Schwert und Krone - Der junge Falke - Sabine Ebert - E-Book
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Schwert und Krone - Der junge Falke E-Book

Sabine Ebert

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Beschreibung

Das große Friedrich-Barbarossa-Epos von der Bestseller-Autorin Sabine Ebert geht weiter! Der zweite Band der großen Mittelalter-Saga jetzt im Taschenbuch Sommer 1147. Gegen den Willen seines Vaters reitet der junge Friedrich von Schwaben, der als Barbarossa in die Geschichte eingehen wird, mit den Kreuzfahrern ins Heilige Land – während die Fürsten von Meißen, Sachsen und Anhalt die benachbarten Slawenstämme bekriegen. Die zurückgelassenen Frauen aber müssen sich allein gegen Hungersnot und Angreifer behaupten. Schwerkrank kehrt der alte König mit wenigen Überlebenden in sein zerstrittenes Reich zurück. Als er stirbt, kommt für den jungen Friedrich die Stunde der Entscheidung. Hilft er seinem minderjährigen Cousin auf den Thron - oder greift er selbst nach der Krone? Die Fortsetzung des Bestsellers "Schwert und Krone. Meister der Täuschung."

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Seitenzahl: 850

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Sabine Ebert

Schwert und Krone – Der junge Falke

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Das große Friedrich-Barbarossa-Epos von der Bestseller-Autorin Sabine Ebert geht weiter! Band 2 der großen Mittelalter-Saga

Anfang 1147 sorgen Hungersnot und Weltuntergangspropheten in deutschen Landen für Verzweiflung. Fast alle großen Adelshäuser rüsten für zwei Kreuzzüge. Unter König Konrad wollen Zehntausende ins Heilige Land, während die östlichen Fürsten planen, mit ihrem »Wendenkreuzzug« slawische Gebiete an Elbe, Havel und Küste zu erobern. Bevor sie aufbrechen, werden strategische Ehen geschlossen. Friedrich von Staufen, der Neffe des Königs und künftige Barbarossa, heiratet die von ihm ungeliebte Adela von Vohburg, der Meißner Markgrafensohn Dietrich eine gefühlskalte polnische Herzogstochter. Fast alle Männer ziehen in den Krieg – und die Frauen müssen allein mit Hungersnot, Missernten und Angriffen fertig werden.

Auf dem Weg ins Heilige Land macht sich der junge Friedrich einen Namen als militärischer Anführer. Doch der Kreuzzug scheitert katastrophal. Nur wenige kehren heim. Zu den Heimkehrenden gehört der schwer erkrankte König Konrad von Staufen. Die nie erloschenen Machtkämpfe entflammen von neuem. Konrad stirbt wenige Tage vor der Wahl und Krönung seines erst achtjährigen Sohnes zum Mitregenten.

Das ist der Moment, in dem Friedrich von Staufen entschlossen nach der Krone greift. Er will das Reich umgestalten – und eine neue Frau, eine bessere Partie als Adela.

Inhaltsübersicht

Karte: Mitteleuropa 1147Karte: Der Wendenkreuzzug 1147Karte: Byzantinisches ReichDramatis PersonaeHistorisch belegte Personen der Handlung:StauferWelfenAskanierWettinerLudowingerSlawenGeistlichkeitByzantinisches ReichFrankreichDänemarkPolenWichtige fiktive Personen:MottoErster TeilBitterer WinterWeltuntergangspredigerDer junge König»Tötet sie! Vernichtet sie! Rottet sie aus!«HochzeitsvorbereitungenTod in AlzeyHeikle GesprächeSlawische StrategienDer Fürst von Brandenburg und SpandauAn der HochzeitstafelÜber verschiedene Arten, Abschied zu nehmenZu Hause wartet der TodBlutzollZweiter TeilEröffnungsangriffSchlechte Neuigkeiten, gute NeuigkeitenZwischen beiden HeerenStandesfragenKalte WutFlammender ZornSumpfgeisterBedingungenIn den Gärten von ByzanzDie Sorgen des KaisersVorschläge und RatschlägeVorwände und EinwändeDoryläumEin König von zehn JahrenSchreckensstarrDiplomatieDie Last der EinsamkeitFamilienangelegenheitenKönigliche OrderNachbebenWider jegliche VernunftVersöhnung in KonstantinopelUngewissheitDie offizielle VersionIm WitwenstandJunges GlückGetrennte WegeBittere BilanzDritter TeilWeiße Nacht»Vernunft ist ein hässliches altes Weib«Das VersprechenÜberraschender BesuchKönigliche RückkehrSiege, Kriege und ein tragischer VerlustEin Monolog über die MachtVerfolgungsjagd im SchneeFriedensschluss und KampfansageVerzögerter TodesfallEin eiliger RittFreud und LeidKriegs- und andere PläneDer lange Ritt nach BraunschweigPläne, Träume und VersprechenGespräch am SterbebettWenn ein König stirbtDie KrönungNachwort und DankStammtafelnDie Welfen und die StauferDie Komnenen – Der Kaiser von ByzanzDie Piasten – Die Herzöge und Könige von PolenDie slawischen Fürsten – Macht und Mord zwischen Elbe und OderDie Grafen von HolsteinDie WettinerDie AskanierDie LudowingerDie ZähringerGlossarStädtenamenWeiterführende Fachliteratur für Interessierte (kleine Auswahl)ZeittafelLeseprobe »Schwert und Krone. Herz aus Stein«
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Mitteleuropa 1147

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Der Wendenkreuzzug 1147

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Byzantinisches Reich und angrenzende Länder

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Dramatis Personae

Historisch belegte Personen der Handlung:

Staufer

Konrad, einst Gegenkönig, dann römisch-deutscher König als Konrad III.

Heinrich-Berengar, sein ältester Sohn, zehnjährig zum König und Mitregenten gewählt

Friedrich, sein jüngerer Sohn (später Friedrich von Rothenburg)

Friedrich II. von Staufen, Herzog von Schwaben (der Einäugige), Konrads älterer Bruder und einst Thronanwärter

Agnes von Saarbrücken, seine zweite Gemahlin

Friedrich III., sein Sohn aus erster Ehe mit der Welfin Judith (später als römisch-deutscher König und Kaiser: Friedrich I. Barbarossa)

Adela von Vohburg, seine erste Gemahlin

 

Weltliche Verbündete:

Heinrich von Babenberg, genannt Jasomirgott, Konrads Halbbruder, Herzog von Bayern und Markgraf von Österreich (später Herzog von Österreich)

Markwart von Grumbach, Vertrauter Konrads

Graf Ulrich von Lenzburg

Graf Bernhard von Plötzkau

Kunigunde, seine Gemahlin

Graf Sizzo von Schwarzburg-Käfernburg

Burggraf Gottfried von Vohburg, Burggraf in Nürnberg und Verwandter Adelas

Welfen

Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen

Clementia von Zähringen, seine erste Gemahlin

Welf VI., jüngerer Bruder des 1139 verstorbenen Thronanwärters Heinrich der Stolze, Oheim und Ratgeber Heinrichs des Löwen

Uta von Calw und Schauenburg, seine Gemahlin

Welf VII., sein Sohn

 

Weltliche Verbündete:

Herzog Konrad I. von Zähringen

Graf Adolf II. von Schauenburg, Holstein und Stormarn

Graf Heinrich von Weida, Ratgeber Heinrichs des Löwen

Graf Hermann von Lüchow, Ratgeber Heinrichs des Löwen

Askanier

Albrecht von Ballenstedt, Markgraf der Nordmark, Graf von Ballenstedt, ehemals Herzog von Sachsen (später Markgraf von Brandenburg), genannt Albrecht der Bär

Sophia von Winzenburg, seine Gemahlin

Otto, Hermann, Adalbert, Dietrich, Siegfried, Heinrich und Bernhard – beider Söhne

Hedwig, beider Tochter

 

Weltliche Verbündete:

Graf Otto von Hillersleben, engster Gefolgsmann Albrechts

Graf Hermann von Winzenburg, Sophias Bruder

Wettiner

Konrad von Wettin, Markgraf von Meißen und der Lausitz (später Konrad der Große)

Otto, beider ältester Sohn (später Markgraf Otto der Reiche)

Dietrich, ihr zweitältester Sohn (später Markgraf Dietrich von Landsberg)

Dobroniega, seine Gemahlin, Schwester der Herzöge von Polen

Dedo, Heinrich, Friedrich – weitere Söhne

Oda, Bertha, Gertrud, Adela, Agnes, Sophia – seine Töchter

Gräfin Mathilde von Seeburg, seine Schwester

Graf Konrad von Seeburg, Mathildes ältester Sohn

Werner von Brehna, Konrads Marschall

Radebot von Meißen, Ministerialer

Ludowinger

Landgraf Ludwig der Eiserne

Judith, Tochter Herzog Friedrichs II. von Schwaben, seine Gemahlin (später Jutta Claricia von Thüringen)

Slawen

Niklot, Fürst der Abodriten

Pribislaw und Wertislaw, seine beiden ältesten Söhne

Pribislaw, genannt Heinrich, Fürst (ehemals König) über Brandenburg und Spandau

Petrissa, seine Frau

Jacza, sein Neffe, Fürst von Köpenick

Agatha, seine Gemahlin, Tochter des Grafen von Breslau Peter Wlast

Geistlichkeit

Albero von Montreuil, Erzbischof von Trier

Otto, Bischof von Freising, Halbbruder Konrads von Staufen

Abt Wibald von Stablo und Corvey, Leiter der königlichen Kanzlei, Benediktiner

Heinrich, Erzbischof von Mainz und Reichsverweser

Anselm, Bischof von Havelberg

Arnold, Dompropst von Köln, Kanzler (später Erzbischof von Köln)

Bernhard von Clairvaux, Abt von Clairvaux und Kreuzzugsprediger, Zisterzienser

Udo, Bischof von Naumburg

Eberhard, Bischof von Bamberg

Wichmann, erst Dompropst, dann Bischof von Naumburg (später Erzbischof von Magdeburg), Sohn Mathildes von Seeburg und Neffe des Markgrafen von Meißen und der Lausitz

Rahewin, Schreiber Ottos von Freising

Helmold, Chronist (später Helmold von Bosau)

Byzantinisches Reich

Manuel I. Komnenos, Kaiser

Irene, seine Kaiserin, unter dem Namen Bertha von Sulzbach erst Schwägerin, dann Adoptivtochter Konrads III.

