacht bei Bibracte, nicht mit überlegener Tapferkeit, aber mit besseren Waffen und grösserer Kriegskunst. Über hunderttausend Helvetier bedeckten das Schlachtfeld. Die Überlebenden zwang der römische Feldherr, wieder in ihr eben verlassenes Land zurückzukehren, wo sie ihre Städte und Dörfer wieder aufbauen mussten. Aber Kraft und Mut des helvetischen Volkes war für immer gebrochen.
Bald rückten römische Besatzungen und Heere ins Land, die auch die tapfern Walliser und die wilden Rhätier im heutigen Graubündnerland unterwarfen. Diese gingen nach und nach in ihnen auf und nahmen sogar ihre Sprache an, die die Rhätier der wundervollen Bergtäler des Engadin heute noch sprechen. Grosse Städte entstanden, wovon Vindonissa im Aargau und Aventicum im Waadtland die grössten waren. Durch das ganze Land hinauf vom Lemansee bis zum Bodensee und bis ins Hochgebirge des Oberrheins gingen die römischen Türme.
Wenn nun die wilden deutschen Stämme jenseits des Rheins, die Alamannen und Sueben, ins Land der Helvetier einzubrechen drohten, flammte auf dem nächsten römischen Wachtturm am Rhein ein Feuer auf und dann auf dem etwas weiter abliegenden und dann auf dem noch weiter entfernten. Und so gingen nach und nach die Alarmfeuer von einem Wachtturm zum andern himmelan bis zu den Hauptlagern der römischen Soldaten, aus denen diese, sobald sie die Gefahr erkannten, mit Macht auszogen und zum bedrohten Rhein eilten, um die deutschen Völker von dem Fluss, der überall feste Grenzhäge hatte, abzuhalten.
Mehr als zweihundert Jahre beherrschten also die Römer das Land Helvetien, bis eines Tages die Alamannen und Sueben, wie ein langgestauter Bergstrom, über den Rhein hereinbrachen, alles vor sich niederwarfen und das schöne Land in Besitz nahmen. Die römischen und helvetischen Männer schlugen sie fast alle tot, aber ihre Frauen und Kinder liessen sie leben, und heute noch kann man manch einem träumerischen, hellen Kinderäuglein ansehen, dass sein Urahne einstmals zu jenem seltsamen verschollenen Volke gehörte, das einst aus Helvetien auszog, den sonnigen Süden zu erobern.
Vor alter Zeit begab sich im Lande der Schweden im kalten Norden eine grosse Teuerung und erwuchs daraus eine greuliche Hungersnot, so dass die Leute gar übel daran waren. Sie wussten sich nicht mehr anders zu helfen, als dass sie einen kleinen Teil des Volkes durch den Beschluss der Landsgemeinde zwangen, das Heimatland zu verlassen.
So zogen ihrer an die Fünftausend mit Weib und Kind aus dem mitternächtigen Lande und gelobten sich im Namen Gottes, dass sie sich nie verlassen wollten im Leben und Sterben. Sie gedachten durch alle Länder bis nach Rom zu ziehen, denn sie hatten vernommen, dass dort die Sonne beständig am Himmel stehe, und dass es statt der eisigen Schneekörner den Leuten süsse Früchte auf die Kappen schneie. Ihre Anführer aber waren zwei Brüder, die Swyt und Schej hiessen.
Also zogen sie durch ganz Deutschland und raubten und nahmen alles mit sich, was sie bekommen konnten. Zwar stellten sich ihnen viele Fürsten mit ihren Kriegsleuten entgegen, allein das wandernde Volk hielt sich männlich und schlug so unbändig drein, dass ihm überall der Weg freigegeben werden musste. Bei diesen Kämpfen verloren aber auch die Stämme Swyts und Schejs gar viel Volk. So kam es, dass sie überall, wo sie hinkamen, offene Pfade fanden, denn die Menschen in den Ländern, die sie durchzogen, hatten allenthalben von ihrer wilden Tapferkeit gehört und blieben vorsorglich in ihren wohlbefestigten Städten und Burgen. Diese aber liess das Wandervolk in Ruhe. Sie wollten nur ihren Weg nach Rom offen haben.
Sie kamen durch viel hundert deutsche Gaue bis an den grossen Vodensee, wo vor ihnen auf einmal die hohen Alpen und Schneeberge aufstiegen, die ihnen wie eine ungeheure Mauer den Weg zu versperren schienen.
Doch sie liessen sich nicht aufhalten, umgingen den See, wateten und schwammen über den Rhein und trieben sich durch rauhe Wälder und über Alpenweiden und blaue Seen, bis sie endlich dahin gelangten, wo heute nahebei, im Tale der Alp, das Salveglöcklein Unserer Lieben Frau zu Einsiedeln ertönt. Unerschrocken brachen sie in die dunklen Urwälder ein, bis auf einmal Swyt der Anführer mit seinem Haufen aus einem mächtigen Tannenwald heraustrat.
Da sah er über sich zwei gewaltige, turmartige Berge stehen, und unter sich erblickte er einen ungeheuren Nebelsee, über den das Schneegebirge herschimmerte. Und nun begann es im Nebel zu wallen und zu wogen. Er fing an, aus der Tiefe heraufzusteigen und sich aufzulösen, und siehe, da zeigte sich tief unten ein weites, grünes Tal, und darin lagen ein kleiner, blauer Bergsee und ein grosser, grüner, um den die Schneeberge standen.
Jetzt stiess Swyt in sein Horn, bis auch sein Bruder Schej mit seinem Volk herbeieilte. Alsbald stiegen sie mit all ihren Herden ins Tal herab und streiften bis an den grünen Bergsee, an dem ein einsamer Mann die Fähre hütete, von der aus man über den See und das Schneegebirge nach Rom gelangen konnte. Obwohl das wandernde Volk nun selber vorgehabt hatte, nach Rom zu ziehen, besann es sich jetzt doch eines andern. Die Anführer schauten nochmals zu den zwei Hakenbergen hinauf, die heute Mythen heissen, und dann kehrten sie mit allem Volk zu den grünen Weiden unter die beiden Berge zurück.
Und als sie am Fusse der beiden Riesentürme anlangten, trieben sie die Speere in den Boden und riefen: „Hier wollen wir wohnen in alle Ewigkeit!“
Also liessen sich Swyt und Schej im Tale nieder mit all ihren Leuten. Aber als sie dem Lande einen Namen geben sollten, gerieten die beiden Brüder in Streit, da jeder das Tal nach seinem Namen nennen wollte. Und sie sagten sich voneinander los, und wie sie sich früher geliebt hatten, so hassten sie sich jetzt.
Eines Abends, als das Alpenglühen auf den Schneebergen lag, fielen sie mit den Schwertern übereinander her und kämpften so lange miteinander, bis endlich Schej tot hinsank. Darnach wurde das ganze Tal nach dem siegreichen Anführer Swyt das Land Schwyz genannt, wovon dann in späterer Zeit die ganze Schweiz ihren Namen erhielt.
