Segel zu den Sternen - Ulf Fildebrandt - E-Book
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Segel zu den Sternen E-Book

Ulf Fildebrandt

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Beschreibung

Haran Troyer hat Pech. Sein letzter Transportauftrag geht schief, und zusammen mit der Wanderer strandet er in der Weltraumstadt Melara, im Orbit um den Saturnmond Titan. Um weiter zwischen den Planeten des Sonnensystem reisen zu können, nimmt er Passagiere an Bord, die den Weg zu fernen Sternen suchen und von fortschrittsfeindlichen Fanatikern verfolgt werden. Es beginnt eine Jagd durchs Sonnensystem, die an längst verlassene Orte der Menschheitsgeschichte führt.

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

11/2022

 

© by Ulf Fildebrandt

© by Hybrid Verlag

Westring 1

66424 Homburg

Umschlaggestaltung: © 2022 by Creativ Work Design, Homburg

Bildnachweis: 3DSculptor

Stock-Fotografie-ID: 1310752942

Bildnachweis: Sergey Khakimullin

Stock-Fotografie-ID: 683148894

Lektorat: Gundel Steigenberger, Matthias Schlicke

Korrektorat: Barbara Dier

Buchsatz: Rudolf Strohmeyer

Autorenfoto:

 

Coverbild ›Omega – Das Erbe der Gottmaschine‹

© 2020 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Das Eden-Projekt‹

© 2016 by Creativ Work Design, Homburg

X-Reihe

© 2019 by tab visuelle kommunikation, Stuttgart

ISBN 978-3-96741-173-7

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

Printed in Germany

 

Ulf Fildebrandt

 

 

 

 

Segel zu den Sternen

 

Das Städte-Universum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Science-Fiction

 

1

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Der Autor

Hybrid Verlag …

 

1

Raumschiff Wanderer, im Orbit um Titan, Saturn

3. März 380 nach dem Exodus

 

 

 

Um Haran herum war nur leerer Raum und die Außenwand der Wanderer. Er hielt den metallenen Griff mit einer Hand fest umklammert und streckte sich zum nächsten. Endlich erreichte er ihn und zog sich weiter. Das hausgroße Transportmodul der Wanderer wirkte klein von innen, aber die Entfernung auf seiner Außenseite zu überwinden, schien eine Ewigkeit zu dauern.

Seine Atemzüge rauschten laut im Helm. Er schwebte über dem Wohnmodul und genoss die freie Sicht auf den nahen Mond Titan mit seiner orangefarbenen Atmosphäre. Die undurchdringliche Wolkenschicht aus Stickstoff und Kohlenwasserstoffen reflektierte das Licht der fernen Sonne und des Saturns, der mit seinen Ringen gerade hinter dem Horizont verschwand.

»Kommst du ran?«, fragte eine tiefe Stimme, direkt an seinem Ohr. Es war Torr, sein ältester Freund und Stellvertreter.

»Ich bin noch nicht so weit. Das weißt du ganz genau.«

Ein Lachen dröhnte aus seinem Headset. Torr saß in der Zentrale der Wanderer und verfolgte jede Bewegung auf den Displays.

Haran atmete tief durch. Ein Heizelement am Transportmodul war ausgefallen und die Reparatureinheit reagierte nicht. Den Schaden an der Heizung konnte er nur von außen beheben. Die Wanderer war sein Schiff und er würde jedes Risiko eingehen, um sie zu reparieren.

Der nächste Griff kam in Reichweite und Haran packte zu. Er zog sich weiter, aber er kam nur mühsam voran. Die Masse des Raumanzugs behinderte ihn bei seiner Aufgabe. Der Antrieb seines Anzuges besaß nicht genug Treibstoff, um ihn hin- und wieder zurückzubringen.

Direkt vor ihm lag eine Abzweigung. An der Schnittstelle gingen zwei zylinderförmige Module rechtwinklig ab. Der Schaden war an dem aufgetreten, der zu seiner Rechten lag. Vorsichtig manövrierte er dorthin und zog sich über die Verbindung hinweg. Unter ihm befand sich der Transportbehälter mit den Schaltelementen, die sie in Melara verkaufen wollten. Sie stammten aus dem Jupitersystem, von der Stadt Novi Roma, dem besten Ort für Hightech im gesamten Sonnensystem. Leider vertrugen sie die tiefen Temperaturen des Weltraums nicht. Das für diesen Flug installierte Heizungssystem hätte das Auskühlen eigentlich verhindern sollen.

Griff für Griff näherte er sich dem Heizaggregat am Ende des Moduls. Unmittelbar darüber bewegte sich Titan als wolkenverhangene Sichel im ansonsten tiefschwarzen Weltraum.

Eine Bewegung lenkte Haran ab. Etwas lief über die Oberfläche des Moduls. Mit beiden Händen hielt er sich fest und drehte seinen Raumanzug schwerfällig, um besser zur Seite zu sehen. Dort entdeckte er die würfelförmige Reparatureinheit auf ihren vier Beinchen mit magnetischen Haftelementen. Nur zwei Armlängen von ihm entfernt zappelte sie wie eines der Insekten aus den Zuchtkäfigen der Städte.

»Hol das Ding wieder ins Lager! Es stört mich bei der Reparatur.«

Für einige Momente passierte nichts. Der Funk blieb stumm und auch die Reparatureinheit verharrte bewegungslos vor ihm.

»Torr?«

Ein Knacken ertönte. Die Verbindung wurde hergestellt.

»Es geht nicht«, erklärte Torr mit spürbarer Besorgnis in der Stimme.

»Was?« Haran starrte immer noch auf die Maschine vor ihm. Jetzt hob sie bedächtig die Arme, als wolle sie nach ihm greifen.

Haran musste an das künstliche Mitglied seiner Besatzung denken. »Vess:359, dein Artgenosse sucht einen Spielgefährten.«

»Die Einheit reagiert nicht auf meine Anweisungen«, fluchte Torr. Seine Stimme überschlug sich fast.

Plötzlich setzte sich die kleine Maschine in Bewegung. Schneller, als Haran folgen konnte, stakste sie zu ihm. Der Apparat hob einen dünnen Arm, der in einer langen Spitze endete. Und stieß zu!

Das harte Metall traf seinen Handschuh. Zum Glück blieb das Material des Raumanzuges unversehrt. Der Greifer glitt ab und schrammte über die Außenhaut des Moduls.

Blitzschnell zog Haran den Arm zurück. Er hielt sich nur noch mit einer Hand fest. Die Maschine zielte darauf, drehte sich und wiederholte die Stoßbewegung auf seine Finger.

Dieses Mal war Haran schneller. Er brachte seinen Arm außer Reichweite, doch jetzt trudelte er. Langsam bewegte er sich vom Modul fort.

Warum muss dieses Ding gerade hier auftauchen?

Er hob die Hand vor das Helmvisier, um das Material auf Schäden zu untersuchen. Nur ein dunkler Kratzer deutete darauf hin, dass die Maschine ihn getroffen hatte.

Nachdenklich warf er einen Blick auf das verrückt gewordene Ding. Es tänzelte von einer Seite zur anderen und reckte die Arme nach oben, als wolle es nach ihm greifen.

Was läuft bei dir falsch?

Er streckte eine Hand aus, um die Einheit zu ergreifen. Der Apparat duckte den ganzen Körper nach unten und drückte sich mit aller Kraft ab. Die Bewegung faszinierte Haran im ersten Moment. Doch die Maschine hielt genau auf ihn zu. Es blieben ihm nur noch Sekundenbruchteile. Er krümmte sich, aber das änderte nichts an seiner Position im Raum.