Theodora, Manuels Nichte und Braut von Heinrich Jasomirgott

Prosuch, Oberbefehlshaber der Truppen, die im Auftrag Manuels die einheimische Bevölkerung vor den Kreuzfahrerheeren beschützen sollten

Graf Alexander von Gravina und

Demetrius Macrembolites, als Gesandte und Diplomaten in Manuels Diensten

Frankreich

Ludwig VII., König

Odo von Deuil, Benediktiner, sein Ratgeber und Beichtvater, Vertrauter des Abtes Suger und Chronist (später Abt von Saint-Denis)

Dänemark

Sven, Sohn des Königs von Dänemark (später Sven III., Sven Grathe)

Knut Magnusson, mit Sven Mitbewerber um den Thron

Polen

Herzog Bolislaw VI. (genannt Kraushaar)

Herzog Mieszko III. (genannt der Alte), sein Bruder

Wladislaw II. (genannt der Vertriebene), beider ältester Bruder, Schwager König Konrads, nach Versuch der Entmachtung seiner Brüder im Exil in Altenburg

Wichtige fiktive Personen:

Ulrich von Lauterstein, Vertrauter des Königs

Christian, Page am Hof des Markgrafen von Meißen und Sohn des hingerichteten Spielmanns Lukian

Hanka, seine Mutter

Josefa, Heilerin in Meißen, genannt »die alte Muhme«

Helmhold von Steinau, Burgkommandant von Plötzkau

Hugo von Rottfels, Ritter in Diensten des Grafen von Plötzkau

Isa, seine Frau

Roland von Weißbach, Ritter in Diensten des Grafen von Plötzkau

Judith, seine Frau

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Macht beruht nicht nur auf Schwertern und Gold, auf erlauchten Namen und Titeln.

Vor allem beruht sie auf Lügen, Intrigen und Verblendung, auf dem unbedingten Willen der Mächtigen, ihre Herrschaft um jeden Preis zu wahren und zu mehren. Dafür schließen selbst Todfeinde Zweckbündnisse.

Das Volk, das mit Schweiß und Blut und Tod die Rechnung zahlt, ahnt nichts von dem geheimen Schacher. Es sieht nur die goldglänzenden Insignien oder die blutigen Werkzeuge. Ihm wurde gepredigt, sich gehorsam zu fügen. Je mehr Angst man ihm einflößt, umso williger wird es gehorchen – und leiden.

Gibt es noch Hoffnung?

Ist Vernunft eine Option, wenn schon Liebe als wertlos erachtet wird?

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Erster Teil

Allein gelassen

   

Bitterer Winter

Kunigunde und Bernhard von Plötzkau; Burg Plötzkau, Ende Februar 1147

Ungeduldig starrte die junge Burgherrin ihrem Gemahl nach, der mit zwei Dutzend Begleitern und einer kläffenden Hundemeute durch das Tor ritt, um in den Wäldern zu jagen. Schneematsch spritzte unter den Hufen der Pferde auf, die Hunde rannten lärmend um die Wette.

Im Dorf unterhalb der Burg gab es längst keine Hunde mehr. Nach zwei Missernten in Folge waren sie alle geschlachtet und gegessen worden. Ebenso die Katzen, die Ratten und jegliches Getier, das die Dorfbewohner heimlich in den Sümpfen fangen konnten.

Nun lebten die Kätner von bitterem Eichelmehl. Viele waren in diesem Winter gestorben, vor allem Kinder, von Schwangerschaften ausgezehrte Frauen und Alte. Keiner konnte beerdigt werden, weil der Boden gefroren war. Die kältestarren Leichname lagen übereinandergestapelt im hintersten Winkel des Totenackers.

»Beten wir, dass Graf Bernhard und seine Begleiter mit reichlich Beute heimkehren«, sagte Gunda zu den drei jungen Edeldamen, die mit ihr die Jagdgesellschaft verabschiedet hatten.

Das Wild brauchten sie nicht nur, damit in den nächsten Tagen Fleisch auf die Tafel kam, sondern auch, um Vorräte anzulegen. Bald würde ihr Gemahl mit fast allen Männern seiner Grafschaft auf den Kreuzzug ins Heilige Land reiten und sie selbst hier zurücklassen: mit zu wenigen Kämpfern, um die im Ort Verbliebenen zu beschützen, ohne einen Pfennig Silber, fast ohne Saatgut. Aus Mangel an Männern und Zugochsen würden sich die Bauersfrauen vor den Pflug spannen müssen.

Agnes, Judith und die kleine Isa, die jungen Gemahlinnen von Plötzkauer Rittern, die sie auf den Hof begleitet hatten, murmelten Zustimmung und traten frierend von einem Bein auf das andere. Dieser Februar war von einer nassen Kälte, die einem tief in die Knochen fuhr. Und der Aufbruch zur Jagd hatte sich wie immer hingezogen.

»Kommt, wir haben zu tun!«, rief Gunda – oder Gräfin Kunigunde von Plötzkau, so ihr voller Rang und Name – den Begleiterinnen zu.

Entschlossen drehte sie sich auf der Ferse, sobald die Reiter ihren Blicken entschwunden waren. Der Graf würde sicher erst kurz vor Einbruch der Dämmerung zurückkommen. Bis dahin blieb genug Zeit zu tun, was sie sich vorgenommen hatte, ohne von ihrem Gemahl für ihr »Übermaß an Weichherzigkeit« gescholten zu werden, wie er es verächtlich nannte.

Durch den nassen, schmutzigen Schnee schritt sie zum Palas der Burg. Die Edeldamen folgten ihr und rafften die Umhänge fröstelnd um sich.

Kunigunde von Plötzkau war eine auffallend schöne junge Frau von kaum mehr als zwanzig Jahren mit glänzendem schwarzen Haar und ebenmäßigen Zügen, über denen meist ein Hauch Traurigkeit lag. Dem viel älteren Graf Bernhard war sie dreizehnjährig anvermählt worden, damit er im damals bevorstehenden Krieg dem König die Treue hielt.

Wenig später brannte das Heer des Erzbischofs von Magdeburg den Stammsitz der Grafen von Plötzkau vollständig nieder. Gundas Einschreiten bewirkte, dass es keine Toten gab und jeder Plötzkauer etwas Habe retten durfte. Doch die Zerstörung der Burg konnte sie nicht verhindern. Wie auch – mit den wenigen kampffähigen Männern, die Graf Bernhard zurückgelassen hatte? Das verübelte er ihr bis heute.

Neun Jahre nach der Feuersbrunst war die Burg immer noch eine Baustelle. Die Palisaden waren neu errichtet worden, ebenso etliche Gebäude aus Holz und Fachwerk und der Palas, in dem sie und Graf Bernhard wohnten. Der neue Bergfried würde sogar aus Stein sein, doch der Einbruch des Winters hatte die Arbeiten daran unterbrochen. Nur ein Steinmetz und sein Gehilfe behauten noch Blöcke, die erst verbaut würden, sobald die Nachtfröste vorbei waren.

Ihre gleichmäßigen Meißelschläge hallten über den Hof und vermischten sich mit gebrüllten Kommandos und Schwerterklirren. Helmhold, ein alter und starrköpfiger Ritter, beaufsichtigte Waffenübungen für die Reisigen und Knappen, die ihren Gemahl ins Heilige Land begleiten würden.

»Schildwall bilden!«, schrie er gerade, und die trotz der Kälte schweißtriefenden Männer stellten sich in zwei Reihen gegenüber auf, die hölzernen Schilde zu einer Mauer aneinandergedrückt.

Gunda spürte Helmholds verächtliche Blicke im Rücken, als sie weiterging.

 

In der Kemenate schlug ihr die Wärme des Kaminfeuers entgegen. Wie gut das tat!

»Hilf mir in ein anderes Kleid«, forderte sie die junge Magd Anni auf, die sie und die Edeldamen begleitete.

Graf Bernhard, der fast sechzig Jahre zählte und einem bedeutenden Haus entstammte, legte großen Wert darauf, dass seine Gemahlin zum Zeichen ihres Standes Kleider in leuchtenden Farben trug, mit Stickereien oder gewebten Borten und weiten Ärmeln nach der französischen Mode. Da ließ er an nichts sparen, obwohl er schon für den Wiederaufbau der Burg Geld bei den Magdeburger Juden leihen musste und die Vorbereitungen für den Kreuzzug Unmengen an Silber verschlangen.

Doch für ihr jetziges Vorhaben konnte sie keinen kostbaren Bliaut brauchen.

Sie ließ sich in ein waidblaues Leinenkleid schnüren, dessen Ärmel sie über dem Unterkleid hochschlagen konnte. Den mit Fehwerk gefütterten Umhang aus feinstem Tuch, in dem sie den Grafen zur Jagd verabschiedet hatte, drapierte Anni über eine hölzerne Stange in der Nähe der Feuerstelle, damit der durchnässte Saum trocknete. Später würde sie ihn ausbürsten. Für den Gang ins Dorf legte Anni ihrer Herrin einen schlichteren Umhang über die Schultern, dennoch ein gutes Stück mit breiten, gewebten Borten.

Wehmütig sah Gunda auf den gewölbten Leib ihrer Magd, die nicht älter war als sie und schon ihr drittes Kind erwartete – von ihrem Mann Paul, einem der Bogenschützen. Auch Judith und Isa, die mit ihr die Jagdgesellschaft verabschiedet hatten, trugen jede ein Kind unterm Herzen. Wie Gunda sie darum beneidete!

