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Allein auf See: Philipp Hympendahls philosophische Segelreise Für den erfahrenen Einhandsegler Philipp Hympendahl ist der Ozean nicht nur ein physischer Raum, sondern auch ein emotionaler Rückzugsort. Obwohl er schon als Kind Angst vor dem Alleinsein hatte, hat er auf seinen langen Segelreisen die Einsamkeit zu schätzen gelernt. Allein das endlose Blau als Gesellschaft, bietet das Meer ihm Heilung und Zufriedenheit, während es seinen unerschütterlichen Ruf stets aufs Neue entfaltet. Tiefgründige Themen verpackt in abenteuerlicher Reiseerzählung In seinem neuesten Buch teilt Hympendahl die Erlebnisse seiner Atlantikreise auf einem 9m-Boot in die Karibik und zurück. Mit über 10.000 Seemeilen im Kielwasser, beschreibt er seine Abenteuer und Begegnungen, sowohl auf See als auch in tieferen Lebensabschnitten. Dieses Werk ist mehr als ein Reisebericht; es bietet eine Reflektion über das Alleinsein und die lebensverändernde Kraft des Segelns. • Tiefgehende Themen: Behandelt Burnout und Ängste, während es gleichzeitig Mut macht, einen selbstbestimmten Lebensweg zu beschreiten. • Persönlich und authentisch: Hympendahl teilt ehrlich und offen seine philosophische Reise über den Ozean und inspiriert durch seine Erzählweise. • Abenteuer und Reflexionen: Geschichten über das Suchen und Finden, über Sehnsüchte, Ängste und das große Glück des Segelns. Philipp Hympendahls Buch ist eine Einladung zum Träumen und ein Plädoyer für die Freiheit und Schönheit, die das Alleinsein auf hoher See mit sich bringt. Erleben Sie seine philosophische Reise und lassen Sie sich von der Magie des Ozeans und des Segelns verzaubern.
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Seitenzahl: 243
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Philipp Hympendahl
”Es sind die besonderen Momente von Abenteuern, an deren Beginn wir oft zweifelnund an deren Erleben wir wachsen.“
PHILIPP HYMPENDAHL
Vorwort
WOCHE 1 Workum, Ijsselmeer
Alleine
Oma Ilse
WOCHE 3 Camaret-sur-Mer, Atlantikküste
Paris–Brest–Paris – Ersatzdroge Radfahren
WOCHE 5 Golf von Biskaya
Scheitern
WOCHE 8 Kanaren
Anfang
WOCHE 15 Atlantik
Sehnsucht
WOCHE 16 Atlantik
Mein Atlantis
WOCHE 18 Martinique, Karibik
Lapita Voyage – Expedition in der Südsee
WOCHE 22 Dominica, Karibik
Cape to Cape
WOCHE 24 Antigua, Karibik
Mein Vater
WOCHE 26 Azoren, Nordatlantik
Unfall
WOCHE 30 Horta, Azoren, Nordatlantik
WOCHE 32 Horta nach IJmuiden, Ärmelkanal
Pipistrello
WOCHE 34 Rotterdam, Ijsselmeer
Ausgebrannt
Epilog
Danke
Bildteil
Die See ist wie das Leben; von Weitem erscheint sie immer gleich und ist doch im Erleben immer anders. Mal zornig, mal ernsthaft böse, dann wieder sanft und leise. Als Segler geht man eine immerwährende Beziehung mit ihr ein, redet mit ihr, streitet und verträgt sich wieder. Mal vertraut man ihr, mal verzweifelt man an ihr – aber man weiß immer, dass sie etwas im Schilde führt.
Das Bekannte zu verlassen, den festen Boden unter den Füßen zu tauschen gegen eine Flüssigkeit, auf der man in einem Boot den Wind nutzt, um voranzukommen, um dem Unbekannten, dem Fremden näher zu kommen. Das ist es, was für mich Segeln ausmacht.
Ob als Kind im Meer vor Formentera oder heute in der Unendlichkeit der Ozeane; diese angenehme, innere Anspannung existiert bis heute vor einer großen Reise. Jedes Mal ist da wieder dieser Moment, wenn sich das Adrenalin mit dem Respekt verbündet und man den Schritt ins Ungewisse wagt. In eine Welt, die unendlich groß und fremd ist, eine Weite, die am Horizont nicht endet. Da ist natürlich Unsicherheit, aber auch immer diese Hoffnung, Freiheit zu finden – und genau deshalb segelt man dann wieder hinaus. Was einen dort erwartet, wissen vielleicht die Götter. Das Unbekannte auszuhalten, das ist das wahre Abenteuer.