Der Körper traf ihn. Die Gliedmaßen packten nach ihm und wieder hackte der Roboter mit den Greifarmen wie wahnsinnig auf ihn ein.

Ihm wurde klar, dass er das Ding loswerden musste. Mit der Zeit würde es das Material seines Raumanzugs durchstoßen. Die Luft würde in die unbarmherzige Leere des Raumes entweichen.

Haran schlug abwehrend mit der Hand nach dem Angreifer, aber der wich aus. Jeder Treffer erzeugte ein leichtes Klacken in seinem Raumanzug. Die Luft darin trug den Schall weiter.

»Was tust du da?«, rief Torr aufgebracht.

Deine Instrumente sagen es dir doch!

Der kleine Apparat musste einen Ausfall der Steuerungssoftware haben.

Plötzlich war eines der knackenden Geräusche viel lauter als die anderen. In seinem Display wurde eine Warnung angezeigt: Oberfläche beschädigt.

Der Raumanzug hatte einen eigenen Antrieb. Langsam griff er mit einer Hand zum Steuerungshebel. Mit seiner Hilfe richtete er die Düsen aus. Das leise Klacken der Greifarme verriet ihm, dass die Maschine weiter auf ihn einstach. Früher oder später würde sein Anzug ein Leck bekommen.

Wie werde ich den los?

Wieder ein lautes Krachen, gefolgt von einem hohen Pfeifen. Auf dem Display vor ihm erschien ein Bild seines Raumanzugs. Eine rote Markierung am Arm zeigte an, wo die Struktur belastet wurde. Noch ein Versuch mehr und sein Anzug würde nachgeben.

Er gab Schub und entfernte sich von der Wanderer und ihren unzähligen Modulen. Sie reihten sich alle aneinander. Zuerst das Zentralmodul, dann die Ortung, gefolgt von den beiden gegenläufigen Rotationsringen, die dafür sorgten, dass die Insassen nicht auf ein Äquivalent zur Schwerkraft verzichten mussten. Danach kamen die Transportmodule, die Tanks für den Treibstoff und am Ende der Antrieb mit den riesigen Kühlflächen des Fusionsreaktors, die wie Segel in das All ragten. Sein Raumschiff glich einem Schmetterling mit einer atemberaubenden Spannweite.

Die Rotationsringe und ihre konstante Bewegung brachten ihn auf eine Idee. Mit den Steuerdüsen versetzte er sich selbst in eine immer schnellere Drehung. Die Beine der mobilen Reparatureinheit lösten sich endlich. Ihre magnetische Haftung fand auf seinem Raumanzug nicht genug Halt. Die Greifer jedoch öffneten und schlossen sich. Einer verhakte sich im Stoff seiner Armbeuge.

Haran lachte freudlos. Er hob seinen Finger von der Kontrolle für die Steuerdüse, sodass der Schub aussetzte. Er behielt seine Drehung bei, die Sterne und das Raumschiff flogen um ihn herum.

Er starrte die Maschine an, die sich an seinem Raumanzug mit einem einzigen Greifwerkzeug festhielt. Mit einer schnellen Bewegung schlug er gegen den Greifer, sodass dieser abrutschte.

Sofort wurde die Maschine fortgetragen, beschleunigt von der Fliehkraft der Drehung.

»Gute Idee«, erklang eine begeisterte Stimme.

»Verrat mir mal, was mit dem Ding nicht in Ordnung ist«, gab Haran zurück. In seinen Worten schwang unverhohlener Frust mit.

Ihm antwortete nur Schweigen. Erst als die Stille beinahe unerträglich wurde, meldete sich Torr: »Wir können dir nicht sagen, warum das Ding Amok gelaufen ist. Vielleicht ist es auch getroffen worden, genau wie das Lager.«

»Lass eine Diagnose laufen.«

»Ist schon im Gange. Du weißt noch, dass du die Heizung in Ordnung bringen musst?«

Haran legte einen Finger auf den Steuerhebel und verlangsamte seine Rotation. Erst jetzt bemerkte er, wie schwindlig ihm geworden war. Die Bilder vor ihm wechselten. Die orangenen Wolkenschichten des Titan und für wenige Wimpernschläge sein Raumschiff tauchten im Blickfeld auf.

Endlich setzten die Schubdüsen so lange ein, dass er keine Rotation mehr besaß und frei schwebend im Weltraum stehen blieb. Erleichtert atmete er auf. Sein Schwindelgefühl ließ nach. Ein paar Schubimpulse genügten, um ihn zum Transportmodul zurückzubringen.

»Du musst dich beeilen«, erklärte Torr angespannt. »Die Temperatur im Transporter ist weit unter dem Gefrierpunkt.«

Verdammt!

Schon wenige Augenblicke bei diesen Minusgraden konnten die gesamte Elektronik zerstören. Die neuesten Bauteile aus den Fabriken von Novi Roma waren empfindlich.

Er beeilte sich. Mit einer Hand umklammerte er den Griff, zog sich grimmig bis zum nächsten. Endlich war er so weit gekommen wie zuvor.

Keine außer Kontrolle geratene Maschine versperrte mehr den Weg zum Ende des Transportmoduls. Für einen Moment verharrte er, bis er sich weiterzog.

Ihm stockte der Atem. Das Heizungsmodul, das normalerweise vollständig hinter der Verkleidung verborgen lag, schwebte in Einzelteilen vor ihm. Nur ein paar gezackte, scharfkantige Metallreste deuteten noch auf den Apparat hin.

»Seht ihr das?«, fragte Haran tonlos.

»Ja.«

»Das kann ich nicht reparieren.«

Wieder herrschte Schweigen. Sein Blick schweifte ab zu Saturn und Titan. Der Mond in seiner orangefarbenen Wolkenhülle hing direkt unter ihm.

Die Ladung ist verloren!

Seine Gedanken überschlugen sich, um einen Weg zu finden, wie er die Temperatur im Innern des Transportmoduls erhöhen konnte. Wenn ihm nichts einfiel, würde es innen so kalt wie im Weltraum werden.

»Verdammt. Die sind hin.« Ganz langsam näherte er sich dem zerstörten Gerät.

»Hast du was gesagt?« Torr klang besorgt.

Haran ging nicht weiter darauf ein. »Ich schau mir das Heizelement an.«

»Wenn du fertig bist, komm rein.«

Wortlos schwebte er auf die zertrümmerte Anlage zu. Es war wirklich nur noch die Hülle eines Apparats geblieben. Etliche dünne Kabel hingen heraus, doch ihre Aufgaben ließen sich nicht einmal erahnen.

Haran streckte einen Arm aus und berührte die offen liegenden Drähte. Nichts passierte. Die Schäden waren zu schwer, um sie zu beheben. »Öffnet die Türen zum Transportlager! Die Luft aus dem Schiff soll die Heizung übernehmen.«

»Ohne Erfolg«, erwiderte Torr nach einiger Zeit. Anscheinend versuchte er es. »Wie beim ersten Mal. Der Druck steigt nicht. Es muss ein Loch in der Hülle geben.«

»Wo ist das Leck?«

Wieder trat eine Pause ein. In völliger Lautlosigkeit hing er im Weltraum und starrte auf die zerstörte Heizung.

»Habt ihr mich gehört?«

»Es muss bei der Heizung sein.«

Verwundert musterte er die Überreste. Überall gab es Leitungen und Kabel, aber nichts deutete darauf hin, dass Luft ausgetreten war. »Öffnet die Tür noch einmal!«

»Sofort«, erklärte Torr. »Wir können das nicht zu lange machen, sonst verlieren wir zu viel Sauerstoff.«

Haran entfernte sich von der Heizung, um einen besseren Überblick zu bekommen. An welcher Stelle trat die Luft aus?

