Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim - Jürgen Ruszkowski - E-Book

Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim E-Book

Jürgen Ruszkowski

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Beschreibung

Was wäre die Seefahrt ohne Seeleute? Der zwiespältige Ruf des Seemannes in unserer Gesellschaft gibt oft zu Fehleinschätzungen Anlass. Christliche Seefahrt und die Menschen an Bord in den 1950er bis 90er Jahren, darüber weiß Jürgen Ruszkowski zu berichten, der 27 Jahre lang als Diakon und Dipl.-Sozialpädagoge das größte deutsche Seemannsheim in Hamburg am Krayenkamp leitete und dort Tausenden Seeleuten aus aller Welt begegnet ist. Einige dieser Menschen portraitiert er in diesem Buch nach Interviews in authentischen Lebensberichten. Woher stammen sie? Wie kamen sie zur Seefahrt? Was erlebten sie an Bord und auf ihren Reisen? Band 1 in der inzwischen umfangreichen maritimen gelben Buchreihe von über 60 Bänden. Ein Schifffahrtsjournalist urteilt: "In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und enga-giert. Storys von der Backschaftskiste voll Lebenslust, Leid und Tragik. Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs." Ein Leser: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! - Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!

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Seitenzahl: 421

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Jürgen Ruszkowski

Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim

Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensleuten aus

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Niedergang der deutschen Seemannschaft

Marc braucht immer heiße Action

Das Nordlicht im Maschinenraum

Matrose Fiete aus Bremerhaven

Seemann mit Leib und Leben

An Bord geboren, an Bord geblieben

Aus alter Fischdampfer-Matrosen-Zeit

Kabinensteward auf Passagier- und Frachtschiffen

Otto, der Lebenskünstler

Über die Fremdenlegion zum Schiffskoch

Jumbo, ein seemännisches Schwergewicht

Von der Loreley an den Maschinenleitstand

Sehnsucht nach Geborgenheit

Mindestens zweimal rund um den Erdball

Vom Marine-Funker zum Seemannsdiakon

Weltweit unterwegs als Reedereiinspektor

Ein Kapitän mit alter Darß-Tradition

Die Abenteuer eines Kapitäns

Über das Trockendock in freies Fahrwasser

Hoffnungsvoller Neuanfang nach tiefem Absturz

Der tauchende Steuermann

Vorurteilsfreie Begegnung mit Menschen in aller Welt

Der Bootsmann aus Tuvalu / Südsee

Der Motormann aus Guayaquil

Ein Maschinenwart aus Indien

Der Decksmann aus Westafrika

Decksmann-Koch aus Indien

Der Weltenbummler aus dem Inka-Reich

In Costa Rica geankert

Der Schiffsmechaniker aus Chile

Der kleine Mann vom Bosporus

Als philippinischer Koch auf deutschen Schiffen

Der Aufklarer aus Indonesien

Vom U-Boot auf die Luxusyacht

Der Schiffsmechaniker aus der Türkei

Viel zu früher Tod in Brasilien

Der EDV-Funker aus Nürnberg

Von der Volksmarine zur Handelsschifffahrt

De Jung vun Fischmarkt

Blutend wankte er zur Wache

Blickrichtung Mekka

Letzter Ankerplatz: Seemannsfriedhof

Geisteskranker lief Amok

Eine lange Nacht auf dem Dachsims

Ein Stück Heimat in der großen fremden Stadt

Seeleute aus der Sicht eines prominenten Passagiers

Seeleute vor 100 Jahren

Psalm 107

Weitere Informationen:

Maritime gelbe Buchreihe „Zeitzeugen des Alltags“

Impressum neobooks

Vorwort

des Herausgebers

Seit Jahrtausenden fahren Menschen mit Schiffen über die Meere: Phönizier machten schon vor über 3.000 Jahren vom heutigen Libanon aus weite Reisen bis in den Atlantik hinein, Griechen und Römer ruderten mit Galeerensklaven über das Mittelmeer, die Wikinger brachen von Norden aus zu neuen Ufern auf, die Ägypter drangen früh bis zum Fernen Osten vor, später arabische Dhaus. Hansekaufleute schufen durch Handel und Seefahrt auf Koggen Reichtum in den Städten Mittel- und Nordeuropas, Portugiesen und Spanier suchten und fanden vor fünfhundert Jahren ihr Glück an neuen Küsten und Kontinenten. Auch die Briten eroberten ihr koloniales Imperium auf Schiffen. Die vielen Schiffsbesatzungen aller Zeiten und Völker setzten sich immer aus einzelnen Menschen zusammen. Mit Menschen und ihren Einzelschicksalen haben wir es zu tun, wenn wir die großen historischen und die alltäglichen Taten in der Geschichte und Gegenwart der Seefahrt betrachten.

Die alte Segelschiffepoche oder die Zeit der Kohlendampfer hatte aus unserer heutigen Sicht zwar auch ihre Reize und Faszination. Wir sehen sie gerne durch eine romantische Brille. Das Leben an Bord war aber für die dort tätigen Menschen oft sehr hart und entbehrungsreich (siehe Band 4 dieser gelben Buchreihe!). Die Devise hieß: Navigare necesse est – „Seefahrt ist not!“ – Aber ebenso galt: Seefahrt ist Not!

Der bedeutende Hamburger Theologe, Diakonie-Praktiker und Sozialpolitiker Johann Hinrich Wichern forderte schon vor über 150 Jahren in seiner Stegreifrede auf dem Kirchentag in Wittenberg im Jahre 1848 und später immer wieder, die Kirche und ihre Diakonie dürfe die Seeleute in ihrer seelischen und sozialen Not nicht vergessen. Vor über 100 Jahren entwickelte sich daraus, englischen und amerikanischen Vorbildern folgend, die Deutsche Seemannsmission, die sich seither weltweit in vielen Seemannsheimen und Seemannsclubs um deutsche und Seeleute aus aller Welt kümmert.

Der Mensch an Bord und der Mensch im fremden Hafen, in der unbekannten großen Stadt, dieser Mensch stand immer im Mittelpunkt der Hilfsangebote der Seemannsmission, die sich um Seeleute kümmerte, die in der Fremde heimatlos in soziale und seelische Nöte gerieten.

In der deutschen Seefahrt waren in ihrer Blütezeit und der der Seemannsmission vor Ausbruch des ersten Weltkrieges etwa 100.000 Menschen beschäftigt. Weitere 20.000 deutsche Seeleute arbeiteten unter fremden Flaggen. Auf einem Überseepassagierlinienschiff fuhren 1913 etwa 1.000 Mann Besatzung.

Wenn auch nicht mehr jeder deutsche Knabe einen Matrosenanzug trägt, wie einstmals, so ist doch seit der wilhelminischen Zeit her in unserer Gesellschaft trotz des Niederganges und der gewaltigen Strukturveränderungen der deutschen Seeschifffahrt in den letzten Jahrzehnten bei vielen Menschen immer noch ein romantisch verklärtes Interesse an der Seefahrt vorhanden, was seinen Niederschlag an der Langlebigkeit der Hafenkonzert-Rundfunksendungen, der Hans-Albers- und Freddy-Romantik findet.

Als Diakon und Diplom-Sozialpädagoge leitete ich 27 Jahre lang von 1970 bis 1997 das große deutsche Seemannsheim der Seemannsmission in Hamburg am Krayenkamp neben dem Michel – ein berufsspezifisches 140-Betten-Hotel für Fahrensleute – und hatte in dieser Zeit Kontakte mit Tausenden Seeleuten aus aller Welt. Dabei bestätigte sich mir immer wieder, dass es kein einheitliches Bild „des Seemannes“ gibt. Sehr verschiedenartige Menschentypen, die unterschiedlichsten Charaktere, Menschen mit gänzlich anderen Vorgeschichten treffen auf dem Arbeitsplatz Schiff aufeinander. Schon immer kamen an Bord eines Schiffes Besatzungen verschiedenster Nationalität oder Rasse zusammen. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt, so dass auf manchen Schiffen oder in den Seemannsheimen in den Hafenstädten heute oft eine babylonische Sprachenvielfalt und ein multikulturelles Miteinander herrschen. Eine Umkehr dieser Tendenz ist wohl auch nicht mehr zu erwarten. Unsere Welt wird immer kleiner. Die fortschreitende Mobilität unserer Gesellschaft, die Großraumflugzeuge, die ganze Schiffsbesatzungen innerhalb von Stunden um die halbe Welt fliegen, macht es möglich, Menschen, die etwa auf den Philippinen oder auf einer Kiribati-Insel im Pazifik zu Hause sind, nach gründlicher Fachausbildung von ihrer Heimatinsel als „kostengünstige“ Arbeitskräfte in fast jedem Hafen der Welt an Bord zu holen. Oft werden diese Menschen aus noch ungestörten gänzlich, anderen Kulturen gerissen und in unsere europäische Denk- und Arbeitswelt versetzt.

