See and Change! - Leonard Hepermann - E-Book

See and Change! E-Book

Leonard Hepermann

0,0

Beschreibung

"Jede und jeder kann etwas tun!" Das ist das Credo von Leonard Hepermann, einem 19 Jahre alten, überparteilich engagierten Studenten aus dem Herzen des Ruhrgebiets. Doch eine zu starke Konzentration der politischen Maßnahmen auf Klimapolitik – ohne beispielsweise die Generationengerechtigkeit oder die europäische Zusammenarbeit genügend im Blick zu haben – reduziert die Möglichkeiten, wirklich etwas zu erreichen. In seinem Plädoyer für eine Politik, die die Interessen der um 2000 Geborenen wirklich ernst nimmt, tritt er für einen pragmatischen Politikwandel ein. Seine Diagnosen (See!) und seine konkreten Handlungsempfehlungen für jeden einzelnen (Change!), die er in Gesprächen mit vielen bereits Tätigen gewonnen hat, machen seinen Essay zu einem gleichzeitig emotionalen und sachlichen Paukenschlag.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 201

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Leonard Hepermann

SEE AND CHANGE

Warum weniger manchmal mehr

und neu denken vielfach besser ist.

Warum wir alle gewinnen,

wenn wir die Zukunft

nicht aufs Spiel setzen.

Und warum wir Hoffnungen

und Visionen brauchen

und uns denjenigen

entgegenstellen müssen,

die hetzen und ausgrenzen.

Vorwort

Wo sind Mitbestimmung und Demokratie geblieben?

Mitbestimmung ist in Europa abhandengekommen

Junge Menschen bauen einen alternativen politischen Raum

Mitbestimmung auf lokaler Ebene

Der Dialog ist verschwunden

Her mit der Jugendbeteiligung!

Anna Braam über Generationengerechtigkeit

Her mit der lebendigen Demokratie!

Maike Carius und die Initiative Die Offene Gesellschaft

Das Ende der lebenswerten Erde?

Zwischen Enttäuschung und Hoffnung auf den Umschwung wartend

Fridays for Future ist die Bewegung, auf die alle gewartet haben

Persönliche dedication und Gesetze

Her mit dem guten Leben!

Müll vermeiden, Lebensqualität gewinnen

Shia Su im Kampf gegen den Verpackungsmüll

Gegen Lebensmittelverschwendung, für krummes Gemüse

Nicole Klaski und The Good Food

Her mit den fairen Klamotten!

Nachhaltige und faire Mode bei Loveco

Her mit der lebenswerten Stadt!

Ragnhild Sørensen über Changing Cities

Was ist mit der alten Weltordnung passiert?

Die europäische Rolle in der Welt

Patrick Rosenow vom Magazin Vereinte Nationen

Der Umgang mit internationalen Konflikten

Ninja Charbonneau und der UNICEF

Her mit der internationalen Kooperation!

Simon Anholt und der Good Country Index

Her mit der neuen (Bürger-)Außenpolitik!

Sarah Brockmeier und das Global Public Policy Institute

Das alte Europa vor dem Aus?

Der Brexit und Eurogegner

Populismus, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus

Migration bzw. Europas Exklusivität

Barbara Unmüßig über die europäische Flüchtlingspolitik

Her mit dem grenzenlosen Europa!

Julian Pahlke über ziviles Engagement

Her mit dem European Dream!

Her mit dem neuen Europa!

Marie Rosenkranz im Gespräch über die Idee einer Europäischen Republik

Was wir jetzt tun müssen

Literatur

Vorwort

Wir stehen vor großen Herausforderungen. Um das Klima ist es denkbar schlecht bestellt, an Europas Zukunftsfähigkeit wird mal mehr, mal weniger gezweifelt, und die Weltordnung gerät zusehends durcheinander. Die Herausforderungen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, mögen vielleicht einschüchternd wirken, vielleicht machen sie Angst, vielleicht sind sie aber auch Ansporn, etwas anders zu machen. Vielleicht haben wir gerade durch den Aufstieg der Populisten in Europa, Amerika, Brasilien oder anderswo gemerkt, dass es Demokratie, Frieden und Freiheit noch nie umsonst gegeben hat, sondern dass man sich immer dafür einsetzen und dafür kämpfen musste. Die Zeit, in der wir leben, ist aufregend und aufreibend, wir haben viel vor uns.