»Jetzt«, ertönte Torrs Stimme in seinem Helm.

Eine Fontäne gefrorenen Gases an der rechten Seite verriet, wo sich das Leck befand. Im ersten Moment war es noch unsichtbar, verwandelte sich aber fast sofort in Eis und verlor sich in der Weite des Alls.

»Es reicht, ich habe die Stelle.«

Die letzten Reste des Gases schlugen sich in der Nähe eines kleinen Kastens nieder, der das Leck anscheinend abdeckte. »Beeil dich«, sagte Torr. »Wir haben in den Spezifikationen der Bauteile nachgeschaut und sie vertragen die aktuellen Temperaturen nur noch für ein paar Minuten.« Ich weiß!

»Könnt ihr sie nicht herausholen?«

»Witzbold! Das Transportmodul ist nur durch ein luftdichtes Schott mit dem Schiff verbunden. Das sorgt gerade dafür, dass die Luft nicht aus dem Schiff entweicht. Wenn wir das aufmachen, sterben wir! Es gibt keine Schleuse zwischen Transportmodul und dem Rest des Schiffes.«

»Willst du mir vielleicht vorwerfen, dass ich das Modell mit Schleuse hätte kaufen sollen?«

»Nein, unsere gemeinsame Entscheidung. Zu teuer unddie Wahrscheinlichkeit eines Unfalls ist verschwindend gering.«

Zu viel Risiko eingegangen!

»Wie man sieht …« Haran begann, das Leck abzudichten. Dazu entfernte er langsam den Kasten. Er holte eine Zange aus einer der Taschen seines Anzuges, um sie behutsam anzusetzen.

Vorsichtig drückte er gegen die Wandung, aber die Metallplatte rührte sich nicht. Sie schien mit der Schiffswand verschweißt zu sein. Beim zweiten Versuch wandte er mehr Kraft auf. Jetzt knickte das Bauteil zur Seite weg. Vielleicht gab es doch noch eine Chance, seine Ladung zu retten.

Kräftig drückte er gegen die Zange und der Kasten löste sich von der Wand. Das Metall darunter sah unversehrt aus. Kein Loch, das er auf den ersten Blick entdecken konnte, nur ein paar Kratzspuren von seiner Aktion.

Es wäre auch zu einfach gewesen.

»Laut Spezifikation fallen die Bauteile jetzt aus«, erklang Torrs Stimme.

»Ja, ja«, flüsterte Haran genervt. Seiner Erfahrung nach hielten technische Geräte länger durch, als die Ingenieure es ihnen zutrauten.

Er nahm die Kratzer genauer in Augenschein, indem er die Zoomfunktion seines Helmdisplays einsetzte. Bei einer besonders tiefen Rille glaubte er, einen dunklen Schatten zu erkennen. Das musste es sein.

Aus einer anderen Tasche seines Raumanzuges holte er das Gel heraus, das Lecks abdichten sollte. Er setzte es an der Stelle an. Eine dunkelblaue Kohlenstoffverbindung bedeckte die Vertiefung.

Mit einem Spatel drückte er die zähflüssige Masse gegen das Metall, griff nach dem UV-Strahler und schaltete ihn ein. Die Strahlung führte dazu, dass sich das Gel mit dem Metall verband. Ungeduldig zählte er die Sekunden herunter, bis das Material ausgehärtet war.

Zwanzig.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Beim letzten Mal, als er es hatte verwenden müssen, hatte er auch schon geflucht und sich geschworen, ein Gel zu suchen, das schneller fest wurde. Die Mechanischen Völker kannten sich viel besser mit Kohlenstoffverbindungen aus. Sie verfügten sicher über derartige Materialien. Er musste Vess:359 danach fragen.

Dreißig.

Eigentlich sollte es jetzt reichen. Unsicher hob er den Strahler an und betrachtete sein Werk. Es sah nicht besonders gekonnt aus, aber das Gel schien sich mit dem Metall verbunden zu haben.

»Lasst die Luft rein!«

»Sofort«, gab Torr zurück.

Gespannt wartete Haran, ob wieder die Luftfontäne erscheinen würde. Er starrte auf die Stelle, aber nichts passierte. Hoffnung stieg in ihm auf. »Der Druck baut sich auf«, meinte Torr mit unverhohlener Freude in der Stimme.

»Holt die Bauteile heraus! Ich komme zurück.«

Er begann seine mühsame Reise zur Schleuse im Maschinenmodul. Gelbehälter, Strahler und Spatel verstaute er in den Taschen seines Raumanzuges und umklammerte den ersten Griff. Mit ganzer Kraft zog er sich an der Außenwand entlang. Das Verbindungsstück zum Hauptteil des Schiffes kam näher.

»Wir haben die Bauteile getestet«, erklärte Torr. Die Freude war aus seiner Stimme verschwunden.

»Und?« Haran verharrte kurz.

»Sie sind hin.«

Verdammt!

Die Hälfte seiner Fracht war damit zerstört. Langsamer zog er sich weiter Richtung Schleuse. »Und wie finanzieren wir jetzt den Rückflug zum Jupiter?«

 

*

 

Das Zischen wurde lauter. Je mehr der Luftdruck anstieg, umso deutlicher wurde das Geräusch der einströmenden Luft. Dann verstummte der Ton. Der Druckausgleich in der Schleuse war hergestellt.

Haran begann, den Helm abzunehmen. Mit einem letzten Geräusch glichen sich die Luftverhältnisse in seinem Raumanzug und außerhalb an. Er drückte neben der Tür auf eine Schaltfläche, die gleich darauf grünes Licht zeigte. Der Luftdruck war hoch genug, sie zu öffnen.

Lautlos glitt die Schleusenluke auf, um den Weg ins Innere freizugeben. Er zog sich in den Vorraum, in dem weitere Raumanzüge mit den Namen der Besatzungsmitglieder aufbewahrt wurden. Mit langsamen Bewegungen legte er den Helm auf das Regal, schälte sich aus dem Anzug und hängte ihn an die dafür vorgesehene Befestigung. Magnetisch schnappten die Verbindungen zu.

Nur mit der dünnen Stoffhose und einem Hemd bekleidet wandte er sich zum ersten Rotationsring der Wanderer. Dort wartete der Rest seiner Besatzung auf ihn. Er stieß sich von der Wand ab und hangelte sich schwerelos von einem Griff zum nächsten.

Nach seinem Ausflug fiel ihm wieder einmal das Summen der Lebenserhaltung auf. Wenn er ein paar Minuten an Bord war, blendete er es aus, aber nach einem Aufenthalt in der Stille des Weltraums hörte er sein Schiff für kurze Zeit.

Er bedauerte, dass dieses vertraute Gefühl für gewöhnlich nicht lange andauerte. Es gefiel ihm und er wünschte sich, es öfter zu hören. Auf keinen Fall wollte er sein Schiff verlieren. Nicht durch einen Unfall mit einem Meteoriten.

Ob Elasah jemals solche Probleme gehabt hat?, fragte er sich. Elasah hatte als Händlerin im Auftrag von Novi Roma gearbeitet und zum Aufstieg ihrer Stadt in den letzten Jahren beigetragen. Novi Roma beherrschte heutzutage das Jupitersystem. Manche bezeichneten Elasah als Piratin, aber Haran bewunderte sie eher für ihre kreativen Geschäfte. Dafür verehrte er seine Tante geradezu. Sie wusste schon immer, wie sie sich durchsetzte.

