Season Sisters – Frühlingsgeheimnisse - Anna Helford - E-Book + Hörbuch

Season Sisters – Frühlingsgeheimnisse Hörbuch

Anna Helford

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Beschreibung

Die unangepasste Frühlingsschwester auf den Spuren ihrer Kindheit in Wales – und ihrer ersten großen Liebe Von den vier Season-Schwestern ist die Frühlingsschwester Spring die Rebellin, schon mit sechzehn ist sie nach London durchgebrannt. Doch dort gerät sie in schlechte Kreise und wird wegen Drogenmissbrauch zu Sozialstunden verurteilt, die sie bei der achtzigjährigen Sophia Fowler als Haushaltshilfe ableisten muss. Wider Erwarten lernt Spring die strengen Regeln der alten Dame schätzen und freundet sich mit ihr an. Dabei erfährt sie, dass Sophia, einst Herrin von Daffodil Castle, vor Jahren von ihrem Sohn nach London abgeschoben wurde. Über die Gründe schweigt sich Sophia jedoch aus. Daffodil Castle! Kindheitserinnerungen werden in Spring wach, und war nicht Ethan Fowler ihre erste große Liebe? Keine Frage: Sie müssen zurück nach Wales und Frieden mit der Vergangenheit schließen. Auftaktband des großen Schwestern-Vierteilers: Ein wildromantischer Frühling in Wales voller Intrigen, Lügen und Liebe Weitere Bände der Serie, die im Lauf des Jahres 2024 erscheinen: Band 2: Season Sisters – Sommerstürme Band 3: Season Sisters – Herbstschatten Band 4: Season Sisters – Winterhoffnung

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Zeit:12 Std. 4 min

Sprecher:Marion Dreiseitel

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Über das Buch

Mit sechzehn ist Spring, die Frühlingsschwester, von der heimischen Farm in Wales geflohen, weil sie die Exzesse ihrer Eltern nicht länger ertragen hat. Doch in London gerät sie auf die schiefe Bahn und wird wegen Drogenmissbrauch zu Sozialstunden verurteilt. Die muss sie bei der achtzigjährigen Sophia Fowler als Haushaltshilfe ableisten. Wider Erwarten lernt Spring die strengen Regeln der alten Dame schätzen und freundet sich mit ihr an. Dabei erfährt sie, dass Sophia, einst Herrin von Daffodil Castle, vor Jahren von ihrem Sohn nach London abgeschoben und ihr jeglicher Kontakt zur Familie untersagt wurde. Aber über die Gründe schweigt sich Sophia aus. Daffodil Castle! Kindheitserinnerungen werden in Spring wach. Wie oft haben die vier Season-Schwestern in den weitläufigen Gärten des Anwesens gespielt, und war nicht Ethan Fowler ihre allererste große Liebe? Spring beschließt: Sie müssen zurück nach Wales und Frieden mit der Vergangenheit schließen.

 

Der Auftakt zum großen Schwestern-Vierteiler

Band 1 Frühlingsgeheimnisse

Band 2 Sommerstürme

Band 3 Herbstschatten

Band 4 Winterhoffnung

Anna Helford

Season Sisters

Frühlingsgeheimnisse

Roman

Für Ulrike

Prolog

Nordwales, Oktober 1876

Hugh Harper gab seinem Pferd die Sporen. Es dämmerte bereits, und über dem Meer zogen sich dunkle Wolken zusammen. Bald würde er Daffodil Castle erreicht haben, wo er seine Herrin in Empfang nehmen wollte. Er hatte nur wenige Tage Zeit gehabt, um Personal einzustellen und seine Spuren der Misswirtschaft zu verwischen.

Vor ihm breitete sich die felsige Küstenlandschaft aus. Die grünen Wiesen reichten bis zu den großen Gesteinsbrocken, an denen die Hänge steil ins Meer hinein abfielen. In den letzten Tagen hatte er sich immer wieder gefragt, wieso Lady Charlotte ausgerechnet nach Nordwales zurückkehren wollte, anstatt in dem großen Stadthaus der Familie in London zu residieren, wo sie mit den Gespenstern ihrer Vergangenheit nicht so allein wäre wie hier draußen, am Ende der Welt. Hier hatte sie keinerlei Verbindungen, keine Freunde, und auch Verwandte schien es nicht zu geben. Als sie Wales verlassen hatte, war die Lady ein kleines Kind gewesen.

Die Ankunft von Lady Charlotte bedeutete auch für ihn eine große Umstellung, war er doch die letzten zwanzig Jahre einer ruhigen, behaglichen Tätigkeit nachgegangen und hatte sich im Schloss bewegen können, als wäre es sein eigenes. Daffodil Castle hatte all die Jahre offiziell leer gestanden. Er hatte darauf geachtet, dass die Gärten gepflegt und die Kamine geheizt wurden, um den Verfall des Gebäudes zu verhindern. Ansonsten war es seine Aufgabe als Verwalter gewesen, die ausstehenden Pachten der Bauern und Dorfbewohner einzutreiben und die Wildbestände im Wald und auf den Wiesen des Anwesens zu kontrollieren. Von all diesen Tätigkeiten hatte er eigentlich nur das Eintreiben der Pacht ernst genommen. Dass von den Geldern ein gewisser Anteil unrechtmäßig in Hughs eigene Schatulle geflossen war, würde jetzt, da der Earl tot war, wohl nie mehr entdeckt werden. Hugh musste nur noch dafür sorgen, dass das Gebäude nicht ganz so heruntergekommen wirkte, wie es tatsächlich war.

Er ließ seinen Blick unruhig über die kahle walisische Landschaft streifen. Der Himmel war dunkel geworden. Der Wind hatte schon aufgefrischt. Die See war aufgewühlt, die Wellen schlugen krachend gegen die Felsen. Sosehr es ihm auch in die Karten spielte, dass der Earl keine Fragen mehr stellen konnte und seine Nachfolgerin nur eine Frau war, so knifflig war die neue Situation. Dass Lady Charlotte nach all dem, was in Assam geschehen war, nach England und insbesondere nach Nefyn zurückkehren könnte, hatte wohl niemand ahnen können. Sie hatte Schreckliches durchgemacht, und er fragte sich, wie er mit ihr umgehen sollte. Vor allem musste er eine Lösung finden, um weiterhin das Leben an der Seite seiner Geliebten Geraldine führen zu können. Er hatte alles arrangiert, nun kam es darauf an, wie erfahren seine neue Herrin war. Würde sie den Betrug bemerken?

Hugh trieb sein Pferd weiter an. Sie flogen geradezu zwischen den Felsen hindurch. Dunkle Wolken breiteten sich immer weiter über dem Meer aus, der Wind wurde stärker, ein Unwetter braute sich zusammen. Ob Lady Charlotte wirklich noch heute eintreffen würde, wie es angekündigt war?

In aller Eile hatte er sich um Personal kümmern müssen, und er hatte eine Haushälterin, einen Butler und ein paar Haus-, Stuben- und Küchenmädchen gefunden. Alles Weitere würde die Lady vermutlich selbst erledigen wollen. Es waren kaum fünf Tage Zeit geblieben, die Dienstboten zusammenzustellen und das Haus herzurichten.

Sein Blick wanderte von den Wolken am Horizont hinunter auf die unbefestigte Straße, die zwischen Wiesen und Meer verlief. Erschrocken starrte er auf ein seltsames Hindernis, das in der Ferne auf dem Weg auftauchte. Er kniff die Augen zusammen, während er darauf zuhielt. Ein Rad ragte aus dem Haufen auf, Holzstreben stachen in den dunklen Himmel.

Ein Unfall! Eine Kutsche schien verunglückt zu sein. Jetzt erkannte er eine Gestalt, die neben dem Berg aus Rädern und Holz stand. Ein Stück weiter sah er einen Mann, der zwei Pferde führte.

Hugh bremste seinen Wallach und ritt langsam auf die Stelle zu. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er die elegant gekleidete fremde Frau sah, die hilflos über ein Bündel gebeugt dastand. Er brachte sein Pferd zum Stehen und sprang aus dem Sattel. In diesem Moment ritt der fremde Mann auf einem der Pferde davon, das andere führte er am Zügel mit sich. Ob er wohl Hilfe holte? Hugh wandte sich an die junge Dame.

»Eure Ladyschaft? Lady Charlotte?«, fragte er, obwohl er sicher war, die Antwort zu kennen. Hierher, ans Ende der Welt, kam niemand ohne Grund.

Die elegant gekleidete Frau sah auf, und er stellte erstaunt fest, wie schön sie war. Die zweite Beobachtung, die er in diesem Moment machte, war die Verzweiflung, die in ihrem tränennassen Gesicht stand.

Sie schluchzte und deutete auf eine Gestalt, die inmitten der Trümmer der Kutsche lag. »Sie ist tot.«

Hughs Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich. Er trat neben sie und sah auf die Frau zu Füßen seiner Herrin hinunter. Die Krankenschwesternhaube über dem blassen, unscheinbaren Gesicht war verrutscht. Der zarte Körper jedoch wirkte unversehrt. Kein Blutstropfen war zu sehen, kein Glied schien verrenkt. Aber die Augen waren aufgerissen und so starr, dass Hugh nicht nach dem Puls zu tasten brauchte, um zu wissen, dass die Frau nicht mehr lebte. Ihr Gesicht war leichenblass. Er nahm den Hut ab und neigte respektvoll den Kopf. Dann fragte er: »Wer ist sie?«

Lady Charlotte sah ihn einen Augenblick lang verwirrt an. Dann sagte sie mit tränenerstickter Stimme: »Schwester Marcy. Die Tote hier ist meine gute Freundin, Daphne Marcy.«

Erstes Kapitel

London, April, Gegenwart

Mrs Fowler war runzlig, roch nach alter Frau, und die Bundfaltenhose und die altmodische Seidenbluse, in der sie steckte, erinnerten Spring an Jessica Fletcher aus der Fernsehserie Mord ist ihr Hobby, die ihre Mutter früher stundenlang, mit einem Joint in der Hand, in sich aufgesogen hatte. Aus der Wohnung hinter Mrs Fowler quollen abgestandene Luft und Finsternis.