Die Technik hat die Welt an Bord der Schiffe in den letzten Jahrzehnten revolutioniert. Durch den Container und die Mikroelektronik wurden an Bord mindestens so große Veränderungen und Umwälzungen hervorgerufen, wie beim Übergang vom Segel- zum Dampfschiff. Die Hafenliegezeiten reduzierten sich drastisch. Landgang in fremden Häfen wird immer kürzer und seltener möglich. Die Zahl der Besatzungsmitglieder eines großen Überseefrachters sank in den letzten Jahrzehnten von 40 über 20 auf 12 Mann. Das ferngesteuerte unbemannte Überseeschiff ist nicht nur denkbar, sondern wurde bereits getestet. Dennoch ist es kaum vorstellbar, dass in Zukunft unbemannte Schiffe den Seemann völlig überflüssig machen.

Obwohl im letzten Vierteljahrhundert Zehntausende deutscher Seeleute freigesetzt wurden und in Landberufe abwandern mussten, ist die Seefahrt ohne die Menschen an Bord nicht zu denken. Langlebige Vorurteile in der Gesellschaft gegenüber den Seeleuten treffen heute nach meinen jahrzehntelangen Erfahrungen nur noch sehr eingeschränkt zu. Wer in unserer Zeit in der Seefahrt beruflich bestehen will, muss fachlich qualifiziert, aus bestem Edelholz geschnitzt und sehr anpassungs- und widerstandsfähig sein.

Die Seefahrt brachte in Jahrhunderten eine eigene Kultur hervor, die auszusterben droht mit dem Einzug der Hochtechnologie und des Containers an Bord und dem dramatischen Sterben des Seemannsberufes in Europa. Träger dieser Kultur sind Menschen. Menschen, die in den letzten Jahrzehnten in der Seefahrt arbeiteten, die vereinzelt noch heute an Bord tätig sind, die mir im Seemannsheim begegneten, möchte ich in diesem Buch in kurzen, aber aufschlussreichen Portraits und Lebensläufen vorstellen: Wie kamen sie zur Seefahrt? Was haben sie an Bord und in den Häfen der Welt erlebt? Wie geht es ihnen heute? Welche Perspektiven sehen sie für sich und für den Beruf des Seemanns? Das Schicksal dieser Menschen solle nicht in Vergessenheit geraten.

Eine Rezension: Ich bin immer wieder begeistert von der Gelben Buchreihe. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke Herr Ruszkowski.

Allen, die an der Erstellung dieser Portraitsammlung mitgewirkt haben, die mir aus Ihrem Leben erzählten und von ihren Fahrten berichteten, die sich mit der Veröffentlichung einverstanden erklärten, sei herzlich gedankt, ebenso Herrn Egbert Kaschner (†) aus Ganderkesee für die Korrekturlesung dieser Neuauflage.

Hamburg, 2006 / 2014 Jürgen Ruszkowski

Niedergang der deutschen Seemannschaft

Hochkonjunktur in der Seefahrt

Die deutsche Seefahrt ist 1970 auf dem Höchststand ihrer Nachkriegskonjunktur angelangt: Unter deutscher Flagge fahren laut Statistik der Seeberufsgenossenschaft 56.441 Seeleute. Die Reedereien müssen „die Leute an der Küste mit dem Lasso einfangen“, damit genügend Seefahrtbücher an Bord sind und die Wasserschutzpolizei die Dampfer auslaufen lässt. Die Heuern sind noch niedrig. Ist das Geld versoffen, findet Hein Seemann sofort wieder ein Schiff - und zwar im Fahrtgebiet seiner Wahl. Es ist die Zeit der stärksten Expansion nach dem 2. Weltkrieg, die schönste Zeit, die Seeleute je erlebt haben. Die Liegezeiten in den Häfen der Welt machen noch Landgang möglich. - Der Container ist zwar schon erfunden, hat sich 1970 aber noch nicht durchgesetzt. Ein Stückgutfrachter in der großen Fahrt braucht noch etwa 40 Besatzungsmitglieder. 20 Jahre später wird ein Containerschiff vier herkömmliche Frachter ersetzen und nur noch 12 bis 18 Mann Besatzung benötigen. Der Begriff „Mehrzweckeinsatz“ ist noch unbekannt. Die traditionellen drei Berufsklassen an Bord sind Decksdienst, Maschinendienst und Bedienung. Neben dem Kapitän gibt es noch Berufe an Bord, wie 1., 2., 3. nautischer Offizier, Steuermann, Zahlmeister, Funker, Elektriker, Bootsmann, Zimmermann, Deckschlosser, Matrose, Leichtmatrose, Decksmann, Jungmann, Schiffsjunge, Leitender Ingenieur, 1., 2., 3. Ingenieur, Maschinist, Ing.-Assistent, Lagerhalter, Schmierer, Reiniger, Leitender Steward, 1., 2., 3. Steward, Messesteward, Aufklarer, Koch, Bäcker-Kochsmaat, Schlachter-Kochsmaat, Küchenjunge. Auf Fischereifahrzeugen gibt es noch den Bestmann und den Netzmacher, auf Tankern Pumpmänner, auf „Musikdampfern“ Schiffsärzte, Konditoren und Musiker. Alle diese Berufe finden sich im Seemannsheim ein. Das Alter reicht vom 15. bis zum 75. Lebensjahr. 1970 gibt es in Hamburg vier Seemannsheime. Neben unserem am Krayenkamp noch das evangelische in Altona an der Großen Elbstraße, das katholische „Stella Maris“ in der Reimarusstraße und das der Stadt Hamburg gehörende Hamburger Seemannshaus (heute „Hotel Hafen Hamburg“) in der Seewartenstraße. Unser Heim gilt damals unter den Seeleuten als das modernste, sauberste und billigste. Der Andrang nach den 120, zeitweilig sogar 140 Betten ist so stark, dass wir täglich Nachfragende abweisen müssen und die Verweildauer in der Regel auf vier Wochen beschränkt ist. Nur Seefahrtsschüler und Kranke dürfen länger bleiben. Das Seemannsheim am Krayenkamp ist 1970 noch fest in deutscher Hand, fast! Nein, wir haben bereits 13% Ausländer: Die allermeisten dieser Ausländer, nämlich 12%, kommen aus der benachbarten Bundesrepublik Österreich. Denen hatte man nach dem 1. Weltkrieg ihr Triest abgenommen und so wurde Hamburg ihr Lieblingshafen. Ab und an ist mal ein Türke dazwischen oder ein Grieche, Niederländer, Spanier, Norweger oder Jugoslawe. Viele deutsche Seeleute denken damals noch recht faschistoid und nehmen es mir übel, dass auch ich „Kanaker“ aufnehme und später sogar „Bimbos“.

Multikulturelle Gesellschaft

Im Laufe der fast drei Jahrzehnte meines Wirkens in der Seemannsmission wandelt sich einiges: In den 1990er Jahren ist das Klima in unserem Hause wesentlich toleranter. Nach und nach kommen immer mehr Ausländer, zunächst jahrelang als Gastarbeiter wegen Personalmangels zu deutschen Heuerbedingungen. In den 80er Jahren haben wir im Jahresschnitt Seeleute aus 60 Nationen im Hause zu Gast. Türken, Filipinos, Indonesier, Cabo Verden, Spanier, Südamerikaner und Afrikaner aus Ghana und Burkina Faso bilden die größten Gruppen im Heim. Inzwischen hat sich das Verhältnis der deutschen zu den ausländischen Seeleuten im Seemannsheim gegenüber 1970 fast umgekehrt. Wir zählen 1994 noch etwa 22 % Deutsche.