Im Lande Unterwalden, am Vierwaldstätter See, hauste in unvordenklicher Zeit ein fürchterliches Untier. Ob dem Dörflein Wyl hatte es seine Höhle. Es war ein greulicher Lindwurm, der einen Schuppenpanzer um den Leib und messerscharfe Krallen hatte. Wenn er aus seiner Höhle durch die Luft schoss, sah er aus wie ein ungeheures fliegendes Krokodil. Aus seinem Rachen aber konnte er Feuer speien. Die ganze schöne Gegend um das Dörflein wurde von ihm verheert und in Furcht und Schrecken gehalten, also dass man das Dörflein Wyl zuletzt Ödwyl nannte.
Der Drache verschlang nicht nur das Vieh, sondern auch die armen Hirten. Und wenn ein Hirtenbühlein sich noch so sachte und still mit seinem vollen Milchtanslein den Hecken und Wäldern nach schlich, der Lindwurm sah es gewiss. Auf einmal schoss er heran, und weg war das Hirtenbüblein. Einmal suchten zwei arme Mägdlein Beeren in der Weid. Da schoss der Drache auch herbei und hätte gewiss beide verschlungen, wenn sie sich nicht ins Farnkraut hätten verstecken können. So war denn weder Mensch noch Vieh des Lebens sicher.
Da erbot sich ein ritterlicher Mann, namens Strutthahn, der aus dem Geschlecht der Winkelriede war, den Kampf mit dem Drachen aufzunehmen, wenn man ihn wieder in seine Heimat zurückkehren lasse, aus der er eines unbedachten Totschlages wegen verbannt worden war.
Die Unterwaldner nid dem Wald, die nicht mehr wussten, wie sie sich dess Lindwurmes erwehren sollten, sagten ihm’s feierlich zu.
Jetzt kam der Ritter Strutthahn Winkelried ins Land und ging nach Ödwyl, wo der Drache in seiner Höhle hauste. Er hatte ein Panzerhemd an, und seine Lanze umwand er mit einem Dornbusch.
Plötzlich schoss der Drache feuerspeiend aus seiner Höhle und geradewegs auf den Ritter los. Schon dachten alle Leute, die von weitem aus den Wäldern zuschauten, jetzt sei’s aus mit ihm. Doch Strutthahn Winkelried hielt dem Lindwurm die dornenumwundene Lanze entgegen, und blindlings fuhr dieser in seiner Drachenwut in sie hinein, also dass er nach kurzem heftigem Kampfe daran erstickte.
Jauchzend eilte nun alles Volk herbei. Aber als der Ritter, schweissdampfend, die Lanze aus dem Ungeheuer herauszerrte, rann ihm etwas von dem Drachenblut auf den blossen Arm. Obwohl er’s gleich wieder abwusch, musste er doch auch sterben.
Da trauerte das Volk um seinen Erretter aus grosser Not und baute ihm auf der Stelle, wo er den Drachen erlegt hatte, eine Gedächtniskapelle.
Einst fuhr ein Königssohn, namens Fridolin, aus dem grünen Irland über das Meer, bis er nach Frankreich kam. Von dort aus ging er weiter und predigte überall den Heiden das Christentum, bis er nach Säkkingen am Oberrhein gelangte.
Dort lebten auch zwei reiche Brüder, Urso und Landolph. Diese waren aber sehr ungleiche Brüder: der eine war wohltätig und der andere geizig. Da schenkte Urso, der wohltätige, dem heiligen Fridolin ein grosses Gut, das er in Glarus besass, wohin nun der Heilige zog.
Als er dort ankam, beschaute er mit grosser Verwunderung das Dorf Glarus, das unter einem schrecklichen Berge lag, dessen Schatten darüber hing. Weil die Glarner aber noch Heiden waren, fing er an, sie zum Christentum zu bekehren, was nicht so leicht ging, denn die Leute von Glarus glaubten an eine Göttin, die sie Frau Vrene nannten, und die hoch oben auf einem ganz von Felsen abgeschlossenen Gletscher wohnen sollte. Den Gletscher aber nannten sie Vrenelisgärtlein.
Aber nach und nach bekehrte er sie doch und liess sich unter ihnen nieder, ihnen von seinem geschenkten Gute grosse Wohltaten erweisend.
Als nun Urso, der wohltätige Bruder, in Säkkingen starb, ritt sein geiziger Bruder Landolph zum Gaugrafen Baldebert und klagte den heiligen Fridolin an, er habe sein grosses Gut im Glarnerlande widerrechtlich an sich gebracht, denn es sei eine Lüge, dass ihm’s sein Bruder Urso jemals geschenkt habe.
Der Graf Baldebert schickte sogleich nach Glarus zum heiligen Fridolin, er solle die Schenkung des Gutes durch Zeugen beweisen, ansonsten es an Landolph, den Bruder des Verstorbenen, falle.
„Ich will die Zeugen bringen,“ sagte der Heilige zu dem Boten. Alsobald reiste er mit ihm an den Rhein nach Säkkingen. Dort lud er das ganze Volk und den Grafen Baldebert ans Grab des verstorbenen Urso.
Wie nun alle beisammen waren, erhob sich der Heilige und rief mit lauter Stimme: „Urso, Urso, im Namen Gottes, der über Tote und Lebendige herrscht, stehe auf und zeuge für mich!“
Da bewegte sich die Erde; das Grab tat sich auf, und der tote Urso stieg heraus. Stillschweigend winkte er und ging der erschrockenen Menge voran zum Gericht, an dem eben die fünfzehn Gaugrafen tagten.
Dort trat er vor seinen todbleichen Bruder Landolph hin und redete ihn mit tiefer Grabesstimme an: „Landolph, Landolph! Was störst du meine Ruhe im Grab und beraubst mich also des Lohnes, den Gott mir für meine Schenkung gegeben hat?“
Voll Entsetzen fiel Landolph in die Kniee und bat ihn um Verzeihung und fügte auch noch sein Gut, das er im Glarnerlande besass, zu Ursos Schenkung hinzu. Darauf kehrte Urso wieder ruhig zu seinem Grabe zurück und legte sich hinein, und sofort schloss es sich für immer bis zum jüngsten Tage.
Die Glarner aber nahmen den heiligen Fridolin in ihr Landeswappen auf, das nachher in Hunderten von siegreichen Schlachten über ihren Reihen wehte.
Nach der Zeit, als der heilige Gallus, der heilige Fridolin und der heilige Kolumban das heidnische Schweizerland mit Not und Mühe zum Christentum bekehrt hatten und überall Kirchen und Klöster gebaut wurden, lebte auf dem Etzelberge, da wo die Alpen der Urschweiz anfangen, ein gottesfürchtiger Einsiedler. Er hiess Meinrad und war aus dem Geschlechte der Grafen von Hohenzollern, das heutzutage das Deutsche Reich regiert.