»Was ist das denn für ein lächerlicher Name? Spring Season?« Die alte Frau ließ ihren Blick über Springs schwarze Klamotten, die dunkel lackierten Fingernägel, die Doc Martens und den kahl rasierten Kopf wandern.

Spring zuckte mit den Schultern und machte eine Kaugummiblase, die sie demonstrativ zerplatzen ließ. »Hören Sie, ich habe ebenso wenig Bock auf diese Nummer wie Sie. Es nervt, dass ich einhundertvierzig Sozialstunden aufgebrummt bekommen habe.« Spring ließ den schwarzen, zerschlissenen Rucksack von der Schulter gleiten, den sie irgendwann mal in einem verlassenen U-Bahn-Schacht gefunden hatte, und zog eine Mappe daraus hervor. »Sie können auch einfach hier unterschreiben, dass ich heute drei Stunden bei Ihnen war. Ich soll fünfmal in der Woche kommen, um zu helfen. Sie können hier alles abzeichnen, dann komme ich erst wieder, wenn ich die neue Liste habe.« Spring hielt der alten Frau das Dokument unter die Nase.

Einen Moment starrte Mrs Fowler auf das Blatt, dann schob sie mit ihrer gichtigen, von Altersflecken übersäten und faltigen Hand Springs Arm weg und schüttelte den Kopf. »So einfach mache ich es dir nicht. Komm rein und zieh die Schuhe aus, ich will nicht den Dreck von Londons Straßen hier drin haben.«

Spring unterdrückte ein Seufzen. Sie hatte tatsächlich kurz gehofft, so leicht davonzukommen. Sie atmete noch einmal die einigermaßen frische Luft des Treppenhauses ein, bevor sie in die Höhle der Alten trat. Die Glasscheibe in der Tür schepperte, als Spring sie hinter sich zuzog, was ihr gleich einen bösen Blick von Mrs Fowler einbrachte. Sie bückte sich, um die Doc Martens aufzuschnüren, und stellte sie neben die ausgetretenen Gesundheitsschuhe der Frau, der sie fortan im Haushalt helfen musste.

Tageslicht sickerte plötzlich in den dunklen Korridor. Als Spring sich wieder aufrichtete, sah sie, dass die alte Frau vor ihnen eine Tür geöffnet hatte, die in einen hellen Raum führte. Jetzt konnte Spring die dicke alte Seidentapete im Flur erkennen, die sicher schon seit Jahrzehnten hier hing. Die Farbe der bunten Blumen, die darauf gedruckt waren, war verblasst. Helle Quadrate zeugten davon, dass hier einmal Bilder gehangen hatten. Rechts und links führten jeweils drei Türen ab, die alle geschlossen waren. Spring warf einen flüchtigen Blick auf die wenigen Fotografien, die neben den kahlen Stellen hingen. Darauf waren aber nur Landschaften oder Pferde zu sehen. Eins zeigte ein großes Herrenhaus, das Spring vage bekannt vorkam, und kurz blitzte die Erinnerung an ein Schloss ihrer Kindheit auf, die sie aber schnell von sich schob. Diese alten Kästen sahen sowieso alle gleich aus, es war vermutlich nur eine zufällige Ähnlichkeit zwischen den Anwesen. Spring folgte Mrs Fowler in das Zimmer am Ende des Flurs.

»Schließ die Tür, ich habe nicht genug Geld, um Heizkosten zu verplempern«, erklärte die alte Frau herrisch. In einem Erker des großen Raums stand ein Tisch mit vier Stühlen, auf dem sich Zeitschriften stapelten. Eine altmodische offene Küche befand sich links der Tür. Rechts von Spring standen ein geblümtes Sofa, ein quietschgelber Sessel, ein Couchtisch, ein Sideboard mit einem kleinen Röhrenfernseher und drei Vitrinen mit altem Porzellan. Spring musste zugeben, dass alles geordnet und sauber wirkte, wenn auch ein bisschen aus der Zeit gefallen. Der Läufer, der auf dem Parkettboden lag, war so zerschlissen, dass das Muster an einigen Stellen nicht mehr zu erkennen war. Auch hier gab es diese hellen Stellen an den Wänden.

»Also?«, wandte Spring sich an Mrs Fowler, die an die braune Küchenzeile getreten war und dort mit dem Wasserkocher hantierte. »Was wollen Sie? Soll ich was einkaufen gehen? Saubermachen scheint ja nicht unbedingt nötig zu sein.« Demonstrativ strich Spring über die Kante eines Setzkastens, der neben der Tür hing und in dem sich geschmacklose Miniaturfiguren angesammelt hatten. Kein Körnchen Staub blieb an ihrer Haut hängen. Sie versuchte es noch einmal: »Oder soll ich lieber wieder gehen?«

»Komm her.« Mrs Fowler winkte sie zu sich, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Nimm mal zwei Tassen aus dem Schrank hier und trag sie rüber zum Tisch. Ich mache uns Tee.« Sie füllte den Wasserkocher, den sie auf eine der offenen Gasflammen des Herds stellte. Einen solchen Ofen hatte Spring lange nicht mehr gesehen. Sofort erinnerte sie sich an die große Küche auf der Farm, wie die vier Schwestern um den Tisch gesessen hatten und dieses Tuckern des Gases erklang, während man ein Streichholz oder Feuerzeug daran hielt. Schnell verdrängte sie den Gedanken. Das alles lag lang zurück, und sie hatte damit abgeschlossen. Spring beobachtete, wie Mrs Fowler die Flamme in Gang setzte und dann den Kessel daraufstellte, zu einer der Vitrinen im Wohnzimmer schlurfte und eine Porzellankanne mit roten und goldenen Rosen darauf hervorholte. Spring riss sich von dem Anblick der alten Frau los und kam ihrem Auftrag nach, zwei Tassen aus dem Schrank zu nehmen und zu dem Tisch im Erker zu tragen. Sie räumte die Zeitschriften zusammen, um Platz zu schaffen.

»Hier«, Mrs Fowler hatte eine Packung Shortbread aus einem der anderen Schränke geholt, »bring das auch rüber.«

Fünf Minuten später saßen sie am Tisch, und Mrs Fowler schenkte ihnen Tee durch ein Metallsieb ein, das sie über die Tassen hielt. Trotz der gichtigen Hände wirkten ihre Bewegungen elegant und geschmeidig. Spring hielt es nicht für notwendig, der Alten mitzuteilen, dass sie Tee hasste und nur Kaffee und Limonade trank. Diese Episode würde hoffentlich einmalig bleiben, warum also lange Diskussionen führen. Wenn sie Glück hatte, würde sie die betagte Dame dazu bringen, ihr das Dokument zu unterschreiben, ohne weiter auf Springs Besuchen zu bestehen.

»Du hast meine Zeitschriften durcheinandergebracht.« Mrs Fowler sah Spring tadelnd an. »Das darfst du nie wieder tun. Ich habe eine ganz spezielle Ablage. Jetzt muss ich nachher alles wieder danach durchsehen, was ich schon gelesen habe.«

»Sorry«, Spring verdrehte die Augen, »ich wusste nicht, dass das so wichtig ist.«

»Sicher ist es das«, erwiderte Mrs Fowler. »Das ist meine einzige Möglichkeit, heute noch am Leben der Gesellschaft teilzunehmen, der ich früher angehörte.«

»Klar.« Spring musste ein Lachen unterdrücken. Im nächsten Moment wurde ihr jedoch ganz anders. Was war der eigentliche Grund, warum sie die Sozialstunden bei dieser alten Lady ableisten sollte? Ihre Wohnung war ordentlich, also ging es womöglich gar nicht um eine körperliche Gebrechlichkeit, sondern um eine geistige Schwäche? Demenz vielleicht? Na prima, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Vermutlich sah die Dame rosafarbene Elefanten.

»Sie wollen sagen, dass Sie früher mal eine berühmte Schauspielerin waren?«, fragte Spring vorsichtig nach. Sie wollte die Frau nicht aufregen, bei Verrückten wusste man ja nie.

»Sei nicht albern!« Mrs Fowler machte eine Handbewegung, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen.

»Eine Sängerin?«, versuchte Spring es erneut. Was wollte die Alte von ihr hören?

Mrs Fowler schüttelte ungeduldig den Kopf. »Mein Vater saß im Oberhaus. Ich war immer ein Mitglied der Gesellschaft, bis mein Mann starb …«

»Klar«, wiederholte Spring und verdrehte wieder die Augen. Eine alte Lady, die sich einbildete, einst zum Hofstaat von Queen Elizabeth gehört zu haben. Sie nahm ihren Kaugummi aus dem Mund und legte ihn auf den Rand ihrer Untertasse.

»Was soll das denn?« Mrs Fowler sah angewidert auf den weißen Gummiklumpen. »Das ist ja ekelerregend. Schmeiß das Ding gefälligst in den Mülleimer dahinten.« Sie deutete in Richtung der Küchenzeile.