Um genau diese Herausforderungen unserer Zeit soll es in diesem Buch gehen, um die großen und die kleinen, die Herausforderungen, die unsere Städte betreffen, unsere ländlichen Regionen, Europa und die ganze Welt. Egal welche Herausforderung wir meistern wollen, wir dürfen uns nicht von den Hürden abschrecken, nicht vom Status quo einschüchtern lassen, sondern stets auf die Veränderung zuarbeiten, auf das Change.

Dieses Buch ist für uns junge Menschen. Und für all diejenigen, die an unserer Seite kämpfen wollen. Für alle, die verstehen wollen, warum die Zukunft auf einem intakten und lebenswerten Planeten und in einem einigen, starken und mutigen Europa für uns so wichtig ist. In diesem Buch geht es nicht um Ideologien, nicht um überzogene Forderungen. Dieses Buch ist für alle, die schon immer etwas anders machen wollten, immer wieder versucht haben, die eigene Blase zu verlassen, neue Dinge auszuprobieren, sich zu engagieren oder zu widersprechen, aber vielleicht nicht wussten, wo sie anfangen sollen. Dieses Buch ist aber auch für all diejenigen, die sich seit Jahren engagieren, ob in der Gesellschaft, für mehr Klimaschutz, ein stärkeres und bürgernäheres Europa oder für die Mitmenschen vor der eigenen Haustür.

Dieses Buch soll zeigen, was im Moment nicht funktioniert, wo es drückt und wo Gefahren lauern. Wenn wir etwas verändern wollen, dann müssen wir uns auch darüber klar werden, warum etwas im Moment noch nicht funktioniert, warum wir noch nicht auf der richtigen Spur sind, und uns vielleicht sogar in eine völlig falsche Richtung bewegen. Wir müssen uns die Dinge genau anschauen, sie untersuchen. Wir müssen die Augen öffnen und mit interessierten Blicken durch die Welt gehen, die Dinge um uns herum wahrnehmen. Darauf bezieht sich das See im Titel des Buches.

Aber noch viel wichtiger als See ist Change. Wenn wir etwas verändern wollen, dann brauchen wir Vorbilder oder müssen selbst zu solchen werden. Dieses Buch soll eine Quelle der Inspiration sein. Deshalb erzähle ich darin auch Geschichten von Menschen, die ihr Leben umgestellt haben, die sich von Müll befreit haben, Flüchtlinge in Seenot retten oder sich für eine lebendige Demokratie einsetzen. Ich erzähle Geschichten von Menschen, die etwas anders gemacht haben, die über den Tellerrand hinausgeschaut haben. Menschen, die mutig waren, und die uns allen dabei helfen können, die große Transformation in Richtung Zukunft zu bewältigen.

Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, aber wenn wir gemeinsam Schritte nach vorn machen, dann kommen wir unseren Zielen schnell näher. Wir haben keine Zeit zu verlieren, deshalb fangen wir am besten sofort an, nehmen die Schaufel in die Hand und pflanzen Gemüse im eigenen Garten oder auf dem Balkon, machen den Mund auf und diskutieren, wenn es um die Verteidigung unserer Demokratie geht, nehmen Stift und Zettel in die Hand und zeichnen das Europa unserer Träume.