Es war ihm in der Welt und im Kloster Reichenau zu laut geworden, darum hatte er sich auf den Etzel in die Einsamkeit zurückgezogen.
Da sass er nun vor seiner kleinen Kapelle, las in einem Buche und sah sinnend auf den knisternd blauen See, der tief unter lag, und schaute hinaus über unzählige, in Obstwäldern versteckte Dörflein zum verschneiten Säntis.
Nun hätte es ihm auf dem verschneiten Etzelberge gar gut gefallen, allein die Leute hörten von seiner grossen Frömmigkeit, und nach und nach stiegen sie von allen Seiten zu ihm hinauf, also dass er Gott und der Jungfrau Maria nicht mehr so dienen konnte, wie es doch allezeit sein sehnlichster Wunsch war.
Aber eines Tages, als die Leute wieder auf den Etzel kamen, fanden sie den Klausner nicht mehr. Er war über den wilden Sihlbach und tief, tief in die Wildnis hineingegangen, wo nur noch wilde Tiere lebten. Aber er fürchtete sich nicht. Auf dem Weg sah er in einer Tanne ein Nest, das ein Sperber bedrohlich umkreiste. Er jagte den Sperber vom Nest ab. Als er aber das Nest erstieg, fand er darin zwei junge Raben, die er sorgsam hinabtrug und mit sich nahm. Er ging, bis er an eine Quelle kam, die als ein eiskaltes Bächlein im finstern Walde entsprang. Bei ihr liess er sich eine Hütte und eine kleine Kapelle erbauen. Danach blieb er ganz allein in der Wildnis, die die Leute den finstern Wald nannten.
Da lag er schier Tag und Nacht im Gebet vor dem Muttergottesbilde, das ihm die fromme Äbtissin Hildegard von Zürich, die eine Königstochter war, hatte zutragen lassen. Um seine Hütte herum spielten seine zwei Raben. Und wenn nachts der Föhn von den Bergen kam und der Urwald um ihn herum krachte und Bären und Wölfe und ein greulicher Spuk von höllischen Geistern um sein Hüttlein tobte und heulte, fürchtete er sich doch nicht, denn die Engel eilten zu seiner Hilfe herbei und trösteten ihn.
Nach und nach, als er viele Jahre in der Wildnis gelebt hatte, wallfahrteten doch wieder Leute zu ihm, die von seinem heiligmässigen Leben gehört hatten. Einst aber schlichen sich heimlich zwei Räuber durch den Wald, die in der Hütte des Einsiedlers Schätze zu finden hofften. Doch er hatte sie im Geiste schon nahen sehen.
Wie sie nun in seine Hütte kamen, war er gar freundlich mit ihnen und bewirtete sie, so gut er vermochte. Aber auf einmal überfielen ihn die zwei Räuber und schlugen ihn mit ihren Keulen tot. Sie erschraken aber doch schier, als nun die zwei Raben St. Meinrads wie wild krächzten und um sie herumflatterten. Als sie aber die Kerze zu seinen Füssen anzünden wollten, wie er’s gewünscht hatte, brannte die von selber.
Jetzt packte sie ein grosser Schrecken. Sie erkannten, dass sie einen Heiligen ermordet hatten, und flohen durch die dichten Wälder davon, Stunden und Stunden weit. Aber hoch über den Riesentannen flatterten ihnen die Raben immer nach. Endlich sahen sie die Stadt Zürich. Dort glaubten sie sich nun wohlgeborgen. Sie gingen in eine Wirtschaft und wollten wegen ihrer Angst schon zu lachen anfangen, da schoss plötzlich das treue Rabenpaar durchs offene Fenster auf die Mörder los, und das bedünkte die andern Gäste gar seltsam. Sie nahmen die beiden Räuber fest, und siehe, bald erkannte man in den zwei Raben die Raben des Heiligen im finstern Walde. Die Mörder gestanden ihre Untat und mussten darnach auf dem Rade sterben.
Den heiligen Meinrad aber begrub man in der Wildnis, wo später das Kloster Maria Einsiedeln gebaut wurde.
Sein Herz jedoch wollte man ins Kloster Reichenau im Bodensee bringen, wo der Heilige einst Klosterherr gewesen war. Als man aber mit dem Herzen an der Kapelle auf dem Etzelberge vorbeifahren wollte, brachte man den Wagen so lange nicht weiter, bis man das Herz des heiligen Einsiedlers in der dortigen kleinen Kapelle beigesetzt hatte. Denn gar zu gerne war er früher vor der Kapelle gesessen und hatte von seinem Berge aus auf den blauen See und die schöne Welt hinuntergeträumt.
Die zwei treuen Raben St. Meinrads aber fliegen heute noch im Fähnlein der schwyzerischen Waldleute von Einsiedeln.
Auf den Trümmern der grossen Römerstadt Vindonissa im Aargau, nahe beim heutigen Prophetenstädtchen Brugg, hauste einst ein heiliger Klausner, namens Teutbert. Er war aus dem fernen Schottland übers Meer gekommen und hatte überall fleissig das Christentum predigen und das heidnische Wesen abstellen helfen.
Als er nun alt geworden war, hatte er sich an die friedlichen Gelände der Aare zurückgezogen und auf den Trümmern der alten Heidenstadt ein schlichtes Kapellchen und eine kleine Hütte erbauen lassen. Darin führte er seit langem ein heiliges Leben und gedachte in süssem Gottesfrieden seine sage zu beendigen.
Eines Tages sass er in seiner Klause. Die Abendsonne erleuchtete seine Hütte also schön, dass die kahlen Wände, das harte Lager und der ungehobelte Tisch gar herrlich vergoldet wurden. Es war dem Heiligen, er sitze schon in der Wartstube des Himmels und alle Augenblicke müsste die Türe zum Paradiese aufgehen. Da begann er sein langes Leben zu überschauen. Und als er sah, wie es voll war von Mühsal und Kampf, von Geduld und Entsagung zur Ehre Gottes, wurde ihm wohl wie einer Blume im Sommermorgentau. Er war zufrieden mit sich, denn nun hatte er alle Sünde abgetan, und nichts sollte ihn mehr bewegen können, Gott zu missfallen, und wenn man ihm dafür die Grenzberge des ganzen Aargaus in Gold verwandelte. Und er freute sich in seinem Herzen, dass er die Welt so völlig überwunden und den Sieg über sich für immer davongetragen hatte. Nun durfte er ruhig, ja freudvoll sterben, denn die kleinen pausbackigen Englein würden ja wohl die Geigen frisch stimmen, wenn er durchs offene Himmelstor eintreten, wird. Ei, das wird ein Halleluja werden!
Wie er diesen lieblichen Gedanken noch so ausspann, klopfte es an die Türe der Klause, und jetzt ging sie auf, und ein schönes, rotwangiges Mägdlein trat über die Schwelle. Es schien ein Bauernmägdlein der Umgegend zu sein der Tracht nach, doch war es viel feiner, und er hatte es vordem noch nie gesehen. In der Hand trug es ein irdenes Krüglein.