Nur ein kurzer Teil meiner seglerischen Biografie ist geradlinig verlaufen. Schon mein Urgroßvater war Kapitän zur See; mein Vater kam in der Mitte seines Lebens zum Segeln und umrundete die Welt auf eigenem Kiel. Auch ich hatte schon als Kind mein erstes, kleines Segelboot. In späteren Jahren habe ich dann den größtmöglichen Umweg gewählt, um schließlich dort zu landen, wo ich heute als Einhandsegler bin. Ein oft anstrengender Weg, um ein Ziel zu erreichen, das sich erst im Laufe des Lebens klarer abzeichnete. Erst als es fast zu spät war, schaffte ich es, die entscheidenden Schritte konsequent zu gehen. Getrieben von dieser großen Sehnsucht, in der Hoffnung, das Richtige zu tun, um endlich bei mir anzukommen, meine Träume zu leben. Zu segeln.
Ich möchte jedem Mut machen, seine Sehnsüchte ernst zu nehmen und: sie zu verwirklichen. Die Brüche in meiner Biografie, die Sackgassen, in die ich gelaufen bin, und meine seglerischen Abenteuer beschreibe ich in diesem Buch auf sehr persönliche Weise. Ein Individualist und Freigeist zu sein, bedeutet häufig, auf Sicherheit zu verzichten. Das hört sich oft nach Selbstlob an, ist aber in Wahrheit das Eingeständnis, länger als andere zu brauchen, um zu erkennen, was mein Weg ist.
Segeln ist für mich mehr als ein Hobby oder ein Sport. Ich wurde inspiriert durch Segler und Autoren, wie Bernard Moitessier und Wilfried Erdmann. Aus ihrem Erbe und meinen Erfahrungen hat sich meine eigene Philosophie des Segelns entwickelt. Dieses Buch schildert eine sehr persönliche Reise, die eines Suchenden, der in verschiedenen Welten zuhause ist, aber nur in einer Welt findet sein Geist uneingeschränkte Akzeptanz, innere Ruhe und Zufriedenheit: draußen auf dem Meer.
Die See geht durcheinander, Böen drücken die queen auf die Seite. Nur eine klein gerollte Genua stelle ich dem Wind in den Weg. Grünbraune Wellen mit weißen Spitzen, die der Wind zerstreut, senken ihr Haupt, werden vom Sog der Gezeitenströmung mit altem Schwell durchmischt und lassen chaotische Wasserformationen entstehen, die keinem Gesetz zu folgen scheinen. Alles ist in Bewegung, bis auf einen schmalen Küstenstreifen, an dem das Meer endet. Tapfer nimmt mein Boot die unterschiedlich starken Stöße unterhalb und oberhalb der Wasserlinie. Jeden einzelnen muss die africanqueen einstecken, nur manche beantwortet sie mit einem dumpfen Knall. In unrhythmischen Bewegungen tänzelt mein Neunmeter-Boot korkenähnlich über die See, parallel zur Küste, Richtung Englischer Kanal. Vereinzelte Wellen, die der Wind schickt, treffen mich von Luv, die queen wird angehoben und kurz darauf zur Seite gekippt, im nächsten Wellental richtet sie sich unter mir wieder auf und das Spiel beginnt von Neuem. Aus unterschiedlichen Grautönen nieselt es. Es ist Oktober. Die Segelsaison in diesem Revier neigt sich dem Ende entgegen und die Wettergötter lassen es mich spüren. Einzig die milden Temperaturen machen den unsichtbaren Teil dieser maritimen Trostlosigkeit etwas erträglicher. Der Winter kündigt sich an, aber die Elemente gehorchen heute noch dem Herbst. Mit einer flexiblen Auslegung von guter Seemannschaft kann ich die Bedingungen akzeptieren, beschließe aber, die kommende Nacht lieber im Hafen von Scheveningen zu verbringen.
Zwei Monate lang habe ich mein Boot in einer Halle der kleinen Werft Heerlien & Adema in Workum überholt und fit gemacht für seine kommende, längste und bislang härteste Reise. Ich ließ Solarmodule montieren und einen ordentlichen Autopiloten. Gemeinsam mit meinem Freund Sven machte ich das Deck mit Kiwigrip rutschfest, das Ruderblatt wurde aufwändig saniert und das Unterwasserschiff gestrichen. Nach wochenlangen Arbeiten in den schönen Segelmonaten August und September hing mein Halbtonner schließlich Anfang Oktober an dem kleinen Kran der Werft, um hinab ins Wasser gelassen zu werden.
Für die meisten IJsselmeersegler ging die Saison zu Ende, als ich mich am Mittag des 11. Oktobers aufmache und zunächst durch den idyllischen Ort Workum motore. Auf einem schmalen Kanal fahre ich vorbei an Gärten und Wohnhäusern, dem alten Stadtkern sowie drei romantischen Brücken, die von uniformierten, freundlichen Wärtern betrieben werden, die aus dem Fenster grüßen. Am Ende wartet eine kleine Schleuse, an der mir der Wärter einen kleinen Holzclog an einer Stange entgegenhält, damit ich die fünf Euro Gebühr hineinlege.