Es gibt drei Werkzeuge, die für die Gestaltung unserer Zukunft grundlegend sind: Mut, Hoffnung, und der Wille zur Veränderung. Diese drei Werkzeuge findet man an vielen Stellen in diesem Buch wieder. Wenn wir den Status quo betrachten, dann brauchen wir gleich alle drei, um uns nicht einschüchtern zu lassen, sondern weiterzumachen, egal wie groß die Widerstände auch sein mögen. Wir brauchen den Mut, um neue Wege zu gehen, neue Ideen zu entwickeln, die eigene Komfortzone im Kopf und in der Realität zu verlassen. Wir brauchen den Willen zur Veränderung, um diese einzufordern, oder um selbst zur Veränderung zu werden. Warum machen wir es nicht einfach anders, warum zeigen wir den anderen, denjenigen, die über die Zukunft beraten und entscheiden, nicht, dass wir die Lösungen bereits auf der Hand haben? Lassen wir uns nicht von denjenigen irritieren und abhalten, die sich Veränderungen ewig in den Weg stellen und mit allen Mitteln versuchen, diese zu verhindern.

Wenn wir das See & Change verinnerlichen, dann schaffen wir alle nötigen Transformationen. Dann schaffen wir es, unser tägliches Leben so zu gestalten, dass wir die Natur und das Klima schonen und eine lebenswerte Erde an unsere Kinder und Enkel übergeben können. Dann schaffen wir es, Europa so umzubauen und neu zu gestalten, dass es den Bedürfnissen der Europäerinnen und Europäer entspricht und nicht denen großer Konzerne. Dann schaffen wir es auch, eine Debatten- und Streitkultur zurückzugewinnen, um wichtige gesellschaftliche Fragen mit allen Menschen auf sachlicher Ebene auszudiskutieren, egal wo sie herkommen, welche Partei sie wählen und wie alt sie sind. Zusammen können wir viel erreichen, zusammen können wir aus Visionen Wirklichkeit machen, aus Träumen Realität. Es gibt nur eine Voraussetzung: Wir müssen daran glauben.

Wo sind Mitbestimmung und Demokratie geblieben?

Wie viel Lärm macht eigentlich eine funktionierende Regierung, wie viel eine funktionierende und lebendige Demokratie? Die Antworten auf diese Fragen dürften sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wen man befragt. Einige würden vielleicht antworten, dass man eine Regierung hören muss, dass man sehen muss, was sich verändert und dass sie ihre Politik erklären muss, die Bürgerinnen und Bürger also die Beobachterrolle einnehmen und überprüfen, ob der Auftrag, den sie bei der letzten Wahl erteilt haben, auch erfüllt wird. Andere würden vielleicht antworten, dass sie von der Politik am liebsten nichts hören wollen, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn die Regierung ihren Auftrag ausführt, dabei aber wenig Lärm macht, sodass sich die Bürgerinnen und Bürger gar nicht erst mit der Politik beschäftigen müssen.

Mitbestimmung ist in Europa abhandengekommen

Viele Menschen geben ihre Stimme bei der Wahl ab, interessieren sich aber wenig dafür, was danach mit ihrer Stimme passiert, was für eine Politik die Gewählten machen und ob diese zum eigenen Vorteil ist oder nicht. Aber müssen wir uns nicht gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Herausforderungen dafür interessieren, was vor unserer eigenen Haustür, in Brüssel oder in Berlin passiert? Müssen wir uns nicht gerade in Zeiten des Umbruchs in die Politik einmischen und Mitbestimmung fordern bei Veränderungen und Entscheidungen, die uns selbst betreffen? Muss eine Gesellschaft nicht gerade in diesen Zeiten laut sein, müssen wir nicht diskutieren, streiten und gemeinsam Wege und Lösungen finden? Wir müssen begreifen, dass nicht nur die Berufspolitiker Politik machen, sondern wir alle. Wenn wir uns darüber aufregen, dass die Straßen vor unserer Haustür in einem schlechten Zustand sind, der Bus Sonntags nur einmal in der Stunde fährt oder es nicht genug Lehrer in der örtlichen Schule gibt, ist das dann keine Politik? Politik fängt im Kleinen an, dort wo jeder einfache Veränderungen anstoßen kann. Trotzdem interessieren sich nur wenige Menschen wirklich dafür, was vor Ort, in Deutschland oder in Europa passiert. Wo sind die Stammtische geblieben, die Versammlungen, die Diskussionsrunden?