„Gott zum Gruss, heiliger Vater!“ grüsste das Mägdlein.
„Sei mir gottwillkommen!“ antwortete der Einsiedler. „Was suchst du, Kind, in meiner armen Hütte?“
„Ich möchte bei Euch beichten, heiliger Vater,“ sagte das Mägdlein und senkte in holder Verschämtheit sein blondlockig Köpfchen, also dass es schöner war als ein frohlockender Sonnenstrahl in einem Weihbrunn.
Der heilige Teutbert hob seine Augen und sein Herz zu Gott und hörte an Gottes Statt die Beichte des lieblichen Mägdleins. Sie dauerte nicht lange, denn das Mägdlein wusste nichts Sündigeres zu bekennen, als dass es hie und da die Lust ankomme, die Leute ein bisschen zu necken. Als es der Heilige gesegnet hatte, sagte er freundlich lächelnd: „So geh nun, mein gutes Kind, und lass künftig deine Schelmerei.“
Nun erhob sich das Mägdlein, das bisan vor dem Einsiedler auf den Knieen gelegen hatte, und sagte zum Klausner: „Heiliger Vater, ich hätte Euch wohl gerne eine Gabe mitgebracht, wie es so Brauch ist, da Ihr arm seid und alt, aber ich habe nichts als dies irdene Krüglein, das will ich Euch gerne geben. Vielleicht, dass Ihr’s doch gut brauchen könnt, weil Ihr Euch gewiss schwer tut, wenn Ihr wie bisher das Wasser mit der Hand aus dem Bache schöpfen müsst, der zudem weit weg ist.“
Der Heilige lächelte und sagte gerührt: „Ich danke dir, mein Kind, aber das Krüglein kann ich nicht nehmen, denn zum ersten diene ich den Mitmenschen nicht um Lohn, und zum andern habe ich nun das Wasser dreissig Jahre lang mit der Hand aus dem Bach geschöpft; sie sei mein Becher, bis ich sterben darf.“
Damit tat er dem Mägdlein die Türe auf, und es machte sich still aus der Einsiedelei. Aber als es draussen vor der Hütte stand, stellte es das Krüglein hart an die Türe und verschwand dann im Gestäude.
Der heilige Teutbert aber sass noch ein Weilchen in der Hütte, die ein seltener Wohlgeruch erfüllte, also dass es ihm eine Zeit lang war, er sitze als ein honigsuchendes Bienchen in einem weissen Lilienkelch. Dann aber erhob er sich, um noch ein bisschen vor die Hütte zu gehen und die Abendkühle zu geniessen.
Wie er aber die Türe öffnete, schlug sie auf, und als er über die Schwelle trat, sah er das hübsche Henkelkrüglein vor der Hütte liegen. Es musste lächeln und freute sich des braven Mägdleins, das ihm durchaus sein Krüglein schenken wollte. Und als er’s so besah, fiel es ihm ein, dass er ein alter, bresthafter Mensch sei, und dass es ihm nichts schaden könnte, wenn er die fromme Gabe annehme und das Wasser künftig mit dem Krüglein, statt mit der blossen Hand zu seiner Labung schöpfe. Er sagte also der anmutigen und doch so demütigen Geberin in seinem Herzen Dank und machte sich gemächlichen Schrittes zum Bach. Dort füllte er das Gefäss an und kehrte dann heitern Sinnes, völlig zufrieden mit Gott und der Welt und sich, in seine Klause zurück.
Wie er in der Hütte ankam, stellte er das Krüglein aufs Fenstergesims. Aber kaum hatte er’s abgestellt, fiel es um, und das kühle Wasser, das er sich für die lange Hochsommernacht so bequem in der Nähe zu halten gedachte, floss in der Klause herum. Das bedünkte den alten Einsiedler lustig. Er lachte auf, nahm das Krüglein und machte sich so geschwind, als es ihm seine zitterigen Beine zuliessen, wieder zum Bach zurück, aus dem er’s von neuem füllte. Als er damit nach der Einsiedelei zurückkam, stellte er’s wieder aufs Fensterbrett, und als es wieder umzufallen drohte, nahm er’s flink zu Handen, holte ein paar Steinchen vor der Türe, ging wieder hinein und sagte: „Wenn du hinkst, so sollst du mir nun doch gerade stehen.“ Damit legte er die paar Steinchen aufs Fensergesimse und stellte das Krüglein auf der Seite darauf, wo er glaubte, dass es ein wenig schief sei. Aber kaum war er davon weg, so fiel das Krüglein wieder um, und das Wasser floss aus.
Jetzt wurde er aber ungeduldig. Brummend nahm er’s wieder auf, und da er sah, dass ein schweres Gewitter am Himmel stand, wollte er’s durchaus noch füllen, damit er nicht ins Gewitter hinaus laufen musste, wenn’s ihn in der heissen Nacht dürstete. Er machte sich also schwerfälligen Ganges zum Bach, der ziemlich weit weg war, und als er mit dem Wasser endlich wieder zurückkam, brummte er keuchend: „So, wenn du nicht stehen magst, so sollst du hangen!“ Und so hing er denn das Krüglein an einen Nagel an der Wand. Da blieb es auch ruhig hangen.
Bald legte er sich auf sein hartes Lager im dicht behaarten braunen Gewand und lauschte eine Weile dem Sausen und Brausen des Unwetters zu, das draussen eben losbrach. Mit Freude schlief er ein, denn wenn ihn auch in der Nacht dürften sollte, brauchte er doch nicht aus der Hütte zu gehen, das volle Krüglein hing ja am Nagel an der Wand.
Aber kaum war er eingeschlafen, gab es in der Klause einen Platsch und ein Gegluchz, und um ihn herum war ein Geschwemme, als schliefe er in einem Brunnentrog. Wie er aber um sich tastete, bekam er das Krüglein in die Hand. Es war also doch vom Nagel gefallen. Jetzt wurde er ernstlich zornig. Am liebsten hätte er’s zerschlagen, wenn er nicht gedacht hätte, der alte, rostige Nagel könnte schuld sein, dass das Krüglein bei dem Unwetter, das um die Hütte tobte, abfiel. Obwohl er nun in der schwülen Gewitternacht so fürchterlich zu dürften anfing, als hätte er ein Salzbergwerk im Leibe, wagte er sich doch nicht in das tobende Ungewitter hinaus.