Aufgliederung der Gäste im Seemannsheim nach Nationalitäten:

Nation_____1990

Ausländeranteil 1990: 65%

Deutschland 468 35%

Türkei 109 8%

Spanien 96 7%

Philippinen 76 6%

Portugal 62 5%

Indonesien 52 4%

Ghana 40 3%

Österreich 35 3%

Polen 31 2%

Chile 30 2%

Burkina Faso 28 2%

Cabo Verde 25 2%

Indien 24 2%

Ecuador 23 2%

Großbritannien 19 2%

Jugoslawien 18 1%

Nigeria 13

Ägypten 13

Kiribati 10

Benin 9

Cri Lanca 9

Columbien 9

Togo 8

Marokko 7

Honduras 6

Camerun 6

Griechenland 6

Niederlande 6

Elfenbeinküste 5

Frankreich 5

Peru 5

Brasilien 5

Schweiz 5

Sowjetunion 5

Bolivien 4

Norwegen 4

USAmerika 4

Äthiopien 3

Irland 3

Uruguay 3

Pakistan 3

Burma 3

Niger 3

Italien 2

Tuvalu 2

CSFR 2

Costa Rica 2

Kenia 2

Bulgarien 2

Schweden 2

Hongkong 1

Rumänien 1

Jordanien 1

Algerien 1

Libanon 1

Bangladesh 1

Argentinien 1

Südafrika 1

Malediven 1

Angola 1

Panama 1

Finnland 1

Tansania 1

Dänemark 1

Taiwan 1

Australien 1

Die Verhältnisse in der deutschen Schifffahrt ändern sich im Laufe der Jahre gewaltig. Anfang bis Mitte der 1970er Jahre erobert der Container und in den 80er Jahren die Elektronik die Schifffahrt. Die Gewerkschaften erstreiken nie geahnte Errungenschaften für die Seeleute. Wurden diese „Fortschritte“ für die Seeleute bald zum Fluch? Ölkrisen, Flaggenprotektionismus und Dollarturbulenzen bringen die maritime Wirtschaft aus dem Tritt und die folgenden Ausflaggungen die alte europäische Seefahrtromantik ins Rutschen. Aus den Schmierern werden eines Tages Motorenwärter, aus den Ingenieuren Technische Offiziere. Der Mehrzweckeinsatz verschmilzt die historischen Gegensätze von Deck und Maschine. Matrosen und Motorenwärter gibt es nicht mehr, sondern Schiffsmechaniker. Bootsmänner und Lagerhalter werden zu Schiffsbetriebsmeistern. Aber sie alle sind auf die Dauer „zu teuer“. Ab 1972 beginnt die Zahl der deutschen Seeleute rapide zu schrumpfen. Ende der 90er Jahre gibt es je nach Zählart noch etwa 10.000 bis 16.000 deutsche Seeleute. Vor dem ersten Weltkrieg, zur Blütezeit der Seemannsmission unter unserem marinebegeisterten Kaiser Wilhelm II, hatten wir in Deutschland sogar einmal über 100.000 Seeleute. Daneben fuhren noch Zigtausende unter fremden Flaggen. Die alte Segelschiffszeit oder die Zeit der Kohlendampfer hatte zwar auch ihre Reize. Das Leben an Bord war aber sehr hart und entbehrungsreich.

Die Containerisierung, die teilweise durch Streiks erzwungenen starken Heuererhöhungen und der Computer setzen Zehntausende deutsche Seeleute frei. Die Schiffe werden nach amerikanischem Vorbild ausgeflaggt. Lange, bevor das Wort Globalisierung in aller Munde ist, macht die Schifffahrt vor, was zwei Jahrzehnte später im Fernkraftverkehr und auf den deutschen Baustellen abgeschaut wird. Am Heck ehemals deutscher Schiffe hängt nicht mehr schwarz-rot-gold, sondern eine Flagge von Panama, Liberia oder Zypern. Gefragt ist jetzt der Decksmann, der gleichzeitig kochen kann und nicht mehr nach dem deutschen Heuertarif bezahlt werden muss. Ein zweites Schiffsregister wird geschaffen. Auf den dort registrierten Schiffen erhalten nur die Führungskräfte Heuern nach deutschem Tarif, alle übrigen Heimatlandheuern. Die ersten Billig-Seeleute werden schon Ende der 70er Jahre von deutschen Nautikern auf den Kiribati-Inseln im Pazifik gedrillt und eingeflogen. Die Ausflaggungen gehen weiter. Filipinos und Burmesen verdrängen immer mehr deutsche Seeleute. Nach der politischen Wende im Ostblock folgen Polen, Balten und Russen, die noch billiger sind als die Kiribatis. Wer sich als deutscher Seemann noch behaupten kann, muss fachlich hoch qualifiziert und zu großen Opfern an Anpassung, Stress und Vereinsamung an Bord bereit sein. Nur aus Edelholz geschnitzte Charaktere halten das noch durch. Hinzu kommt eine gehörige Portion Glück.

Anfang der 90er Jahre erleben wir im Seemannsheim zum ersten Mal freibleibende Betten. Um den Seeleuten das Haus durch Stärkung der Kasse erhalten zu können, nehme ich 1996 die ersten Touristen zu erhöhten Mietpreisen auf.

Marc braucht immer heiße Action

Marc Schlesinger hat ein offenes, freundliches, kontaktfreudiges und mitteilsames Wesen. Er wurde am 6.1.1965 in Berlin geboren. Bis zu seinem 14. Lebensjahr wuchs er ohne Geschwister bei seinen Eltern in Berlin auf. Am Schulbesuch hatte er nicht viel Freude. Die Fächer Religion und Sport waren ihm die liebsten, weil die Lehrer da nicht so viel forderten, aber für Mathe hatte er gar nichts übrig. So kam es dann, dass er immer häufiger die Schule schwänzte. Darum brachte man ihn mit 14 Jahren im Christlichen Jugenddorfzentrum Wolfsburg unter. „Von dort aus bin ich fast jeden Monat einmal weggelaufen und über die Interzonenautobahn zu meiner Oma nach Berlin getrampt. Die hat mich dann jedes Mal mit Schokolade, Geld und einer Stange Zigaretten versorgt. Ich hatte immer Verlangen nach abenteuerlichen Erlebnissen und brauchte viel „action“. Was ich nie kannte, war Heimweh.“ Als er 16 war, ging er ohne geregelten Schulabschluss aus der 9. Klasse ab.

Am 28. Mai 1983 fing er bei der Reederei Peter Döhle in Hamburg auf dem Kümo „MARIANNA“ als Deckshelfer an. Nach knapp drei Monaten riet man ihm, abzumustern und erst einmal einen Sicherheitslehrgang zu machen, den er dann bei der ÖTV-Schifffahrtsschule in Bremen absolvierte.

1983 unternahm er noch eine dreiwöchige Kreuzfahrtreise als Aufklarer bei der HADAG auf der „ASTOR“, einmal nach Spitzbergen und zurück. Er musste Räume ausfegen, Spiegel wienern und Toiletten putzen. „Eines Abends warf ich mich in Schale und Lackschuhe und begab mich in eine Tanzbar im Passagierbereich. Das war uns Besatzungsmitgliedern strengstens verboten. Da habe ich so richtig einen los gemacht, mich mit Passagieren unterhalten, getanzt und einige Drinks genommen. Ich wusste jedoch nicht, dass die Passagiere dem Bedienungssteward wegen der Abrechnung der Zeche ihre Kabinennummer nennen mussten. Als der mich nach meiner Kabine fragte und ich meine Nummer nannte, kam natürlich raus, dass ich Mitglied der Besatzung war. So war die erste Reise auf der ASTOR auch meine letzte.“

Der eigentliche Antrieb, der ihn zur Seefahrt brachte, war eine Wette, die er mit 12 Jahren mit seinem Vater schloss: „Paps, ich bin der erste aus der Familie, der mal nach Übersee kommt!“ Als er 19 war, sagte er stolz zu seinem Vater: „Schau mal, was ich hier habe!“ - und präsentierte ihm ein Flugticket der SAS von Hamburg über Kopenhagen nach New-York. „Ich bin eine Kämpfernatur. Schließlich bin ich Steinbock! Was ich mir einmal in den Kopf gesetzt habe, das führe ich auch durch! Wenn ich so höre, wie die Landratten mit ihren Auslandsreisen protzen: Polen, Dänemark. Für mich fängt das Ausland erst in 2 bis 3.000 Meilen Entfernung an!“