In den neun Jahren ihrer Ehe hatte es noch kein einziges Anzeichen einer Schwangerschaft gegeben, obwohl sich ihr Gemahl nichts dringender wünschte als einen Erben. Ohne Nachkommen würde seine Linie erlöschen; er war der Letzte seines Namens.

Auch deshalb hatte der Graf von Plötzkau auf dem Weihnachtshoftag zu Speyer, als der berühmte Bernhard von Clairvaux predigte und sogar der König das Kreuz nahm, seine Teilnahme am Kreuzzug verkündet: aus Hoffnung auf einen Erben. Außerdem löste es Graf Bernhards drückende Geldsorgen. Die Kreuznahme bedeutete Stundung sämtlicher Schulden und Erlass der Zinsen für alles Geld, das er bei den Juden geliehen hatte.

Gunda fühlte sich wie vom Blitz getroffen, als sich ihr Gemahl plötzlich mit einem lauten »Für Gott!« nach vorn drängte und aus den Händen des heiligmäßigen Abtes die roten Stoffstreifen entgegennahm, um sie sich an den Umhang heften zu lassen.

Sie liebte Bernhard nicht; sie hatte ihn nie geliebt, aber oft gefürchtet, vor allem in den ersten Ehejahren. Trotzdem war es keine Erleichterung, dass er auf unbestimmte Zeit fortging und vielleicht nie wiederkam.

In seiner Gegenwart wagte niemand, ihre Stellung anzuzweifeln und ihr offen Unfruchtbarkeit vorzuwerfen, obwohl Graf Bernhard auch mit seinen früheren Gemahlinnen keinen Erben gezeugt hatte. Doch wenn er erst fort war …

Vor neun Jahren, als die Burg von dem übermächtigen Heer belagert wurde, hatte sie sich schon einmal allein gegen all die Feindseligkeit in den eigenen Mauern durchsetzen müssen: gegen den Burgkommandanten, den Verwalter und den feigen Kaplan, gegen die alteingesessenen Edeldamen, gegen alle, die sie für ein dummes Kind hielten.

Jetzt war sie keine dreizehn mehr und hatte auf der Burg Verbündete. Agnes, Judith und Isa allen voran, deren Ehemänner erst nach der Zerstörung der alten Burg als Ritter in Bernhards Dienste getreten waren.

Aber inzwischen haftete der Makel der Kinderlosigkeit so stark an ihr, dass mehrere Vertraute des Grafen ihn bedrängten, sie zu verstoßen.

Und nun war die Aussicht gänzlich dahin, doch noch schwanger zu werden, bevor ihr Gemahl im Mai zum Kreuzzug aufbrach. Denn als sie vom Weihnachtshoftag in Speyer zurückgekehrt waren, hatte er ihre Kemenate und ihr gemeinsames Bett verlassen. Die Kammer, in der sie sich jetzt für den Gang ins Dorf umkleidete.

Jäh stand ihr die erniedrigende Szene wieder vor Augen.

 

Erschöpft und durchgefroren nach der langen und beschwerlichen Reise hatten sie Plötzkau im tiefsten Schnee erreicht. Reiter waren vorausgeschickt worden, die ihre Ankunft ankündigten.

Beim Mahl in der Halle mit der gesamten Burgbesatzung verkündete der Graf seinen Entschluss, König Konrad von Staufen auf dem Kreuzzug ins Heilige Land zu folgen, um Edessa von den Sarazenen zurückzuerobern. Etliche seiner Ritter erklärten sogleich ihre Bereitschaft, ihn dorthin zu begleiten.

Noch bevor ihr Gemahl die Tafel aufhob, wies er seinen Verwalter an, ihm eine eigene Schlafstatt einzurichten, da er als Wallfahrer nicht mehr das Bett mit seiner Gemahlin teilen dürfe.

»Wie könnt Ihr mich so bloßstellen?«, begehrte Gunda fassungslos auf.

Sie sehnte sich nicht im Geringsten nach seinen nächtlichen Zuwendungen, doch sie hatte sie in den Jahren ihrer Ehe zu ertragen gelernt. Dies war nicht nur ihre Pflicht, sondern der Preis für ein Kind, das auch sie sich innig wünschte.

Die Hoffnung darauf war nun dahin. Und das Gerede in der Burg würde unerträglich werden, wenn der Graf das Bett seiner Frau mied.

»Für Kreuzfahrer gilt das Gelübde der Keuschheit«, erwiderte Bernhard schroff.

»Aber erst, wenn Eure Wallfahrt in Waffen beginnt!«, wandte Gunda flehentlich ein. »Bis dahin vergeht noch mehr als ein Vierteljahr. Vielleicht segnet uns der Allmächtige nun mit einem Kind – zum Dank für Eure Bereitschaft, das Kreuz zu nehmen!«

Sie sank sogar in der Halle vor ihrem Gemahl auf die Knie und faltete die Hände. Doch der stieß sie von sich – vor aller Augen.

»Versucht nicht, mich zu verführen!«, fuhr er sie an. »Gott straft uns für unsere Sünden mit Kinderlosigkeit, mit Missernten, mit all den unheilvollen Zeichen am Himmel und dem Fall Edessas! Wir müssen Buße tun. Nach meiner Rückkehr wird der Herr uns mit Kindern und reicher Ernte segnen. Denkt an die Wunder, die der Abt von Clairvaux in Speyer wirkte!«

Die hatten für riesiges Aufsehen gesorgt. Nicht nur die Kreuznahme des Königs, der sich noch zwei Tage zuvor verweigert hatte, und seines jungen Neffen Friedrich von Schwaben, der seit kurzem mit Gundas Jugendfreundin Adela von Vohburg verlobt war. Sondern auch die erstaunlichen Heilungen, die Abt Bernhard vollbrachte: ein Blinder, der plötzlich sah, ein Gelähmter, der wieder gehen konnte …

Seitdem waren die Menschen um sie herum wie von einem Wahn besessen. Nicht nur wollten fast alle Ritter ihren Gemahl auf den Kreuzzug begleiten, sondern auch Reisige, Knechte, das halbe Dorf. Sie hofften, im Kampf gegen die Sarazenen Ruhm und ewiges Seelenheil zu erlangen, Sündenablass und reiche Beute – oder einfach nur dem Elend und der Hungersnot zu entkommen.

 

Gunda schüttelte die beschämende Erinnerung ab, als sie zusammen mit Anni das Küchenhaus betrat, einen Holzbau, der wegen der Brandgefahr in einigem Abstand von allen anderen Gebäuden stand.

»Wie immer, edle Herrin?«, fragte der Küchenmeister, ein kleiner, aber kräftiger Mann mit schütterem Haar unter der Bundhaube.

Gunda nickte. Ein Korb mit den Brotscheiben, die den Rittern bei ihrer abendlichen Mahlzeit als Unterlage für das Fleisch dienten, stand schon bereit. Auf dem Herdfeuer köchelten abgenagte Knochen zu einer Brühe aus.

»Davon zwei Kessel voll. Außerdem ein paar Krüge Bier und einen Scheffel Gerste.«

Der Küchenmeister zögerte mit Blick auf die Frau des Verwalters, die gerade eintrat, um Gunda nachzuschnüffeln. Die hinterhältige Gepa und ihre Base, die Frau des Ritters von Grünbach, hielten die junge Burgherrin für die Wurzel allen Übels, das Plötzkau in den letzten Jahren widerfahren war.

»Das wird dem Grafen nicht recht sein …«, wandte er zaghaft ein.

»Mildtätigkeit gehört zu den Pflichten und Tugenden eines Edelmanns«, widersprach Gunda scharf und blickte dabei auf Gepa, die ihr spitzes Kinn vorreckte und die dünnen Lippen zusammenpresste, weil sie nicht zu widersprechen wagte.

Sie mochte diese gehässige Frau nicht. Sie und ihr Mann gebärdeten sich wie die wandelnde Rechtschaffenheit, ohne es auch nur im Geringsten zu sein. Doch leider vertraute Graf Bernhard ihnen und hatte sie auch nach der Zerstörung seiner Burg im Amt belassen.

»Natürlich, Gräfin, natürlich«, versicherte der Küchenmeister eiligst unter tiefen Verbeugungen.

»Lasst alles auf einen Karren packen, ich breche gleich auf«, wies sie an und wusste, dass Gepa jeden Bissen und jeden Krug zählen würde, damit ihr Mann dem Grafen ausführlich berichten konnte.

Dann ging sie in die Kammer, in der sie getrocknete Kräuter, Leinenstreifen und Heiltränke aufbewahrte. Als die weise Frau des Ortes ohne Nachfolgerin gestorben war, hatte Gunda dafür gesorgt, dass ihre Vorräte auf die neu entstehende Burg geschafft wurden. Von einer Burgherrin wurde erwartet, dass sie im Notfall auch Wunden verbinden und Fieber behandeln konnte, wenn keine weise Frau, kein Bader oder Medicus in der Nähe waren.

Anni wusste, was sie in den Korb packen sollte. Schließlich unternahmen sie fast jeden Tag einen solchen Gang in die Siedlung unterhalb der Burg.

 

Im Hof erwarteten sie bereits ihre Begleiter: Judith, Isa und Agnes, zwei Küchenjungen, die den Schlitten mit den Töpfen voll rasch erkaltender Brühe, den Brotscheiben und den Bierkannen zogen, sowie sechs Reisige als Geleit.

Auf bewaffnetes Geleit bestand ihr Gemahl, wenn sie zu den Armen und Kranken in die Siedlung unterhalb der Burg ging. Die Not war so schlimm, dass früher oder später die Dörfler nicht mehr geduldig warten würden, bis die Burgherrin Suppe und Brot austeilte, sondern sich gewaltsam holen würden, was sie brauchten. Sie oder noch eher eine der zahllosen Banden Gesetzloser, die hungernd und verroht durch die Lande streiften.