Es gibt Gründe dafür, warum wir uns nicht mehr interessieren, warum wir uns nicht mehr als Teil der Politik sehen. Die politischen Prozesse sind immer komplexer und undurchsichtiger geworden. Entscheidungen werden auf ganz verschiedenen Ebenen getroffen: auf lokaler Ebene, auf Landesebene, auf Bundesebene und in Europa. Wer soll da noch durchblicken? Hinzu kommt, dass es für viele Menschen lange Zeit ein gutes Zeichen war, nichts von der Politik zu hören, sich nicht beteiligen zu müssen. Demokratie und Politik einmal alle vier Jahre und sonst nicht. Wenn es alle vier Jahre dann Zeit ist, zur Urne zu gehen, machen es viele trotzdem nicht. Entweder, weil man zu bequem ist, oder weil man meint, die eigene Stimme würde nichts verändern.

Junge Menschen bauen einen alternativen politischen Raum

Eine andere Entwicklung, die ich selbst zum Teil miterlebt habe, ist, dass junge Menschen sich von den etablierten Parteien abwenden, entscheiden, dass Parteiarbeit nichts für sie ist, und sich lieber abseits der Politik engagieren. Viele machen sich auf ganz unterschiedliche Weise Gedanken über die Zukunft unserer Gesellschaft: Wie wollen wir in zehn oder zwanzig Jahren zusammenleben? Wie können wir eine angemessene Antwort auf die Klimakrise finden? Können wir ein neues bürgernahes Europa neben der EU aufbauen? Ist dieses Sich-Abwenden nicht eigentlich schade, wenn man bedenkt, dass Entscheidungen doch immer noch in der Politik getroffen werden? Parteien treten bei Wahlen an, suchen dann nach guten Partnern, um ihre Ideen umzusetzen. Wer etwas verändern will, sollte sich doch in diesen Strukturen engagieren, oder nicht? Was sind die Gründe dafür, dass sich immer mehr junge Menschen von der Politik abwenden und ihre Zukunft nicht in den Parlamenten sehen, sondern eher in Thinktanks oder in den Medien?

Die meisten Positionen in Politik und Verwaltung, aber auch bei vielen anderen relevanten gesellschaftlichen Akteuren werden immer noch von alten weißen Männern besetzt. Diese halten daran fest, weil sie wissen, dass das Verlassen dieser Positionen Veränderung bedeutet, vor der sie sich fürchten oder die sie aus anderen Gründen für nicht wünschenswert halten. So verwundert es nicht, dass das Durchschnittsalter im Bundestag in der 19. Wahlperiode bei 49,4 Jahren liegt.1 Für junge Menschen ist es schwierig, in der Politik Fuß zu fassen und am Ende auch sehen zu können, wie der eigene Beitrag Veränderung bewirkt. Dazu tragen vor allem diejenigen bei, die seit Jahrzehnten auf ihren Positionen festkleben. Es wundert kaum, dass sich die Dinge nicht in dem Tempo verändern, das aktuell angebracht wäre. Beim Klimawandel etwa, oder bei der Reaktion auf den Abgasbetrug, oder bei der Suche nach einer Antwort auf die Ideen und Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. All das blieb aus, war viel zu schwach, zu blass, zu emotionslos, lieblos oder zu leise.

Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel, denn es gibt in den Ministerien und Parlamenten durchaus Menschen und auch Parteien, die junge Menschen zu Wort kommen lassen und sagen: »Ich will die Menschen kennen, für die ich Politik mache.« Aber viel zu häufig gibt es nicht die Möglichkeit des Austausches, viel zu häufig bleiben Türen für junge Leute verschlossen, oder es bleibt bei einem netten Gespräch, das am Ende sowieso nichts verändern wird.