Er hatte einen Job als Decksmann auf der „PROJECT EUROPA“ bei der Reederei Project Carriers gefunden. So flog er also nach Amerika. Im Flugzeug traf er einen anderen jungen Mann, der gleich ihm auf der PROJECT EUROPA einsteigen sollte. Sie wurden unzertrennliche Freunde. „Der brachte mir an Bord alle Handgriffe und Kniffe seemännischer Praxis bei. Im leeren Laderaum fuhren wir heiße Rallyes mit den Gabelstaplern. Leider ist der schon sehr jung unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen.“ Der erste Flug war noch etwas Besonderes. „Heute fliege ich gar nicht mehr gerne: Stundenlang so eingepfercht sitzen und vor dem Landen über New-York noch etliche Warteschleifen mit Ohrensausen und Nasenbluten, das ist kein Spaß!“

Mit der PROJECT EUROPA erlebte er eines seiner größten Abenteuer: In New Orleans segelte er achtern raus. Das Schiff lag auf Außenreede und hatte crew-change. Marc standen sechs Stunden für einen Landgang zur Verfügung. Der Alte hatte ihn schon gewarnt, als er sich 200 $ „Schuss“ auszahlen ließ. Mit dem shoreboat fuhr er an Land. Bis Mitternacht hätte er wieder an Bord sein sollen. „Ich bin voll versumpft und in der Kneipe eingepennt. In New Orleans gehen die Uhren anders als bei uns. Da hat mich keiner rausgeschmissen, sondern am nächsten Morgen erst weckte mich die Putzfrau. Ich bin zum Hafen gerannt wie um mein Leben, aber das Schiff war schon weg in Richtung Japan!“ Der Agent hatte, Gott sei Dank, mein Seefahrtbuch und 1.000 $ vom Kapitän bekommen. „Mit dem Alten konnte ich gut und der war sehr fair zu mir. Er bot mir über den Agenten die Alternative an: entweder Heimreise nach Deutschland oder nachfliegen nach Yokosuka / Japan, beides zur Hälfte auf meine, zur anderen Hälfte auf Reedereikosten. Ich entschied mich für den Flug nach Japan und hatte die 3.000 $ für Flug, Bahnfahrt, Taxi und Hotel nach einigen Monaten wieder abgearbeitet.“ Vor die Wahl gestellt, nach Japan zu fliegen und dort auf das Schiff zu warten oder noch einige Tage in New Orleans zu bleiben, entschied er sich für letzteres. „Da habe ich in der Kneipe so eine molligdicke Afrikamama mit sieben Kindern kennen gelernt. Die meinte, ich könnte die Hotelkosten sparen und bei ihr schlafen. Ich bin da dann auch geblieben. Das war richtig interessant und abenteuerlich.“ Dann flog er einige Tage später nach Tokio und fuhr von dort mit dem Zug nach Yokosuka, wo er sein Schiff noch gerade rechtzeitig wieder einholte. Bei Project-Carrier blieb er über zwei Jahre und fuhr anschließend noch auf der „TITAN-SCAN“ und der „NESTOR“. „Es war die beste Reederei, die ich je hatte. Die haben mir sogar Heuervorschuss angeboten.“

„Mein schlimmstes Erlebnis war ein erzwungener Warteaufenthalt von sechs Wochen im Winter in Solina / Rumänien. Wir sollten Ladung von Donau-Flussschiffen übernehmen, die wegen Eisgangs erhebliche Verspätung hatten. Solina - das ist das verlassenste und ärmste Nest der Welt. Kein Auto, auch der Agent kam mit dem Pferdewagen zum Schiff. Unser Proviant ging durch das unplanmäßige Warten zur Neige. In dem Nest konnte man nichts zukaufen. Die hatten dort selber nichts zu beißen. Es gab täglich Kartoffelpuffer. Der Koch hatte nichts anderes mehr zu bieten. Die 18 Mann Besatzung nagten an den Fingernägeln. Der Zigarettenvorrat war aufgebraucht. Das Schiff war eingefroren. Wir konnten von Bord aus über das Eis spazieren gehen. Die Wasserversorgung an Bord funktionierte nicht mehr. Keiner konnte mehr duschen. Die Toiletten wurden mit zerhacktem Eis notdürftig „gespült“. Es stank bestialisch an Bord. In einem Laden, der sich „Diskoteca“ nannte, stand in der Mitte ein Kanonenofen, an dem man sich etwas wärmen konnte und es gab nur so richtigen Blindmacher-Wodka. Wir waren alle mit den Nerven fertig, als die Binnenschiffe endlich eintrafen. Denen kauften wir dann zu Wucherpreisen Zigaretten und Proviant ab. Als wir die Ladung übernommen hatten und die Leinen losmachten, gab es ein Freudengeheul an Bord. Leinen los in Solina! Wir waren alle außer Rand und Band und haben wie kleine Kinder an Bord getanzt, als uns zwei verrostete Schlepper halfen, uns aus dem Hafeneis zu befreien. In Istanbul habe ich dann sofort abgemustert. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll!“

Hingegen schwärmt er von Liegezeiten in Rio de Janeiro, wo er drei Wochen lang mit seinem Schiff lag oder von Westafrika. „Da kamen die Einheimischen mit ihren schmalen Booten außenbords längsseits zum Handeln. Wir haben dann mit Leinen Buddeln mit Whisky hinabgelassen und dafür wunderschöne Mangos oder Holzmasken eingehandelt. Einmal habe ich erlebt, dass Piraten - ebenfalls auf Holzbooten - einem Händler blitzschnell die Flasche Whisky entrissen und davonruderten. In Abidjan haben mich halbwüchsige, mit Messern bewaffnete Burschen beim Landgang ausgeraubt: Geld, Armbanduhr, Hemd, Hose, Schuhe und sogar mein Seefahrtbuch, das ich beim Landgang als Ausweis brauchte, alles weg. Ich stand nackt in der Unterhose vor der Passkontrolle und hatte ohne Seefahrtbuch größte Schwierigkeiten, wieder an Bord zu kommen. Wegen Beamtenbeleidigung wollte man mich einsperren, und der Alte musste mich mit einer Geldbuße auslösen. - Wenn wir nach Polen fuhren, haben wir vorher immer en gros Damenstrumpfhosen gekauft. Dafür bekam man in Polen alles.“

„Das Verzeichnis der ICMA (International Christian Maritime Association) mit den Adressen der Seemannsheime in aller Welt ist für mich so wichtig wie für andere Leute die Bibel! In Lomé war ich im deutschen Seemannsheim. Das ist ganz herrlich, mit Swimmingpool unter Palmen, aber die Moskitos stachen wie die Weltmeister!“ Seit 1984 verkehrt Marc regelmäßig im Seemannsheim am Krayenkamp in Hamburg.

Im August 1991 stieg er in Cuxhaven auf einem alten unter Antigua-Flagge fahrenden, wie er sagt, Schrott-Kümo namens „SUND“ ein, das nur noch 3.Wahl-Ladung fand. Als man den Hafen in Richtung Bilbao verließ, war die Lademarke schon zwei Handbreit unter Wasser. Die Besatzung ahnte nichts Gutes, weil der Alte immer einen seltsam abwesenden Eindruck machte. Als man in den Hafen von Bilbao einlief, wurde Marc durch lautes Rufen eines Kollegen aus dem Schlaf gerissen: „Quickly outside! The Captain kill us!“ Die heimischen Fischerboote gaben bereits Warnsignale. Einen Lotsen hatte der Kapitän abgelehnt. Das Schiff raste auf eine Steinschütte im Hafen zu, die der Alte offenbar übersehen hatte. Ein Besatzungsmitglied konnte das Ruder noch im letzten Moment herumreißen, bevor das Schiff gegen die Steinbarriere gerammt wäre. „Auf den Schreck mussten wir uns erst einen trinken! Später stellte sich heraus, dass der Alte in Mengen Beruhigungsmittel schluckte und diese mit Alkohol kombinierte. Als ich abgemustert hatte, musste ich mir selber die Heuerabrechnung schreiben und dem Eigner drohen: Erst wenn ich mein Geld habe, kriegt Ihr meine Zeugenaussage über die Vorfälle in Bilbao für das Seeamt!“

Sein letztes Schiff war ein kleiner Tanker. Marc war als Ersatzmann für einen an Bord tödlich Verunglückten angemustert worden. Der hatte trotz strengen Verbots vorne am Kabelgat „einen Smok gemacht“ und war dabei in den Tanker-Abgasen verbrannt. „Als wir in der Elbe auf Grund liefen, habe ich das auf meine Kappe genommen, damit der Offizier keine Scherereien mit seinem Patent kriegen sollte. Als Dank hat man mir die Kündigung präsentiert, als ich wegen eines Hexenschusses vorübergehend von Bord musste.“

„Ich wollte ja schon längst wieder einsteigen, aber der Wirt vom „Taifun“ hat mich kürzlich zusammengeschlagen: Zähne raus, blaues Auge! Ich hatte 2,6 %o und war somit nicht zurechnungsfähig. Es mag sein, dass ich Scheiße gebaut hab. Der hätte mich auch gerne vor die Tür setzen können. Ich hätte mich dann am nächsten Tag bei ihm entschuldigt, aber mich in dem Zustand dermaßen zusammenzuschlagen! Das lasse ich nicht mit mir machen. Er kann mir 2.000 Mark bieten, die werde ich ausschlagen. Der soll mir das büßen! Ich habe Anzeige erstattet und mir einen Rechtsanwalt genommen.“

Kürzlich hatte Marc Gelegenheit, auf einer privaten Segelyacht anzuheuern, die von Hamburg für kurzzeitige Vercharterungen in die Karibik segeln sollte. „Dort verdiene ich zwar nicht so viel und muss mit drei anderen eine Kammer teilen, aber so einen Abenteuerjob habe ich immer schon gesucht. Da fühle ich mich auf Störtebeckers Spuren.“ Als sich aber herausstellte, dass für Wochen mit einer Heuerzahlung nicht zu rechnen war, gab er diesen abenteuerlichen Job schnell wieder auf.