Am nächsten Morgen um 6:30 Uhr ist es noch dunkel, als ich die Leinen löse und in mein bislang größtes Abenteuer als Einhandsegler starte. Wegen der geringen Größe meines Bootes und der unrealistisch erscheinenden Distanz habe ich mein Vorhaben zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich gemacht. Zunächst einmal will ich überhaupt loskommen, das ist ja schließlich das Schwierigste.
Ich versuche, mich als Segler weiterzuentwickeln und mein Plan, an der nächsten Nonstop-Regatta Global Solo Challenge teilzunehmen, ist ungebrochen. Daher will ich wissen, wie ich auf langen Distanzen und in extremen Situationen zurechtkomme – ganz alleine. Dass ich ein ordentlicher Einhandsegler bin, habe ich mir bereits bewiesen. Aber steckt auch etwas Moittessier oder Erdmann in mir? Kann auch ich einen Ozean ganz alleine überqueren? Antworten auf diese Fragen zu finden, ist der Grund meiner Reise.
Schon auf den ersten hundert Metern im Dunkeln durch den schmalen unbeleuchteten Kanal hinaus aufs IJsselmeer, während ich das brechende Wasser neben mir höre, wird mir klar, wie schnell alles vorbei sein kann. Meine Gefühle können gegensätzlicher nicht sein. Zum Glück überwiegen die Freude und Neugierde auf die kommenden Monate. Trotzdem mischt sich auch eine gehörige Portion Respekt und Angst darunter, wenn das Kopfkino die vielen Gefahren und Unbekannten in der Gleichung einer Atlantiküberquerung abspielt. Das meiste davon hat wohl mit der geringen Größe meines Bootes zu tun und seinen gerade einmal 3,5 Tonnen Gewicht. Die mangelnde Stabilität der queen werde ich seglerisch rechtzeitig ausgleichen müssen.
Etwas zeitversetzt und von Amsterdam aus folgt mir der erfahrene Seglerfreund Andreas Lindlahr auf seiner Pogo 36. „Wir konnten ja schlecht im Hafen bleiben, nachdem du mit deinem kleinen Boot bei dem Wetter ausgelaufen bist“, erzählt er mir später in Le Havre.
Der Scheveningen Yacht Club hat neuerdings ein modernes schwimmendes Clubhaus in der Marina, chic. Ich genieße die Atmosphäre am nächsten Morgen, als ich meinen Kaffee trinke. Mit dem Pappbecher in der Hand wende ich mich an eine Gruppe Niederländer am Nachbartisch und erkundige mich nach den Bedingungen zwischen den Molenköpfen bei den gerade herrschenden sechs Windstärken aus Nordwest. Von einem Grauhaarigen bekomme ich die schnelle Antwort: „Es wird sehr wellig für etwa 100 Meter, aber die See kommt genau von vorne, wenn du da durch bist, ist es okay.“ Genau so kommt es wenig später beim Auslaufen. Die Bugspitze pendelt zwischen Himmel und Wellental, während wir kaum noch Fahrt machen. Mein kleiner Vetus Motor lässt die queen vibrieren und dreht den zweiflügeligen Propeller gerade schnell genug, um gegen die Kräfte aus Wind und Wasser anzukommen. In Zeitlupe schiebe ich mich zwischen den Leuchtfeuern hindurch, Richtung freier Seeraum. Erschreckend große Brecher rollen auf mich zu, aber solange ich konzentriert Ruder gehe und sie uns genau von vorne treffen, droht keine Gefahr. Ein wenig Vorsegel rolle ich aus, bevor ich den Kurs ändere, um nicht zum Spielball der Elemente zu werden.
Dann bin ich endlich draußen. Ich bringe die queen auf den neuen Kurs. Sofort nimmt sie Fahrt auf und lässt die brechenden Wellen hinter sich. Die Szenerie erinnert ein wenig an den Vortag, doch mit einem drohenden Unterschied, denn vor mir verdunkelt sich der Himmel dramatisch. Ich bin in Annäherung an Rotterdam. Von Sportbooten erwartet man dort ein Passieren innerhalb eines schmalen Bereiches nahe der Küste. Einer der größten Seehäfen der Welt liegt wenige Seemeilen entfernt, die Zufahrt dorthin werde ich in Kürze queren müssen. Riesige Containerschiffe nähern sich von See oder verlassen den Hafen. Sportboote werden geduldet, aber nicht gerne gesehen. Für meine Ängste und Sorgen hat hier niemand Zeit. Je näher ich der Küste komme, umso höher werden die Wellen. Per Funk versuche ich, eine Erlaubnis einzuholen, etwas weiter auf See zu passieren: „Maasbond, Maasbond, africanqueen.“ Eine vom Rauschen unterbrochene Antwort verstehe ich nicht, meine Handfunke hat zu wenig Reichweite. Unter Deck zu gehen, um das eingebaute UKW-Gerät zu nutzen, ist gerade unmöglich. Das sind die Momente, in denen ich mir als Solosegler eine zweite Person an Bord wünsche.