Deshalb arbeiten viele junge Menschen abseits der Parlamente an konkreten Lösungen für drängende Probleme wie den Klimawandel. Viele von ihnen können sich keine Zukunft in den Parlamenten vorstellen, weil sie enttäuscht wurden von denjenigen, die ihre Plätze nicht räumen wollen und die gute Ideen und Lösungsvorschläge ablehnen, oder erst gar nicht zuhören, wenn junge Menschen etwas zu berichten haben. Diese Haltung ist auch der Grund für das oft angesprochene vermeintliche politische Desinteresse bei der jungen Generation. Schaut man genauer hin, gibt es dieses politische Desinteresse bei vielen jungen Menschen gar nicht, sie diskutieren aktuelle politische Themen, die sie selbst betreffen, demonstrieren gegen die Klimakrise, gegen Zensur im Internet und für Seenotrettung, unterschreiben Petitionen und nutzen die Sozialen Medien als Kanal für politische Berichterstattung und den politischen Diskurs. Junge Menschen sind nicht unpolitisch, nur anders politisch. Viele wollten gerne mit Verantwortlichen aus der Politik zusammenarbeiten, sich einmischen, haben Briefe und E-Mails geschrieben, haben Politikerinnen und Politiker getroffen, sich Gedanken gemacht, um am Ende festzustellen, dass sich doch nichts ändert, dass all dieses Engagement verpufft und man Veränderung vor allem auf anderen Wegen anstoßen kann.

Es macht einen traurig, wenn man erlebt, dass der politische Einfluss gering ist, dass man selbst Veränderungen eher anstoßen kann, indem man alternative Wege geht, z.B. gesellschaftliche Trends zu nachhaltigem Verhalten setzt oder nicht nachhaltiges Verhalten nicht akzeptiert. Es macht einen erst recht traurig, wenn einem dann auch noch von denjenigen, die wichtige gesellschaftliche Positionen seit Jahrzehnten besetzen, vorgeworfen wird, man sei unpolitisch und desinteressiert. Aber diese Leute haben die Rechnung vielleicht ohne meine Generation gemacht, ohne das Durchhaltevermögen, ohne die Hoffnung, den Mut und die Leidenschaft, mit der wir kämpfen. Die Beharrlichkeit, mit der manch einer sein Amt oder sein Mandat verteidigt und Veränderung aufzuhalten versucht, ist bemerkenswert und hat eine Reaktion bei der jungen Generation provoziert. Politik geht nicht nur diejenigen an, die ein politisches Amt innehaben, sondern alle. Die junge Generation ist politisch, mutig und vor allem laut. Es bleibt abzuwarten, wie lange die älteren Generationen an ihren Positionen festhalten werden, bis sie merken, dass es Zeit für einen Wechsel ist, dass es Zeit für Veränderung, Zeit für junge Menschen mit politischen Ideen und Visionen ist. An solchen mangelt es in der Politik grundsätzlich, war sie doch lange genug darauf fokussiert, den Status quo zu konservieren. So lange, bis der Status quo nicht mehr funktioniert. Und dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen.