Er versuchte sich noch als Straßenkehrer bei der Stadtreinigung auf dem Altonaer Fischmarkt und als Versicherungsvertreter. Dann verloren wir ihn aus den Augen.

Das Nordlicht im Maschinenraum

Herbert Heins (†) wurde 1933 in Apensen im Kreis Stade geboren. Sein Vater war dort Bahnagent, dass heißt, er betreute einen Einmannbahnhof an einer Kleinbahnstrecke, auf der täglich vier bis fünf Züge verkehrten. Nebenher führte er eine Kunstdüngerhandlung mit einer Fahrzeugwaage. In diesem Dorf verbrachte Herbert die frühe Kindheit und die ersten beiden Schuljahre. Dann zog die Familie nach Hollenstedt im Kreis Harburg um. Nach Abschluss der achtjährigen Volksschule durchlief er von 1948 bis 1951 eine dreijährige Lehre als Maschinenschlosser in einem Betrieb, der Landmaschinen, Traktoren und auch Sägewerk-Dampfmaschinen reparierte. Danach arbeitete er gut drei Jahre lang von 1951 bis 1954 in einem Reparaturbetrieb der Britischen Rheinarmee in Finkenwerder, wo Lastkraftwagen, Panzer und Kanonen grundüberholt wurden. Finkenwerder liegt bekanntlich am Elbstrom, und er konnte die vorbeifahrenden Schiffe beobachten. Einige seiner Kollegen waren früher einmal zur See gefahren und berichteten ihm, welche Fahrgebiete die Schornsteinfarben dieser Schiffe verrieten. So reifte in ihm der Wunsch, selber einmal zur See fahren zu wollen. Seine Erfahrungen mit Dampfmaschinen während seiner Lehrzeit trugen erheblich dazu bei, dass ihm von der Ingenieurschule sofort ein Assischein ausgestellt wurde. Um zur Schule gehen zu können, musste er zwölf Monate Fahrzeit auf einem Motorschiff und 12 Monate auf einem Dampfer als Maschinenassistent nachweisen. „Ich habe dann die Reedereien abgeklappert, aber es war sehr schwierig, bei namhaften Reedereien als unbefahrener Assi einen Job zu bekommen. Über das Arbeitsamt in der Admiralitätsstraße gelang es mir dann, eine Stelle auf einem Schiff der Reederei Becker, Thode & Ahrens zu finden.“ Im August 1954 ging er an Bord seines ersten Schiffes: Die „HARALD BECKER“ hatte 1.200 BRT und war als Dreiwachenschiff mit 16 Mann besetzt. Es verkehrte zwischen Skandinavien und der iberischen Halbinsel. Von Schweden brachte man Getreide nach Spanien („irgendein dubioses Dreiecksgeschäft“) und von dort Eisenerz nach Wismar. „In der Maschine waren wir sechs Mann. Obwohl ich doch über einige Jahre Berufserfahrung verfügte, wurde ich als Maschinenassistent wie der jüngste Lehrling behandelt. Man kam sich ganz schön unterdrückt vor. Nach drei Monaten hatte ich die Nase voll und haute ab. Am liebsten hätte ich die Seefahrt wieder an den Nagel gehängt, entschloss mich dann aber, es noch einmal mit einem neuen Dampfer zu probieren. Das Arbeitsamt vermittelte mir das Zweischraubentankschiff „MARIA WEITERT“, ebenfalls ein Dreiwachenschiff mit 16 Mann Besatzung. Wir transportierten Chemikalien und andere Flüssigprodukte zwischen Europa und dem Golf von Mexiko.“ Auf seinem zweiten Schiff gefiel es ihm bedeutend besser. Der Umgangston unter den Kollegen in der Maschine war wesentlich angenehmer: Er fühlte sich als gleichberechtigter Mitarbeiter und blieb neun Monate an Bord. „Die ganz große Meinung zur Seefahrt hatte ich aber noch nicht. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich einmal 38 Jahre lang zur See fahren würde.“ Dennoch ging er ein drittes Mal zum Arbeitsamt, um sich ein Schiff vermitteln zu lassen. Zum Besuch der Ingenieurschule musste er 12 Monate Fahrzeit auf einem Motorschiff nachweisen. Die hatte er hinter sich. Weitere 12 Monate waren auf einem dampfgetriebenen Schiff zu absolvieren. Man bot ihm einen Jahresvertrag auf einem Dampfturbinentankschiff an, das noch in Japan als Neubau in der Werft lag. „Als ich Japan hörte, war ich Feuer und Flamme. Das unter Liberiaflagge fahrende Schiff, die „WORLD JUSTICE“ gehörte dem griechischen Reeder Niarchos und hatte ausschließlich deutsche Besatzung. Wir bekamen deutsche Heuer plus 25 %. Mit dem Schiff fuhren wir von Japan aus über Indien in den Persischen Golf und dann mit einer Ladung Erdöl nach Rotterdam. Zunächst kam ein Garantieingenieur der japanischen Werft mit, bis die Kinderkrankheiten auf dem Neubau ausgemerzt waren.“

Nachdem das zweite Assijahr ausgefahren war, meldete Herbert sich zum Besuch der Ingenieurschule in Hamburg am Berliner Tor an und bestand nach zwei Semestern die Prüfung für das C4-Patent. Damals durfte man damit Maschinen bis zu 3.000 PS als Leitender Maschinist fahren.

„In den 1950er und 60er Jahren wurde unter den Seeleuten noch viel getrunken. Wir waren jung und Hans Dampf in allen Gassen und haben manche Nacht durchgezecht. Da musste ich dann aufpassen, dass ich morgens in der Schule nicht einpennte.“

Nach dem Schulbesuch schloss Herbert 1957 noch einmal einen Jahresvertrag für den Reeder Niarchos ab und musterte auf dem Schwesterschiff „WORLD JURY“ als 3. Maschinist an. Auch mit diesem Schiff wurde Erdöl aus dem Persischen Golf nach Rotterdam, Le Havre oder Port de Bouc bei Marseille gebracht. Eine Reise von Rotterdam in den Golf und zurück dauerte vier Wochen. Nach dem Krieg zwischen Israel und Ägypten lief das Schiff im Golf von Suez auf eine Mine. „Der Dampfer wurde ganz schön durchgeschüttelt. Er hatte vorn in der Mitte ein 4 x 8 Meter großes Loch im Boden. Vom Tank 2 flog der Tankdeckel hoch mitsamt 6.000 Tonnen Öl. Zum Brand kam es nicht: Die Flammen wurden sofort erstickt. Da Öl jedoch Auftrieb hat, lief kaum etwas nach unten ins Wasser aus und wir setzten die Fahrt, eine geringe Ölspur hinterlassend, bis nach Rotterdam fort, wo das Schiff nach dem Löschen repariert wurde. Damals gab es noch kein so ausgeprägtes Umweltbewusstsein. Heute wäre so etwas kaum vorstellbar.“