Stimmen rissen ihn aus den Gedanken. Endlich erreichte er die Streben, die zum Rotationskörper führten. Sie stellten die einzige Verbindung dar, um in den Bereich des Schiffes zu gelangen, in dem es Oben und Unten gab. Der Ring drehte sich ein halbes Dutzend Mal in der Minute um sein Zentrum, sodass die Zentrifugalkraft für eine Art von Schwerkraft sorgte. Sie drückte alles nach außen, was ab und an zu Übelkeit führte. Sein Schiff besaß nur zwei kleine, gegenläufige Ringe, anders als die Städte, in denen dieses Gefühl nicht auftrat.

Wie alle Menschen war Haran noch nie auf einem der Planeten gewesen. Sein ganzes Leben lang flog er zwischen den Städten hin und her, die im Orbit um die rohstoffreichen Monde und Asteroiden kreisten.

Er stieg in die kleine Kabine, die ihn in die Speiche hineinbringen würde. Mit einer schnellen Bewegung verschloss er die Klappe und startete die Angleichung an die Rotationsgeschwindigkeit. Sanft wurde er in die Röhre transportiert und eine Luke auf der anderen Seite öffnete sich. Vor ihm lag die Speiche, die zum Ring führte. Er griff nach der ersten Sprosse der Treppe, die ihn hinabbringen sollte. Zuerst ließ er sich kopfüber hineinfallen, bis er unwiderstehlich hinabgezogen wurde. Er drehte sich im Verbindungsgang, sodass er schließlich Füße voran nach unten kletterte.

Mit einem letzten Sprung landete er auf dem Boden des breiten Zentralgangs, der die Innenseite des Rotationsringes einmal umlief. Die Stimmen der Besatzungsmitglieder waren inzwischen lauter geworden, sodass er nur noch ihrem Klang folgen musste. In der Schwerkraft tat er einen Schritt vor den anderen, immer dem Anstieg folgend, der allerdings nur auf einer optischen Täuschung beruhte.

»… geht es weiter«, sagte eine tiefe Männerstimme aus einem Raum an der Seite.

Haran erreichte die Einbuchtung mit der Sitzecke. Alle Blicke richteten sich auf ihn, besonders Torr musterte ihn nachdenklich. Das Gesicht des alten Mannes war von Falten zerfurcht, die rötliche Haut stand im Kontrast zu den langen, weißen Haaren.

»Wie sieht es aus?«, fragte Haran, um das Schweigen zu beenden.

»Wie soll es schon aussehen?«, rief Shiza aufgebracht. Sie war mittleren Alters, schlank, fast schon mager und die Haare besaßen noch ihre schwarze Farbe. »Wir diskutieren gerade, wie wir den Verlust wieder reinholen können.«

Shiza arbeitete als Ingenieurin an Bord, aber manchmal übernahm ihr Temperament die Kontrolle.

»Sind die Bauteile wirklich kaputt?«, fragte Haran.

Sie stand wortlos auf, ging auf einen der Schränke zu und zog eine Schublade auf. Mit einer Hand fischte sie eine kleine viereckige Fläche aus grünlich schimmerndem Kunststoff heraus, die Haran erst auf den zweiten Blick als Schaltkreis identifizierte.

»Schau es dir an!« Shiza hielt das handtellergroße Teil zwischen den Fingern und warf es klappernd auf die Tischfläche.

Haran nahm das Bauteil und drehte es, betrachtete es eingehend. Dann entdeckte er die lila Verfärbungen am Rand des Gehäuses. Wenn ihn sein Wissen nicht trog, deuteten solche Spuren auf einen Bruch der haarfeinen Strukturen im Inneren hin.

»Wir haben es genauer untersucht«, erklärte Torr. »Große Teile sind unversehrt, aber genau die wichtigen Bereiche im Inneren haben die Veränderungen im Lagermodul nicht überstanden.«

Schweigen setzte ein.

»Die andere Hälfte bleibt uns«, erklang eine künstliche Stimme. Haran schaute zu der Gestalt, die an der Längsseite des Tisches saß. Auf den ersten Blick sah sie wie eingewöhnlicher junger Mann mit blauen Haaren aus. Erst die vollkommen weiße Haut und der teilnahmslose Gesichtsausdruck ließen erahnen, dass Vess:359 besonders war, ein Mechanischer, eine künstliche Intelligenz in einem hoch funktionalen Körper. Er gehörte zu den Mechanischen Völkern, deren Lebensraum sich in den Tiefen der Gasriesen befand. So vermutete man jedenfalls, für Menschen waren diese Gebiete nicht zu erreichen.

»Und was hilft uns das?«, fragte Haran. »Das Geld reicht gerade mal, um nicht zu verhungern.«

»Es reicht vielleicht für den Rückflug zum Jupiter«, meinte Vess:359.

»Und dann?«, wollte Haran wissen. »Wir kriegen keine Aufträge, wenn wir einen Teil der Ladung nicht bezahlen. Das Risiko wird keiner eingehen, besonders, wenn wir jetzt Ware verloren haben.«

»Eigentlich ist es nicht dein Problem«, warf Torr frustriert ein. »Du brauchst keinen Sauerstoff, kein Wasser. Vielleicht solltest du zurückgehen?«

»Menschen sind interessant«, antwortete Vess:359. Mehr verriet er nie von sich und seinen Beweggründen, sich ihnen anzuschließen. Es gab in den Städten die verschiedensten Gerüchte, warum Mechanische zu den Städten kamen. Einige hielten sie für Götter, die die Menschen beschützten, andere für das Gegenteil: Teufel, die die Menschen versklaven oder ausrotten wollten. Für Haran war Vess:359 ein Teil der Besatzung, der seine Pflichten noch nie vernachlässigt hatte.

»Die wenigsten sind interessant.« Torr lachte laut über seinen eigenen Witz.

»Für Waffentransporte gibt es immer einen Markt«, meldete sich Lelich zu Wort. Ihre Haare waren kurz geschnitten und eine Tätowierung aus ineinander verschlungenen Linien und Kreisen zog sich über die linke Gesichtshälfte. Wahrscheinlich irgendwelche Zeichen ihrer ehemaligen Truppe. In ihrem Körper steckten viele künstliche Erweiterungen, die sie fast zu einem Verwandten von Vess:359 machten.

»Du willst doch nur neues Spielzeug an Bord haben«, sagte Torr.

»Ich will nicht mehr Technik«, erwiderte sie mürrisch. »Vor allen Dingen keine Waffen. Aber wenn es sein muss …«

»Es ist auf jeden Fall nicht legal«, beendete Haran die Diskussion.

»Wen interessiert das, ob es legal ist?«, fragte Lelich und lehnte sich nach vorne.

»Nicht unser Geschäft«, meinte Haran. »Technik, auch geschmuggelte Luxusgüter sind in Ordnung, aber keine Waffen.« Er lächelte. »Ich will keine Dinge in meinem Rücken haben, die explodieren können. Willst du?«

»Hast du eine bessere Idee?« In Lelichs Augen sah er Wut. Sie akzeptierte die Entscheidung nicht und war wohl nicht mehr weit davon entfernt, lautstark zu protestieren.

»Wenn wir Servos und Datenalgorithmen transportieren, helfe ich«, schlug Vess:359 vor und Haran musste sich eingestehen, dass der Vorschlag Vorteile besaß. Es ging um die Lebensgrundlage der Mechanischen. Technologisch waren sie jeder Stadt weit voraus, auch wenn sie ihre Erkenntnisse nicht mit den Menschen teilten. Allerdings standen die Chancen nicht besonders gut, dass jemand der Wanderer eine Ladung anvertraute, wenn die letzte zerstört worden war.