»Wir haben ein paar alte Kittel, Beinlinge und Wollreste zusammengesucht«, berichtete schniefend Judith, eine Siebzehnjährige mit blondem Haar, deren Gemahl zu ihrem großen Kummer ebenfalls das Kreuz genommen hatte. Auch jetzt waren ihre Augen vom Weinen gerötet. Bald würde sie ein Kind zur Welt bringen, wenn die Heilige Jungfrau ihr gnädig war, und der Gedanke, es könnte seinen Vater nie sehen, brach ihr das Herz.

Die kaum dreizehnjährige Isa war hingegen heilfroh, dass ihr viel älterer und grober Mann fortzog. Aus Angst vor ihm verbarg sie das jedoch wohlweislich. Und Angst hatte sie auch vor der Niederkunft – zu Recht, denn Isa war noch sehr jung und zu zierlich, um ein Kind ohne Schwierigkeiten austragen zu können.

Agnes, mit dreiundzwanzig die Älteste von ihnen und schon dreifache Mutter, nahm die beiden Jüngeren liebevoll in den Arm, wischte Judiths Tränen fort und strich Isa sanft über die Wange. Ihr Gemahl würde in Plötzkau bleiben, denn im Krieg hatte er die halbe Schwerthand eingebüßt.

»Gehen wir ein gutes Werk tun!«, munterte sie die Schwangeren auf. »Gott der Allmächtige wird es uns lohnen.«

 

Der Weg war schlammig, bei jedem Schritt versanken Gundas Füße im Morast, obwohl sie sich Trippen unter die Schuhe gebunden hatte. Der Saum ihres Kleides war schon bei der Ankunft im Dorf bis über die Knöchel durchnässt.

Wie jedes Mal seit Wochen fiel ihr die Stille auf, als sie den Ort erreichten. Es kläfften keine Hunde mehr, keine Ziegen meckerten, keine Kinder tobten herum. Nur das Greinen eines Säuglings war aus einer Hütte zu hören.

Doch das übertönten sogleich die flehentlichen Rufe der Dorfbewohner, die ihr in der Hoffnung auf Essen entgegenschlurften.

»Gott segne Euch, gute Herrin!«

»Ein Krümchen Brot für meine Kinder, bitte, sie weinen vor Hunger!«

Gunda überließ es ihren Begleitern, die Gaben so gerecht wie möglich zu verteilen, zuerst an die Kinder.

Die Bettlägerigen würde sie zusammen mit Anni aufsuchen. Von den Frauen der Ritter konnte sie nicht erwarten, in die engen und verräucherten Katen zu gehen, wo das Elend als steter Gast hauste.

Der Dorfälteste berichtete bekümmert: »In der Nacht ist nun auch noch das Jüngste von Bertha gestorben. Die alte Hilde kommt nicht mehr auf. Doch von den Fiebernden ist seit Euerm gestrigen Besuch keiner dahingeschieden, Gott segne Euch dafür!«

Gunda nahm den Korb mit den Tinkturen, während Anni nach dem kleineren Kessel mit Brühe griff.

Zuerst ging sie in die windschiefe Kate, in der Bertha mit einem der Pferdeknechte lebte. Die hohlwangige Frau lag zusammengekrümmt im Bett, den toten Säugling neben sich. Zwei ihrer Kinder waren schon über den Winter gestorben, mit eingesunkenen Augen und aufgetriebenen Bäuchen. Nun also auch noch das Kleinste, das kaum drei Monate zählte.

Gunda trat näher und legte der Trauernden die Hand an die Wange, wo sie ein großes Muttermal trug.

»Es tut mir leid. Ich schicke dir Pater Johann, damit er ein Gebet spricht«, sagte sie leise.

Bertha weinte.

»Gott straft uns für unsere Sünden. Das Ende der Welt naht«, schluchzte sie. »Wir müssen Opfer bringen für unser Seelenheil und das meiner unschuldigen Kinder. Deshalb werde ich mit meinem Mann auf diese Wallfahrt gehen.«

Fassungslos starrte Gunda die zu Haut und Knochen abgemagerte Frau an. Ihr Mann würde als Pferdeknecht mit Graf Bernhard ins Heilige Land ziehen. Doch Bertha?

Es war üblich, dass Frauen im Tross das Heer begleiteten. Die Verheirateten flickten den Männern die Wäsche und kochten, die meisten jedoch zogen als Huren mit. Genau dieses Schicksal drohte Bertha, wenn ihr Mann unterwegs umkam. Sofern sie nicht viel eher schon an Entkräftung starb.

»Du bist zu schwach, um so eine Strapaze auf dich zu nehmen«, mahnte Gunda.

»Ich habe nichts mehr zu verlieren und kann ewiges Seelenheil gewinnen«, erwiderte Bertha apathisch.

Sie will zu ihren Kindern, begriff die junge Burgherrin. Und ich kann sie nicht aufhalten. Sonst würde man mir Verrat am Glauben vorwerfen, mit schrecklichen Folgen.

»Zunächst musst du wieder zu Kräften kommen!«, erklärte sie streng und legte zwei Scheiben Brot auf den Schemel am Bett. »Trink das hier.«

Gunda füllte einen Becher mit Brühe, in der sogar ein paar winzige Fleischfetzen schwammen.

Anni schichtete auf ihr Zeichen ein paar dürre Äste ins nur noch glimmende Feuer, und Gunda nahm sich vor, Berthas Mann zu ermahnen, Holz zu sammeln und Wasser zu holen, weil seine Frau zu schwach dafür war. Auf der Burg bekam selbst ein Knecht derzeit besser zu essen als jeder im Dorf: täglich eine Schale Hirsebrei oder Suppe aus Rüben und Kraut.

Die Burgherrin bestand darauf, dass Bertha vor ihren Augen die Brühe trank und etwas von dem Brot aß.

Dann ließ sie die Trauernde in ihrem Bett und ihrem Kummer zurück, um die alte Hilde aufzusuchen, die beim Holzsammeln gestürzt war und sich das Bein verletzt hatte.

Gunda roch den Eiter bereits, noch bevor sie den Verband abgewickelt hatte.

»Mach Wasser heiß!«, herrschte sie Hildes Schwiegertochter an. »Du und dein Mann, ihr solltet euch besser um eure Mutter kümmern!«

»Ja, Herrin«, erwiderte die zerlumpte Frau gehorsam. Aber ihr Gesicht sprach Bände: Ein Esser weniger, wenn die Alte stirbt.

Gunda drückte den Eiter aus, wusch die Wunde, träufelte Kamillensud auf Leinen und verband das Bein von neuem. Dann goss sie auch der Alten einen Becher Brühe ein und bestand darauf, dass sie vor ihren Augen trank – unter den gierigen Blicken der Schwiegertochter.

Nun stand ihr der Gang zu all den qualvoll Hustenden und Fiebernden bevor. Sie besaß noch etwas Alanttinktur, konnte kalte und warme Wickel machen. Doch für Umschläge mit in Honig gekochten Zwiebeln reichten ihre Vorräte nicht. Mehr durfte sie nicht aus den Vorräten der Burg weggeben, ohne sich den Zorn ihres Gemahls zuzuziehen.

Bis zur nächsten Ernte dauerte es Monate, und sie besaßen kaum Saatgut. Es würden noch etliche sterben, die Fiebernden und die Kinder zuerst.

Deshalb sahen so viele den letzten Ausweg in diesem Kreuzzug. Hier im Dorf erwartete sie nichts als der Tod.

Aber was erwartete sie auf dem Weg ins Heilige Land?

Graf Bernhard, seine Ritter und Knappen waren gut genährt, beritten, bewaffnet, kampfgeschult und bevorratet. Doch wie viele von den armen Pilgern würden ihr Ziel erreichen?

»Gott schütze und segne Euch, Herrin!«

Die Worte klangen Gunda immer noch im Ohr, als sie die letzte Kate verlassen hatte und zusammen mit ihren Begleitern wieder hinauf zur Burg ging.

Ich kann keinen von ihnen retten, dachte sie verzweifelt.

Kälte und Nässe waren von den Füßen bis hinauf in ihr Herz gezogen.

 

Gut gelaunt kehrte die Jagdgesellschaft am Nachmittag zurück. Die Männer hatten reichlich Beute gemacht. In Bündeln hingen Hasen an den Sätteln, mehrere Ritter hatten tote Rehe über den Rücken der durch das Blut unruhigen Pferde gelegt, und Graf Bernhard verkündete, dass die Jagdhelfer noch einen Keiler bringen würden, den er erlegt hatte.

Gunda, die frisch in ein krapprotes Kleid mit gewebten grüngelben Borten gekleidet war und den mit Fehwerk gefütterten Umhang trug, beglückwünschte ihren Gemahl auf dem Burghof zu seinem Jagderfolg.

Zufrieden stieg er aus dem Sattel und trank den heißen Würzwein, den sie ihm als Willkommen reichte.

Dann stapfte er Richtung Palas, während sich Stallknechte der Pferde annahmen und der Küchenmeister Order erhielt, wie mit der Jagdbeute zu verfahren sei.

Auf der abendlichen Tafel in der Burg würde es an nichts fehlen. Heute gab es gebratenes und gesottenes Wild, die Ausbeute dieser und der vorangegangenen Jagden.

Wie sie über die nahende Fastenzeit kommen sollten, daran wollte Gunda jetzt lieber nicht denken.

Den Rest des Tages verbrachte Graf Bernhard wie üblich damit, gemeinsam mit seinen Rittern, dem Verwalter und dem Waffenmeister zu planen, was sie alles noch für ihren langen Kriegszug benötigten. Gunda überwachte die Näherinnen, die Männerbliauts, Beinlinge, Unterkleider und Umhänge fertigten, und schnitt selbst Stoffteile für die besseren Stücke zu.