»Den will ich gleich weiterkauen«, erklärte Spring entrüstet, stand aber auf, als sie Mrs Fowlers schneidenden Blick auf sich spürte. Als sie zum Tisch zurückkehrte, hatte die alte Dame Milch in beide Tassen gegeben. Das wurde wirklich immer schlimmer, jetzt sollte Spring auch noch Tee mit Milch trinken. Spießiger ging es wirklich nicht.

»Kannst du dir keinen neuen Kaugummi leisten?«, fragte Mrs Fowler mit gehobenen Augenbrauen.

»Dann säße ich nicht hier, oder?« Spring funkelte sie an. »Was mich zum Thema zurückbringt. Was wollen Sie von mir? Sollen wir uns das wirklich fünfmal die Woche antun, dass ich hierherkomme? Ihre Wohnung sieht eigentlich ganz okay aus. Oder soll ich was einkaufen gehen?« Wenn Spring die Sache mit einem Einkauf hin und wieder erledigen könnte, wäre sie zufrieden. Nur nicht jeden Tag stundenlang hier rumhängen!

»Vielleicht«, entgegnete Mrs Fowler und nippte an ihrem Tee. »Ich will dich erst mal kennenlernen. Wer bist du? Wieso bist du verurteilt worden?«

»Ich bin Spring Season, und verurteilt wurde ich wegen Drogengebrauch.« Spring sah die Alte herausfordernd an. »Und wegen Drogenhandel und Diebstahl.«

»Wie bist du dazu gekommen?« Mrs Fowler hielt Springs Blick stand.

Spring stutzte. »Wie schon? Was ist das denn für eine Frage?«

Mrs Fowler schwieg. Spring trank einen Schluck Tee und verzog das Gesicht. Das Gebräu war heiß und schmeckte genauso, wie sie es in Erinnerung hatte: nach Wasser und Heu. Sie stellte die Tasse wieder ab. Mrs Fowler schwieg noch immer.

Spring seufzte. »Ich hab in einem Starbucks in Isleworth gejobbt. Abends trafen sich vor dem Laden immer ein paar Jugendliche. Coole Typen. Ich fing an, mit ihnen abzuhängen, und hab manchmal auch was genommen. Da führte eins zum anderen.«

»Und irgendwann wurdest du erwischt.« Auch Mrs Fowler trank einen Schluck Tee.

»Das war Pech.« Spring dachte an die Polizisten, die sich unter sie und ihre Freunde gemischt hatten. Niemand hatte etwas geahnt, sie hatten geglaubt, dass die beiden genauso drauf waren wie alle anderen. Und dann hatten sie alle in eine Falle gelockt. Für Phoebe und Creepie sah es gar nicht gut aus, sie waren auf Bewährung, und dieses Mal konnte es passieren, dass sie eingebuchtet wurden. Die anderen waren mit leichten Strafen und Sozialstunden davongekommen.

»Was ist mit deinen Eltern?«

Spring hielt einen kurzen Moment inne. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Was soll mit denen sein?«

»Haben die nichts mitbekommen?«

»Von den Drogen?« Spring musste lachen. »Erstens leben die nicht hier in London, und zweitens – damit die was mitbekommen, müssten sie selbst erst mal runterkommen von ihren Trips.«

Mrs Fowler nickte stumm. Sie schenkte sich Tee nach. Eine ganze Weile sagte keine von ihnen etwas. Spring sah aus einem der Erkerfenster auf die Straße hinunter. Hier in Holborn lebten ganz andere Menschen als in Isleworth. Die Wohnung schien gar nicht mal klein zu sein. Spring fragte sich, was die wohl einbringen würde, wenn die alte Lady sie verkaufen würde.

»Haben Sie keine Angst, dass ich Sie ausrauben könnte?«, fragte sie, nachdem sie zwei Schlucke Tee hinuntergewürgt hatte.

Die alte Lady schüttelte den Kopf und rückte einen einzelnen Porzellanhasen zurecht, der vom Osterfest letzte Woche übrig geblieben zu sein schien. »Das wäre ziemlich dumm von dir. Du hast eine Bewährungsstrafe. Wenn du etwas stehlen würdest, kämst du ins Gefängnis. Und ich könnte deinen Namen angeben, du bist bei der Polizei bekannt.«

Spring nahm sich einen Keks und knabberte nachdenklich daran herum. Die Alte hatte natürlich recht. Ihr waren die Hände gebunden, sie durfte sich nichts erlauben, sonst wäre es vorbei mit der Freiheit.

»Was hast du mit deinem Leben vor?« Mrs Fowler stand auf und trug die Teekanne und ihre leere Tasse zur Spüle.

»Keine Ahnung«, erwiderte Spring, steckte den Keks in den Mund und fuhr mit vollem Mund fort: »Es kommt mir vor, als wären Sie von der Polizei. Sie fragen mir ja Löcher in den Bauch.«

Mrs Fowler warf ihr einen tadelnden Blick zu. Dann sagte sie: »Ich mache nur Konversation. – Das bedeutet, du hast keine Pläne für deine Zukunft?«

»Sehe ich aus wie ein Spießer?« Spring brachte ihre halb volle Teetasse ebenfalls zur Küchenzeile. Sie kannte keinen einzigen Menschen, der Pläne machte, außer vielleicht ihre Schwestern Summer und Winter, aber die waren immer schon schräg gewesen und vollkommen anders als Spring und der Rest der Familie. Die beiden waren tatsächlich Spießer.

»Du siehst jedenfalls nicht wie eine aus, die ihr restliches Leben mit Sozialstunden verbringen will.« Die alte Frau schlurfte zurück zum Tisch. »Und wo wohnst du? Ich will mir die Behausung lieber nicht vorstellen, in der du untergekommen bist.«

Spring dachte an das schmuddelige Zimmer, das sie in einer WG gefunden hatte und kaum bezahlen konnte. »Ist auch besser so.«

Mrs Fowler breitete die Arme aus. »Dabei bist du noch so jung. Wie alt bist du eigentlich?«

»Vierundzwanzig«, brummte Spring, die keine besonders große Lust hatte, mit der Alten über ihr Leben zu reden.

»Gut, komm mit.« Mrs Fowler schlurfte vor Spring her aus dem Zimmer. In dem dunklen Flur öffnete sie eine der Türen.

Spring trat hinter ihr in ein großes, kaltes Schlafzimmer. Beheizt wurde offenbar wirklich nur der Wohnraum. Sie strich sich fröstelnd über die Arme. Es war Anfang April, aber bestimmt nicht wärmer als acht Grad. Die Temperatur hier drinnen schien kaum höher zu liegen. Sie sah sich um. In der Mitte des Raumes baumelte eine Lampe von der Decke. Direkt darunter befand sich das Fußende eines großen Bettes. Neben dem Fenster stand ein altmodischer Schminktisch mit dreiteiligem Spiegel, davor ein bequemer Stuhl statt des üblichen Schminkhockers. Ein massiver Eichenholzschrank und eine Kommode komplettierten die Einrichtung. Es roch nach einem schweren Alte-Frauen-Parfüm, nach Flieder und Veilchen.

Mrs Fowler deutete auf einen Wäschekorb in der Ecke. »Das ist die erste Aufgabe für dich. Das muss alles gewaschen, getrocknet und gebügelt werden.«

Na wunderbar! Alte Frauenwäsche machen, das war genau das, was Spring gefehlt hatte! Sie unterdrückte einen genervten Seufzer. »Okay, wo ist die Waschmaschine?«

»In der Waschküche im Keller.« Mrs Fowler schlich mit tapsigen Schritten aus dem Zimmer. In der Tür drehte sie sich um. »Aber die ist defekt. Du musst also in den Waschsalon gehen.«

»Echt jetzt?« Spring wollte sich gerade nach dem Korb bücken, als sie noch einmal innehielt und ihren Seufzer nun laut ausstieß. Sie war es gewohnt, ihre Wäsche im Waschsalon zu waschen, denn natürlich konnte sie sich keine Maschine leisten. Sie wusch daher nicht sonderlich oft ihre Wäsche, nur wenn es gar nicht mehr anders ging. Und jetzt sollte sie das für die Alte tun? Die Bude hier war nicht so wie das Loch, das sie in Isleworth bewohnte. Das hier war ein Haus, in dem Menschen lebten, die eigene Waschmaschinen besaßen. Und sie auch reparieren lassen konnten. »Vielleicht sollten Sie mal jemanden kommen lassen, der sich das Ding ansieht.«

»Glaub mir, du Schlauberger«, Mrs Fowler sah sie mit gehobenen Augenbrauen an, »auf die Idee bin ich auch schon gekommen. Aber die Maschine ist fünfunddreißig Jahre alt, und der Herr vom Service meinte, es gibt keine Ersatzteile mehr. Ich brauche eine neue.«

»Und?« Spring stemmte eine Hand in die Hüfte. »Sagen Sie mir nicht, dass Sie sich die nicht leisten können. Bei der Bude hier …«

»Es ist nicht alles so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint«, antwortete die alte Frau und wandte sich ab.

Spring atmete tief durch. Na schön, auf diese Weise war sie wenigstens eine Weile beschäftigt. Sie griff nach dem Wäschekorb und rümpfte die Nase, als ein Schwall des aufdringlichen Parfüms daraus aufstieg.

»Der nächste Waschsalon ist an der Ecke.« Mrs Fowler machte eine unbestimmte Handbewegung. Dann reichte sie Spring eine Geldbörse. »Hier sind Münzen und ein bisschen Geld zum Einkaufen. Das ist die Liste.« Sie reichte ihr ein dicht beschriebenes Blatt Papier.

Was hatte die Alte denn vor? Wollte sie eine Party geben?