Indem man neben dem politischen Raum, den unsere Parlamente bilden und die für junge Menschen wenig durchlässig sind, eine weitere Arena der politischen Auseinandersetzung, der Entwicklung neuer politischer Ideen und Visionen errichtet, fordert man die eigentliche Politik heraus, selbst schneller zu werden, Veränderung anzustoßen oder mehr zu tun, wie man es im Verlauf der Fridays-for-Future-Bewegung eindrücklich sehen konnte. Veränderung sollte viel häufiger von unten kommen, die Politik in unseren Parlamenten sollte ein Ohr für die Bedürfnisse der Bevölkerung haben, Menschen an Entscheidungen beteiligen und nicht versuchen, junge Menschen in politischen Prozessen zu verdrängen und zu behindern. Ändert sich nichts, wird man die Resultate relativ schnell an den Wahlergebnissen ablesen können. Bei den deutschen Ergebnissen der Europawahl 2019 konnte man bereits ein deutlich unterschiedliches Abstimmungsverhalten bei jungen Menschen erkennen. Sie stellten andere Themen in den Vordergrund und wählten andere Parteien als der Durchschnitt. Obwohl die CDU insgesamt 22,6 Prozent der Stimmen erhielt, lag der Anteil der Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 24 Jahren, die ihr Kreuzchen dort machten, nur bei 8,8 Prozent. Andersherum erhielten die Grünen insgesamt 20,5 Prozent der Stimmen, die zu 34,9 Prozent von Wählern zwischen 18 und 24 Jahren stammten.2 Junge Menschen gehören in die Politik, in die Parlamente und in die Parteien.

Viele Menschen wenden sich von der Demokratie ab, sprechen über »die da oben«, rufen Sprüche wie »Merkel muss weg« oder »Wir sind das Volk«. Es sind Menschen, die vom demokratischen Prozess enttäuscht wurden, die sich schlecht oder gar nicht vertreten fühlen, die sich mit Problemen konfrontiert sehen, bei denen ihnen keiner hilft. Das Traurige ist, dass diese Einstellung in vielen Fällen nicht unbegründet ist, weil sie in vernachlässigten Regionen leben, weil große Unternehmen und Verbände viel mehr Einfluss haben, oder weil es Regionen gibt, die viel mehr vom Kuchen abbekommen, obwohl die Probleme dort vielleicht gar nicht so groß sind und diese Regionen ohnehin florieren. Ivan Krastev beschreibt das in seinem Buch Europadämmerung mit einem treffenden Satz: »Während im Habsburgerreich die Massen von der Demokratie entzückt waren, sind sie in der EU heute davon enttäuscht. Die allgemeine Stimmung lässt sich heute in einem Satz zusammenfassen: ›Einer der Gründe, warum viele Menschen der Demokratie mit Skepsis begegnen, liegt darin, dass sie damit recht haben.‹«3

Mitbestimmung auf lokaler Ebene

Wir brauchen mehr Mitbestimmung im demokratischen Prozess in ganz Europa. Europa muss zu einem Ort der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger werden. Das heißt nicht, dass alle mit ihren Anliegen unbedingt nach Brüssel oder Straßburg rennen müssen, sondern dass wir eine europäische Demokratie einfach anders strukturieren und organisieren müssen. Warum kann der politische Diskurs nicht hauptsächlich auf regionaler und lokaler Ebene stattfinden? Warum sollen Städte und Regionen nicht in der Lage sein, zu entscheiden, welche Kriterien die besten sind für die Förderung der Landwirtschaft, ob sie ihre Wasserversorgung, Häfen oder Krankenhäuser privatisieren wollen oder nicht, und welche Klimaschutzmaßnahmen auf lokaler und regionaler Ebene umsetzbar sind und welche nicht? Und alle Kompetenzen, die von einer Stadt und Region nicht geleistet werden können, würden dann auf die nächsthöhere Organisationsebene abgetreten werden, vielleicht das neue Europa?