Als sie sich nach dem abendlichen Mahl in der Halle endlich in ihre Kammer zurückziehen durfte, lag sie wach im Bett und grübelte wieder einmal, wie sie es wohl schaffen sollte, Burg und Dorfbewohner über die Zeiten zu bringen, in denen der Burgherr weit fort war. Der Graf hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er ihr kaum Silber zurücklassen würde, weil er alles für die Wallfahrt brauchte. Aber die Menschen mussten essen, um pflügen und ernten zu können, und auch die Bauarbeiten sollten gefälligst weiter vorangehen. Bei seiner Rückkehr wünschte er einen zweistöckigen Bergfried und wohlbestellte Felder zu sehen.

Dafür müsste ich ein noch größeres Wunder wirken als der heiligmäßige Bernhard, dachte sie bitter.

Wenigstens waren während der Wallfahrt die Schulden ausgesetzt, die ihr Gemahl gemacht hatte. Sie musste ihn unbedingt dazu bringen, Saatgut zu kaufen, so teuer es auch war. Die letzte Ernte war durch den verregneten Sommer komplett auf dem Halm verdorben.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.

Gunda fuhr hoch und wollte schreien. Doch da zerrte ihr Gemahl schon die Vorhänge beiseite, die das Bett umgaben, und keuchte: »Kein Wort!«

Im Mondlicht und der letzten Glut des Feuers erkannte sie, dass er unter dem Umhang nackt und sein Glied aufgerichtet war.

Erschrocken huschten die Dienerinnen aus der Kammer, die am Fußende ihres Bettes geschlafen hatten.

Trotz seiner fast sechzig Jahre hatte Bernhard nichts Greisenhaftes an sich. Er war breitschultrig und groß, schwang kraftvoll das Schwert.

Nun zog er die Decke weg, warf sich auf seine Frau, zwang ihre Beine auseinander und stieß in sie hinein.

Ein paar heftige Bewegungen, dann war es vorbei. Erleichtert stöhnend ließ er von ihr ab und sank neben sie. Als sich sein Atem beruhigt hatte, setzte er sich plötzlich auf.

Jetzt erst bemerkte sie im schwachen Licht, dass sein ganzer Oberkörper gerötet und aufgekratzt war. Also trug er seit seiner Kreuznahme ein härenes Hemd. Gern hätte sie eine lindernde Salbe auf seine Haut gestrichen, doch das würde er nicht zulassen.

»Du hast mich dazu gebracht, mein Wallfahrergelübde zu brechen!«, warf er ihr voller Hass vor.

Nun setzte auch sie sich auf, während sie das Federbett über sich zog, und protestierte: »Ich habe nichts getan, um Euch zu Derartigem zu treiben.«

»Allein Euer Anblick ist Verführung genug.«

Zorn überkam Gunda angesichts solcher Ungerechtigkeit. Schon vor der Kreuznahme hatte er ihr nur noch selten beigewohnt, und meistens scheiterten seine diesbezüglichen Versuche. Sie ertrug zwar gehorsam alle seine Bemühungen, doch tat sie nichts, um seine Lust zu schüren. Das hätte sich nicht geziemt. Die Geistlichen predigten, eine ehrbare Frau dürfe keine Lust empfinden, das sei Sünde.

Offenbar hatte die lange Enthaltsamkeit Graf Bernhards Begehren geweckt. Und nun gab er ihr die Schuld daran.

Mit einem Ruck stand er auf und wandte sich zur Tür.

»Ihr wollt jetzt gehen?«, rief Gunda fassungslos. »Euch davonschleichen, während jedermann glaubt, dass Ihr mein Bett nicht mehr aufsucht? Und wenn Ihr mich eben geschwängert habt? Man wird es mir erst ansehen, wenn Ihr längst fort seid, und mich als Ehebrecherin anklagen.«

Nun richtete sie sich ganz auf.

»Um des Kindes willen, das Ihr vielleicht gerade gezeugt habt, und um unserer beider Ehre willen erwarte ich von Euch, dass Ihr diese Nacht hierbleibt, damit jedermann weiß: Ihr lagt in diesem Bett, und kein anderer!«

Unwillig gab der Graf ihr in Gedanken recht. So musste er zwar die Schwäche des Fleisches eingestehen und dafür Buße tun. Aber er konnte nicht riskieren, dass seine Ehre durch Gerede befleckt wurde, die junge Gräfin habe ihm Hörner aufgesetzt und brüte einen Bastard aus. Falls er sie tatsächlich soeben mit Gottes Hilfe geschwängert hatte, durfte keinerlei Zweifel aufkommen, dass dieses Kind seines war, sein lang ersehnter Erbe.

Mürrisch ließ er sich aufs Bett zurücksinken, zog die Vorhänge zu und die Decke über sich. Dann wälzte er sich auf die Seite und schlief nach wenigen Atemzügen ein.

Gunda lag noch lange mit offenen Augen da und starrte in die Dunkelheit.

Weltuntergangsprediger

Ulrich von Lauterstein; Hoftag in Frankfurt, 19. März 1147

Schickt sofort weitere sechs Dutzend Bewaffnete auf den Platz, um die Menge im Zaum zu halten!«, befahl Ulrich von Lauterstein dem Hauptmann der Wache. »Das Letzte, was wir heute brauchen, sind Aufruhr und Tote.«

Der Kommandant bestätigte und hastete los, um den Befehl des königlichen Vertrauten auszuführen.

Bedrohlich anschwellender Lärm vor der Königspfalz hatte den Lautersteiner dazu getrieben, an eine der Fensteröffnungen zu treten. Der Anblick dort draußen alarmierte den grauhaarigen hageren Ritter aufs höchste.

Es war nichts Ungewöhnliches, dass sich große Menschenmengen versammelten, wenn der König und die edelsten Fürsten des Reichs zusammenkamen – selbst in Frankfurt, das schon viele Besuche von Kaisern und Königen erlebt hatte. Jeder wollte sie sehen, ihre prächtigen Gewänder und edlen Rösser bestaunen und vor allem etwas von den großzügig verteilten Almosen erhaschen.

Normalerweise genügte die Ankunft einer Schar gut bewaffneter Reiter, damit die Schaulustigen von selbst zurückwichen, um Abstand zwischen sich und die Pferde und Schwerter der hohen Herren zu bringen.

Doch diesmal war es anders.

In unüberschaubarer Zahl drängten sich die Menschen auf dem Weg zum palacium insigne et splendidum, der auf einem Hügel gelegenen Königspfalz. Und die Menge schien wie besessen, so dass sie jegliche Vorsicht vergaß.

»Das Ende der Welt naht! Das Ende der Welt naht! Rettet uns vorm Weltuntergang!«, hörte er von seinem Platz am Fenster aus eine Gruppe unablässig im Chor schreien.

Rücksichtslos schoben und drängten Junge wie Alte, um Bernhard von Clairvaux zu sehen und all jene, die wie König Konrad von Staufen das Kreuz genommen hatten. Der wie ein Heiliger verehrte Abt von Clairvaux weilte nun schon zum zweiten Mal binnen kurzem in der Stadt, und seine glühenden Ansprachen vom nahen Tag des Jüngsten Gerichts wie auch seine Wunderheilungen waren in aller Munde.

Jeder hielt Ausschau nach Männern, die zwei zum Kreuz übereinandergeheftete rote Streifen auf dem Umhang trugen, viele versuchten unter Lebensgefahr, den Saum eines solchen Umhangs zu berühren.

Dass dabei bisher noch niemand von Pferden verletzt oder im Gedränge niedergetrampelt worden war, schien Ulrich ein fast noch größeres Wunder, als einen Blinden zum Sehen zu bringen.

»Guter Herr, segnet mein Kind!«, schrie eine Frau, die einen Säugling über ihren Kopf hielt und einem der Reiter entgegenstreckte. Dabei wäre sie beinahe unter die Hufe geraten, hätte nicht jemand Mutter samt Kind zurückgerissen.

Erleichtert beobachtete der Lautersteiner, wie die von ihm dorthin befohlenen Bewaffneten aus dem Tor strömten und die aufgebrachte Menschenmenge zurückdrängten.

Die letzten hohen Herren, die zum palacium ritten, waren durch drei Reihen bewaffnetes Fußvolk von den Frankfurtern getrennt. Die Wartenden konnten nur noch ein paar Almosen erhoffen, in die Menge geworfene Pfennige. Flinke Gassenjungen erbeuteten die Münzen, indem sie sich rücksichtslos zwischen den Größeren hindurchschlängelten und dann blitzschnell verschwanden.

Nun stellten sich die Wachen in dichten Reihen vor die Front der Königspfalz.

Doch die Menge löste sich nicht auf. Schon begann ein halbes Dutzend Wanderprediger von neuem, mit dem Untergang der Welt zu drohen. Sich heiser schreiend, malte jeder das Ende in noch grelleren Farben aus.

Der mit schwarzen Wolken verhangene Himmel schien ihre Worte zu bestätigen. Kräftiger Wind kam auf und wirbelte trockenes Laub durch die Luft. Bald würde Regen einsetzen.

Ulrich von Lauterstein hoffte inständig, dass das schlechte Wetter wenigstens einen Teil der Wartenden forttrieb. Diesen Tag durfte kein blutiger Zwischenfall überschatten.

Der König, dem er seit vielen Jahren als engster Vertrauter, schützendes Schwert und Ratgeber diente, hatte heute genug Schwierigkeiten zu bewältigen. Der Erhalt seiner Dynastie und der Friede des Reiches hingen davon ab.

Nach einem letzten skeptischen Blick auf die Menge draußen ging Ulrich in die Pfalzkapelle, wo sich die höchsten Fürsten des Reiches versammelt hatten.

 

Die Menschen vor dem palacium verharrten in Angst vereint. Missernten, Unwetter, Hungersnöte und vorigen Sommer der unheilvoll geschweifte Stern am Himmel … Gab es nicht genug Vorboten für das Ende aller Zeiten?