In der Navigationsapp auf meinem Handy überprüfe ich den Schiffsverkehr per AIS, die Frachter, die den Hafen verlassen, kann man so früher erkennen. Ich habe Glück. Es gibt eine große Lücke, die ich nutze.
Die dunklen Wolken erwischen mich nur an ihrem Ausläufer, starke Böen und Regen bleiben aus. Trotzdem lasse ich den Motor so lange mitlaufen, wie ich eine der dichtbefahrensten Wasserstraßen der Welt kreuze. Erst als ich den Schlüssel des Motors auf Stopp drehe und die Vibrationen enden, fällt die Last von meinen Schultern.
Eine sehr unangenehme Passage habe ich gerade hinter mir gelassen und auch, wenn die nächsten 24 Stunden durch eines der anspruchsvollsten Seegebiete der Welt führen, bin ich erleichtert. Neben meinem Niedergang auf Kopfhöhe habe ich die drei Worte „Segeln, Essen, Schlafen“ mit einem Edding aufs GfK geschrieben. Damit möchte ich mich selbst immer wieder an die wichtigsten Tätigkeiten des Einhandseglers erinnern. Um das Boot und den Kurs habe ich mich gerade gekümmert, jetzt bin ich an der Reihe. Ich fülle etwas Wasser in einen Kessel und zünde die Flamme des Gaskochers an. Während das Wasser erhitzt, stöbere ich im Schapp der Pantry, dadrin habe ich eine Auswahl meiner Trockennahrung deponiert. Macaroni Cheese steht auf einer gelben Tüte, die ich aufreiße und in meine kleine Spüle stelle. Seit Boris Herrmann sich beim Zubereiten einer solchen Mahlzeit mal verbrannt hat, wähle ich jeden einzelnen Schritt mit Bedacht. In der Spüle kann die Tüte nicht umfallen und beim Einfüllen des Wassers kann trotz Seegang auch Wasser daneben gehen, ohne dass ich mich dabei verletzte. Mit einem langen Löffel rühre ich im Anschluss um und verschließe die Tüte noch einmal für einige Minuten. Bei diesen Bedingungen könnte ich mir unmöglich eine vergleichbare Mahlzeit mit frischen Zutaten zubereiten, daher bin ich ein großer Fan von gefriergetrocknetem Essen. Die Gerichte sind nahrhaft, gut portioniert und sehr gut abgeschmeckt. Am Ende habe ich außerdem weniger Abfall an Bord.
Der dritte Punkt meiner täglichen To-Do-Liste ist: Schlafen. Auf langen Passagen versuche ich, schon tagsüber in regelmäßigen Abständen Pausen einzulegen, in denen ich mir einen Timer stelle und mich hinlege, je nach Revier zwischen zehn Minuten und einer Stunde. Entscheidend ist dabei nicht, dass ich tatsächlich einschlafe, sondern, dass sich der Puls beruhigt, der Geist entlastet wird und sich der Stress im Körper reduziert. Mit dieser Technik gewöhne ich mich an einen Wechsel von Anspannung und Entspannung. Wichtig ist, sich nicht verrückt zu machen, wenn der Schlaf nicht gleich kommt. Irgendwann überrascht er einen kurz und danach wird‘s einfacher.
Die Nacht bricht an, der Wind lässt nach. Ich manövriere entlang der Küste Hollands und Belgiens vorbei an Windparks und der Scheldemündung. Hier ist viel Verkehr, an Schlaf deshalb nicht zu denken. Nach den Frachtern kommen nun die Sandbänke und die Boote der Fischer. Statt zu schlafen, geben ich mich meinen Gedankenspielen hin, meinen kleinen philosophischen Exkursen. Das vertreibt die Zeit und macht klarer.
Fragt man Wikipedia, das Wissen der Welt, dann ist”Einsamkeit […] ein subjektives Gefühl, bei dem dieeigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichenWünschen und Bedürfnissen entsprechen.“ Ich fühle michalso einsam, weil ich glaube, mehr menschliche Nähehaben zu müssen. Ja, ganz sicher geht’s ums Fühlen.
Der Mensch ist ein Herdentier und das Rudel ist dieartgerechte Lebensweise. In der christlichen Welt ist daserstrebenswerte Lebensziel, eine Familie zu gründen, zuheiraten und Kinder zu bekommen. Dadurch ist dieser Weg im Denken vieler Menschen heute das bestmögliche Rezept gegen Einsamkeit und in der eigenen Vorstellung diegrößte Garantie für ein erfülltes Leben. Im Umkehrschluss, im Falle des Scheiterns und nicht Erreichen dieses Ziels, bewegt man sich im Bereich der Normabweichung unddes Unglücks, an deren Ende die Einsamkeit wartet. Daich nicht religiös im klassischen Sinne bin und auf meinenSegelreisen meine geliebten Kinder und meine Freundinzurückließ, müsste meine soziale Isolation in Einsamkeit, Unglück und Selbstmitleid enden. Warum das nicht so ist, hat mehrere Gründe.