Und wie sollte die Mitbestimmung auf lokaler und regionaler Ebene aussehen? In Form von lokalen Allianzen, mit allen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, mit Institutionen, Verbänden und der Zivilgesellschaft. Das scheitert im Moment oft noch daran, dass man auf lokaler Ebene nicht den Handlungsspielraum besitzt, Entscheidungen zu treffen, oder dass man die Sorge hat, dass sich der Entscheidungsprozess durch die Beteiligung der Bevölkerung und anderer lokaler und regionaler Akteure im Zweifel verzögern und verlangsamen könnte. Immer noch werden Entscheidungen viel zu häufig von oben nach unten durchgereicht, sodass die lokale Ebene nur die umsetzende Gewalt darstellt, nicht jedoch selbst und eigenmächtig Entscheidungen treffen kann. Bei dieser Praxis ist keine Mitbestimmung im Prozess vorgesehen. Das ist nicht mehr zeitgemäß, vielmehr sollten Entscheidungen unten, in der Bevölkerung, getroffen werden und anschließend sollte zwischen den Städten und Regionen ausgetauscht werden, was gut funktioniert und was nicht. Politik sollte nicht nur den Anspruch haben, dass Bürgerinnen und Bürger sich gut vertreten fühlen, sondern dass sie bei Entscheidungen mit einbezogen werden. Die Zeiten, in denen man einfach nur alle vier Jahre wählen ging und bis zur nächsten Wahl am liebsten nichts von der Politik hörte, sind eindeutig vorbei.

Dass Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung absolut notwendig sind und sich Großobjekte ohne diese nicht sinnvoll realisieren lassen, ist nicht erst seit Stuttgart 21 und dem Berliner Flughafen bekannt. Politik muss bedeuten, dass in der Gesellschaft breit diskutiert wird, wie man zusammenleben möchte, welche Entscheidungen notwendig sind, und wie man diese Gesellschaft zukunftsfähig und fit für aktuelle Herausforderungen macht.

Mitbestimmung setzt aber auch voraus, dass es Transparenz gibt, dass jeder einfach einsehen kann, mit welchem Gesetz sich ein Ministerium beschäftigt und welche Interessensgruppen daran mitgeschrieben haben, welche Lobbyisten sich wie häufig mit welchen Entscheidungsträgern treffen und wer welcher Partei wie viel Geld überweist. Mitbestimmung einzufordern ist wichtig, aber genauso wichtig ist der Austausch an der Basis, neue Ideen zu diskutieren und zu zeigen, dass die Menschen in der Lage sind, über Politik nachzudenken, zu reden, zu streiten und am Ende zu einer kompromissfähigen Lösung zu kommen.

Sich lokal für die eigene Stadt zu engagieren, erscheint vielleicht nicht besonders attraktiv, obwohl man gerade auf dieser Ebene viel bewegen kann, die eigene Umwelt gestalten kann. Denn diese Menschen, die sich bereit erklären, sich zu engagieren, die ihre Freizeit hinten anstellen, um die eigene Gemeinde voranzubringen, haben oft auch noch mit Morddrohungen und Beleidigungen gegen sich selbst und die eigene Familie zu kämpfen. Das gilt zwar nicht nur für Lokalpolitiker, aber die stehen meistens nicht im Rampenlicht, werden häufig nicht geschützt und müssen außerdem damit kämpfen, dass selbst das Ansehen im Vergleich zu Bundespolitikern nicht besonders hoch ist. Dass Menschen, die sich für die Gemeinschaft einsetzen, beleidigt und bedroht werden, dürfen wir uns als Gesellschaft nicht gefallen lassen. Stellen wir uns vor diese Menschen, die Politik vor Ort machen, sprechen wir uns gegen Hass, Beleidigungen und Gewalt aus. Das ist unsere gesellschaftliche Verpflichtung. Überlassen wir den politischen und gesellschaftlichen Raum nicht denjenigen, die ihn zerstören wollen, sondern besetzen wir ihn selbst mit positiven Botschaften für Mitmenschlichkeit, Respekt und Toleranz.