Spring nahm das Geld und den Zettel. Sie warf einen Blick darauf und stellte fest, dass es gar nicht viele Dinge waren, die auf der Liste standen, dafür aber zu jedem Artikel genaue Anweisungen – in welchem Laden er für wie viel im Angebot war. »Ist das Ihr Ernst? Ich soll in vier verschiedene Läden gehen, um diese paar Sachen einzukaufen?«

Ohne auf ihren Einwand einzugehen, schlurfte die alte Frau durch den Flur, öffnete eine der Kommodenschubladen und holte ein Einkaufsnetz hervor. »Du steckst die Wäsche in die Maschine, das dauert zwei Stunden. In der Zeit kaufst du ein und bringst mir die Einkäufe. Dann bereiten wir zusammen das Mittagessen vor, ehe du die Wäsche in den Trockner steckst.«

Spring ließ die Schultern hängen. So viel zu ihrem Plan, sich, während die Wäsche gewaschen wurde, ein paar faule Stunden zu machen. Die Alte war eine Sklaventreiberin.

Während sie die Wäsche die Treppen hinunterschleppte, fragte Spring sich, ob Mrs Fowler sich tatsächlich keine neue Maschine leisten konnte oder ob es eine Ausrede war, um arme Geschöpfe wie sie zur Arbeit zu treiben. Die Wohnung war auffallend sauber für eine so alte Frau. Spring konnte sich nicht vorstellen, dass sie den ganzen Tag den Staubwedel schwang. Allerdings waren die Teppiche zerschlissen und die Möbel alt. Und auch wenn die Bude groß war und in einer teuren Wohngegend lag, schien Mrs Fowler nicht gerade im Geld zu schwimmen, was die Rennerei nach den besten Sonderangeboten bewies.

Spring wich einer Frau mit einem Zwillingsbuggy aus, die ihr einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. Anscheinend war es vollkommen okay, mit einem ausladenden Kinderwagen den Bürgersteig zu blockieren, nicht aber mit dem großen Weidenkorb voller Schmutzwäsche einer alten Frau. Springs Gedanken kehrten wieder zu Mrs Fowler zurück. Oder war sie einfach nur geizig? Von nichts kommt nichts, so hieß es doch, oder? Wie auch immer, Spring musste die Sache hinter sich bringen. Einhundertvierzig Stunden waren auszuhalten. Irgendwie.

 

Sie hatte den Waschsalon erreicht und war froh, dass außer einem jungen Pärchen und zwei älteren Männern nicht viel mehr Leute da waren. Sie steuerte auf eine der großen Maschinen zu, hielt den Atem an, um dem aufdringlichen Flieder-und-Veilchen-Parfüm nicht ausgesetzt zu sein, stopfte die Wäsche hinein und zog am Automaten Waschpulver und Weichspüler. Als die Trommel sich endlich drehte, atmete sie erleichtert auf. Einen Moment lang überlegte sie, statt die aufgetragenen Einkäufe zu erledigen, ein ruhiges Eckchen zu suchen, um ein Schläfchen zu halten. Aber Mrs Fowler war zuzutrauen, dass sie sofort beim Amt anrief, und dann würde die Drachenlady, wie Spring und ihre Freunde Mrs Pengally nannten, aufkreuzen und ihr eine neue Vorladung bringen. Nein, es wäre wohl am besten, die hundertvierzig Stunden durchzuziehen, danach konnte sie wieder ihr eigenes Ding machen.

Wobei Spring zugeben musste, dass sie eigentlich kein Ding hatte. Aber irgendwas würde sich schon finden. Sie musste Geld verdienen, aber sie sollte sich nicht mehr auf krumme Geschäfte einlassen. Den Job im Starbucks hatte sie verloren, als aufgefallen war, dass sie sich aus der Kasse bedient hatte.

Sie verließ den Waschsalon und sah auf den Einkaufszettel. Eine Gruppe junger Menschen in teuren Anzügen und Businesskostümen kam gerade an ihr vorbei. Sie warfen Spring irritierte Blicke zu. Sie konnte förmlich ihre Gedanken hören: Was hat die denn hier zu suchen? So eine gehört nicht nach Holborn.

Spring streckte trotzig das Kinn vor und machte sich auf den Weg. Sie musste zum Tesco Express und zu Marks & Spencer. Beides schien hier in der Nähe zu sein. Da sie kein Guthaben mehr auf ihrem Handy hatte, musste sie es ohne die Hilfe der Online-Karte schaffen. Mrs Fowler hatte ja immer penibel die Straßen vermerkt, in denen sich die Geschäfte befanden, und ein wenig kannte Spring sich aus, weil sie letztes Jahr mit Phoebe zusammen hier herumgezogen war, auf der Suche nach unvorsichtigen Opfern, denen sie die Geldbörsen aus den Manteltaschen ziehen konnten. Spring war nie sonderlich gut darin gewesen und spätestens nach ihrer Verurteilung hatte sie sich geschworen, nicht wieder zu stehlen.

Während sie auf den kleinen Tesco zusteuerte, dachte sie wieder über die Frage der alten Frau nach, was sie denn mit ihrem Leben anfangen wolle. Sie hatte keine Antwort darauf. In den letzten Jahren hatte sich alles wie von selbst entwickelt, leider in keine allzu gute Richtung, wie sie zugeben musste. Vor allem musste sie aufhören mit den Tabletten und dem Gras. Auch wenn ihr das jedes Mal ein paar entspannte Stunden bescherte, war es teuer und brachte außer dieser Entspannung nichts. Im Moment erhielt sie gut dreihundert Pfund pro Woche an Sozialleistungen. Davon ging schon mehr als die Hälfte für die Miete drauf.

Ganz klar, sie sollte sich wieder einen Job suchen, vielleicht in einer besseren Gegend, zum Beispiel hier in Holborn, wo die Menschen Geld hatten, um ein anständiges Trinkgeld zu geben und nicht nur Pennys, wenn überhaupt. Es war beschissen, von der staatlichen Hilfe zu leben.

Sie betrat den Laden, und warme Luft wehte ihr entgegen. Mrs Fowler hatte ganz genau aufgeschrieben, was die Eier kosten durften, das Gemüse, die Margarine und der Tee. An der Kasse suchte Spring gerade alles auf den Penny genau zusammen, als ihr Blick auf einen Zettel fiel, der an der Wand hing: »Aushilfen gesucht«. Vielleicht war das ja die Chance, auf die sie gewartet hatte. Sie hatte zwar keine Erfahrung als Kassiererin, aber im Café hatte sie schließlich auch abgerechnet. Sie nahm sich vor, nach dem Aushilfsjob zu fragen.

Wenig später hatte sie Marks & Spencer erreicht, wo Spring eine bestimmte Kekssorte aus dem Angebot kaufen sollte, und anschließend führte sie ihr Weg in den Schreibwarenladen und zur Post. Sie sah auf die Uhr. Über eine Stunde war sie nun schon unterwegs. In der kleinen Lederbörse waren noch genau drei Pfund übrig geblieben, von denen Spring wohl später den Trockner zu bezahlen hatte. Die alte Dame hatte genau gewusst, wie viel Geld Spring für die Einkäufe benötigte. Für kleine persönliche Extras war kein Spielraum.

Als sie wenig später wieder bei Mrs Fowler vor der Tür stand, bedachte diese sie mit einem prüfenden Blick. »Das hat ganz schön lange gedauert, ich hab schon mal angefangen, die Kartoffeln zu schälen.«

Spring sah sie entrüstet an. »Ich kenne mich hier nicht besonders gut aus und musste quer durch das Viertel rennen, um Ihre Angebote zu finden. Haben Sie mal darüber nachgedacht, in einen anderen Stadtteil zu ziehen? Hier sind nur teure Läden, keine Supermärkte, dafür aber edle Boutiquen. Wenn Sie schon auf Sonderangebote stehen, sollten Sie vielleicht in einen der Vororte umsiedeln.«

Die alte Frau musterte sie einen Moment lang, dann sagte sie: »Ja, das sollte ich tun.« Schließlich wandte sie sich ab und ging in die Küche.

Spring schälte sich aus ihrer zerschlissenen Jacke, warf sie nachlässig über einen der Garderobenhaken im Flur und zog die verschrammten Doc Martens aus. Dann folgte sie der alten Frau in den Wohnraum.

Mrs Fowler stand an der Küchenzeile und war mit den Kartoffeln beschäftigt. Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung Küchentisch. »Du kannst die Bohnen putzen, die du mitgebracht hast. Es gibt Gemüsesuppe zum Lunch.«

Spring machte sich an die Arbeit, wobei die alte Frau ihr jeden Schritt genauestens vorgab. Als die Suppe schließlich auf dem Gasherd vor sich hin köchelte, musste Spring zum Waschsalon gehen, um die Wäsche in den Trockner zu werfen. Nach dem Mittagessen und nachdem sie die trockene Kleidung geholt hatte, musste sie sich von Mrs Fowler eine lange Anleitung zum richtigen Bügeln und Falten anhören. Als die Schlüpfer, Röcke, Baumwollblusen und Hemdchen endlich ordentlich im Schrank lagen, dämmerte es bereits. Aus den geschätzten drei Stunden waren sieben geworden. Sie waren wie im Flug vergangen.

»Morgen früh, neun Uhr«, waren die Abschiedsworte der alten Frau, bevor sie die Tür schloss und Spring müde nach Hause ging. Erst auf dem Heimweg fiel ihr ein, dass Mrs Fowler für die heutigen Stunden noch nicht unterschrieben hatte.