Mein Trost ist die unglaubliche Welt, die mir auf Seebegegnet. Sie ist in keinem Buch zusammengefasst. Ichmuss mich für keinen Gott entscheiden, kein Gebetsprechen oder Rituale befolgen, denn meine Kathedralehat keine Wände, die Kirchenfenster keine Rahmen, ihreMotive bewegen sich, ändern ihre Farben und Motive undverschmelzen zu dem, was Menschen immer kopierenwollten, der Realität. Eine Realität, die so perfekterscheint, dass Menschen Götter brauchen, um sie zuerklären. Wir können nicht akzeptieren, dass uns dasgrößte Wunder zufällig vor die Füße gelegt wurde. Hierdraußen auf dem Meer, wo der Mensch noch keine(sichtbaren) Spuren hinterlassen hat (oder nur wenige), istmein Mekka. Wenn ich nachts unter einem leuchtendenSternenhimmel hindurch segele, allein mitten auf demOzean, dann fühlt sich jede Zelle in mir lebendig undvielleicht sogar vollkommen.
Diese Realität kommt im Gewand eines Wunders, demich voll und ganz vertraue und dem ich mich als Seglerhingebe und zugleich unterwerfe, wie auf einer Pilgerfahrt.Hier, in den Zyklen der Natur, ist mein heiliger Ort, hierverliert auch meine eigene Endlichkeit ihren Schrecken. Hier bin ich tatsächlich: ich. Nirgends ist der Frieden so groß wie allein auf See.
Sigmund Freud hat schon in DAS UNBEHAGEN IN DERKULTUR festgestellt, was ich als segelnder Proband nurbestätigen kann: ”Gewollte Vereinsamung, Fernhaltungvon den Anderen ist der nächstliegende Schutz gegen dasLeid, das einem aus menschlichen Beziehungen erwachsenkann. Man versteht: Das Glück, das man auf diesem Wegerreichen kann, ist das der Ruhe.“
Für mich war der Weg zum Solo-Segler keine Flucht vor den Menschen im Freud‘schen Sinne. Es hatte sich anfangs aus einem Mangel an verfügbaren Mitseglern und meinemWunsch nach Unabhängigkeit ergeben. Im Laufe der Zeitbin ich in diese Rolle hineingewachsen, habe aus der Noteine Tugend gemacht und die Vorteile der Unabhängigkeitschätzen gelernt. Ein Boot bietet viele Möglichkeiten fürzwischenmenschliche Differenzen. Frieden und Ruhe findet man hier nur in Harmonie oder allein.
Ein Rückzug von den Dingen und den Menschenist nicht zwangsläufig eine Reduzierung, sondern kannsogar eine Bereicherung sein, wie der Gang ins Kloster.Täglich werden wir geflutet von Bildern und Worten, vonProdukten, Träumen und potenziellen Partnern, die wirangeblich brauchen, um glücklich zu sein.
Ein Selbstbetrug, der an Land eine Zeit lang funktionieren kann und dessen Muster wir auch mit aufs Meernehmen. Seitdem das Segeln sicherer geworden ist, sinddie Menschen ängstlicher geworden. Wir haben verlernt, einfach mal uns selbst zu vertrauen. Genau das muss ichals Einhandsegler aber tun. Daher ist die Verwandlungvom Landmenschen zum Solo-Segler auch verbundendamit, dass ich meine inneren Dialoge eine Zeit langaushalten muss, bis sie verstummen und Raum schaffenfür das innere Selbst. Eine Zuversicht, die aus einemheraus erwächst, wenn man die Angst hinter sich lässt.Eine innere Quelle, die stark und mutig ist und in Glückund der Erkenntnis mündet: Ich bin nicht einsam aufdem Meer.
Einsam bin ich nur an Land. Die See belohnt einenso reich, beschenkt einen mit Bildern, Eindrücken, Stimmungen und spendet Trost. Hier finde ich eineAntwort auf die Frage des Lebens: ”Wer bin ich?“ Dieeinzige Antwort, die dem Tod den Schrecken nimmt undden Kreis des Lebens schließt.
”Pale Blue Dot“ ist der Name des Fotos, das aus dergrößten Distanz zur Erde aufgenommen wurde. Es zeigteinen winzigen Punkt in einem großen blauen leeren Raum.Es wurde 1990 von der Raumsonde VOYAGER 1 in einerEntfernung von sechs Millionen Kilometern aufgenommen.Auf dem Foto ist die Erde das, was ich als Einhandseglerauf dem Ozean bin, ein winziges Etwas im lebensfeindlichen Nichts.