„Nach diesen beiden Tankern wollte ich mal einen Frachter sehen und bekam bei der Reederei Knöhr & Burchard als „Dritter“ mit der „RODENBEK“ einen Stückgutfrachter. Ich war zwei Tage im Hamburger Hafen an Bord, da fragte mich der Inspektor, ob ich nicht lieber als „Zweiter“ auf die „ISEBEK“, die in Genua lag, gehen wolle. Kurz entschlossen setzte ich mich auf die Bahn und fuhr nach Italien. Dort angekommen, war ich total enttäuscht. Ich hatte nicht gewusst, dass die ISEBEK ein Tanker war. Nach drei Monaten habe ich dann um Versetzung gebeten und fuhr wieder als „Dritter“ auf der „SCHÜRBEK“, die in Charter für die Holland-West-Afrika-Linien mit Wein, Bier, Autos, Stoffen und anderem Stückgut nach Freetown und Douala verkehrte. Dann ging ich als Bauaufsicht auf die „LASBEK“, die in Lübeck gebaut worden war und bei Stülcken in Hamburg die Restausrüstung bekam. Mehrfach war ich noch als Werftbesatzung eingesetzt, so auf der „MICHAEL M.“ und auf der „DALBEK“. Zwischendurch gab es Hafenablösedienst: Während der Hafenliegezeiten wurden die fahrenden Besatzungen ersetzt. Das waren noch herrliche Zeiten; da machte Seefahrt noch Spaß. Wir liebten Wein, Weib und Gesang. Überhaupt waren die frühen Jahre in der Seefahrt die schönsten. Die Liegezeiten von mehreren Tagen machten noch Landgang möglich. In arabischen Häfen, etwa in Djidda, wurde der Alkohol im Hafen sogar an Bord verboten und im Zollspind verschlossen. Wenn wir auf Reede lagen, um tagelang auf die noch nicht freie Pier zu warten, veranstalteten wir Bordpartys auf dem Achterdeck. Alles wurde mit Signalflaggen, Lampions und Girlanden geschmückt, wir zogen uns fein an, grillten und tranken einen guten Tropfen. Man sah noch etwas von der Welt. In jungen Jahren waren die Eindrücke noch überwältigend: die fremden Menschen, die Märkte, die Landschaften, die Cafés und Bars. Die exotischen Strände waren nicht wie heute mit Touristen übervölkert und gehörten weithin uns Seeleuten.“

Beeindruckend fand Herbert vor allem die Naturerlebnisse an Bord. Bei der Linienfahrt nach Rotsee und Persergolf kam er oft durch den Suezkanal und erlebte dort mehrfach Sandstürme. „Da auf den meisten Strecken des Suezkanals Einbahnverkehr herrscht, fahren die Schiffe bis zum Bittersee und danach wieder im Konvoi. Die Kanaldurchfahrt dauert in der Regel 16 Stunden. Durch erfahrene Kapitäne oder Kanallotsen ist man je nach Windverhältnissen meistens vorgewarnt und macht irgendwo an Kanalpollern fest oder geht im Bittersee vor Anker, bevor der Sandsturm einsetzt, denn man hat keine Sicht mehr, auch Radar ist dann außer Gefecht. So ein Sturm kann bis zu 12 Stunden dauern. Der feine gelbe Staub dringt durch alle Ritzen. Türen und Fenster werden fest verschlossen, aber die Maschinen müssen weiterlaufen und brauchen bei Betrieb Frischluft, so dass auch der Maschinenraum mit einer gelben Schicht bedeckt wird. In der Regel herrscht bei solchen Stürmen eine Temperatur von 50° C im Schatten, aber die Wohnraumlüfter müssen abgestellt bleiben!“

Gerne denkt Herbert auch an die Nordlandfahrten zurück, als er auf Linie nach Island und Norwegen unterwegs war. Stundenlang konnte er, in seinen warmen Parka gehüllt, an Deck auf einem Stuhl sitzen und im September oder Oktober abends das Wunder des Nordlichts bestaunen: Grüne Lichttürme bauen sich auf, werden immer größer, immer höher, gehen in gelb und rot über, werden dann ganz hell und brechen plötzlich in sich zusammen, um sich dann wieder neu aufzubauen. „Da konnte ich bis in die Nacht hinein sitzen und zusehen. - Oder wenn ich an die Mittsommernächte am Nordkap denke: Die rote Sonne stand nachts kurz über den Bergen und spiegelte sich glutrot in den Gletschern. Da mochte man gar nicht schlafen gehen. Die norwegischen Fischer winkten uns mit Fischen in der Hand zu und gaben dadurch zu verstehen, dass sie mit uns tauschen wollten: eine Wanne Fisch gegen eine oder zwei Flaschen Schnaps. Sie kamen dann mit ihrem Kutter längsseits. Wir warfen ihnen eine Schmeißleine zu und zogen daran den Fisch an Deck. Am selben Abend noch gab es dann frischen Bratfisch.“

Herbert erinnert sich auch gerne an die Ausflüge auf Island: Mit einem gemieteten Landrover fuhren sie ins Landesinnere, wo man auch im Winter in den heißen Quellen, den Geysiren, baden konnte. Ob er denn auch auf Islandponys geritten sei? „Nein, aber wir haben einmal welche an Deck in abgepolsterten Containerboxen nach Norwegen transportiert. Der Bootsmann musste sie mehrmals am Tag füttern. Sie waren bei schlechtem Wetter recht nervös, fraßen aber trotzdem, woraus ich schließe, dass sie nicht seekrank waren.“ Als er aus Neufundland Fischöl für einen US-Hafen holte, sah er mehrfach Eisberge aus nächster Nähe: In 500 Metern Entfernung ragten sie 100 bis 300 m aus dem Wasser auf. Da man in der Maschine regelmäßig alle 15 Minuten die Seewassertemperatur messen musste, die bei Eisbergnähe immer schnell absank, musste - besonders nachts oder bei schlechter Sicht - sofort die Brücke benachrichtigt werden. Bei Winterfahrt in nordischen Gewässern schaffte es die Bordheizung oft nicht, die Kammern richtig zu erwärmen, wenn an der Isolierung des Schiffes gespart worden war. Da konnte es dann schon passieren, dass die Anzugjacke im Spind an der Bordwand von der Kondensfeuchtigkeit steifgefroren war.

„Mitte der 70er Jahre waren wir auf der Fahrt nach Israel im Mittelmeer unweit von Cartagena, als uns in der Maschine eine Treibölleitung brach. Durch einen Turbolader wurde komprimierte Luft in den Zylinder geblasen und dabei auf über 120° C erwärmt. Das Öl aus der gebrochenen Leitung verdunstete und vermischte sich mit der heißen Luft im Maschinenraum. Wir drei Leute der Maschinenbesatzung konnten uns noch rechtzeitig aus der Maschine flüchten, bevor sich der blaue Dunst entzündete. Von Deck aus konnten wir dann durch Fernschaltung die Tanks schließen, die Motoren stoppen, die Türen und Lüftungsklappen des Maschinenraumes hermetisch abriegeln und Kohlensäure (CO2) hineinblasen, so dass die Flammen erstickt wurden. Der aus Aluminium gefertigte Turbolader war geschmolzen und unbrauchbar geworden. Wir konnten jedoch den Hafen von Cartagena mit reduzierter Geschwindigkeit mit eigener Kraft erreichen und dort mit Bordmitteln die aus Hamburg per Luftfracht herbeigebrachten Ersatzteile selber einbauen. Nach drei Tagen war der Schaden behoben.

Auf der „REINBEK“ fuhr Herbert in Charter für die K.N.S.M. siebzehn Monate in die Karibik, nach Mittel- und Nordamerika.

Als „Zweiter“ arbeitete er auf einem britischen Schiff, der „ALVA CAPE“ und umrundete in neun Monaten einmal die Erde: Rotterdam - Texas - zurück über den Atlantik und durch den Suezkanal nach Persien, Indien, Singapur, US-Westküste: Seattle, San Francisco - Panama - Texas.