 

In den nächsten Tagen schlich sich eine gewisse Routine ein. Morgens um neun erwartete Mrs Fowler sie, und falls Spring zu spät dran war, was auch dem morgendlichen Berufsverkehr geschuldet sein konnte, erhielt sie von der alten Dame eine Rüge. Sie musste die Zeit nacharbeiten, und die Verfehlung wurde in einem Notizbuch festgehalten, von dem Spring befürchtete, dass es ihrer Betreuerin Mrs Pengally vorgelegt werden würde.

Allmählich begann Spring zu ahnen, warum Mrs Fowlers Wohnung so sauber war. Sie schien nicht die erste Sozialstundenabsolventin zu sein, die von Mrs Fowler wie ein Hausmädchen behandelt wurde. Allerdings musste Spring zugeben, dass es ihr allmählich immer mehr Spaß machte, für die alte Lady zu arbeiten. Mittags bekam sie stets ein einfaches, aber gesundes Essen vorgesetzt, wie sie es in ihrem Leben bislang nicht gekannt hatte. Auf der Farm hatten sie immer zwischendurch gegessen, wenn gerade Zeit war. Ihre Eltern waren meist mit sich selbst oder ihren vielen Freunden beschäftigt gewesen, sodass Spring und ihre drei Schwestern sich in der Regel ein Sandwich schmierten oder eine Dosensuppe aufwärmten. Die Suppen und Eintöpfe, die die alte Dame jeden Mittag frisch zubereitete, waren ungewohnt, aber mit jedem Tag freute sich Spring mehr darauf. Mrs Fowler brachte ihr bei, wie die Böden zu wischen, die Fenster zu polieren, das Badezimmer zu putzen und auch das Essen zu kochen war. Die Einkaufslisten blieben kompliziert und verlangten weite Wege von Spring. Und das Geld war immer genau abgezählt.

Während sie Gemüse putzten, Kartoffeln schälten oder Vitrinen auswuschen, unterhielten sie sich meist über belanglose Dinge. Spring hatte den Eindruck, dass Mrs Fowler das Gespräch absichtlich immer wieder in eine bestimmte Richtung lenkte.

»Was wirst du tun, wenn du deine Stunden bei mir abgeleistet hast?«, fragte sie beispielsweise, während sie gerade die Porzellantassen aus der Vitrine in warmem Wasser abspülten.

Spring zuckte mit den Schultern. »Ich habe eine Anzeige beim Tesco Express gesehen. Die suchen Aushilfen.« Noch hatte sie sich dort nicht vorgestellt, aber sie hatte den Eindruck, dass der Laden, der vierundzwanzig Stunden täglich geöffnet hatte, ständig neue Angestellte suchte.

»Das ist also dein Plan? Zu jobben?« Mrs Fowler polierte eine der zarten Untertassen mit dem Geschirrtuch.

»Irgendwas muss ich ja tun«, erklärte Spring, »und sonst habe ich keine Idee, was zu mir passen würde.«

»Ach, Kind«, seufzte die alte Frau, »du bist noch so jung. Du musst dir etwas suchen, für das du leben kannst. Eine Stelle an der Kasse bei Tesco sollte das nicht sein.«

Spring tauchte eine der staubigen Tassen ins Spülwasser und überlegte, was sie gern tun würde, wenn sie alle Möglichkeiten hätte. Aber ihr fiel nichts ein. Sie hatte noch nie in ihrem Leben Zeit gehabt, darüber nachzudenken, sie war immer damit beschäftigt gewesen, zu überleben. Als Kind und jetzt als junge Erwachsene, immer hatte sie auf sich aufpassen, für sich selbst kämpfen müssen.

Ein anderes Mal, als sie gerade ihren Eintopf zum Mittagessen aßen, fragte Mrs Fowler: »Möchtest du einmal eine Familie gründen? Kinder bekommen?«

»Nein«, sagte Spring so entschieden, dass die alte Frau erstaunt von ihrem Gemüse aufsah.

»Da scheinst du dir ja sehr sicher zu sein.« Sie betrachtete sie prüfend.

»Ja«, antwortete Spring knapp. Es war für sie nie infrage gekommen, Kinder zu haben, sie wusste, wie so etwas ausgehen konnte, wenn man nicht dafür geboren war, Mutter zu sein.

»Warum nicht?«, bohrte die Alte nach, und Spring wäre am liebsten vom Tisch aufgestanden und hätte auf den Rest ihres Essens verzichtet.

»Ich wäre keine besonders gute Mutter«, erklärte sie knapp und hoffte, dass Mrs Fowler sich damit zufriedengab. Um das Thema zu wechseln, sagte sie: »Hat Ihnen Mrs Pengally gesagt, dass Sie mich nach meiner Zukunft fragen sollen? Sie sind ja ganz versessen darauf, zu erfahren, was ich so plane.«

Mrs Fowler lächelte. »Mir braucht niemand etwas aufzutragen. Ich habe meinen Verstand noch ganz gut beisammen, und ich weiß, dass es den jungen Menschen, die auf die schiefe Bahn geraten sind, meist nur an guten Plänen fehlt. An realistischen Zielen und Träumen, die ihnen einen Sinn geben. Probiere es aus, nimm dir etwas vor. Etwas, das mehr ist als ein Aushilfsjob. Es muss etwas sein, für das du brennst, wofür du leben kannst, verstehst du?«

Einen Moment lang dachte Spring über die Antwort nach. Natürlich hatte Mrs Fowler recht, Spring hatte keine Träume, sie machte einen großen Bogen darum, weil zu Hause viel zu viel geträumt worden war. Und all das wollte Spring nicht. Sie wusste sehr genau, was sie nicht wollte. Was sie jedoch wollte, das wusste sie nicht.

Die alte Frau sah sie immer noch prüfend an. Daher entschloss sie sich zu einer Gegenfrage: »Was war es bei Ihnen? Wofür haben Sie gelebt?«

Einen Moment lang wirkte Mrs Fowler überrascht. Dann trat ein wehmütiger Ausdruck auf ihr Gesicht. »Für meine Familie und das Haus. Für meine Heimat, würde ich sagen.«

»Ihre Familie? Dann haben Sie also Kinder?« Bislang hatte Mrs Fowler keine Besucher gehabt, deshalb war Spring davon ausgegangen, dass die alte Frau allein war und keine Angehörigen mehr hatte.

»Oh ja.« Mrs Fowlers Löffel schwebte über ihrem Eintopf. »Ich habe einen Sohn und zwei Enkelkinder.«

»Tatsächlich?« Unwillkürlich sah Spring sich um. Es gab hier keine Bilder von ihnen, keine Erinnerungen. Nicht einmal ein Hochzeitsfoto von Mrs Fowler und ihrem Ehemann. Nur die wenigen Schwarzweißfotografien im Flur, die jedoch hauptsächlich Landschaften und Häuser zeigten.

»Es entgeht dir viel, wenn du keine Kinder bekommen willst«, lenkte die alte Dame das Gespräch geschickt wieder von sich weg. Gleichzeitig legte sich ein Schatten auf ihr Gesicht, und Spring fragte sich einen Moment lang, ob sie diese Worte sarkastisch gemeint hatte.

Sie beschloss, nicht weiter nachzufragen, aber sie behielt das Thema im Kopf.

 

Eines Tages erklärte Mrs Fowler Spring beim Nachmittagstee, dass sie sie fortan nicht mehr Mrs Fowler, sondern Sophia nennen solle, schließlich seien sie inzwischen gut miteinander bekannt. Da war sich Spring nicht so sicher, denn sie beide wussten kaum etwas voneinander. Nicht nur Spring achtete darauf, nichts von ihrer Vergangenheit preiszugeben, auch Sophia schien vieles vor ihr zu verbergen. Sobald die Sprache auf die Vergangenheit kam, wurde Sophia verschlossen. Aber insgeheim freute Spring sich darüber, die alte Dame nun mit ihrem Vornamen anzusprechen.

Manchmal erwischte sie sich dabei, sich zu wünschen, Sophia wäre ihre Großmutter. Wenn die beiden zusammen einkaufen gingen, weil Sophia sich nicht entscheiden konnte, was sie zum Mittagessen kochen sollten, wurden sie meist tatsächlich für Enkelin und Großmutter gehalten, und beide schmunzelten hinterher darüber. Nie korrigierten sie die Annahme, und Spring hatte den Verdacht, dass das auch Sophia ganz gut gefiel.

Längst achtete Spring nicht mehr auf die genaue Stundenzahl. Zu Sophia zu gehen, war inzwischen für sie fast wie nach Hause kommen geworden. Sie freute sich abends, wenn sie in ihrem winzigen Zimmer lag und die laute, wummernde Musik ihrer Mitbewohner sie vom Schlafen abhielt, auf den nächsten Tag. Die Mahlzeiten bei Sophia schonten ihr eigenes Portemonnaie, aber noch mehr als dieses regelmäßige und nahrhafte Essen war es die alte Dame selbst, die sie schätzte.

Spring störte es nicht mehr, wenn sie von Sophia getadelt wurde, weil sie die Wäsche nicht ordentlich genug gefaltet oder die Tassen schlampig abgetrocknet hatte. Sie lernte aus ihren Fehlern und verstand, dass sie an dieser Kritik wachsen konnte. Ja, sie war beinahe versessen darauf, an gewisse Regeln gebunden zu werden.

»Wie sind Sie dazu gekommen, Leute wie mich zu … zu beschäftigen?«, fragte Spring Sophia, als sie eines Tages nebeneinander im kalten Schlafzimmer am Bügelbrett standen. Spring musste mit dem schweren alten Bügeleisen die Blusen, Hosen und Hemdchen plätten, während Sophie das Falten und Wegräumen der Kleidung übernahm.