Carl Sagan ein US-Astronom, der im Team der Voyagerarbeitete, hatte die Idee, die Raumsonde ein letztesMal Richtung Erde zu drehen und ein Abschiedsfotoaufzunehmen. Er hat später ein Buch über dieses Fotogeschrieben, in dem es darum geht, wie einzigartig undschützenswert dieser kleine Punkt ist, auf dem sich allesabgespielt hat, was wir kennen und wissen. Dieser kleinePunkt kann einen im wahrsten Sinne des Wortes erden, die Sorgen relativieren, die Einsamkeit begrenzen und dieDringlichkeit erhöhen, diesen kleinen Punkt zu schützen.Auf diesem winzigen Punkt sind wir alle vereint, auch ichals Segler, auf meinem kleinen Boot, das sich im Meerverliert, wie unsere Erde im All.
Der Morgen ist wunderschön. Ich gleite über wellenloses Meer. Die Nacht scheint die Wolken verschluckt zu haben. Ich notiere in meinem Logbuch: „16.10.2023 um 08:21 Uhr local time, wolkenloser Himmel, bei wenig Schiffsverkehr segeln wir durch die Sandbänke vor Dünkirchen.“ Nach langem Versteckspiel zeigt sich die Sonne mal wieder, erst als schmaler orangeroter Streifen über der Küste und später als wärmende Lichtquelle und wandelnder Begleiter. Ein Tag wie für die queen konfiguriert, flache See und genügend Wind, um auf etwa 5 Knoten Geschwindigkeit zu kommen. Wenig Schiffsverkehr, nur ganz vereinzelt entdecke ich die kleinen weißen Dreiecke anderer Segler. Auch auf Höhe Calais und später in der Straße von Dover begegne ich bloß den üblichen Fähren.
Als ich Boulogne-sur-Mer querab habe, muss ich daran denken, wie ich hier vor einigen Jahren von England kommend in sehr gefährliche brechende Wellen vor den Molenköpfen geraten bin. Damals hatte ein Schiff der Küstenwache ein Auge auf uns geworfen, bis wir sicher im Hafen waren. Noch sind die Bedingungen gut, aber gegen Abend nimmt der Wind wieder zu, und in der Nacht frischt er bis 30 Knoten auf. Regenwolken schieben sich über meinen Kurs und verdunkeln die Nacht. Es ist windig, kalt und regnerisch, ich schließe die Luke und mache es mir im Boot so gemütlich, wie es eben geht. Eine flauschige Decke, die ich mir am letzten Tag bei Aldi in Workum gekauft habe, wird zu meinem Lieblingsgegenstand. Auch in dieser Nacht bringt sie mir etwas Wärme und Gemütlichkeit in meinen bescheidenen Lebensraum. Um nicht vor Tagesanbruch in Fécamp anzukommen, rolle ich das Vorsegel fast ganz ein. Andreas mit seiner Pogo 36 hatte mich überholt und liegt bereits im Hafen. Mit dem Tageslicht nähere ich mich der felsigen Küste und frage mich: „Wo soll da ein Hafen sein?“ Ein paar Stunden später mache ich provisorisch im Vorhafen fest, während Andreas mir auf dem Steg entgegenläuft. Bei Croissants und Kaffee mit Blick auf die Boote besprechen wir die Lage. Das Wetter soll schlechter werden, daher entscheiden wir, sofort wieder auszulaufen, um Le Havre rechtzeitig zu erreichen. Trotz meiner Erschöpfung und Müdigkeit halte ich es für die richtige Entscheidung, denn in Le Havre haben wir bei schlechtem Wetter mehr Möglichkeiten.
Der Wind hat nachgelassen, und die Sonne lässt sich blicken, als ich mich den weißen Felsen von Étretat nähere. Andreas und sein dänischer Mitsegler Morten haben mit der kea zu mir aufgeschlossen. Während ich in den letzten Zügen bin, mein Groß auszureffen, höre ich das Surren einer Drohne über mir. Andreas hatte angekündigt, ein paar Fotos und Videos von meinem Boot vor dieser einzigartigen Kulisse zu machen. Ich versuche, möglichst nah an den Felsen zu segeln und etwas Lage zu schieben für spektakuläre Aufnahmen. Kurz darauf beobachte ich, wie die beiden mit ausgestreckten Armen gen Himmel versuchen, die Drohne einzufangen, was ihnen nach einer Weile auch gelingt. Im Anschluss segeln wir nach Le Havre, von der Ansteuerung bis in den Hafen hinein zieht es sich in die Länge. Der Hafenmeister kommt mir im Schlauchboot entgegen und begleitet mich zu einem freien Platz. Einige Rennboote liegen auch in diesem Teil des Hafens, und ich bin erleichtert, noch einen Spot in der Nähe der kea bekommen zu haben.
Später schlendern wir durch die Stadt bis zu dem Hafenbecken, in dem die Imocas und Trimarane neben anderen Regattabooten liegen, wie Rennpferde im Stall. Party- und Sponsorenzelte stehen neben den Booten, überall wird gewerkelt und aufgebaut für eine der größten französischen Ozeanregatten, die Transat Jacques Vabre. In den nächsten Tagen kommt hier die gesamte internationale Segelelite zusammen, inklusive der deutschen Segler Boris Herrmann, Lennart Burke und Melwin Fink. Das Hafenkino bietet einen Showdown der mordernsten und schnellsten Rennboote unterschiedlichster Klassen.