Als aber der Morgen kam, beschaute er erst das Krüglein. Es war noch so ganz wie vorher. Dann blickte er nach dem Nagel, woran es gehangen hatte. Auch der Nagel stak noch fest in der Wand. Jetzt wurde ihm’s seltsam. Er ward unwirsch und böse auf das hinterhältige, tückische Krüglein. „Ich will einmal sehen, ob ich dich nicht zwingen kann,“ sagte er. In seinem grossen Verdrusse, den ihm das Krüglein machte, vergass er das Morgengebet, ja sogar die heilige Messe vergass er zu lesen und ging, so geschwind es ihm sein schwacher Körper gestattete, in den Wald, um Lehm zu holen. Aus diesem knetete er dann einen festen Fuss in seiner Klause. Und als er danach das Krüglein am Bache frisch angefüllt hatte und damit nach seiner Hütte zurückkam, stellte er’s auf den Lehmfuss und presste den weichen Lehm noch ringsum fest. Jetzt stand es endlich aufrecht und redlich da, und getroster werdend, wollte er sich eben auf seine geistlichen Pflichten zurückbesinnen, da hörte er ein Schütteln und Quirlen, und wie er sich umschaute, sah er das Krüglein schon wieder wackeln. Bevor er zuzuspringen vermochte, ging der Lehmfuss auseinander, und es fiel um, das kühle Wasser über seine Hände ergiessend.
Jetzt wurde der Heilige wütend. Er packte das Krüglein und schmetterte es also an die Wand, dass es in hundert Scherben zerstob.
Da wurde auf einmal seine Zelle taghell erleuchtet, und eine sanfte Stimme rief von oben: „O Teutbert, Teutbert! Du hast gemeint, die Hoffart, den Zorn und alle Laster der Welt für immer und ewig von dir abgetan zu haben, du hast gemeint, du könnest nicht mehr fallen, und hast dich in deinem Herzen für vollkommen gehalten. Und nun hast du dich schon um eines Krügleins willen, das nicht stehen kann, versündigt. O Teutbert, O Mensch, o schwacher Mensch!“
Zerknirscht und reueschwer sank der heilige Teutbert in die Kniee. Und als er nach langer Busse zu einem seligen Sterben kam, hatte er endlich das Böseste verlernt, die Hoffart, und das Beste erlernt, die Geduld.
Im Berner Oberland gibt es eine Gegend, das Saanenland, in der es nachts gar nicht geheuer ist. Da ist’s besser, wenn man nicht über Weg sein muss und im Guckauskämmerchen im sichern Laubbett liegen kann. Denn oft geht es draussen vor den Häusern und Stadeln fürchterlich zu mit Donnern, Dröhnen und Krachen, und es braust, heult, schellt und hornt durchs ganze Land. Wer’s aber hört, bekreuzt sich und macht sich unter die Decke, da er wohl weiss, dass das Friesenvolk über Weg ist.
Nämlich in alten Zeiten war vom Meer her ein Friesenvolk, das Hungersnot und Überschwemmungen aus der Heimat vertrieben hatten, in die schönen Täler des Saanenlandes eingezogen. Und da ihm diese grüne Bergwelt gar wohl gefiel, machte es sich darin heimisch. Die grünen Weiden wurden bebaut und die wilden Tiere in die Bergwälder zurückgetrieben.
Aber ihre alte Heimat konnten die Friesen doch nie vergessen bis auf den heutigen Tag. Darum steigt dies tote Volk oft in gewissen Nächten, besonders um die Winter-Sonnenwende, aus seinen Gräbern, schart sich zusammen und kehrt genau auf dem gleichen Wege, auf dem es einst ins Bernerland gezogen war, heim zu den fernen Ufern der grauen Nordsee. Und in der gleichen Nacht kehrt es auch wieder zurück, sobald es das Rauschen und Branden des Meeres vernommen hat, zurück in seine Grabhügel im bernischen Saanenlande.
Wehe aber jenen, die dem toten Friesenvolk seinen gewohnten Weg, von dem es keinen Finger breit abweicht, verlegen wollten! Häuser und Mauern zerfetzen die erzürnten Geister dann wie Garnknäuel und wischen alles aus ihrem Weg, als führen Lawinen vor ihnen her.
Vor vielen, vielen Jahren wurde einstmals dennoch auf einer Alp ein Viehstall aus Unbedachtsamkeit mitten auf den Friesenweg gebaut. Glücklicherweise waren aber durch Zufall seine beiden Türen gerade da angebracht worden, wo der Friesenweg ein- und ausmündete, also dass der unheimliche Geisterweg mitten durch den Stall gehen konnte. Daher liess der Senn vorsichtig alleweil, sobald das Vieh nach dem Melken wieder in die Nacht hinausgelassen worden war, die Türen sperrangelweit offen. So oft dann der Friesenzug durch den Stall brauste, wurde er doch nie verheert, noch geschah einem der mit Grausen auf dem Heulager liegenden Älpler etwas.
Eines Tages gedachte der Senn seine Lieben im Tale wieder einmal aufzusuchen, da er sie fast den ganzen Sommer über nicht mehr gesehen hatte. Er nahm also die Traggabel auf den Rücken und legte einen Buttersack darauf. Bevor er aber ging, rief er den Meisterknecht beiseite und empfahl ihm dringend, er möchte doch ja nie unterlassen, die Türen des Stalles während der Nacht sperroffen zu lassen, damit das tote Friesenvolk seinen Weg ungehindert durch den Stall nehmen könne, wenn es etwa umgehen sollte.
Als aber der Senn davongegangen und zu Tal gestiegen war, teilte der Meisterknecht den andern Knechten die Warnung des Sennen mit, und da hatten sie zusammen ein grosses Gelächter und verspotteten die Einfalt ihres Herrn. Sie trieben es so weit, dass sie übereinkamen, den Friesenweg zu versperren und daher die beiden Stalltüren zu schliessen. Gedacht, getan. Sie verriegelten beide Türen fest und legten sich danach lachend auf ihr Wildiheulager.
Draussen aber begann es zu winden, erst nur schwach und dann immer stärker, doch sie beachteten es nicht und schliefen ein.
Sie mochten noch nicht lange geschlafen haben, als sie auf einmal ein seltsames Murren wie fernes Donnern aufweckte. Erst glaubten sie an ein heraufziehendes Gewitter, aber durch die Spalten des Gadens schimmerten die Sterne. Und jetzt ward das Murren und Knurren stärker und ward daraus ein unheimliches Rauschen und Rollen. Und nun war es ihnen, sie vernehmen das Getute mächtiger Hörner, Pferdegewieher und Hundegebell und dröhnendes Waffenklirren.
Erschrocken richteten sie sich auf und lauschten. Deutlich hörten sie’s nun dahertraben und etwas wie ein unablässiges Peitschenknallen war ums Dach. Und jetzt fuhr’s an die Türe wie ein furchtbarer. Donnerschlag, von dem der Stall erbebte, und eine Stimme erscholl in der Nacht draussen: „Tüet uf die Tür, wan d’s Friesenvolch wott grad derdür!“ 1
Zu Tode erschrocken kauerten die Knechte auf ihren Heulagern. Aber keiner wagte es, den versperrten Weg freizumachen und die Türe zu öffnen.