»Ach, das ist schon viele Jahre her.« Sophia griff nach der Bluse, die Spring ihr hinhielt. »Damals kam ich nur sehr schwer mit meiner Situation zurecht.«

Spring griff nach einer der Altfrauenhosen. Der graue Baumwollstoff warf am Bund Falten, und diese Stücke ließen sich besonders schwer bügeln. »Erzählen Sie mir mehr davon, Sie wissen bereits so viel von mir, aber ich weiß gar nichts von Ihnen.«

»Mein Leben ist nicht besonders interessant.« Sophia machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich rede nicht gern darüber.«

»Hey, das ist unfair«, beschwerte sich Spring, während sie nach dem Bügeleisen griff und begann, die Hose zu bügeln. Inzwischen hatte sie sich sogar an das aufdringliche Flieder- und Veilchenparfüm gewöhnt. »Sie haben mich auch gelöchert, obwohl ich nicht gern darüber spreche.«

»Das ist doch was ganz anderes.« Sophia schloss vehement den Kleiderschrank und drehte sich zu ihr um. »Es geht schließlich um deine Zukunft. Meine Zukunft ist eher begrenzt.«

»Dafür haben Sie eine Vergangenheit.«

»Aber von deinem Leben, bevor du hierher nach London gekommen bist, hast du mir doch auch nichts erzählt«, sagte Sophia und wandte sich wieder dem Kleiderschrank zu. »Und deine Vergangenheit ist vermutlich weitaus aufregender, als es meine war.«

»Ich weiß nicht.« Spring hielt inne und stellte das Bügeleisen für einen Moment in die Halterung. »Sie haben mal erwähnt, dass Sie Kinder haben, aber warum sehe ich hier keine Fotos? Wo ist Ihr Hochzeitsbild? Andere Erinnerungen? Und Besuch habe ich hier auch noch nie gesehen.«

Dass sie mit diesen Fragen zu weit gegangen war, erkannte Spring erst, als es zu spät war. Tränen schimmerten in den Augen der alten Frau.

»Oh!« Spring trat hilflos einen Schritt auf Sophia zu. »Ich dachte nicht … Sorry, Sophia. Ich wusste nicht, dass das Wunden aufreißt.«

»Komm mit.«

Spring zog den Stecker des Bügeleisens und folgte Sophia in den Flur. Dass sie die alte Dame zum Weinen gebracht hatte, tat ihr leid, sie wollte nicht auch noch dafür verantwortlich sein, dass ihre Wohnung abbrannte.

In dem großen Wohnraum trat Sophia an eine der Vitrinen, öffnete die Schublade unter dem Glaskasten und holte ein altes Fotoalbum hervor.

»Das sind die Bilder, die du vermutlich vermisst hast.« Sie reichte Spring das Album, wandte sich aber selbst ab und ging zur Küchenzeile. »Schau dir die Bilder an. Ich kann es nicht.«

Unsicher sah Spring zwischen dem Fotoalbum und der alten Frau hin und her. Sie hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen und fühlte sich mies. Hatte sie sie zu sehr bedrängt? Nein, es war nur eine einzige Frage gewesen, die Sophia so getroffen hatte. Die Frage nach ihren Kindern und dem Ehemann.

»Na mach schon«, befahl Sophia. »Du hast gefragt, und ich will es dir nicht verschweigen. Aber es hat einen Grund, warum ich alles weggeschlossen habe und hier nichts mehr an meine Vergangenheit erinnert.«

Spring überlegte, ob Sophias Leben so schlimm gewesen war, dass sie nicht daran erinnert werden wollte.

»Nein«, sagte Sophia und beantwortete damit Springs stumme Frage. »Ich kann es nicht ertragen, zu sehen, was ich einst hatte und was ich verloren habe.«

»Dann will ich es auch nicht sehen.« Spring legte das Album in die Schublade zurück und schloss sie. »Wenn es Sie so belastet, möchte ich es nicht wissen.«

Sie erhob sich und marschierte zurück ins Schlafzimmer. Gerade hatte sie das Bügeleisen wieder angesteckt, als sie Sophias Trippelschritte hinter sich hörte.

»Du kannst es dir ruhig anschauen«, sagte Sophia, während sie neben das Bügelbrett trat und die Hose prüfte, die Spring gerade bügelte.

»Nur wenn wir es zusammen anschauen«, sagte Spring und sah Sophia forschend an. Sie griff wieder nach dem Bügeleisen, das noch nicht warm genug war, und fuhr über den Stoff der Hose.

Eine Weile spürte Spring Sophias Blick auf ihren Händen, sie verfolgte die gleichmäßigen Bewegungen.

»Also schön, du hast gefragt, wie ich dazu gekommen bin, junge Menschen, die Sozialstunden ableisten müssen, bei mir im Haushalt aufzunehmen. Ich frage es mich selbst manchmal. Mein Vater saß im Oberhaus, wir gehörten der Gesellschaft an.« Sophia hob ihre knochige Hand, um einen Einwand von Spring abzuwehren. »Ich weiß, du verachtest die Gesellschaft, stimmt’s?«

»Nein«, sagte Spring wahrheitsgemäß. »Ich habe, ehrlich gesagt, noch nie länger darüber nachgedacht.«

Sophia zuckte mit den Schultern. »Nachdem ich in jungen Jahren sehr unter einer großen, aber unglücklichen Liebe gelitten habe, habe ich einen einflussreichen Mann geheiratet. Auch er kam aus einer angesehenen Familie, die jedoch keinen Titel mehr hatte und gesellschaftlich etwas unter meiner Familie stand. Aber wir waren sehr glücklich miteinander. Dann ist er gestorben, und ich … ich bin in eine schlechte Position geraten.« Sophia machte eine kurze Pause und sprach dann so heftig weiter, dass Spring den Eindruck hatte, sie wollte sich selbst von der Erinnerung ablenken. »Zufällig traf ich eines Tages hier in London eine Bekannte, die mir empfohlen hat, die Hilfe anzunehmen, die gestrauchelte Menschen ableisten müssen. Sie wollte mich beschämen, es sollte eine Beleidigung sein. Aber ich habe es dennoch getan. Auch wenn ich erst über meinen Schatten springen, mein Schamgefühl besiegen und akzeptieren musste, dass ich nicht mehr dieselbe Person war wie früher. Vielleicht war ich noch derselbe Mensch, die Person jedoch war nicht mehr da.«

»Hey, das ist nicht fair. Sie sprechen in Rätseln, ich komme gar nicht mehr mit.« Spring sah vom Bügelbrett auf. »Wer war diese Bekannte, die Sie erniedrigen wollte? Und warum soll das überhaupt eine Beleidigung sein, wenn Sie umsonst eine Arbeitskraft bekommen?«

»Genau aus diesem Grund.« Sophia deutete auf das Bügeleisen. Es war eine eindeutige Aufforderung an Spring, weiterzumachen. Als das Eisen wieder über die Bundfaltenhose strich, fuhr die alte Frau zögerlich fort. »Früher hatte ich Hausangestellte. Eine Haushälterin, eine Köchin, einen Butler und mehrere Stuben-, Haus- und Küchenmädchen. Aber dann …«

»Was dann?« Spring reichte Sophia die Hose und sah sie fragend an. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihr glauben konnte. Ihr erster gemeinsamer Tag kam ihr in den Sinn und die Bemerkung der alten Frau, dass sie einst dem Kreis der Reichen und Schönen aus den Klatschmagazinen angehört habe. Damals stand für Spring fest, dass das nicht stimmen konnte, dass Sophia verwirrt sein musste. Inzwischen kannte sie sie jedoch ein wenig besser, und eins war deutlich geworden: Verwirrt war die alte Dame auf keinen Fall. Spring hatte bislang zwar so gut wie keinen Kontakt zu älteren Menschen gehabt, aber sie hatte dennoch erkannt, dass Sophia Fowler nicht so war wie andere alte Leute.

»Ich bin schon mit Personal aufgewachsen«, sagte Sophia und strich nachdenklich über die warme Hose, die über ihrem Arm hing. »In einem großen Anwesen. Das, was wir hier tun, habe ich erst mit Mitte fünfzig erlernen müssen. Zuvor hatte ich immer Angestellte, die für mich gebügelt, gewaschen, gekocht und geputzt haben.«

»Wirklich?« Spring griff nach einer Baumwollbluse. »Ich dachte, das gibt es heute gar nicht mehr, Hausmädchen und so einen Kram. Das ist doch alles mit den Weltkriegen untergegangen.«

»Du würdest dich wundern, wie viele Haushalte noch einen Butler und weiteres Personal beschäftigen, und weitaus mehr, die zwar keinen Butler, dafür aber andere Angestellte haben.« Sophia stieß ein bitteres Lachen aus. »Meine Familie hat selbst noch eine Menge Personal.«

»So?« Spring zog die Augenbrauen zusammen und drehte sich zu der alten Frau um. »Und warum haben Sie das nicht? Haben Sie Ihr Geld verspielt? Sind Sie betrogen worden? Oder waren Sie in einen Skandal verwickelt?«

»So ähnlich war es wohl«, seufzte Sophia, und Spring sah sie überrascht an. Sie hatte eigentlich nur gescherzt. Doch Sophia hob beschwichtigend die Hand. »Es ging alles mit rechten Dingen zu. Ich wurde verstoßen. Von meinem Sohn aus dem Haus geworfen.«

Spring stieß einen überraschten Laut aus. Einen Moment lang war sie sprachlos. Das konnte unmöglich wahr sein. Welches Kind verstieß bitte schön seine Mutter? Und wenn die Mutter so reich gewesen war, dass sie angeblich einen Haushalt mit mehreren Angestellten unterhalten hatte, wie konnte sie dann durch den Rauswurf ihres Sohnes so weit abrutschen, dass sie von Sozialstundenableistenden unterstützt werden und Sonderangeboten hinterherjagen musste?