Für mich öffnet sich am nächsten Tag jedoch kurzfristig ein Wetterfenster für die nächsten 70 Seemeilen nach Cherbourg, sodass ich ein Wiedersehen mit Lennart und Melwin, die ich auf dem letzten Trans-Ocean-Treffen kennen- und schätzen gelernt habe, leider verpasse. Bei sehr böigem Wind aus Süden begegne ich mehreren bunten Imocas und Class 40’s, die selbst im Überführungsmodus stolz und elegant an mir vorbeifliegen.
Bei einsetzender Dunkelheit erreiche ich den großen Außenhafen von Cherbourg, vorsichtig motore ich zwischen breiten Molenköpfen hindurch, den vielen funkelnden Lichtern entgegen, auf die schmale Einfahrt der Marina zu. Auf Facebook hatte ich die Reise einer Charteryacht verfolgt, die ich am nächsten Morgen im Hafenbecken entdecke. Die avalon ist eine 50 Fuß große Dufour, Skipper ist der junge Matthias, genannt „Matze“. Ein interessanter Segler, der mit seiner Freundin Luisa ein eigenes Boot in der Karibik auf Cariacou hat und bald dorthin zurückkehren möchte. Matze und ich verstehen uns auf Anhieb gut, wir kennen uns bereits über unsere Youtube-Kanäle, treffen uns aber hier das erste Mal persönlich.
Mit seinen Rastazöpfen, die er meist nach hinten zusammenbindet, und seinen vielen bunten Bildern auf der Haut, unter lockerer Kleidung, wirkt er auf der avalon wie ein Backpacker auf Segelurlaub und nicht wie der typische Profiskipper. Er könnte auch die Rolle des Piraten Jack Sparrow aus Fluch der Karibik doubeln, aber ich tue ihm sicher Unrecht, wenn ich ihn auf sein Äußeres beschränke oder sogar Rückschlüsse zulasse. Matze ist ein sehr gewissenhafter und guter Seemann mit reichlich Erfahrung und sehr besonnener Herangehensweise.
Frankreich ist eine Segelnation, und Cherbourg ist der Zielhafen des legendären Fastnet Race. Der Hafen ist gut erreichbar und kann bei jedem Wetter sicher angelaufen werden. Er bietet Seglern neben einer guten Infrastruktur auch einen schönen Aufenthalt mit französischem Flair. Das wollte sich auch das berühmteste Reiseschiff der Geschichte nicht entgehen lassen. Die titanic machte hier einen Zwischenstopp auf ihrer Jungfernfahrt Richtung New York. Cherbourg war der letzte kontinentale Hafen, den sie anlief, bevor noch ein Halt in Irland folgte. Danach ging sie auf den bekannten letzten Abschnitt ihrer Reise, einen weiteren Hafen hat sie nie wieder angelaufen.
Am 22. Oktober gegen 11:00 Uhr setze ich meine Segel im Bereich der großen Reede, wo ein 3.640 Meter langer künstlicher Damm mit fast 30 Metern Höhe guten Schutz vor Wind und Wellen bietet. Hinter mir entdecke ich die avalon, auf der einige Crewmitglieder die alten, formlosen Segel in den Mast befördern. Wir hatten beschlossen, zeitgleich auszulaufen, die Routenplanung für das Cape de la Hague hatte ich Matze überlassen. In dem Gebiet können einen starke Strömungen mit Strudeln treffen, dort will man sich nicht im falschen Moment aufhalten. Ich binde ein Reff ins Großsegel und gehe Kurs West parallel zur Küste. Neben mir versetzt, etwa 200 Meter entfernt, segelt die avalon. Gemeinsam passieren wir das Cape de la Hague und bleiben nördlich der kleinen Insel Alderney. Hier entstehen auf einer fußballfeldgroßen Fläche unangenehme Wellen, die ich schon von Weitem entdecke und die mich beim Passieren ordentlich durchschütteln. Plötzlich lassen die Wellen wieder nach, Verwirbelungen und Strudel versetzen mein Boot so stark, als wäre ich auf einem Fluss unterwegs. In diesem Moment bin ich froh, freien Seeraum zu haben, in dem die queen sich den Kräften hingeben kann. Mal dreht der Bug in die eine oder andere Richtung, immer wird das Wasser unter mir von großen unsichtbaren Kräften bewegt, als ob jemand den Stöpsel gezogen hätte und das Meer sich an einer Stelle entleeren würde. Ich versuche, es anzunehmen wie die Turbulenzen im Flugzeug: Für den Moment ist es unangenehm, aber es wird nicht lange dauern, und hier draußen kann es mich nicht gefährden. Erst mit der nachlassenden Anspannung, nachdem ich das Kap und die Strömungen hinter mir gelassen habe, Alderney an Backbord achteraus langsam kleiner wird und die avalon immer noch querab ist, wird mir bewusst, wie schnell ich unterwegs bin. Ich genieße die perfekten Bedingungen. Bei halbem Wind mache ich über 6 Knoten Fahrt. Guernsey, die zweitgrößte der britischen Kanalinseln, sehe ich nur aus der Ferne bei einsetzender Dunkelheit und bald nur noch die vereinzelten Lichtquellen im Dunkeln der Nacht. Als 12-Jähriger war ich einmal in Guernsey mit meiner Großmutter im Urlaub. Wir wohnten in einem kleinen Bed & Breakfast mit köstlichem englischem Frühstück und Scones und Tee am Nachmittag. Als ich die Insel aus der Ferne erblicke, wird in mir die Erinnerung an eine ganz besondere Frau lebendig.