Da gab es einen fürchterlichen Krach. Das ganze Stalldach samt den zentnerschweren Dachsteinen wurde emporgehoben, also dass die entsetzten Knechte eine Weile den Sternenhimmel über sich sahen. Doch legte sich das schwere Dach langsam wieder auf den Stall zurück.
Jetzt merkte der Meisterknecht mit Schrecken, dass es ihnen allen bös ergehen möchte, wenn die Türe nicht aufgetan würde. Und da er wohl wusste, dass sein Übermut und sein Ungehorsam die Hauptschuld an dem wilden Toben des Totenvolkes hatten, rief er hinunter in den düstern Stall: „In Gottesnamen tu’ ich auf!“ Zitternd machte er sich vom Wildiheu in den Stall hinab und tat dort die beiden Türen auf, soweit er nur konnte. Dann stellte er sich bebend, halbtot vor Angst, neben den Türeingang.
Kaum war der Durchgang offen, so gingen seltsame Männergestalten an ihm vorüber, die ihn alle um Haupteslänge überragten, und wünschten ihm freundlich guten Abend. Dann aber rauschte schnell wie ein Sturmwind ein ganzes Heervolk an ihm vorbei. Die Krieger waren in flatternde Stierfelle gekleidet, deren Hörner über die flachsfarbenen Locken der Männer drohend hinwegschauten. Auf der Schulter trugen sie lange Speere oder gewaltige Streitäxte, und an ihren Gürteln hingen breite Schwerter. An dem einen Arm aber hatten sie einen riesigen Schild. Kaum waren sie vorbei, so erschienen Reiter, die ihre wildschnaubenden Rosse kaum zu bändigen vermochten. In den geflügelten Helmen der Reiter spiegelten sich die Sterne. Wie der Sturmwind rasten sie durch den Stall. Ihnen folgte noch einmal Fussvolk, und nun rollten donnernd und mit Windesschnelle gewaltige Karren daher, in denen Weiber und Kinder mit goldblonden Haaren sassen. Flinke Jungen und zottige Hunde jagten neben ihnen her. Dann kamen wieder Krieger, und lange, lange ging es so fort und wollte kein Ende nehmen.
Mit Entsetzen und zitternd starrte der Meisterknecht auf den unendlichen Friesenzug. Das Lachen war ihm und den oben schreckensbleich lauschenden Knechten schon lange vergangen. Er konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Und als endlich der ungeheuere Zug ein Ende nahm, glühten auch die windumbrausten Zinnen der Schneeberge auf, und es ward Tag.
Da schlich sich der Meisterknecht fröstelnd und schlotternd durch den Stall, stieg wieder aufs Heulager hinauf, wo die Knechte seiner voll Angst harrten. Dort legte er sich hin und erzählte mit tiefer Stimme, was er gesehen. Danach redete er kein Wort mehr. Am Abend war er eine Leiche.
Der hochberühmte Kaiser Karl, der Mehrer des Deutschen Reichs und der gewaltige Feind des Heidentums, kam auch oft über den Rhein in die schweizerischen Vorlande, besonders nach dem weitbekannten Kloster St. Gallen geritten. Oft hatte er da mit den Klosterschülern seine Kurzweil.
Im Kloster lebte damals ein Mönch namens Tanko, der sehr geschickt war. Er soll der erste Glockengiesser des Deutschen Reiches gewesen sein. Ihn beauftragte nun der Kaiser Karl, er möchte für das Kloster eine Glocke giessen. Als nun der geschickte Meister die Glocke fertig hatte, liess er sie unter dem Dach neben der Kirche aufhängen. Da kam bald danach der Kaiser wieder in den Thurgau. Und als er nun eines Tages in die hochgelegene, schöne Stadt St. Gallen einritt, begrüsste ihn von der Klosterkirche her das Läuten der ersten Glocke.
Da freute sich der Kaiser sehr, denn die Glocke klang wie eine Orgel. In seiner Freude schenkte er dem Meister Tanko einen ganzen Zentner Silber, damit er eine Glocke von noch feinerem Klang giesse.
Aber obwohl nun der Mönch gar geschickt war, so war er doch nicht so gottesfürchtig wie seine Mitbrüder. Er behielt das Silber für sich und nahm nur Zinn und Kupfer für den Glockenguss. Als er nun die neue Glocke im Kloster neben der Kirche aufhängen liess, fiel der schwere Klöppel herab und erschlug den frevelhaften Meister auf der Stelle. —
Nun will ich aber ein Stücklein von der Gerechtigkeitsliebe Kaiser Karls erzählen.
Nämlich Kaiser Karl kam auch auf seinen Umzügen durch sein weites Reich in den Zürichgau und nach Zürich. Da hielt er in dem Haus zum Loch neben dem Grossmünster, von dem heute noch sein Steinbild auf die Stadt herabschaut, Hof und sprach Recht. Denn er hatte auf der Stelle, wo die Märtyrer Felix und Regula hingerichtet worden waren, eine Säule aufrichten lassen. An dieser hing ein Glöcklein, das jedermann ziehen durfte, der sich zu beklagen hatte, wenn der Kaiser bei Tische sass.
Eines Tages nun, als Kaiser Karl wieder frohgemut im Hause zum Loch Tafel hielt, hörte er das Klageglöcklein läuten. Er schickte einen Kriegsknecht hin, nachzuschauen, wer von ihm einen Rechtsspruch begehre. Aber der Kriegsknecht kam mit der Meldung zurück, dass niemand an der Säule beim Glöcklein zu sehen sei. Da ertönte das Glöcklein wieder und wieder. Jetzt ward es dem hohen Herrn unheimlich. Er befahl dem Kriegsknecht, sich in Hinterhalt zu legen und genau acht zu geben, was denn bei der Säule los sei. Der tat also, und da erblickte er zu seiner Verwunderung eine Schlange, die sich um das Glockenseil wand und es also läutete. Er meldete es sogleich seinem Herrn.
Jetzt erhob sich Kaiser Karl und machte sich mit mächtigen Schritten zu der Glockensäule. Da fand er die Schlange. Diese aber verneigte sich tief vor ihm und raschelte dann vor ihm her. Der Kaiser folgte ihr, und so führte sie ihn zum Ausfluss des Sees, wo sie im Schilf der Limmat ihr Nest hatte. Verwundert sah der Kaiser darin auf den Eiern der Schlange eine gewaltige Kröte kauern. Da befahl er, die scheussliche Kröte wegzunehmen, und da sie fremdes Eigentum und Leben hatte rauben wollen, verurteilte er sie zum Feuertode.
Einige Zeit nach diesem Rechtsspruch sass Kaiser Karl wieder im Hause zum Loch am Tische.
Da ging auf einmal die Türe wie von selbst auf. Der Kaiser und seine Gäste erschraken und dachten an Zauberei. Aber jetzt kroch die Schlange über die Schwelle. Sie kroch zum Kaiser heran, wand sich am Tischbein herauf auf den Tisch, stiess den Deckel am goldenen Becher des Kaisers auf und liess darein einen funkelnden Edelstein fallen, also dass man’s im Saale wie ein feines Läuten hörte. Dann verschwand sie und wurde nie mehr gesehen.