»Wir sollten das nicht machen«, warf Torr ein. »Die Städte sind eifersüchtig darum bemüht, dass niemand zu weit fortgeschritten ist. Wenn wir da für eine Stadt etwas transportieren, kann es eine andere falsch auslegen. Sollen sich die Städte bekämpfen, aber wir geraten besser nicht dazwischen.«

Kämpfe zwischen den Städten waren alltäglich. Die begrenzten Ressourcen auf einem Mond reichten meist nur für eine einzige der gewaltigen Stationen im Orbit.

Widerwillig verzog Lelich die Mundwinkel und schüttelte den Kopf.

»Außerdem werden wir kaum Software im Saturnsystem finden, die wir im Jupitersystem absetzen können. Städte wie Novi Roma besitzen einfach einen technologischen Vorsprung.«

»Wir sollten aber in das Jupitersystem zurück«, stellte Haran fest. »Dort finden wir einfacher eine Ladung, die wir transportieren können.«

»Dann doch Waffen«, sagte Shiza und lachte hysterisch. »Wir bringen den Frieden.« Haran lachte ebenfalls und ein paar Augenblicke später schloss Lelich sich an.

Doch der gemeinsame Moment währte nicht lange. Lelich wurde ernst. Ihre Wut schien sich gelegt zu haben. »Also keine Waffen und auch keine Software. Was machen wir stattdessen?«

Haran war versucht, mit den Schultern zu zucken, aber er wollte seine Ratlosigkeit nicht eingestehen. Als Kapitän käme das nicht so gut an.

»Passagiere«, rief Torr.

»Was soll das heißen?«, fragte Haran überrascht.

Ein hintergründiges Lächeln erschien auf Torrs Gesicht. »Wir könnten für den Rückflug zum Jupiter ein paar Passagieren anbieten, sie mitzunehmen.«

»Jetzt werden wir zum Kreuzfahrtschiff«, flüsterte Lelich widerwillig. »Eine Rundreise durch das Sonnensystem.« Shiza setzte an zu widersprechen, aber Haran hob beschwichtigend eine Hand. »Ihr werdet schon keine Cocktails servieren müssen.«

Er drehte sich zu den anderen um. »Die Idee ist nicht komplett verrückt. Wir können die Details nachher noch besprechen. Wenn ihr andere Vorstellungen habt, immer raus damit.«

Niemand regte sich.

»Dann bleibt uns nur der Vorschlag. Gäste in unserem Schiff.«

»Wo willst du die Passagiere überhaupt auftreiben?«, wollte Shiza wissen.

»Wir gehen zur Allianz«, stellte Torr leise fest.

Die Handelsgesellschaft transportierte mehr Waren zwischen den Städten als alle anderen Händler zusammen. Die meisten Schiffe gehörten der Allianz direkt, aber ab und zu gaben sie Aufträge ab, wenn sie kein geeignetes Schiff in der Nähe hatten. Manchmal lief es nicht so gut für die Auftragnehmer und sie standen am Ende des Vertrages mit weniger da als zuvor. Die Allianz legte es immer wieder darauf an, dass die Schiffe dauerhaft in ihre Dienste traten.

»Eine tolle Idee, wir verkaufen uns«, kommentierte Haran wenig begeistert.

»Hast du eine bessere Idee?« Torr funkelte seinen Freund herausfordernd an. Niemals hätte Haran sich vorstellen können, dass er einmal Aufträge für die Allianz übernehmen würde. Er wollte es nicht. Der ganze Gewinn blieb bei der Gesellschaft und das gefiel ihm überhaupt nicht.

Doch anscheinend hatte keiner eine bessere Idee und Haran überlegte, dass ihn ein Auftrag wohl kaum der Allianz ausliefern würde. »Wir fragen an! Wir suchen uns in Melara ein paar Passagiere, die aus dem Saturnsystem zum Jupiter wollen.«

2

Die Stadt Melara, im Lagrange-Punkt L2 von Titan, Saturn

3. März 380 nach dem Exodus

 

 

Die Schleusentür öffnete sich. Haran griff nach der Stange, die am Rand des Ganges entlanglief. Eine Fensterleiste gab den Blick auf die gewaltige Konstruktion der Station vor dem dunklen Hintergrund des Weltalls frei.

Die Stadt Melara bestand aus einem rotierenden Ring von 20 Kilometern Durchmesser. Acht Speichen gingen von der Mitte zum Torus ab und in einer davon befanden siesich gerade, von einer transparenten Wand sicher vom Vakuum des Alls getrennt. Die zentrale Sektion beherbergte die Anlegestellen für Raumschiffe wie die Wanderer. Zusätzlich stellten Fabrikationsanlagen Materialien her, die in der Schwerelosigkeit besser produziert werden konnten.

Hinter sich wusste er die Station des Weltraumaufzugs, der Titan mit Melara verband. Wie bei jeder Stadt wurden die Rohstoffe nicht mit Hilfe von Raumschiffen transportiert, sondern über Transportkabinen, die langsam, aber regelmäßig zwischen der Station und der Oberfläche des Mondes fuhren. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht, bewegten sich die Kabinen am Seil entlang.

All diese Eindrücke prasselten auf Haran ein, als er sich gemeinsam mit Torr auf den Weg zum Ring von Melara begab. Noch hielten sie sich im schwerelosen Zentralbereich auf, an dem alle Raumschiffe festmachten.

Laut Überlieferung war Melara vor über 200 Jahren aus von den Monden des Saturn gewonnenen Rohstoffen erbaut worden. Die Rotation der Stadt ermöglichte es, die Zentrifugalkraft als Schwerkraft zu nutzen. Das Prinzip glich sich bei allen Städten im Sonnensystem. Manchmal begann der Aufbau mit einem ausgehöhlten Asteroiden wie bei Novi Roma. Doch im Falle von Melara schuf man einen künstlichen Ring von 20 Kilometern Durchmesser.

Haran folgte Torr bis zum Durchgang. Mit einem lauten Zischen öffnete sich die Tür und gab den Weg in einen kleinen Raum frei. An der gegenüberliegenden Seite gab es eine breite Fensterfront.

Ohne zu zögern, stieß sich Haran ab und bremste am Fenster wieder. Sein Aussichtspunkt befand sich sehr dicht an der Rotationsachse, weshalb nur eine kaum merkliche Kraft auf ihn wirkte. Nahezu schwerelos hing er in der Luft.

Der Ring rotierte weit unter ihm und Haran blickte durch das Fenster auf die Innenseite des Torus. Wälder, Seen, Felder und Siedlungsflächen bedeckten den Innenraum. Manchmal trennten gerade Linien die Bereiche, aber zwischen den blauen Gewässern und dem Grün der Vegetation herrschten unregelmäßige Grenzen vor. Die goldenen Felder mit Weizen und Mais, die der Versorgung dienten, besaßen meist die Form von geometrisch korrekten Rechtecken.

In regelmäßigen Abständen breiteten sich Siedlungen mit hohen Wohntürmen, riesige Gebäude mit weißen Wänden und schnurgerade Verbindungsstraßen auf der Oberfläche aus.

»Und wohin jetzt?«, fragte Haran ungeduldig. Torr schwebte neben ihm und schaute ihn fragend an.

»Wir fahren runter zum Ring.« Torr deutete auf das Schott an der Seite.