Bei „Hörnchen“, der kleinen Hornlinie, machte Herbert eine Reise auf einem Kühlschiff: Auf der Elbe wurde bei Stadersand Dynamit geladen. Das war gefährliche, aber gut bezahlte Ladung. Es durfte nur in vorgeschriebenen Räumen geraucht werden. Ein Teil davon wurde auf den Azoren bei der US-Army gelöscht. „Die machten hohe Sicherheitsauflagen. Man durfte kein Eisen unter den Schuhen tragen: Es könnte zum Funkenschlag kommen. Als wir in Libyen und in Djibouti im Golf von Aden den Rest löschten, kümmerte sich niemand um Sicherheit: Die Kisten wurden geworfen. Es passierte aber auch nichts. Mit leerem Schiff ging es nach Freetown in Sierra Leone, wo wir auf Reede von japanischen Fischdampfern vorgefrorenen Thunfisch übernahmen, der bei uns an Bord tiefgefroren und nach Venedig gebracht wurde. In Freetown gerieten wir gerade in die Unabhängigkeitsfeiern. Das Freibier floss in Strömen, und besonders die Norweger deckten sich reichlich damit ein. In Tunesien luden wir Zitronen für Odessa. Dort kam der russische Lotse total voll Wodka an Bord, und wir landeten an einem völlig falschen Liegeplatz. Im Schwarzen Meer liefen wir dann Constanza in Rumänien an, um Rinderhälften für Lissabon zu übernehmen. Portugiesische Häfen waren damals bei uns Seeleuten sehr beliebt: Die Kneipen waren gemütlich und die Frauen schön. So kamen wir alle reichlich spät an Bord zurück. Der Alte sagte zunächst gar nichts. Auf See ließ er dann jeden einzeln antanzen und fragte ganz ruhig, was man sich denn dabei gedacht habe. Dann brachte er uns dazu, dass wir freiwillig eine Geldbuße von 15 $ in das Schiffchen der DGzRS spendeten. Solche Vorgesetzten fand man nicht jeden Tag.“

Zwischendurch arbeitete Herbert ein Jahr lang an Land bei M.A.N. Als er kündigte, um wieder zur See zu fahren, äußerte sein Chef: „Das habe ich geahnt, es ist immer dasselbe: Seeleute sollte man gar nicht erst einstellen, die hauen doch alle wieder ab.“

Von 1963 bis 1993 fuhr Herbert dreißig Jahre lang faktisch bei einer Reederei, dem Schifffahrtskontor Oste, in das sein Reeder Martens 1968 als einer der Teilhaber einstieg und einem Nachfolger, Paul Lanker, der ein Schiff, die „SVEALAND“, ex „ULA“, ex „OSTE-CLIPPER“ aus der Konkursmasse übernahm, als das SK Oste 1986 pleite ging. In dieser Zeit fuhr Herbert hauptsächlich in der Holzfahrt im Nord-Ostsee-Bereich und in der Israel-Mittelmeer-Fahrt. Oder es ging in den 1960er Jahren an der norwegischen Küste entlang nordostwärts - hin meistens leer oder mit Schüttgut für einen norwegischen Hafen - nach Archangelsk, von dort mit einer Ladung Bauholz wieder nach Mitteleuropa.

„Die Zeiten sind auf See hart geworden! In den letzten Jahrzehnten wurde die Seefahrt zur Routine, in den letzten Jahren zum Kampf ums Überleben.“ Im Frühjahr 1993 verpasste er seinen Dampfer und bekam einen Sack. Seither wohnt er in Hamburg im Seemannsheim am Krayenkamp. „Einmal habe ich vor Jahren im deutschen Seemannsheim in Rotterdam übernachtet, als ich einige Tage auf mein Schiff warten musste. Von Bord aus war ich in Skandinavien und Übersee mehrfach in Seemannsclubs. In Bombay konnte man im britischen Seemannsheim wunderbare Steaks mit Spiegelei obendrauf bekommen. Ich erinnere mich auch, dass wir von dort aus in ein Schwimmbad gingen, das mit der Inschrift versehen war: „Nur für Weiße“. Ein holländischer Kollege hatte eine indonesische Mutter und war etwas dunkelhäutig. Den wollte man nicht hineinlassen. Das war denn sehr peinlich!“

Herbert hatte immer lange Fahrzeiten. Nie war er in seiner 38jährigen Seefahrtzeit arbeitslos gewesen. Erstmals musste er Arbeitslosengeld beantragen und bekam natürlich wegen eigenen Verschuldens eine zwölfwöchige Sperre. Jetzt bangte er, ob es ihm überhaupt noch einmal gelingen wird, wieder ein Schiff zu bekommen oder ob er, wie viele andere Kollegen, zum alten Eisen gehören würde.

Lange Zeit wohnte Herbert Heins noch im Seemannsheim. Dann sah er ein, dass es keine Chancen mehr für ihn gab und er mietete sich in Hafennähe eine Wohnung. Gerne sitzt er zusammen mit Kollegen bei gutem Wetter an den Landungsbrücken auf einer Bank und schaut dem Treiben im Hafen zu. – Herbert Heins ist einige Jahre nach dem Interview verstorben.

Matrose Fiete aus Bremerhaven

Friedrich Erdmann ist die Verkörperung eines Seemannes alten Schlages wie aus dem Bilderbuch: ein strammer Bursche mit stets freundlich verschmitztem, etwas schlitzohrigem Lächeln unter dem inzwischen grau werdenden Bart. Er stammt von der Küste und wurde im September 1941 in Lehe bei Bremerhaven geboren. Nach dem Besuch der neunklassigen Volksschule fing er mit 14 Jahren als Decksjunge auf dem Fischdampfer „FRIEDRICH BUSSE“ der gleichnamigen Bremerhavener Reederei mit der Seefahrt an. „Auf dem alten Kohlensteamer schliefen wir damals mit zwölf Mann in einem Logis vor dem Mast. In unserer Unterkunft stand zum Heizen noch eine „Brennhexe“. Ich hatte als Jüngster für alle von achtern das Essen zu holen. Insgesamt waren wir 22 Mann an Bord. Auf diesem Schiff war ich sogar mehrere Male. Wir fuhren damals „auf Salzen“, blieben in der Regel 130 bis 140 Tage draußen und brachten den vor Labrador, Grönland und Neufundland gefangenen Salzkabeljau meistens nach Portugal, Italien oder Frankreich. Leichtmatrose und später Matrose wurde ich nicht nach Ablauf von bestimmten Fristen, sondern nach Leistung, wir mussten Mindestkenntnisse im Schlachten, Spleißen und Netzflicken vorweisen können. Man konnte dann zum Netzmacher oder Bestmann aufsteigen. Mitte bis Ende der 50er Jahre fuhren auf den Bremerhavener Fischdampfern nur deutsche Seeleute. Später kamen Männer von den Faröern und aus Portugal hinzu. Auf den Seitenfängern holten wir dann auf 60- bis 70-Tage-Reisen zunächst etwa 150 Tonnen Frostfisch und am Ende der Reise 4.000 Korb Frischfisch. Auf den Vollfrostern, auf denen 40 bis 50 Mann Besatzung fuhren, brachten wir 1.000 Tonnen Gefrierfisch nach Hause.“

„Ein besonderes Erlebnis aus den 1970er Jahren ist mir noch in trauriger Erinnerung: Wir fischten vor Island und hatten einen schweren Neujahrssturm mit Stärke 12 abgeritten, als wir in drei Meilen Entfernung ein Schiff beobachteten, das am laufenden Band Leuchtraketen abfeuerte. Erst dachten wir, die würden immer noch Sylvester feiern, bis sie dann auch noch Rauchsignale gaben. Als wir uns ihrem Schiff näherten, es war die „TEUTONIA“ aus Cuxhaven, sahen wir, dass die Brücke total eingedrückt und zerstört war. Sie hatten in flachem Wasser gelegen, wo die See bei dem Wetter besonders hoch ging, und wollten mit voller Kraft in tiefere See dampfen. Dabei hatten die schweren Brecher ihr Schiff total demoliert. Der 1. Offizier, der Funker und der Bestmann waren tot und der Kapitän völlig aufgelöst, als er mit dem Schlauchboot zu uns rüber kam. Ob er mal unser UKW benutzen könne, um ein Schiff seiner Reederei herbeizurufen. Darauf ließ sich unser Alter gar nicht ein, sondern wir schleppten die TEUTONIA sofort selber nach Reykjavik.“

Als 1979/80 die Isländer, Kanadier und Norweger ihre Hoheitsgewässer auf 200 Seemeilen ausweiteten und daraufhin die deutsche Hochseefischerei kaputtging, fing Fiete bei der Bremer Reederei DDG Hansa auf einem Versorger an. Zunächst war er ein Jahr lang bei Aberdeen in der schottischen Nordsee eingesetzt. Bei jedem Wind und Wetter ging es mit Proviant, Trinkwasser, Zement und Ersatzteilen für die Bohrinseln hinaus: „Das war mitunter noch viel schlimmer, als bei der Fischerei!“ Danach war er - wieder auf einem Versorgungsschiff - in Singapur stationiert. „Wir brauchten immer sieben bis acht Stunden bis zur Bohrinsel.“