Karl aber, der dafür hielt, dass der Himmel seinen Sinn besonders habe prüfen wollen, liess über der Stelle, wo er der Schlange Nest gefunden, eine Kirche bauen, die das Volk die Wasserkirche nannte. Sie steht heute noch. Den Edelstein aber schenkte er seiner Gemahlin, die ihn zeitlebens in einer goldenen Kapsel auf dem Herzen trug.
Auf der Surenenalp, die das Land Uri und das obwaldnerische Tal von Engelberg trennt, lebte einst ein blutjunger Schafhirte namens Urs im Ried. Die weite Alp gehörte dem Kloster Engelberg und trug ihm gar fette Einkünfte in goldgelber Butter und weissem Zieger ein. Zuweilen schlachtete der junge Schäfer ein Schaf und trug sein Fell ins Urserntal, wo er allerlei Sachen dagegen eintauschte.
Eines Tages, als er auch wieder dort war, zogen aus dem Welschland seltsame dunkelhaarige Männer durch das Hochtal. Sie trieben auserlesen schöne, hellhaarige Schafe vor sich her, wie sie der Hirtenbub noch nie gesehen hatte. Besonders ein kleines, schneetaubenweisses Lämmlein gefiel ihm also, dass er nicht mehr davon wegkam und die fremden Hirten flehentlich bat, sie möchten ihm doch das schöne Lamm schenken. Erst wollten sie nichts davon wissen. Aber endlich sagte ihm ihr Meister, er solle das Lämmlein haben, wenn er aufkniee und einen Rosenkranz bete. Willig tat er’s. Und danach überliess man ihm das weisse Lamm, und lachend gingen die welschen Hirten davon.
Urs im Ried aber, der junge Schäfer, kehrte im Flug nach der Surenenalp zurück mit seinem Lämmlein und wusste sich vor Freude über das schöne Schaf fast nicht zu fassen. Es musste immer um ihn sein, mit ihm essen und bei ihm schlafen. Er trieb es so weit mit seiner Abgötterei, dass er beschloss, das weisse Lämmlein zu taufen. Heimlich machte er sich über die Surenenecke nach Attinghausen ins Urnerland hinunter. Dort schlich er sich in die Kirche, erbrach den Taufstein und schöpfte Taufwasser daraus. Und heimlich machte er sich wieder auf die Alp zurück. Dort taufte er das vergötterte Tier nach christlichem Brauch.
Da war es, als ginge die Welt unter. Über die Berge herein kam es kohlenschwarz. Ungeheuerliche Wolkengestalten mit Köpfen und Armen jagten am Himmel hin, und dann begann es zu donnern, und ein Unwetter kam, davon die Erde erbebte. Ein Blitz schlug wie ein Riesenhammer in die Hütte, sie zerschmetternd. Als aber der junge Hirt, an nichts denkend als an sein weisses Lämmlein, sich ängstlich nach diesem umsah, um es zu retten, stand statt dessen ein entsetzliches schwarzes Ungeheuer in den Alpenrosen.
Zu Tode erschrocken wollte er davonhasten, aber das Ungeheuer stürzte ihm nach, und im Hui war er zerfetzt und zerrissen.
Von da ab war es nicht mehr geheuer auf der Alp. Menschen und Vieh schlug das grause Ungetüm, das die Hirten der Surenenalp das Greiss nannten. Nach und nach wollte kein Engelberger Äpler mehr auf der Alp sömmern, und sie wurde auch immer unfruchtbarer, also dass das Gotteshaus Engelberg sie den Urnern um einen Spottpreis verkaufte. Doch sie hatten auch nicht viel davon, denn auch sie schädigte das fürchterliche Greiss an Menschen und Vieh.
Da kam einmal ein Fahrender Schüler nach Altorf unter dem Bannwald. Der anerbot sich, den Urnern zur Erlösung der Alp von dem fürchterlichen Greiss einen guten Rat zu geben, wenn sie ihm den Geldbeutel mit Kronen füllen und ihm den Becher siebenmal mit dickrotem Welschwein ausebnen wollten. Als sie’s nun getan hatten, riet er ihnen, sie möchten ein silberweisses Stierkalb aufziehen und es neun Jahre lang mit reiner Milch tränken, und zwar das erste Jahr mit der Milch von einer, das zweite Jahr mit der Milch von zwei Kühen und so weiter bis auf neun. Dann sollten sie den erwachsenen Stier durch eine reine Jungfrau zu der Alp führen lassen, in der das Greiss umgebe.
Alles wurde so ausgeführt. Wie nun die neun Jahre um waren, bot sich Agnes, die Tochter des Freiherrn von Attinghausen, an, die Erlösung der Alp zu vollbringen. Und also zog sie eines Tages mutterseelenallein, weissgekleidet und bräutlich geschmückt, auf die Surenenalp. An einem seidenen Schnürchen aber, das in einem Nasenring hing, führte sie den silberweissen Stier hinter sich her, der ihr willig folgte.
Wie nun die Jungfrau um Sie Surenenecke bog, erhob sich ein schreckliches Gewitter. Der Sturmwind pfiff und schnob daher, als wollte er alle Berge über den Haufen stossen; schwarze Donnerwolken machten den Tag zur Nacht, und ganze Garben von Blitzen machten sie wieder zum Tag. Aber auf einmal war ein seltsames Brüllen in der Alp, und jetzt hüllten die daherfahrenden Wolken alles ein.
Als sich die Urner nach langem, bangem Warten unten zu Attinghausen endlich auf die Alp getrauten, da es droben still geworden zu sein schien, fanden sie auf den Alpenweiden ein unförmlich, schrecklich zugerichtetes Ungeheuer: es war das tote Greiss. Aber nicht weit daneben lag auch der siegreiche silberweisse Stier tot in seinem Blute. Doch entsprang unter ihm eine reiche Quelle, die man von da ab Stierenbach nannte. Schon wollte man in Jubel ausbrechen, da fragte einer nach Agnes, der Jungfrau von Attinghausen. Doch nirgends war sie zu finden, und wie man auch die Alp absuchte, sie blieb für immer verschwunden.
Da waren die Urner sehr unglücklich. Konnte auch das Greiss ihr Vieh nicht mehr schlagen, so hatten sie die Erlösung der Alp mit dem Leben der Jungfrau doch teuer bezahlt. Also hielten sie eine feierliche Landsgemeinde zu Altorf ab und beschlossen, den Kopf des siegreichen Stieres mit dem Nasenring in ihr Landeswappen aufzunehmen, das nachmals der Schrecken ihrer Feinde wurde.
Die Jungfrau von Attinghausen aber nahmen sie auf ewige Zeiten in ihre Herzen auf.