Der Dialog ist verschwunden

Demokratie und Mitbestimmung sollten nicht nur in der Politik stattfinden, sondern wichtige gesellschaftliche Fragen sollten in der Gesellschaft diskutiert und debattiert werden. Genau dieser Dialog findet aber kaum noch statt, Menschen umgeben sich lieber nur noch mit Menschen, die die gleiche Meinung vertreten, die einem kein Kontra geben. Und dann wird sich eingeschossen auf Menschen, die anders denken, die eine andere Meinung haben, die anders aussehen, an einen anderen Gott glauben, die nicht von hier kommen. Der Austausch mit Andersdenkenden findet nicht mehr statt, bedauerlicherweise. Anstatt miteinander zu reden, redet man lieber übereinander, hat Vorurteile, meint genau zu wissen, wie die anderen aussehen, was sie denken und was ihre Ziele sind. Man meint etwas über die anderen zu wissen, sie in eine Schublade stecken zu können, ohne dass man jemals mit ihnen gesprochen oder diskutiert hat. Das ist ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft, für eine Demokratie. Warum ist es so schwierig, auf die anderen zuzugehen, mit den Nachbarn zu diskutieren, zu streiten und sich am Ende wieder zu vertragen? Warum ist es so schwierig, kontroverse Diskussionen abzuhalten, und so einfach, sich in seiner Höhle mit Menschen zu verkriechen, die alle dasselbe denken, an dasselbe glauben und alle aus demselben Ort stammen? Gesellschaftlichen Fortschritt erreichen wir nur, wenn wir miteinander reden, gegensätzliche Meinungen austauschen, streiten, debattieren und diskutieren. Uns ist die Streitkultur abhandengekommen, wir wissen nicht mehr wie das funktioniert, der zivilisierte Streit.

Her mit der Jugendbeteiligung!

Anna Braam über Generationengerechtigkeit

Generationengerechtigkeit ist etwas, das heutzutage eigentlich in allen Politikbereichen gelebt werden sollte. Angefangen mit der Klima- und Umweltpolitik über Bildungs- und Rentenpolitik bis hin zur Digitalpolitik. In der Realität läuft es dennoch häufig anders, eine Erfahrung, die viele junge Menschen auf ihrem Weg in die Politik machen. Deshalb braucht es Menschen, die dafür kämpfen, die die Botschaft und die Idee der Generationengerechtigkeit weiterdenken und weitertragen, damit es irgendwann einmal Realität wird, und zwar in allen politischen Bereichen.

Anna Braam ist so eine Botschafterin für Generationengerechtigkeit. Angefangen hat alles während ihres Studiums, als sie sich mit unterschiedlichen Gerechtigkeitskonzepten beschäftigte. Fasziniert hat sie die Frage, wie wir heute für die noch nicht Geborenen Verantwortung übernehmen können. 2015 hat die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen sie eingeladen, sich als Botschafterin für Generationengerechtigkeit zu engagieren. Kurz darauf wurde sie in den Vorstand gewählt und ist seit 2016 Vorstandsvorsitzende und Sprecherin der Stiftung. Seit 2015 ist sie außerdem als Beobachterin bei den Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen dabei.

In den letzten Jahren, in denen Anna sich für Generationengerechtigkeit einsetzte, hat sie viele Erfahrungen mitgenommen, wie man sich politisch für junge Themen stark machen kann. »Für mich steht an erster Stelle das Vernetzen mit Gleichgesinnten und das eigene Informieren. Beteiligung findet zwischen den Polen Parlamentarismus und Protest statt, im Rahmen des Parlamentarismus besteht z.B. die Möglichkeit, das Gespräch mit Abgeordneten in einer Bürgersprechstunde zu suchen. Wenn das nur eine einzelne Person macht, hat das natürlich noch keine große Wirkung – wenn es aber hundert Gespräche sind, können diese Meinungen nicht mehr so leicht ignoriert werden. Zu den Protestformen gehören Demonstrationen und Petitionen, für die Verbreitung und Bekanntmachung helfen die Sozialen Medien.« Es waren letztlich auch die Sozialen Medien, die den Protest gegen die Reform des EU-Urheberrechts und die Klimabewegung zum Erfolg gemacht haben. Ein Medium, das gerade wir jungen Menschen für unsere Themen und Anliegen zu nutzen wissen.