Anschließend war Fiete - immer noch bei der Hansa - auf Schwergutfrachtern tätig. Man brachte Collis mit verschiedener Fracht, Eisen, Kraftfahrzeuge, schwere Trecker, Lokomotiven, Boote und Fährschiffe an Deck und unter Deck nach Persien, Jordanien, Saudi-Arabien. „Wir haben alle Rote-See- und Golfstaaten abgeklappert. Mit unserem eigenen schweren Jumbogeschirr konnten wir bis zu 500 Tonnen hieven.“ Als die Hansa nach der schiitisch-islamischen Mullah-Revolution pleite ging, fuhr Fiete bei Rickmers knapp drei Jahre lang auf Ostasienkurs. Von Bremerhaven über Rotterdam, Antwerpen, England, durch den Suezkanal ging es mit der „BERTRAM RICKMERS“ und später mit der „RENEE RICKMERS“ und „MAI RICKMERS“ nach Singapur, Hongkong, Schanghai und Pusan in Korea. „Das war eine schöne Zeit. Wir hatten in einigen Häfen längere Liegezeiten. Singapur kannte ich ja schon von meinem Versorger-Einsatz her. Dort hatte ich noch alte Freunde. Man kann da sehr gut essen gehen und einkaufen. Ich ließ mir beim chinesischen Schneider Hosen anfertigen, die ich heute noch trage: morgens bestellt, abends abgeholt. Es gibt in Singapur sehr viel Sehenswertes. Man kann sich gar nicht satt sehen: Der große Botanische Garten ist sehr schön. Wir machten mit Booten herrliche Besichtigungsfahrten. In Hongkong lagen wir oft zwei Wochen und in Schanghai bis zu drei Monaten. Die Chinesen organisierten für uns Ausflugsfahrten per Auto nach Peking und an die große chinesische Mauer. Unterwegs übernachteten wir im Hotel.“

„Nach einer Reise wollte ich im Reedereibüro in Hamburg meine Heuer abholen. Die Bürodame: „Wie viel denn?“ „Na geben Sie mal 10 Mille!“ „Oh Fiete, ist das nicht 'n bisschen zu viel, Du gehst doch heute bestimmt noch übern Kietz?“ „Na denn man 3.000,- !“ Die hab ich dann tatsächlich an einem Abend verballert. Als ich am nächsten Morgen mein restliches Geld holte, fragte sie mich: „Na Fiete, wie viel hast du denn gestern verpulvert?“ Vorsichtig log ich: „Dreihundert.“ „Sooo viel? Das schöne Geld! So viel an einem Abend?“ Schmunzelnd zog ich von dannen und war froh, dass sie mir nur 3.000 Mark gegeben hatte.“

Die Chancen, auf deutschen Schiffen einen Job zu bekommen, meint er, werden immer schlechter: „Als ich in der Heuerabteilung einer Bremer Reederei fragte: Bin ich euch zu alt oder zu unsympathisch?, bekam ich zur Antwort: ‚Keines von beidem, nur zu teuer!’“

Als Rickmers seine Schiffe verkaufte, fuhr er bei Reederei Fuchs in Wischhafen im Islanddienst. Jetzt fahren auf diesem Schiff nur noch philippinische Seeleute.

Zuletzt arbeitete er auf MS „HANS LEHMANN“ einer Lübecker Reederei in der Kleinen Fahrt: Nord- Ostsee: Polen, Norwegen, England, Spanien. Ein Hafen nach dem anderen, immer neue Ladung: „Man kommt gar nicht mehr aus den Luken heraus. Zwei bis dreimal wöchentlich sind die Laderäume zu waschen.“ Aber er war froh, noch etwas unter deutscher Flagge zu bekommen: Von der zwölfköpfigen Besatzung waren nur zwei Mann Spanier, sonst alles Deutsche. „Wo gibt es so etwas heute noch? Aber das Schiff hatte ständig Ladung. Wir sind nie unter Ballast gefahren.“

Er wartete im Seemannsheim Krayenkamp monatelang verzweifelt auf ein neues Schiff und wurde immer wieder vertröstet. Dann machte er einen vom Arbeitsamt vermittelten Fortbildungslehrgang für Hausmeister. Er war bereits drauf und dran, sich einen Landjob zu suchen, als ihm sein Vermittler beim Arbeitsamt Hoffnungen machte: „Fiete, Du kriegst demnächst einen neuen Dampfer von mir vermittelt!“ Er wollte es nicht glauben, als es dann doch klappte. Seither fährt er schon einige Monate unter deutscher Flagge im Nord- Ostseebereich. Der Kapitän, selber Eigner des Schiffes, ist mit ihm zufrieden und hält ihn an Bord. „Es ist hartes Brot. Wir laufen fast jeden Tag einen anderen Hafen an. Im Winter bei bis zu 20° Frost die Lukendeckel zu öffnen, ist kein Kinderkram. In meinem Alter wird es mir verdammt schwer. Ich hoffe sehr, dass ich noch so lange durchhalte, bis ich mit 55 die Seemannsrente bekomme. Dann werde ich nach Norwegen übersiedeln. Seit 17 Jahren habe ich eine norwegische Freundin.“ Das ist die große Liebe. Er hatte die in Stavanger lebende Schiffs-Stewardess in Chile kennen gelernt. Sie schreiben sich regelmäßig und telefonieren fast jede Woche einmal miteinander, wenn es sich einrichten lässt. Kürzlich besuchte er die Freundin für eine Woche in Bergen. Sie war auch schon bei ihm in Hamburg und wohnte mit in seinem Zimmer im Seemannsheim.

Ab und zu besucht er seine Schwester, die in der Lüneburger Heide lebt. Sonst wohnt er an Land in Seemannsheimen, mal in Bremerhaven, mal am Krayenkamp in Hamburg. Die deutschen Seemannsclubs in Valparaiso / Chile, Douala / Kamerun und Piräus in Griechenland hat er in guter Erinnerung.

In seiner Freizeit sieht er gerne fern, an Bord Videofilme oder geht zum Schwimmen. „Früher auf den Hansa-Schiffen ging's jeden Tag in den Swimmingpool, der täglich mit frischem Seewasser aufgefüllt wurde.“

Seemann mit Leib und Leben

Günter Schröder (†) wurde am 1. Mai 1940 in Bresinke in Hinterpommern geboren. Eigentlich hätte er Hoferbe werden sollen, nachdem der Vater nach drei Töchtern endlich seinen Stammhalter bekam. Aber Hitlers verlorener Krieg bestimmte ihm einen anderen Weg mit Flucht und Verlust der Heimat. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte er den Kochberuf. Um die Jahreswende 1957/58 kam Günter nach Hamburg, um zur See zu fahren. Er wohnte vorübergehend bei Verwandten: Sein Vetter fuhr damals als 1.Nautischer Offizier zur See. „Da ich von der „Kocherei“ die Schnauze voll hatte, wollte ich, wie mein Cousin, ebenfalls die Deckslaufbahn einschlagen und stieg also auf einem Kümo als Deckmoses ein. Auf diesen kleinen Schiffen war es immer so, dass der Moses die Kombüsenarbeit machen musste. Auf den Küstenmotorschiffen konnten von den etwa sechs Crewmitgliedern alle schlecht und recht ein Essen zusammenschustern. Bereits damals gab es also schon so etwas wie Mehrzweckeinsatz, denn auch Kapitän, Steuermann und Matrose mussten neben ihrer Brücken- oder Deckarbeit auch ohne entsprechende Ausbildung die Maschine warten können. Durch meine Fachkenntnisse als Koch war ich sozusagen „King“ auf diesem „Schlickrutscher“, denn es kam wohl kaum mal vor, dass ein anmusternder Moses gelernter Koch war. Nach der ersten Fahrzeit auf besagtem Kümo wohnte ich in Hamburg-Altona in der Großen Elbstraße nahe am berühmten Fischmarkt im Seemannsheim. Dort ganz in der Nähe war damals noch der Fischereihafen. Eines Tages, es war im Jahre 1958, kam Seemannspastor Kiseritzky zu mir, und besabbelte mich, auf einem Fischereifahrzeug vom Typ „Seitenklatscher“, wie die Seeleute ihn nannten, als jüngster Vollkoch der deutschen Flotte einzusteigen. Diese Schiffstypen, bei denen die Scheerblöcke und das Netz auf der Steuerbordseite weggehievt wurden, sind schon lange ausgestorben, man findet sie heute nicht mal mehr in Schiffsmuseen.