Zur Zeit der Kreuzzüge, als viele Ritter und Kriegsknechte ins heilige Land gezogen waren, um das heilige Grab Christi den Ungläubigen zu entreissen, war auch ein Ritter aus der Stadt Schaffhausen, wo die schöne Erkerstrasse steht, mit ihnen über das Meer gefahren.
Schon lange Jahre war er aus der Heimat fort und dachte mit Schmerzen seiner lieben Frau, die er auf der stolzen Burg ob der Stadt, wo jetzt der Munot steht, zurückgelassen hatte. Und je mehr er ihrer und der schönen Heimat und der trauten Stadt am Rheinfall gedachte, desto schwerer wurde ihm zumute. Wie nun im heiligen Lande die Waffen eine Zeitlang ruhten, übernahm ihn das Heimweh völlig. Er liess sein Pferd satteln und zog mit seinen Kriegsknechten aus dem Lande Palästina fort, um heimzukehren.
Eine unendlich lange Zeit hatte er, bis er durch aller Herren Länder in die heimatlichen Gaue gelangte. Aber endlich sah er hie und da schon seine hochgelegene Burg aus den Hügeln auftauchen, und obwohl er noch weit von der Stadt Schaffhausen weg war, meinte er doch schon den Rheinfall rauschen und brausen zu hören. Das widerklang wie Musik in seinem Herzen. Er spornte sein Pferd und ritt, so rasch es sich bei den damaligen schlechten Prügelwegen tun liess, der Stadt am Rheine zu. Es ging schon der Nacht zu. Noch einmal sah er von weitem die Burg aufleuchten in der blutrot hinter dräuenden Wolkenbergen verschwindenden Sonne.
Dann geriet er wieder in düstere Wälder.
Noch nicht lange war er mit seinen Reisigen darin geritten, so donnerte es ob dem Walde. Und unversehens brach ein fürchterliches Gewitter los. Schnaubend und gluchzend fuhr ein Sturmwind durch die Bäume, und dann begann es aus allen Himmeln wie mit Eimern zu schütten. Und es wollte nimmer nachlassen. Die Bäume boten bald keinen Schuss mehr. Sie wurden selber zu Regentraufen, und mit Ach und Krach, nass wie Wasserschnecken, brachen der Ritter und seine Kriegsknechte durch das fürchterliche Dickicht, in das sie sich verirrt hatten, denn mittlerweile war es stockfinstere Nacht geworden. Wohl leuchteten ab und zu grelle Blitze ins Waldesdüster, aber die Verirrten konnten den rechten Weg gleichwohl nicht wiederfinden. Wie sie auch riefen, niemand antwortete ihnen, denn nun setzte der Sturmwind wieder ein, der die triefenden Bäume schüttelte und ihre krausen Wipfel also wild kämmte, dass die Zweige von den Ästen gingen.
Da machte der Ritter mit seinen Leuten ratlos Halt, denn er wusste nicht mehr, wo aus noch ein. Er hatte keine Ahnung, wo die Stadt Schaffhausen, wo seine Burgfeste stehen könnte. Wenn doch nur ein Hornruf oder ein Glockenklang von der hochgelegenen Burg in die Wildnis dringen würde, in der sie immer im Kreise herumzugehen schienen. Aber wie sollte der Türmer auf dem Schloss ins Horn stossen, da er keine Ahnung hatte, dass sein Herr, den er weit über dem Meer im heiligen Land glaubte, so nahe sei.
Jetzt aber begann es zu stürmen und zu wettern, fürchterlicher als je. Krachend fuhren die Blitze in die Bäume, und es wurde so finster, dass die Kriegsknechte ihrem Herrn hart auf dem Fusse folgen mussten, wollten sie ihn nicht verlieren.
Da hörte auf einmal der Wald auf. Jauchzend gab der Ritter seinem Pferd die Sporen. Es bäumte sich hoch auf und wollte nicht vorwärts. Er spornte es heftiger. Hoch auf sprang es nun. In diesem Augenblicke erleuchtete ein flammender Blitzstrahl die Gegend taghell, und mit Entsetzen gewahrte der Kreuzritter noch, dass er mit seinem Ross in die Fluten eines still, aber reissend dahingleitenden Baches hineinsprang. Er wollte aufschreien und das Pferd zurückreissen, da packten ihn schon die Wildwasser, und es versanken Reiter und Ross. Seine Knechte aber, die den hochgehenden Bach nicht gesehen hatten, fielen nun einer nach dem andern in die trübe Flut und ertranken. Nur der letzte wurde von den Wellen ans andere Ufer gerissen, wo er sich an einer Staude zu halten und aufs Bord zu ziehen vermochte. Jetzt wurde die Gegend wieder vom Blitze erhellt, und nun erkannte der gerettete Kriegsknecht, dass er sich am wilden Bach im Mühletal befand. Aber wie er auch Ausschau nach seinem Herrn und seinen Kriegsgefährten hielt, er sah nichts mehr von ihnen, und auf all sein Rufen antwortete nur das Brausen des Sturmwindes, der Donner des sich rasch verziehenden Gewitters.
Eine Weile noch wartete der Knecht. Doch als alles totenstill blieb, packte ihn ein Grausen. Er machte sich, so schnell er vermochte, auf den Weg nach dem Schlosse auf, der weithinsehenden Anhöhe, denn nun erkannte er, dass sie sich schon ganz nahe bei der Stadt Schaffhausen, ihrem heiss und lang ersehnten Ziele, befunden hatten, ohne dass sie’s gewahr worden waren. Dort wurde er gleich in die Burg eingelassen, und er berichtete der voll Jammer aufschreienden Burgfrau noch in der Nacht, welch schreckliches Unglück ihren Gatten betroffen hatte.
Am andern Morgen brachten ihre Hörigen, die die ganze Nacht den Bach abgesucht hatten, ihren Gemahl und die andern ertrunkenen Knechte ins Schloss, wo sie aufgebahrt und danach feierlich beerdigt wurden. Der Schmerz der Edelfrau war grenzenlos. Jahrelang hatte sie sich in Sehnsucht nach ihrem geliebten Ritter verzehrt, und nun er endlich unversehens kam und ihr die höchste Freude ihres Lebens geworden wäre, wurde ihr das grösste Leid. Und er war doch so nahe schon ihrer Burg, so nahe ihrem Herzen, er, den sie unendlich weit weg glaubte. Hätte sie doch eine Ahnung gehabt, sie hätte ihre Burgkatze, ein unförmliches Geschütz, Tag und Nacht abfeuern lassen, und der Turmwart hätte sich an seinem Horn schier tot blasen müssen. So hart vor seinem Hause musste ihr geliebter Mann sterben. Sie war kaum zu trösten.
Als aber ihr Kreuzritter und seine treuen Kriegsknechte im Grabe lagen, liess die Edelfrau ein silbernes Glöcklein giessen. Und von dem Tage an, da man’s im hohen Wendelstein ihrer Burg aufhing, musste es alle Nacht um neun Uhr geläutet werden, denn um neun Uhr war der Ritter ertrunken.