»Du meinst wirklich, dass das klappt?«

Ein verschmitztes Lächeln erschien auf Torrs Gesicht. »Wenn wir die richtigen Leute fragen, dann werden wir Passagiere finden.«

Misstrauisch musterte Haran seinen Begleiter. So ganz teilte er seine Begeisterung nicht. Es kam nicht häufig vor, dass jemand von einem Planeten zu einem anderen reiste. Die gewaltigen Stationen waren autonom und meistens wurden nur außergewöhnliche Güter ausgetauscht, hoch entwickelte Technologie, Software, die nicht drahtlos übertragen werden sollte, biologische Proben oder seltene Materialien. Dieser beschränkte Handel führte dazu, dass es nur für wenige Leute notwendig war, im Sonnensystem zu reisen. Die elementaren Grundstoffe wie Wasser und Kohlenstoffverbindungen besorgten sich die Städte durch Abbau auf den Monden oder Asteroiden, um die herum sie kreisten.

Fremde kamen meist von den Städten, die um die Trabanten desselben Planeten kreisten. Melara begleitete Titan, die Besucher stammten von Städten wie Ix in einer Umlaufbahn um den Mond Enceladus oder anderen Stationen im Saturnsystem.

»Verrätst du mir jetzt, wie du das mit der Allianz hinkriegen willst?«, fragte Haran skeptisch.

Torr schwebte auf das Schott zu, das mit einem leisen Summen zur Seite glitt. Haran folgte ihm in den fensterlosen Raum. Es gab nur eine Stange, um sich festzuhalten, und eine Leiste von Druckflächen mit Ziffern an der Wand. Torr drückte auf die unterste Taste.

Ein sanftes Vibrieren lief durch die Kabine. Haran wandte sich mit den Füßen zu der Seite, die der Außenseite des Rotationsrings am nächsten lag. »Und was ist jetzt mit der Allianz?«

Torr musterte ihn nachdenklich. »Wir machen uns nicht von der Allianz abhängig.«

»Nur weil du es sagst?«

»Wir haben keine andere Chance, an Geld zu kommen. Ich rede nicht davon, Gewinn zu machen, sondern im Geschäft zu bleiben.«

Haran schwieg.

»Elasah hat am Anfang auch ganz schön zu kämpfen gehabt«, flüsterte Torr mit einem breiten Grinsen.

»Und das hat sie dir in einer stillen Stunde verraten?«

Die Gesichtszüge des älteren Mannes versteinerten. »Kein Kommentar.«

»Du warst Mitglied des Senats. Die Gerüchte kennt sowieso schon jeder in Novi Roma. Ein Senator und die beste Händlerin der Stadt waren ein Paar.«

»Lass es gut sein«, sagte Torr leise, doch ohne jede Gefühlsregung.

Was war zwischen den beiden?, dachte Haran, entschloss sich jedoch, nicht weiter in der Vergangenheit seines alten Freundes zu bohren. Irgendwann würde er schon mehr verraten.

Nach einiger Zeit spürte er, wie er die dem Ring zugewandte Seite des Fahrstuhls als Boden wahrnahm. Ein seltsamer Schwindel ergriff ihn, wie jedes Mal, wenn er unter den Einfluss der Zentrifugalkraft geriet.

Immer stärker wurde die Anziehungskraft, bis die Kabine schließlich mit einem Ruck ankam. Nichts bewegte sich mehr.

»Wollen wir los?«, fragte Torr herausfordernd.

Haran nickte. Das Schott öffnete sich und jetzt setzten sie einen Fuß vor den anderen, um nach draußen zu gelangen. Die gefühlte Schwerkraft am Boden der Stadt war stärker als in ihrem Raumschiff.

Die könnten die Rotation ruhig verlangsamen, dachte Haran und folgte Torr durch einen schmalen Gang ohne Fenster. Ein diffuses Licht erhellte die kurze Strecke bis zur Tür. Torr drückte den Knopf an der Wand und trat in die Helligkeit zwischen den sich öffnenden Türflügeln.

Haran ging blind hinterher. Nur allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Beleuchtung der Stadt. Riesige Bänder am Himmel sorgten für Licht und zwischen ihnen entdeckte er die Zentralstation und die Schwärze des Weltalls. Die Speiche, durch die sie gerade auf den Boden des Ringes gefahren waren, verband die Konstruktionen.

Er senkte den Blick. Rechts und links wuchsen die Begrenzungen Hunderte von Metern in die Höhe. Vor und hinter ihm erstreckte sich die freie Fläche und beugte sich nach oben, bis sie sich in der Ferne verlor. Es wirkte, als befinde er sich am tiefsten Punkt einer gebogenen Röhre. Zu den Seitenrändern stieg sie steil an, in Ringrichtung weniger, aber dafür über ihn hinaus.

Gerüche gelangten in seine Nase, die er viele Monate lang nicht wahrgenommen hatte. Es roch nach Bäumen und Gras.

Seine Gedanken gingen zurück zu Novi Roma, der Stadt, die den Jupiter umkreiste. Die Stadt, die bereits mehrere Hundert Jahre alt war. Seine Heimat.

Riesige Buchen säumten einen Kiesweg. Die Blätter strahlten intensiv grün. Saftiges Gras wuchs am Boden und Büsche verteilten sich in regelmäßigen Abständen. Jede Stadt wollte den Eintritt in ihre Welt beeindruckend gestalten und meistens gelang es den Erbauern auch.

»Wohin jetzt?«

Torr wandte sich zu ihm um. »Das Haus der Allianz ist nicht weit entfernt.«

Die Allianz besaß Vertretungen in jeder Stadt. Sie regelten einen Großteil des Handels zwischen den Planeten, legten Streitigkeiten bei und vermittelten Aufträge an freie Händler. Eigentlich sorgten sie für Stabilität, aber Haran mochte sie nicht. Für jeden Auftrag, den sie vermittelten, verlangten sie eine Provision, ohne auch nur einen Teil des Risikos zu tragen.

»Du willst wirklich die Arbeit für die erledigen?«

»Hast du eine bessere Idee?«

»Die Regierung von Melara?«, schlug Haran vor. Er hatte auf dem Weg hierher darüber nachgedacht.

Torr schüttelte den Kopf. »Hier herrscht schon seit Jahren eine Familie. Sie bereichert sich an der Arbeit der anderen Bewohner. Wir werden kaum einen Auftrag von ihnen bekommen. Was glaubst du, warum sie die Bauteile von Novi Roma haben wollten?«

»Dann bleibt nur die Allianz?«

»Das denke ich«, meinte Torr. »Es ist die einfachste Möglichkeit, einen Auftrag zu ergattern.«

Haran gab einen zustimmenden Laut von sich. Er hasste ihren Plan immer noch. Ihm widerstrebte es, die Arbeit zu machen und einen Teil des Lohns abzugeben. Wenn er damit einverstanden gewesen wäre, hätte er auch in Diensten von Novi Roma bleiben können.

Hinter Torr schritt er angespannt über den schmalen Weg inmitten des Gartens. Die Steine unter ihren Schuhen knirschten leise. In einiger Entfernung ragten Wohnhäuser auf, aber nur wenige Bürger der Stadt verirrten sich hierher.

»Da müssen wir lang«, meinte Torr entschieden und deutete mit dem Arm eine graue Straße entlang. Rechts und links erhoben sich Gebäude, deren Wände wie aus Sandstein gefertigt aussahen.