»Mach weiter, es ist eiskalt hier und wir müssen gleich mit dem Mittagessen anfangen.« Sophia hängte die Hose in den Schrank und wandte sich zur Tür.

»Nein, ich mache nicht einfach weiter, als hätten Sie nichts gesagt!« Spring stemmte eine Hand in die Hüfte und sah Sophia auffordernd an. »Ich muss herausfinden, ob Sie fantasieren oder die Wahrheit sagen. In meinen Augen stimmt das alles nicht, und das bringt mich in eine ziemlich unangenehme Situation. Denn das müsste ich wohl beim Amt melden.«

»Gar nichts musst du melden«, unterbrach Sophia sie. »Ich erzähle keinen Unsinn. Ich stamme wirklich aus einer sehr alten Familie. Als mein Mann starb und mein Sohn das Schloss und das gesamte Vermögen geerbt hat, hat er mich in diese Wohnung hier abgeschoben. Ich erhalte ein monatliches Taschengeld, das aber nie angehoben wurde. Und weil die Preise inzwischen gestiegen sind, müssen wir den Sonderangeboten hinterherrennen.«

»Taschengeld?« Spring sah sie zweifelnd an. Sie strich sich fröstelnd über die Arme. Hier war es wirklich frisch, wenn man sich nicht bewegte. Obwohl es bald Ende April war, waren die Tage noch immer kühl. »Ist es nicht eigentlich andersherum? Bekommt der Sohn nicht von seiner Mutter Taschengeld? Haben Sie denn nie gearbeitet? Haben Sie kein eigenes Geld?«

»Zum Arbeiten hatte ich damals keine Zeit.« Sophia stieß wieder ein leises, beinahe sarkastisches Lachen aus, dann fuhr sie fort: »Ich hatte Verpflichtungen. Zu unserem Anwesen gehörten zwei Dörfer, denen die Familie vorstand. Auch wenn sich die Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg änderten, ist unsere Familie bis heute diejenige, die zu Gartenfesten einlädt, Wohltätigkeitsorganisationen leitet, die sich bei sozialen Projekten engagiert und stets mit Rat und Tat zur Seite steht, wenn es irgendwelche Probleme gibt. Hinzu kommt die Führung des Hauses, die ebenfalls eine Menge Zeit beansprucht. Und das ist nur die Arbeit auf dem Land. Dann waren da noch die Wochen, die man in London verbringen musste, um Kontakte zu pflegen, Geschäfte zu machen und vieles mehr. Heute ändert sich diesbezüglich gerade einiges, und ich bezweifle stark, dass meine Schwiegertochter noch immer die traditionellen Gartenfeste für die Dorfbewohner in unserem Garten ausrichtet. Die jungen Leute haben meist andere Jobs, machen Karriere, selbst die Ladys sind nicht mehr die Stütze der Dorfgemeinschaft, wie wir es früher waren. Mein Sohn hat sich ein Finanzimperium aufgebaut. Aber als ich meinen Mann geheiratet habe, war das alles noch anders.«

»Wann haben Sie geheiratet?«, fragte Spring.

»Das war 1965.« In Sophias Augen trat ein verträumter Ausdruck.

»Und wie kam es dazu, dass Ihr Sohn Sie aus dem Haus geworfen hat und dass Sie hier unter so bescheidenen Bedingungen leben müssen?« Spring war fast gewillt, die Geschichte, die ein bisschen was von einem Märchen hatte, zu glauben. Dazu passten auf jeden Fall das exklusive Wohnviertel und das teure Haus. Die Wohnung an sich war mit Sicherheit eine Stange Geld wert. Die Möbel, Teppiche und das andere Inventar hingegen waren abgenutzt, aber bei ihrer Anschaffung sicher nicht billig gewesen.

»Ach, das ist eine komplizierte Geschichte, und so ganz genau kann ich dir das gar nicht erklären.« Sophia machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mein Mann ist leider sehr früh gestorben, und mein Sohn hat alles geerbt. Wenn ich ›alles‹ sage, dann meine ich das auch so. Ich habe nichts erhalten, keine Absicherung. Das ist schon immer so gewesen, seit Generationen steht in den Testamenten der Hausherren, dass das Haus und der sonstige Familienbesitz ausschließlich an einen männlichen Erben gehen darf … Es wurde im achtzehnten Jahrhundert festgelegt, kurz nachdem die Familie mangels eines männlichen Erben den Titel der Earls of Nefyn verloren hat. Es bedeutet aber auch, dass die Witwen vollständig auf die Gunst der Söhne angewiesen sind. Und als mein Sohn geheiratet hat, änderte sich alles. Daran hat seine Frau Monica, meine Schwiegertochter, keinen geringen Anteil.«

Spring stieß einen abfälligen Laut aus und verzog das Gesicht. »Dagegen kann man heute sicher etwas unternehmen.« Auch wenn sie wenig Ahnung von diesen Dingen hatte, kam ihr das alles merkwürdig vor. Sophia musste doch ein Anrecht auf angemessenen Unterhalt haben.

»Vermutlich, die Zeiten haben sich geändert. Aber dazu braucht man starke Nerven und Geld, um Anwälte zu bezahlen. Beides habe ich nicht. Und außerdem hängt so vieles mehr daran. In dieser Familie gibt es ungeheuerliche Geheimnisse, die noch heute Schaden anrichten können. Um meinen Sohn zu schützen, musste ich ihn für immer verlassen …«

»Was meinen Sie damit? Was für Geheimnisse?«

»Solche, die besser für immer im Dunkeln bleiben«, antwortete Sophia entschlossen. »Und jetzt lass uns über erfreulichere Dinge sprechen.«

Diese ewige Geheimniskrämerei! Sophia liebte es, Spring nie die ganze Geschichte zu erzählen und sich in mysteriösen Andeutungen zu ergehen.

Wie auch immer: Dass der alten Frau Unrecht getan worden war, stand außer Frage. Wenn Sophia wirklich die Wahrheit sagte, dann hatte ihr Sohn sie hierher abgeschoben, während er selbst mit seiner Frau im Luxus lebte. In dem Haus, über das einst Sophia geherrscht hatte. Vielleicht waren auch das die Gesetze der Reichen. Man konnte ganz oben sein, Angestellte haben und Geld, aber ebenso schnell konnte auch alles verloren sein. »Was ist mit Ihrer übrigen Familie?«

»Meine Enkelkinder, die Söhne von Thomas und Monica, habe ich nie gesehen. Und die wenigen Verwandten, die meinem Sohn und meiner Schwiegertochter nicht nahestehen, haben sich von Jahr zu Jahr seltener gemeldet, ebenso die alten Freunde, die nie wirklich Freunde waren. Es war ihnen unangenehm. Oder nein, es war mir unangenehm! Wie hätte ich sie denn hier empfangen können, ohne Hausangestellte? Mit jedem Jahr wurde die Wohnung schäbiger, Kunstgegenstände, die etwas wert waren, hat mein Sohn längst verkauft.« Sophia sah auf. Ihr Blick schweifte in die Ferne. »Ach, wie war diese Wohnung einst schön, als mein Mann und ich in unserer Jugend hier gewohnt haben, immer wenn wir in London waren.«

Spring stellte den leeren Wäschekorb in die Ecke zurück und klappte das Bügelbrett zusammen. Deshalb also die schweren Seidentapeten an den Wänden und die hellen Quadrate, wo einst prächtige Gemälde hingen. »Und die Frau, die Ihnen die Sozialstundenleistenden empfohlen hat, war das eine Ihrer hochnäsigen Bekannten?«

Sophia lachte. »Das hätte ich selbst sein können, sie ist das, was ich einmal war. Eine Lady, die Frau eines Mitglieds des Oberhauses. Wir haben früher zusammen diniert und uns auf Charity-Bällen getroffen. Als ich ihr zufällig auf der Straße begegnet bin, hat sie mich ausgefragt und einfach nicht in Ruhe gelassen. Sie wusste, wie unangenehm es mir war, kein Geld mehr zu haben und von der Güte meines Sohnes abhängig zu sein. Und dann hat sie mir diesen Vorschlag gemacht: Ich könne doch immer noch Gutes tun, indem ich gefallenen jungen Menschen helfe. Gleichzeitig würde ich wieder Angestellte haben. Und auch wenn es als Beleidigung gemeint war, hatte sie recht.«

»Dann bin ich ein gefallenes Mädchen?« Spring strich sich über die kurzen dunkelblonden Haare, die sie, seit sie bei Sophia arbeitete, nicht mehr schwarz färbte und rasierte.

»Für was hältst du dich denn selbst?«

Spring zuckte mit den Schultern. »Auf jeden Fall bin ich wohl eine, die erwischt wurde.«

»Das steht außer Frage.« Sophia schlurfte hinter ihr her aus dem kalten Schlafzimmer in den Flur. »Das alles ist lange her. Heute würde es einer Frau vermutlich nicht mehr passieren, dass sie vollkommen mittellos dasteht. Es gibt doch kaum eine Frau mehr, die nicht selbst einen Beruf erlernt hat und arbeiten gehen kann. Aber ich bin anders erzogen worden. Ich habe gelernt, einmal die Frau an der Seite eines Mannes zu sein. Einen großen Haushalt zu führen und Kinder zu bekommen. All das habe ich dann ja auch getan.«

»Seit wann leben Sie hier in London?«, fragte Spring und schloss die Tür zum Wohnraum hinter ihnen. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu der Vitrine, in der das Album lag.