Wir schlenderten durch die hügeligen Straßen desHauptortes St. Peter Port. In einem Musikgeschäft kauftemir Oma Ilse eine Ukulele, die ich über alles liebte undüberall mit hinnahm, auch wenn ich nie richtig spielenlernte. Mit dem Bus fuhren wir über die Insel, unternahmen Wanderungen entlang der Klippen, das Meerimmer in Sichtweite. Oma Ilse war eine besondere Frau, anders als viele Frauen ihrer Generation. Sie hatte dasErste Staatsexamen in Jura und hätte sicher auch dasZweite gemacht, hätte es Hitler nicht gegeben. Den hattesie von Anfang an durchschaut und nie gewählt. MeineOma war eine Linke, mischte bei Friedensbewegungen mit, abonnierte den SPIEGEL und engagierte sich im Alter noch bei den ”Deichwächtern“ gegen den Bau von Tiefgaragennahe dem Rhein in Oberkassel, wo sie in einem kleinenApartment wohnte.
Sie war eine schlanke und im Alter zierliche Person, mit silbergrauem, halbkurzem, welligem Haar und einemfröhlichen Lächeln, eine sehr aparte Frau. Ihr Mann, meinGroßvater, war früher ein erfolgreicher Geschäftsmann, der Baumaschinen an die Gemeinden und Städtevermietete. In der Wirtschaftskrise 1966 gab es einendramatischen Rückgang öffentlicher Investitionen, meinGroßvater bekam keine Aufträge mehr und konnte dieRaten für die finanzierten Maschinen nicht bedienen. Erging pleite. Mein Vater nahm seine Eltern für eine Weilebei sich auf, und mein Großvater fing an, Taxi zu fahren.Den sozialen Abstieg hat er nicht verkraftet. Einen gemeinsamen Selbstmordversuch in den Bergen Bayerns überlebte nur meine Großmutter.Diese Geschichte war wie ein schwarzes Loch in unserer Familienbiografie. Es wurde nie darüber gesprochen, daher kenne ich keine Details zu dem tragischen Vorfall. Gut, dass das Schicksal meine Oma Ilse, die doch eigentlich einlebensfroher Mensch war, verschont hatte. Sie wurde einesehr wichtige Bezugsperson für mich, gab mir Nachhilfe, hatte immer ein offenes Ohr für alle möglichen Themenund Probleme. Mindestens zweimal die Woche war ichals Jugendlicher bei meiner Großmutter. Ich durfte inihrem Schaukelstuhl aus Bambusholz sitzen. Allein dasleichte Wippen hatte etwas sehr Beruhigendes. Sie kochteuns einen Earl-Grey-Tee und setzte sich aufrecht in einenHolzstuhl mit Kissen mir gegenüber. Dass diese Szene aneine Sitzung bei einem Therapeuten erinnert, wird mir erstjetzt beim Schreiben deutlich. Und wirklich, ich konntemir bei meiner Oma alles von der Seele reden. Ilse hattedie Zeit, es sich anzuhören, und das Interesse und dieEmpathie, es zu verstehen und mir Ratschläge zu geben.Meine Eltern hatten für solche Gespräche keine Zeit, sie waren beide selbstständig und Teil einer Generation, diesich von Kriegstraumata und autoritären Familienstrukturen mit traumatisierten Vätern befreien wollte. Tagsüberarbeiteten sie für einen guten Lebensstandard, an denWochenenden wurde gefeiert und das freie Leben zelebriert. Sex, drugs and Rock ‚n‘ Roll war ihr Motto. Im Kino liefEASY RIDER, und im realen Leben wurden ebenfalls neueWege Richtung Freiheit ausprobiert. Das eigene Suchennach Glück stand im Zentrum vieler Biografien im Umfeldmeiner Eltern. Selbstständig arbeiten und selbstbestimmtleben war in dem hippen Stadtteil Oberkassel das neueLebensmotto. Helikopter kreisten mehr über dem eigenenEgo als über uns Kindern. Wir wurden zu Probanden einer