»Die Kreuzfahrer werden uns erlösen, sie werden uns von unseren Sünden befreien!«, schrillte eine zahnlose Alte immer wieder. Die Frauen um sie herum stimmten in ihren Singsang ein.

»Ich wollte doch nur einen Wallfahrer am Saum berühren!«, kreischte ein Mädchen, das sich bis zu den Wachen vorgedrängt hatte und zurückgestoßen wurde. Den ganzen Morgen lang hatte sie den Unheilsvisionen zugehört, die ein dürrer Bettelmönch, Speichel versprühend, in die Menge brüllte.

Eine Frau in zerschlissenem, sauer riechendem Kleid zerrte sie zurück und verhinderte, dass das Mädchen zu Boden stürzte.

»Bete, Kind, dass die Wallfahrer auch uns von unseren Sünden erretten!«, schrie sie in das Getöse hinein.

»Ist das unser guter Herr König?«, fragte eine Magd mit einem Kropf, so groß wie ein Gänseei, und zeigte ehrfürchtig auf einen Mann am Fenster. Es war Ulrich von Lauterstein, was sie nicht wissen konnte.

»Du Närrin! Der König wohnt zur Mainseite. Den wirst du nicht zu sehen bekommen«, wies eine Krämerin sie schnippisch zurecht und schnürte ihre Bundhaube fester, weil eine Windböe an Kleidern und Kopfbedeckungen zerrte.

Doch kaum jemand von den Hoffnung Suchenden ging.

Irgendwann würden die edlen Herren wieder herauskommen, und vielleicht ließ sich dann ein Segen oder eine Münze erhaschen.

Plötzlich begannen die Glocken zu läuten.

»Für wen läuten sie? Ist der König gestorben?«, riefen etliche Wartende erschrocken.

Das unheilvolle Gemurmel schwoll an, bis ein Ausrufer aus dem Tor trat. Die Wachen machten ihm Platz, ein durchdringendes Hornsignal verschaffte ihm Stille.

»Der erstgeborene Sohn Seiner Majestät Konrad, König von Gottes Gnaden, ist durch die Fürsten des Reiches zum Mitregenten gewählt worden«, verkündete er feierlich und rief dann: »Lang lebe König Konrad von Staufen! Lang lebe der junge König Heinrich!«

»Lang lebe König Konrad von Staufen! Lang lebe der junge König Heinrich!«, wiederholte die Menge begeistert und johlte.

Der junge König

Konrad von Staufen, Heinrich von Staufen, Adela von Vohburg; Hoftag in Frankfurt, 19. März 1147

Vivat dem König! Vivat dem jungen Mitregenten!«, riefen auch die Fürsten in der Pfalzkapelle.

Fast erschrocken blickte der zehnjährige Heinrich-Berengar auf die vor Gold und Edelsteinen funkelnden Männer, die ihm zujubelten, die ranghöchsten Edlen des Reiches.

Der für sein Alter schmächtige blondgelockte Junge zupfte die Ärmel seines Gewandes aus blausilbernem Brokat zurecht und versuchte zu begreifen, dass er nun ein König war. Er bemühte sich, eine hoheitsvolle Miene aufzusetzen, und sah zu seinem streng blickenden Vater, der ihm ein kaum erkennbares Lächeln sandte.

Konrad von Staufen, ein Mann Mitte fünfzig mit hellblondem Haar, wirkte durch und durch majestätisch und trotz der Feierlichkeit des Moments gelassen.

Doch in Wahrheit hatte er größte Mühe, seine Erleichterung darüber zu verbergen, dass die Wahl seines noch unmündigen Sohnes zum Mitregenten geglückt war. Konrads Hände umklammerten krampfhaft die Armlehnen des Throns, damit niemand sah, dass sie zitterten. Eine Last fiel ihm von den Schultern, und er richtete ein stummes Dankgebet an Gott.

Bis zum letzten Augenblick hatte er sich des Ausgangs dieser Wahl nicht sicher sein können, obwohl er etliche Stimmen gekauft hatte, wie es üblich war. Ganz besonders die Stimme desjenigen, den der König für einen seiner zwei gefährlichsten Gegner hielt, auch wenn er erst siebzehn Jahre zählte: Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen.

Und wie befürchtet hatte der junge Welfe noch unmittelbar vor der Wahl für einen Eklat gesorgt, indem er lautstark die Rückgabe des Herzogtums Bayern forderte. Dieses stehe seit Generationen den Welfen zu und sei seinem Vater zu Unrecht aberkannt worden.

Nur mit wohlgesetzten Worten und vertraulich zugesicherten Privilegien schaffte es der König, diese Angelegenheit bis nach dem Kreuzzug zu vertagen.

Zu Konrads unendlicher Erleichterung hatte der junge, überaus ehrgeizige Löwe schließlich für die Wahl Heinrich-Berengars zum Mitregenten gestimmt.

Ein großer Sieg für den Staufer, weil er so nach zwei skandalbehafteten Königswahlen – darunter seine eigene – die Erbfolge wieder durchgesetzt hatte und seinem Haus den Thron sicherte, während er im Heiligen Land kämpfte. Und ebenso für den Fall, dass er von diesem langen Kriegszug nicht zurückkam.

Damit hatte Konrad von Staufen eine der zwei heikelsten Aufgaben für diesen Frankfurter Hoftag gelöst.

Nun musste es ihm nur noch gelingen, dass auch die Letzten jener Fürsten das Kreuz nahmen, die er verdächtigte, seine Abwesenheit auszunutzen, um die Macht im Reich an sich zu reißen.

Alles war vorbereitet. Doch niemand konnte sicher sein, ob die Dinge nicht einen ganz anderen Verlauf nahmen. Die Männer, die hier vor ihm standen – auch wenn sie ihm und seinem Sohn jetzt zujubelten –, würden allesamt ohne Zögern jedermanns Schwäche ausnutzen, über den Betreffenden herfallen und ihm sein Land entreißen.

Von Unruhe getrieben, suchte Konrad den Blick des Erzbischofs von Trier.

Höchstwürden Albero war in letzter Zeit sichtlich gealtert. Doch wie stets trug er äußerst prachtvolle Gewänder. Und wie stets schien ihm nichts zu entgehen. Er musste wohl den Blick des Königs spüren, denn genau in diesem Moment wandte er ihm den Kopf zu, verzog den linken Mundwinkel zu einem knappen Lächeln und nickte. Sorgt Euch nicht, Majestät! Morgen wird alles so ablaufen, wie wir es geplant haben.

Oder genauer: Wie ich es geplant habe.

Während sich die Menge vor dem König und seinem jungen Mitregenten teilte und sie in die Halle zum Festmahl gingen, rief Konrad seinen engsten Vertrauten zu sich.

»Ulrich, behütet das Leben meines Sohnes, meiner Söhne, so wie Ihr stets meines treu behütet habt!«, raunte er.

»Das werde ich«, versicherte Ulrich von Lauterstein.

Seit Monaten hatten sie immer wieder darüber gesprochen. Der Ritter wäre mit größter Selbstverständlichkeit bereit gewesen, gemeinsam mit seinem König das Kreuz zu nehmen und ins Heilige Land zu ziehen. Doch Konrad zog es vor, ihm das Leben seiner minderjährigen Söhne anzuvertrauen. Also würde Ulrich bleiben und den jungen König und dessen kleinen Bruder schützen.

 

Das Festmahl anlässlich der Wahl des zehnjährigen Heinrich zum Mitregenten bestand aus sechsunddreißig Gängen. Doch wegen der Fastenzeit gab es kein Fleisch und nur Starkbier statt Wein.

Für die königliche Familie und die ranghöchsten Fürsten, die an der Hohen Tafel saßen, übernahm der Truchsess Arnold von Rothenburg eine Handwaschzeremonie mit einer Aquamanile in Form eines Adlers. An den anderen Tischen gingen Knappen mit Wasserschalen herum, in denen getrocknete Blütenblätter schwammen, damit sich die Gäste die Hände säubern konnten.

Dann brachten Diener unter der Aufsicht des Küchenmeisters Unmengen an Speisen auf Brettern und in Schüsseln herein, die vom Truchsess laut ausgerufen wurden: im Ganzen gebratener Hecht und Zander, gekochte Neunaugen, Pasteten aus vielerlei Fisch, Suppe aus Muscheln und Krebsen, Biber, der zur Fastenzeit erlaubt war, Fische in Gewürzkruste oder mit Saucen aus Essig und Kräutern.

Als Höhepunkt des Festmahls ließ der Küchenmeister einen im Ganzen gedünsteten Lachs hereintragen, dazu mit Obstsäften gefärbtes Backwerk, das die Wappen der bedeutendsten Häuser des Reiches darstellte, was vielstimmiges »Ah!« und »Oh!« bei den Gästen hervorrief.

Da Bernhard von Clairvaux erklärt hatte, sich lieber zur stillen Andacht zurückziehen zu wollen, statt der Völlerei zu frönen, sprach der Erzbischof von Mainz das Tischgebet. Dann konnte das Mahl beginnen.

 

Zum ersten Mal saß Heinrich-Berengar bei einem so festlichen Anlass an der Seite seines Vaters, des Königs.

Er mühte sich nach Kräften, alles richtig zu machen, wie es seiner neuen Würde entsprach. Zwar bekam er vor lauter Nervosität selbst kaum einen Bissen hinunter, doch von sämtlichen Speisen, die zuerst an die Hohe Tafel gebracht wurden, sandte er Kostproben an die Herzöge, Landgrafen und Markgrafen sowie ihre Gemahlinnen, wobei er den Damen etwas verkrampft zulächelte, die ihn mit mütterlichen Blicken musterten.

Zufrieden beobachtete Konrad seinen Sohn, der sich so vorbildlich durch das Zeremoniell und die bei Hofe üblichen Gesten der Ehrerbietung arbeitete. Heinrich war blass und oft kränklich, doch von regem Geist. Und die vielen Lagen seiner mit Edelsteinen und Pelz besetzten Gewänder ließen ihn heute erwachsener wirken.