Torr drehte sich zu ihm um. »Dort muss das Büro der Allianz sein.«

Hinter den Gebäuden ragte ein riesiger kreisrunder Turm in den Himmel. Die Außenwand bestand aus reflektierenden Scheiben, in denen sich die schmucklosen Häuser der Umgebung spiegelten. Stufen aus Marmor führten zu einer Eingangstür aus Glas.

Torr hielt darauf zu und Haran folgte ihm. Schnell stiegen sie hinauf. Die beeindruckenden Türen fuhren zur Seite. Im Saal dahinter befand sich nur ein Empfangstisch, an dem ein junger Mann saß. Er war in eine weinrote Uniform gekleidet. Seine Haare fielen ihm bis auf die Schultern.

Entschlossen trat Haran an den weißen Tisch heran. »Guten Tag!«

Ein breites Lächeln zeigte die makellosen Zähne des Mannes. »Wie kann ich helfen?«

»Wir sind Händler. Mein Name ist Haran Troyer, Kapitän der Wanderer, und wir würden gerne nach Aufträgen fragen.«

Sein Gegenüber nickte verständnisvoll und wandte sich einem Display zu, das vor ihm halb in die Tischplatte eingelassen war. Er tippte und wartete einen Moment, bevor er sich wieder um Haran kümmerte. »Bitte folgt den blauen Markierungen. Ein Mitarbeiter wird euch erwarten.«

Er deutete auf die Lichter, die auf dem Boden wie aus dem Nichts heraus aufleuchteten.

»Vielen Dank.«

Die Zeichen wiesen zu einer geschlossenen Tür links des Empfangstisches. Wie zu erwarten war, gewährte sie ihnen Zugang, als sie davortraten. Ohne anzuhalten, marschierte Haran tiefer in das Gebäude hinein. Sanftes Licht beherrschte den Gang. Immer wieder kamen sie an Türen vorbei, aber keine öffnete sich für sie. »Ich weiß ja nicht«, meinte Haran und warf Torr einen zweifelnden Blick zu.

»Glaubst du, sie geben dir Zutritt zu allen Geheimnissen? Wir gehen hier rein, sagen, was wir wollen, und verschwinden wieder.«

Haran nickte, doch richtig zufrieden war er nicht mit dem Empfang.

Dann endlich liefen die blauen Lichter auf eine Tür zu, die ihnen bereitwillig Zugang gewährte. Der Raum unterschied sich von dem rein funktionalen Gang. Rechts und links standen Büsche und an den Wänden gab es Regale, in denen sich seltsam geformte Objekte befanden. Haran war sich nicht sicher, ob sie Kunst darstellen sollten oder einen praktischen Nutzen besaßen. Manche sahen aus wie abstrakte Skulpturen von Menschen, andere wie Maschinenteile.

Eine dunkelhäutige Frau in roter Kleidung stand mitten im Raum. Hose und Jacke waren deutlich dunkler als beim Mitarbeiter am Empfang. Ihre Gastgeberin war groß, die Haare kurz geschnitten. In den Augen lag eine Entschlossenheit, die Haran verwunderte. Er hätte erwartet, dass sie einem gelangweilten Büromitarbeiter begegnen würden.

»Willkommen«, erklang ihre helle Stimme. »Setzen Sie sich doch bitte.« Sie zeigte freundlich auf zwei Sessel in einer Ecke des Raumes.

Haran ging langsam darauf zu und ließ sich hineinfallen, Torr tat es ihm gleich.

»Mein Name ist Toka Ajin.« Sie deutete eine höfliche Verbeugung an. »Was kann ich für Sie tun?«

Peinlich berührt stand er auf und versuchte sich ebenfalls an einer Begrüßung, die aber ziemlich ungelenk ausfiel. »Mein Name ist Haran Troyer, Kapitän der Wanderer, mein Begleiter heißt Torr Kanagy.«

Er legte eine kurze Pause ein, während er ihre Gastgeberin betrachtete. Sie schien neugierig, doch nicht überrascht, sie hier zu sehen. »Und wir sind an Aufträgen der Allianz interessiert.«

Toka baute sich selbstbewusst vor den beiden auf und legte die Arme auf den Rücken. »Welche Art von Aufträgen?«

»Einen Transport zum Jupiter. Ein Teil unserer Ladung wurde beschädigt und wir müssen den Ausfall ausgleichen.«

Sie verharrte für einen Moment und musterte Haran, der nervöse Bewegungen vermied. Sie schien ihn eingehend zu prüfen. »Sie wissen, dass wir keine einzelnen Aufträge vergeben, sondern nur langfristige Arbeitsverträge aushandeln?«

Das mach ich im Leben nicht!

»Wir würden gerne unseren Verlust ausgleichen und dazu sollte ein Auftrag ausreichen. Wenn wir dabei der Allianz helfen können, dann wäre das ein Gewinn für beide Seiten.«

Ein aufgesetztes Lächeln erschien auf den Lippen der Frau. »Ich kann verstehen, dass Sie nicht an einer langfristigen Zusammenarbeit interessiert sind, aber leider sind das die Regeln der Allianz.«

Stille setzte ein. Torr gab Haran zu verstehen, ruhig zu bleiben.

»Es hätte Vorteile für Sie«, fügte Toka wohlwollend hinzu.

»Vorteile?«

Die Frau blickte ihn interessiert an. Der Eindruck, dass sie ihn genau prüfte, verstärkte sich. »Haben Sie vom Unfall gehört?«

Haran wechselte einen schnellen Blick mit Torr, der nur schwach den Kopf schüttelte. »Wir sind noch nicht lange hier. Was ist passiert?«

»Das weiß keiner so genau. Vor drei Tagen näherten sich zwei Schiffe der Stadt und kollidierten weit draußen.«

»Sie kollidierten?« Haran verstand nicht, was vorgefallen war. Schiffe kamen für gewöhnlich niemals gleichzeitig an. Die Reisezeiten zwischen den Städten im Sonnensystem waren viel zu lang. Zusätzlich wurden alle Anflugvektoren genau kontrolliert. Niemand näherte sich einer Stadt, ohne dass jede Flugbewegung und jedes Manöver protokolliert wurden. Es kam nie vor, dass Raumschiffe miteinander kollidierten.

»Was haben die Schiffe mit uns zu tun?«

Die Frau blickte Haran verschwörerisch an. »Sie wurdenbeide vollkommen zerstört und die Trümmer werden im Laufe der nächsten Jahre auf den Titan stürzen. Ein paar Prospektoren bergen vielleicht ein paar Rohstoffe, wenn sie das Risiko eingehen wollen und sich der Treibstoffverbrauch rechnet. Aber niemand hat ein Schiff erwartet.Keiner weiß, was sie hier wollten. Oder woher sie kamen.«

Das erklärt nicht, was das mit uns zu tun hat. Wir haben unsere eigenen Probleme!

»Können wir zu den Aufträgen zurückkehren?«

Toka deutete eine Verbeugung an. »Entschuldigt die Ablenkung. Ich wollte euch nur deutlich machen, dass es Vorteile bietet, zur Allianz zu gehören. Keine Überraschung mit plötzlich auftauchenden Schiffen. Auch nicht mit Konkurrenten.«

Haran hielt seinen Kommentar zurück. Er wollte nicht, dass eine Organisation wusste, wo er sich aufhielt. »Gibt es eine Möglichkeit, dass wir nur den Flug zum Jupiter machen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Die Regeln der Allianz sind eindeutig. Der minimale Vertrag, den wir mit externen Schiffen schließen, umfasst die Transportstrecke von zwanzig astronomischen Einheiten. Wir vermitteln die Aufträge und der Vertragspartner fliegt die Strecken.«

»Das sind mindestens drei Jahre!«, rief Haran empört.