»Seit 1995. Mein erster Enkel wurde im Jahr darauf geboren, ich habe nur durch Bekannte davon erfahren.« Sie ließ sich auf einen der Stühle am Fenster fallen. Die sonst so entschlossene und selbstsichere Frau wirkte plötzlich kraftlos und traurig.

»Schade«, sagte Spring leise und setzte sich neben Sophia. Sie griff nach ihrer Hand. Die Haut fühlte sich dünn an, die Knochen waren deutlich zu spüren. »Ich bin nur drei Jahre jünger als Ihr Enkel. Und ich habe mir ein Leben lang eine Großmutter gewünscht. Ist das nicht wie verhext? Die einen dürfen oder wollen keinen Kontakt zu ihrer Granny haben, und zur selben Zeit gibt es da ein kleines Mädchen, das keine Oma hat und sich so sehr eine wünscht.«

Zweites Kapitel

Ventnor, Isle of Wight, 1869

Daphne fuhr mit der Mistgabel durch das Heu, um es zu wenden. Der süße Duft stieg ihr in die Nase, von weit entfernt hörte sie das leise Rauschen der ruhigen See. Unter dem alten Baumwollkleid lief ihr der Schweiß in Strömen den Rücken hinunter, die Halme stachen ihr in die nackten Füße.

Sie sah auf. Ein Viertel des Feldes hatte sie bereits geschafft, aber der Großteil lag noch vor ihr. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, und die Wasserflasche, die sie mitgebracht hatte, war fast leer. Landeinwärts ragte in der Ferne, über den Wipfeln der Platanen, das alte Farmgebäude ihrer Eltern auf und streckte die Schornsteine in den tiefblauen Himmel. Daphne wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Doch immer wieder wanderten ihre Gedanken zu der Ankündigung, die sie gestern in Ventnor gelesen hatte. Dieses Plakat ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Es hatte an der Kirchenpforte gehangen. Bereits beim Hineingehen hatte Daphne innegehalten und mühsam, weil sie nur sehr schlecht lesen konnte, den Text studiert:

Das Royal National Hospital

sucht junge Frauen, die sich von einer Absolventin

der Londoner Nightingale School of Nursing

zur Krankenschwester ausbilden lassen wollen.

Nach dem Gottesdienst hatte sie gewartet, bis ihre beiden Schwestern und die drei Brüder hinter den Eltern in den Mittelgang getreten waren. Als Letzte der Familie hatte sie sich eingereiht, um vor der Eingangstür noch einmal einen ungestörten Blick auf den Aushang zu werfen. Und plötzlich hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als diesem Ruf zu folgen. Nie zuvor hatte sie ernsthaft darüber nachgedacht, sich dem Dienst der Kranken zu widmen, obwohl sie gern Menschen pflegte.

Als ihre Großmutter vor drei Jahren gestürzt war und sich das Becken gebrochen hatte, war Daphne es gewesen, die sie monatelang gepflegt hatte, bis die alte Frau schließlich friedlich eingeschlafen war. Es hatte ihr nichts ausgemacht, nachts aufzustehen und ihre Großmutter zu wenden, ihr auf den Nachttopf zu helfen oder das Nachthemd zu wechseln. Sie hatte ihr morgens beim Waschen geholfen, ihr Milchsuppe und Porridge eingeflößt und sich Stunde um Stunde die Klagen der alten Frau angehört. All das hatte Daphne mit Liebe getan, es hatte sie erfüllt, und zum ersten Mal in ihrem damals fünfzehnjährigen Leben hatte sie den Eindruck gehabt, etwas Sinnvolles zu tun. Ihre Mutter und die Schwestern waren dankbar gewesen, dass Daphne in ihrer Aufgabe aufging, denn so mussten sie sich nicht um die Großmutter kümmern, die in ihren letzten Wochen recht unleidlich geworden war.

Als Daphne hinterher wieder zu ihrer Feldarbeit zurückgekehrt war, kam ihr das alles unbedeutend und unwichtig vor. Sie wollte auch weiterhin pflegen, helfen, Leiden lindern oder das Sterben erträglicher machen. Sie dachte oft an die Dankbarkeit in den Augen ihrer Großmutter, wenn Daphne sie gereinigt und frisch gemacht oder wenn sie ihr beim Essen geholfen hatte. Manchmal hatte Daphne sich gewünscht, anstatt auf dem Feld in einem Krankenhaus zu stehen und ihren Dienst dort zu verrichten. Aber sie hatte immer geglaubt, dass nur Ordensschwestern für diesen Weg vorgesehen waren. Doch nun hatte sich unverhofft eine Möglichkeit aufgetan, gleich vor ihrer Haustür sozusagen.

Daphne kannte die beiden neu gebauten Cottages, in denen sich jeweils zwölf Patientenzimmer befanden. Zwischen den zwei Häusern stand die ebenfalls frisch errichtete Kapelle St. Luke. Soweit sie wusste, waren weitere sechs Cottages mit jeweils zwölf Patientenzimmern geplant. Der ganze Komplex war etwa zwanzig Minuten Fußweg feldein von ihrer Farm entfernt.

Daphne wandte sich wieder dem Heu zu. Wenn sie nur wüsste, wie sie ihre Eltern davon überzeugen konnte, dass sie sich dort ausbilden ließ. Sie wollte so gern als Krankenschwester arbeiten. Die Tätigkeit hier auf der Farm, mit der sie aufgewachsen war, langweilte sie. Tagein, tagaus dieselben Handgriffe, und höchstens die Kühe sahen sie morgens dankbar an, wenn sie sie gemolken hatte. Aber wenn Daphne die Kühe nicht von der Milch befreite, tat es eben eine ihrer Schwestern. Das, was sie ihrer Großmutter jedoch an Hilfe hatte zukommen lassen, das war mehr gewesen. Das war sinnvoll und notwendig, und auch wenn es pathetisch klang, so hatte Daphne gespürt, dass sie durch diese Pflege die Welt ein kleines Stück besser gemacht hatte. Das wollte sie. Sie war eine gute Christin, aber statt Sonntag für Sonntag in der Kirche stumme Gebete zu sprechen, wollte sie lieber jeden Tag den Schwachen und Kranken helfen.

Allerdings war sie sich ziemlich sicher, dass ihre Eltern diesen Wunsch ihrer ältesten Tochter nicht verstanden. Und ihr Vater hatte bereits mit Jonathan Smith von der Hilltop Farm gesprochen, der seinen zweitältesten Sohn Albert verheiraten wollte. Beide Männer waren sich so gut wie einig, die Mitgift war quasi ausgehandelt. Zwei Kühe und drei Schafe würde Smith von Daphnes Vater erhalten. Nach Gefühlen wurde nicht gefragt, Mädchen mussten unter die Haube gebracht werden. Aber Daphne hatte ja noch zwei jüngere Schwestern, die sicherlich sofort gern ihre Rolle übernahmen. Nur, wie sollte sie ihre Eltern davon überzeugen, sie die Ausbildung zur Krankenschwester machen zu lassen?

Als die Sonne den Zenit erreicht hatte, war Daphne mit dem Wenden des Heus auf der Südwiese fertig. Sie strich sich den Schweiß aus der Stirn und ging zum Mittagessen zurück zum Hof.

Ihre Mutter hatte den Lunch dort unter den Platanen angerichtet, wie immer an warmen Tagen, von denen sie auf der Isle of Wight genug hatten. Auf einem langen Holztisch lagen fünf Laibe frisch gebackenes Brot, Käse, Butter, gekochte Eier und die geernteten Tomaten bereit. Mittags versammelten sich hier alle um den Tisch. Die Knechte und Mägde, die Eltern und die sechs Kinder, früher auch die Großeltern und Daphnes Großtante, die nie geheiratet und ihr Leben bis zu ihrem Tod auf dem Hof verbracht hatte. So war es immer gewesen, seit Daphne denken konnte, und auch schon in den Generationen, die vor Daphne auf der Farm gelebt und gearbeitet hatten. Zur Erntezeit saßen manchmal um die dreißig Menschen hier, zu anderen Zeiten meist um die fünfzehn bis zwanzig.

Wasserkrüge und Gläser standen auf dem Tisch. Daphne füllte ihr Glas und trank es gierig aus, was ihr einen vorwurfsvollen Blick ihrer Mutter einbrachte. Sie nahm sich vor, am Nachmittag zwei Wasserflaschen mit aufs Feld zu nehmen. Gesprochen wurde nie viel, meist waren alle zu müde, um sich zu unterhalten. Nur wenn die Arbeit des Nachmittags beredet werden musste, kam es zu Diskussionen. Auch heute waren alle schweigsam, während sie hungrig und müde vom Werk des Vormittags ihre Brote aßen.

Plötzlich wandte sich ihre Mutter an sie: »Daphne, du musst in Ventnor einige Besorgungen für mich machen. Ich wollte es eigentlich selbst erledigen, aber nun hat sich Tante Molly angemeldet, um über Janes Hochzeit zu sprechen. Eure Cousine heiratet schließlich in acht Wochen. Kaum sechzehn Jahre alt und schon vermählt.« Sie seufzte.

Daphne wusste, dass ihre Mutter sich schwer damit tat, ihre Mädchen aus dem Haus zu geben, aber auch ihr war natürlich klar, dass bald Schwiegertöchter einziehen und den Platz für sich und ihre Kinder beanspruchen würden. Bis dahin mussten die Töchter des Hauses gut untergebracht sein.