Gerade nagte der junge Mitregent gedankenversunken an der Unterlippe und überlegte, ob er jemand Bedeutenden noch nicht mit Gaben von der Hohen Tafel bedacht hatte.

»Die Markgrafen der Nordmark und von Meißen«, raunte ihm sein Vater zu und deutete leicht mit dem Kopf zur linken Seite, wo jene beiden Fürsten saßen. Der hünenhafte Albrecht der Bär war in Begleitung seiner Gemahlin Sophia und seiner zwei ältesten Söhne.

»Sie haben das Kreuz nicht genommen«, rechtfertigte sich der junge König leise und mit Vorwurf in der Stimme.

Worüber mochten der Askanier und der Meißner gerade so grimmig reden? Und warum war der Markgraf von Meißen und der Lausitz ohne seine Söhne und seine Gemahlin erschienen? Gerade noch rechtzeitig fiel Heinrich ein, dass Konrad von Wettin seit kurzem verwitwet war.

»Sie werden es morgen tun«, versicherte sein Vater mit einem Lächeln.

Wie soll ich König sein, wenn ich nichts darüber weiß, was die Fürsten denken und planen?, zweifelte der Junge.

Doch gehorsam schickte er Kostproben vom nächsten Gang zu den Gästen aus den Ostlanden des Reiches: einige Neunaugen, denn bekanntermaßen liebte Albrecht der Bär gutes Essen. Ein Mann von dieser Größe wurde sicher auch nicht so schnell satt.

Dann sandte der junge König noch eine knusprig gebratene Forelle an Adela von Vohburg, die bald seine angeheiratete Cousine sein würde, da sie mit seinem Cousin Friedrich vermählt wurde, dem Herzog von Schwaben. Verlobt waren die beiden bereits, doch noch saß sie bei den Hofdamen, ein Stück entfernt von der königlichen Familie.

Er mochte Adela gut leiden. Sie hatte ihn getröstet, als vor einem Jahr seine Mutter kurz nach der Geburt seines jüngsten Bruders gestorben war.

 

»Richtet Majestät unseren ergebenen Dank für die Kostprobe und die freundliche Geste aus!«, beschied Sophia von Ballenstedt, die Gemahlin des Bären, mit melodischer Stimme und einem Lächeln dem Knappen, der ihnen die Schale mit Neunaugen brachte.

Sophia galt unter den hochgeborenen Damen als mustergültig: Sie war sanft und still, und sie hatte ihrem Gemahl sieben Söhne und drei Töchter geboren. Dabei rätselte das halbe Reich, wie sie es wohl als Einzige schaffte, den ungestümen Bären zu bändigen.

Ihr rasches Eingreifen jetzt, noch bevor ihr Gemahl oder Konrad von Meißen etwas sagen konnten, bewies das einmal mehr. Denn die beiden Fürsten würden in ihrer üblen Laune kaum die nötige Höflichkeit aufbringen.

Der Knappe verbeugte sich, ging zurück zur Hohen Tafel, und Sophia verneigte sich lächelnd vor dem jungen König.

Heinrich freute sich und schloss die freundliche Markgräfin der Nordmark gleich in sein Herz – so wie seine künftige Cousine Adela von Vohburg.

»Ein Kindkönig!«, prustete Albrecht der Bär leise und verächtlich, während er sich den Großteil des Neunaugengerichts in seine Schale schaufelte. Er leerte seinen Becher Starkbier, winkte jemanden heran, der ihm nachschenkte, und murrte im Lärm des Festes Konrad von Wettin zu: »Ein kränklicher Knabe, der kaum ein Schwert halten kann …«

Albrecht wusste, dass der Markgraf von Meißen und der Lausitz, sein alter Freund und zeitweise auch Feind, Kindkönige für ein großes Übel hielt.

Und dass nun wieder die Erbfolge für die Krone galt, missfiel auch dem Bären gründlich.

Andererseits … Unter staufischer Herrschaft war seine Stellung sicherer als unter welfischer. Zwar hatten er und der Meißner ein Zweckbündnis mit dem jungen Welfenherzog geschlossen, mit dem sie morgen bei Hofe für eine gewaltige Überraschung sorgen würden. Doch er traute diesem Bürschlein nicht. Hochfahrend wie sein Vater und sein Großvater. Heißblütig und machtversessen, das hatte heute Morgen seine dreiste Forderung nach Bayern erneut gezeigt.

Dieser junge Löwe konnte ihm gefährlich werden. Noch gefährlicher als dessen Vater. Der hatte Albrecht im Kampf um den Titel eines Herzogs von Sachsen besiegt, auch wenn der Welfe den glücklichen Ausgang infolge seines plötzlichen Hinscheidens nicht mehr erleben durfte. Nutznießer war nun sein Sohn, der dreiste Jungsporn, ein Herzog von siebzehn Jahren. Pah!

»Beruhige dich, mein alter Freund«, redete Konrad von Wettin auf seinen unbeherrschten Tischnachbarn ein.

Der Markgraf von Meißen und der Lausitz war das genaue Gegenstück zu dem Bären: ein Mann, der eiskalt abwog und dann tat, was ihm am meisten nutzte.

»In Wirklichkeit werden der Erzbischof von Trier und der Abt von Stablo das Reich regieren, wie sie es jetzt schon tun, auch wenn der alte Erzbischof von Mainz als Reichsverweser eingesetzt ist. Es ändert sich also nichts.«

Zynisch und bedeutungsschwer wiederholte er, nun mit gesenkter Stimme: »Es ändert sich nichts. Abgesehen davon, dass der König und die meisten Fürsten weit fort sind und uns niemand auf die Finger sieht, während wir unser frommes Werk tun.«

Nun zeigte der Markgraf von Meißen ein kaltes Lächeln. Der Mann, der in dem Ruf stand, nie zu lächeln.

 

Adela von Vohburg trug zum Festmahl einen lindgrünen Bliaut, der ihr kastanienbraunes Haar gut zur Geltung brachte. Überrascht sah sie auf, als ihr ein Knappe eine Kostprobe von der Tafel des Königs brachte. Sie blickte nach vorn und sah, dass Heinrichs Augen auf sie gerichtet waren, erwartungsfroh und auch ein bisschen schelmisch. Da strahlte sie ihn an, legte die Hand aufs Herz und neigte ehrerbietig den Kopf. Heinrich freute sich sichtlich darüber und lächelte nun ganz offen.

Die Tochter des verstorbenen Markgrafen Diepold von Vohburg und Erbin des Egerlandes war vor acht Jahren unter den Jungfrauen am Hof aufgenommen worden und inzwischen mit zwanzig die Älteste von ihnen. Für die Mädchen, die oft schon siebenjährig an den Hof kamen, um hier erzogen zu werden, und sich vor Heimweh fast verzehrten, hatte sie nach dem Tod der Königin, so gut sie konnte, die Mutterrolle übernommen – und seit dem Tod der Königin auch für den jungen Heinrich, der ihr von klein auf vertraut war.

Sie sah ihn lächeln und kostete vor seinen Augen von der Forelle, obwohl sie bereits satt war.

Adela war froh, nicht mehr zur Hohen Tafel blicken zu müssen. Denn dort saß ihr Verlobter, den sie bewunderte, seit sie ihn vor Jahren zum ersten Mal bei einem Turnier erlebt hatte. Doch er würdigte sie keines Blickes.

So kurz vor dem Kreuzzug hatte ihr Zukünftiger natürlich vieles zu bedenken. Außerdem lag sein Vater schwerkrank darnieder. Friedrich war nur hierhergeritten, um für die Wahl seines Cousins zu stimmen. Vermutlich würde er morgen schon wieder aufbrechen, um seinem erlauchten Vater beizustehen. Da konnte er keinen Gedanken an eine Hochzeit verschwenden. Nicht einmal an die eigene. Sie musste es ihm nachsehen.

Denn niemand war solch ein Vorbild an höfischem Benehmen wie der junge Friedrich von Schwaben. Mit seiner lässigen Eleganz und den rotgoldenen Locken war er der Schwarm der Frauen und Mädchen. Der unfreundliche Satz, den er bei der Verlobungsfeier an sie gerichtet hatte, konnte nur ein Missverständnis gewesen sein.

Auf dem Kreuzzug würde er als Herzog und Neffe des Königs große Verantwortung tragen und einen Teil des Heeres anführen. Die Wallfahrer bildeten schon jetzt eine eigene Gemeinschaft und taten nichts anderes, als über Mannschaftsstärken, die Zahl der Schwerter und Speere, Reiserouten und die geeignete Ausrüstung zu reden. Wer bereits als Pilger im Heiligen Land gewesen war, dessen Berichte über die Wegstrecke, gefährliches Getier und die Kampfweise der Sarazenen fanden stets viele wissbegierige Zuhörer.

Kein Wunder also, dass mein Zukünftiger jetzt an Wichtigeres zu denken hat als an seine Braut, versuchte Adela, sich selbst zu beschwichtigen.

 

Adela von Vohburg wäre zutiefst entsetzt, wüsste sie von der Unterhaltung, die ihr Verlobter gestern gleich nach seiner Ankunft mit dem König, seinem Oheim, geführt hatte.

»Meinem Vater bleibt kein Monat mehr zu leben. Ich werde trotzdem diese Vohburg heiraten, weil er und Ihr darauf besteht«, begann der junge Herzog von Schwaben harsch. »Aber ich will nicht, dass sie sich in meiner Abwesenheit auf meinen Besitztümern herumtreibt und dort Gott weiß was anstellt. Das wäre … eine Entweihung. Teilt ihr einen Platz hier bei Hofe zu!«

»Was heißt: herumtreibt?«, wies ihn der König zurecht, fassungslos über diesen Ausbruch. »Sie wird deine Gemahlin und die Herzogin von Schwaben! Das ist der Wunsch deines Vaters und auch meiner, und du kannst darauf vertrauen, dass wir dir eine passende Baut ausgesucht haben: aus gutem Haus, im besten Alter, klug und hervorragend erzogen.«

Konrad hätte nicht gedacht, dass der nahe Tod seines Bruders dessen Sohn so tief treffen würde.