Toka hob in einer entschuldigenden Geste die Hände. »Ich kann leider nichts an den Regeln ändern. Um die Sicherheit der Flüge und die Qualität der Lieferung zu gewährleisten, müssen wir darauf bestehen.«

Haran fluchte leise und versuchte, sich zu beruhigen. Sich in diesem Büro aufzuregen, brachte nichts. Er betrachtete die Frau und wollte zu einer Frage ansetzen, als er sah, wie sie ins Leere starrte. Sie wirkte abwesend, als ginge sie Daten durch, die ihr irgendwelche Implantate durchgaben. Oft erweiterten Menschen sich selbst. Auch Lelich trug einige technische Hilfsmittel in sich, die ihre Fähigkeiten verbesserten.

»Ihr habt Glück«, erklärte Toka. »Ich erhalte gerade die Nachricht, dass wir unter Umständen eine Ausnahme machen können. Vielleicht ergibt sich bald etwas.«

Wie sollte er das Verhalten der Frau einschätzen? Wollte sie ihn hinhalten, sodass er sich am Ende doch der Allianz anschloss? »Bald?«

Ein gekünsteltes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Bitte gedulden Sie sich ein oder zwei Stunden. Ich muss ein paar Dinge klären.«

Erfreut blickte Haran sie an, obwohl ihm das Verhalten der Frau Rätsel aufgab. »Vielen Dank«, gab er zurück und lächelte höflich. Als er Torr anschaute, überraschte ihn die finstere Miene seines Freundes. Aber er wollte ihn nicht hier darauf ansprechen. Es war seine Idee gewesen, zur Allianz zu gehen.

Haran stand auf und reichte Toka die Hand. »Auf gute Geschäfte.«

Sie ergriff sie und drückte fest zu. »Auf gute Geschäfte.«

 

*

 

»Hast du sehr gut ausgesucht«, meinte Haran und lehnte sich zufrieden zurück.

Auf seinem Teller lagen die Reste eines Brötchens, dazwischen befand sich ein dunkel angebratener Patty. Fett glitzerte an der Oberfläche. Torr deutete darauf. »Was sagst du zu den Feuerkäfern?«

Ein Lächeln huschte über Harans Gesicht. »Ein sehrschöner Geschmack, nicht so nussig wie zu Hause, aber doch gut.«

»Anscheinend kann man ganz gut leben hier draußen.«

Der Blick des alten Mannes ging in die Ferne. »Der Lebensstandard in Melara ist einigermaßen, besser als in anderen Städten, aber die herrschende Familie unterdrückt die Bewohner. Ich würde hier nicht bleiben wollen.«

»Du warst schon hier?«

Ein wehmütiges Lächeln huschte über Torrs Lippen. »Als du noch klein warst, bevor ich in den Senat gewählt wurde, durfte ich einmal in das System des Saturn fliegen. Wir sollten neue Handelsmöglichkeiten aufzeigen.«

Er verstummte, sodass Haran ihn fragend anschaute. »Und?«

»Die Familie ist nicht sehr wählerisch in der Wahl ihrer Mittel. Die meisten Bewohner führen kein gutes Leben, immer dieselben Lebensmittel, harte Arbeit, bei der sie auch noch Unfällen zum Opfer fallen. Hier, in diesem Restaurant, trifft sich schon die Oberschicht.«

»Der Senat von Novi Roma ist auch nicht viel besser. Selbst du wolltest nicht dort bleiben.«

Der alte Mann atmete aus, als drücke ihm eine schwere Last auf die Brust. »Nicht alles, was im Senat besprochen wurde, sollte nach außen dringen. Nachdem Elasah weg war, kamen ein paar Senatoren auf den Gedanken, dass man ja alle Ressourcen zusammenhalten müsste, am besten noch für sich selbst. Sie haben Gesetze erlassen, um ihren Besitz zu schützen. Ich wollte nicht mehr dabei sein.«

»Korruption?«, fragte Haran und erinnerte sich an seine letzten Erlebnisse in seiner Heimatstadt.

»Niemand würde es so nennen und vieles haben sie wohl auch nicht umgesetzt.«

»Sie haben genug umgesetzt«, meinte Haran aufgebracht. »Auf meinem letzten Flug haben sie den Lohn gekürzt. Wir mussten ein anderes Schiff sogar bitten, uns bei einer Reparatur zu helfen. Novi Roma wollte uns nicht helfen.« Er schloss kurz die Augen, um die Erinnerung zurückzudrängen. »Als wir wieder in Novi Roma ankamen, haben sie es nur als Missverständnis dargestellt. Sie sagten, dass alles gut gegangen sei. In irgendeiner Kalkulation war es sicher auch ein Erfolg. Aber ich hatte keine Lust mehr, für Bürokraten zu fliegen, die sich nicht mal um mein Leben Sorgen machen.«

Torr schwieg. Man hörte nur den steten Redeschwall der anderen Gäste im Restaurant. Fast jeder Tisch war besetzt. Viele Bürger von Melara kamen zur Abendstunde zusammen und genossen den freien Blick auf die Landschaft der Stadt. Im Vergleich zur eintönigen Decke des Rotationsrings an Bord der Wanderer bot der kilometergroße Ring von Melara eine beeindruckende Aussicht auf die Weite des Innenraums. Wild wuchernde Wälder wechselten sichmit Siedlungen und kleinen Seen ab. Wie in allen anderen Städten beugte sich der geschlossene Raum nach innen, als lebte man auf der Innenseite eines Rotationskörpers, eines Ringes oder eines Zylinders, je nach Stadt unterschiedlich.

Die Lichter an den Seitenwänden wurden bereits schwächer und kündigten die beginnende Nacht an. Das Rotationszentrum leuchtete dennoch immer noch über ihnen.

Haran wandte sich zu seinem abwesend wirkenden Begleiter. »Was ist?«

»Wir sind verdammt weit davon entfernt, erfolgreich zu sein.«

»Du hast selbst gesagt, dass Elasah auch Probleme gehabt hat.«

Torr verzog missmutig das Gesicht.

»Wir brauchen nur die nächsten Stunden zu überstehen und fliegen zum Jupiter. Der Gewinn wird minimal sein, aber immerhin ein Gewinn. Und danach geht es weiter.«

»Ich weiß nicht«, meinte der alte Mann misstrauisch.»Jetzt müssen wir schon die Allianz nach Aufträgen fragen.«

»Es war deine Idee!«

»Sollte ich warten, bis wir pleite sind?« Torrs Stimmeüberschlug sich beinahe vor Empörung.

»Entschuldige«, flüsterte er. »Ich will nur nicht irgendwann in einer Stadt enden.«

»Wir tun das Richtige«, stieß Haran selbstsicher hervor. »Dafür haben wir Novi Roma ja verlassen. Um nicht als kleine Händler zu versauern, die ihren ganzen Gewinn an den Senat abgeben müssen. Selbst Elasah hat sich irgendwann abgesetzt.«

»Vorher ist sie allerdings eine Legende geworden, nicht nur in Novi Roma, sondern auch in allen anderen Städten. Die Menschen reden heute noch von ihr.«

»Von uns reden sie nicht, aber wir werden unsere Aufträge schon bekommen. Dann werden unsere Namen auch bei den anderen Städten bekannt sein und wir können uns leisten, was wir wollen.«

Torr lehnte sich zurück und griff nach der Serviette. Er wischte sich die Finger ab, dann den Mund. »Die Feuerkäfer waren gut.

---ENDE DER LESEPROBE---