»Du wirst sie also ehelichen und unbedingt mit ihr einen Sohn zeugen, bevor du auf den Kriegszug gehst!«, fuhr er streng fort. »Das ist der Preis dafür, dass du gegen unseren Willen das Kreuz genommen hast, und du hast dich damit einverstanden erklärt. Oder willst du, dass Schwaben an deinen Halbbruder geht, falls du von der bewaffneten Wallfahrt nicht wiederkehren solltest, was Gott verhindern möge?«

Doch Friedrich zeigte sich unerbittlich.

»Es ist schon übel genug, dass ich sie heiraten muss, obwohl ich sie nicht will. Doch ich wünsche sie auf keinen Fall in meiner Abwesenheit als Herzogin auf unserem Familienbesitz. Macht sie an Euerm Hof unentbehrlich! Soll sie sich hier um Euren Sohn kümmern, das kann sie gut. Und nach meiner Rückkehr werden wir sehen …«

 

Das Festmahl nahm seinen Lauf, die duftenden Bienenwachskerzen waren inzwischen schon zu zwei Dritteln heruntergebrannt, die Zecher lärmten immer lauter, und Konrad von Staufen pries einmal mehr in Gedanken, dass wegen der Fastenzeit heute nur Bier ausgeschenkt wurde, kein Wein.

Viel hing von den morgigen Beratungen ab. Und gleich danach würden sie gen Aachen aufbrechen, damit sein heute zum König gewählter Sohn dort gesalbt und gekrönt wurde.

Was Konrads Gedanken wie von selbst zu seiner eigenen Wahl und Krönung vor neun Jahren zurückschweifen ließ.

Es war ein gewagter Handstreich gewesen, das Ergebnis einer ausgeklügelten Verschwörung des Klerus. Nur wenige Fürsten – vor allem geistliche – trafen sich damals in Koblenz, um ihn zum König zu wählen, während der Rest des Reiches nichts davon ahnte. Danach mussten sie ebenfalls schnellstens zur Krönung nach Aachen reiten, um das Ereignis unumkehrbar zu machen. Derweil glaubte der von Kaiser Lothar zu seinem Nachfolger bestimmte Welfe Heinrich der Stolze immer noch, im Mai seine Regentschaft anzutreten.

Und der Welfe besaß auch die Reichsinsignien.

Hätte der raffiniert vorausplanende Erzbischof von Trier nicht schon lange zuvor bei einem geschickten Goldschmied eine Krone für den Staufer Konrad in Auftrag gegeben, wäre aus alldem eine noch größere Farce geworden.

Jahre verheerender Fehden und Kriege folgten. Letztlich konnte sich Konrad von Staufen nur behaupten, weil sein welfischer Rivale rein zufällig im entscheidenden Moment eines jähen Todes starb.

Der König sah, dass seinem Sohn langsam die Augen zufielen, und winkte Ulrich von Lauterstein heran.

Konrad erhob sich, und alle Anwesenden taten es ihm sofort gleich, ungeachtet ihrer Erschöpfung und des Grades ihrer Trunkenheit.

»Der junge König ist müde und zieht sich zurück«, verkündete er. »Wir danken Euch erlauchten Herren für Euer Wohlwollen und den liebreizenden Damen für ihre Gesellschaft. Die Tafel ist hiermit aufgehoben. Natürlich darf jeder, der möchte, auch weiterhin die Gastlichkeit der Krone genießen.«

Nach einem kräftigen Vivat auf den König und den jungen Mitregenten teilte sich die Gesellschaft schnell in drei Gruppen: diejenigen, die sich in ihre Betten zurückziehen wollten; diejenigen, die schon lange darauf warteten, endlich die Heimlichkeit aufsuchen zu können, denn ohne Erlaubnis des Königs durfte niemand die Tafel verlassen; und die Schar der unermüdlichen Zecher, die weiterfeiern würde.

»Ich kann jetzt nicht gleich schlafen. Erlaubt Ihr, dass mir Adela von Vohburg noch eine Geschichte erzählt?«, bat Heinrich seinen Vater. »Sie kennt so viele Heldenepen und Verse wie niemand sonst hier, sogar das Hildebrandslied!«

Konrad lächelte nachdenklich.

Vielleicht war es wirklich kein schlechter Gedanke, dass Adela bei seinen Söhnen blieb, während er und ihr künftiger Gemahl im Heiligen Land kämpften. Sie ging sehr liebevoll mit Kindern um, und Heinrich würde sie zweifellos vermissen, falls sie fortzog.

»Ulrich, geht Ihr zu ihr und bittet sie in meinem Namen?«, fragte der junge König.

Der Lautersteiner nickte und schritt an den Tischen entlang zu der Erbin des Egerlandes, wie immer ein Bein leicht nachziehend aufgrund einer alten Verletzung. Dabei gab er sich größte Mühe, sich keinerlei Regung anmerken zu lassen. Er hätte nie gedacht, dass ihn in seinem Alter, nach dem immer noch betrauerten Tod seiner Frau und seiner kleinen Töchter, die Liebe wie ein Blitzstrahl treffen könnte. Doch tief verborgen in seinem Herzen liebte er Adela von Vohburg. Das Mädchen, das im nächsten Monat Friedrich von Schwaben heiraten würde.

 

Erstaunt blickte Adela auf, als der Vertraute des Königs an sie herantrat und ihr den Wunsch des jugendlichen Regenten übermittelte. Sie war furchtbar müde und musste dringend auf die Heimlichkeit. Außerdem fühlte sie sich zutiefst verletzt, weil ihr Verlobter sie immer noch keines Blickes würdigte.

Doch natürlich würde sie Heinrich seinen Wunsch erfüllen.

Ulrich winkte einen der Knappen mit den Wasserschalen heran, damit sich Adela die vom Essen fettigen Finger säubern konnte. Ein Page trocknete ihre Hände mit einem bestickten Leinentuch ab.

»Seid Ihr bereit?«, fragte Ulrich und bot Adela seine Hand.

Sie erhob sich und ließ sich führen. Ein Diener ging mit einer Fackel voran, um die Gänge zu beleuchten, bis sie den flussseitigen Bereich der Pfalz erreichten, in dem der König, sein Sohn und sein Neffe Quartier bezogen hatten.

In der Kammer der jungen Königs sank sie in einen tiefen Knicks.

»Majestät, meinen innigen Glückwunsch zu Eurer Wahl!«

»Danke. Ihr dürft Euch erheben«, sagte Heinrich feierlich.

Er hatte es sich in einem Stuhl bequem gemacht und den breiten, mit Gold und Silber beschlagenen Gürtel abgelegt.

»Wenn ich dies noch sagen darf: Ihr seht ausgesprochen prächtig aus«, versicherte Adela.

»Ha! Kaum bin ich zum König gewählt, beginnt Ihr, mir zu schmeicheln«, triumphierte Heinrich. »Ich durchschaue Euch!«

Die junge Vohburgerin lächelte.

»Es ist keine Schmeichelei, Majestät. Seht nur die vielen Perlen und silbernen Fäden, die im Brokat eingewebten Löwen und Adler! Und das Blau des Stoffes passt wunderbar zu Euren blonden Locken. Doch Ihr habt recht, die Leute werden Euch jetzt schmeicheln. Solange Ihr das nicht vergesst, kann Euch niemand täuschen.«

Heinrich legte den Kopf ein wenig schräg – das tat er oft, wenn er überlegte – und gestattete großzügig: »Ihr dürft Euch setzen. Bald seid Ihr meine Cousine, eigentlich jetzt schon, denn Ihr seid mit meinem Cousin Friedrich verlobt. Also gehört Ihr zur Familie.«

Adela lächelte ein wenig gezwungen und streckte heimlich unter dem grünen Kleid die Zehen aus, weil ihr die Füße schmerzten.

»Das ist mir eine große Ehre. Der Herr von Lauterstein sagte, Ihr wünscht, dass ich Euch noch eine Geschichte erzähle, ein Heldenepos? Seid Ihr denn nicht müde?«

»Ich bin kein Kind mehr, ich bin jetzt König«, sagte der Junge streng. »Ich kann es befehlen, und Ihr müsst es tun.«

»Natürlich«, gab ihm Adela sofort recht. »Aber Ihr müsst gar nicht befehlen, Majestät. Ich erfülle Euch gern Eure Wünsche.«

»Meint Ihr etwa, es ist besser zu bitten, als zu befehlen?«, fragte der Zehnjährige skeptisch.

Adela wählte ihre Worte mit Bedacht.

»Das kommt darauf an. Bestimmte Dinge müssen befohlen werden, um der Ordnung des Reiches willen. Aber solche Kleinigkeiten wie eine Geschichte erzählen … Die Menschen folgen Euch lieber, wenn sie das Gefühl haben, sie tun es aus freien Stücken und bereiten Euch damit eine Freude.«

»Ein König muss beweisen, dass er befehlen kann und seine Befehle auch erfüllt werden«, erklärte Heinrich kategorisch.

Dann lehnte er sich zurück, kratzte sich ganz unmajestätisch an der Nase und seufzte.

»Ich muss mich erst an den Gedanken gewöhnen, ein König zu sein.«

Wenn sein Vater und sein Cousin in wenigen Wochen mit dem Heer der Kreuzfahrer ins Heilige Land aufbrachen, lag die Regentschaft bei ihm, und das ängstigte ihn. Zwar herrschte er nur pro forma; der betagte Erzbischof Heinrich von Mainz würde als Reichsverweser die Geschicke des Reiches leiten. Und sein königlicher Vater hatte einen allgemeinen Landfrieden ausgerufen.